Das Wunder von Silent Hollow - Daniela Felbermayr - E-Book

Das Wunder von Silent Hollow E-Book

Daniela Felbermayr

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Beschreibung

Der Weihnachtsmann meint es nicht gut mit Sienna Cooper. Ihr Verlobter betrügt sie und verlässt sie wegen einer Anderen und ihr profitorientierter Vater – gleichzeitig ihr Boss – schickt sie über die Weihnachtsfeiertage in ein kleines Nest namens Silent Hollow nach Kansas, um dort ein Stück Land zu kaufen, auf dem seine Firma ein Einkaufszentrum errichten will. In Silent Hollow angekommen, landet Sienna nicht, wie geplant, im Hotel, sondern auf Greenfield Manor, dem traumhaften Anwesen von Patty Montgomery, Familienoberhaupt einer alt eingesessenen Silent Hollower Familie, die sie herzlich aufnimmt und ihr anbietet, die Feiertage mit ihr zu verbringen. Ein Angebot, das Sienna nur zu gerne annimmt, erst recht, als sie Dean, den Enkelsohn ihrer Gastgeberin kennenlernt, in die Vorweihnachtsbräuche eingebunden wird und den Zauber von Weihnachten verspürt, den Greenfield Manor versprüht. Als Sienna jedoch herausfindet, dass das Anwesen kurz vor dem Verkauf steht und Patty ins Seniorenheim soll, beschließt sie, den Montgomerys zu helfen. Und trifft eine Entscheidung, die ihr ganzes Leben verändern wird … "Das Wunder von Silent Hollow" - eine zauberhafte Geschichte über Menschen, die über sich selbst hinauswachsen und den wahren Wert von Weihnachten kennenlernen. Und eine Geschichte, die deutlich macht, dass Wunder uns allen widerfahren können. Überall und zu jeder Zeit.

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Das Wunder von Silent Hollow

 

 

 

 

 

 

 

© 2015 by Daniela Felbermayr

Covergestaltung: Daniela Felbermayr

Titelbild: Depositphotos

Korrketkorat: S.W. Korrekturen e.U.

 

www.pink-powderpuff-books.com

[email protected]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

19. Dezember

 

 

PROLOG

 

„Als nächsten und gleichzeitig auch letzten Punkt auf unserer Tagesordnung haben wir einen Deal mit der First Bank of America. Wir haben die Option auf ein Grundstück in einer Kleinstadt in Kansas. Da die ganze Angelegenheit im mittleren Westen stattfindet, wo man, wie es scheint, der Zeit noch ein paar Jahre hinterherhinkt, müssen wir hier besondere Maßnahmen ergreifen. Dummerweise steht bislang noch nicht fest, ob das Grundstück tatsächlich verkauft wird, weil der momentane Besitzer alles versucht, es zu halten. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass einer von Ihnen …“ Malcolm Cooper blickte in die Runde. „… die nächsten Tage vor Ort verbringt und die Angelegenheit für Cooper Incorporated an Land zieht, sobald das möglich ist.“

Betretendes Schweigen machte sich auf den Gesichtern der Angestellten breit, die an diesem Morgen im Besprechungsraum saßen. Die nächsten Tage in einem langweiligen Kaff im Mittelwesten zu verbringen, war schon einmal grundsätzlich kein recht freudiges Unterfangen. Der eine oder andere hätte sich mit dem Job vielleicht noch anfreunden können, wenn es eine andere Zeit im Jahr gewesen wäre, Frühling vielleicht oder Sommer, doch es war der 19. Dezember und somit kurz vor Weihnachten. Jeder Einzelne im Besprechungsraum hatte längst Pläne für die Feiertage gemacht, Urlaub gebucht oder freute sich auf ruhige Tage im Kreise der Familie. Einige der Anwesenden rutschten kaum merklich auf ihren Stühlen hinunter, so als würden sie versuchen, sich kleiner zu machen, als sie waren, damit Malcolm sie so vielleicht übersah.

„Gibt es Freiwillige?“, fragte der nach einigen Augenblicken mit seiner sonoren, respekteinflößenden Stimme, doch im Raum war es so still, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

„Es kann gut sein, dass der Deal schon nach ein, zwei Tagen unter Dach und Fach ist. Und glauben Sie mir, derjenige hat einen Stein bei mir im Brett, der sich dieser Sache annimmt.“

Malcolm versuchte, seine Mitarbeiter zu motivieren, was ihm aber kaum gelang. Trotz der Aussicht, bei einem der bekanntesten Baulöwen der Staaten „einen Stein im Brett“ zu haben, was durchaus für die weitere Karriere bei Cooper Inc. förderlich sein konnte, blieb es still im Raum. Die Luft war fast zum Schneiden gespannt, als jeder einzelne Mitarbeiter hoffte, dass Malcolm Cooper nicht gerade ihn für den Trip nach Kansas an Weihnachten auswählte. Wer würde Weihnachten schon im Nirgendwo verbringen wollen und darauf warten, dass irgendein popeliges Grundstück zum Verkauf freigegeben wurde.

 

„Also keine Freiwilligen? Das dachte ich mir. Nun, unter diesen Umständen habe ich längst jemanden bestimmt, der diese Angelegenheit übernehmen wird.“

Unruhiges Murmeln ging durch den Raum und einige der Mitarbeiter rutschten ein weiteres Stück auf ihren Stühlen nach unten, sodass sie fast schon mit den Hosenböden den Teppich berührten.

„Sienna, du wirst nach Silent Hollow reisen und zusehen, dass du dieses Geschäft an Land ziehst.“ 

 

Ungläubiges und gleichzeitig erleichtertes Raunen ging durch den Besprechungsraum, während die Mitarbeiter, die rund um den Tisch saßen, plötzlich wieder zu ihrer vollen Größe anwuchsen. Manchen von ihnen war anzusehen, wie erleichtert sie waren, dass es dieses Mal nicht sie selbst getroffen hatte. Andere wiederum sahen ziemlich verwundert aus der Wäsche. Malcolm Cooper hatte tatsächlich soeben seine eigene Tochter dazu verdonnert, die Weihnachtsfeiertage über allein in einem Nest in Kansas zu verbringen.

 

1

 

 

„Was ist denn nur in deinen Dad gefahren?“

Ungläubig starrte Macy, Siennas beste Freundin und Kollegin bei Cooper Inc., sie an. Die beiden hatten den Besprechungsraum soeben verlassen, in dem Siennas Vater die Hiobsbotschaft, Sienna würde die Feiertage über allein in einem Nest in Kansas verbringen müssen, um auf irgendeinen Deal zu warten, den sie vielleicht gar nicht klarmachen konnte, verkündet hatte.

„Ich denke, das ist die Retourkutsche dafür, dass ich mit Larry Schluss gemacht habe“, sagte Sienna und warf ihr langes, blondes Haar über die Schulter, das in den Spitzen in feinen Wellen endete. „Er hat mir immer noch nicht verziehen, dass ich Larry vor die Tür gesetzt habe. Oder weil ich ein Mädchen geworden und nicht als der erhoffte männliche Stammhalter zur Welt gekommen bin, der die Firma einmal übernimmt.“„Aber Larry war ein Arschloch. Er hat dich mit allem betrogen, was nicht bei drei auf den Bäumen war und dich wie Dreck behandelt. Ich meine, weiß dein Dad das mit Alice?“„Nein, das weiß er natürlich nicht. Weißt du, Macy, mein Vater hatte große Hoffnungen in Larry und mich gesetzt. Er ist davon ausgegangen, dass wir beide eines Tages heiraten, ich Larrys Kinder in einer Villa in der Vorstadt großziehe und Larry die Geschäfte hier übernimmt. Doch die Firma dem Exfreund seiner Tochter zu übergeben, sieht eben nicht so gut aus, wie sie seinem Schwiegersohn in die Hände zu legen.“

„Du bist ebenso gut geeignet, die Firma zu leiten, wie Larry, dieses Arschloch.“Macy warf Larry und Alice, Larrys neuer Flamme, einen giftigen Blick zu, die gerade turtelnd an Alice’ Schreibtisch saßen. Zu allem Überfluss hatte Larry sich unter all den vielen Frauen, mit denen er Sienna im Laufe der Jahre betrogen hatte, für die Empfangsdame von Cooper Inc. entschieden.

„Sag das mal meinem Vater. Nachdem ich ihn schon so dermaßen enttäuscht habe und als Mädchen zur Welt gekommen bin, habe ich ihm nun auch noch seine einzige Chance auf einen angenehmen Ruhestand genommen.“

Sienna erinnerte sich an die endlose Diskussion, die sie mit ihrem Vater hatte führen müssen, als sie Larry hinausgeworfen hatte. Malcolm hatte ihr vorgeworfen, sie würde wohl Freude daran haben, ihm seinen bevorstehenden Ruhestand zu vermiesen, nur an sich selbst denken und auf dem Holzwege sein, wenn sie dachte, dass sie mit ihren einunddreißig Jahren noch einen Mann wie Larry fand, der die besten Voraussetzungen mitbrachte, Cooper Inc. eines Tages zu übernehmen. Sie warf ebenfalls einen Blick zu Larry und Alice. Die beiden hatten sie längst bemerkt und begannen, sich ungeniert zu betatschen, um sie womöglich eifersüchtig zu machen, was in Sienna nicht das geringste Gefühl auslöste.

 

 

Wenn sie ehrlich mit sich war, hatte sie Larry ohnehin nie richtig geliebt. Und er sie auch nicht. Er hatte sie als Mittel zum Zweck gesehen, und nach den ersten beiden Jahren, in denen sie annähernd so etwas wie glücklich miteinander gewesen waren, hatten sie dieses jämmerliche Etwas, das sie „Beziehung“ schimpften, so lange am Leben erhalten, bis Sienna mit ihren Kräften am Ende war. Larry Grimes war ein Mann, der genau wusste, wie er sich anderen gegenüber verhalten musste. Wenn Sienna jetzt, sieben Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Larry, darüber nachdachte, so war sie sich sicher, er hatte alles von Anfang an geplant.

 

Larry hatte damals mit Mitte zwanzig seinen Job bei Cooper Inc. begonnen und sich vom ersten Tag an für Sienna, die ebenfalls erst vor Kurzem ihren Job in der Firma ihres Vaters angetreten hatte, interessiert. Hatte seine Kaffee- und Mittagspausen mit ihr verbracht, ihr jeden Morgen einen Bagel von der kleinen Bäckerei, die unweit des Firmengebäudes ihre Zelte aufgeschlagen hatte, mitgebracht und war ihr an den Lippen gehangen, wenn er sie danach gefragt hatte, wie ihr Abend so gewesen war. Jetzt im Nachhinein, da war Sienna sicher, hatte Larry sich absichtlich an sie herangemacht, weil er schon damals damit gerechnet hatte, in Malcolms Gunst zu steigen und eines Tages die Firma zu übernehmen, wenn er mit der Tochter des Hauses zusammen war. Ja, es musste von Anfang an Berechnung gewesen sein, ansonsten wären all die hässlichen Dinge, die Larry sich im Laufe der Jahre geleistet hatte, nicht vorgefallen.

 

Sienna warf sich in ihren Bürostuhl, lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Es hatte Augenblicke gegeben, da war sie von ganzem Herzen in Larry verliebt gewesen. Da konnte sie es nicht abwarten, bis er sie von zu Hause abholte, da kribbelte ihr Bauch, wenn sie nur an ihn dachte, und da fühlte sie sich angekommen, wenn sie in seinen Armen lag. Wenn sie an die letzten Monate ihrer Beziehung dachte, war von dieser anfänglichen Zuneigung rein gar nichts mehr übrig. Larry, mit dem sie mittlerweile ein gemeinsames Appartement in Downtown bewohnte, war ein aggressiver Mistkerl geworden, der sie nach Strich und Faden betrog und dem sie nichts recht machen konnte. Er hatte seinen Spaß daran, Sienna zu verletzen, ihr Gemeinheiten an den Kopf zu werfen und sein eigenes Ego damit aufzubauen, sie runterzumachen. Vermutlich waren es eher das schicke Stadtappartement und die weiteren Annehmlichkeiten, die es mit sich brachte, wenn man mit Sienna Cooper, der Tochter des Bauunternehmers, der weit über die Landesgrenzen bekannt war, zusammenlebte, anstatt Sienna selbst, die ihn noch bei ihr hielten. Und sie selbst hatte es lange Zeit nicht fertiggebracht, Larry zu verlassen. Ihr Vater hatte schon recht früh damit begonnen, Larry in Firmeninternas miteinzubeziehen und ihn Geschäftspartnern gegenüber als seinen Nachfolger vorzustellen. Die Beziehung zu Larry zu beenden, wäre einem familiären Armageddon gleichgekommen. Sienna erinnerte sich an die vielen Male, an denen er ihr vorgeworfen hatte, er würde sie hassen. An denen er sie wegen Kleinigkeiten beschimpfte und ausrastete, an denen er ihr auf gemeinste Art und Weise zu verstehen gab, dass sie unzulänglich und zweitklassig war. Nein. Es war die richtige und obendrein längst überfällige Entscheidung gewesen, Larry letztendlich doch zu verlassen, auch wenn es für den Moment so aussah, als würde ihr Vater ihr das nie verzeihen. Sienna hatte viel zu lange dabei zugesehen, wie Larry seine eigenen Unzulänglichkeiten damit aufwertete, dass er sie herunterputzte. Es störte sie bisweilen noch nicht einmal mehr, wenn Larry sie auf seine fiese Art mental verletzte, doch die Tatsache, dass er eine Affäre mit der Empfangsdame von Cooper Inc. begann, sie mit in ihr gemeinsames Appartement brachte, wenn Sienna nicht zu Hause war, die Tatsache, dass er Alice Schmuck und Klamotten von dem Konto kaufte, das Sienna und er gemeinsam benutzten, und dass auch Alice irgendwann begann, sich über Sienna lustig zu machen, hatte das Fass jedoch zum Überlaufen gebracht und Sienna hatte Larry vor die Tür gesetzt.

 

Sie öffnete ihre Augen und tippte ihr Passwort für das Firmensystem in den Computer. Ihr Vater hatte ihr bereits eine E-Mail mit allen wichtigen Informationen über das Kansas-Projekt geschickt. Es handelte sich dabei um ein bebautes Grundstück, auf dem ein Einkaufszentrum entstehen sollte, das Kunden aus der Kleinstadt selbst, aber auch aus dem Umland anlocken sollte. Die wirtschaftliche Prognose schien günstig, da das geplante Einkaufszentrum das einzige seiner Art war und weder in der Stadt selbst – sie hieß Silent Hollow – noch in den umliegenden Kleinstädten konzentrierte Einkaufsmöglichkeiten gegeben waren.

 

Sienna rollte mit den Augen. Sie hatte keine große Lust, sich den Finanzbericht, die Prognosen und Baupläne für das Einkaufszentrum durchzusehen. In das Projekt einarbeiten würde sie sich auch noch an den Weihnachtsfeiertagen können, wenn sie abgeschieden vom Rest der Welt in einem kleinen Hotelzimmer saß und darauf wartete, eine Unterschrift leisten zu können, die möglicherweise doch nicht zustande kam.

 

Sie warf einen letzten Blick auf den Datenordner und die unzähligen darin abgelegten Dateien. Nein, für diesen Abend würde sie Schluss machen und nach Hause gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

20. Dezember

 

 

 

2

 

 

Einen Tag später saß Sienna am Steuer ihres Wagens. Sie war mitten in der Nacht losgefahren, weil sie es nicht mehr länger zu Hause ausgehalten hatte. Ständig waren die Worte ihres Vaters in ihrem Kopf widergehallt, der ihr vorwarf, sie würde niemals im Sinne der Firma handeln, und es wäre eine Tragödie und sei schlichtweg nicht möglich, das Unternehmen, das er selbst so groß gemacht hatte, einmal seiner Tochter in die Hände zu legen.

 

Sie hatte die Staatsgrenze von Kansas längst passiert, befand sich mitten im Nirgendwo, ihr Navi hatte den Geist aufgegeben und rings um sie herum war alles weiß. Als sie Manhattan verlassen hatte, hatte eine kaum merkliche Schneedecke die Stadt unter sich eingehüllt und ihr diesen ganz besonderen, romantischen Touch verliehen, den nur Manhattan im Winter zu bieten hatte, doch hier draußen war das Schneechaos perfekt und von weihnachtlicher Romantik längst nichts mehr zu spüren. Die Straßenmarkierungen waren unter einer dicken weißen Hülle begraben, und von Zeit zu Zeit wusste sie noch nicht einmal, ob sie auf der richtigen oder der falschen Seite oder längst nicht mehr auf der Straße fuhr, sondern über ein Feld pflügte. Sie hätte nicht für möglich gehalten, dass dieses Niemandsland, in dem sie sich befand, so derart weitläufig sein konnte, und fragte sich das eine oder andere Mal, ob sie vielleicht wie durch Zauberhand im australischen Outback gelandet war.

 

Nach unendlichen einsamen Stunden im Schneetreiben, in dem sie wieder und wieder über ihre Beziehung zu Larry und die aus der Trennung resultierenden Nachteile für sie nachgedacht hatte, passierte sie endlich ein halb eingeschneites Schild mit der Aufschrift „Silent Hollow – 20 Meilen“. Ihr Blick fiel auf das Kuvert, das Alice ihr noch am Abend zuvor überreicht hatte. Es beinhaltete die Reservierung für ihr Hotel und die Unterlagen zu dem Geschäft, die sie sich zu Gemüte führen wollte, wenn sie erst eingecheckt hatte. Sie hatte, bevor sie nach Hause gefahren war, in aller Professionalität die Einzelheiten mit ihrem Vater abgeklärt und kein einziges Mal Schwäche gezeigt, als er ihr davon erzählte, dass der Rest ihrer Familie die Feiertage auf dem Landsitz in Hartford verbringen würde und sie ja nachkommen konnte, sollte es ihr gelingen, den Deal früher zu fixieren. Natürlich hatte Malcolm es sich nicht verkneifen können, ihr mitzuteilen, dass er es sehr bedauerte, Larry in diesem Jahr zu den Feiertagen nicht im Haus zu haben. Für einen kurzen Augenblick hatte Sienna überlegt, ihrem Vater alles zu erzählen. Doch dann hatte sie diesen Gedanken beiseitegeschoben. Er hätte ohnehin kein Verständnis dafür gehabt und ihr neuerlich vorwerfen können, sie sei unprofessionell. Wenn Malcolm Copper eines für wichtig hielt, dann, dass man Berufliches und Privates strikt zu trennen hatte.

 

Sie schüttelte kurz den Kopf, wie um Larry, ihren Vater und diese leidige Geschichte, die Weihnachtsfeiertage in einer Kleinstadt in Kansas verbringen zu müssen, daraus zu verbannen, und versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Silent Hollow. Der Name klang schon einmal ziemlich nett, und sie stellte sich eine hübsche, kleine Stadt vor, in der jeder jeden kannte. In der Hilfsbereitschaft nicht nur ein bedeutungsloses Wort war, es kleine Stadtfeste gab und vorwitzige Einwohner, die die Stadt erst zu dem machten, was sie überhaupt war. Vielleicht war es gar keine so üble Idee, die Feiertage alleine und abgeschieden zu verbringen. Sie hatte ihr Kindle mit einer ganzen Flut aus Büchern beladen, die sie längst lesen wollte und wofür sie nie die Zeit gefunden hatte, und bevor sie New York verlassen hatte, hatte sie einen Zwischenstopp bei CostCo eingelegt, wo sie sich mit Süßkram, Kartoffelchips, Limonade und all den Dingen eingedeckt hatte, die sie sonst immer zu essen vermied, weil Larry permanent an ihrer Figur herummeckerte. Langsam breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihr aus. Sie erinnerte sich an die recht stressigen Weihnachtsfeierlichkeiten der letzten Jahre. Ihr Vater und ihre Mutter hatten die halbe Stadt zu unterschiedlichen Partys eingeladen, und eigentlich ging es bei jeder einzelnen weder um Weihnachten noch dessen eigentlichen Sinn, sondern vielmehr darum, neue Geschäfte abzuschließen und bei Deals, die unter dem Deckmantel einer Weihnachtsparty bei Eierpunsch abgeschlossen wurden, mehr Geld herauszuziehen. Das Fest an sich war ebenfalls nicht weniger stressig. Jedes Jahr gab es Streitigkeiten wegen irgendwelcher Nebensächlichkeiten und ein friedvolles Weihnachten hatte sie seit Langem nicht mehr erlebt.

 

Sienna seufzte. Sie war noch nie jemand gewesen, der all das Geld, das sie umgab, als Segen betrachtete. Schon von klein auf hatte sie feststellen müssen, dass viele ihrer Freunde nicht ihretwegen bei ihr abhingen, sondern weil sie einen tollen Pool und ein Hallenschwimmbad hatte. Und ein Fernsehzimmer, das einen Fernseher hatte, der fast so groß war wie die Leinwand im Kino. Und weil ihr Spielzimmer in etwa so aussah, wie ein Toys ’r’ us und mit den neuesten Barbies, Puppen und Spielen bestückt war. Als Sienna zur Highschool kam, dauerte es nicht lange, bis die coolen Mädchen sie fragten, ob sie nicht Lust hatte, in ihrer Clique zu sein – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Sienna ihnen die neuesten Kosmetikartikel kaufte, sie zu Konzerten der aktuell angesagten Boygroups einlud und dass Partys grundsätzlich auf dem Anwesen der Coopers stattfanden, weil das in den Augen der jungen Mädchen das Eindrucksvollste war. Als dann auch noch die Sache mit Larry ihren Lauf nahm und ihr wieder einmal bewusst wurde, dass auch er nur des Geldes wegen mit ihr zusammen war, hatte sie sich vom Familienvermögen noch mehr entfremdet, als sie es bislang schon getan hatte. Sie hatte sich noch nie viel aus Geld gemacht und hätte all die Spielsachen, all die Klamotten, den Sportwagen, den sie zum 16. Geburtstag bekommen hatte, und die Karibik- und Europaurlaube, die sie gemacht hatte, anstandslos gegen ein ganz normales Leben eingetauscht. Sich Dinge selbst erarbeitet, anstatt sie in die Wiege gelegt zu bekommen. Nicht an ihrem Vermögen gemessen zu werden und dafür geliebt zu werden, wer sie war, und nicht dafür, was sie hatte und was andere davon hatten, mit ihr gesehen zu werden.

 

„Willkommen in Silent Hollow – der perfekte Platz zum Glücklichsein“, pries eine große Tafel an der Ortseinfahrt an. Sienna schmunzelte. Genau so hatte sie sich die kleine Stadt vorgestellt. Sie passierte die Ortseinfahrt und fand sich auf einer schmalen Landstraße wieder, die bald etwas breiter wurde und durch eine Einkaufsstraße führte. Links und rechts der Straße reihten sich kleine Läden mit vorwitzigen Namen aneinander. Passanten blieben auf dem Bürgersteig stehen und unterhielten sich miteinander, wünschten sich frohe Feiertage und verabredeten sich für die große Silvesterparty, die im Gemeindezentrum stattfinden würde. Ein kleiner Lebensmittelladen an einer Straßenecke warb für „die besten hausgemachten Kekse, die Sie jemals gegessen haben“ und der Friseursalon direkt gegenüber pries einen „Sonder-Weihnachtshaarschnitt“ an, „damit Sie für Ihre Lieben wie ein Engel strahlen“.

 

Sienna schmunzelte. Hier schien wirklich die Zeit stehen geblieben zu sein. Ein warmes Gefühl durchflutete sie. Hatte sie zu Anfang noch gedacht, es wäre furchtbar, an Weihnachten alleine zu sein, so hatte sie sich mittlerweile mit der Idee angefreundet, die Feiertage in Silent Hollow zu verbringen. Ihr Magen knurrte gerade in dem Moment, in dem sie an „Bens Diner“ vorbeifuhr, und sie beschloss, hierher zurückzukommen, sobald sie im Hotel eingecheckt, sich ein bisschen ausgeruht und frisch gemacht hatte. Vielleicht war diese Reise nach Silent Hollow ja nicht nur für Cooper Inc. eine besondere Gelegenheit, sondern auch für Sienna selbst.

3

 

 

Nachdem Sienna eine Weile durch Silent Hollow gefahren war, aber kein Hotel gefunden hatte, war sie in einer Straße am Stadtrand angelangt, die wie ausgestorben wirkte. Es war eine nette kleine Straße, wie man sie sich in der Vorstadt vorstellte. Hübsche Häuser mit gepflegten Vorgärten, die jetzt vom Schnee bedeckt waren, reihten sich aneinander, jedes einzelne von ihnen war mit weihnachtlicher Dekoration geschmückt worden. Die Häuser erstrahlten in hellem Lichterglanz, während Rudolph und die anderen Rentiere es sich neben meterhohen Schneemännern im Vorgarten gemütlich gemacht hatten. Menschen konnte Sienna keine entdecken. Nur ein einzelner Mann war gerade dabei, seine Einfahrt vom Schnee zu befreien, was ihr wie vergebliche Liebesmüh vorkam.

---ENDE DER LESEPROBE---