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Gönnen Sie sich eine Auszeit vom Trubel des Alltags! Diese liebevoll erzählten Geschichten sind perfekt, um es sich zu Hause so richtig gemütlich zu machen. Genießen Sie bei einer Tasse heißen Tee oder Kakao berührende Momente, die zum Nachdenken anregen, und herzerwärmende Erzählungen, die Ihnen ein Lächeln ins Gesicht malen. Von besinnlichen Momenten der Stille bis hin zu fröhlichem Jubel – diese Geschichten begleiten Sie durch die gesamte Adventszeit und erinnern dabei an das Wunder der Weihnacht: Gott wurde Mensch. Besonderes Extra: Zu jeder Geschichte finden Sie im Buch eine inhaltliche Zusammenfassung, den Kerngedanken und die Lesezeit für die Verwendung in Gruppen.
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Seitenzahl: 248
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Katharina Würden-Templin (Hrsg.)
Das Wunder wird wahr
24 Weihnachtsgeschichten – mal besinnlich, mal heiter
www.bibellesebund.net
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© 2024 Bibellesebund Verlag, Marienheide
© 2025 der E-Book-Ausgabe
Lockenfeld 2
51709 Marienheide
Redaktion: Katharina Würden-Templin (Hrsg.)
Lektorat: Iris Voß
Korrektur: Bianca Bellmann
Titelbild: © Julia Klueva – iStockphoto.com
Umschlaggestaltung: Mareike Schaaf, Gisela Auth
Layout des E-Books: Connie Waffenschmidt
Printausgabe: ISBN 978-3-95568-558-4
E-Book: ISBN 978-3-95568-622-2
www.bibellesebund.net
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Titel
Impressum
Herr Krüger hat eine Idee
Wer nichts wird, wird Hirt
Santa Claus is coming to town
Mit Jesus im Supermarkt
Hoffnung teilen
Knecht Ruprecht
Sallys schönstes Weihnachtsgeschenk
Ein besonderer Auftrag
Besuch für den alten Emilio
Der Umsturz
Der Tag, an dem Erwin seine Ruhe verliert
Geschenk mit Nebenwirkungen
Weihnachten auf neuen Wegen
Herzenswünsche
Das Geschenk der Nachbarin
Wie Timmy wieder froh wurde
Ein unvergesslicher Weihnachtsweg
Still und unerkannt
Die Besucherin
Der Fall der verschwundenen Geldkassette
Weihnachten ist überall
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Findet Christmas!
Der Fragebogen
Hinweise für Gruppenstunden
von Anneli Klipphahn
Am Tag vor dem ersten Advent hatte Herr Krüger eine Idee. Zunächst beachtete er sie nicht weiter. Im Laufe seines 73-jährigen Lebens hatte er gelernt, dass es besser war, nicht jede Idee sofort in die Tat umzusetzen. Doch als er später ins Bett ging, folgte die Idee ihm. Sie störte ihn beim Einschlafen und schlich sich in seine Träume. Auch während des Gottesdienstes zum ersten Advent drängte sie sich ihm immer wieder auf. Abends vor dem Schlafengehen betete er: »Jesus, du kennst meine Gedanken, du kennst auch die Idee, die mir keine Ruhe lässt. Wenn das so weitergeht, werde ich sie morgen in die Tat umsetzen. Bitte hilf mir, dass es eine gute Sache wird. Amen.«
Die Wohnung von Karl Krüger lag im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Mietshauses. Neben ihm wohnte eine Familie mit zwei Kindern.
Kaum war der zehnjährige Julian von der Schule gekommen, klingelte es. Während er die Wohnungstür öffnete, kam seine siebenjährige Schwester Fiona aus ihrem Zimmer gesprungen.
Draußen stand ihr Nachbar, der alte Herr Krüger.
»Hallo, Herr Krüger«, grüßte Julian.
»Hallo, ihr beiden.« Herr Krüger hielt einen großen Schuhkarton in den Händen.
»Guten Tag«, sagte Fiona. »Ich dachte schon, Julian hätte den Schlüssel vergessen.«
Der alte Herr räusperte sich. »Also, vorgestern habe ich im Fernsehen etwas Lustiges gesehen. Da haben Leute so ein Wanderpaket durch die Gegend geschickt.«
»Ein Wanderpaket?« Julian blickte ihn fragend an. »Was soll das denn sein?«
»Na, eben ein Paket, das von einem zum anderen wandert«, erklärte Herr Krüger. »Die hatten da vorher so eine Liste von Leuten zusammengestellt, die bei der Aktion mitmachen wollten. Der Erste packte neue oder gut erhaltene Dinge zusammen und schickte sie an die zweite Adresse. Der Empfänger durfte sich herausnehmen, was ihm gefiel. Dafür sollte er aber dieselbe Anzahl Sachen hineinlegen, wie er herausgenommen hatte, und dann das Wanderpaket weitergeben. Und das immer so weiter. Der letzte Empfänger von der Liste musste das Paket dann an den ersten Absender zurückschicken.«
»Könnte lustig sein.« Julian wiegte den Kopf hin und her. »Aber so ein Paket zu verschicken kostet doch ’ne Menge Geld.«
»Genau das habe ich auch gedacht.« Herr Krüger nickte. »Aber … vielleicht könnte man so etwas ja auch machen, ohne es mit der Post zu verschicken?«
»Stimmt!«, rief Fiona. »Man könnte es einfach hier im Haus von einem zum anderen wandern lassen.«
Herr Krüger räusperte sich erneut. »Hm … also ich hab da einfach mal was zusammengepackt. Die meisten Sachen habe ich selbst gemacht. Also …«, er drückte Julian den Karton in die Hand, »… also … wenn euch oder euren Eltern was davon gefällt, nehmt es euch heraus. Und dann könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr wieder etwas hineintut und die Idee mit dem Wanderpaket weiterverfolgt.«
»Das machen wir!« Julian grinste breit. »Das ist voll witzig!«
Etwas unsicher schaute Herr Krüger von Julian zu Fiona. »Meint ihr wirklich?«
»Na klar!« Fiona strahlte übers ganze Gesicht. »Und damit Sie nicht so lange warten müssen, bis das Paket wieder bei Ihnen ankommt, habe ich auch etwas für Sie.«
Rasch holte sie drei gebastelte Sterne aus ihrem Zimmer und reichte sie dem alten Herrn. »Die sind ganz neu, erst heute entstanden.«
»Oh, vielen Dank!« Vorsichtig nahm Karl Krüger Fionas Bastelei in die Hand. »Die sind aber schön. Die werde ich gleich in mein Fenster hängen.«
Kurze Zeit später öffneten Fiona und Julian im Wohnzimmer den Schuhkarton.
»Wow!« Julian nahm drei kleine Bäumchen heraus. »Die sind aus Holz geschnitzt. Ich wusste gar nicht, dass Herr Krüger das kann.«
Fiona schnappte sich ein braunes Holzpferdchen und strich ihm sachte über den Kopf. »Du sollst ab heute bei mir wohnen. Wenn ich schon kein echtes Pferd haben kann … Schau mal, hier ist noch eine nagelneue Bibel drin. Brauchen wir die?«
Julian winkte ab. »Was da drinsteht, versteht doch heute sowieso keiner mehr.«
Mama und Papa fanden die Idee mit dem Wanderpaket auch klasse. Sie suchten sich eine dekorative Holzschale aus und legten eine Weihnachts-CD und eine neue Lichterkette in den Karton. Julian steuerte ein Knobelspiel bei und Fiona viele gebastelte Sterne. Dann konnten die Kinder es kaum erwarten, den Schuhkarton weiterzugeben.
In der ersten Etage wohnte ein junges Pärchen. Max Amberger öffnete ihnen die Tür. Sein Blick fiel auf den Karton. »Hey. Hab ich den Postboten verpasst?«
»Nee.« Julian schüttelte den Kopf. »Das ist ein Wanderpaket.«
»Bloß gut!« Max schlug sich die Hand vor die Brust. »Ich dachte schon, Elena hätte sich wieder neue Schuhe gekauft. Wenn sie so weitermacht, müssen wir uns eine größere Wohnung suchen. Doch … was ist ein Wanderpaket?«
»Na, ein Paket, das von einem zum anderen wandert.« Nachdem Fiona erklärt hatte, was es mit dem Wanderpaket auf sich hatte, drückte Julian ihm den Schuhkarton in die Hand. »Und jetzt sind Sie dran. Aber wenn Sie nicht mitmachen wollen, dann …«
»Ein hausinternes Wanderpaket.« Max lachte schallend. »Das ist ja voll abgefahren! Klar machen wir mit!«
Er trug den Karton in die Küche und wandte sich dann im Arbeitszimmer wieder seinem PC zu. Als Elena nach Hause kam, hörte er sie rufen: »Oh, sind meine neuen Stiefeletten endlich angekommen?«
»Was?« Max sprang von seinem Bürostuhl auf und eilte in die Küche. »Hast du schon wieder neue Schuhe bestellt? Aber du besitzt doch schon drei Paar Stiefel!«
»Ich habe keine Stiefel bestellt, sondern Stiefeletten, das ist ein Unterschied. Die brauche ich für meine Arbeit. Die Empfangsmitarbeiterin eines Autohauses muss immer korrekt gekleidet sein. Aber wieso hat der Schuhkarton keinen Adressaufkleber?«
Elena trat an den Tisch, um den Karton zu öffnen, doch Max legte die Hand auf den Deckel. »Warte! Das sind keine Schuhe. Das ist ein Wanderpaket.« Noch während er ihr erklärte, was es damit auf sich hatte, sprintete Elena in ihr gemeinsames Arbeitszimmer, um einen Beutel voller Werbegeschenke aus dem Autohaus zu holen. Max stellte einen alten tragbaren CD-Player auf den Tisch. »Den haben wir kaum genutzt. Wenn ich Musik hören will, mache ich das übers Internet.«
»Stimmt, der CD-Player nimmt nur Platz weg«, pflichtete Elena ihm bei. »Vielleicht freut sich jemand darüber. Immerhin kann man damit auch Radio hören.«
Endlich öffneten sie den Schuhkarton. »Oh, eine geschnitzte Eule!«, rief Elena entzückt. »Die passt perfekt in meine Sammlung!«
»Hm«, brummte Max und schaute sich die anderen Dinge an. »Für mich ist da nix dabei. Könnte mir höchstens vorstellen, ein paar von den Sternen und die Lichterkette ans Fenster zu hängen.«
»Okay«, pflichtete Elena ihm bei. »Wir haben ja sonst nichts geschmückt. Und ich schreibe eine kurze Erläuterung und eine Liste der Leute, die das Wanderpaket schon hatten. Falls jemand diese Aktion nicht gleich versteht.«
»Tolle Idee!« Max hob den Daumen. Nachdem sie alles in einem größeren Karton verstaut hatten, läuteten sie an der Nachbartür. Doch bei Familie Funke schien niemand da zu sein. Also stiegen sie die Treppe zur nächsten Etage hinauf. Hier gab es drei kleine Wohnungen, in denen zwei ältere Damen und Robert Ritter wohnten. Max war mit dem jungen Mann, der in einem Fitnessstudio arbeitete, befreundet.
Auch Robert fand die Aktion mit dem Wanderpaket witzig und versprach, es bei Gelegenheit an eine seiner Nachbarinnen weiterzureichen. Doch jetzt musste er zur Arbeit und danach wollte er bei einem Kumpel übernachten. Also stellte er das Päckchen erst einmal in eine Ecke und verließ die Wohnung. Freitagnachmittag fiel ihm das Wanderpaket wieder ein. Nachdem er es geöffnet hatte, entschied er sich rasch für einen Schlüsselanhänger von BMW und legte stattdessen ein Paar 2-kg-Hanteln in den Karton. Dann spazierte er damit in den Hausflur und läutete an der Tür der freundlichen Frau Gerlach. Doch leider schien die alte Dame unterwegs zu sein, also ging er zur nächsten Tür.
Misstrauisch musterte Ilse Krautarm ihren jungen Nachbarn. »Was ist los?«
»Ich möchte dieses Wanderpaket an Sie weitergeben«, antwortete Robert Ritter. »Sie dürfen sich von den Sachen, die da drin sind, etwas aussuchen. Dafür legen Sie dann etwas hinein, von dem Sie denken, dass sich jemand anderes darüber freuen könnte. Und dann geben Sie alles an den nächsten Hausbewohner weiter. Herr Krüger hat mit der Aktion begonnen, im Paket liegt auch ein Zettel, darauf ist alles genau beschrieben.«
»Bleiben Sie mir vom Leibe mit diesem Firlefanz!« Frau Krautarm wedelte mit der Hand, als wollte sie einen Schwarm Fliegen vertreiben. »Ich brauche nichts und habe nichts abzugeben.«
»Hm.« Robert nickte nachdenklich. »Sie sind also eine unsportliche Spielverderberin.«
»So eine Frechheit, was reden Sie da?« Frau Krautarm straffte ihren Rücken. »Ich mache jeden Morgen Gymnastik und treffe mich monatlich mit Freundinnen zum Rommé.«
»Das da ist auch ein Spiel.« Robert deutete auf den Karton. »Und mit unsportlich meine ich unflexibel und unkameradschaftlich, das sind nämlich Synonyme von unsportlich.«
»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe!« Wütend schlug Frau Krautarm die Tür zu. Noch bevor sie ihr Wohnzimmer erreicht hatte, hörte sie ihren Nachbarn rufen: »Ich lasse das Wanderpaket hier stehen. Sie können es ja an Frau Gerlach weiterreichen, wenn die wieder da ist. Ich muss nämlich jetzt weg.«
»Von wegen unsportliche Spielverderberin«, grummelte Ilse Krautarm vor sich hin. »Diese jungen Leute sind frech und unsensibel, haben einfach keinen Respekt mehr vor dem Alter. Pah, Wanderpaket, so ein Unsinn!« Fest entschlossen, das Paket einfach zu vergessen, ließ Ilse Krautarm sich in ihren Sessel fallen und schaltete den Fernseher ein. Doch irgendwie schien es heute nichts, aber auch gar nichts zu geben, was sie interessierte. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu dem Paket, das draußen vor ihrer Tür stand.
Am nächsten Morgen stand der große Karton immer noch da. »Ausgerechnet der Krüger soll sich diesen Blödsinn ausgedacht haben?«, brummelte Ilse vor sich hin. »Ich möchte wissen, was der da reingepackt hat. Bestimmt ist in dem Paket lauter Plunder, den niemand haben will.« Forschend ließ sie den Blick durch ihr Wohnzimmer wandern und sprach weiter mit sich selbst. »Hm, na ja … von einigen kleinen Dingen, die in meinem Setzkasten stehen, könnte ich mich durchaus trennen. Überhaupt könnte ich den Kasten mal entfernen, ist eh nur ein Staubfänger. Und vor der Tür kann das Paket nicht bleiben. Bevor ich es zu Frau Gerlach bringe, kann ich genauso gut noch etwas hineintun.« Also schlurfte sie zu ihrem Setzkasten, nahm ein Glöckchen, eine Dose, eine Kaffeekanne und ein winziges Gedeck aus Porzellan heraus und stellte alles auf den Tisch. Anschließend holte sie noch verschiedene Glastiere, ein kleines Telefon, eine Geige und ein Bügeleisen aus Messing. Sachte wickelte sie jedes einzelne Stück in eine Serviette, packte alles in eine Schachtel und schrieb auf den Deckel: »Vorsicht, zerbrechlich!« Als sie damit fertig war, holte sie das Wanderpaket, öffnete es und untersuchte kritisch dessen Inhalt. »Hm«, murmelte sie, »gar nicht so übel. Aber ich brauche nichts … außer vielleicht … also diese Hanteln sollte ich wirklich herausnehmen, die machen das Paket ja nur unnötig schwer. Für meinen Morgensport könnte ich die gut gebrauchen.« Nachdem sie die Hanteln entnommen hatte, verpackte sie alles wieder säuberlich und fügte ihre Schachtel mit den zerbrechlichen Dingen hinzu. Da Frau Gerlach immer noch nicht da war, stellte sie das Paket einfach vor deren Tür. Dank der ausführlichen Beschreibung würde die Nachbarin schon verstehen, worum es sich handelte.
Am Nachmittag des zweiten Advents kam Anna Gerlach von ihrem Besuch bei einer Cousine zurück. In ihrer Küche öffnete sie das Paket, las die Beschreibung und packte dann alles aus. »Ach du liebe Zeit! So viele schöne Sachen. Am meisten würde ich mich ja über den CD-Spieler freuen, aber ob ich den einfach nehmen kann? Bestimmt habe ich da etwas falsch verstanden.« Zur Sicherheit studierte sie die Beschreibung noch fünf Mal und entschloss sich dann, Herrn Krüger um Rat zu fragen.
Karl Krüger lud Anna Gerlach spontan zum Kaffeetrinken ein und erklärte, dass sie den CD-Player getrost behalten dürfe. Allerdings mache er sich inzwischen Gedanken darüber, was am Ende mit den Dingen geschehen solle, die wieder zu ihm zurückkämen. Anna Gerlach blieb vier Stunden bei Karl Krüger, so lange dauerte es nämlich, einen Plan zur Verwendung der restlichen Sachen aus dem Wanderpaket zu schmieden. In der folgenden Woche wanderte das Paket weiter durchs Haus. Unterdessen trafen sich Anna und Karl mehrmals, um die Umsetzung ihres Planes vorzubereiten.
In den Tagen nach dem dritten Advent fanden alle Hausbewohner eine Karte mit folgendem Text in ihrem Briefkasten:
EINLADUNG zu einem gemütlichen Abend mit Sichtung des Inhalts des Wanderpaketes
Zeit: 4. Advent, 19.00 Uhr
Ort: Wohnzimmer von Karl Krüger
Mitzubringen: wenn möglich ein Stuhl, Ideen zum Verteilen der restlichen Dinge, gute Laune.
Am Abend des vierten Advents saßen etliche Hausbewohner um den runden Tisch von Karl Krüger. Sogar die mürrische Frau Krautarm war gekommen. Das Licht zahlreicher Kerzen erhellte die Stube, es duftete nach Räucherkerzen, Lebkuchen und dem Glühwein, den Max und Elena mitgebracht hatten. Andere hatten verschiedene Sorten Plätzchen beigesteuert und Anna hatte eine Kanne Tee gekocht. Dann durften die Kinder das Wanderpaket auspacken. Anschließend sollten alle entscheiden, was mit den restlichen Dingen geschehen sollte.
»Ich arbeite ehrenamtlich bei der Tafel«, sagte Frau Funke schüchtern. »Da gibt es viele Leute, die sich darüber freuen würden. Wenn alle einverstanden sind, kann ich das mitnehmen.«
Max Amberger nahm eine Packung Kaffee, eine Kasperpuppe und einen Räuchermann und hielt alles in die Höhe. »Also, erst mal finde ich es voll krass, was für tolle Sachen hier reingepackt wurden.«
»Stimmt.« Frau Winter aus der obersten Etage nickte mehrmals. »Als das Paket zu uns kam, dachte ich, da ist bestimmt nur sinnloser Mist drin. Aber dann haben wir darin so kleine Sachen für die Puppenstube unserer Tochter gefunden …«
»Das ist alles sooo schön!«, unterbrach die sechsjährige Linea ihre Mutter. »Meine Puppen haben jetzt eine kleine Kaffeekanne, einen Teller und eine Tasse aus Porzellan. Und ein Telefon und ein Bügeleisen.«
Nun fingen auch die anderen an zu erzählen, worüber sie sich besonders gefreut hatten. Endlich meldete sich Herr Funke zu Wort. »Ich habe mir die Bibel ausgesucht. Ehrlich gesagt wollte ich schon immer mal eine kaufen.« Er räusperte sich. »Nun, jedenfalls habe ich angefangen, im Lukasevangelium zu lesen. Einige Geschichten haben mich nicht mehr losgelassen. Also habe ich sie unseren Kindern erzählt.«
Frau Funke nickte. »Wir setzen uns nämlich in der Adventszeit jeden Abend zusammen, zünden Kerzen an und erzählen uns etwas. «
Der neunjährige Philipp hob den Daumen. »Papa kann voll gut erzählen. Besonders die Geschichte vom Seesturm fand ich spannend!«
»Echt?« Julian stieß Philipp in die Seite. »Ich dachte, die Bibel wäre total langweilig.«
»Die Bibel ist gar nicht langweilig«, rief Philipps achtjährige Schwester Jule. »Mir gefällt die Weihnachtsgeschichte am besten. Ich wusste gar nicht, dass die in der Bibel steht.«
»Ja.« Lächelnd nickte Herr Krüger. »Ich lese schon seit fünfzig Jahren in der Bibel. Und entdecke dabei immer wieder etwas Neues.«
Die kleine Linea schaute mit großen Augen zu Herrn Funke auf. »Ich höre auch gern Geschichten.«
Jule zupfte ihren Papa am Ärmel. »Erzähl doch bitte noch mal die Weihnachtsgeschichte. Die anderen Leute finden das bestimmt auch schön.«
So kam es, dass am vierten Advent fast alle Bewohner eines größeren Mietshauses in einer ganz normalen Kleinstadt zusammen in einer geschmückten Adventsstube saßen und andächtig der Geschichte von der Geburt Jesu lauschten.
Der alte Herr Krüger blickte lächelnd von einem zum anderen und betete im Stillen: »Danke, Jesus. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass die Idee mit dem Wanderpaket all diese Leute hier in meinem Wohnzimmer zusammenführen könnte. Bitte lass sie spüren, dass deine Geburt das größte Geschenk aller Zeiten ist und dass uns der Glaube an dich ein festes Fundament für unser Lebenshaus anbietet. Amen.«
Am Ende des Abends bedankten sich alle bei Karl Krüger für die Einladung und die Idee mit dem Wanderpaket. Frau Funke versprach, die übrigen Dinge morgen mit zur Tafel zu nehmen. Ilse Krautarm plauderte auf dem Treppenabsatz noch lange mit Anna Gerlach. Eigentlich fand sie ihre Nachbarin ganz nett, sie fragte sich nur, warum ihr das erst heute auffiel. Nun ja, offensichtlich hielt die Adventszeit auch für sie noch die eine oder andere Überraschung bereit, sie musste nur die Augen, Ohren und das Herz dafür offenhalten.
von Ursula Schröder
Eine Woche vor Weihnachten wurde ich aus der Haft entlassen, und weil meine Mutter nachdrücklich versichert hatte, sie wolle nie mehr etwas mit mir zu tun haben, wusste ich erst mal nicht wohin. Aber dann meldete sich Onkel Heinz und sagte, ich könne vorläufig bei ihm wohnen. Er holte mich mit seinem alten Lada sogar am Bahnhof ab und bot mir an, ich könne mir in der Kleiderkammer seiner Kirche ein paar Klamotten aussuchen. »Du brauchst auf jeden Fall eine warme Jacke«, meinte er, und da hatte er wohl recht.
Aber schon als ich mich in der etwas muffig riechenden Bude umsah, in der die Gemeinde ihr kleines Sozialkaufhaus eingerichtet hatte, bekam ich einen ersten Vorgeschmack davon, wie mein Leben von nun an aussehen würde, denn ich konnte die beiden Mitarbeiterinnen im Nebenraum wispern hören. Natürlich redeten sie über mich. »Drogenprobleme«, konnte ich verstehen, »Tankstelle überfallen« und »Beschaffungskriminalität«. Alles ebenso zutreffend wie unerfreulich.
Das fing ja gut an. Am liebsten wäre ich sofort wieder gegangen, aber das hätte ja auch nichts geholfen. Alle wussten bereits, dass Heinz Makowskis nichtsnutziger Neffe angekommen war, vor dem man seine Geldbörsen, seine Wertgegenstände und vermutlich am besten auch seine heranwachsenden Töchter in Sicherheit brachte.
Onkel Heinz tat, als ob er nichts bemerkte. Aber nachdem er mir großzügig eine Jacke, eine Jeans und ein quasi neuwertiges, wenn auch nicht gerade modisches Paar Winterstiefel bezahlt und mich wieder in sein Auto verfrachtet hatte, sagte er zu mir: »Marvin, das wird jetzt keine einfache Zeit für dich.«
»So sieht’s aus«, brummte ich.
»Kann ich davon ausgehen, dass du keine Drogen mehr nimmst?«
»Ich hab eine Therapie hinter mir, Onkel Heinz. Ich bin clean.« Wobei ich ahnte, dass ich wahrscheinlich immer anfällig bleiben würde, ähnlich wie ein Alkoholiker. Aber auf seinem Hof waren hoffentlich keine Gelegenheiten, um in Versuchung zu geraten.
»Und auch keine krummen Dinger mehr? Versprochen?«
»Versprochen.« Er konnte nicht wissen, wie oft ich mir das schon selbst gelobt hatte. Nie wieder wollte ich einen Knast von innen sehen.
»Gut«, sagte Onkel Heinz. »Dann schlage ich vor, du machst dich erst mal bei mir auf dem Hof nützlich. Im neuen Jahr können wir dann weitersehen.«
Er parkte den Lada im Unterstand und ging mit mir ins Haus, in dem er seit Tante Lenas Tod allein lebte. Ich brachte die Tasche mit meinen Habseligkeiten in das Zimmer meines Cousins Michael, der inzwischen in einem Versicherungskonzern Karriere machte. Seine Tennispokale standen immer noch im Regal und führten mir vor, dass er nie so ein erbärmlicher Versager gewesen war wie ich.
Wie früher war die Wohnküche des Hofes der zentrale Raum des Hauses. Hier wurde ein Kachelofen beheizt, und eine meiner Aufgaben würde es zukünftig sein, dafür Holz zu hacken und den Ofen regelmäßig zu befeuern. »Außerdem kannst du dich um die Schafe und den Stall kümmern«, entschied Onkel Heinz. »Das Melken mache ich vorläufig lieber selbst.«
»Du hast noch Kühe?«, fragte ich erstaunt.
»Ziegen«, korrigierte er. »Wenn du willst, bringe ich dir bei, wie man Käse macht. Aber am besten nicht alles auf einmal.«
Das fand ich auch. Bisher war ich immer nur im Sommer hier gewesen, und ich war überrascht, wie viel es im Winter auf einem Hof zu tun gab. Vielleicht nutzte mein Onkel auch die Gelegenheit, endlich einen Handlanger zu haben, um einiges an liegen gebliebenen Arbeiten zu erledigen; auf jeden Fall fiel ich jeden Abend todmüde ins Bett. Vermutlich musste ich bei ihm härter und länger schuften als jemals im Knast, und auch die Verpflegung war nicht unbedingt besser – Kochen war nicht gerade die Stärke von Onkel Heinz, das hatte früher immer Tante Lena gemacht.
Aber nun stand Weihnachten bevor. Immerhin ein paar ruhigere Tage. Deswegen war ich nicht gerade begeistert, als er mir an Heiligabend direkt nach dem Frühstück schon wieder einen Auftrag gab. »Nimm den Lada und fahr oben in das Wäldchen über dem Haselbach«, ordnete er an. »Und da schlägst du für uns einen schönen Tannenbaum.«
»Tannenbaum?«, wiederholte ich ungläubig. »Du willst einen Weihnachtsbaum? Was soll denn der Quatsch?«
»Das ist kein Quatsch«, knurrte er. »Ich gehe gleich auf den Speicher und suche den Baumschmuck.«
»Onkel Heinz, ich bin kein kleines Kind mehr«, rief ich unwillig. »Ich brauche so was nicht. Und erzähl mir nicht, dass du in den letzten Jahren für dich allein einen Baum geschmückt hast.«
»Hab ich nicht«, musste er zugeben. »Aber dieses Jahr gibt es einen, und in die Christmette gehen wir auch.«
Auf keinen Fall, dachte ich. Mir fielen sofort wieder die Tratsch-Tanten aus dem Sozialkaufhaus ein. Aber mein Onkel war nicht umzustimmen, und so warf ich erst mal das notwendige Werkzeug in den Kofferraum und machte mich auf den Weg.
Schon am Vortag hatte es zu schneien begonnen, und die Strecke war tückisch. Ich fluchte den ganzen Weg, weil ich viel lieber in der warmen Küche geblieben wäre. Als ich am Wäldchen ankam, besserte sich meine Laune wieder. Die Stille, in der ich nur meine Schritte im Schnee knirschen hörte, tat gut. Ich fand die beschriebene Stelle und nahm mir Zeit, um einen schönen Baum auszusuchen, auch wenn ich es nach wie vor albern fand, dass wir beide uns heute Abend vor einen Weihnachtsbaum setzen würden. Ich hatte noch nicht mal ein Geschenk für Onkel Heinz, aber das wusste er bestimmt, weil ich den Ort seit meiner Ankunft nicht mehr aufgesucht hatte.
Ich wuchtete den Baum aufs Dach des Autos und machte mich auf den Rückweg. Aber offensichtlich hatte ich eine Abbiegung verpasst, weil ich plötzlich an der Kreuzung zur Kreisstraße ankam. Das war kein großer Umweg, also bog ich ab und wollte auf diesem Weg zurück zum Hof fahren.
Ich kam jedoch nicht weit, denn kurze Zeit später erkannte ich einen Kombi, der in ziemlicher Schieflage im Graben hing. Da war wohl jemand nicht vorsichtig genug gewesen und auf der eisglatten Straße weggerutscht.
Für den Bruchteil einer Sekunde kämpfte ich mit mir. Mir stand der Sinn absolut nicht danach, auf fremde Menschen zu treffen. Aber dies war keine stark befahrene Straße; es könnte eine Weile dauern, bis das nächste Auto vorbeikam. Also hielt ich vorsichtig an und stapfte zu dem Unfallauto, um zu sehen, ob noch jemand darin saß.
Als ich an die beschlagene Seitenscheibe klopfte, bewegte sich etwas im Inneren. Die Scheibe wurde heruntergelassen, und ich erkannte eine Frau am Steuer mit einem Mobiltelefon in der Hand. Sie war unnatürlich blass und sah aus, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.
»Haben Sie schon den Abschleppdienst angerufen?«, fragte ich.
»Würde ich gern«, gab sie zurück. »Aber hier ist kein Netz.« Sie versuchte sich zu bewegen, aber ich hatte den Eindruck, dass sie das nicht gut konnte.
»Sind Sie verletzt?«
»Ich glaube, ich habe mir den Arm gebrochen«, sagte sie mit etwas wackliger Stimme.
Ein Stimmchen fragte vom Rücksitz: »Wer ist das, Mama? Die Polizei?« Dort saß ein vielleicht achtjähriger Junge.
»Nein, das ist ein fremder Mann, Lennart«, erklärte ihm die Frau. »Gut, dass er uns gefunden hat.«
Ich beschloss, die beiden erst mal mit zu Onkel Heinz zu nehmen. Er würde wissen, was zu tun wäre. Vorsichtig half ich der Frau auf den Beifahrersitz – sie schien große Schmerzen zu haben, insofern vermutete ich, dass sie mehr als einen Armbruch abbekommen hatte. Lennart, offensichtlich unverletzt, musste sich zwischen dem Plunder auf der Rückbank einen Platz schaffen. »Hier ist kein Kindersitz«, stellte er fest.
»Das kurze Stück muss es ohne gehen«, erklärte ich ihm und fuhr mit den beiden nach Hause.
Noch nie war mir unsere Küche so schäbig vorgekommen, aber immerhin war sie warm. Onkel Heinz rief den Notruf an und tat dann das, was er im Zweifelsfall immer tat: Tee kochen. Und nach einem genauen Blick auf Lennart schmierte er ihm außerdem ein dickes Wurstbrot.
Ein Auto kam auf den Hof gefahren, wir konnten es durch das Fenster blinken sehen. »Das ist der Rettungswagen«, sagte Onkel Heinz und tauschte einen Blick mit mir. »Ich finde, Marvin und Lennart könnten mal nach den Schafen gucken, während die Mama untersucht wird.«
»Schafe?«, fragte der Junge neugierig. »Ihr habt Schafe hier?«
»Über zwanzig Stück«, antwortete ich und schob ihn aus der Küche. »Und du kannst mir beim Füttern helfen.« Eigentlich war überhaupt keine Fütterungszeit, aber gegen ein bisschen zusätzliches Kraftfutter hätten die Tiere bestimmt nichts einzuwenden.
Es hatte schon wieder zu schneien begonnen, und als wir über den Hof gingen, hinterließen wir Spuren: zwei große von meinen hässlichen Arbeitsschuhen und zwei deutlich kleinere von Lennarts Stiefeln. Ich öffnete die Stalltür und ließ ihn vorgehen. Mit großen Augen trat er an das Gatter, hinter dem sich die Schafe sofort neugierig versammelten. Ich zeigte Lennart, wie er das Futter in den Trog schütten sollte, und gab ihm ein paar Möhren. Er war richtig aufgeregt, dass er die einzeln verfüttern durfte.
»Du bist also ein Schafhirte, Marvin?«, fragte er mich plötzlich.
Ich sah an mir selbst herunter: die dicke gefütterte Joppe von Onkel Heinz, die fleckige Arbeitshose, die Stiefel. Es fehlten nur noch ein Lodencape und ein Stock. »So sieht’s aus«, seufzte ich. Es war nicht gerade die Karriere, die ich mir in Lennarts Alter vorgestellt hatte. Da hatte ich eher von schnellen Autos geträumt und einer dicken Brieftasche, aber einer wie ich brachte so was natürlich nicht zustande.
Lennart schien das anders zu sehen. »Das ist ja toll«, sagte er. »Wusstest du, dass Schafhirten die Allerersten waren, denen Gott nach der Geburt des Jesuskindes Bescheid gesagt hat?«
»Tatsächlich?« Ich erinnerte mich dunkel an die Geschichten, die sie uns regelmäßig in der Adventszeit in der Grundschule erzählt hatten. Meine Mutter hatte immer darüber gespottet. »Wenn unsereins unverheiratet schwanger wird, macht niemand ein Krippenspiel daraus«, hatte sie gesagt.
»Na klar!« Lennart nickte heftig mit dem Kopf. »Die waren total wichtig! Die Leute in der Stadt und sogar die Könige haben das erst später erfahren. Aber die Hirten waren als Erste da. Genau wie du heute, als Mama mit dem Auto in den Graben gerutscht war.«
»Aber das war Zufall«, sagte ich.
»Glaub ich nicht«, widersprach der Junge. »Als wir nicht weiterfahren konnten und es so kalt wurde, da habe ich nämlich dafür gebetet, dass einer kommt, der uns hilft. Und das warst du.«
»Ach ja?« Zunächst war es mir ein bisschen peinlich. Das Kind sah mich an, als ob ich Superman wäre oder so. Aber irgendwie fühlte es sich auch gut an. Ich war jedenfalls froh, dass ich nicht meinem ersten Impuls nachgegeben hatte und einfach weitergefahren war. Vielleicht säßen die beiden immer noch frierend in ihrem Auto. Keine schöne Vorstellung.
»Na klar!«, versicherte er. »Wie gut, dass du ein Hirte bist! Du hast uns gefunden, genau wie der Hirte in der Bibel, der das verlorene Schaf wiedergefunden hat. Das war damals bestimmt auch total froh, als er auftauchte und es mit nach Hause genommen hat.« Er verfütterte die letzte Möhre an ein Jungtier, das sich endlich nach vorn gedrängelt hatte. »Hattest du auch schon kleine Lämmchen?«
»Ich mache das noch nicht so lange«, antwortete ich und zeigte auf ein trächtiges Tier. »Aber das hier kriegt jedenfalls demnächst eins.«
»Boah, das stell ich mir super vor«, meinte Lennart. »So ein ganz kleines Schäfchen, das ist bestimmt total weich! Und niedlich! Meinst du, ich könnte auch ein Hirte werden?«
Ich runzelte die Stirn. »Du willst Hirte werden? Das überlegst du dir sicher noch anders. So toll ist das nicht. Man verdient nicht viel und riecht immer nach Schaf.«
»Das finde ich nicht schlimm«, behauptete er. »Ich glaube, wenn ich groß bin, möchte ich so werden wie du.«
Das möchtest du ganz bestimmt nicht, dachte ich. Aber ich sagte es nicht laut, denn jetzt schob das Kind seine kleine Hand in meine. Ich musste schlucken. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Der Junge kannte mich überhaupt nicht, aber er vertraute mir. Für ihn war ich nicht der vorbestrafte Versager, sondern der Held, der seiner Mutter und ihm aus der Patsche geholfen hatte.
»Komm«, sagte ich zu ihm, bevor ich allzu rührselig werden konnte. »Wir gehen mal nachsehen, was mit deiner Mutter ist.«
Die Sanitäter waren bereits dabei, die Frau in den Rettungswagen zu verfrachten. Ich merkte, wie mich die kleine Hand fester packte. »Was machen die jetzt mit der Mama?«
Einer der Männer sah ihn mitleidig an. »Wir müssen deine Mama leider mit ins Krankenhaus nehmen.«
»Kann ich mitkommen?«, fragte Lennart besorgt.