Das Zwischen!? - Cornelia Muth - E-Book

Das Zwischen!? E-Book

Cornelia Muth

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Beschreibung

Das Zwischen ist sowohl existentielle Praxis als auch Begriff für einen Wahrnehmungsmodus. Das Zwischen hat demnach zwei Seiten: Die eine zeigt sich im Dialog, die andere im Denken, Erfahren und Sprechen. Die erste steht für die dialogische Seite, die andere betrachte ich als phänomenologische. Dialogisch heißt, dass mein Sein immer ein Mit-Sein mit anderen Menschen ist; phänomenologisch bedeutet, dass ich mir leibhaftig bewusst werde, in welchem Modus ich die Welt und meine Mitmenschen wahrnehme. In der lebenspraktischen Umsetzung deckt sich das Zwischen als unendliches Üben und liebevolles Experimentieren auf. Das Zwischen, auf das der Dialogphilosoph Martin Buber hinweist, steht im Fokus des hier Geschriebenen. Buber hat es nicht als erster er- und gefunden. Er hat Vorgänger*innen und Nachfolger*innen. Aus der Einleitung

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Cornelia Muth, Professorin Dr. phil. habil. für Pädagogische Anthropologie an der University of Applied Sciences in Bielefeld. Diplom- und Gestaltpädagogin. Themen: Transkulturelle Erwachsenenbildung, Dialogisches Lernen und Praxisentwicklungsforschung. In der Edition GIK ist bereits ein weiteres Buch von ihr erschienen: »Heilende chassidische Geschichten: Martin Buber für Gestalttherapeutinnen und Gestalttherapeuten«.

Herausgegeben und mit einem Geleitwort von Erhard Doubrawa

INHALT

Geleitwort von Erhard Doubrawa

1. Das Zwischen für eilige Leser*innen

2. Das Zwischen für eilige und tiefgründige Leser*innen

3. Zur dialog-phänomenologischen Perspektive

4. Das Zwischen bei Martin Buber

5. Das Zwischen im philosophischen Diskurs

6. Das Zwischen in gestalttherapeutischer Diskussion

7. Neue Einsichten über das Zwischen?!

8. »Drei Strophen für das werdende Zeitalter«

Literatur

ZUR KÜNSTLERIN DES COVERS

GEORGIA VON SCHLIEFFEN

Georgia von Schlieffen, geb. 1968. »Seit meiner Studienzeit intensive Beschäftigung mit der Malerei. Jedoch ging ich ersteinmal ganz andere Wege über ein Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft und der Internationalen Beziehungen und einer mehrjährigen Tätigkeit im Bereich Projektmanagement und Flüchtlingsarbeit für mehrere Nichtregierungsorganisationen. 2010 nahm ich an Studienwochen bei Markus Lüpertz und Gotthard Graubner an der Reichenhaller Akademie teil. Seit 2011 studiere ich Malerei bei Professor Jerry Zeniuk, Akademie für Farbmalerei, Kunstakademie Bad Reichenhall.«

Georgia von Schlieffen illustrierte zwei Lyrik-Bände von Stefan Blankertz, »Ambrosius: Callinische Hymnen« und »Ruan Ji: Zustandsbeschreibungen «.

Bitte besuchen Sie die Seite der Künstlerin auf theartstack.com oder verbinden Sie sich auf linkedin.com mit ihr.

ZUM GELEIT

ERHARD DOUBRAWA

Du bist ich, und ich bin du.

Zeigt sich nicht deutlich, dass wir

miteinander verbunden,

ineinander verwoben sind?

Du hegst die Blume in dir,

damit ich schön werde.

Ich verwandle den Unrat in mir,

damit du nicht leiden musst.

– Thich Nhat Han’s Antwort auf

das sogenannte »Gestaltgebet« von F. S. Perls

»Was Martin Buber ›Begegnung‹ nannte, das nennen wir in der Gestalttherapie ›Kontakt‹« – so oder zumindest so ähnlich hat Lore Perls, die Mutter der Gestalttherapie, geantwortet, als wir Gestalt-Trainees sie in den 1980er Jahren nach dem Zusammenhang von Martin Bubers dialogischer Philosophie und der gestalttherapeutischen Haltung und Arbeitsweise befragten.

Weiter hat sie ausgeführt, dass sie zutiefst berührt und inspiriert davon gewesen ist, Martin Buber in seinen Vorlesungen im Rahmen des Studium Generale am Jüdischen Lehrhaus an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu lauschen. Sie hat sich mitten im Hörsaal von ihm »fast persönlich angesprochen und gemeint« erlebt.

Und dann berichtete sie weiter davon, dass sie als Psychoanalytikerin »natürlich« zuerst immer hinter ihren Klientinnen und Klienten gesessen hat, die vor ihr auf der Couch lagen. Und dass der erste Schritt in Richtung dialogischer Begegnung in der Therapie für sie war, sich ihren Klientinnen und Klienten gegenüber zu setzen – auf gleicher Augenhöhe.

Die Gestaltpädagogin, Dialog-Forscherin und Hochschullehrerin Prof. Dr. Cornelia Muth und mich als Gestalttherapeuten, Gestaltausbilder und Publizist eint ein gemeinsames Herzensanliegen: Das Engagement für eine explizit dialogische Gestalthaltung und eine daraus resultierende phänomenologische (therapeutische) Arbeitsweise.

Schon als sie die ersten Skizzen des hier vorliegenden Buches auf der Jahrestagung 2014 unserer Gestalttherapie-Zeitschrift »Gestaltkritik« im »Gestalt-Institut Köln (GIK)« präsentierte, war ich begeistert. Und heute ist es mir eine besondere Freude, Ihnen – liebe Leserinnen und Leser – das erste deutschsprachige Buch, das das »Zwischen« im Titel trägt, als Herausgeber in die Hände legen zu dürfen.

Es reiht sich, wie ich finde, sehr gut in die vorhergehenden Gestalt-Publikationen der »Edition GIK« ein – so u. a. den Büchern der namhaften Gestalttherapeuten Gordon Wheeler (»Jenseits des Individualismus«) und Erving Polster (»Zugehörigkeit«).

Ich wünsche Ihnen wie immer viel Freude bei der Lektüre und bin mir sicher, dass Sie mindestens ebenso viele Anregungen daraus gewinnen werden, wie ich selbst es konnte.

Erhard Doubrawa, Herausgeber

Gestalt-Institute Köln & Kassel (GIK)

Allen Menschen,die mir ein Gegenüber warengewidmet,insbesondere Erem, meinem achtjährigen Nachbarn.Uns beiden – so wage ich zu behaupten – tat sichwährend der Fußball-Weltmeisterschaft 2014ein spielerisches Zwischen auf!

1. DAS ZWISCHEN FÜR EILIGE LESER*INNEN

Das Zwischen ist sowohl existentielle Praxis als auch Begriff für einen Wahrnehmungsmodus. Das Zwischen hat demnach zwei Seiten: Die eine zeigt sich im Dialog, die andere im Denken, Erfahren und Sprechen. Die erste steht für die dialogische Seite, die andere betrachte ich als phänomenologische. Dialogisch heißt, dass mein Sein immer ein Mit-Sein mit anderen Menschen ist; phänomenologisch bedeutet, dass ich mir leibhaftig bewusst werde, in welchem Modus ich die Welt und meine Mitmenschen wahrnehme.

In der lebenspraktischen Umsetzung deckt sich das Zwischen als unendliches Üben und liebevolles Experimentieren auf. Als philosophisches Konzept, d.h. wenn ich das Zwischen mental durchdringe, sehe ich Parallelen zum anarchistischen Denken von Gilles Deleuze: Das Sein ist immer ein Prozess. Auch wenn wir damit »un-eins« sind, können wir lustvoll unterwegs sein, die Welt bejahen und » anders « werden. Für den Akt des Lesens meinte der französische Philosoph: »In einem Buch gibt’s nichts zu verstehen, aber viel, dessen man sich bedienen kann. Nichts zu interpretieren und zu bedeuten, aber viel, womit man experimentieren kann. Ein Buch muß mit etwas anderem ›Maschine machen‹, es muß ein kleines Werkzeug für ein Außen sein« (Ders. nach Ingrid Breuer 1996, 71). In diesem Sinn könnte ein Raum zwischen Ihnen, werte Leser*innen und dem Geist meiner und den Gedanken Anderer sich auftun. Im zweiten Vorwort der französischen Ausgabe von »Ich und Du« kürzt Gaston Bachelard (1969, 8) dieses Geschehen mit »entre? et!« ab und beschreibt damit die Verantwortung, zu fragen, wer das Ich ist und auf das Du zu achten, denn es ist anders als Ich.

2. DAS ZWISCHEN FÜR EILIGE UND TIEFGRÜNDIGE LESER*INNEN

Das Zwischen, auf das der Dialogphilosoph Martin Buber hinweist, steht im Fokus des hier Geschriebenen. Buber hat es nicht als erster er- und gefunden. Er hat Vorgänger*innen und Nachfolger*innen. Seine Hauptquellen für die Entwicklung seines zwischenmenschlichen Denkkonzeptes sind sein eigenes Leben und, so sagt er selbst, Philosophen wie z.B. Jacobi, Feuerbach, Kierkegaard, Cohen, Rosenzweig und Marcel (vgl. Buber 1992, 299ff.). Das Zwischen als existentielle Praxis ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. In Europa taucht es laut Theunissen (2004, 1543ff.) als philosophischer Begriff bei Platon als »Ambivalenz« und bei Aristoteles als Element einer Wahrnehmungstheorie auf. Er nennt es das »Zwischen des Tastsinns« (ebd. 1546). Pascal spricht von einem Ort, der zwischen Nichts und Allen liegt. Kant meint, es gibt etwas, was weder vorher unbestimmbar noch nachher empirisch überprüfbar ist. Nach Husserl könnte es eine »Gelegenheitsweise« sein. Für Heidegger ist die »Sorge ein Dasein des Zwischen« (ebd. 1547).

Doch kein anderer als Martin Buber hat in Europa, USA und in Israel unermüdlich auf das dialogische Zwischen als existentielle Praxis hingewiesen. Für ihn ist das Zwischen die »Urchance des Sein(s)« (Buber 1992, 301).

Der japanische Psychiater Kimuro setzt Bubers Zwischen mit dem japanischen Wort-Begriff Ki gleich. Er will damit eine soziale Zwischensphäre bezeichnen (vgl. Theunissen ebd.). Yamaguchi betrachtet es als Ort, wo »es im Sein atmet« (Ders. 1997, 234). Von der Spur dieser Atem-Chance handelt nun das Folgende.

3. ZUR DIALOG-PHÄNOMENOLOGISCHENPERSPEKTIVE

Mit dem Begriff des Zwischen scheint auf den ersten Blick ein Raum zwischen zwei Menschen oder Dingen, aber ebenso zwischen der Natur und geistigen Phänomenen gemeint zu sein. Hingegen ist das Zwischen für den Philosophen Martin Buber überhaupt Bedingung für eine Bewegungsform des Menschen, in kurzen Worten die gegenseitige Hinwendung zum Gespräch. So umfasst das Zwischen das Ich und das Du einerseits, wenn der Dialog in der Gegenwart vollzogen wird. Betrachten wir andererseits das Zwischen als Gegenstand, befinden wir uns laut Buber im so genannten Ich-Es-Modus. Sind wir jedoch Teil des aktuellen Zwischenmenschlichen, leben wir im Ich-Du-Modus und befinden uns im Zwischen.

Lege ich das Zwischen hier in einem Text dar, so wird es Gegenstand meiner Betrachtung und meine phänomenologische Perspektive sichtbar. Phänomenologisch heißt hier im Sinne von Merleau-Ponty: Der Modus meines Zur-Welt-Seins zeigt sich. Denn seiner zugrunde liegenden These nach stehe ich als Autorin mit der Welt, insbesondere mit meiner Lebenswelt in einer uranfänglichen Einheit. Aus dieser Bezogenheit zur Welt ergibt sich, dass mein Bewusstsein immer auch ein Bewusstsein über meine Welt ist Dieses Bewusstsein ist leibgebunden und ein sogenanntes präreflexives, d. h. es ist schon vor dem Nachdenken über selbiges vorhanden (vgl. Schrage 2009, 11). Kurz zusammengefasst: Erst kommt das Leben, dann die Erkenntnis.

Mit anderen Worten: Ich bin mit einem in Worten gefassten Phänomen verbunden, und zwar leibhaftig. Während ich das Zwischen als Raum nur im Ich-Es-Modus, im Modus des »Gewesenseins« beschreiben kann, ist das aktive Zwischen nicht dingfest zu machen, da es Hintergrund des dialogischen Ich-Du- Modus ist. Das Ich-Du verwirklicht sich dabei als das »Gegenwartende und Gegenwährende«:

»Schaffen ist Schöpfen, Erfinden ist Finden. Gestaltungist Entdeckung. Indem ich verwirkliche, decke ich auf!«