Phänomenologische Praxisentwicklungsforschung - Cornelia Muth - E-Book

Phänomenologische Praxisentwicklungsforschung E-Book

Cornelia Muth

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Fokussierung auf die unmittelbaren Leibwahrnehmungen gibt phänomenologischer Praxisentwicklungsforschung den Orientierungsraum für ihre Erkenntnisse. Grundlegend wird davon ausgegangen, dass sowohl in der pädagogischen Praxis als auch in der erziehungswissenschaftlichen Forschung Problemwahrnehmung und Problemlösung kongruent verlaufen. Mit anderen Worten: In dem Augenblick, in dem ich mich dem jeweiligen Phänomen überlasse – sei es Problemfall, Fragestellung oder ein Mensch –, verwandelt es sich und mich gleichzeitig, und eine neue Situation bzw. Erkenntnis enthüllt sich.Der vorliegende Sammelband – mit drei Artikeln in englischer Sprache – rekonstruiert den Weg dieser Forschung. Er steht in der phänomenologischen Tradition Husserls und ordnet die pädagogische Praxis wie auch Forschung nicht unter einen Begriff, sondern versucht, leibhaftige Vernunftprozesse transparent zu machen. Entsprechend nimmt phänomenologische Forschung die jeweiligen Erfahrungen der konkret beteiligten Menschen ernst. Auf diese Weise kann in unserer Aufmerksamkeit – oder genauer: in unserem Gewahrsein – auftauchen, wie Menschen mit ihrem Leib zur Welt handeln und wie subjektiver Sinn erst dadurch auch objektiv für die Forschung wahrnehmbar wird. Das heißt, Praxisentwicklungsforschung fragt die Handelnden, welche Bedeutung die Phänomene für sie selbst haben. Aus dieser Erkenntnis heraus wächst Praxis, und echte Zufriedenheit wird möglich. Äußere Zwänge verlieren an Bedeutung. Vielmehr geschieht eine Transformation des Wie des eigenen Lebens in Hinblick auf die gesellschaftlich und kulturell geprägten, aber biographisch gewordenen Wahrnehmungen. Phänomenologische Forschung macht infolgedessen eine praktische Lebensform wahr, die idealistische Ziele verabschiedet und sich in der Begegnung "zu den Sachen selbst" hinwendet. Muths Sammelband wendet sich an BildungsexpertInnen, ErziehungswissenschaftlerInnen, PhilosophInnen und Studierende von Humanwissenschaften, insbesondere der Pädagogik, die mit Hilfe einer phänomenologischen Haltung die Struktur, gemäß der sie Welt und Mitmenschen wahrnehmen, kritisch reflektieren wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 222

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Phänomenologische Praxisentwicklungsforschung von "Erwachsenenbildung als transkulturelle Dialogik"

1.) Einleitung

2.) Teilnehmende und Zielgruppen

3.) Praxisbeispiele (I) als didaktisches Konzept in Aktion

4.) Das didaktische Konzept als pädagogische Handlungstheorie

5.) Mit welcher Form von Grenzen sind die Lernenden konfrontiert?

6.) Worin besteht der gesellschaftliche Bedarf?

7.) Lernergebnisse (Praxisbeispiele II) und Nachhaltigkeit

How to teach intersubjectivity

How to teach intersubjectivity

My path to intersubjectivity

Psychoanalytic perceptions of intersubjectivity

Fundamentals of Martin Buber's philosophical anthropology

Teaching a living concept

Practical performance

Evaluation of dialogue

Conclusion

References

Nicht für die Pädagogik, sondern für das Leben erkennen wir:

Martin Bubers Wissenschaftslehre als existentiell-religiöser Hintergrund für theoretische Gestalt-Figurationen

Der Weg zur Erkenntnis

Der Mensch und seine zwiefältige Haltung

Das Personenwesen als Bedingung für echte Erkenntnis

Zum Begriff der Intuition

Zur Situation der/des WissenschaftlerIn

Die konkrete Situation als religiöse Situation

Wissenschaft und Wahrheit

Ausblick für neue Figurationen

Das Dialogische als das Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten – eine dialogische Perspektive auf die Gender- und Frauenforschung

Mit einer Warnung möchte ich beginnen:

Das dialogische Prinzip

Zurück auf wissenschaftlichen Boden

Prämissen

Die Anthropologie dialogischen Denkens

Dialogisches Denken in der Frauen- und Geschlechterforschung

Wie gelangen Menschen zum dialogischen Denken der vielen Anderheiten?

Der Gender-Dialog – eine feministische Utopie dialogischer Erkenntnisprozesse?

Lebendiges Erkennen

Literatur

Hearing Lévinas and the Revelation of Responsibility

Responsibility and serving

The face is not given to categorization

The face is not given to colonization

To know the face is impossible

Who is the 'I'?

Freedom of choice – or – submitting to the Other?

Responsibility and guilt

Looking at Lévinas and Buber

Mut und Verantwortung als feministische Übergangsphänomene

Aus meiner Seminarpraxis

Subjektivität an der Hochschule

Übergangsphänomene, Feminismus und pädagogische Hingabe

Der interaktive Weg zur eigenen Sprache

Literatur

Wissenschaftlerinnen und Studentinnen im Dialog mit ihrer Körpersozialisation

Literatur

Body awareness among women within sports organizations

Introduction

How the project came into existence

Practice report

Women among women

Interplay – exercise and relaxation

Games, fun, and misbehaving

Introspection

The distorted female self-image

Background

Sports and health

Girls and women in sports

Sports – a space for female emancipation

Women

The woman's body

The socialization of the woman's body

Examples

"The world out there is dangerous" or "She who is looking for trouble will find it"

Movements towards findings

Perspectives

Three to one – a investigation into the concept of holism

Movement is life

Some notes for a better understanding of our conception

Body-Feeling und Body-Bildung

Impressum

ibidem-Verlag

Vorwort

Im ersten Band zur phänomenologischen Praxisentwicklungsforschung werden die Anfänge von 1989 und ihre Weiterentwicklung bis 2011 rekonstruiert. Das Setting dieser Forschung ist ein intersubjektives Feld und zeigt die phänomenologischen Haltungen der beteiligten Praktiker/innen wie Forscher/innen. Dabei stehen der Andere/die Andere als Andersheit, Verantwortung und Vertrauen im Vordergrund.

Die vorliegenden Beiträge veranschaulichen die Umsetzung und zeigen auch, welche Rolle der direkte Kontakt zwischen den Menschen beim Forschen spielt und wie wichtig dabei die Installation einer Dialoggruppe ist. Im ersten Beitrag stelle ich die pädagogische Phänomenologie als transkulturellen Bildungsprozess vor. Diese Haltung zieht sich durch alle Beiträge hindurch. Wie ich das phänomenologische Vorgehen lehre, macht der zweite Artikel deutlich. Im daran Folgenden wird noch einmal der theoretische Hintergrund einer aktiven Phänomenologie deutlich. Die weiteren Texte weisen auf den Zwischen-Raum hin, der sich durch echte Verantwortung selbst aufdeckt. Die abschließenden Erkenntnisse heben wiederum die Rolle des Leibes hervor und damit dessen Wahrnehmung in unserem Sein zur Welt.

An dieser Stelle möchte ich allen Verlagen für den Wiederabdruck und ganz besonders den Mitarbeiter/innen des ibidem-Verlages danken. „Alte“ Texte zu veröffentlichen ist in digitalen Zeiten eine leibhaftige Nervenaufregung. Mit Dank für diesen Körper-Einsatz wünsche ich allen Leser/innen ein „Leib erkennendes Handeln“.

 

Für die Herausgeberinnen im Frühjahr 2012

Cornelia Muth

 

Phänomenologische Praxisentwicklungsforschung von "Erwachsenenbildung als transkulturelle Dialogik"

1.) Einleitung

Erwachsenenbildung als transkulturelle Dialogik1 nennt sich die real geschehene Praxis meiner Bildungsveranstaltungen. Das Ziel dieser Prozesse liegt in der dialogischen Vermittlung einer transkulturellen Handlungskompetenz, die Subjekt-Subjekt-Begegnungen im Sinne der Dialogphilosophie Martin Bubers ermöglichen und die Ich-Es-Grenzen bzw. die Monologe zwischen Menschen deutlich und gleichzeitig flüssig, im Sinne von beweglich machen. Dabei stehen Werte wie Pluralität und Respekt gegenüber eines Einzelnen oder einer Anderen, d. h. der "Andersheit des/der Anderen" im Vordergrund. Das Lernen wie Lehren geschehen dabei multiperspektivisch in Hinblick auf Handlungs- und Deutungskompetenzen. Entstanden ist das Konzept aus der wissenschaftlichen Reflexion über eigene interkulturelle und -nationale Bildungs- und Berufserfahrungen in meiner Dissertation.

Wissenschaftstheoretisch begründet sich transkulturelle Dialogik aus der Phänomenologie. Phänomenologische Praxisentwicklungsforschung konstruiert systematische Erkenntnisprozesse aus dieser Dialogpraxis und deren Ergebnisse, die ich im Folgenden beschreibe und kritisch würdige.

2.) Teilnehmende und Zielgruppen

Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren bzw. sind einerseits Multiplikatoren internationaler Organisationen, TherapeutInnen, wie auch politische Aktivisten und Studierende aus unterschiedlichen Ländern (hier eine Auswahl: Israel, Palästina und Deutschland: 1998 – 2001; Großbritannien: 1999; Island, Litauen, Österreich und Deutschland: 2000; Studierende aus Afrika und Russland: seit 2001 (bis jetzt/2011); Island: 2004; USA, GB/England: 2007; USA, Nord-Irland, Großbritannien, Kanada, Deutschland: 2010. Habe ich in den ersten Jahren die Workshops als promovierte Freiberuflerin (Diplom-Erwachsenenbildnerin; Gestaltpädagogin und systemische Coachin) für internationale wie deutsche Bildungseinrichtungen, die auch wiederum die Ausschreibung und Werbung für die Teilnehmenden machten, durchgeführt, geschieht die transkulturelle Bildung jetzt in meiner Funktion als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld. Hier bin ich gleichfalls für den Bereich Global Social Work und Interkulturelle Soziale Arbeit mitverantwortlich. Jedoch kennzeichnet "transkulturelle Dialogik" als allgemein-didaktisches Prinzip alle meine Seminare. Weiterhin werde ich als Referentin, insbesondere als Buber- und Dialog-Fachfrau im außeruniversitären Bereich zu öffentlichen Vorträgen und Workshops im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen eingeladen.

3.) Praxisbeispiele (I) als didaktisches Konzept in Aktion

Um meine Praxis außerhalb der Hochschule zu veranschaulichen, möchte ich von meinen letzten Workshops und einer anschließenden informellen Begegnung berichten. Die Workshops fanden in den USA, in Philadelphia im Rahmen der AAGT Gestalt Therapy Conference 2010 statt. Zielgruppe waren Therapeuten, Ärzte, Analytiker, Pädagogen, Organisationsberater, die sich mit dem politischen Prinzip des Gestalt-Ansatzes identifizieren. Dabei geht es um soziale Freiheit und der Wiedergewinnung von Lebensfreude im Kontakt mit unseren Mitmenschen. Ich, 49 Jahre, war als Buber-Expertin mit meinem transkulturellen Ansatz eingeladen: Am ersten wie auch am zweiten Workshop nahmen, da er in den USA geschah, überwiegend weiße Mittelschicht-Amerikanerinnen und Amerikaner im Alter zwischen 50 und 70 Jahren teil, die sich einerseits ihres Kolonialismus und Rassismus bewusst sind, aber andererseits mit ihrer US-demokratischen Handlungspraxis so identifiziert sind, dass ihnen die mono-kulturelle bzw. nationale Variante von Demokratie wenig gewahr ist. So kamen zum ersten Workshop außerdem eine Teilnehmerin (ca. 40 Jahre) aus Nord-Irland, eine aus Kanada (ca. 50 Jahre), eine deutsche Amerikanerin (ca. 70 Jahre). Doch auch die US-Amerikaner und Amerikanerinnen unterschieden sich, die eine war offen jüdisch und 70 Jahre alt, der andere (ca. 55 Jahre) zeigte sich in seiner schwulen Orientierung. Doch schon beim Vorstellen wird hier und wurde dort deutlich, wie schwierig mentale Bezeichnungen und kognitive Begrifflichkeiten für und von Menschen sind und wie wenig dabei die Lebenspraxis des einzelnen nationalen Bürgers erfasst und als Individuum in seiner einzigartigen Differenz wirklich wahrgenommen werden kann. Sahen wir uns gegenseitig als Objekte in jeweiligen nationalen Kategorien, also in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis, war die Sicht auf uns als Person, im Sinne eines Ich-Du, einer Subjekt-Subjekt-Begegnung erst einmal eingeschränkt, was sich im Laufe meiner angebotenen Dialoggruppe2 im direkten Austausch und mit zunehmenden Vertrauen während eines Balance-Spiels immer wieder veränderte. So zeigte sich, dass wir einerseits durch unsere Begrifflichkeiten eine erste Distanzierung brauchen und damit eine konstruktive Grenze setzen, aber andererseits mit dieser Grenze nicht wirklich dem Gegenüber gerecht werden. Wenn wir ihn oder sie kennenlernen wollen, müssen wir diese mentale Grenze relativieren und Vertrauen riskieren, ohne sicher zu sein, ob uns jetzt eine intersubjektive Begegnung gelingt; d. h. ob der Mensch, der 20 Jahre älter ist als ich und amerikanische Jüdin und ich als christlich erzogene West-Deutsche und dritte Generation der NS-Täter in einen authentischen Kontakt treten können. Und es passierte: Wir trafen uns auf einer Subjekt-Subjekt-Ebene, erzählten unseren einzigartigen nationalen wie generativen Biographien und hörten einander wirklich zu. Wir folgten unserer persönlichen Neugierde und stellten Fragen, die uns in anderen sozialen Kontexten beschämt hätten. Die Dialoggruppe als unterstützendes Feld half, Fragen zu stellen, die wir in anderen Konstellationen hätten nicht gewagt zu stellen. Doch hier war Respekt vor der "Andersheit des Anderen" möglich geworden. Wir akzeptierten uns in unserem Geworden-Sein, was freilich auch durch die folgenden Regeln meiner Dialoggruppenkonzeption gewährleistet wurde. Sie eröffnen Raum für Pluralität, respektvolle Grenzen und Entgrenzung in Hinblick auf ein gemeinsames Denken:

Das gemeinsame Denken entwickelt sich, ohne den/die AndereN zu überzeugen oder zu überreden. JedeR kann sagen, was er/sie fühlt, was der Prozess auslöst. Er/sie teilt sich mit, ohne jemanden verändern zu wollen.

Es wird von dem Paradox ausgegangen, dass es keine absolute Wahrheit gibt und doch, universell gedacht, jede Haltung relativ ist.

Den oben genannten Regeln wird grundsätzlich zugestimmt oder sie werden sinnvoll verändert. Es gilt, sie immer wieder zu lesen und einzubringen und zu fragen, wie jede Person diese Regeln selbst verstanden hat. Dadurch werden die Regeln selbst erarbeitet.

Aus diesem Workshop ergab sich ein informelles Gespräch mit einem 84jährigen jüdischen, nordamerikanischen "weißen" Gestalttherapeuten, der sich intensiv mit der Scheinheiligkeit in der nordamerikanischen Gesellschaft auseinandergesetzt hat. Dazu zog er eine Parallele zum Nazi-Deutschland. Denn dort wie hier können und konnten Rassismus und Antisemitismus möglich sein, nicht nur weil Menschen mitmachen und sich mit den Autoritäten und Tätern identifizieren, sondern auch weil Menschen schweigen und ihre eigene Aggression unterdrücken. Diese wiederum wird meist nicht in ihrer konstruktiven Kraft gesehen, sondern nur in der Form von Herrschaft, Unterwerfung und Entwertung des Gegenübers. Selbstherrlich könnte er sagen, dass er niemals zu den Nazis gezählt hätte, aber so einfach wären die Grenzen von Schuld und Verantwortung nicht zu setzen und die damit verbundenen Gefühle zu verstecken. Auch er schämt sich zuweilen ein Amerikaner zu sein bzw. zu einer Nation zu gehören, die sich verantwortlich für ihre unrechten Taten zeigen sollte, aber nicht wirklich die Folgen nennt und Schuld eingesteht. Im Vorwort des Sammelbandes mit dem Titel "The Collective Silence" beschreibt er das folgendermaßen: "… we are all in some degree perpetrators and like other perpetrators we find it easy to blame the other rather than to own our part"3. Ähnlich verlief der Prozess in der beschriebenen Dialoggruppe. Die schnelle Offenheit und Ehrlichkeit der TeilnehmerInnen war gewiss auch beeinflusst durch deren professionelle Qualifizierung als Gestalttherapeuten, die wie ich als Gestaltpädagogin intensiv gelernt haben, "authentischen Kontakt" herzustellen. In anderen Bildungsprozessen mit MultiplikatorInnen und meinen Studierenden brauchen die Vertrauensprozesse, wenn sie überhaupt gelingen, mehr Zeit und erfordern von meiner Seite eine geduldige Wahrnehmungshaltung zwischen "Sein und Schein" (Buber).

Als weiteres Praxisbeispiel zu pädagogischen Entgrenzungsprozessen nehme ich meine Arbeit mit MultiplikatorInnen aus Deutschland, Israel und Palästina für den Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten. Die Altersstruktur lag zwischen 22 und 62 Jahren. In den drei Workshops habe ich mit dem so genannten sechs-Geister-Bild über Begegnung und "Vergegnung" von Martin Buber gearbeitet. Das Bild geht davon aus, dass wir schon allein bei einem Gespräch zwischen zwei Menschen sechs Vor-Urteile bzw. Wahrnehmungsweisen überwinden müssten, um dem Gegenüber wahrhaftig zu begegnen. Die Zusammenstellung der Geister besteht einmal aus den jeweiligen eigenen Selbstbildern, die jede Gesprächspartnerin von sich selbst hat, aber auch aus den Fremdbildern, die jede von der anderen hat. Hinzukommt dann noch das fremde Selbstbild, was jede denkt, das Gegenüber von ihr macht. Dass diese Bilder nicht nur zwischen kulturellen Gruppen existieren, aber auch innerhalb einer Gruppe macht folgende Aussage einer Palästinenserin deutlich: "During this learning and empowerment process, we the Palestinian delegation encountered realities about our Palestinian sisters living in the Green line about whom we knew very little, unfortunately"4. Eine Israeli machte des Weiteren klar, dass sie innerhalb ihrer Nation eine eigene Sicht auf den Nahost-Konflikt hat: "But I don't belong to Netanjahu, to the soldiers, to the system. It hurts me to hear that I am an occupier. I am with you. I don't see you as terrorists"5. Schließlich möchte ich noch eine deutsche Stimme zitieren: "I'm not sure what my role is here. I'm not an observer. I'm not a mediator. When we talked, I was Katrin, not the German"6. Jede Seite verlangte Respekt, auch ich, denn ich war ja auch eine Anderheit im dialogpädagogischen Sinne. Das Eingeben meiner Differenz im Rahmen gelebter Pluralität von Andersheiten jenseits von Nation und Alter ermöglichte Ich-Du-Prozesse bei gleichzeitiger Anerkennung von unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen und jeweiligen Biographien als Ich-Es.

Im nächsten Kapitel komme ich zu zum didaktischen Konzept dialogischer Pädagogik bzw. zur transkulturellen Dialogik und im Anschluss daran zum Umgang mit Grenzen und Entgrenzung.

4.) Das didaktische Konzept als pädagogische Handlungstheorie

Mit Erwachsenenbildung als transkulturelle Dialogik ist eine pädagogische Interaktion gemeint, durch die Multiplikator/innen ihren Adressat/innen Intersubjektivität als Identitätshaltung jenseits von kategorialen Zuschreibungen wie Nation, Alter, Ethnie/Kultur und Geschlechterrolle respektvoll und pluralistisch vermitteln wollen. Das damit verbundene Handeln nenne ich transkulturelles Handeln, die damit verbundene Lebenspraxis und Kultur Transkulturalität. Dieser Begriff bedeutet, dass einerseits in Anlehnung an Welschs Kulturbegriff keine klare Grenzen zwischen Kulturen existieren und andererseits in Anlehnung an Enno Schmitz' Konzept lebensweltbezogener Erkenntnisse Subjekte in ihren Individualisierungsprozessen mehr denn je Selbstaufklärung betreiben und dabei subjektive Grenzen überwinden müssen. Im letzten Satz meiner Dissertation fasse ich diesen Prozess wie folgt zusammen: "Transkulturalität zeigt sich im Beziehungshandeln als etwas 'Drittes', das sich von Situation zu Situation als wandelndes Bild von Zwischenmenschlichkeit entpuppt. Eine Betrachtung liegt darin, das Dritte als ein Risiko zum Vertrauen zu betrachten, das im dialog-etymologischen Sinn Sich-selbst-an-eine-andere-Stelle-Wagen bedeuten könnte" (Muth ebd., 2011, S. 207, Hervorh. i. O.). In meinem didaktischen Konzept verstehe ich das Dritte als das Du im Dialog, als die Subjekt-Subjekt-Begegnung bzw. als die Andersheit des Anderen. Bubers Definition der Andersheit ist hierbei leitendes Handlungsprinzip: "Das echte Gespräch, und so jede aktuale Erfüllung der Beziehung zwischen Menschen, bedeutet Akzeptation der Andersheit. Wenn zwei Menschen einander ihre grundverschiedenen Meinungen über einen Gegenstand mitteilen, jeder in der Absicht, seinen Partner von der Richtigkeit der eigenen Betrachtungsweise zu überzeugen, kommt im Sinn des Menschseins alles darauf an, ob jeder den andern als den meint, der er ist, bei allen Einflusswillen, also ihn doch in seinem Dieser-Mensch-sein, in seinem So-beschaffen-sein rückhaltlos annimmt und bestätigt. Die Strenge und Tiefe der menschlichen Individuation, das elementare Anderssein des Andern, wird dann nicht bloß als notwendiger Ausgangspunkt zur Kenntnis genommen, sondern von Wesen zu Wesen bejaht …" (Buber nach Muth & Nauerth ebd., S. 104)7. Welchen Bezug diese Akzeptanz zum Lernen von Respekt und Pluralität hat, soll anhand der dialog-phänomenologischen Definition von "Lernen an der Grenze" konkretisiert werden.

5.) Mit welcher Form von Grenzen sind die Lernenden konfrontiert?

Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive handelt es sich bei der Dialogphilosophie und beim Gestalt-Ansatz grundsätzlich um eine phänomenologische Erkenntnisform. Transkultureller Dialogik geht es folglich um Wahrnehmungsgrenzen und deren Veränderungen. Lernen ist demnach ein bewusster Wahrnehmungsprozess. So schreibt Wheeler "Der Akt der Wahrnehmung und der problemlösende Prozess sind nicht wesensverschieden"8. Infolgedessen wird beim transkulturellen Lernen Veränderung als Prozess des Wahrnehmens und Werdens verstanden. D. h. Grenzen des gewohnten Wahrnehmens und des Festhalten von Bewegungen lösen sich auf bzw. werden losgelassen, weil deren Sinn nicht mehr greift, weil die Nachteile des alten Wahrnehmungsmusters und der Starrheit erkannt werden und Einsicht die Zuversicht deutlich macht, dass eine Veränderung mit Wünschen und Zielen in Einklang stehen können. Entgrenzt wirkt dieses Lernen insofern, als das die Prozesse eine innere Selbstreflexion und damit Aufklärung des Bewusstseins bewirken. Dazu braucht der Mensch, sein Selbst gleichzeitig ein unterstützendes Feld als vertrauensvolle Grenze, damit die mit der Selbsterkenntnis verbundene gesunde Scham aufgefangen werden kann. Im dialog-phänomenologischen Ansatz wird das Selbst mit Bewusstsein gleichgesetzt: Das Selbst ist das Bewusstsein, das ein Mensch von seiner Beziehung zwischen seinem Ich und der Umwelt hat. Das bedeutet auch, dass das Ich eines Menschen keine statische Figur, sondern sich wie das jeweilige Handlungsfeld als Umwelt in Bewegung ist. Somit ist Selbst-Reflexion eine Bewegung des menschlichen Bewusstseins, weil das Ich und Umwelt sich in miteinander verbundenen Anpassungsprozessen befinden. Die Ausrichtung auf das Feld bzw. auf die Umwelt kann sich laut Buber in zweierlei Haltungen konkretisieren: Einerseits als Realisierung einer authentischen Beziehung mit einem anderen Selbst, d. h. mit einem anderen Menschen. Diese Begegnung kann ein Dialog werden, d. h. das Ich steht mit einem Du in Beziehung, welche Buber "Ich-Du" nennt. Andererseits kann der bewusste Kontakt mit dem Feld auch ein Ding, ein Gegenstand, eine Idee, ein Konzept sein. Dieses Verhältnis nennt Buber "Ich-Es". Es dient der menschlichen Orientierung. Eine besondere Bewusstseinsanforderung für das Selbst liegt darin, dass Menschen andere Menschen wie Dinge behandeln, was zuweilen notwendig ist und doch auch den Menschen in ihrem Mensch-Sein nicht gerecht wird. Buber unterscheidet diesbezüglich zwischen Beobachten als Ich-Es und "Innewerden" als Ich-Du: "Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand. Denn wo Etwas ist, ist anderes Etwas, jedes Es grenzt an andere Es, Es ist nur dadurch, daß es an andere grenzt. Wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht. Wer Du spricht, hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung. … Die Welt als Erfahrung gehört dem Grundwort Ich-Es zu. Das Grundwort Ich-Du stiftet die Welt der Beziehung" (Buber 1962, S. 80f.)9. Letztere geschieht ausschließlich in der Gegenwart, und deswegen kann das Gegenüber noch nicht bzw. nicht mehr einer Kategorie zugeordnet werden. Dabei muss das Vorwissen und das distanzierende Kategorisieren nicht aufgegeben werden. Vielmehr geht es darum, die Andersheit des/der Anderen als lebendige Persönlichkeit jenseits von kategorischen Zuschreibungen zu sehen. Als Gestaltpädagogin erkläre ich das so: "Das Kennzeichen des 'Selbst' ist, dass es an der Kontaktgrenze Anpassung vornimmt: Es passt die Umwelt an die Bedürfnisse des Organismus (= Ich – CM) an, wo das möglich ist; und es passt den Organismus und sich selbst an die Umwelt an, wo das nötig ist" (Blankertz & Doubrawa 2005, S. 259)10. Aus diesen Wahrnehmungen und Handlungen heraus wird das Selbst bzw. entsteht Bewusstsein (Hervorh. – CM). Dabei realisiert sich das Selbst an der Kontaktgrenze zur jeweiligen Umwelt von neuem, ohne ein ganz anderes zu werden bzw. sich aufzugeben. Somit sind Grenzen einmal konstitutiv für das Selbst und dann wiederum destruktiv, wenn das Selbst oder die Umwelt keine Veränderung erfährt bzw. starr und somit bewegungslos bleibt. "Das Selbst ist flexibel und aktualisiert sich immer aufs Neue an der Kontaktgrenze, wenn, wo und wie es gebraucht wird" (ebd., S. 263). Es fragt sich, was geschieht nun an der Kontaktgrenze, woraus besteht sie? Was ist Kontakt? Kontakt ist das Selbst in Aktion, die Auseinandersetzung, die Beziehungsgestaltung, die Prozessdynamik zwischen Ich und Umwelt. Dazu gehört sowohl die Wahrnehmung, die ebenfalls eine Bewegung des Ich zur Umwelt oder von der Umwelt weg ausdrückt. Somit stehen Wahrnehmung und Bewegung des Ich in direkter Abhängigkeit zum Bewusstsein. Das Selbst leitet die Beziehung zwischen Ich und Umgebung. Das Wahrgenommene der Umgebung ist alles, was das Ich sehen und erkennen bzw. erfahren kann: Gerüche, Töne, Gegenstände, Theorien, Konflikte, Einflüsse von anderen Menschen etc. Entscheidend ist dabei, wie das Ich sich den Dingen nähert, wie es mit der Welt handelt, wie es mit Informationen, Theorien oder anderen Menschen umgeht. Das gesellschaftliche Feld ist jedoch weder neutral noch statisch zu verstehen. Es wirkt ebenfalls auf das Ich. In meinen Workshop gestalte ich deswegen ein dialogisches Feld, in dem alte und neue Wahrnehmungsgrenzen bewusst und neue Handlungsmöglichkeiten ausprobiert werden können. Es geht also um einen bewussten Umgang mit (inneren wie äußeren) Grenzen, um die Erkenntnis, dass sie förderlich wie auch hinderlich sind und dass destruktive Grenzen insbesondere entbindend wirken und dann den Kontakt und damit die Wahrnehmung der Andersheit des Anderen beenden.

6.) Worin besteht der gesellschaftliche Bedarf?

Die gesellschaftliche Herausforderung begründe ich aus meinem Konzept "Dialogischer Pädagogik als Identitätsbildung durch die Andersheit": "Als pädagogisches Handlungskonzept zielt transkulturelle Dialogik auf ein dialog-biographisches Identitäts-Lernen angesichts einer Gesellschaft, in der die 'Lebenswelt an sich' durch Enttraditionalisierung und Globalisierung brüchig geworden ist. Soll ein Erkennen der eigenen transkulturellen Identität geschehen, brauchen Menschen konkrete Interaktionen, die von Vertrauen, Echtheit als ernsthaftes Interesse, Pluralität und Akzeptanz gekennzeichnet sind. Hiermit kann die Bildung von Intersubjektivität im Sinne von Schmitz' Ansatz in Anlehnung an Mead ermöglicht werden. Transkulturelle Dialogik versucht infolgedessen, Menschen in der Wahrnehmung des Dialogischen zu unterstützen. Doch das Verhalten der Menschen ist überwiegend monologisch ausgerichtet. Individualisierung, Deutungspluralität und Mediatisierung des Alltags erschweren die Konstitution einer kommunikativen Umwelt. Eine alltägliche Lebenswelt scheint kaum noch erkennbar. Sowohl die sinnlich-physische Wahrnehmung der Sinneswahrnehmung als auch die bedeutungsbezogene des Intellekts sind durch die Zunahme zivilisatorischer Risikofaktoren destruktiv eingeschränkt. Insbesondere die lebensnotwendige Deutungskompetenz scheint durch die dissonante Vielfalt von Symbolen irritiert und nicht mehr in gesellschaftlich anerkannten Symbolen wie der Sprache zu funktionieren. Statt eines 'generalisierten Anderen', des Me (Mead) gibt es viele neben einander stehende bzw. unverbundene internalisierte Stimmen bzw. gesellschaftliche Normen, die die Identitäts-Bildung wenig unterstützen können, weil das I (Mead) als unhintergehbare Subjektivität verdeckt ist und der individuellen Entscheidungskraft nicht zur Verfügung steht. Buber spricht diesbezüglich von einer "Verseelung der Welt"11. So sind Entscheidungswege möglich, "… wie das 'reale Selbst' wieder wahrgenommen werden kann. Ausgangspunkt sind negative Verwicklung und Entwicklung durch fremdbestimmte und selbst entfremdende Entscheidungen, die wiederum ein bestimmtes Verhalten gegenüber der Welt erkennen lassen und im Sinne von Merleau-Ponty auf ein strukturelles Bewusstsein zurückführbar sind. Da letzteres im phänomenologischen Sinne für ein offenes gehalten wird und somit aufklärbar ist, biete ich Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer dialogischen Performanz an: Zuerst gilt es einen neuen Distanzierungsprozess zur Welt und zu den Mitmenschen zu durchlaufen, indem der Mensch sich erst einmal als einzelner wahrnimmt und damit auch die Einzigartigkeit seines individuellen Lebensweges. Letzteren entschlossen zu gehen, ist dialogischer Lebenssinn. Doch hört damit die Bewältigung des Lebensprozesses noch nicht auf. Der Mensch beginnt mit der Selbsterkenntnis bei sich selbst, bleibt hingegen nicht dort stehen, sondern lässt sich auch auf seine Mitmenschen und die Welt ein. Erst dann hat er seinen wirklichen Lebensort gefunden. Eine solche Form der Selbstsorge ähnelt dem Foucault'schen Konzept zur 'Ästhetik der Existenz': Der subjektive Entdeckungsweg allein hilft mir die Wahrheit und die damit verbundene Ethik für die jeweilige Lebenspraxis zu finden. Dabei dient das Erkennen der subjektiven Wirklichkeit gleichzeitig dem Erkennen der objektiven, die die Wahrheitsquelle der eigenen Identitätsbildung ist. Sie liegt wiederum im Nicht-Selbst, mit dem ich einen sozialen Zwischen-Raum verwirkliche und mir hilft, mein 'echtes Realverhältnis' zur Wahrheit im Gegensatz zur Lüge zu finden. Die Lüge präsentiert dabei die negative Wirklichkeit, zu der wir Menschen uns scheinbar gezwungen fühlen. Doch ist der Mensch frei in seinem konkreten Bindungsverhalten. Er kann seine 'personenhafte Verantwortung' gegenüber den anderen Dus entdecken und sich von falschen Wegen emanzipieren. Wahr ist das, was im gelebten zwischenmenschlichen Leben bewährt wird. Der Leib ist dabei Mittel zur Wahrnehmung der Welt. Aufgrund der Unhintergehbarkeit des individuellen Subjekts ist jedoch jeder Entscheidungsweg einzigartig. Dynamisch dialogisch betrachtet ist jedes I und somit jede Andersheit einmalig"12. In Verbindung mit den Arbeitsnotizen von Merleau-Ponty über das 'Sichtbare und das Unsichtbare' mache ich deutlich, dass unsere mentalen wie leiblichen Grenzen real wie illusionär sein können. Bieten unser Denken und damit unsere Konzepte über die Welt als mentale Landkarten eine erste Orientierung, geht transkulturelle Dialogik weiter, indem sie auf die Realisierung und den authentischen Kontaktvollzug mit den jeweiligen Menschen setzt, die immer auch eine leibhaftige Grenze hat und braucht bei gleichzeitiger Entgrenzung des Bewusstseins. Hierdurch kann Identität in Bewegung kommen und der Mensch braucht sich nicht ausschließlich starr und gleichgültig mit Vorurteilen und Ängsten abgrenzen.

7.) Lernergebnisse (Praxisbeispiele II) und Nachhaltigkeit

Schließlich sollen Aussagen von TeilnehmerInnen aus selbstreflexiven Berichten, die im Rahmen der von meiner Kollegin Annette Nauerth und mir durchgeführten gewaltpräventiven Praxisentwicklungsforschung 'Vertrauen wider Gewalt und Aggression' entstanden, die Lernergebnisse und weitere Dimensionen von Nachhaltigkeit transkultureller Veranstaltungen widerspiegeln. Das Ziel dieses Projektes lag in der Fortbildung von MultiplikatorInnen im Feld interkultureller Sozialer Arbeit in Hinblick auf Ihre Wahrnehmungsfähigkeit von Gewalt und Aggression. Wie anfangs beschrieben, lege ich besonderen Wert auf das Lernen multiperspektivischen Denkens und deutungspluralen Wahrnehmens. In unserer Forschung hatten alle Multiplikatoren eine Dialoggruppe durchlaufen und ihre Abschlussarbeiten dialogorientiert verfasst. Zudem durchlief das gesamte Forschungsteam, bestehend aus Forschern, Praktikern und MultiplikatorInnen, eine Gestalt-Supervision, bei der wiederum der Fokus auf biographische Erfahrungen mit Gewalt und Aggression gelegt wurde. Insbesondere die supervisorische Arbeit mit Heide Schöller, 64 Jahre, im ersten Workshop bewirkte einen intergenerativen Austausch zwischen den jungen Studierenden um 20 Jahre und den Praktikerin und ForscherInnen zwischen 30 und 62 Jahren. Folgende Berichtspassagen veranschaulichen die Wahrnehmungsprozesse:

"Für viel Verwirrung in mir … sorgte dann aber unsere Gestalttherapeutin Heidi, der ich sehr dankbar bin. … ihre Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und ihre Echtheit haben mich ziemlich beeindruckt. Sie hat mir durch ihre Art klar gemacht, dass sich Menschen viel zu wenig Zeit füreinander nehmen" (I, S. 4).

"Trotz oder gerade wegen der verschiedenen Alters- und Erfahrungsstufen, die in Vlotho zusammentrafen, entstand ein guter Raum, um auch mal abseits von den festgelegten Runden, gute Gespräche zu führen" (I, S. 13).

"Die unglaubliche Vielzahl an Charakteren, Lebensgeschichten und Ansichten ließ dabei in keinem mir bewussten Moment den einzelnen außen vor, eine Atmosphäre entstand, die mich an den Satz 'Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile' denken lässt" (I, S. 21).

"Die Abschlussrunde, die wieder Raum gibt. Die Differenz darf sein. Differenz zu leben ist manchmal schwieriger und kommt unerwarteter als ich dachte" (I, S. 23).

"Die grundlegende Selbstverständlichkeit aller Teilnehmer des Projekts, sich mit Respekt und Toleranz zu begegnen war für mich eine Grundlage … Auch die fröhliche, humorvolle und sehr ausgeglichene Art wie die Leitung (= Cornelia Muth) des Projekts … trug einen erheblich Anteil dazu bei, dass sich in relativ kurzer Zeit ein unausgesprochenes Vertrauen durch die Person der Projektleiterin … auf die ganze Gruppe und deren Umgang miteinander auswirkte … (unvollständige Sätze im Original) … (I, S. 24).

Heidi hat jedem Teilnehmer 'Räume' geöffnet … Auch sie hat durch ihre Persönlichkeit auf alle Teilnehmer gewirkt und gab jedem Teilnehmer in kurzen aber intensiven Momenten das Gefühl von Wertschätzung" (I, S. 24).

Insgesamt wurden die Berichte dialog-phänomenologisch evaluiert. Hierin war der wissenschaftliche Bildungsprozess für alle Teilnehmer/innen vertiefend. Es wurde erkannt, dass die beste Gewaltprophylaxe in intersubjektiven Erkenntnisprozessen liegt, in denen Grenzen gewahrt und Scham konstruktive Anerkennung findet. Hierzu eine weitere Aussage aus den Berichten13: "Wir stellten fest, wie wichtig es ist, Grenzen für sich selber zu setzen, weil wir zu der Erkenntnis kamen, dass Aggression auch oft dann entsteht, wenn man sich selber nicht abgrenzt" (ebd., S. 172). Diesbezüglich konnten Forscher wie Praktiker ihr persönliches Gewahrsein erhöhen und in einem konstruktiv begrenzten Setting die eingeschränkten Wahrnehmungsmuster erweitern und somit persönliche Entgrenzungsprozesse – aus transkultureller Perspektive Prozesse des Innewerdens des Gegenübers jenseits von mentalen Kategorien – wertschätzen. Dass das didaktische Prinzip transkultureller Dialog auch in meiner Lehre weiterhin wirkt, zeigt die letzte Lehr-Evaluation vom WS 2010/11. Folgende Punkte wurden auf die Frage, was in meinen Seminaren besonders gefallen hatte, genannt: Diskussionsplattform gemeinsames Lernen und Austausch trotz unterschiedlicher Kenntnisstände; verständnisvoller Umgang mit Studenten; Dozentin macht deutlich, was sie von den Studierenden verlangt; kritische Haltung der Dozentin.