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Der Himmel verdammte sie, die Hölle wird sie nicht halten …
Um das Leben ihrer Freundin zu retten, musste Elodie ihre große Liebe Raphael verraten. Nun ist sie eine Gefangene Danjals, der mithilfe der heiligen Lanze und einer Armee aus Halbengeln und Dämonenfürsten den Himmel stürzen will. Als die Erzengel ins Visier der Rebellion geraten, bekommt Elodie unerwartete Verstärkung aus der Hexenwelt und erfährt eine Wahrheit über ihre Familie, die ihre Gefühle für Raphael in den Grundfesten erschüttert. Doch zunächst müssen sie gemeinsam Danjals Armee aufhalten. Scheitern sie, wird am Tag der schwarzen Sonne der Himmel fallen …
Epische Romantasy über den Kampf zwischen Gut und Böse, Himmel und Hölle, Engel und Dämonen – voller Drama, Knistern und unglaublicher Plot Twists.
//Dies ist der zweite Band der »Daughter of Heaven«-Dilogie. Alle Romane der dämonisch-himmlischen Liebesgeschichte im Loomlight-Verlag:
-- Band 1: Where Angels Fall
-- Band 2: When Demons Rise//
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Das Buch
Der Himmel verdammte sie, die Hölle wird sie nicht halten …
Um das Leben ihrer Freundin zu retten, musste Elodie ihre große Liebe Raphael verraten. Nun ist sie eine Gefangene Danjals, der mithilfe der heiligen Lanze und einer Armee aus Halbengeln und Dämonenfürsten den Himmel stürzen will. Als die Erzengel ins Visier der Rebellion geraten, bekommt Elodie unerwartete Verstärkung aus der Hexenwelt und erfährt eine Wahrheit über ihre Familie, die ihre Gefühle für Raphael in den Grundfesten erschüttert. Doch zunächst müssen sie gemeinsam Danjals Armee aufhalten. Scheitern sie, wird am Tag der schwarzen Sonne der Himmel fallen …
Die Autorin
© Isabella Böhm
Magdalena Gammel wurde 1997 in München geboren. Literatur und Film waren schon immer ihre Leidenschaft. Ein paar Ausflüge in die Schauspielerei machten ihr aber klar, dass sie die Geschichten lieber erzählt, als sie darzustellen. Auf das Kunst-Abitur folgte eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton, was sie nach Hamburg brachte. Dort lebt und schreibt Magdalena momentan, wenn sie nicht gerade im südafrikanischen Busch bei ihrer Familie nach neuen Abenteuern sucht.
Für mehr Informationen über Magdalena Gammel und ihre Bücher folgt der Autorin auf: https://www.instagram.com/magdalena.gammel
Der Verlag
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Viel Spaß beim Lesen!
Magdalena Gammel
When Demons Rise
Für alle, die mutig genug sind, sie selbst zu sein.
Die Einsamkeit kannte meinen Namen und lockte mich mit ihrem Gewisper noch tiefer in die Dunkelheit.
Seit einer Woche hielt man mich in diesem Zimmer gefangen. Gesellschaft leisteten mir dabei meine Schuldgefühle und die Erinnerungen an das, was ich hatte geschehen lassen.
Aber wenn die Männer, die mich zur Hilflosigkeit zwingen wollten, dachten, ich würde noch einen weiteren Sonnenaufgang tatenlos hier rumsitzen, irrten sie sich gewaltig. Wie so oft berührte ich meinen Hals, dort, wo Raphaels Kette nicht länger hing.
»Du musst etwas essen.« Valerios Stimme verfolgte mich in meinen Albträumen, aber in der Realität fand ich sie noch abstoßender.
Der Halbengel, der vor dem Zimmer postiert war, hatte ihm die Tür geöffnet, weil er ein Tablett in der Hand hielt, auf dem eine Kanne und zwei Tassen standen.
Wenn er plante, ein kleines Teekränzchen zu veranstalten, würde ich ihm das heiße Getränk mit Freude ins Gesicht schütten.
Seitdem er mich entführt hatte, hatte ich ihn wie Luft behandelt. Und das begann langsam, aber sicher an seiner Selbstbeherrschung zu zehren. Er kam jeden Tag. Begutachtete mich und mein unangerührtes Essen mit kritischem, teils verzagtem Blick und ging wieder, wenn er merkte, dass ich keinen seiner Annäherungsversuche beachtete.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Du darfst tot umfallen! Anstatt zu antworten, wandte ich mich ab und starrte stumm aus dem Fenster. Ich wollte ihn nicht sehen, nicht mit ihm sprechen – so tun, als gäbe es ihn nicht. Er seufzte hörbar, schaltete das Licht ein und trat an den Tisch, um dort das Tablett neben mein längst kalt gewordenes Abendessen zu stellen. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, wartete darauf, dass er bemerkte, welche Gegenstände fehlten. Aber er beachtete das Geschirr nicht weiter, sondern schob die Hände in die Hosentaschen und musterte mich.
Steif wie eine Wachsfigur saß ich am Flügel, der das halbe Zimmer einnahm und ein weiteres Zeichen für Valerios manipulativen Charakter war. Er hatte mir das Spielen beigebracht und meine Leidenschaft für die Musik geweckt. Hatte mir stundenlang dabei zusehen können, wie meine Finger immer geschickter über die Tasten geflogen waren, wie mich der Ehrgeiz, seine Lieder fehlerfrei zu spielen, angetrieben hatte.
Vermutlich glaubte er, mir mit dem Instrument ein Geschenk gemacht zu haben, das mich vor der Eintönigkeit der Tage retten sollte – oder hoffte, dass es irgendein Gefühl von Verbundenheit in mir weckte. Aber ich spielte nicht. Ich würde niemals wieder für ihn spielen. Die Stille war meine Rebellion. Auf keinen Fall wollte ich Valerio die Genugtuung verschaffen, sentimental zu werden und erneut auf ihn hereinzufallen.
Er trat schweigend neben den Flügel, ganz langsam, als sei ich ein Tier, das er nicht verschrecken wollte.
»Wenn es noch etwas gibt, das ich dir bringen lassen soll … Bücher oder Ähnliches …«
Ich presste die Lippen zusammen und bohrte meine Fingernägel in die Handballen, um den hochkochenden Zorn zu kontrollieren.
»Wie großzügig«, murmelte ich. »Für diesen Service würde euer kleines Etablissement auf Airbnb glatt fünf Sterne bekommen.«
Zwei mit Kleidung gefüllte Tüten waren mir bereits gebracht worden, was bedeutete, dass Danjals Männer für mich shoppen waren. So froh wie ich darüber war, frische Sachen tragen zu können, so zuwider war mir der Gedanke, mich wie eine Puppe anziehen zu lassen.
Valerio atmete tief durch und fuhr sich übers Gesicht.
»Ich tue alles in meiner Macht Stehende, es dir hier so angenehm wie möglich zu machen.«
Auf dem Bett, unter einem Zipfel der Decke, hatte ich eine lange Socke gebunkert. In dieser Socke steckten der Salzstreuer und die Pfeffermühle, welche mit meinem Abendessen gekommen waren. Am liebsten hätte ich Valerio damit bereits jetzt eine übergezogen; aber mich von blinder Wut leiten zu lassen, könnte meinen ganzen Plan zerstören.
»Und du denkst, ein paar meiner Habseligkeiten würden mich den Umstand vergessen lassen, dass du mich gefangen hältst?«
»Ich müsste dich hier nicht einsperren, wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass du mir nicht davonrennst.«
»Die Logik hinkt.«
Wir starrten einander an und ich hasste es, wie vertraut sich diese Zweisamkeit immer noch anfühlte. Gleichzeitig war mir seine Ruhe, seine Geduld noch nie so sehr auf die Nerven gegangen. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mich früher oder später mit dieser Beharrlichkeit kleinkriegen würde.
»Erinnerst du dich an den Tag, an dem du mich verlassen hast?«, fragte ich und sah ihm direkt in die Augen. Ihr Grün wirkte mal hell, mal dunkel, je nachdem, wie sich das Licht in ihnen brach.
»Natürlich«, antwortete er. »Und ich bereue ihn bis heute.« Ich roch die Wahrheit in seinen Worten und hörte das Bedauern in seiner Stimme. Aber der Kummer, der mich dabei überkam, war nichts weiter als die Nachwehen des Schmerzes, den sein Verrat in mir ausgelöst hatte. Irrational und nostalgisch. Ich würde ihm nicht die Absolution erteilen – auch wenn sein Welpen-Blick mich förmlich darum anbettelte.
»Ich hätte dir sagen sollen, dass ich mich auf die Suche nach meinem Vater mache. Ich hätte dich fragen sollen, ob du mit mir kommen willst.« Zögernd machte er einen Schritt auf mich zu, stoppte aber abrupt, als ich auf dem Hocker von ihm wegrückte. »So viel mehr hing mit dieser Entscheidung zusammen«, sagte er. »Ich wollte dich nicht vor die Wahl stellen, ohne mich vom Himmel zu träumen oder mit mir zusammen hinab in die Hölle zu steigen. Du hast dem Chor gehorcht und ich wusste, dass du niemals etwas tun würdest, um den Zorn der Erzengel auf dich zu ziehen.«
»Offensichtlich hast du schon damals gedacht, es wäre leichter, mir erst gar keine Wahl zu lassen.«
»Ich wollte dich beschützen, Ellie.«
»Große Worte für einen Mann in deiner Position.«
Für wie schwach und einfältig hatte er mich bereits damals gehalten? »Aber jemandem die Fähigkeit abzusprechen, Entscheidungen für sich selbst treffen zu können, ist nicht ganz so heldenhaft, wie du offenbar denkst.«
Valerios Miene verdüsterte sich.
»Würdest du das auch Raphael vorwerfen?«
Ich erstarrte und wurde von einer Welle aus Schmerz überflutet, die alles in mir zum Brennen brachte. Mein Atem beschleunigte sich und gleichzeitig packte mich die Panik, keine Luft mehr zu bekommen.
»Ja«, sagte ich und erhob mich langsam. »Wenn er mir jemals das Gefühl gegeben hätte, nicht in der Lage zu sein, für mich selbst einstehen zu können. Wenn er mir nicht immer wieder bewiesen hätte, wie sehr er meinen freien Willen respektiert.«
Valerio blieb vollkommen ruhig, nur der harte Zug um seinen Mund verriet die Verbitterung, die tief in ihm rumorte. Ich war ihm dankbar für diese Frage, denn sie bot die perfekte Vorlage. »Ihr beide könntet unterschiedlicher nicht sein. Dennoch würde ich niemals leugnen, wie sehr ich dich damals geliebt habe.« Valerio zuckte zusammen, und so etwas wie Hoffnung erhellte seine Züge. »Aber alles, was ich früher an dir bewundert habe, hast du benutzt, um mich von dir abhängig zu machen – um mich mit meinen eigenen Gefühlen zu manipulieren. Etwas, was Raphael niemals tun würde.«
Zum ersten Mal, seitdem er mein Zimmer betreten hatte, fühlte ich mich ihm überlegen. Ich hatte die Kontrolle, nicht er und das zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Ein Lächeln, das Valerio sichtlich beunruhigte und ihm noch mehr von der Macht nahm, die unsere gemeinsame Vergangenheit über mich hatte.
»Du hast mich gebraucht«, sagte er nach einigem Zögern und ballte die Hände zu Fäusten. »Du hattest nichts und niemanden, bevor du mich kennengelernt hast. Du warst allein und verunsichert und ich habe alles getan, um dir Halt zu geben.«
Ich biss die Zähne zusammen, bis es knirschte und konnte die Trauer und Verständnislosigkeit, die ich empfand, nicht länger vor ihm verbergen. So abgebrüht war ich nicht.
»Bis du mich verraten hast.«
Meine Worte verhallten in der Stille. Die Temperatur sank und etwas Bedrohliches huschte wie ein eisiger Luftzug durch den Raum. Valerio kniff die Augen zusammen. Er hatte mir gegenüber noch nie die Beherrschung verloren, aber so wie er nun vor mir stand, die Schultern verkrampft, die Lippen zu einer harten Linie zusammengepresst, traute ich ihm alles zu.
»Warum willst du nicht verstehen, dass ich all das hier für uns tue?« Ein Funke seiner Macht, die Kälte des Himmels, die in uns beiden schlummerte, brachte die Atmosphäre zum Knistern. Er machte so abrupt einen Schritt auf mich zu, dass ich nicht schnell genug zurückweichen konnte.
»Bitte, Ellie.« Gleißend helles Licht sprühte wie ein Meer aus grünem Feuer aus seinen Augen. Er packte mich an den Oberarmen und zog mich an sich. Sein eiserner Griff hinderte mich daran, erneut Abstand zwischen uns zu bringen. Angst und Abscheu schnürten mir die Kehle zu. Wie versteinert starrte ich zu ihm hinauf, zu erschrocken, um mich zu wehren. Alles an ihm wirkte zum Zerreißen gespannt und es hätte mich nicht überrascht, wenn er begonnen hätte mich zu schütteln, in der Hoffnung, mir damit »Vernunft« einzubläuen. »Wenn du wüsstest, was ich in den letzten zwanzig Jahren erfahren habe – wenn du verstehen könntest, was ich verstehen musste …« Sein Atem strich über meine Wangen. Seine Finger bohrten sich in mein Fleisch. Er tat mir nicht weh, aber der Eifer in seinem Gesicht, die Verzweiflung in seiner Stimme, trieb mir eine Gänsehaut über den Nacken. Ich bewegte mich zaghaft, wagte es aber nicht, irgendwelche ruckartigen Bewegungen zu machen. Er senkte den Kopf, sodass sein Haar mich an der Stirn kitzelte und ich von seinem Duft nach Leder und Pergament eingehüllt wurde.
»Ich habe meinen Vater an den Höfen der Dämonenfürsten gesucht; war bei jenen, die wie wir vom Himmel zu Unrecht verurteilt wurden. Ich habe miterlebt, wie die Hölle nach Luzifers Tod beinahe im Chaos versunken ist. Bis Azazel seine Brüder davon abhalten konnte, einander auszulöschen, obwohl unser Zorn sich eigentlich gegen die Engel richten sollte, von denen wir bis jetzt nichts als Unrecht erfahren haben.« So viel Wut, so viel Schmerz spiegelte sich in seiner Miene und dem Zittern seines Körpers wider. Sinnlose Brutalität und Ungerechtigkeit hatte er schon immer verachtet und zumindest zeigte er mir, dass dem noch immer so war. »Für sie werden wir niemals mehr als Fehler sein. Und ihr Hochmut schadet nicht nur uns. Der Chor von Aeternitas hat tatenlos dabei zugesehen, wie die Bewohner Arcanums unter der Tyrannei von Claudius leiden mussten. Ein Engel, der gefallen ist, nur weil er eine Hexe geliebt hat. Michael und Gabriel haben Juniper zu brutalen Prüfungen gezwungen, obwohl sie fast noch ein Kind war und mit ihren Schwestern zusammen gerade erst Unvorstellbares überstanden hatte.« Valerio richtete sich auf und fand in sich eine Ruhe, eine Klarheit, die mich völlig verstörte. »Es sind die Engel, die ihre heiligen Gesetze brechen, um eine verquere Vorstellung von Ordnung zu bewahren. Es sind die Engel, die mit ihrem Urteil für Zwietracht sorgen.«
Kraftlos sackten seine Schultern herab und er starrte an mir vorbei, hinaus in den Garten, der von der Dunkelheit verschlungen wurde, als wolle er nicht, dass ich in ihm lesen konnte, was er empfand.
»Der Zweck heiligt nicht die Mittel«, wisperte ich, während sich sein Griff lockerte und er mit den Fingern über meine Arme strich. »Ich will Veränderung genauso wie du. Genauso wie Raphael. Aber nur weil der Chor uns wie Außenseiter behandelt, heißt das nicht, dass wir die Rolle der Opfer als Ausrede nutzen dürfen, um anderen Gewalt anzutun.«
»Manchmal ist gewaltsamer Widerstand die einzige Lösung«, sagte er und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich das genauso bedaure wie du.« Er entfernte sich von mir. Innerlich. Ich fand nicht den Hauch von Reue in seinem Blick.
»Bedauern?«, fragte ich und schüttelte verständnislos den Kopf. »Du bedauerstes also, mich hier gefangen zu halten? Du bedauerst es, Penemue ermordet zu haben?«
Da war er. Der Riss in seiner abgeklärten Haltung. Ohne Penemues Tod wäre dieses Gespräch vielleicht anders verlaufen, aber dass Valerio den Engel, der wie ein Vater zu mir gewesen war, heimtückisch erdolcht hatte, würde ich ihm niemals verzeihen.
»Sein Tod war nicht geplant.«
Ich stieß ein harsches Lachen aus und schob seine Hände von mir, um auf Armeslänge zurückzutreten. Erstaunlicherweise stand ich nicht kurz davor zu weinen, sondern zu explodieren.
»Es ist wirklich beeindruckend, mit was für kreativen Ausreden du mich noch immer zu überzeugen versuchst, dass du so etwas wie ein Gewissen besitzt.«
Valerio fuhr sich erneut durchs dunkle Haar, eine Geste, die mich inzwischen wahnsinnig machte, weil sie verdeutlichte, wie unwohl er sich fühlte. Sein Problem. Wenn sich hier einer unwohl fühlen durfte, dann war ich das.
»Du wirst es noch verstehen«, murmelte er und wagte es, mir ein mildes Lächeln zu schenken, das mir das Gefühl gab, ein naives, stures Kind zu sein. »Ich werde dir dafür so viel Zeit geben, wie du brauchst. Versprochen.« Er hob die Hand und wollte mein Gesicht berühren, aber ich schlug sie beiseite und starrte ihn aufgebracht an.
»Ich habe es längst verstanden und das hat mich nur einen Moment gekostet. Einen Moment, in dem mir klar geworden ist, dass wir beide niemals wieder mehr als eine Erinnerung sein werden.«
Nun schmeckte ich doch die salzigen Tränen in der Kehle, aber die Entschlossenheit, die ich in jeder Faser meines Körpers spürte, war stärker. »Von dir brauche ich nichts mehr. Weder Zeit noch Versprechen.«
Valerio erstarrte und die Energie zwischen uns veränderte sich. Alles an ihm wurde kalt und unnahbar und ich konnte nicht länger einschätzen, was für eine Art der Bedrohung er tatsächlich für mich darstellte.
»Du hast mich schon einmal geliebt«, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. Das tiefe Kratzen in seiner Stimme war eine Warnung und als ich in seine Augen blickte, erkannte ich, dass wir beide nicht länger in derselben Realität lebten. »Du hast mich schon einmal geliebt und ich weiß, dass du es wieder tun wirst, wenn ich all die Illusionen zerstört habe, die dich von mir trennen.« Erneut hob er die Hand und dieses Mal rührte ich mich nicht, obwohl alles in mir danach schrie, so viel Distanz wie möglich zwischen uns zu bringen. Meine Reglosigkeit ließ ihn zufrieden durchatmen und das Lächeln, das sein Gesicht erhellte, während er über das Muttermal auf meinem linken Wangenknochen strich, war ebenso sanft wie verblendet. »Irgendwann wirst du akzeptieren, dass deine Zukunft an meiner Seite ist. Daran habe ich keine Zweifel.«
»Ich schon«, knurrte ich, ballte die Hand zur Faust und schlug zu. Zielsicher traf ich Valerios Kehlkopf, woraufhin er röchelnd nach Luft schnappte und wie vom Blitz getroffen zurückstolperte. Er japste, keuchte, konnte aber nicht schreien, geschweige denn sprechen. Ich wartete nicht, bis er sich von dem Schlag erholte, sondern zückte die Gabel, die ich im Bund meiner Jeans versteckt hatte, setzte ihm mit einem Sprung nach und rammte Valerio das Besteck mit voller Wucht in den Hals.
Sie waren klug genug gewesen, mir kein Messer zu geben, aber mit genügend Kreativität tat es eine Gabel wohl auch.
Mit vor Schmerz und Schock verzerrter Miene stolperte Valerio über den Teppich und fiel rücklings zu Boden. Mir drehte sich der Magen um, als er seinen Hals abtastete und die Gabel stöhnend herauszog. Er presste die Hand auf die Wunde, aus der unaufhörlich Blut sickerte, das an seinen Fingern kleben blieb und sein Hemd durchtränkte. Ich schluckte die Übelkeit herunter und hastete zum Bett, keine Sekunde zu spät, denn der Halbengel, der vor meinem Zimmer Wache hielt und von Valerios dumpfem Aufprall alarmiert worden sein musste, riss die Tür auf und polterte herein.
»Was ist –« Er unterbrach sich, als er den röchelnden Valerio in seinem eigenen Blut liegen sah. Mit weit aufgerissenem Mund stand er einen Moment reglos da, was mir genügend Zeit gab, um die Bettdecke zurückzuschlagen und meinen mit Gewürzen geladenen Strumpf zu packen.
Der Mann nahm mich ins Visier, die Hand bereits am Griff seines Schwertes. Ich schwang meine improvisierte Waffe über dem Kopf und traf seine Schläfe. Wie ein gefällter Baum ging er zu Boden und blieb dort ohnmächtig liegen.
Mit zitternden Fingern, aufgedreht vom Adrenalin, das durch meine Adern pulsierte, riss ich das Schwert aus der Halterung an seinem Gürtel und warf einen letzten Blick zu Valerio, der sich auf die Seite gewälzt hatte und irgendetwas Unverständliches krächzte. Wenn er schneller heilte, als der andere Halbengel erwachte, würde er nach Hilfe schreien können. Mir blieb also nicht viel Zeit.
Ich eilte aus dem Zimmer, zog die Tür hinter mir zu und drehte den Schlüssel im Schloss, bevor ich ihn in die Hosentasche steckte.
Als man mich hergebracht hatte, waren wir von rechts gekommen, also entschied ich mich für diese Richtung. An die Wand gepresst, alle Sinne auf meine Umgebung fokussiert, schlich ich durch die schwach beleuchteten Flure. Ich hörte weder Schritte noch Stimmen und nahm die Präsenz der Dämonenfürsten, Halbengel und Engel nur am Rande meines Bewusstseins wahr. Einzig und allein mein wilder Herzschlag folgte mir durch die Stille. Ich bog in einen Korridor ab, der auf der linken Seite von deckenhohen Fenstern gesäumt wurde. Von meinem Zimmer aus hatte ich einen guten Blick auf den paradiesischen Garten und die Felder, die hinter der hohen Steinmauer lagen, gehabt. Jetzt erkannte ich, wie riesig dieses alte Weingut wirklich sein musste, allein die Auffahrt, die ich von hier aus sah, war mit mindestens zwei Dutzend Autos vollgeparkt. Da ich nicht vorhatte, mir eins davon zu klauen, mal ganz abgesehen davon, dass niemand von Danjals flugunfähigen Gefolgsleuten vergessen hatte, seine Schlüssel abzuziehen, eilte ich weiter, tiefer ins Gebäude hinein.
Ohne Jophiel würde ich nicht fliehen, denn sie hier zurückzulassen, wäre ihr Todesurteil.
Nur, wo hielt man sie versteckt?
Es war undenkbar, dass man sie, so wie mich, in einem der Zimmer untergebracht hatte. Keine gewöhnlichen vier Wände könnten jemals einen so mächtigen Engel wie Jophiel festhalten. Es sei denn, sie war noch immer ruhiggestellt, so wie bei unserer letzten Begegnung.
Was ich brauchte, war ein Schatten. Den Begleiter eines Engels, der hoffentlich wusste, wo Jophiel gefangen gehalten wurde und der auch bereit war, diese Information mit mir zu teilen.
Also rief ich die Finsternis, in der ich nach der Energie von anderen vom Licht des Himmels erfüllten Wesen suchen konnte, vor mein geistiges Auge. Diese lebendige Dunkelheit war erhellt von leuchtenden Sonnen und funkelnden Sternen, Strudeln aus schimmernden Erinnerungen und Emotionen. Ich formte meine Macht zu gleißenden Strahlen, die ich wie Boten aussandte, um eine Essenz zu finden, der ich vertrauen konnte. Es war eine riskante Suche, denn wenn ich das falsche Licht berührte, könnte das einen Engel oder seinen Schatten in Alarmbereitschaft versetzen.
Ich tastete mich weiter, eine Hand an der Mauer, in der anderen das Schwert.
Nach wenigen Schritten blieb ich abrupt stehen, denn einer meiner Strahlen war auf eine Essenz gestoßen, die ich schon einmal gespürt hatte – mehr noch als das –, eine Essenz, die mir schon einmal geholfen hatte.
Ich hielt den Atem an, kniff die Augen zusammen und griff behutsam nach dem Bewusstsein von Harviels Bären.
Hätte sich dieser, auf mein Flehen hin, im Finem mundi nicht gegen seinen Herrn gestellt, wären Uriel oder Raphael jetzt vermutlich tot.
Mit jedem Schritt, den ich tat, wuchsen meine Aufregung und die Verbindung zu seinem Geist.
Ein Klicken, das Öffnen einer Tür, hallte durch die Stille. Panisch presste ich mich gegen die Wand, das Schwert fest umklammert, die Nerven zum Zerreißen gespannt.
Ich linste um die Ecke, bekam weiche Knie und wurde von einem Gefühl der Ohnmacht übermannt.
Da war er. Der Bär.
Nicht nur in der Dunkelheit, die zwischen meinem Verstand und den Lichtern Himmlischer lag, sondern keine fünf Meter von mir entfernt, am Ende des Korridors.
Und er war nicht allein.
»… sicherstellen, dass sie bereit ist. Ich will keine weiteren Komplikationen vor morgen Abend«, hörte ich Danjal sagen, während er die Tür zu dem Raum hinter sich zuzog, aus dem er, Harviel und ihre beiden Schatten gerade traten.
Mein Puls begann zu rasen. Die aufkommende Panik packte mich mit eiskalter Hand und drohte mein Blut zu gefrieren.
Valerio machte mir keine Angst. Sein Vater schon.
»Früher oder später wird sie mehr als nur dein Wort und diese Briefe als Beweis haben wollen«, sagte Harviel und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Der blonde Engel wirkte in seinem maßgeschneiderten Anzug so elegant wie bei unserer ersten Begegnung und verlieh seinem dekadenten Aussehen mit einem Seidentuch, das aus seiner Brusttasche hervorquoll, den letzten Schliff.
»Bis dahin wird der Chor vernichtet und die Stadt gefallen sein.« Danjal straffte den Kragen seines Leinenhemdes und krempelte dessen Ärmel hoch, als wolle er seine definierten Unterarme noch besser präsentieren. Warum war mir nie aufgefallen, wie ähnlich Valerio ihm tatsächlich sah? Die sanft gebräunte Haut, das gewellte Haar – selbst die Art, wie sie sich gebärdeten, mit kontrollierter Eleganz und einem Hauch von Ironie, war die gleiche.
»Lass unseren Freund wissen, dass wir bereit sind und seine Bedingungen akzeptieren«, sagte der Dämonenfürst. Selbst auf diese Entfernung hin wirkte er so bedrohlich, so unantastbar, dass es mir kalt den Rücken hinablief.
Harviel beugte in einer affektierten Geste den Kopf und schmunzelte.
»Selbstverständlich.«
Was auch immer sie planten: Beide waren sich ihrer Sache verdammt sicher.
Danjal wandte sich mit seinem gigantischen Wolf zum Gehen und entschied sich glücklicherweise für die entgegengesetzte Richtung zu dem Flur, in dem ich mich versteckte. Anders als Harviel, der eine Hand in die Hosentasche schob und pfeifend auf dem Absatz kehrtmachte, sodass er direkt auf mein Versteck zuhielt.
Ich wich zurück, atmete dreimal tief durch und wischte die schweißnassen Hände an meiner Jeans ab, damit mir das Schwert nicht aus den Fingern flutschte.
Die Schritte des Engels kamen näher. Die des Bären hörte ich nicht, da seine Pfoten keinerlei Geräusch machten. Ich hielt die Luft an, als der Schatten ein tiefes Brummen ausstieß, woraufhin Harviel stehen blieb und ich in der darauffolgenden Stille nur meinen eigenen Herzschlag hören konnte.
»Was ist, mein Junge?«
Jetzt oder nie.
Ich trat um die Ecke, spannte meine Muskeln an und richtete die Schwertspitze auf Harviel, der langsam den Kopf hob und mich wie ein Reh im Scheinwerferlicht anglotzte.
»Sieh einer an«, sagte er nach einigen Sekunden und klang nicht im Geringsten beunruhigt. »Welches kleine Vögelchen hat denn da seinen Käfig verlassen?«
Er hob eine Augenbraue und musterte mich mit schiefem Lächeln. »Hast du es doch tatsächlich geschafft, Valerio zu entwischen, hm?« Er nickte anerkennend und deutete mit dem Kinn auf das Schwert. »Und dir dabei gleich ein sehr interessantes Spielzeug stibitzt.«
»Sei still«, befahl ich und trat auf ihn zu. Seufzend hob er die Hände, auch wenn er ansonsten völlig entspannt blieb.
Ich sah mich um und nickte zu der Tür, die hinter ihm lag. »Rein da.«
Hier draußen im offenen Flur war jede Sekunde ein Risiko. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, war in dem Raum, den die beiden Männer gerade erst verlassen hatten, um einiges geringer. Harviel schnalzte mit der Zunge und sah auf seinen Bären hinab, der mich mit leeren Augen anstarrte. Ich hatte schon bei unserer ersten Begegnung gespürt, wie eingeschüchtert sein Geist war, und dass er jetzt keine Anstalten machte, seinen Herren vor mir zu beschützen, verdeutlichte erneut, was für eine geschädigte Beziehung die beiden zueinander hatten.
Vielleicht nahm er mich aber auch nicht als Bedrohung wahr und wartete nur auf Harviels Befehl, mich in Stücke zu reißen.
»Mach die Tür auf«, sagte ich und der Engel gehorchte. Nacheinander traten wir in den Raum, der sich als Arbeitszimmer herausstellte, dessen Einrichtung an den altenglischen Landhausstil erinnerte. Auf einem massiven Schreibtisch aus Kirschholz stapelten sich Bücher und Dokumente. Daneben spendete eine Stehlampe warmes Licht. Alle Wände waren mit deckenhohen Bücherregalen zugestellt und in der Luft hing Danjals unverkennbare Essenz. Ein Duft nach Kiefern und fernöstlichen Aromen, der meinen Brechreiz kitzelte. Ich bedeutete Harviel, sich auf einen der beiden Ledersessel zu setzen, zwischen denen ein kleiner Beistelltisch stand. Er ließ sich in die Kissen fallen, legte die Arme auf die Lehnen und machte es sich bequem. Sein Bär setzte sich vor die Tür, war aber selbst in dieser Position noch fast genauso groß wie ich. Mit seinem Maul hätte er meinen Schädel problemlos zerquetschen können, doch er wirkte vollkommen ruhig und sah mich mit geduldiger, müder Miene an. Harviel war nicht anzumerken, was er von dem Verhalten seines Schattens hielt. Er wirkte allerdings ziemlich gelassen.
»Hast du einen Plan, meine Liebe, oder bin ich Teil deiner Improvisation?«
»Improvisation ist der Plan«, antwortete ich mit einem zaghaften Lächeln. Ich hatte es geschafft, mich mit einer Gabel und einer Socke zu befreien, was vielleicht für Einfallsreichtum, aber nicht zwangsläufig für Genialität sprach.
»Verstehe«, sagte Harviel und faltete die Hände vor dem Bauch.
Wir ließen einander nicht aus den Augen, als ich mich dem Schreibtisch näherte und die darauf liegenden Dokumente begutachtete. Das Schwert noch immer auf Harviel gerichtet, schob ich mit der freien Hand ein paar Blätter beiseite und erstarrte, als ein dickes Buch zum Vorschein kam. Ohne Titel, ohne Autor. Der hellblaue Lederumschlag war völlig zerschlissen.
Ich kannte dieses Buch.
Aber es sollte eigentlich nicht hier sein, sondern im Laden von Penemue, zusammen mit seinen anderen, wild durcheinandergemischten Schriften. Mir schnürte sich die Kehle zu und wie unter Strom stellten sich mir die Nackenhaare auf.
Valerio hatte Penemue ermordet, weil dieser etwas gefunden hatte, das er nicht hätte finden sollen. Und wenn eines seiner Bücher hier in Danjals Arbeitszimmer lag, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass es entscheidende Informationen enthielt, wegen derer Penemue hatte sterben müssen.
Mein Magen verkrampfte sich. Ich presste die Lippen zusammen, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken, als die Erinnerungen mich zu ertränken drohten.
Jede Nacht sah ich Penemues aufgeschlitzte Kehle und den leblosen, blutüberströmten Körper des kleinen Omri vor mir.
Ich vermisste sie so sehr, dass es schmerzte.
Schnell schluckte ich den Kloß im Hals herunter und nahm das Buch an mich. Dabei fiel mir ein Schwung Briefe auf, von denen jeder mit den Worten: Liebste Wilana begann.
Beinahe hätte ich das Schwert fallen lassen.
Dieser niederträchtige, nach einer orientalischen Gewürzmischung stinkende Scheißkerl!
Danjal schien ein Talent und ein Faible dafür zu haben, mit den Herzen verliebter Frauen zu spielen. Das erklärte zumindest, von welcher Seite der Familie her Valerio seine Hinterhältigkeit hatte.
Ich überflog die Briefe, die nicht echt sein konnten, weil sie mit dem Namen Nauelunterzeichnet waren. Wilanas Geliebter. Der Wächterengel, der sein Leben auf den Stufen des Berges Tabbur lassen musste, nachdem er Valerio dabei geholfen hatte, Danjal zu befreien.
Der Dämonenfürst musste diese Schreiben verfasst haben, um Nauels Ermordung zu vertuschen und sich damit weiterhin Wilanas Loyalität zu sichern.
Das beantwortete meine Frage, ob die Hexe wusste, dass die Männer, denen sie half, Engel zu töten, auch jene waren, die ihren Engel auf dem Gewissen hatten.
Angewidert ließ ich die Briefe sinken und sah Harviel an, der misstrauisch die Stirn in Falten legte. Danjal und er hatten keine Ahnung, dass ich von der Beziehung zwischen Wilana und Nauel wusste, weil ich die Hexe leidlich in den Erinnerungen des ermordeten Wächterengels gesehen hatte.
Das war mein Trumpf.
»Wo ist Jophiel?«, fragte ich und klemmte mir das Buch unter den Arm, was Harviel mit einer hochgezogenen Braue zur Kenntnis nahm.
»Ah verstehe«, murmelte er, brummte ein leises Lachen und spottete damit über meinen Versuch, Herrin der Lage zu sein. »Deswegen bist du noch hier.«
»Wenn du es mir nicht sagst, wird es dein Schatten tun.«
Das war hoch gepokert. Es gab keine Garantie, dass der Bär mir noch einmal so bereitwillig helfen würde.
Harviel kniff die Augen zusammen und der spöttische Zug um seinen Mund verhärtete sich.
»Lassen wir es darauf ankommen.« Er nagelte mich mit seinem Blick fest und begann wortwörtlich Däumchen zu drehen. »Es hat mich ernsthaft beeindruckt, was für einen Einfluss du bei unserer ersten Begegnung auf ihn hattest.« Entspannt lehnte er sich zurück und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir mögen nicht eine ganz so innige Beziehung zueinander hegen, aber dass sich Malchus gegen mich wenden würde, hatte ich trotzdem für undenkbar gehalten.«
Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen, das sein sonst so hübsches Gesicht in die Fratze einer garstigen Hyäne verwandelte. »Für ein so harmlos wirkendes Halbengelchen benutzt du ganz schön fiese Tricks.«
Bevor Harviel wusste, wie ihm geschah, war sein Schatten vor ihn gesprungen und richtete sich mit erhobenen Tatzen zu seiner vollen Größe auf.
Sowohl der Engel als auch ich fuhren erschrocken zusammen, als der Bär das Maul aufriss und seine Reißzähne präsentierte, von denen der Speichel auf Harviel hinabtropfte.
Ich hatte Malchus um nichts gebeten und doch war meine Wut wie ein Befehl für ihn gewesen, seinen eigenen Herren in die Schranken zu weisen. Die metaphysische Verbindung zwischen uns pulsierte und war erfüllt von Emotionen, die er mit mir teilte. Ich sah in der lebendigen Dunkelheit vor meinem geistigen Auge seine Essenz in allen Farben leuchten und spürte, wie bereitwillig er unser beider Bewusstsein mit leuchtenden Fäden verknüpfte. Er hatte so lange keine Nähe mehr gespürt, dass nun die meine für ihn wie ein Rettungsring in diesem endlosen Meer der Finsternis sein musste.
Harviel starrte seinen Begleiter mit aufgerissenem Mund an und krallte die Finger in die Lehnen des Sessels. Er war kreidebleich geworden.
Ich hingegen schob meinen Schock achtlos beiseite, trat neben den Bären und schenkte Harviel ein freundliches Lächeln.
»Willst du es noch immer darauf ankommen lassen?«
Malchus brummte, sank zurück auf alle viere und konnte problemlos seinen Schädel auf meiner Schulter ablegen. Mit der feuchten Nase stupste er meine Wange an, bis ich die freie Hand in seinem Fell vergrub und in kraulte.
Nicht eine Sekunde länger fürchtete ich, dass er mir seine Zähne doch noch in den Hals schlagen würde, denn die Zuneigung, die er mich spüren ließ, sprach Bände.
»Wo. Ist. Jophiel?«, fragte ich und hob das Schwert auf die Höhe von Harviels Hals. Als die Spitze seine Kehle berührte, zuckte er zusammen. Noch übte ich keinerlei Druck aus, aber die Geste reichte, um ihn auch den Rest seiner Überheblichkeit vergessen zu lassen. Er spannte die Schultern an und leckte sich nervös über die Lippen. Sein Blick huschte von der Klinge zum Bären und bohrte sich schließlich feindselig in mich. Auch wenn ich Malchus hätte fragen können, wollte ich die Antwort von Harviel hören. Dieser atmete abgehackt und ließ das Licht seiner Flügel aufleuchten. Ich drehte meinen Arm und die Spitze des Schwertes drang in die Haut des Engels ein.
»In einem der Weinkeller«, stieß Harviel hervor und presste den Kopf gegen die Rückenlehne. Ein Blutrinnsal floss ihm den Hals hinab und wurde vom Kragen des Hemdes aufgesogen. Ich spürte in der Kälte, die von dem Engel ausging, wie gerne er der Macht in ihm freien Lauf gelassen hätte, aber keiner von uns beiden wusste genau, was passieren würde, wenn er es wagte, mich jetzt anzugreifen.
Würde Malchus ihn töten? Vielleicht.
»Wo genau?«
»Im Westflügel. Aus der Tür heraus, nach links, zwei weitere Flure jeweils rechts abbiegen und dann eine breite Steintreppe hinab. Dort unten gibt es eine große Holztür, kaum zu übersehen, aber ich verrate dir etwas, kleiner Halbengel«, er mahlte mit dem Kiefer und lehnte sich ein Stück nach vorne, obwohl so die Klinge noch tiefer in sein Fleisch eindrang, »du wirst es nicht einmal bis zum Ende des Flurs schaffen, geschweige denn die Treppe hinab. Und hierfür«, er strich mit dem Daumen über seine Kehle und leckte sich das eigene Blut vom Finger, »werde ich mich revanchieren.«
Ich schnaubte und riss das Schwert zurück, damit ich nicht noch der Versuchung erlag, ihm den Hals durchzuschneiden.
»Das würde mir mehr Angst machen, wenn dich nicht selbst dein eigener Schatten für ein affektiertes Großmaul halten würde.«
Das Buch unterm Arm, wandte ich mich ab und eilte zur Tür, weil ich alles hatte, was ich brauchte, und nicht noch mehr Zeit vertrödeln wollte. Ich warf einen letzten Blick zu Harviel, der im Sessel sitzen blieb und entspannt ein Bein über das andere schlug.
Warum hielt er mich nicht auf?
In der Sekunde, in der ich die Klinke herunterdrücke, hob Malchus witternd den Kopf und stieß ein markerschütterndes Knurren aus. Ich riss die Tür auf, Hitze schoss mir entgegen und der Vorgeschmack der Hölle legte sich wie Asche auf meine Zunge. Mein Blut verwandelte sich in Feuer und drohte mich von innen heraus zu verbrennen. Ich starrte zu Danjal hinauf, der die Hand noch halb erhoben hatte und mich überrascht anblinzelte.
Das Buch fiel mir aus den Armen und die Welt vor meinen Augen verschwamm.
Der Dämonenfürst neigte den Kopf zur Seite und schenkte mir ein Lächeln.
»Wärst du doch meine Tochter, könnte ich fast stolz darauf sein, wie gerissen du bist.«
Danjal war zu dem Monster geworden, das meine Albträume regierte, aber in diesem Moment war ich wach, bewaffnet und frei von seinen Klauen, die mich im Schlaf fest im Griff hatten.
Gemächlichen Schrittes trat er auf mich zu und mir blieb nichts anderes übrig, als in den Raum zurückzuweichen. Seine gelassene Haltung konnte dabei nicht über die Bedrohung hinwegtäuschen, die von ihm ausging.
»Ich brenne darauf, zu erfahren, wie du aus deinem Zimmer entwischt bist«, sagte er und die Spannung zwischen uns wuchs.
»Halt still, dann zeig ich es dir«, zischte ich, drängte die aufsteigende Panik zurück und überließ meiner Wut die Führung.
Das Schwert fest in der Hand, spannte ich jeden Muskel an und stürzte mich auf ihn. Ich hatte den Hals seines Sohnes nicht mit einer Gabel punktiert, um mich jetzt von seiner Arroganz einschüchtern zu lassen.
Die Klinge sauste durch die Luft und hätte ihm mühelos den Kopf abgeschlagen, wenn er diesen nicht in der letzten Sekunde zurückgerissen hätte. Der Schwung meines eigenen Hiebes riss mich beinahe von den Füßen, aber ich konnte mit einem Ausfallschritt nach vorne das Gleichgewicht rechtzeitig halten und nutzte die Bewegung für eine leichte Drehung nach links.
Malchus stieß ein Brüllen aus, das die Fenster zum Zittern brachte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er losstürmte, um mir zu helfen, doch in der gleichen Sekunde schoss ein dunkler Blitz an mir vorbei und bohrte sich in die Flanke des Bären. In einem Sturm aus weißem Fell und schwarzem Rauch krachte er mit Danjals Wolf, der sich in ihm festgebissen hatte, gegen das Bücherregal. Bretter brachen, Papiere flatterten wie aufgescheuchte Vögel durch die Luft. Es war ein blutiges Knäuel aus Reißzähnen und Krallen, die sich mit überirdischer Kraft gegenseitig zu zerfetzen suchten.
Das Geräusch von aufeinanderschlagenden Kiefern und berstenden Knochen ging mir durch Mark und Bein, aber wenn ich Malchus helfen wollte, musste ich erst Danjal besiegen.
Dieser war ein begnadeter Kämpfer, das hatte ich bereits am eigenen Leib erfahren dürfen. Gerade eben hielt er mich mit Leichtigkeit auf Abstand und hielt es wohl nicht für nötig, selbst zum Angriff überzugehen.
Fein. Wenn ich ihm nicht das Herz durchbohren konnte, würde ich vielleicht wenigstens die Augen aus dem Kopf brennen können.
Ich riss die Waffe nach oben und zwang die Zeit meiner Welt, sich zu verlangsamen. Plötzlich sah ich alles ganz klar und deutlich. Die Klinge zischte an Danjals Gesicht vorbei und säbelte ihm ein paar seiner Haare ab. Er schnaubte, ließ zu, dass ich das Schwert drehte und frontal auf ihn losging. Kurz bevor die Spitze seine Stirn durchbohren konnte, bekam er mein Handgelenk zu fassen und funkelte mich an. Seine Gelassenheit war angesichts der Waffe, die nur Zentimeter von seinem Gesicht verharrte, verschwunden. Ich erkannte deutlich, wie es an seinem Stolz nagte, dass es mir gelungen war, ihn in die Enge zu treiben.
Sein Griff wurde fester und ich presste die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Er riss meinen Arm nach oben, sodass ich direkt vor ihn gezogen wurde, und ein scharfer Schmerz schoss durch meine Schulter, als er sie beinahe auskugelte. Die Hitze seines Zorns prickelte auf meiner schweißnassen Haut. Aber mich so nah an sich heranzulassen, war ein Fehler.
Ich atmete tief ein, lächelte und ließ den Griff des Schwertes los. Danjals Augen weiteten sich. Wie in Zeitlupe fiel die Klinge zwischen uns, wurde aber von meiner freien Hand aufgefangen, kurz bevor sie auf den Boden knallen konnte. Der Dämonenfürst ließ mich ruckartig los und wollte nach meinem anderen Arm greifen, doch genau in diesem Moment ließ ich in meiner nun freien Hand das Licht des Himmels explodieren. Vielleicht war ich nur zur Hälfte ein Engel, aber diese Hälfte wusste, wie man die Dunkelheit vertrieb und besaß genügend Kälte, um gegen das Feuer der Hölle anzukämpfen.
Danjal schrie auf und wandte das Gesicht ab, als zwischen uns die Strahlen einer weißglühenden Sonne in alle Richtungen schossen und den Raum durchfluteten.
Meinen Augen tat das Licht nichts, weshalb ich Danjals Orientierungslosigkeit nutzen konnte, um ihm das Schwert in den Bauch zu rammen. Ich nagelte ihn gegen die Wand und drückte die Klinge noch ein Stück tiefer.
Das Licht ebbte langsam ab und ich starrte Danjal keuchend an. Er blinzelte verwirrt, sah an sich hinab und brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, dass ich ihn gerade wie ein Schwein aufgespießt hatte. Tarel und Raphael hatten mich gelehrt, dass wir alle ein ungerechtes Spiel spielten. Entweder man ließ sich darauf ein, oder man verlor.
Und es fühlte sich verdammt gut an, dessen Regeln zu brechen.
Hinter mir riss Harviel die Flügel hoch und ein eisiger Sturm umtoste mich. Er hielt es offenbar erst jetzt für nötig, Danjal zu Hilfe zu eilen, doch dieser hob die Hand und gebot ihm Einhalt.
»Glückwünsch, Elodie«, knurrte er abgehackt, »wir scheinen dich nicht länger mit Samthandschuhen anfassen zu müssen.«
Ich ließ das Schwert los, stolperte zurück und wollte Richtung Tür rennen, doch mein kurzer Triumph hatte mich vergessen lassen, wie zäh ein Dämonenfürst wirklich war.
Ich spürte seinen Angriff, noch bevor er mich traf. Die Energie im Raum zog sich zusammen, strömte von allen Seiten auf Danjal zu, der das Zentrum einer Supernova wurde. Goldenes Höllenfeuer schoss aus seinen Fingern, raste wie eine Sternschnuppe auf mich zu und traf meine Brust. Ich wurde von den Füßen gerissen und durch das Zimmer geschleudert. Bei lebendigem Leib zu verbrennen hätte nicht schmerzhafter sein können, obwohl die Flammen meiner Haut keinen Schaden zufügten. Vielmehr fraßen sie sich durch diese hindurch und strömten in jeden Winkel meines Körpers. Mir wurde die Luft aus der Lunge gepresst, als das Fenster meinen Flug stoppte. Ich sackte zu Boden und blieb reglos liegen, wagte es nicht, mich zu rühren, weil jeder Knochen in meinem Körper gebrochen zu sein schien. Leider reichte das nicht aus, um mich das Bewusstsein verlieren zu lassen.
Glühende Nadeln durchbohrten meine Eingeweide, Asche und Glut vermischten sich mit meinem Blut. Die Kälte des Himmels, die jede Faser meines Seins ausmachte, verwandelte sich in Lava und verbrannte meine Nerven wie trockenes Stroh. Ich glaubte, an den Flammen in meinem Rachen zu ersticken und schrie die Qualen, mit der die Hölle mein Herz zu zerstören drohte, mit aller Kraft heraus.
Danjal trat vor mich, sich die blutende Wunde haltend. Er war blass und wütend, auch wenn sein vermeintlich freundliches Lächeln leicht darüber hinwegtäuschen konnte.
Langsam ebbte der Schmerz ab. Ich schaffte es kaum noch, die Lider offen zu halten, geschweige denn, einen Muskel zu rühren. Meine Sicht war verschwommen, meine Kehle rau vom Schreien. Ich mobilisierte all meine Kräfte, um zumindest meinen Kopf zu heben, aber mein Körper gehorchte mir nicht länger.
Danjal ging vor mir auf ein Knie.
»Mut ohne Macht ist so nutzlos wie ein Gott, an den niemand glaubt.« Er rümpfte die Nase und musterte mich voller Bedauern. »Wehre dich ruhig gegen das, was du nicht akzeptieren kannst, aber wundere dich nicht, wenn jene, die nichts mehr zu verlieren haben, immer stärker sein werden als du.«
Ich schmeckte Blut im Rachen, besaß aber nicht die Kraft, es ihm ins Gesicht zu spucken. Er erhob sich und trat einen Schritt zurück. Hinter ihm stürmten zwei Halbengel in den Raum. Einer von ihnen war Salvatore. Mit erschrockener Miene sah er zu Malchus, der wimmernd am Boden lag. Hadar hatte ihn übel zugerichtet, obwohl er nicht einmal halb so groß war wie der Bär. Harviels Schwingen leuchteten und ich spürte, dass er seinen Begleiter durch ihre metaphysische Verbindung zum Gehorsam zwang. Malchus’ Geist war zu schwach, sich dagegen zu wehren. Er stöhnte auf und bat mich mit gebrochenem Blick um Verzeihung. Tränen rannen mir über die Wangen, ich konnte sie nicht zurückhalten.
Irgendwann würde ich ihn von Harviel befreien. Das schwor ich mir. Ob das möglich war, wusste ich nicht, aber seine Seele verdiente mehr.
»Auf die Beine mir ihr«, befahl Danjal. »Es ist an der Zeit, dass unser Gast begreift, gegen was sie zu rebellieren versucht.«
Die beiden Halbengel packten mich an den Armen und rissen mich auf die Beine, wobei Salvatore es nicht versäumte, meinen Nacken zu packen, um mir mit festem Griff zu demonstrieren, wie viel Vergnügen ihm meine missliche Lage bereitete.
»Hübsch und dumm. Eine wenig überraschende Kombination.« Sein gehässiges Lachen strich über meinen Hals, als sie mich hinter Danjal, aus dem Zimmer heraus, die Flure entlangschleiften.
Ich hatte keine Ahnung, wohin man mich brachte, aber mit jedem Schritt, den wir taten, wuchs meine Angst.
Das Weingut war wunderschön und beängstigend zugleich.
Aus weißem Kalkstein erbaut, verströmt es den Charme vergangener Jahrhunderte. Wir verließen das Hauptgebäude, wanderten durch den von Glühwürmchen erhellten Innenhof und betraten eine gigantische Treppe, die hinter einem von zwei Engeln bewachten Holztor lag. Die Stufen führten hinab in einen Keller, der an die unheimlichen Katakomben Roms erinnerte. Ein beklemmendes Gefühl bohrte sich in meinen Magen und versetzte all meine Instinkte in Alarmbereitschaft. Die Dunkelheit in den Ecken wirkte lebendig, die Energie, die zwischen den Ritzen der Steinmauern pulsierte, bedrohlich.
Durch einen großen Rundbogen traten wir hinaus auf eine Empore, die von bewaffneten Männern umstellt war. Ihre Blicke bohrten sich in mich und die Halbengel unter ihnen versäumten es nicht, mir mit ihren angewiderten Gesichtern das Gefühl zu geben, eine Verräterin zu sein. Ich reckte das Kinn und gab mir alle Mühe, sie zu ignorieren, als man mich zum Geländer zerrte und ich bei dem Anblick, der sich mir bot, zu atmen vergaß. Unter den gewölbten Decken hingen flackernde Leuchten und erhellten eine Halle, deren Betonwände meterhoch mit Fässern und Holzregalen zugestellt waren. Einst musste das hier ein riesiges Weinlager gewesen sein, doch für Danjals Zwecke war es zu einer Kaserne umgewandelt worden. Engel, Halbengel und Dämonenfürsten schärften Hieb- und Stichwaffen, die auf meterlangen Tafeln ausgebreitet lagen. Rüstungen und Schwerter wurden in Feuern geschmiedet, deren Hitze die Kälte des gigantischen Saals längst vertrieben hatte. Dutzende von Zelten boten grimmig dreinblickenden Männern einen Schlafplatz, wenn sie nicht gerade in einer der improvisierten Arenen trainierten oder das Waffenarsenal in Schuss hielten. Es roch nach Eisen, Kohle, Schweiß und Angriffslust. Die gegensätzlichen Kräfte eisiger Winde und feuriger Stürme wirkten permanent aufeinander ein und brachten die Luft zum Knistern. Das hier war ein Pulverfass, ein brodelnder Hexenkessel, nur dass in ihm keine Hexen wüteten, sondern all jene, die vom Himmel verraten worden waren. Ein Lager voller Soldaten – mit und ohne Flügel, die sich auf einen Kampf vorbereiteten, der das Machtgefüge der Welt verschieben würde.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, fragte Danjal, der neben mir stand, und stolz auf sein Werk hinabblickte. Die Arme auf dem Rücken verschränkt, wirkte er wie ein General, in seinen Augen lag die Gewissheit, dass der Sieg ihm gehörte.
»Du bist wahnsinnig«, wisperte ich und wurde vom Schwindel gepackt, als mir das Ausmaß der Katastrophe, in die er uns alle schicken wollte, bewusst wurde.
»Nein«, sagte Danjal amüsiert und musterte mich von oben herab. »Ich bin konsequent.«
Ein Politiker hätte ihm für diese Aussage vermutlich applaudiert. Aber was erwartete ich auch? Das ein aus dem Himmel verbannter, von Rache getriebener Warlord zu gewaltfreier Konfliktlösung fähig war?
»Du schickst deine Leute in den sicheren Tod, wenn du sie gegen die Heerscharen der Engel kämpfen lässt!« Ich zerrte an meinen Armen und hätte am liebsten durch das gesamte Lager geschrien, dass sie alle einem Verrückten gehorchten. Denn was war ein Krieg, wenn nichts anderes als das Versagen jener, an die voller Hoffnung geglaubt wurde.
Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hoffnung auf Gerechtigkeit. Nichts davon würde irgendeiner von uns bekommen, wenn wir es mit Blut und Gewalt zu erlangen versuchten. »Und selbst wenn es dir gelingt, Michael und Raphael zu töten, wird der Sturz ihrer Paläste nicht ausreichen, um die Stadt oder ihre Armeen zu zerstören.«
»Zerstören?«, fragte Danjal stirnrunzelnd. »Du denkst, mit dem Tod der Erzengel wollen wir Aeternitas zerstören?« Er stieß ein raues Lachen aus, in das einige seiner Männer einfielen.
»Wir werden nicht zerstören, was uns gehört«, sagte er und lehnte sich gegen das Geländer. »Weißt du, als ich daran gescheitert bin, Azazel zu stürzen, weil ich unglücklicherweise von seiner kleinen, furchtbar nervigen Hexe aufgehalten worden bin, wurde mir klar, dass nicht die Hölle die Macht besitzt, die oberste Ordnung zu ändern. Ich hatte geglaubt, für alle Gefallenen und Verbannten, für alle Ausgestoßenen und Verurteilten etwas verändern zu können, wenn ich erst einmal auf dem Thron des Teufels säße.«
»Du armer, missverstandener Samariter«, schnaubte ich und schluckte den Schmerz herunter, der mir durch die Schulter schoss, als Salvatore meinen Arm ruckartig ein Stück höher drückte. »Und weil dein Plan zur Weltverbesserung gescheitert ist und June dir offensichtlich einen Teil deiner Männlichkeit geraubt hat, dessen Verlust du jetzt mit großen Waffen kompensieren musst, willst du dir im Himmel einen Thron aufstellen, wenn du den der Hölle schon nicht haben kannst.«
»Niemand wird mehr einen Thron brauchen, wenn Aeternitas nicht länger unter der Herrschaft des Chores steht.«
Danjal kam mir so nahe, dass mir sein Duft zu Kopf stieg und ich an mich halten musste, nicht zu würgen, als er sich zu mir hinabbeugte, damit wir auf Augenhöhe waren.
»Aeternitas wird endlich ein Zuhause sein, das wir alle verdient haben. Auch du, Elodie. Warum also sträubst du dich so sehr gegen unsere Pläne? Schließlich tue ich das auch für Halbengel wie dich.«
»Hauptsächlich, weil ich ein Problem mit deiner Herangehensweise habe und du nicht gerade zu den Personen gehörst, die jemals etwas für andere tun würden.«
Bevor er darauf antworten konnte, hallte das Trampeln schwerer Schritte, die die Treppen herunterkamen, durch den Gang hinter uns. Danjal und ich wandten zeitgleich die Köpfe und sahen Valerio, der, flankiert von zwei Halbengeln, auf uns zumarschiert kam. Einer von ihnen war der Mann, den ich mit meiner Socke außer Gefecht gesetzt hatte. Die Wut, die in seinen Augen blitzte, zeigte eindeutig, dass er mir das verdammt übel nahm, aber es war Valerios eiskalte Miene, die mich erschreckte.
»Und wo hast du dich herumgetrieben, mein Junge?«, fragte Danjal und richtete sich auf. »Fast hättest du den sehr amüsanten Ausbruchsversuch deines eigenen Mädchens versäumt.«
»Ganz im Gegenteil. Ich war hautnah dabei«, knurrte Valerio, würdigte seinen Vater aber keines Blickes. Ehe ich mich’s versah, war er bei mir, vergrub seine Hand in meinem Haar und riss mich aus dem Griff der Männer. Ich erstarrte, schnappte nach Luft, als er mich aus dem Gleichgewicht brachte und gewaltsam zurückdrängte. Mein Rücken stieß gegen das eiserne Geländer und ein scharfer Schmerz schoss durch meine Wirbelsäule. Er drängte seinen Körper gegen den meinen und zog mir den Kopf in den Nacken. Mit der freien Hand griff er nach meiner Kehle und presste mir den Daumen ins Fleisch. Vor Schreck erstarrt sah ich zu ihm auf.
»Du hättest auf mein Herz zielen sollen. Erst wenn das aufhört zu schlagen, werde ich uns beide aufgeben«, sagte er, eine Verzweiflung in der Stimme, die mich völlig unvorbereitet traf. Sein flackernder Blick verriet, wie sehr ich ihn verletzt hatte. Nicht nur physisch.
»Du hast mir mein Herz gebrochen, denkst du wirklich, ich würde die nächste Gelegenheit nicht nutzen, um dir deines zu durchbohren?«, knurrte ich und sträubte mich dagegen, ihm gegenüber so etwas wie Schuldgefühle zu empfinden. Valerio starrte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen nieder und schüttelte verständnislos den Kopf.
»Sieh mich an und sag mir, dass du mich töten könntest.« Der Griff in meinem Haar verstärkte sich und Valerio beugte sich über mich, bis seine Nasenspitze beinahe die meine berührte.
»Nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben? Nach allem, wovon wir gemeinsam geträumt haben, Ellie?«, flüsterte er und strich mit dem Daumen über meinen Hals.
Ich blickte ihm fest in die Augen. Die Scherben unserer zerbrochenen Träume taten mir nicht länger weh. Für mich selbst zu kämpfen, hatte ihre Kanten abgestumpft.
»Ja.«
Valerio durfte niemals wieder Teil meines Lebens werden. Und wenn er mich dazu zwingen wollte, Teil des seinen zu bleiben, würde ich ihn töten.
Er holte tief Luft, roch die Wahrheit in diesem simplen Wort, das sich wie Gift durch seinen Verstand zu fressen drohte.
»Fein«, knurrte er und verbannte all seine Emotionen aus dem Gesicht. »Wir werden sehen, wessen Herz zuerst verliert.« Das Beben seines Körpers und die Anspannung in seinen Muskeln jagten mir kalte Schauer über den Rücken. Ich spürte seine Geduld wie einen zerfaserten Faden zwischen uns, der jeden Moment reißen würde.
Seine Hand um meine Kehle zuckte.
Valerio war mir gegenüber noch nie handgreiflich geworden.
Er war der Einzige gewesen, dem ich jemals verraten hatte, was mir im Waisenhaus angetan worden war.
Und er war der Erste gewesen, dessen körperliche Nähe mir nach Jahren voller Misstrauen keine Angst mehr gemacht hatte.
Dass er mich jetzt so packte – dass er mich seinen Zorn spüren ließ, schleuderte mein Bewusstsein zurück in den Körper des kleinen Mädchens, das sich gegen die Misshandlungen nicht hatte wehren können.
Seine Hände taten mir nicht weh, weil sie mich festhielten, sondern weil sie sich in Narben gruben, von denen Valerio ganz genau wusste, wie lange sie zu heilen gebraucht hatten.
Alles Vertrauen, das ich ihm gegenüber jemals empfunden hatte, verfaulte binnen eines Augenblicks und zerfiel zu Asche.
»Tu, was du nicht lassen kannst«, wisperte ich und erwiderte seinen Blick mit so viel Stolz, wie ich gerade noch zusammenkratzen konnte. Die angespannte Stille zwischen uns füllte sich mit seinem Atem, der heiß auf meine Wangen traf.
»Raphael wird morgen Abend sterben und dann wirst du niemanden mehr haben. Niemanden außer mir.«
Er starrte mir in die Augen, suchte nach einer Reaktion, aber ich presste die Lippen zusammen und versteckte die Panik, die diese Worte in mir auslösten.
Schweigend wartete ich darauf, dass er die Kontrolle verlor, dass er mich schlug oder zu würgen begann, doch stattdessen stieß er ein kehliges Geräusch aus und ließ abrupt von mir ab. Ich stolperte zurück und wurde von Salvatore aufgefangen, der mich erneut packte.
»Bringt sie zurück in ihr Zimmer«, befahl Danjal, der unsere Auseinandersetzung beobachtet hatte.
»Nein«, widersprach Valerio und glättete seine Miene. »Elodie wird heute Nacht bei mir schlafen.«
Wir funkelten einander an. Das dreckige Gelächter der anderen Männer drang wie durch Watte an mein Ohr, während sich mir das Gefühl absoluter Hilflosigkeit in den Magen grub.
Salvatore riss mich an sich und zerrte mich auf die Treppe zu, als ich aus dem Augenwinkel einen schwarzen Haarschopf wahrnahm, der mich aus meiner Taubheit befreite.
»Wilana!«, schrie ich, ohne nachzudenken. Die Hexe zuckte erschrocken zusammen und wandte den Kopf zu uns hinauf. Sie wirkte völlig fehl am Platz. Ihre Haltung war gebeugt, ihr zierlicher Körper klein und schmächtig. Was sie dort unten machte, wusste ich nicht, aber das hier könnte meine einzige Chance sein, ihr die Wahrheit zu sagen. Bevor Salvatore reagieren konnte, rammte ich ihm den Hinterkopf gegen die Nase. Er schrie auf und lockerte den Griff genug, sodass ich ihm den Ellenbogen in die Rippen stoßen konnte. Mit einem Ruck befreite ich mich und stürzte ans Geländer.
»Nauel ist tot!«
Wilana blinzelte und verstand offenbar nicht, was ich ihr da zurief. »Er ist tot!«, wiederholte ich. Immer und immer wieder, bis der Hexe alle Farbe aus dem Gesicht wich und die Bedeutung meiner Worte zu ihr durchsickerte. Es tat mir leid, ihr diese Tatsache auf solch grausame Art und Weise sagen zu müssen, aber mir blieb nichts anders übrig.
»Er wurde ermordet!«
Wie erstarrt stand sie da, die Arme schützend um den Körper geschlungen, und sah mich verunsichert an. Sie wirkte vollkommen verloren zwischen den Männern, die ihre Arbeit unterbrachen, und ebenfalls zur Empore hinaufblickten.
»Sie lügen, Wilana«, keuchte ich und klammerte mich am Geländer fest. »Sie lügen über alles. Nauel ist tot. Ich habe seine Leiche in Aeternitas mit eigenen Augen gesehen. Und ich habe dich gesehen. In seinen Erinnerungen. Die Briefe, die du bekommst, sind von Danjal. Er und Valerio haben ihn getötet. Sie belügen dich, Wilana!«
Hände packten mich und rissen mich zurück. Salvatore verpasste mir eine schallende Ohrfeige, die mich Sterne sehen ließ, aber ich sträubte mich gegen die schwarzen Schleier und wehrte mich wie eine Furie.
»Sie lügen!«, schrie ich und strampelte mit den Beinen. »Nauel ist tot! Warum auch immer du ihnen hilfst, tu es nicht länger für ihn! Siehaben ihn ermordet!«
»Halt die Klappe, du kleines Miststück!«, knurrte Salvatore und hielt mir den Mund zu.
Ich schnaubte und wand mich, trat um mich und dachte gar nicht daran, nachzugeben.
Danjal und Valerio, die tatenlos vor mir standen, zuckten nicht einmal mit der Wimper. Der Dämonenfürst blickte zu Wilana hinab, die ich nicht länger sehen konnte, weil man mich Richtung Treppe schleifte.
»Musst du eine andere Frau mit solch hässlichen Unwahrheiten über ihren Engel quälen, nur um den deinen zu retten?«, seufzte Danjal und winkte Wilana zu sich. »Lass dich von ihr nicht verwirren, meine Liebe. Sie ist geübt darin, andere zu manipulieren und ihre Gefühle für sich auszunutzen. Davon kann mein Sohn ein Liedchen singen.«
Ich war gut darin, andere zu manipulieren?!
Mein Pokergesicht verrutschte.
Danjal zwinkerte mir zu und ich schrie aus voller Kehle gegen die Hand auf meinem Mund an, die verhinderte, dass ich dem Dämonenfürsten wüste Beschimpfungen entgegenschleuderte, für die allein man mich niemals wieder in den Himmel lassen würde.
Sein Lächeln und die ausdruckslose Miene seines Sohnes folgten mir, als man mich fortzerrte.
Valerios Zimmer war der letzte Ort, an dem ich sein wollte. Aber gegen Salvatore und die beiden Halbengel, die mich durch die Korridore schleiften, hatte ich keine Chance. Nachdem ich längst die Orientierung verloren hatte, weil ich nicht aufhörte, mich mit Zähnen und Krallen zu wehren, stießen sie eine Doppeltür auf und bugsierten mich in einen schlicht eingerichteten Raum. Salvatore schleuderte mich auf ein großes Bett und ich spuckte ihm den Geschmack seiner schwitzigen Haut ins Gesicht, kaum hatte er die Hand von meinem Mund genommen. Er fluchte, packte mein Handgelenk und fesselte es mit eisernen Handschellen an den Bettpfosten.
»Benimm dich wie ein Tier und wir werden dich wie eines behandeln«, zischte er und machte die dicken Fesseln so eng, das sie mir ins Fleisch schnitten.
»Ich hoffe, dass er Manns genug ist, dir heute zu zeigen, wo dein Platz ist.« Salvatore packte mein Kinn, um mich zu zwingen, ihn anzusehen und schenkte mir ein gehässiges Grinsen, während sich seine Finger in meine Wange bohrten. »Und wenn nicht, erlaubt uns vielleicht Danjal, ein wenig Spaß mit dir zu haben, sobald Valerio klar wird, dass du seiner Bemühungen nicht wert bist.«
Ich riss den Kopf zurück und schnappte zu. Es war weniger eine glorreiche Idee als vielmehr ein Reflex. Schließlich war ich gefesselt und ihm eindeutig unterlegen. Aber in mir tobte ein Sturm, der mich zu Kurzschlussreaktionen zwang. Kratzen, beißen, mich mit allem, was ich hatte, wehren – für vernünftigere Gedanken war ich momentan nicht zugänglich. Vermutlich hatte mich die Gefangenschaft längst verrückt gemacht, bedachte man, dass ich vor nicht einmal einem Monat noch bei der kleinsten Gefahr verschreckt zusammengezuckt war.
Salvatore schrie auf, als sich meine Zähne in sein Fleisch gruben. Ich schmeckte Blut, spuckte aus und bekam eine weitere Ohrfeige von ihm.
Doch anstatt mich zu packen, wich er wutschnaubend zurück und hielt sich die verletzte Hand. Das Funkeln in seinen Augen versprach Höllenqualen.
Nur zu! Ich hatte den Herrscher der Hölle bereits kennengelernt und mehr Respekt vor ihm als vor diesem aufgeblasenen Cretino!
»Genieß die Nacht, meine Hübsche«, knurrte er und verließ mit den Männern den Raum. Ich blieb allein im Dunkeln zurück und zog verzweifelt an der Fessel, die man mir angelegt hatte.
Mein Blick huschte durch den Raum, der ordentlich und unpersönlich war. Für gewöhnlich war Valerio ein chaotischer Mensch, der seine Klamotten dort liegen ließ, wo er sie auszog, und ein Faible für allerlei Nippes hatte. Doch hier fehlten die Bücher, die er so gerne sammelte, die Mitbringsel aus aller Herren Länder, die seine alte Wohnung in Rom zu einem Refugium voller Erinnerungen gemacht hatten. Es sah ihm nicht ähnlich, keinerlei Werke längst verstorbener Schriftsteller auf seinem Nachttisch zu lagern. Der Mann war mit diesen sogar ins Bett gegangen, weshalb wir unseren Schlafplatz immer mit dicken Wälzern hatten teilen müssen.
Nichts davon war nun hier und der Gedanke, dass ich früher mit Valerio zusammen eingeschlafen war, mich in seiner Nähe sicher und geborgen gefühlt hatte, kam mir befremdlich vor.
Zaghaft probierte ich, das Schloss der Handschellen mit genügend Kälte zu brechen. Aber egal, wie viel Macht ich in das Eisen fließen ließ, es blieb verschlossen.
An der Wand dem Bett gegenüber war ein offener Kamin eingelassen, auf dessen Sims eine antike Uhr stand, deren Zeiger ich nervös beobachtete.
Minuten vergingen. Stunden. Aber Valerio kam nicht.
Es ging auf Mitternacht zu, als meine Augen langsam müde wurden und ich scheiterte daran, es mir irgendwie bequem zu machen. Mein Handgelenk schmerzte, mein Arm war längst taub.
Was würde passieren, wenn ich einschlief? Würde Valerio kommen und mir wehtun? So wie Salvatore es sich wünschte?
Wenn der Mann, den ich einst geliebt hatte, noch irgendwelche Grenzen besaß, konnte ich nicht mehr einschätzen, wo diese lagen.
Er war zu einem Mörder geworden.
Was hielt ihn davon ab, noch widerwärtigere Verbrechen zu begehen?
Ich durfte nicht daran denken. Sonst würde mich die Panik verschlingen und in den Wahnsinn treiben. Es war, als habe man das Bild des alten Valerio ausradiert und mit frischer, hässlicher Farbe übermalt.
Die Uhr schlug zwölf und ich zuckte erschrocken zusammen. Ein dumpfes Geräusch riss meine Aufmerksamkeit zur Tür, vor der sich irgendetwas bewegte. Reflexartig sprang ich auf, wurde jedoch von meinem eigenen Arm sofort wieder zurück auf den Hintern gerissen und biss die Zähne zusammen, weil mir das Metall in die aufgescheuerte Haut schnitt.
Ich hielt den Atem an, als die Tür sich langsam öffnete. Dass der Eindringling, der mein Zimmer betrat, nicht Valerio war, erkannte ich sogar im Mondlicht sofort. Die Gestalt war zierlich, fast schon schmächtig. Lautlos schloss sie die Tür hinter sich und blieb reglos davor stehen.
»Wilana?«, wisperte ich. Es war eine Frau, so viel stand fest, und die dunklen Locken konnten nur zu der Hexe gehören.