Juniper Moon 2: Das Schicksal von Arcanum - Magdalena Gammel - E-Book

Juniper Moon 2: Das Schicksal von Arcanum E-Book

Magdalena Gammel

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Beschreibung

»Wer Hexen, Dämonen und gefallene Engel liebt, sollte sich ›Juniper Moon‹ nicht entgehen lassen.« Julia Dippel, Autorin der Izara-Chroniken
Himmel und Hölle scheinen sich gegen June verschworen zu haben, als es heißt, dass sie sich den gefürchteten Trinitäts-Prüfungen unterziehen muss. An den Höfen der Hölle soll sie sich als Erbin von Luzifers Licht würdig erweisen, denn die Unsterblichen fürchten ihre unkontrollierbare Macht. Doch nicht nur grausame Hexenjäger und niederträchtige Engel legen der Hexe Steine in den Weg, sondern auch der amtierende Teufel der Unterwelt, Azazel: June wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und weiß schon bald nicht mehr, ob er ihr Geliebter oder ihr Feind ist …


Einnehmende Charaktere, nicht vorhersehbare Twists und eine einzigartige magische Welt: Die spannende Fortsetzung der romantischen Fantasy-Dilogie von Magdalena Gammel überzeugt vom ersten Wort an!


//Dies ist der zweite Band der »Juniper Moon«-Reihe. Alle Romane der teuflisch-guten Liebesgeschichte im Loomlight-Verlag:
-- Band 1: Das Geheimnis von Arcanum
-- Band 2: Das Schicksal von Arcanum//

Für ein kleines Wiedersehen mit June und Azazel lasst euch das Spin-off »Daughter of Heaven« nicht entgehen!

-- Band 1: Where Angels Fall
-- Band 2: When Demons Rise//

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Das Buch

Willkommen in Arcanum, der Stadt der Hexen und Dämonen! – Mitreißender Fantasy-Liebesroman

Himmel und Hölle scheinen sich gegen June verschworen zu haben, als es heißt, dass sie sich den gefürchteten Trinitäts-Prüfungen unterziehen muss. An den Höfen der Hölle soll sie sich als Erbin von Luzifers Licht würdig erweisen, denn die Unsterblichen fürchten ihre unkontrollierbare Macht. Doch nicht nur grausame Hexenjäger und niederträchtige Engel legen der Hexe Steine in den Weg, sondern auch der amtierende Teufel der Unterwelt, Azazel: June wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und weiß schon bald nicht mehr, ob er ihr Geliebter oder ihr Feind ist …

Die Autorin

© Isabella Böhm

Magdalena Gammel wurde 1997 in München geboren. Literatur und Film waren schon immer ihre Leidenschaft. Ein paar Ausflüge in die Schauspielerei machten ihr aber klar, dass sie die Geschichten lieber erzählt, als sie darzustellen. Auf das Kunst-Abitur folgte eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton, was sie nach Hamburg brachte. Dort lebt und schreibt Magdalena momentan, wenn sie nicht gerade im südafrikanischen Busch bei ihrer Familie nach neuen Abenteuern sucht.

Magdalena Gammel auf Instagram: https://www.instagram.com/magdalena.gammel/

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Magdalena Gammel

Juniper MoonDas Schicksal von Arcanum

1. Kapitel

Morgenstund hat Pech im Mund

Die Dämonen des Waldes hatten Hexen wie mich zum Fressen gern. Aber ich fürchtete mich nicht vor dem, was in der Dunkelheit lauerte, denn die gefährlichsten Monster waren jene, die sich ins Licht trauten.

Der monströse Schattenhund, der neben mir in der Morgensonne badete, wirkte durch seine Kuschelbedürftigkeit kein bisschen bedrohlich. Er hatte sich ausgiebig in dem Lavendelfeld gewälzt und nun war seine rauchige Gestalt bedeckt von lila Blüten. Ich zupfte ein paar davon heraus und bewunderte sein einzigartig weiches Fell. Es war immer in Bewegung, wie Wolken, die sich am Himmel aufbauschten, und fühlte sich zwischen meinen Fingern genauso weich an. Barghest brummte zufrieden und bettete seinen Kopf auf meinem Schoß. Damit hinderte er mich daran, den Blumenkranz weiterzuflechten, aber ich hatte ohnehin keine Lust mehr, wie die Unschuld vom Lande an diesem Bukett herumzubasteln. Lieber kraulte ich Barghest die riesige Schnauze und genoss seine Wärme, die meine klammen Finger zum Prickeln brachte.

Noch war die Sonne nicht ganz aufgegangen, aber ihre ersten Strahlen kämpften sich bereits durch den Morgennebel, der über dem Lavendelfeld hing. Ich liebte die Zeit der blauen Stunde, wenn der Nachthimmel immer heller wurde und die klare Luft zu funkeln begann. Ich kuschelte mich in meinen dicken Umhang, damit mir die übrig gebliebene Behaglichkeit meines Bettes nicht gänzlich geraubt wurde. Über allem lag die Ruhe eines frisch angebrochenen Tages, aber nichts an dieser friedlichen Atmosphäre war echt. Ganz im Gegenteil: Um uns herum lauerte der Tod, der nur noch nicht aus seinem Schönheitsschlaf erwacht war.

Leider gab es keine anderen Orte in Arcanum, an denen man eine solche Vielfalt von Blumen fand. Neben dem Lavendelfeld wuchsen wunderschöne Vergissmeinnicht, weiße Chrysanthemen, Klatschmohn und kunterbunte Wiesenkräuter. Außerdem genoss ich, trotz der lauernden Bedrohung im Dickicht, die Abwesenheit von neugierigen Blicken, die mich in der Stadt stets verfolgten. Dank Barghest musste ich mir keine Sorgen darum machen, aus dem Hinterhalt von einem Dämon angegriffen zu werden, der eventuell ein Frühaufsteher war. Selbst der dunkelbraune Hengst, der uns hergebracht hatte, fühlte sich durch die Anwesenheit des Schattens sicher genug, um zu grasen.

So konnte ich in der frischen Morgenluft meine Aufregung vor heute Nacht besänftigen.

Das bereits begonnene Hexenfest war eine Sache, aber die Aufgabe, die der Zirkel um Mitternacht in Angriff nehmen wollte, hatte mich Nächte lang nicht schlafen lassen. Während Litha, der Sommersonnenwende, zelebrierten wir für gewöhnlich die Familie, ihren Zusammenhalt und den Frieden einer gesättigten Natur. Aber nein, weil heute die Magie besonders stark war, wollten wir sie für ein unheimliches Ritual auf dem Friedhof unserer abgeschlachteten Vorfahren benutzen. Die intensiven Schwingungen in der Luft versprühten das Gefühl von Zufriedenheit und überschwänglicher Heiterkeit. Es war eine warme Umarmung von Mutter Natur, die einem Geborgenheit schenkte. Leider wurde diese traumhafte Vorstellung von der Tatsache zerstört, dass ich heute Nacht dem verrückten Schatten eines gefallenen Engels gegenübertreten musste. Ein blutrünstiger Adler, der die Seele einer Hexe verspeist hatte und damit noch immer verhinderte, dass wenigstens ein Mitglied des ersten Zirkels in den Limbus einkehrte. Dummerweise durfte ich meine Sorgen nicht einmal in besonders tiefen Weingläsern ertränken, weil ich betrunken bloß Schwachsinn hervorzauberte. Zudem war heute der beste und vermutlich einzige Tag im Jahr, an dem die Magie um uns herum stark genug war, um die Seele von Theodoras Mutter zu befreien. Ein Zauber, für den man seine Familie brauchte, was harmloser klang, als es sein würde.

Mich hatte man bei Sonnenaufgang aus dem Bett geworfen und mit einem Korb hinausgeschickt, als sei das frohlockende Blumenmädchen nicht die unpassendste Rolle, die mir meine Familie hätte aufdrücken können. Zumindest musste ich nicht wie Gwen und Magnolia den gewünschten Morgentau aufsammeln, denn dafür hätte ich noch früher aufstehen müssen. Aus diesem konnte man für die nächsten Tage köstliches Brot backen, das besonders nahrhaft war. Für mich war das Pflücken der sieben Blumen geblieben und angeschlossen hatten sich mir nicht nur ein fauler Schattenhund, sondern auch der Teufel persönlich.

»Reichen dir die?«

Ich schaute auf und vergaß, wie man Worte zu einer halbwegs verständlichen Antwort zusammenfügte, die nicht nur aus Gestammel bestand. Azazels große Gestalt schob sich vor die aufgehende Sonne, deren Strahlen sein karamellfarbenes Haar wie einen Heiligenschein erhellte. Frei von all der Dunkelheit, die ihn sonst umgab, schmeichelte das goldene Licht seinen markanten Gesichtszügen. »June?«, fragte er, weil ich drauf und dran war, mich in seinem Anblick zu verlieren.

Tagelang hatten uns seine Pflichten in der Hölle getrennt, eine gefühlte Ewigkeit, in der ich alles, einfach alles an ihm vermisst hatte. Heute Morgen war er plötzlich wieder da gewesen, hatte mich mit Küssen geweckt und darauf bestanden, meine Begleitung für den Tag zu sein. Und ich? Ich konnte nicht genug von ihm bekommen. Meine Finger kribbelten von dem Verlangen, die samtweiche Haut zu berühren, die sich über seine makellosen Züge spannte.

»Die Blumen, reichen dir die?«, wiederholte Azazel seine Frage. Ich blinzelte und starrte die bunten Sträuße in seinen Händen an. Er hatte sich Mühe gegeben, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass wir für jedes Mädchen einen Strauß mit sieben unterschiedlichen Blumen brauchten. Mein Herz drohte vor Liebe überzuschäumen, weil er diese Aufgabe mit so viel Engagement erledigt hatte, obwohl sie weit unter der Würde des Teufels stand.

»Ja, natürlich«, sagte ich mit einem dankbaren Lächeln. Er nickte erleichtert und legte die Sträuße neben mir ins Gras. Bräuche wie diese mit den sieben Blumen, die sich junge Mädchen nachts unter ihre Kissen legten, um während der Sommersonnenwende Glück für die Liebe zu erhalten, waren für einen Dämonenfürsten nicht besonders interessant. Und trotzdem hatte er darauf bestanden, sich mir anzuschließen, weshalb ich ihm den ernsten Gesichtsausdruck nicht übel nahm. Im Gegenteil sogar, er amüsierte mich ein wenig.

»Lachst du mich gerade aus?«, fragte er, weil ihm mein verstohlenes Grinsen nicht entgangen war. Keine noch so kleine Gefühlsregung konnte ich vor diesem Mann verbergen.

»Ich dich? Wo denkst du hin?«, winkte ich mit Unschuldsmiene ab und begann Barghest den Kopf zu kraulen, als bräuchte dieser plötzlich meine volle Aufmerksamkeit. Azazel trat neben mich, sodass ich in seinen beachtlichen Schatten getaucht wurde.

»So langsam werde ich das Gefühl nicht los, dass du mich nur mitgenommen hast, um dir auf meine Kosten einen kleinen Spaß zu erlauben.« Er beugte sich zu mir hinab, woraufhin mein Magen einen euphorischen Satz machte und mir eine verräterische Hitze in die Wangen schoss.

»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst«, sagte ich und zuckte lässig mit den Schultern. »Was soll denn so besonders amüsant daran sein, dem Teufel beim Blümchenpflücken zuzusehen?« Ein sanftes Lachen vibrierte durch seine Brust. Er wirkte entspannt und ausgeglichen, fast schon fröhlich, als er mir eine Strähne aus dem Gesicht strich.

»Du sahst bezaubernd aus, da drüben zwischen Butterblumen und Vergissmeinnicht«, gestand ich und wischte ihm etwas Blütenstaub vom Ärmel. Er trug ein leichtes Leinenhemd, was ihm inmitten dieser farbigen Wiesen ein unschuldiges Auftreten verlieh. Etwas unpassend für der Herrscher der Hölle. »Hoffentlich erfährt niemand davon, sonst könnte noch das Gerücht entstehen, du seist weich geworden.« Azazel hob eine Augenbraue und fuhr die Konturen meines Halses nach.

»Sollte das passieren, weiß ich ja, wer dafür zur Rechenschaft gezogen werden muss.« Seine Finger legten sich um meine Kehle, aufreizend zärtlich und gerade so fest, dass ich ihm nicht mehr auskam.

»Soll mir diese halbherzige Drohung etwa Angst machen?«

Er blinzelte überrascht.

»Halbherzig?« Blitzschnell zog er mich an seine Brust, was mir ein überraschtes Keuchen entlockte. Schatten vermischten sich mit dem dunklen Blau seiner Augen, in denen ein verheißungsvoller Hunger lag. »Hast du dir in meiner Abwesenheit neue Möglichkeiten ausgedacht, um mich zu provozieren?«

»Da hätte ich mir nicht viel ausdenken müssen. Du gehörst nicht gerade zur geduldigen Sorte.« Azazel stieß ein leises, spöttisches Lachen aus, das mein Herz zum Flattern brachte und mehr Macht über dieses besaß, als ich bereit wäre zuzugeben. Er beugte sich tiefer. Sein Atem kitzelte mein Ohr und mir kroch der vertraute Duft von feurigem Zimt in die Nase. »Du hast ja keine Ahnung, was für eine Engelsgeduld ich manchmal mit dir habe.«

»Die musst du mit mir haben, weil ich nichts dafür kann, dass mich deine Gegenwart zu so unüberlegten Aussagen bringt«, hielt ich dagegen. Er beugte sich ein Stück zurück und verzog seine verführerischen Lippen, die einen Kuss versprachen, den er mir noch immer nicht gegeben hatte.

»Schau an, dann ist es meine Schuld, wenn dir mal wieder die Zunge zu locker sitzt?«

»Deine Kombinationsgabe ist beeindruckend.« Zugegebenermaßen war ich vielleicht auch nicht besonders gut darin, mir diesen Kuss zu verdienen.

»Vielen Dank«, flüsterte er gefährlich leise und strich mit dem Daumen über meinen rasenden Puls. »Dank dieser kenne ich auch die beste Methode, um dich zum Schweigen zu bringen. Und das macht mir beinahe genauso viel Spaß, wie deinem frechen Mundwerk zu lauschen.«

Ich hatte keine Zeit mehr für eine schlagfertige Antwort, denn da eroberte sein Mund auch schon den meinen und gab mir endlich alles, worauf ich nicht einen Atemzug länger hätte warten können. Sein Kuss und seine Berührungen waren weder sanft noch friedlich, sondern voller Leidenschaft und entfesselter Lust. Ein Sturm aus Verlangen, der über mich und meine Sinne hinwegfegte. Ich schloss die Augen, hinter denen Sterne explodierten, und gab mich ganz der Hitze hin, die durch meine Adern schoss. Seine Hand vergriff sich in dem Kragen meines Umhangs, zog ihn beiseite und streichelte meine glühende Haut.

Azazel hatte eine Art, mich zu berühren, die von jahrhundertealter Erfahrung zeugte. Ohne Eile genoss er das Zucken meines Körpers und kostete die schweren Seufzer, die ich an seine vollen Lippen stöhnte. Er packte meinen Nacken, bog meinen Kopf weiter zurück, um mich noch intensiver küssen zu können. Seine Brust drückte sich gegen die meine, eine Wand aus bebenden Muskeln. Es war berauschend und erregend zu wissen, dass ich in ihm die gleichen Triebe weckte wie er in mir.

Barghest hatte den Kopf gehoben, weil es ihm durch meine verdrehte Position wohl zu ungemütlich geworden war, aber das bekam ich bloß am Rande meines Bewusstseins mit. Ich wimmerte, als Azazels Küsse tiefer wanderten, bis zu meiner Halsbeuge, wo er verharrte und meinen Duft in sich aufnahm.

»Ich habe dich vermisst«, murmelte er und küsste sich mein Schlüsselbein entlang. Ein Schaudern lief mir die Wirbelsäule hinab, was Azazel ein zufriedenes Knurren entlockte. »So sehr vermisst.« Meine Magen verkrampfe sich, als ich ihn die Worte mit all der Sehnsucht sagen hörte, die mich in seiner Abwesenheit befallen hatte.

Tage wurden unerträglich trist, wenn er nicht bei mir war, und die Nächte konnte ich kaum ertragen. Ich mutierte zu einem liebessüchtigen Nervenbündel, wenn er verschwand und ich nicht wusste, wann er wiederkommen würde.

Dabei war es gerade einmal vier Wochen her, dass wir vor den Dämonen der Hölle mit diesem Theater begonnen hatten. Niemand durfte wissen, wessen Seele ich besaß. Niemand durfte wissen, wie sehr ich Azazel liebte. Obwohl, so ganz stimmte das nicht. Niemand durfte wissen, wie sehr er mich liebte. Nur darum ging es. Deswegen war ich selten an Luzifers Hof in der Hölle, aus Angst, Azazels Brüder könnten dort ihre Spione versteckt haben. In Arcanum hielten wir uns aus denselben Gründen zurück. Lediglich der Zirkel wusste Bescheid, was das Schloss oder verlassene Fleckchen wie diese Lichtung zu den einzigen Orten machte, an denen wir uns nicht verstellen mussten.

Ich war ungeduldig, wie immer, und hasste es, dass ich nicht in die Welt hinausschreien konnte, was ich für den Teufel empfand. Liebe und Glückseligkeit hatte ich stets verspottet, und jetzt war ich selbst daran erkrankt. Was für ein schlechter Scherz des Universums, dass eine so unromantische Hexe wie ich ihr Herz verlor und diesen bittersüßen Verlust auch noch geheim halten musste.

Azazel richtete meinen Umhang, damit ich nicht fror, und strich mir das zerzauste Haar zurecht. Er lächelte, aber es erreichte nicht seine Augen, und meine Instinkte verrieten mir, dass etwas nicht stimmte.

»Azazel?«, fragte ich und fing seinen Blick ein. »Ist etwas passiert?« Seine Kiefer spannten sich an, während seine liebevolle Miene etwas zu verbergen schien.

»Passiert?«

»Du warst tagelang weg. Und als du heute zurückgekehrt bist, sahst du müde und angespannt aus.«

»Es schlägt mir eben aufs Gemüt, so lange von dir getrennt zu sein«, scherzte er und küsste meine kalte Nasenspitze.

»Du weißt, dass es mich bloß noch misstrauischer macht, wenn du versuchst, den Romantiker zu mimen?«

Er seufzte schwer.

»Und ich dachte, du magst meine weiche Seite.«

»Ich mag vor allem deine ehrliche Seite.«

»Die wird uns allerdings den Spaß verderben.«

»Also ist etwas passiert?«

»Es passiert doch ständig irgendetwas, wenn man umgeben ist von mörderischer Verwandtschaft.«

»Azazel!«

Er lachte, als ich ausholte, um ihm gegen die Brust zu schlagen, und fing geschickt meine Handgelenke ein, um mich direkt vor sein Gesicht zu ziehen. Er grinste und sah auf meine Lippen hinab, zu deutlich, als dass es mir nicht sein nächstes Vorhaben verraten hätte.

»Wenn du mich jetzt küsst, werde ich verdammt sauer.«

»Das Risiko ist es mir wert.«

Besagtes Risiko war sanft und zurückhaltend. Er küsste meinen Mundwinkel und entlarvte meine Drohung damit als halbherzigen Bluff.

»Meine Brüder hören nicht auf, mich in die Bredouille zu bringen und mit irgendwelchen Forderungen zu nerven«, flüsterte er und strich nachdenklich meinen Arm hinauf. Er log nicht, dass tat er nie. Aber er hielt mit irgendetwas hinterm Berg. Was für Forderungen waren das, die jemanden wie Azazel tatsächlich in irgendeine Bredouille bringen konnten? »Liliths Rückkehr und dein Erscheinen haben einiges aufgewirbelt. Ein paar Dämonenfürsten sind dabei, Unruhe zu stiften und die ohnehin umstrittenen Machtverhältnisse infrage zu stellen. Sie warten nur darauf, dass ich mich angreifbar mache, weshalb sie von dir – von uns vorerst nichts wissen dürfen.« Eine bleierne Schwere legte sich auf meine Brust.

»Ich hasse es, dass ich deine Schwäche bin«, murmelte ich und berührte seine Wange, die rau von ein paar Bartstoppeln war. Er schmunzelte und küsste die Innenseite meines Handgelenks.

»Du bist die einzige Schwäche, die ich mir erlauben will.« Ich erwiderte sein Lächeln, spürte aber selbst, dass es nicht besonders überzeugend war. Wir mussten einander nichts vormachen, auch wenn er nicht oft über das sprach, was in der Hölle geschah. Selbst Calla verlor lediglich selten ein Wort darüber, dabei war sie öfter an Luzifers Hof als ich. Aber ich konnte mir auch so denken, dass die anderen Dämonenfürsten Azazel früher oder später herausfordern würden. Die Herrschaftsfrage war ins Wanken gekommen. Jetzt, wo Lilith wieder da war, aber keine Hexenkönigin mehr sein wollte. Wo ich, trotz Luzifers Licht, auf den Thron verzichtet hatte. Einige von Azazels Brüdern fühlten sich dazu berufen, seine Herrschaft anzuzweifeln. Vermutlich würden Dämonenfürsten niemals aufhören, nach mehr Macht zu gieren, weil sie gefallene Engel waren, und diese keine Zufriedenheit kannten. Genau das hatte sie aus dem Himmel stürzen lassen.

»Du bist ganz kalt«, flüsterte Azazel und rieb meine Oberarme. Ein Anflug von Sorge huschte über sein Gesicht, das gleichzeitig an Härte gewann. »Sind das noch immer die Nachwirkungen von Luzifers Licht?«

Ich nickte zögerlich. Seitdem ich das vermutlich größte und mich vollkommen überfordernde Erbe von Luzifer angetreten war, war mir ständig kalt. Ein ungewöhnliches Gefühl für eine Hexe, die sonst nur das Feuer aus der Hölle in ihrem Blut kannte. Aber da ich die Wiedergeburt von Luzifers und Liliths ältester Tochter Ada war, hatte es eben mich getroffen. Calla, die bloß von mir noch so genannt wurde, hatte meinen Vorschlag abgelehnt, das Siegel auf mir zu erneuern. Es hatte Luzifers Licht in mir neunzehn Jahre lang verdeckt, aber jetzt musste ich mich der Verantwortung stellen. Mehr noch: Ich musste lernen, diese Macht zu beherrschen. Sonst würde sie mich, und das spürte ich im tiefsten Inneren, irgendwann verschlingen. Oder einfach zu Eis gefrieren. Azazel zog mich sanft auf die Beine, was Barghest ein unzufriedenes Knurren entlockte, und schlang den Arm um mich.

»Lass uns zurück zum Schloss reiten. Ein warmes Bad und etwas Ruhe können vor heute Nacht nicht schaden.«

»Ich bin nicht müde«, widersprach ich und kuschelte mich an ihn. Azazel schnalzte mit der Zunge und bog mein Gesicht zu sich hinauf.

»Aber ich vielleicht, und wenn ich fühle, wie kalt du bist, werde ich dich wohl oder übel zu einem gemeinsamen Bad zwingen müssen.« Ich knuffte ihn in die Seite, weil er ganz genau wusste, dass dafür nicht viel Zwang nötig war. Es gab im Schloss einen Raum, der an ein türkisches Badehaus erinnerte, voller heißer Quellen und seliger Entspannung. Während die Hexen von Claudius und seinen Halbengeln gefangen gehalten worden waren, hatte natürlich keine von ihnen ein Bad dort genommen. Aber jetzt bekam ich eine wohlige Gänsehaut bei der Vorstellung, zusammen mit Azazel die Kälte des Morgens in heißen Quellen abzuwaschen.

Ich sammelte meine Blumen zusammen und hob überrascht eine Augenbraue, als Barghest versuchte, einen der Sträuße mit den Zähnen aufzuklauben. Dass dieser dabei halb in seinem Maul verschwand und mit aschigem Speichel vollgesabbert wurde, störte weder ihn noch mich.

»Weißt du, nur weil ich dieser Hexe hoffnungslos verfallen bin, heißt das nicht, dass du dich so verhaltensuntypisch bei ihr einschmeicheln musst«, sagte Azazel todernst und warf seinem Schatten einen mahnenden Blick zu. Dieser ignorierte ihn gekonnt und schnaubte einmal kräftig, wodurch auch die Reste des Straußes hinüber waren. Ich kicherte und sah amüsiert dabei zu, wie Barghest mit stolz erhobenem Haupt Richtung Pferd trabte.

»Er kriegt von mir eben die Streicheleinheiten, die er bei dir jahrhundertelang hat missen müssen«, sagte ich und folgte Barghest.

»Streicheleinheiten«, wiederholte Azazel argwöhnisch und schüttelte den Kopf. Ich hatte Barghest mehr als nur lieb gewonnen und war froh, dass er auch ohne Azazel von Zeit zu Zeit bei mir blieb. Und wenn er es einmal nicht tat, hatte ich noch immer das Armband aus seinem Fell, das mich mit den beiden verband. Ganz allein war ich also nie.

»Wirst du heute Nacht dabei sein?«, fragte ich Azazel und schaute zu ihm auf. Er war langsamer geworden und ließ den Blick über die Lichtung schweifen. »Azazel?«

Plötzlich blieb Barghest wie angewurzelt stehen, ließ die Blumen fallen und fletschte die Zähne. Der dunkle Hengst schüttelte seine Mähne und scharrte ungeduldig mit den Hufen. Um uns herum wurde das Knistern und Zischen im Unterholz schlagartig lauter. Azazel packte meine Hand, während Barghest witternd die Schnauze hob und sich sein angespannter Körper zu vergrößern schien. Rauch löste sich aus seinem Fell, ergoss sich über den Lavendel unter seinen Pfoten. Das Pferd wieherte verängstigt und riss den Kopf in den Nacken. Ich tat es ihm gleich, und dann ging alles ganz schnell. Ein Schatten huschte über unsere Köpfe hinweg. Erst glaubte ich, dass es Luzifers Rabe war, aber dieser hätte Barghest niemals so in Alarmbereitschaft versetzt. Azazel riss mich zur Seite, Flügel zischten an meinem Kopf vorbei, welcher nur um Zentimeter von rasiermesserscharfen Krallen verfehlt wurde. Ich schrie erschrocken auf und wurde blitzschnell hinter Azazel in Sicherheit gebracht, der einen blauen Feuerstrahl gen Himmel schoss. Ein widerlicher Schrei stachelte die Unruhe des Waldes noch mehr an. Bargehst rannte an meine Seite, riss seinen Schädel mit den rot glühenden Augen hoch und gab ein so lautes Heulen von sich, dass ich mir die Hände auf die Ohren pressen musste. Eine Druckwelle rollte über das Feld hinweg, fegte Lavendel wie lila Schnee durch die Luft und brachte sogar die knochigen Äste um uns herum zum Zittern. Ein weiterer Schrei zerrte an meinem Trommelfell, und als ich dieses Mal in den Himmel sah, erkannte ich, von wem oder was er stammte.

Eine Harpyie, mit braunem zerfleddertem Gefieder, das an Flügeln hing, die gewiss eine Spannweite von zwei Metern hatten. Mein Herz setzte einen Schlag aus, mein Atem stockte und ich wurde von einer solch alles verschlingenden Angst gepackt, dass ich an Ort und Stelle zu Eis erstarrte.

Das war Nicolais Harpyie!

2. Kapitel

Bombastische Grüße

Für wenige Sekunden hörte ich nur meinen eigenen trommelnden Herzschlag. Auf der Lichtung regte sich nichts und das, was hinter den schwarzen Bäumen so eine horrorfilmreife Soundkulisse veranstaltete, nahm ich kaum wahr. Wenn der Halbengel hier war, wenn er sich zu den Dämonen in den Wald hineingetraut hatte, würde er irgendwann angreifen.

Er war das eine Monster, das ich nicht hatte töten können, das auf Rache sann und sich gewiss bald ins Licht trauen würde.

Die Harpyie war lediglich ein Vorbote oder aber ein Ablenkungsmanöver. Sie drehte einen großen Kreis über unseren Köpfen und Azazel erschuf neue Flammen.

»Er ist hier«, wisperte ich erstickt und packte Azazels Hand, weil meine nicht aufhören wollte zu zittern. »Er ist bestimmt hier!« Verwundert sah er über seine Schulter auf mich hinab, las die Angst auf meinem Gesicht und verstand sofort. Seine Muskeln spannten sich an und eine beängstigende, kampfgewohnte Ruhe umhüllte ihn.

»Das wagt er nicht.«

Weder er noch ich wussten, ob das wirklich stimmte. Nicolais Grausamkeit war stets berechnend gewesen, aber sein Verlangen nach Rache hatte gewiss diverse Überraschungen für uns parat. Was hatte er jetzt noch zu verlieren, nachdem ich seinen Herren, seine Zukunft, vernichtet hatte? Claudius war tot und mit ihm auch alle Versprechen, die er seinen Anhängern gemacht hatte.

Ich ließ Azazel los und tastete nach meinem Athame-Dolch, der in einer Scheide an meinem Gürtel steckte. Das war nicht die geeignetste Waffe gegen eine geflügelte Bestie mit überdurchschnittlicher Intelligenz, trotzdem besser als nichts. Als die Harpyie zu einem neuen Angriff ansetzte, trat ich einen Schritt von Azazel weg.

»Mach die Augen zu!«, rief ich und Azazel gehorchte. Er konnte mir im Kampf blind vertrauen und tat es auch. Bargehst zog den Kopf ein, während die Harpyie im Sturzflug direkt auf uns zuhielt, die Flügel nach hinten gespreizt. Ich glaubte noch zu erkennen, dass sie irgendetwas in der einen Klaue hielt, hatte allerdings keine Zeit mehr, mich darauf zu konzentrieren, weil ich ebenfalls die Augen schließen musste »Lucidus sole!« Gleißendes Licht erstrahlte hinter meinen Lidern, als sei die Sonne selbst zu Boden gestürzt. Die Harpyie schrie gequält auf und ich warf mich ruckartig zur Seite, da sie vermutlich noch immer direkt auf mich zuhielt. Azazels starke Hände griffen meine Schultern und gaben mir Halt. Der Wald um mich herum war nun endgültig erwacht. Knurren, Kratzen und unheimliches Geheule, das von den Dämonen stammte, die Opfer meines Zaubers geworden waren. Über dem Feld schwebte ein dünner Schleier, gesponnen aus Sonnenstrahlen. Ich atmete tief ein und knetete meine prickelnden Finger. Wortmagie ohne Hilfsmittel war kräftezehrender als Zauber mit rituellen Gegenständen, die eine Verbindung zu den Mächten der Natur erleichterten. Aber heute begann der längste Tag im Jahr und die Sonne war dabei, unsere Welt mit ihrem Licht und ihrer Wärme zu erfüllen. Ich wurde durchströmt von uralter Magie, war ein Teil der Elemente und hoffentlich schon bald das Ende dieses hässlichen Viehs. Sie entdeckte ich schließlich hundert Meter entfernt, wie sie orientierungslos durch die Luft flatterte, und offenbar einen Weg durch den Sonnenschleier über uns suchte.

»Du hast sie geblendet«, sagte Azazel, der den Vogel schon einige Sekunden vor mir wieder ins Visier genommen hatte.

»Sie hat irgendwas in den Klauen.« Ich versuchte vergeblich, durch das Licht hindurchzusehen. Selbst die Reste meines Sonnenzaubers brannten sich unangenehm auf meine Netzhaut und knabberten an den Schatten des Waldes. Dahinter züngelten und zischten mir die Dämonen ihren Unmut entgegen.

Die schemenhafte Gestalt der Harpyie befand sich jetzt direkt über uns. Sie torkelte leicht und stieß das Krächzen eines wütenden, verwundeten Tieres aus. Ich bezweifelte, dass mein Zauber sie von einer weiteren Attacke abhalten würde, und bereitete mich darauf vor, erneut die Sonne explodieren zu lassen, als durch den Schimmer über der Lichtung ein weißer Schatten schoss. Azazel stieß ein raues Lachen aus.

»Er lässt dich wirklich nie aus den Augen.« Die Schwingen des Raben reflektierten den Schein meines Zaubers. So wie Luzifer nie sein Licht verloren hatte, war auch sein Schatten immer weiß geblieben. Ein beeindruckendes Geschöpf. Größer, schneller und um einiges klüger als die Harpyie.

Durch den Dunst war schwer zu erkennen, was sich über uns zwischen den beiden Vögeln abspielte, aber ich hörte den markerschütternden Schrei des Raben und das klägliche Kreischen von Nicolais Harpyie.

Ich wollte gerade mit einem neuen Zauber die Sicht für uns klären, als durch den Nebel ein kleines Bündel fiel. Von Weitem wirkte es so harmlos wie ein gewöhnlicher Stoffbeutel. Aber die Harpyie hatte es fallen lassen und an Nicolais kleinem Geschenk für uns war gewiss nichts harmlos. Zeit, um mir darüber Sorgen zu machen, hatte ich nicht mehr, denn kaum berührte der Beutel den Boden, zerriss eine gewaltige Explosion die Welt um mich herum. Barghest sprang vor mich, kurz bevor uns beide die Druckwelle erwischte. Sein Körper presste sich gegen den meinen und gemeinsam wurden wir wie eine Kanonenkugel durch die Luft geschossen. Rauch umhüllte alle meine Sinne, die im freien Flug ohnehin vollkommen durcheinandergerieten. Ich schlug gegen den ersten Baum am Waldrand, bekam durch den Aufprall auch das letzte bisschen Luft aus der Lunge gequetscht und stürzte ins Unterholz.

Schmerz erfüllte meinen Kopf, meinen zerschundenen Rücken und jede Zelle meines Körpers. Ich hatte Splitter und Äste im Fleisch stecken und eine taube Stelle am Nacken, dort, wo mich vermutlich irgendein Stück Holz erwischt hatte. Warmes Blut sickerte über meine Schultern, verklebte mein Haar und lockte mit seinem Duft die Dämonen aus ihren Verstecken.

Einige Sekunden lag ich da, zu benommen, um auch nur einen Muskel zu bewegen. Ich war der Ohnmacht nahe, wehrte mich jedoch vehement gegen die Dunkelheit, die mich von den Schmerzen ablenken wollte. Man hatte mir bereits so oft wehgetan, mein Fleisch zerschnitten, meinen Knochen zertrümmert, dass ich mit dem Selbstschutz meines Körpers umzugehen wusste. Einatmen, ausatmen. Nicht in Panik geraten und um jeden Preis die Oberhand behalten. In meinen Ohren rauschte es, aber langsam kämpfte sich Barghests heftiges Schnaufen hindurch. Er war schon wieder auf den Beinen und stupste mich behutsam an. Wie auf Knopfdruck füllte ich meine malträtierte Lunge mit Luft und rollte mich stöhnend auf die Seite. Das Knacksen, das mich dabei zusammenzucken ließ, kam zum Glück von den Ästen, auf denen ich gelandet war, und nicht von meinen Knochen. Ich spuckte aus, weil Blut meinen Mund füllte, und versuchte mich zu orientieren.

Die Explosion hatte Barghest und mich in den Wald geschleudert. Ohne den Höllenhund hätte sie mir vermutlich die Brust zerfetzt. Ich hob zitternd die Hand und griff in Barghests Fell. Er stand über mir, das Rot seiner Augen glühte wie frisch entzündete Kohle. Er hatte das Ganze sehr viel besser als ich wegsteckt, aber sein rauchiges Fell wies zerschundene Stellen auf, und eines seiner Ohren war eingerissen. Wütend stemmte ich mich hoch. Was auch immer Nicolai uns da geschickt hatte, hatte sogar Barghest verletzt, und das würde ich ihm doppelt und dreifach heimzahlen.

»Alles gut?«, fragte ich erstickt und betastete seinen Rücken. Er schnaubte, was wohl ein Ja bedeuten sollte, obwohl sein linkes Hinterbein kaum den Boden berührte. Mir schnürte sich die Kehle zu und sofort hielt ich Ausschau nach Azazel. Die Lichtung vor mir war in einem Umkreis von mindestens zehn Metern vollkommen verbrannt. Der beißende Gestank von Rauch hing in der Luft und ließ mich husten.

»Azazel!«, rief ich panisch und wollte auf das Feld hinausrennen, doch Barghest hielt mich zurück. Er sah mich eindringlich an und ich begriff, wie dumm es vermutlich wäre, zurück aufs freie Feld zu laufen, wenn dort nach wie vor die Harpyie ihre Kreise zog. Vielleicht hatte die Explosion sie in tausend Teile zerfetzt, was ich allerdings bezweifelte, da sie ein gutes Stück über uns die Bombe hatte fallen lassen.

Barghest spitzte die Ohren und starrte in den Wald hinein. Ich folgte seinem Blick und spannte meine Muskeln an. Abgesehen von schwarzen Bäumen und dichten Büschen gab es nicht viel zu entdecken. Hier und da schaffte es die Morgensonne durch das Geäst und warf Lichtpunkt auf einzelne Sträucher. Insekten surrten durch die Luft, das Gezwitscher von Vögeln, die offensichtlich nicht auf dem Speiseplan der Dämonen standen, hallte durch den endlosen Wald. Es war ruhig geworden. Ich hob den Kopf in den Nacken und unterdrückte einen Schrei, als ich über uns in den Baumkronen Dutzende, mit ledrigen Flügeln bestückte Kreaturen sah. Sie rührten sich nicht, sondern starrten auf uns hinab, als überlegten sie, was genau da in ihren Wald gestürzt war. Ich schluckte meine Panik herunter und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Die Dämonen im Geäst erinnerten an riesige Flughunde, mit katzenartigen Gesichtern und glasigen Augen, die kalt wie Diamanten schimmerten. Auf dem Feld erwartete mich die Harpyie und im Wald diese flugfähigen Raubkatzen. Barghest knurrte leise, aber er fixierte nicht länger die Dämonen, sondern spähte direkt ins Dickicht. Vielleicht war noch etwas anderes sehr viel Tödlicheres hier. Etwas, das die Dämonen an Ort und Stelle verharren ließ, weil seine himmlische Essenz sie verunsicherte.

Am liebsten hätte ich Nicolai zugerufen, dass er einfach herauskommen sollte. Dass ich für einen Kampf bereit war, wenn er unbedingt den Rachenegel spielen wollte. Aber ich war nicht bereit. Ich zitterte und war mir noch immer nicht sicher, ob er wirklich hier war.

»Barghest«, flüsterte ich und spürte, wie sich der Höllenhund sanft gegen mein Bein drückte. Er würde an meiner Seite blieben, egal was geschah. Einer der Flughunde hüpfte auf einen niedrigeren Ast und machte es sich dort bequem, um mich aus seinen Diamant-Augen zu beäugen. Ein zweiter tat es ihm gleich, ein dritter, bis die Anspannung um mich herum zum Schneiden dick war. Ich sah ihre fingerlangen Krallen, die mich mühelos in der Mitte hätten zerreißen können, und ihre scharfen Zähne, die sie mir mit einem hyänenhaften Grinsen präsentierten. Der eine keckerte frech, ein anderer spreizte die Flügel. Sie spielten. Sie umzingelten uns, kosteten meine Angst aus und warteten, bis ich mich regte. Eine Jagd, das wusste ich, gefiel höllischen und himmlischen Bestien gleichermaßen gut.

Das Feld, ob mit oder ohne Harpyie, war letzten Endes die Wahl mit einer größeren Überlebenschance. Außerdem musste ich Azazel finden. Er hatte direkt neben mir gestanden. Was, wenn die Explosion ihn noch schlimmer als mich erwischt hatte? Was, wenn er in diesem Moment auf der verkohlten Wiese starb oder die Harpyie ihm die Augen auspickte? Mir wurde schlecht vor Angst. Entschlossen suchte ich mit den Füßen Halt zwischen den Ästen und grub sie tief in das federleichte Moos darunter. Ich spürte sogar durch die Sohlen, wie warm es war. Der Boden glühte. Ich sah hinab und begriff, dass in den Tiefen des Waldbodens kleine Feuer brennen mussten. Daher die Hitze, die die Bäume nicht erblühen ließ. Optimale Voraussetzungen für eine kleine Apokalypse. Ich griff in Barghests Fell.

»Bereit?«, wisperte ich. Zum Zeichen knurrte er leise, bleckte die Zähne und gab mir mit seiner höllischen Kraft neue Zuversicht. Ich machte einen großen Sprung zurück und sofort gerieten die Dämonen über uns in Bewegung. Sie sprangen von den Ästen, brachten mit ihrem Gewicht das Holz zum Bersten und stürzten mit keckerndem Geschrei auf uns nieder.

Anstatt für Licht entschied ich mich dieses Mal für Feuer, denn ich hatte so das Gefühl, das diese Bestien auch blind noch verdammt gefährlich waren.

»Tempestes ignis.« Der Feuersturm.

Flammen folgten den Bewegungen meiner Hände und schossen an meinen Seiten in zwei Bahnen aus dem Boden hervor. Binnen eines Wimpernschlages waren Barghest und ich umringt von einem Kreis aus meterhohen Flammen. Kreischend drehten die Dämonen ab, schlugen mit ihren Flügeln nach dem Feuer, als könnte es ihnen nichts anhaben. Ich taumelte zurück, als sich der Gestank von verbranntem Fleisch unter den rauchigen Duft des Waldes mischte. Sie konnten also doch brennen.

Schweiß trat mir auf die Stirn, während ich mit ausgestreckten Händen die Flammen am Leben hielt und Schritt für Schritt den Rückzug antrat. Barghest hingegen hüpfte todesmutig vor mich und pflückte einen der Flughunde aus der Luft, der es an den Flammen vorbeigeschafft hatte. Er biss ihm den Kopf ob und schwarzes, stinkendes Blut spritzte in die Flammen.

»June!« Azazels Ruf hallte durch den Wald. Ich wandte den Kopf, während mir Schweiß in die Augen lief und meine Arme zu zittern begannen. Plötzlich preschte der braune Hengst durch die meterhohen Flammen, eine Hand packte mich und schon saß ich vor Azazel im Sattel. Er griff die Zügel enger, wendete das schnaubende Pferd im Kreis und trieb es durch das Unterholt. Ich klammerte mich an der Mähne fest und sofort erloschen meine Flammen hinter uns. Azazels Arme keilten mich an, sein schwerer Atem strich mir über den Nacken.

»Bist du verletzt?«, raunte er mir zu, während er sich ein Stückchen tiefer beugte, um mich mit seinem Körper vor niedrigen Ästen zu schützen. Sein Herzschlag, ruhig und stetig, lag direkt an meinem Rücken.

»Mehr oder weniger«, keuchte ich und wagte es erst, erleichtert auszuatmen, als wie durch ein dichtes Gebüsch hinaus auf den Pfad galoppierten, der sich durch den gesamten Wald schlängelte.

Zwischen die festgetrampelte Erde hatte man während der Erschaffung Arcanums, damals, als sich die ersten Kreaturen in diesem Wald häuslich eingerichtet hatten, Splitter von Bergkristallen eingearbeitet. Sie funkelten zwischen gewöhnlichen Steinchen und Dreck hindurch, wie Sterne, die zu Boden gefallen waren. Die meisten Dämonen hassten die Energie, die sie ausstrahlten, und mieden die Wege. Das bedeutete nicht, dass ich nachts allein mit einer Kuhglocke um den Hals auf ihm spazieren gehen würde, doch gerade jetzt kamen sie mir wie der sicherste Ort in diesem unheimlichen Dickicht vor.

Azazel zügelte das Pferd, das widerstrebend langsamer wurde. Selbst ein Hengst aus Arcanum blieb hier nicht gerne länger als nötig. Ich richtete mich auf und sah über meine Schulter zu Azazel hinauf. Das dunkelblonde Haar hing ihm wirr in die Stirn und verdeckte frisch geheilte Schrammen und Kratzer. Überall klebte Blut an ihm. Das schöne Hemd war verbrannt. Darunter lag dreckige, jedoch makellose Haut. Ihm gehörte zwar nicht mehr die Unsterblichkeit eines Engels, aber trotzdem konnten Dämonenfürsten so einiges ab. Er schenkte mir ein schiefes Lächeln, als ich ihn so eingehend musterte.

»Mir geht’s gut«, versprach er, nahm die Zügel in eine Hand und strich mir mit der anderen das Haar aus dem Nacken. »Dich hat es sehr viel schlimmer erwischt.« Schatten zogen über sein Gesicht, verdunkelten seine Augen. Das Einzige, was seine Wut wohl noch im Zaum hielt, war seine Sorge. Er spannte die Kiefer an, während die Wunden an meinem Körper unter seiner Berührung langsam zu heilen begannen.

»Barghest hat mich geschützt«, sagte ich. Wärme floss unter meine Haut, weckte die Funken in meinem Blut und setzte die Zellen von zerrissenem Fleisch wieder zusammen. Beinahe hätte ich erleichtert aufgestöhnt, als ich erschrocken bemerkte, dass der Höllenhund nicht bei uns war. Ich fuhr hoch, suchte panisch nach seiner dunklen Gestalt, fand um uns herum allerdings nichts als das Huschen der aufgebrachten Flughunde. Sie verfolgten uns, kamen aber nicht näher. Die Bergkristalle, zusammen mit einer Hexe, die in Begleitung des Teufels war, schienen ihnen dann doch zu viel zu sein.

»Wo ist er?!« Azazel zog mich sanft an sich zurück und schlang einen Arm um meine Taille.

»Bei Luzifers Raben. Sie werden Nicolais Bestie gewiss nicht entkommen lassen«, raunte er in mein Haar und löste langsam die Spannung seiner Muskeln, nachdem ich nicht mehr wie ein aufgeplatzter Transfusionsbeutel aus diversen Wunden blutete. »Du kannst dich noch immer nicht selbst heilen?«

Die Frage ließ mich unwohl im Sattel herumrutschen. Sie traf mein Ego härter, als er vermutlich beabsichtigt hatte.

»Nein«, gestand ich leise. Das Gefühl von Scham und Versagen bildete einen altbekannten Knoten in meinem Magen. Mit Luzifers Licht sollte ich das, was Azazel gerade mir getan hatte, eigentlich auch können. Heilen. Ganz ohne Magie. Aber abgesehen von der verfluchten Kälte in meinen Knochen, spürte ich nicht das Geringste von der Macht eines Engels in mir.

»June«, sagte Azazel leise und küsste meine Schläfe. »Das ist nicht schlimm. Gib dir etwas mehr Zeit. Du wirst dieses Licht schon bald zu beherrschen wissen. Daran habe ich keine Zweifel.«

Ich schon. Aber noch schlimmer als meine Zweifel war Azazels Zuversicht. Er glaubte so sehr an mich, dass ihn zu enttäuschen immer wahrscheinlicher wurde.

Ada hätte es bestimmt im Handumdrehen gelernt, aber vielleicht hatte das Licht einen riesigen Fehler begangen, als es in mich gefahren war, nur weil ich ihre Seele besaß.

Ob Azazel mich in Gedanken manchmal mit seiner ersten großen Liebe verglich? Mit dieser Legende, dem Ursprung unserer Stadt?

Das Pferd wurde wieder schneller und ich sah am Ende des Wegs bereits das Licht der Sonne, die einen wundervollen Sommertag versprach.

»Ich habe Nicolai nirgends entdecken können«, sagte ich. »Wenn er wirklich hier ist, hätte er uns doch sicher persönlich angegriffen, oder?«

Azazel nahm beide Zügel wieder auf und trieb das Pferd an. Fast schon euphorisch verfiel es in einen leichten Trab und brachte uns aus dem Wald hinaus, auf eine gepflasterte Straße, die direkt in die Stadt hineinführte. Links und rechts davon wuchs stumpfes Gras, das von kleinen Bächlein durchzogen war. Ausläufe des flüsternden Flusses.

»Wenn er noch genauso unzurechnungsfähig ist wie früher, dann auf jeden Fall.« Mir entkam ein kurzes Lachen, weil Azazels Humor durch seine todernste Art besonders amüsant sein konnte. »Aber ich denke, dass seine Harpyie nur der Vorbote war. Eine kleine Erinnerung, dass er nach wie vor dort draußen ist.«

Was für ein maßlos übertriebener Denkzettel!

»Dass er sie uns ausgerechnet heute auf den Hals gehetzt hat, kann kein Zufall sein«, überlegte ich laut und seufzte erleichtert, als wir die ersten Häuser und Höfe erreichten. Arcanum strahlte eine Sicherheit aus, die ich sonst nirgends auf der Welt so intensiv empfunden hatte. Und nachdem Calla und ich achtzehn Jahre lang durch Dutzende von Städten gereist waren, hatte ich so einige Orte zum Vergleich. »Und er will uns bestimmt nicht nur das Fest versauen.« Ich knirschte mit den Zähnen und musterte meine Umgebung, als könnte dieser geisteskranke Halbengel jeden Moment aus einer Gasse hervorspringen. »Denkst du, er weiß, was wir heute Nacht vorhaben?«, fragte ich Azazel. Dieser schien, genauso wie ich, unsere Umgebung im Auge zu behalten. Die Dächer der Häuser, viele davon überwuchert von Schlingpflanzen und wildem Wein, waren so schwarz wie die Aschebäume, die zwischen ihnen wuchsen. Deren rotes Laub, das manchmal wie Funken im Wind tanzte, bedeckt das speckige Kopfsteinpflaster der Straßen, aber von himmlischen Wesen fehlte jede Spur.

»Er kann es sich gewiss denken«, sagte Azazel und straffte das Kreuz, um seine nackte Brust nicht mehr so intim an meinen Rücken zu drücken. Ich zog mir mechanisch die Kapuze über, was nicht viel bringen würde, mir aber wenigstens ein Gefühl von Anonymität gab.

Wir waren auf einer der sechs Hauptstraßen unterwegs, die heute ungewohnt leer wirkten. Kleine Grüppchen von Hexen und Dämonen, Vätern und ihren Kindern, junge Frauen mit vollen Körben, grüßten uns mit tiefen Verbeugungen und ehrfurchtsvollen Blicken. Ob diese mir oder Azazel galten, war schwer zu sagen. Vermutlich uns beiden. Ich versuchte freundlich zurückzulächeln, weil mir die Aufmerksamkeit unangenehm und die Bewunderung zuwider war. Zum Glück war nicht viel los, denn sonst marschierten zur Zeit der Hexenfeste Hunderte von Arcanier hier hindurch, um auf einem der großen Marktplätze zu feiern. An Litha ging es ruhiger zu. Man verbrachte den Tag mit der Familie, bevor man sich um Mitternacht mit der Nachbarschaft und allen weiteren Verwandten vor einem großen Feuer traf, um Speis und Trank miteinander zu teilen. Trotzdem waren die Haustüren und Wege geschmückt, die Straßen verziert mit Girlanden und getrockneten Orangenscheiben, was einen verspielten Kontrast zu der sonst so schaurigen Kulisse Arcanums bildete.

Wir ritten an dem Gasthaus Zum brennenden Schaf vorbei, aus dem es nach gegrilltem Fleisch und frisch gebackenem Brot roch. Claudius hatte es damals bis auf die Grundmauern niederbrennen lassen; in jener Nacht, als ihm Ezra und seine Chaosmagier durch die Finger geschlüpft waren. Um das Andenken seiner einstigen Besitzerin zu ehren, hatte man es von den Grundmauern her neu aufgebaut. Nur noch kleine Reste der verkohlten Holzgiebel erinnerten an seine Vernichtung.

Ich spürte Azazels federleichte Berührung an meiner Taille, als bemerkte er, wie mich bei der Erinnerung an Belias Wirtschaft die Wehmut überkam. Sie war nicht direkt eine Freundin gewesen, viel mehr eine Verbündete, deren blutige Ermordung ich niemals vergessen würde. Ebenso wenig wie ihre Courage und Opferbereitschaft. Das Haus ihres Mannes, das als Versteck für die Chaosmagier gedient hatte, war zu einer von vielen Zufluchtsstellen geworden. Während Claudius‘ Machtübernahme und Tyrannei war manch einem die Flucht gelungen, und jene, die durch die geöffneten Portale endlich wieder heimkehren konnten, wurden mit den Folgen einer fast zwei Jahrzehnte lang unterdrückten Stadt konfrontiert. Unter der Euphorie unserer frisch gewonnenen Freiheit lagen die Reste der Ketten, in die man ganz Arcanum gelegt hatte – und ihr Klirren verfolgte seine Bewohner auf Schritt und Tritt.

Die Politik des neuen Arcanum-Zirkels musste sich erst etablieren; ein zerstörtes Rechtssystem wieder aufgebaut und wichtige Positionen mit Entscheidungsgewalt neu besetzt werden. Halbengel hatten die Stadt regiert, die Bewohner unterdrückt und enteignet. Aber man konnte nicht einfach so tun, als seien die letzten Jahre nicht passiert. Das Leben der Arcanier war weitergegangen, also musste man Stück für Stück die Dinge wieder geraderücken, anstatt alles blindlings umzuverteilen.

Zu unserem Glück hatte der erste Zirkel seine Kinder von Beginn an auf dieses Erbe vorbereitet und meine Cousinen, die alle ein gutes Stück älter waren als ich, nicht ahnungslos zurückgelassen. Ich hingegen hatte die Bürde des Nesthäkchens zu tragen und noch, wie Theodora es stets ausdrückte, viel zu lernen. Aber sei‘s drum. Das hier sollte das erste Litha mit meiner gesamten Familie werden. Auch wenn ich oft etwas überfordert war von zwölf Cousinen und einer Großmutter, die zeit meines Lebens als Schwester fungiert hatte, würde ich mir das hier nicht nehmen lassen.

Wir ritten durch das geöffnete Tor des Schlosses auf den Vorhof, der im Vergleich zur Stadt sehr viel lebendiger war. Der Zirkel hatte beschlossen, unser Familienfeuer hier zu entfachen. Und ganz Arcanum war für später eingeladen. Ein gigantischer Holzhaufen wurde mit trockenem Stroh gestopft, meterlange Tische gedeckt und Hunderte von Girlanden aufgehängt. Überall verzierten Sonnenblumen, Vergissmeinnicht und Löwenmäulchen das Maßwerk der Fenster, in deren bunten Gläsern sich die Morgensonne spiegelte.

Das Palais, um welches sich Arcanum in konzentrischen Kreisen aufgebaut hatte, war nicht nur das Herzstück der Stadt, sondern auch ein architektonisches Meisterwerk gotischer Baukunst. Türme ragten in den Himmel, zwischen denen sich steinerne Brücken spannten. Wasserspeier starrten auf die Stadt hinab, ihre unheimlichen Fratzen eine Erinnerung an die Monster, die diese Stadt ihr Zuhause nannten. Komplizierte, geometrischen Formen, Ranken und Giebel verzierten die Außenmauern. Es war so detailreich, dass ich mich noch immer nicht daran sattgesehen hatte, und verströmte eine düstere Schönheit, die mich jedes Mal aufs Neue sprachlos machte.

Ich sprang vor Azazel aus dem Sattel, noch ehe er den Hengst gezügelt hatte. Wir mussten mit den anderen, vor allem aber mit Calla reden.

3. Kapitel

Bloß keine Panik schieben

Als ich durch das sperrangelweite Schlosstor in den Saal des Eingangs trat, hatte ich keinen Blick für die Wunder, die Ondine mit ihrem Talent für Dekoration vollbracht hatte. Selbst die meterhohen Kreuzrippengewölbe waren mit Blumenketten, Federn und Talismanen behangen. Ob sie dafür auf einem Besen durch die Luft geritten war, wagte ich zu bezweifeln. Ich stapfte die breiten Treppen hinauf und wurde beinahe wahnsinnig bei all den Arcaniern, die hier im Schloss herumwuselten. Tabletts mit Speisen wich ich gerade so aus, Fässer voller Wein drohten mich zu überrollen. Die Planung der anderen war offensichtlich vollkommen aus dem Ruder gelaufen.

»June!« Ich wirbelte herum uns sah Maya auf mich zueilen. Sie trug bereits eines der weißen Leinenkleider, die sie für jede Einzelne von uns per Hand, mit etwas Magie, genäht hatte. Es war schlicht und wunderschön, mit gestickten Blumenmustern am Saum. Ich schüttelte verdutzt den Kopf.

»Warum siehst du denn so … harmlos aus?« Maya und ihr Modegeschmack waren bekannt für verführerische Dunkelheit, funkelnde Akzente und definitiv weniger Stoff.

Sie drehte sich einmal im Kreis, wobei sich einige dunkelbraune Locken aus ihrem Haarkranz lösten.

»Wenn du mich beleidigen willst, kannst du später einen Kartoffelsack anziehen«, sagte sie fröhlich und nahm sich eine Blume aus dem Haar, um sie mir hinters Ohr zu schieben.

»Ich habe meine Aufgabe mit Bravour erfüllt«, lobte sie sich selbst. Ich liebte Maya für ihr natürliches Selbstbewusstsein und das Talent, die Menschen um sich herum damit anzustecken. »Esme und ich waren damals während der Flucht für kurze Zeit in Schweden, irgendwo auf dem Land, und durften bei einem echten, traditionellen Mittsommerfest dabei sein. Die Mädchen dort hatten alle solche Kleider an.« Sie redete viel zu schnell, was sie oft tat, wenn sie so unbeschwert unterwegs war. »Etwas Abwechslung tut unserer Garderobe ganz gut. Außerdem passen Blumen hier sehr viel besser dazu – die du, wie ich sehe, vergessen hast.« Sie musterte meine leeren Hände und schlagartig zerfiel ihre gute Laune.

»Was ist passiert?«, hauchte sie und grifft nach meiner Hand. Anstatt Panik zu bekommen, wurde sie vollkommen ernst. Das waren wohl die Instinkte, nach jahrelanger Flucht und Gefangenschaft. So schnell konnte uns nichts mehr aus den Socken hauen.

»Wir wurden angegriffen«, kam Azazel mir zuvor und trat an meine Seite.

»Die Blumen sind leider in einer kleinen Explosion verbrannt«, fügte ich hinzu. Maya blinzelte und strich besorgt über meine zerfetzte Tunika, um zu überprüfen, ob ich noch verletzt war.

»Explosion?«, fragte sie fassungslos und schaute zu Azazel auf. »Zwischen euch beiden wird es ja schon mal explosiv, aber wenn du von einem Angriff sprichst, denke ich mal, dass nicht das Feuer eurer Leidenschaft daran schuld war, oder?« Damit brachte sie mich tatsächlich zum Grinsen und ich war ihr für diesen lockeren Spruch unendlich dankbar.

»Nein, Maya, es war nicht das Feuer unserer Leidenschaft«, grummelte Azazel, obwohl ein Lächeln an seinem Mundwinkel zupfte. »Außerdem wäre ich an deiner Stelle mit solchen Bemerkungen sehr vorsichtig, da du aus dem einzigen Bruder, den ich in meiner Nähe noch erdulden konnte, einen liebeskranken Trottel gemacht hast.«

Maya schoss die Röte in die Wangen und in einem vergeblichen Akt des Stolzes hob sie das Kinn. Sie zog mich an ihre Seite, wie eine Verbündete, mit der zusammen sie Azazels großer Gestalt trotzen konnte.

»Ich mag es nicht, wenn du witzig bist. Das kommt stets so unerwartet.« Da hatte sie recht, dabei waren Azazels Scherze der beste Beweis dafür, wie sehr er jemanden mochte.

»Wo ist Calla?«, fragte ich, um auf das Wesentliche zurückzukommen.

»Vorhin hat sie noch mit Esme zusammen in der Küche gefrühstückt, da hält es aber jetzt bestimmt keiner mehr aus. Der gesamte Raum ist kontaminiert von dem Dampf ihres Punsches. Man kann diese Frau nicht aus den Augen lassen! Weiß der Teufel, wie viel Ziegenkraut sie bereits hineingemischt hat!« Sie winkte ab, weil jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um sich über Esmes Vorliebe für Aphrodisiakum aufzuregen. »Ich glaube, Calla ist zum Siegel geflüchtet.«

Natürlich, das Siegel. Dort verbrachte sie die meiste Zeit, egal ob es regnete oder nicht. Azazel ging schnellen Schrittes voraus, die so ausholend waren, dass Maya und ich Mühe hatten, mit ihm mitzuhalten.

»Wer hat euch angegriffen?«

»Nicolais Harpyie«, sagte ich und zog Maya ungerührt weiter, weil sie vor Schock beinahe stehen geblieben wäre.

»Was?« Hass und Wut, aber vor allem Angst sprach aus ihrer Stimme. Sofort fing auch mein Herz wieder an, schneller zu schlagen.

»War er da? Hast du ihn gesehen?« Ihre Hand umklammerte die meine, hielt sich daran fest. »Ist er in Arcanum, June?«

»Wir wissen es nicht«, sagte ich leise und erwiderte den Druck ihrer Hand. »Aber falls er es ist, sollte uns das nicht verrückt machen.«

»Verrückt vielleicht nicht unbedingt, aber mordlustig auf jeden Fall. Was, wenn er nicht allein ist? Mit ihm zusammen sind auch einige andere von Claudius’ Halbengeln entkommen.« Azazel vor uns schnaubte.

»Nicht einmal eine Armee aus Halbengeln könnte heute mit euch fertigwerden. Nicolai ist nicht dumm, zumindest nicht, wenn es um Kriegsführung geht. Er weiß, dass er in der Nacht eines Hexenfestes gegen die gebündelte Macht des Arcanum-Zirkels keine Chance hat, und wird wohl kaum einen offenen Kampf riskieren.«

»Und wenn er aus dem Hinterhalt angreift, so wie vorhin?«, fragte ich. »Wenn er weitere solcher explosiven Erinnerungszeichen vorbereitet hat und sie über uns fallen lässt, während wir auf dem Friedhof sind?«

»Denkst du, er will das Ritual unterbrechen?« Mayas Augen weiteten sich. »Wenn Theodora davon erfährt …«

»Ganz ruhig«, sagte ich. »Das wir jetzt in Panik geraten, ist vermutlich genau das, was er will.«

Wir erreichten den Innenhof, der umschlossen war von weitläufigen Außenfluren. Seitdem wir Arcanum und das Schloss zurückerobert hatten, hatte sich dessen Erscheinung stark gewandelt. Die Wände waren nach wie vor verziert mit spröden Knochen, die vermutlich einst von Menschen und Tieren stammten, aber statt der verkohlten Sträucher – die letzten Rückstände des Feuers, das hier einmal gewütet hatte – wuchsen nun überall saftig grüne Pflanzen. Calla hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Ort wie ein Heiligtum zu pflegen. Die erhöhte aschegraue Plattform in der Mitte glänzte wie frisch poliert, und sogar das schwarze Salz, das sie umgab, war neu aufgeschüttet worden. Es roch nach Blumen und Gras, feuchter Erde und Magie.

Ich entdeckte meine Schwester vor einem kleinen Blumenbeet, in dem sie Kräuter gezüchtet hatte. Sie beherrschte jede Form der Magie fehlerfrei, aber die von Mutter Natur liebte sie besonders. Eine Leidenschaft, die sie mit Theodora teilte, weshalb beide manchmal tagelang in der Küche verschwanden, um neue Tränke und Tinkturen aus den dubiosen Pflanzen zu brauen, die hier oder im Garten wuchsen.

Calla richtete sich auf, als sie uns entdeckte, und winkte fröhlich, wobei ihr das goldblonde Haar offen über die Schultern fiel. Ihre Erscheinung war pures Licht, ein Tropfen Sonne, der jedem noch so düsteren Umstand etwas Wärme und Lebendigkeit verlieh. Selbst jetzt, wo sie Erde an den Fingern hatte und Schweiß auf der Stirn, wirkte sie makellos. Je mehr Magie wir Hexen nutzten, desto langsamer alterten wir, weshalb wir noch immer sterblich waren. Doch die Mächtigsten von uns konnten Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte in der Blüte ihrer Jugend verbringen, ohne sich Gedanken über irgendeine Altersvorsorge machen zu müssen. Calla war die Erste unserer Art gewesen. Sie hatte den Ursprung der Welt miterlebt und sah nach wie vor aus, als dürfe sie erst seit Kurzem Lotto spielen.

»Ihr seid schon wieder zurück?«, fragte sie amüsiert und strich sich die Hände am Kleid ab. »Ich hätte schwören können, dass wir euch vor Mitternacht nicht wiedersehen.« In ihren bernsteinfarbenen Augen lag dieses freche Funkeln, eine Unbeschwertheit, die sich nie lange hielt. Auch jetzt verschwand es sofort wieder, als sie meine und Azazels ramponierte Kleidung bemerkte. Sie eilte erschrocken auf mich zu und betastete besorgt meine Wange.

»Ihr wurdet angegriffen«, stellte sie nüchtern fest. Hatte sie gerade eben noch wie ein junges, unschuldiges Mädchen gewirkt, war sie sogleich wieder meine ältere Schwester. Ich versicherte ihr, dass es uns beiden gut ging, woraufhin sie Azazel einen prüfenden Blick zuwarf. Er bestätigte meine Worte mit einem knappen Nicken, weil man meiner Einschätzung oft nicht trauen konnte. Calla wusste, dass ich noch nicht in der Lage war, mich selbst zu heilen, und durchschaute jedes Mal meine Versuche, vor ihr die Starke zu spielen.

»Nicolais Harpyie«, sagte Azazel und erzählte mit wenigen Worten, was auf dem Feld vorgefallen war.

»Weiß Theodora schon davon?«, fragte sie und schaute in die Runde. Maya schüttelte den Kopf.

»Sollen wir es ihr überhaupt erzählen?«

»Wir können das nicht geheim halten. Vor keinem der anderen Mädchen«, sagte ich und sah Calla eindringlich an. Diese nickte. Es mussten ein paar Entscheidungen getroffen werden. Jetzt sofort.

»Er wird das Ritual heute Nacht nicht verhindern können«, versicherte Calla und ging mit uns zurück ins Schloss. »Dafür hat er nicht die Macht. Egal wie viele Halbengel noch an seiner Seite sind.«

»Tarel, Anaell und ich werden die Umgebung des Friedhofes absichern«, versicherte Azazel. »Und wir sollten die Hauptportale schließen lassen. Zumindest für heute Nacht.«

Seitdem Claudius’ Essenz aus dem Siegel der Stadt verschwunden und damit auch seine Macht über sie gebrochen war, kontrollierte der Zirkel wieder die vier Hauptportale. Sie standen am Rande der Stadt und wurden Tag und Nacht von Dämonen bewacht. Der Zirkel hatte von Anfang an beschlossen, sie offen zu lassen, nachdem sie achtzehn Jahre lang geschlossen gewesen waren. So viele geflohene Arcanier hatten in der Menschenwelt leben müssen, abgeschnitten von jenen, die hier gefangen gewesen waren. Niemals wieder wollten wir aus einem Zuhause ein Gefängnis machen.

»Nur für heute Nacht«, versicherte mir Calla, nachdem sie meine missmutige Miene gesehen hatte.

»Nicolais Harpyie ist gewiss nicht durch eines der Hauptportale gekommen. Das hätten wir sofort bemerkt«, sagte ich. »Und sollte er sich dazu entschließen, hier persönlich aufzutauchen, wird er es gewiss auch nicht tun. Es gibt Dutzende von kleineren Portalen in den Katakomben. Und im Wald habe ich auch bereits zwei entdeckt.« Portale, die dort geöffnet wurden, wo sich besonders viel Magie ansammelte, funktionierten wie Türen, die einen zu jedem anderen Portal bringen konnten, solange dieses nicht versiegelt war. Meistens wurden an solchen Stellen Altäre oder Opfertische errichtet. Das war hier in Arcanum nicht anders als in der Menschenwelt, obwohl die Sterblichen nicht wussten, warum genau sie gerade an diesem Ort Heiligtümer erbauten. Sie taten es unbewusst, während wir nach unseren Sinnen handelten. Sogar himmlische Wesen konnten sie benutzen, obwohl sie dafür keine Magie benötigten.

»Wenn er heute hier erscheint, ist das sein Todesurteil«, versicherte Azazel. Ich stieß ein trockenes Lachen aus.

»Nicolai war leider schon immer etwas lebensmüde.«

Sein Mundwinkel zuckte. Er zog mich im Gehen an seine Seite und legte mir die Hand auf die Taille. Ein warmer Schauer durchlief mich und gab mir neue Zuversicht, während Calla beschloss, dieses Problem mit allen Mädchen zu besprechen, bevor eine Entscheidung gefällt wurde.

Nur wenige Minuten später hatten wir uns alle in dem gottverlassenen, halb zerstörten Saal von Claudius versammelt. Dort, wo noch vor Kurzem sein goldener Altar gewesen war, stand nun ein gigantischer Käfig aus blauen erstarrten Flammen. Und in ihm lag Najma. Claudius’ Schatten. Ein total gestörtes Federvieh in Form eines riesigen Adlers. Ihr einst weißes Gefieder war durch die Hexenseele, die sie gefressen hatte, an einigen Stellen stumpf und schwarz geworden. Ihre murmelgroßen Augen, in denen ich oft eine fast schon menschliche Intelligenz zu sehen glaubte, waren voller Wahnsinn und Wut. Wir hatten sie in diesem abscheulichen Saal unterbringen müssen, weil sie an jedem anderen Ort einen ohrenbetäubenden Aufstand veranstaltet hatte. Nur hier war sie ruhig und versuchte nicht ständig, sich den Schädel an den Gitterstäben einzuschlagen. Zusammengekauert lag sie am Boden des Käfigs, den Azazel eigens für sie angefertigt hatte. Niemand außer ihm würde ihn öffnen können, was mir die Gewissheit gab, dass Najma nicht doch eines Nachts ausbrechen würde, um uns allen im Schlaf die Augen auszuhacken. Als wir den Saal betraten, lag sie allerdings kraftlos und lethargisch da, die zerfledderten Flügel wie die eines Engels von sich gespreizt. Ein tragischer Anblick. Hin und wieder konnte sich weit hinten in meinem Herzen sogar so etwas wie Mitleid für sie finden. Claudius hatte ihr all das angetan. Hatte sie misshandelt, mit all der Magie, die nicht für himmlische Wesen bestimmt war. An dem Tag vor achtzehn Jahren, als seine Halbengel und er unsere Eltern ermordet und verbrannt hatten, damit keiner von ihnen wiedergeboren werden konnte, hatte lediglich Theodoras Mutter ein anderes Ende getroffen. Ihre Seele war von Najma gefressen worden, damit Claudius ihre Hexenkräfte für sich nutzen konnte. Sein Schatten wäre heute noch weiß und bei Verstand, wenn er ihr nicht solch einen grausamen Befehl gegeben hätte.

Ich entdeckte Theodora, die den Käfig beinahe jeden Tag besuchte. Manchmal sprach sie sogar mit Najma, vermutlich in der Hoffnung, damit die Seele ihrer Mutter zu erreichen. Heute funkelten ihre Augen wie die einer Katze. Sie hatte das rötliche Haar am Hinterkopf zusammengesteckt und wirkte so ungeduldig wie noch nie. Auf diesen Tag hatte sie achtzehn Jahre lang warten müssen.

»Ich hasse diesen Saal«, grummelte Maya neben mir. »Gleich morgen früh werde ich ihn abfackeln, damit auch das letzte bisschen von Claudius’ Essenz aus ihm verschwindet.« Ich lachte leise.

»Schöne Idee. Danach können wir eine Teestube daraus machen.« Maya zwinkerte mir zu, obwohl sie genauso angespannt war wie ich und jede andere. In diesem Saal klebten grausame und erniedrigende Erinnerungen. Hier war ich Claudius das erste Mal begegnet. Hier war ich vor ihm auf die Knie gesunken und hatte mir das Herz brechen lassen. Selbst jetzt, wo der Saal durch die zerschlagenen Buntglasfenster, den aufgeplatzten Boden und rußgeschwärzten Wände an den vergangenen Kampf erinnerte – an unseren Sieg –, fühlte ich mich sofort wieder hilflos und ausgeliefert. Als sei Claudius’ Geist noch hier. Als hätten seine Kälte und Rigorosität nach wie vor Macht über uns.

Die anderen Mädchen, fast alle bereits in Mayas weiße Leinenkleider gehüllt, redeten leise miteinander, nicht sicher, warum wir uns jetzt bereits hier trafen. Esme kam zu uns, ein Glas in der Hand.

»Oh nein«, murmelte ich, als ich ihre glänzenden Augen sah. »Bitte sag mir nicht, dass du deinen eigenen Punsch jetzt schon getrunken hast.« Sie leckte sich über die vollen Lippen.

»Natürlich. Ich musste ihn doch abschmecken.« Sie grinste zufrieden und warf sich mit einer eleganten Bewegung das dicke, schwarze Haar zurück. Selbst angetrunken erinnerte mich ihr sinnliches Auftreten an eine Wüstenprinzessin. Eine Femme fatale, die wusste, mit ihren Reizen zu überzeugen. Maya nahm ihr das Glas aus der Hand.

»Du wirst besser ganz schnell wieder nüchtern.«

»Wieso?« Esme blinzelt verdutzt. Für gewöhnlich war Maya die Erste, die mit ihr zusammen anstieß. »Ist was passiert? Treffen wir uns deswegen jetzt schon hier? Ich dachte, wir wollten erst kurz vor Mitternacht los und – sag mal, June, bist du voller Blut oder in einen Marmeladentopf gefallen?« Sie riss schockiert die Augen auf, der Alkohol war schlagartig verflogen.

Ach verdammt, ich hätte mich wirklich umziehen sollen.

»Riech ich vielleicht nach Erdbeeren?«, fragte ich und wedelte mit den zerfledderten Ärmeln meiner Tunika. Plötzlich stand Theodora neben mir, noch unruhiger als zuvor.

»Was hast du schon wieder angestellt?«, fragte sie mich vorwurfsvoll, packte meinen Arm und musterte die Blutspuren. Ich schluckte schwer, weil ich sie auf keinen Fall enttäuschen wollte. Theodora hatte von uns allen am meisten gelitten.

»June hat nicht das Geringste getan, Theodora. Sie wurde angegriffen«, verteidigte mich Maya. Theodora ließ mich los und wollte etwas sagen, als Calla alle zur Ruhe aufforderte.