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J. Kenner

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Beschreibung

Liebe hat immer ihren Preis ...

Der Fotograf Wyatt steht kurz vor dem großen Durchbruch. Alles, was ihm fehlt, ist das perfekte Model als Herzstück für seine kontroverse, sexy Ausstellung. Die leidenschaftliche Tänzerin Kelsey braucht diesen Auftrag, um eine alte Schuld wiedergutzumachen – auch wenn es bedeutet, mit dem Mann zusammenzuarbeiten, dem sie schon einmal gefährlich nahe gekommen ist. Doch dann stellt Wyatt eine Bedingung: Kelsey kriegt den Job nur, wenn er die komplette Kontrolle hat – bei Tag und auch bei Nacht ...

Band 1 der Deep-Serie

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J. KENNER

deeplove

ROMAN

Band 1

Aus dem amerikanischen Englisch

von Emma Ohlsen

Der Roman

Der Fotograf Wyatt steht kurz vor dem großen Durchbruch. Alles, was ihm fehlt, ist das perfekte Model als Herzstück für seine kontroverse, sexy Ausstellung. Die leidenschaftliche Tänzerin Kelsey braucht diesen Auftrag, um eine alte Schuld wiedergutzumachen – auch wenn es bedeutet, mit dem Mann zusammenzuarbeiten, dem sie schon einmal gefährlich nahe gekommen ist. Doch dann stellt Wyatt eine Bedingung: Kelsey bekommt den Job nur, wenn er die komplette Kontrolle hat – bei Tag und auch bei Nacht …

Die Autorin

Die New-York-Times- und SPIEGEL-Bestsellerautorin J. Kenner arbeitete als Anwältin, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, widmete. Ihre Bücher haben sich weltweit mehr als drei Millionen Mal verkauft und erscheinen in über zwanzig Sprachen. J. Kenner lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Texas, USA. Ihre lieferbaren Romane und Erzählungen finden Sie unter J. Kenner im Diana Verlag. Wenn Sie mehr über J. Kenner erfahren wollen, entdecken Sie Das große J. Kenner Fanbuch.

Die Deep-Serie

Deep love (Band 1)

Deep passion (Band 2)

Deep danger (Band 3)

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Copyright © 2017 by Julie Kenner Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Wicked Grind bei Martini & Olive Books. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Antje Steinhäuser Umschlaggestaltung: t. mutzenbach design, München Umschlagmotiv: © Dragol Kostadinov, aPhoenixPhotographer/Shutterstock

Für Melissa.

Denn sie ist der Boss.

Prolog

Ich hatte geglaubt, dass er für immer aus meinem Leben verschwunden war. Dass nichts von ihm geblieben war außer einer Erinnerung, scharf und verboten. Erschreckend und doch verlockend.

Die Erinnerung an den Mann, der alles veränderte.

An die Nacht, die meine Welt zum Einsturz brachte.

Ich redete mir ein, dass ich darüber hinweg war. Dass ich ihm begegnen könnte, ohne mich von ihm angezogen zu fühlen. Ohne die Scham und den Schmerz neu zu durchleben.

Ich habe das jedenfalls geglaubt.

Ich hätte es wahrhaftig besser wissen müssen …

1

Er war von nackten Frauen umgeben und zu Tode gelangweilt.

Wyatt Royce musste sich zwingen, nicht die Stirn zu runzeln, als er die Kamera senkte, ohne auf den Auslöser gedrückt zu haben. Nachdenklich wich er einen Schritt zurück und musterte die vier Frauen, die vor ihm standen, wie Gott sie erschaffen hatte.

Wunderschöne Frauen. Selbstbewusste Frauen. Mit Traumfiguren, makelloser Haut, strahlenden Augen und starker, geschmeidiger Muskulatur, die ahnen ließ, wie engagiert sie ihren Körper im Bett einsetzen konnten.

Mit anderen Worten, jede dieser vier Frauen hatte ihren ganz besonderen erotischen Reiz. Jede hatte das gewisse Etwas, nach dem sich Männer wie Frauen umdrehten.

Doch keine von ihnen hatte »es«.

»Wyatt? Bist du so weit?«

Jon Pauls Stimme holte Wyatt aus seinen frustrierten Überlegungen, und er nickte seinem Beleuchter zu. »Tut mir leid. Ich war in Gedanken.«

JP wandte den Frauen den Rücken zu, ehe er Wyatt mit einem anzüglichen Grinsen bedachte. »Kann ich mir vorstellen.«

Wyatt lachte leise. »Platz, Bello!« Wyatt hatte den dreiundzwanzigjährigen Studenten der Fotografie vor sechs Monaten ursprünglich als Mädchen für alles engagiert. Aber als sich herausstellte, dass JP nicht nur ein großartiger Fotograf, sondern auch ein Beleuchtungswunder war, hatte sich die Chef-Assistent-Beziehung langsam zu einer von Mentor und Protegé entwickelt, aus der inzwischen eine Freundschaft geworden war.

JP machte seinen Job verdammt gut, und Wyatt konnte sich auf ihn verlassen. Doch JPs Fachgebiet war eigentlich Architektur. Die Tatsache, dass die Models, denen er tagtäglich gegenüberstand, nicht nur schön, sondern in den meisten Fällen auch splitterfasernackt waren, war für ihn nicht nur ständige Quelle der Faszination sondern, wie Wyatt annahm, auch Anlass, mindestens einmal – vielleicht zwei- oder dreimal – täglich unter eine sehr kalte Dusche zu springen.

Nicht dass Wyatt ihm das hätte verübeln können. Schließlich war er derjenige, der die sinnlich-erotische Welt, in der JP und er selbst sich tagtäglich bewegten, inszeniert hatte. Seit Monaten nun verbrachte er, in seinem Studio verschanzt, jeden Tag mit atemberaubenden Frauen, begutachtete sie aus jedem Blickwinkel und fasste sie an, um sie behutsam für die Kamera in Position zu bringen. Stets taten sie, was er sagte, stets waren sie bemüht, es ihm recht zu machen, und sie verdrehten und verbogen ihre Körper, um verführerische Stellungen einzunehmen, die oftmals unnatürlich und nicht immer angenehm für sie waren. Und sie taten all dies ausschließlich aus dem Grund, weil er sie dazu anhielt.

Solange diese Frauen sich vor seiner Kamera befanden, gehörten sie ihm. Und er hätte sich selbst etwas vorgemacht, wenn er nicht zugegeben hätte, dass das Shooting in vielen Fällen erotisch mindestens so aufgeladen war wie die fertigen Bilder später.

Insofern konnte er die Verlockung sehr wohl nachvollziehen, wenn er sich selbst auch hütete, ihr nachzugeben. Denn obwohl nicht wenige Models keinen Zweifel daran ließen, dass sie ihm bereitwillig in sein Schlafzimmer gefolgt wären, kam das nicht infrage.

Zu viel hing von diesem Projekt ab.

Zu viel? Verdammt alles hing von der bevorstehenden Ausstellung ab. Seine Karriere. Sein Leben. Sein Ruf. Von seinen Ersparnissen ganz zu schweigen.

Vor achtzehn Monaten hatte er beschlossen, in der Welt der Kunst und der Fotografie Eindruck zu machen, und in nur siebenundzwanzig Tagen würde sich zeigen, ob er es geschafft hatte.

Seine Hoffnung war, dass sein Werk einschlug wie eine Kanonenkugel, die mit solcher Wucht aufs Wasser klatschte, dass alles und jeder im näheren Umfeld bis auf die Haut durchnässt wurde, während er, die Ursache der ganzen Aufregung, in aller Seelenruhe im Mittelpunkt stand.

Seine Befürchtung war, dass seine Ausstellung nicht mehr als ein Kräuseln auf der Oberfläche erzeugte, als hätte er nur am Beckenrand seinen großen Zeh ins Wasser gesteckt.

Hinter ihm hustete JP und riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf, stellte fest, dass alle vier Frauen ihn hoffnungsvoll ansahen, und fühlte sich wie der hinterletzte Schuft.

»Entschuldigt, meine Damen. Ich versuche mir nur gerade darüber klar zu werden, wie ich Sie haben will.« Er gab sich Mühe, seine Stimme neutral zu halten, doch die kleine Brünette kicherte trotzdem, ehe sie hastig die Lippen zusammenpresste und den Blick senkte. Wyatt tat, als hätte er nichts bemerkt. »JP, hol mir bitte die Leica aus dem Büro. Ich denke, ich sollte Schwarz-Weiß-Aufnahmen machen.«

Das dachte er ganz und gar nicht, zumindest nicht wirklich. Im Grunde genommen versuchte er nur, Zeit zu schinden. Er redete einfach, was ihm in den Sinn kam, bis er entschieden hatte, was – wenn überhaupt – er mit den Frauen anstellen sollte.

Während er sich langsam auf sie zubewegte, versuchte er zu ergründen, warum er derart desinteressiert war. Waren denn wirklich alle gänzlich ungeeignet für seine Zwecke? Für die eine Rolle, die er noch zu besetzen hatte?

Nachdenklich wanderte er um sie herum, begutachtete ihre Kurven, die Gesichtszüge, den warmen Schimmer der Haut im schummrigen Licht. Die eine hatte ein klassisches Profil mit aristokratischer Nase, die andere einen breiten, sinnlichen Mund. Die dritte hatte einen Schlafzimmerblick, der die Erfüllung aller erdenklicher Männerfantasien zu versprechen schien. Die vierte besaß genau die Art von großäugiger Unschuld, die nahezu darum bettelte, verdorben zu werden.

Jede dieser Frauen hatte über ihren Agenten ihre Mappe eingereicht, über deren Fotos er stundenlang gebrütet hatte. Er hatte noch eine Position auszufüllen, doch die war entscheidend, denn sie stellte das Herzstück der Ausstellung dar. Eine einzelne Frau, die all die sorgsam in Szene gesetzten Aufnahmen mit einer Serie von Aktbildern vereinen würde, die er bereits deutlich vor Augen hatte. Das perfekte Zusammenspiel von Licht und Szenerie, von Körper und Ausstrahlung. Sinnlichkeit mit Unschuld gepaart und mit Verruchtheit durchzogen.

Er wusste, was er wollte. Mehr noch: Irgendwo in der Tiefe wusste er sogar ziemlich genau, wie diese Person aussehen musste.

Bisher war sie noch nicht in sein Studio marschiert.

Doch es gab sie, dessen war er sich sicher. Wer immer sie war.

Dummerweise hatte er nur noch siebenundzwanzig Tage Zeit, um sie zu finden.

Was auch der Grund dafür war, warum er sich an Model-Agenturen gewandt hatte, obwohl in seiner ursprünglichen Vision für die Ausstellung nur Amateurinnen vorkamen. Frauen, die ihm am Strand auffielen, im Supermarkt oder wo immer er sich gerade aufhielt. Frauen aus seiner Vergangenheit. Frauen, denen er bei seiner Arbeit begegnete. In jedem Fall aber Frauen, die ihr Geld nicht mit ihrem Aussehen verdienten. Das hatte er sich in der Planungsphase geschworen.

Tja. Und doch telefonierte er nun die Agenturen ab, bat sie, ihm ihre sinnlichsten Models zu schicken und brach sein eigenes Versprechen, weil ihm die Zeit davonlief und seine Verzweiflung wuchs. Weil jene Idealfrau, die sich am Rand seines Bewusstseins versteckte, vielleicht ganz zufällig Model geworden war und inzwischen einen Agenten hatte.

Obwohl er im Grunde wusste, dass es nicht sein konnte. Nicht seine Idealfrau.

Nein, das Mädchen, das er wollte, würde eine fotografische Jungfrau sein. Dies war die Unschuld, die er einzufangen erhoffte, dies war seine Vision. Für die er sich nunmehr seit über eineinhalb Jahren neben seinem normalen Broterwerb als kommerzieller Fotograf aufrieb. Fotosessions, wann immer Zeit dafür war, endlose Nächte in der Dunkelkammer und oftmals nichts als Kaffee und Eiweißriegel, weil keine Zeit war, sich etwas zu holen, von selbst zu kochen ganz zu schweigen.

Monatelang hatte er auf ein Ziel hin geplant, geschuftet, sich gesorgt und weiter geschuftet. Und dann jene raren, kostbaren Momente, in denen er ganz genau wusste, dass er im Begriff stand, etwas wahrhaft – wahrhaft! – Spektakuläres zu erschaffen!

Ja, er war erschöpft. Aber er hatte es bald geschafft.

Bisher hatte er für die Ausstellung einundvierzig endgültige Bilder ausgewählt, und jedes einzelne war nach seinen Maßstäben reine Perfektion.

Er brauchte also nur noch die letzten neun. Einen letzten Satz Fotos jener idealen Frau, nach der er noch immer suchte. Fotos, die seine Vision in ihrer ganzen Pracht und Bedeutung hervortreten lassen und sein Werk abrunden würde.

Was hatte er alles geopfert, um endlich auf diese Zielgerade zu gelangen. Und doch stand er hier und vergeudete seine Zeit mit Frauen, die zwar schön und erotisch waren, doch in keiner Weise das darstellten, was er wollte oder brauchte.

Verdammt.

Frustriert seufzend fuhr sich Wyatt mit der Hand durch das dichte, kurze Haar. »Also, meine Damen, ich denke, wir sind fertig für heute. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihr Interesse an meinem Projekt. Ich werde mir Ihre Mappen noch einmal ansehen und mich mit Ihren Agenten in Verbindung setzen, falls ich Sie buchen möchte. Sie können sich jetzt anziehen.«

Ratlos sahen die Frauen einander an. Auch JP, der in diesem Augenblick mit der Leica am Riemen über der Schulter zurückkehrte, stutzte verblüfft. Hinter ihm betrat eine große Rothaarige das Studio.

»Siobhan«, sagte Wyatt und ignorierte die dumpfe Vorahnung, die sich augenblicklich in seinen Eingeweiden bemerkbar machte. »Ich hatte gar nicht auf dem Plan, dass wir einen Termin haben.«

»Ich dachte, du wolltest eine Schwarz-Weiß-Serie schießen«, sagte JP gleichzeitig und hielt vorwurfsvoll die Leica hoch.

Die Frauen, die sich gerade ihre Bademäntel überzogen, hielten, offenbar verunsichert, mitten in der Bewegung inne.

»Wir sind fertig«, wiederholte Wyatt an sie gewandt, ehe er seinem Assistenten zunickte. »Ich habe alles, was ich brauche, um eine Entscheidung zu treffen.«

»Na klar, wie du meinst. Du bist der Boss«, murmelte JP, warf dabei aber Siobhan einen Seitenblick zu. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und zog nun die Brauen zusammen – verwirrt oder verärgert oder vielleicht auch beides.

Dennoch hielt sie sich mit den Fragen zurück, bis auch das letzte Model im Flur verschwunden war, der zur Garderobe führte, und die Tür leise klickend ins Schloss fiel.

»Du hast also, was du brauchst?«, sagte sie, ohne sich mit Floskeln aufzuhalten. »Heißt das, dass eines der Models das Mädchen ist, nach dem du gesucht hast?«

»Bist du deswegen hier? Um zu überprüfen, welche Fortschritte ich mache?« Mist. Er klang wie ein kleiner Junge, der etwas angestellt hatte und sich nun vor der Direktorin rechtfertigen musste.

Zum Glück lachte Siobhan nur. »Erstens schließe ich aus deinem trotzigen Tonfall, dass die Antwort Nein lautet. Zweitens bin ich vor allem aus Freundschaft die Leiterin deiner Ausstellung, und in meiner Eigenschaft als deine Freundin frage ich dich auch, was zum Teufel du hier eigentlich machst. Wir haben keinen Monat mehr, um das ganze Ding zusammenzustricken. Wenn also keine der Frauen diejenige welche ist, dann sag mir bitte, was ich tun kann, um dir zu helfen. Denn auch für mich hängt an der Sache einiges, wie du weißt. Floppt die Ausstellung, sind wir beide erledigt.«

»Vielen Dank«, erwiderte er trocken. »Ich weiß deine aufmunternden Worte zu schätzen.«

»Hör auf zu heulen. Ich will dich auf dem Cover von jedem Kunst- und Fotomagazin in diesem Land sehen, und ich will, dass deine Ausstellung in den nächsten fünf Jahren landesweit von mindestens einem Dutzend Museen und Galerien gebucht wird. Was dich aufmuntert, interessiert mich gerade nicht. Zieh das hier einfach nur durch.«

Wyatt musste sich ein Grinsen verkneifen. »Ist das alles?«

»Keineswegs. Ich will befördert werden. Meine Chefin überlegt, nach Manhattan zu ziehen. Ich will ihr Büro.«

»Es ist immer gut, Ziele im Leben zu haben«, kommentierte JP und deutete mit einer Kopfbewegung auf Wyatt. »Ich will seins.«

»Geh«, sagte Wyatt und zeigte mit dem Daumen in Richtung Garderobe. »Lass die Mädchen durch die Galerie raus.« Sein Studio befand sich auf zwei Etagen und verfügte sowohl über einen diskreten Ausgang auf die Gasse hinter dem Gebäude als auch über eine frisch renovierte Galerie mit einer großen Schaufensterfläche, die auf eine belebte Einkaufsstraße von Santa Monica hinausging.

»Du bist also wirklich fertig?«, hakte JP nach. »Das war’s? Keine einzige Aufnahme?«

»Ich brauche nichts mehr zu sehen«, gab Wyatt zurück. »Wenn du zu den Mädchen gehst, bequatsch sie ein bisschen, damit sie nicht meinen, sie hätten hier ihre Zeit vergeudet. Wir sehen uns morgen.«

»Das ist dein subtiler Versuch, mich loszuwerden, nicht wahr?«

»Sei nicht albern. Von subtil kann keine Rede sein.«

JP grinste, sagte aber nichts. Mit einem letzten Winken zu Siobhan verschwand er im Flur nach hinten.

»Also? Was kann ich tun?«, fragte Siobhan, sobald er fort war. »Soll ich ein Casting organisieren? Du weißt, dass ich eine ganze Menge wirklich heißer Frauen kenne.«

Und ob sie das tat. Tatsächlich spielte Siobhans Freundin Cassidy in der Ausstellung eine wichtige Rolle. Und im Übrigen hatte Wyatt es Cass zu verdanken, dass er Siobhan überhaupt kennengelernt hatte, die nicht nur aus der Kunstszene kam, sondern auch noch einen prestigeträchtigen Job als Assistant Director am Stark Center for the Visual Arts in Los Angeles’ Innenstadt hatte.

Ursprünglich hatte sich Wyatt eine bedeutend kleinere Ausstellung in seinem eigenen Studio vorgestellt. Die Örtlichkeit war schließlich gut, und er erhoffte sich Laufkundschaft, da viele Leute von der Third Street Promenade herüberkamen. Ungefähr vor acht Monaten hatte er Cass gebeten, für ihn Modell zu stehen, und das nicht nur, weil sie eine Schönheit war. Er kannte die schrille Tattoo-Künstlerin lange genug, um zu wissen, dass sie keine Pose, die er sich vorstellte, scheuen würde, und mochte sie noch so provokant sein. Cass war alles andere als schüchtern und liebte es zu schockieren … solange es nach ihren Bedingungen geschah.

Siobhan hatte sie begleitet, und Wyatt zeigte ihnen zunächst drei Werke, die er bereits vollendet hatte, damit Cass sich ein Bild von seiner Vision machen konnte. Es war das erste Mal, dass er sein Vorhaben en detail erklärte, und der Effekt war nahezu kathartisch, da Siobhan seine Sprache sprach und Cassidy selbst eine Künstlerin war, auch wenn sie auf Haut statt auf Leinwand arbeitete.

Er hatte ihnen erklärt, dass er ursprünglich nur eine Pause von den üblichen Porträts und Werbefotos gebraucht hatte, mit denen er seine Brötchen verdiente. Tatsächlich begann er bereits, sich mit Landschaften und Großstadtszenen auch auf künstlerischer Ebene einen Namen zu machen. Und obwohl er sich über solche Erfolge freute, blieb es letztendlich unbefriedigend, da sein Herz nicht daran hing. Ja, die Natur bot viel Schönheit, aber Wyatt wollte weibliche Erotik auf Film bannen.

Mehr noch, er wollte eine Geschichte erzählen. Von Schönheit. Unschuld. Verlangen. Ekstase. Er wollte die Welt durch die Augen dieser Frauen sehen und die Frauen durch die Augen der Welt.

Letztendlich wollte er die Erotik zur Kunst erheben und sie dazu verwenden, mehr über seine Modelle zu verraten, als sie sich selbst bewusst waren. Stärke und Sinnlichkeit, Leidenschaft und Zartheit. Er stellte sich vor, den Betrachter mit einer Reihe provokanter Bilder auf eine Reise von Unschuld über Wollust zu Zügellosigkeit und wieder zurück zu schicken – eine Reise, die ihm den Atem rauben und sein Verlangen wecken würde.

An jenem Nachmittag hatten sich Wyatt, Siobhan und Cass über eine Stunde lang unterhalten. Er zeigte ihnen Beispiele, beschrieb, welche Emotionen er wecken wollte, hörte sich ihre Vorschläge an und stellte zufrieden fest, dass sie offensichtlich von seinem Konzept begeistert waren. Eine weitere Stunde lang stand Cass für ihn Modell. Er verknipste drei ganze Filme und wusste, dass das, was er aufnahm, zu dem Besten gehörte, was er bisher vollbracht hatte.

Anschließend spazierten sie zum Q, ein Restaurant in Santa Monica, das für seine Martinis bekannt war, und stießen auf sein Projekt, Cass’ Bilder und Siobhans Karriere an, und als der Abend endete, hatte er in Bezug auf sein kleines Projekt ein verdammt gutes Gefühl.

Am nächsten Morgen war es sogar noch besser gekommen. Siobhan stand nämlich mit einem offiziellen Angebot vom Stark Center auf seiner Matte, und er willigte umgehend ein, ohne darüber nachzudenken, dass dadurch noch eine Person von seinem Erfolg abhing – und durch potenzielles Scheitern in Schwierigkeiten geraten könnte.

»Ich meine es ernst«, sagte Siobhan nun, als das Schweigen sich in die Länge zog. »Was immer du brauchst.«

»Ich finde sie«, gab Wyatt zurück. »Ich habe noch Zeit.«

»Aber nicht mehr viel«, erwiderte sie. »Du weißt, dass ich die Drucke für den Katalog brauche; von der Gestaltung der Räumlichkeiten will ich erst gar nicht reden. Keisha wird langsam nervös.« Keisha war ihre Chefin. »Wir arbeiten normalerweise nicht in so engen Zeitfenstern.«

»Ich weiß. Es wird …«

»Siebenundzwanzig Tage bis zur Vernissage, Wyatt.« Er konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören, und es gefiel ihm gar nicht, dass er die Ursache dafür war. »Aber nur noch ungefähr die Hälfte, bis du die Drucke abliefern musst. Uns läuft die Zeit weg. Wenn du nicht die eine finden kannst, dann musst du irgendeine nehmen. Es tut mir leid, aber …«

»Ich sagte ja schon, dass ich sie finde. Vertrau mir einfach, okay?«

Im Augenblick sah sie nicht so aus, als würde sie ihm auch nur ihren Goldfisch anvertrauen, aber Profi, der sie war, nickte sie. »Na schön. In diesem Fall brauchst du mir heute nur das neueste Bild zu zeigen, damit ich die PR-Kampagne besser planen kann. Und du mailst mir die Datei für den Katalog?«

»Na klar.« Er trat an eine verhängte Leinwand, die mittig an der Wand hing. »Hier ist es.« Er zog das Tuch herab und enthüllte eine lebensgroße Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Frau, die sich anzog. Auf den ersten Blick schien es nicht das pikanteste seiner Werke, doch das täuschte, denn die Frau stand in einem Ankleidezimmer, in dem sich mindestens ein Dutzend Männer hinter den Kleidern und Mänteln verbarg und sie beobachtete.

Die Frau war sich dessen nicht bewusst. Sie hatte einen Fuß auf einen Hocker gestellt und beugte sich vor, um einen Straps zu befestigen. Der Betrachter hatte keine direkte Draufsicht; er sah zunächst nur den Rock, eine Andeutung des Strumpfhalters und ein Bein.

Dann erst entdeckte man den Spiegel hinter ihr. Ein Spiegel, der enthüllte, dass sie unter dem Strapsgürtel kein Höschen trug. Und obwohl nichts auf dem Foto der Fantasie überlassen wurde, war es noch immer kein besonders scharfes oder anzügliches Foto. Dann jedoch sah man die Reflektion eines anderen Spiegels im Spiegel. Und darin noch einen. Und noch einen. Und in jedem das Abbild derselben Frau, die jedes Mal etwas gewagter posierte, bis sie in der Ferne nackt zu sehen war – eine Hand zwischen den Beinen, die andere an der Kehle, den Kopf ekstatisch zurückgeworfen. Und die Männer, die im Schrank gelauert hatten, standen nun um sie herum, fassten sie an und liebkosten sie.

Der Clou an dem Bild aber war, dass die letzte Spiegelung sich tief im Bildhintergrund befand. Um das Wesentliche erkennen zu können, musste man schon so nah an das Foto herantreten, dass man fast mit der Nase dagegen stieß.

Wyatt freute sich schon jetzt darauf, Besucher der Ausstellung dabei zu beobachten.

»Das ist großartig«, sagte Siobhan ehrfürchtig.

»Es war eine Höllenarbeit, es zu inszenieren und zu entwickeln. Wir haben Stunden am Set und in der Dunkelkammer verbracht.«

»Du hättest es digital bearbeiten können.«

Er schnaubte. »Nein. Bei manchen Bildern – meinetwegen. Aber nicht bei dem.« Er wandte den Kopf und betrachtete es kritisch. »Das hier musste Handarbeit sein. Es geht genauso sehr um den Werdegang wie um das fertige Produkt.«

»Ja. Das verstehe ich.« Siobhans Blick begegnete seinem, und der Respekt, den er in ihren Augen sah, rief ihm wieder in Erinnerung, warum er nicht einfach nur für sich selbst fotografierte. »Ich würde es gerne jetzt sofort mitnehmen, um es Keisha zu zeigen.«

»Bald.« Siobhan und Keisha hätten am liebsten jeden Druck sofort von Wyatt ausgehändigt bekommen, aber er hatte sich gesträubt. Er müsse von seinen Werken umgeben sein, hatte er ihnen erklärt, damit die Kontinuität der Geschichte, wie sie schließlich in der Ausstellung erscheinen sollte, gewährleistet sei. Und aufgrund der Größe der Leinwand sowie Besonderheiten, die in der Dunkelkammer entstanden, konnten Duplikate einen falschen Eindruck erzeugen.

Was bedeutete, dass Siobhan zu ihm kam, wenn sie ein Bild sehen wollte. Und da sie zurzeit den Katalog zusammenstellte und Material für Werbezwecke brauchte, kam sie oft.

Wyatt hatte darauf bestanden, dass kein Foto vor der Ausstellungseröffnung gezeigt werden durfte, und Siobhans Team hatte ihm versprochen, dass der rasch anwachsende Katalog-Prototyp unter Verschluss gehalten werden würde. Darüber hinaus würde die Werbung im Vorfeld der Vernissage keines der Werke in seiner Gänze zeigen, sondern mit wohldosierten Einblicken in die spezielle provokante Sinnlichkeit locken.

Und das war ihnen gelungen; die Kampagne war schon jetzt ein Erfolg. Die Galerie hatte ein Bild pro Monat veröffentlicht – eins seiner Fotos, ja, aber nur ein sexy Ausschnitt, der mithilfe unterschiedlicher Mittel erreicht worden war. Clever und effektiv: Mal lag gelbes Absperrband über dem Foto, ein anderes Mal blickte man durch das Schlüsselloch einer Hotelzimmertür.

Wyatt war bereits interviewt worden, man hatte in nicht weniger als fünf lokalen Zeitungen und Zeitschriften über die kommende Ausstellung berichtet, und er war am Tag der Vernissage für zwei Sendungen im Frühstücksfernsehen gebucht worden.

Keine schlechte Bilanz bisher, und das sagte er Siobhan auch.

»Wenn du unserer Kampagne einen echten Schub verschaffen willst«, antwortete sie, »dann sollten wir deine Großmutter ins Boot holen.«

»Nein«, kam die Antwort prompt.

»Wyatt …«

»Ich sagte nein. Diese Ausstellung ist allein meine. Ich kann nicht verbergen, wer ich bin, aber ich muss damit nicht hausieren gehen. Wenn wir meine Großmutter hervorkramen, sie ins Frühstücksfernsehen schicken und sie ihr Loblied auf den kleinen Wyatt singen lassen, dann trudelt hier die ganze Welt ein, und das weißt du.«

»Ähm, ja, darum geht’s doch. Die Leute auf deine Kunst aufmerksam zu machen.«

»Aber ich will, dass sie wegen meiner Kunst kommen. Nicht weil sie hoffen, ein Autogramm von Anika Segel zu kriegen.«

»Hauptsache ist doch, dass sie deine Bilder sehen und sich in sie verlieben. Wen kümmert es, was sie in die Ausstellung treibt?«

»Mich«, sagte er und war froh, dass sie dagegen kein Argument zu wissen schien.

Einen Moment lang stand sie still da, als suche sie nach Worten, dann schüttelte sie schließlich den Kopf und seufzte. »Du bist der Künstler«, sagte sie und schnitt ein Gesicht. »Dein Temperament passt jedenfalls dazu.«

»Siehst du? Genau so hast du mich bequatscht, diese Sache mit dir gemeinsam zu machen – mit peinlich sentimentaler Schmeichelei.«

»Manchmal kannst du wirklich lustig sein, Wyatt.« Sie rückte den Schulterriemen ihrer Tasche zurecht und deutete mit dem Finger auf ihn. »Verbock die Sache nicht.«

»Nie und nimmer.«

»Na gut.« Sie beugte sich vor, um ihn zu küssen, drückte ihn aber plötzlich an sich. »Es wird großartig werden«, flüsterte sie, und er war selbst erstaunt, wie gut diese schlichten Worte ihm taten.

»Das wird es«, erwiderte er. »Ich muss nur noch die Richtige finden.« Er blickte auf seine Uhr. »In etwa einer halben Stunde kommt noch ein Model. Nina. Mia. Irgendwie so was. Wer weiß – vielleicht ist sie es ja!«

»Ich drück’ dir die Daumen.« Ihr Grinsen wurde anzüglich. »Falls nicht, sag Bescheid. Dann stürzen Cass und ich uns in die Suche.«

»Ein paar Tage wie heute und ich nehm dich beim Wort.«

»Ein paar Tage ist alles, was du hast«, entgegnete sie und warf abwehrend die Hände hoch. »Schon gut, schon gut, ich geh’ ja schon.«

Sie steuerte auf den Ausgang zu, und er wandte sich wieder zu seinem Foto um und betrachtete es kritisch. Einen Moment später griff er nach den Tüchern, die über den Werken links und rechts von dem Bild hingen, zog auch sie herab und enthüllte die Farbabzüge darunter.

Er trat einen Schritt zurück, um die Inspektion fortzusetzen und sich zu vergewissern, dass keine weiteren Verfeinerungen nötig waren. Langsam wich er weiter zurück, um – wie ein Besucher seiner Ausstellung – alle drei Bilder gleichzeitig im Blickfeld zu haben. Einen Schritt, noch einen Schritt und noch einen.

Er blieb stehen, als er die Tür hinter sich gehen hörte, und verfluchte sich, dass er nicht hinter Siobhan zugesperrt hatte. »Hast du was vergessen?«, fragte er, als er sich umdrehte.

Aber es war nicht Siobhan.

Es war sie.

Das Mädchen aus seinem Kopf. Das nachts durch seine Träume geisterte.

Die Frau, die er brauchte, wenn diese Ausstellung das werden sollte, was er sich vorgestellt hatte.

Eine Frau mit einem großen sinnlichen Mund und einem starken, geschmeidigen Körper, der an den richtigen Stellen Kurven besaß. Augen, die geradewegs in die Seele der Männer blicken konnten, und eine Aura von Unschuld, die implizierte, dass sie das, was sie dort sah, nicht billigte. Die Andeutung eines Lächelns, das ein wenig ungezogen war, und ein sexy Hüftschwung, um das Ganze abzurunden.

Sie war ein wandelnder Widerspruch. Sinnlich, doch bescheiden. Sexy und doch lieb.

Eine Frau, die in einem Moment aussah wie ein Covergirl, im nächsten aber so, als hätte sie nie etwas Glamouröseres getan, als ihren Hund auszuführen.

Sie war schärfer als die Sünde und gleichzeitig kalt wie Eis.

Sie war Kelsey Draper, und er hatte seit dem Sommer vor seinem Abschluss nicht mehr mit ihr gesprochen. Und was ihn betraf, war das verdammt gut so.

Sie sah ihn an und riss die Augen auf, und auf ihren Lippen erschien ein kleines, zittriges Lächeln. »Oh«, war alles, was sie sagte.

Und in diesem Moment war Wyatt klar, dass er in fetten Schwierigkeiten steckte.

2

Oh.

Das Wort scheint über uns in einer Sprechblase zu hängen, und ich möchte in den Boden versinken. Zehn Jahre auf einer exklusiven Mädchenschule, ein Studium in Früherziehung mit den Nebenfächern Tanz und Englisch, und mir fällt nichts Besseres ein als »Oh«?

Natürlich sollte ich nicht so streng mit mir sein. Immerhin hat es mich eiskalt erwischt. Was nicht an der aufregend sinnlichen Fotokunst vor mir liegt, sondern an dem Mann, der sie erschaffen hat. Der dafür verantwortlich ist, dass meine Hände schwitzen, meine Brustwarzen sich aufrichten und mein Puls in meiner Halsschlagader Trommelwirbel verursacht.

Der Mann, den ich als Wyatt Segel kennengelernt habe.

Und mit dem ich jetzt und hier garantiert nicht gerechnet habe.

Was bedeutet, dass Nia mir eine Erklärung schuldig ist. »Irgendein Fotograf, der Models sucht. Mein Agent hat gesagt, er zahlt verdammt gut, und in Anbetracht der Tatsache, dass du bis zum Ende des Monats einiges an Geld brauchst, würde ich es an deiner Stelle machen. Ein gewisser W. Royce. Noch nie von ihm gehört, aber wen interessiert’s, solange er gut bezahlt?«

Noch nie von ihm gehört? Oh, bitte! Nia ist Model, der Kerl ist Fotograf. Sie muss doch gewusst haben, dass es sich um ein Pseudonym handelt. Sie hat mich reingelegt, das ist alles.

Ich fürchte, dafür muss ich sie erwürgen.

Zuerst muss ich allerdings diesen Job übernehmen. Mein Bruder Griffin hat in seiner Kindheit Verbrennungen vierten Grades erlitten, und ich habe nur noch weniger als einen Monat Zeit, um fünfzehntausend Dollar aufzubringen, damit ich ihn in der Versuchsreihe einer innovativen klinischen Studie unterbringen kann. Keine leichte Aufgabe mit meinem Lehrerinnengehalt, auch wenn ich jetzt im Sommer noch zusätzliche Tanzstunden gebe.

Weswegen mir die Idee meiner Freundin Nia gar nicht so abwegig erschien. Zugegeben, sie musste mich erst überzeugen. Mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, mich zur Schau stellen zu müssen. Aber schließlich redete ich mir selbst gut zu. Harte Zeiten erfordern eben besondere Mittel.

»Mein Agent hat mich für einen Wäschegig gebucht«, erzählte sie mir, als wir gestern auf ihrem Balkon saßen. »Das Ganze ist sehr kurzfristig. Wahrscheinlich muss der Fotograf seine Deadline einhalten. Jedenfalls solltest du an meiner Stelle hingehen. Der Bursche heiß W. Royce, und Adresse und Zeit kann ich dir schicken.«

Allein der Gedanke bereitete mir ein flaues Gefühl im Bauch. »Bist du verrückt? Das kann ich doch nicht machen.«

Nia seufzte theatralisch. »Warum denn nicht? Weil es falsch wäre?« Beim vorletzten Wort zeichnete sie Gänsefüßchen in die Luft.

»Ja, genau deshalb«, gab ich vorwurfsvoll zurück. Nia zieht mich ständig mit dem auf, was sie »übersteigerte Skrupelbereitschaft« nennt. In ihren Augen bin ich viel zu steif und diszipliniert und müsste mich unbedingt ab und zu aus meiner sicheren Alltagsroutine hinausbewegen und fünf gerade sein lassen. Selbstverständlich irrt sie sich. Total.

Denn ich weiß besser als jeder andere, welchen Preis man zahlt, wenn man gegen die Regeln verstößt.

»Er wird eine atemberaubende Sexbombe erwarten, die die Sinnlichkeit nur so ausdünstet«, gab ich zu bedenken. »Und die bin ich ganz sicher nicht.«

»Ach, komm schon, Liebes, wir wissen beide, dass du umwerfend aussiehst. Und wo sonst kannst du so schnell so viel Geld verdienen? Zumal du zu stolz bist, um dir etwas von mir zu borgen.«

»Du kannst doch nicht einfach voraussetzen, dass er mich für den Job nimmt.« Anders als Nia, die modelt, seit sie sieben Jahre alt ist, habe ich in diesem Bereich null Erfahrung.

»Hab ich schon erwähnt, dass du umwerfend aussiehst? Und dass du dich nicht extra herausputzt, ändert daran auch nichts.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust, als ich unwillkürlich schaudere. Wieder irrt sie sich. Nicht damit, dass ich hübsch bin. Das bin ich, und ich weiß es. Es ist ein Kreuz, das ich mein ganzes Leben mit mir herumschleppen werde.

Nein, sie irrt sich mit allem anderen. Ich habe mich eine Weile herausgeputzt. Nicht sehr, und auch nur eine wirklich kurze Weile, aber es reichte aus, um die Büchse der Pandora zu öffnen, die ich bis heute verzweifelt wieder zu schließen versuche.

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, als meine Gedanken zu meinem Bruder wanderten. Diesem Fotografen mochte eine Deadline im Nacken sitzen, mir aber auch. Und wenn es auch nur eine geringe Chance gab, dass dieser Job mir das nötige Geld verschaffte, war ich es Griffin dann nicht wenigstens schuldig, es zu versuchen? Vielleicht wäre mir ein Wäsche-Shooting unter normalen Umständen zu gewagt gewesen, aber schließlich waren dies keine normalen Umstände.

»Ich kann nicht für sexy Fotos posieren. Ich wüsste überhaupt nicht, wie ich das machen sollte«, wandte ich ein, aber meinem Protest fehlte der Biss, und als Nias Augen aufleuchteten, war mir klar, dass sie Bescheid wusste: Ich hatte den Köder geschluckt, und sie musste mich nur noch an Land ziehen.

»Ach, das sind doch nur Werbefotos«, sagte sie mit einem Achselzucken, als sei das keine große Sache. »Du trägst einen Bikini und tust, als seist du am Strand.«

Einen Moment lang dachte ich darüber nach, dann nickte ich. Es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie Haut gezeigt. Und einen Bikini besitze ich auch. Ich trage ihn sogar. Am Strand. Öffentlich. Manchmal jedenfalls.

Und nach allem, was damals geschehen war, kam es mir fast wie ausgleichende Gerechtigkeit vor, mich für einen guten Zweck in Unterwäsche ablichten zu lassen. Zumindest hörte es sich nach einer guten Rechtfertigung an.

»Im Übrigen wird er als Profifotograf schon wissen, wie er dich zu nehmen hat.«

»Nia!«

»Ach, verfickt und zugenäht. Das ist doch nur so eine Redensart.«

»Musst du immer fluchen?«

»Fick, fick, fick und noch mal fick!«, erwiderte sie prompt, und ich konnte nicht anders – ich brach in Gelächter aus. »Wenn du mich lieb hast, musst du auch mein vulgäres Mundwerk lieben«, sagte sie schmollend.

»Ich hab dich lieb«, gestand ich. »Trotz deines vulgären Mundwerks.«

»Weil ich so verfickt liebenswert bin.« Sie schenkte mir ein freches Grinsen und nippte an ihrem Weinglas, während ich Mühe hatte, nicht erneut loszuprusten. Es hatte ja keinen Sinn, sie noch zu bestärken.

»Aber jetzt mal im Ernst, Kels, das wird ein Spaziergang. Es ist dem Tanzen gar nicht so unähnlich. Gestalt, Position, Bewegung. Auch beim Modeln wird choreografiert. Und überleg doch mal, in was für Klamotten du trainierst. Da wird ja auch nicht viel der Fantasie überlassen, nicht wahr?«

»Das ist doch was ganz anderes.« Zum Tanzen trage ich Sachen, die bequem sind und nicht einengen. Und wenn ich tanze, bin ich ohnehin eine andere – eine Person, die ganz in der Bewegung aufgehen und loslassen kann, weil die Musik sie notfalls immer wieder in die sichere Existenz zurückholt.

»Jetzt hör auf, dich zu widersetzen, und probier’s einfach. Glaub mir, der Job wird dir guttun. Du darfst ein kleines bisschen Verruchtheit üben und dir trotzdem die ganze Zeit über einreden, dass du es nur für Griffin tust. Perfekt.«

»Hallo? Ich tue das hier tatsächlich nur für Griffin. Ich brauche keine Ausreden, um mich im Bikini oder oben ohne zu zeigen. Ich mag mich. Ich mag mein Leben. Ich bin glücklich und zufrieden mit mir.«

»Na, na, na, wenn da einer mal nicht zu laut protestiert.«

»Oh, jetzt mach aber mal halblang«, fauchte ich. Es ärgerte mich, dass ich meinte, mich verteidigen zu müssen. »Ich hab’s nicht nötig, mit einem Kerl schon beim ersten Date ins Bett zu hüpfen …«

»Beim ersten Date?« Sie schnaubte. »Wohl eher beim fünften. Oder gar nicht. Und wo wir gerade dabei sind – wann bist du eigentlich das letzte Mal ausgegangen?«

»Darum geht es hier doch gar nicht!« Und damit hatte ich recht! »Es gibt einfach nicht so viele Männer, die mich interessieren. Warum sollte ich mit irgendeinem Spinner Essen gehen – von ins Bett ganz zu schweigen? Außerdem kommst du vom Thema ab.«

Sie hielt die Hände hoch. »Du bist diejenige, die mit dem Thema Dates angefangen hat. Mir ging es nur darum, dass du den Job zwar wegen des Geldes annehmen sollst, aber doch auch versuchen kannst, ein bisschen Spaß dabei zu haben.«

Ich hob mein Glas an die Lippen und trank es aus. »Alles, was mich interessiert, ist das Geld. Damit ich Griffin in diese Testreihe kriege.«

»Okay. Dann eben so. Hauptsache, du gehst hin und stellst dich vor. Zumindest das bist du dir – und Griffin – schuldig.«

An dieses Gespräch denke ich also, während ich jetzt in Wyatts Studio stehe und auf schockierende Fotos im Großformat blicke. Sinnliche Fotos, die mich erschrecken, und ein Mann, der mich anmacht.

Am liebsten würde ich die Beine in die Hand nehmen.

Aber ich kann nicht. Nia hat recht. Ich muss das hier machen. Ich muss mir diesen Job an Land ziehen.

Was natürlich bedeutet, dass ich mich von meiner besten Seite zeigen muss, Wyatt hin oder her. Und ich könnte durchaus mehr Wirkung erzielen, wenn mir Wörter einfallen würden. Was sich, wenn man bedenkt, wie oft ich mir schon ausgemalt habe, ihm zufällig irgendwo zu begegnen, als schwieriger herausstellt, als es das eigentlich sein dürfte.

Jedenfalls bin ich bei unseren imaginären Begegnungen in Buchläden und Restaurants immer lustig und geistreich. Und wenn wir zufällig bei Langstreckenflügen von Los Angeles nach Australien in der gleichen Reihe sitzen, verschlägt es mir selbstverständlich nie die Sprache.

Nicht, dass ich je nach Australien geflogen wäre. Aber welchen Sinn haben Fantasien und Tagträume, wenn man in ihnen nicht Fehler aus der Vergangenheit ausbügeln und ein wenig anders sein darf, als man es in der Realität ist? Vor allem, wenn man genau weiß, dass man dieses Ideal im wahren Leben niemals erreichen wird?

In den vergangenen zwölf Jahren hat meine Wyatt-Fantasie unzählige Variationen erfahren. Manchmal wechseln wir keine zwei Worte. Manchmal erlaube ich ihm, mir einen Drink auszugeben. Ein- oder zweimal habe ich zugelassen, dass es ein bisschen weiterging. Aber nicht einmal in meinen Fantasien kann ich mich dazu durchringen, uns endgültig zusammenzubringen.

Denn zwischen Wyatt und mir wird es keine Romanze geben – höchstens eine Tragödie. Bei allem, was geschehen ist, kann es einfach nicht anders sein.

Wyatt ist nun nichts mehr als eine Stecknadel auf der Karte meines Lebens. Eine Erinnerung daran, wie schlimm es werden kann und warum dumme Entscheidungen, nun ja … dumm sind. Mehr als dumm sogar.

Für mich ist Wyatt kein Mann, er ist ein Konzept. Ein Talisman. Fantasie, mit Erinnerungen verquirlt und mit Verlust bestreut.

Vielleicht keine gute Mischung, aber wenigstens eine, mit der ich umgehen kann.

Aber mit dem Wyatt hier?

Goldbraunes Haar und whiskyfarbene Augen, die bis tief hinein in meine Vergangenheit blicken. Die schlanke Gestalt, die ich noch immer an meinem Körper spüren kann, und starke Arme, die mir einst Geborgenheit vermittelten. Ich weiß noch, dass sein spitzbübisches Grinsen mein Herz zum Flattern brachte, auch wenn er mir im Moment todernst entgegensieht.

Der Junge, bei dessen Anblick es mir damals jedes Mal den Atem verschlug, ist zu einem selbstbewussten Mann geworden ist, der den Raum um uns herum allein durch seine Präsenz beherrscht.

Wegen ihm habe ich damals die Regeln gebrochen. Wegen ihm habe ich die Kontrolle verloren. Wegen ihm ist mein Leben aus den Fugen geraten.

Und leider kann ich ganz und gar nicht mit ihm umgehen.

Im Gegenteil: Er versetzt mich in Angst und Schrecken. Und ich fürchte, meine Entscheidung, zu diesem Vorsprechen zu kommen, war ein Irrtum phänomenalen Ausmaßes.

Yep. Ich werde Nia wohl doch erwürgen müssen. Was eigentlich schade wäre. Denn wer hat schon die Zeit, sich eine neue beste Freundin zu suchen?

Aber wichtiger noch: Wie soll ich bis zum Ende des Monats die fünfzehntausend Dollar zusammenkriegen?

Und während ich dastehe wie ein Depp, verschränkt er die Arme vor der Brust und legt den Kopf leicht schief. Und in diesem Moment wird mir bewusst, dass er mich schon die ganze Zeit beobachtet. Ohne ein Wort zu sagen. Einfach nur abzuwarten scheint. Als sei ich am Zug.

Und wahrscheinlich ist das auch so.

Ich schlucke und kämpfe gegen die Versuchung an, mir die verschwitzten Handflächen an meinem grauen Bleistiftrock abzuwischen, während ich ihm ein zögerliches Lächeln schenke. Ich beobachte sein Gesicht und hoffe auf ein Grinsen als Reaktion, auf einen kleinen Hinweis, dass er in den vergangenen zwölf Jahren vielleicht auch einmal an mich gedacht hat. Ein Zeichen, dass er sich daran erinnert, was wir zueinander gesagt, wie wir miteinander gelacht, wie wir einander berührt haben.

Irgendetwas.

Wie eine jämmerliche Bettlerin stehe ich da und hoffe auf eine klitzekleine Andeutung, dass ich genauso am Rand seines Bewusstseins gelauert habe, wie er stets am Rand von meinem.

Doch da ist nichts. Null.

Na schön.

Dann eben nicht.

Ich lasse meinen Blick über die Wände schweifen, doch das ist ein Fehler, da mich die drei großformatigen Fotos, die hinter ihm hängen, sofort in ihren Bann ziehen. Sie sind unverblümt und aufregend, verstörend und ehrlich. Sie erzeugen eine Schwingung, die in mir ein Minigewitter kurzer Elektroschocks auslöst, so prickelnd wie erschreckend.

Hastig wende ich mich ab und räuspere mich. »Tja«, sage ich und bemühe mich, normal zu klingen. »Eigentlich gehe ich zu Castings, bei denen es ums Tanzen geht, nichts ums Modeln. Was müsste ich tun?«

So flüchtig, dass ich es mir auch eingebildet haben mag, blitzt etwas in seinen Augen auf, doch schon zieht er die Brauen zusammen, und sein Kiefer verspannt sich. »Kelsey«, sagt er schließlich, und als ich meinen Namen von seinen Lippen höre, durchströmt mich Erleichterung. Wenigstens weiß ich jetzt, dass er sich an mich erinnert.

»Ja.« Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln, bis mir wieder einfällt, dass es sich hier um ein Vorsprechen handelt und ich ein Porträtfoto mit meiner E-Mail-Adresse und der Handynummer in der Hand habe. Etwas steif halte ich es ihm hin. »Ich bin’s.«

Er schaut nicht einmal auf das Foto.

»Lang ist’s her.« Seine Stimme klingt tonlos. Gelassen.

»Das ist es«, stimme ich in einem munteren Singsang zu, der mir beinahe die Schamesröte in die Wangen treibt. Aber er scheint es gar nicht zu bemerken. Stattdessen mustert er mich von Kopf bis Fuß, und ich spüre seinen Blick wie Hände, die genüsslich über meinen Körper streichen. Ich hole tief Luft. Eine Gänsehaut überzieht meine Arme und Schweißperlen bilden sich in meinem Nacken, doch zum Glück trage ich mein braunes Haar schulterlang.

Ich muss mich zwingen, nicht unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten, doch es fällt mir schwer, da ich mich genauso nackt fühle wie die Models auf den Fotos an der Wand hinter uns. Und als Wyatt seine Musterung endlich beendet und sein Blick meinem begegnet, bin ich ziemlich sicher, dass die Hitze, die mir in den Kopf steigt, auch auf meinen Wangen erblüht und mich verrät.

In Erwartung seiner nächsten Worte, hole ich tief Luft. Ich gehe davon aus, dass er etwas zu unserer gemeinsamen Vergangenheit sagt. Zumindest aber, dass es schön ist, mich wiederzusehen.

Doch ich könnte nicht falscher liegen.

»Was zum Henker willst du hier?«, fragt er scharf, und es fühlt sich an wie ein kalter Guss.

Stammelnd ringe ich um Würde und Worte. »Ich … also ich … na ja, den Job!«

Sobald die Worte heraus sind, richte ich mich etwas gerader auf und kämpfe meine Verlegenheit nieder. Wyatt kann mir gefährlich werden, und das darf ich auf keinen Fall vergessen. »Ich bin wegen des Jobs hier«, wiederhole ich, und dieses Mal klingt meine Stimme deutlich und stabil.

Er holt sein Handy hervor, tippt ein paarmal aufs Display und blickt dann stirnrunzelnd zu mir auf. »Nia Hancock. Siebenundzwanzig Jahre, multiethnischer Herkunft. Ihr Agent hat mir den Termin gestern bestätigt.«

Ich fahre mir nervös mit der Zunge über die Lippen. »Sie, ähm, konnte nicht. Und da ich den Job gebrauchen kann, bin ich an ihrer Stelle gekommen.«

»Bist du an ihrer Stelle gekommen?«, wiederholt er. In seiner Miene zeigt sich eine Reihe von Regungen von Überraschung über Verwirrung bis zu etwas, das verdächtig nach Verärgerung aussieht. »Du«, sagt er so ausdruckslos, dass es schon beunruhigend ist.

Ich mache den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber ehe ich noch ein Wort sagen kann, spricht er schon weiter.

»Erwartest du ernsthaft, dass ich dir das glaube? Dass Kelsey Draper ein Model sein will? Wie diese Models hier?« Er deutet hinter sich auf die Bilder, die in so vieler Hinsicht überlebensgroß sind.

Wieder lecke ich mir über die Lippen, bereue die reflexhafte Geste aber augenblicklich. Denn ich weiß es nicht. Ich weiß es wahrhaftig nicht.

Doch dann fällt mir wieder Griffin ein. Und das Geld. Und wie nötig ich es habe.

Und, ja, ich muss auch an das beängstigende und doch herrliche Prickeln denken, das in bunten Funken durch mein Nervensystem geschossen ist. Natürlich ist es falsch, dass ich es noch einmal spüren will. Eigentlich sollte ich den geordneten Rückzug antreten, ehe wieder alles um mich herum zusammenbricht.

Aber ich tu’s nicht. Stattdessen blicke ich zu Boden und murmele: »Ja. Genau das will ich.«

Er schweigt, also hebe ich den Kopf, doch nichts in seinem Blick ermuntert mich. Ganz im Gegenteil. Seine Miene drückt immer mehr Verärgerung aus. »Was soll das?«, sagt er leise und mit drohendem Unterton, und ich begreife, dass ich einen Fehler begangen habe. »Was für ein Spiel treibst du diesmal mit mir?«

»Kein Spiel«, protestiere ich, doch meine Stimme zittert. »Du verstehst das falsch. Ich brauche einfach …«

»Was?«, unterbricht er mich. »Was kannst du schon von mir brauchen?«

Seine Stimme ist scharf wie ein Messer, das mich durchdringt. Ich setze an, um es ihm zu erklären, aber als zu meinem Entsetzen Tränen in meinen Augen brennen, weiß ich, dass ich keine Chance habe. »Es tut mir leid«, flüstere ich und weiche zurück. »Ich hätte nicht herkommen dürfen.«

3

Ich schaffe es gerade durch die Hintertür hinaus, als die Tränen auch schon zu laufen beginnen. Krachend fällt die Stahltür ins Schloss. Ich lehne mich gegen die Ziegelmauer und versuche, einfach nur ruhig zu atmen, während das Blut durch meine Adern pumpt und vor meinem inneren Auge abwechselnd die aufregenden Fotos und der Mann, der sie gemacht hat, aufblitzen.

Oh, verdammt. Ich bin doch selbst schuld. Was habe ich mir bloß dabei gedacht? Ich hätte auf dem Absatz kehrtmachen und fliehen sollen, sobald ich erkannte, dass es sich bei dem Auftraggeber um Wyatt handelte. Ich hätte sofort verschwinden müssen.

Tja. Stattdessen bin ich geblieben, weil ich jämmerlicherweise gehofft habe, mit offenen Armen von einem Mann willkommen geheißen zu werden, der eindeutig nichts mehr mit mir zu tun haben will.

Was mir eigentlich nur recht sein sollte. Denn wenn jemand mein sorgsam konstruiertes Alltagsleben durcheinanderbringen kann, dann Wyatt. Er ist die personifizierte Versuchung, und in seiner Nähe geht meine Selbstbeherrschung gegen null.

Daraus kann nichts Gutes entstehen.

Zumindest nichts, was dauerhaft wäre. Ja, natürlich, damals war es schön mit ihm. So schön, dass die Erinnerung an seine Berührungen in meiner Fantasie noch genauso stark ist wie vor über einem Jahrzehnt.

Doch diese Zärtlichkeiten waren verboten, unsere gemeinsamen Momente gestohlen. Ich wusste, dass ich gegen die Regeln verstieß, aber es war mir egal. Was hatte die Androhung von Strafe der Wirklichkeit seiner Küsse und seiner geschickten Hände schon entgegenzusetzen?

Bei ihm löste sich mein Widerstand in nichts auf, mein eigener Wille verschwand. Und obwohl ich ihm zu gerne die Schuld zuschieben würde, weiß ich doch, dass ich es gewesen bin. Ich allein.

Denn ich wollte nicht mehr die Gute sein. Ich wollte mit Wyatt böse sein.

Und schon damals wusste ich, dass ich dafür würde zahlen müssen. Was sonst? Die Regeln zu brechen hat immer seinen Preis. Bin nicht ausgerechnet ich mit diesem Mantra aufgewachsen? Hat man mir diese Wahrheit nicht nahezu eingebläut?

Doch vor Wyatt hatte ich es niemals ausprobiert.

Vielleicht glaubte ich es auch nicht wirklich.

Vielleicht glaubte ich, dass ich das Schicksal würde austricksen können. Aber das Karma ist ein hartnäckiger Buchmacher, und wenn man es übers Ohr zu hauen versucht, holt es sich erst recht, was ihm zusteht.

Seit Jahren nun lege ich mich krumm, um diese Schuld abzuzahlen. Und fünfzehntausend Dollar könnten viel dazu beitragen.

Oder hätten es gekonnt. Denn ich habe ja soeben das Handtuch geworfen und mir die Chance, schnell zu Geld zu kommen, vermasselt.

Mein Magen zieht sich zusammen, und bittere Galle steigt in meiner Kehle auf. Ich habe das Handtuch geworfen.

Ich habe das Vorhaben nicht einfach nur aufgegeben, ich bin regelrecht davor geflüchtet.

Bin ich wirklich ein solcher Jammerlappen? Derart empfindlich, dass ich mich von einem unterkühlten Tonfall und einem eisigen Blick verscheuchen lasse?

Herrgott, was hab ich denn erwartet? Dass wir uns überrascht anschauen und dann in Zeitlupe mit ausgebreiteten Armen durch eine Blumenwiese aufeinander zu hüpfen, während im Hintergrund ein Orchester hymnische Klänge anstimmt?

Dass unsere Vergangenheit wie durch Zauberei gelöscht wird und Fanfaren eine neue, glückliche Zeit verkünden?

Wohl kaum.

Ich hätte bleiben sollen. Ich hätte ihm fest in die Augen sehen und ihm versichern sollen, dass mich nur der Job interessiert und die Vergangenheit keine Rolle mehr spielt. Und das hätte ich am besten so lange wiederholt, bis er alles andere vergisst und mir endlich diesen gottverdammten Auftrag gibt.

Weil ich nicht nach Santa Monica gefahren bin, um mich mit Wyatt Segel oder W. Royce, oder wie auch immer er sich jetzt nennen mag, zu treffen. Ich bin nicht gekommen, weil ich ein heimliches Bedürfnis habe, mich vor der Kamera auszuziehen. Und ich bin ganz sicher auch nicht gekommen, weil ich so Lust auf die Blubberbläschen hatte, die Wyatts Nähe in meinem Inneren platzen lässt.

Ich bin wegen des Geldes hier. Und wegen Griffin.

Und ich denke ja gar nicht daran, mich von Wyatts arktischem Blick verjagen zu lassen.

Ich brauche den Job, und er braucht ein Model. Also werde ich das jetzt tun. Ich kann das, und ich will es.

Mit weiteren aufbauenden Sätzen im Ohr drücke ich mich von der Wand ab und ziehe die Stahltür wieder auf. Sie quietscht, und als ich eintrete, dreht Wyatt sich zu mir um.