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Seine Berührung ist Sünde. Ihre Liebe ist Erlösung.
Der smarte Investor Devlin Saint leitet eine international führende Hilfsorganisation – fest entschlossen, Ungerechtigkeit zu bekämpfen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Doch Devlin ist ein Mann mit einem dunklen Geheimnis. Als die Journalistin Ellie Holmes ihre Aufmerksamkeit auf einen ungelösten Mordfall richtet, gerät sie in ein Netz aus Intrigen und Leidenschaft, während Devlin sie immer mehr an sich bindet. Doch mit der Intensität und Sinnlichkeit ihrer Beziehung wächst auch Ellies Misstrauen. Und sie ist sich nicht mehr sicher, ob das Feuer zwischen ihr und Devlin echt ist oder nur eine Fassade, die Devlins dunkle Geheimnisse verbergen soll.
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Seitenzahl: 475
BAND 1
Seine Berührung ist ihre Sünde.
Ihre Liebe ist seine Erlösung.
Der smarte Investor Devlin Saint leitet eine der international führenden Hilfsorganisationen – fest entschlossen, Ungerechtigkeit zu bekämpfen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Doch Devlin Saint ist ein Mann mit einem gefährlichen Geheimnis. Als die Investigativjournalistin Ellie Holmes ihre Aufmerksamkeit auf einen ungelösten Mordfall richtet, gerät sie in ein Netz aus Intrigen und Leidenschaft, während Devlin sie immer mehr an sich bindet. Doch mit der Intensität und Sinnlichkeit ihrer Beziehung wächst auch Ellies Misstrauen. Plötzlich ist sie sich nicht mehr sicher, ob das Feuer zwischen ihr und Devlin echt ist oder nur eine Fassade, die Devlins dunkle Geheimnisse verbergen sollen.
J. Kenner
Fallen
Saint
Verwegene Versuchung
ROMAN
BAND 1
Aus dem Amerikanischen von Emma Ohlsen
Von J. Kenner sind im Diana Verlag erschienen:
Das große J. Kenner Fanbuch
Romane mit Nikki und Damien
Dir verfallen (Stark 1)
Dir ergeben (Stark 2)
Dich erfüllen (Stark 3)
Dich lieben (Stark 4)
Dich halten (Stark 5)
Mr. Stark (Stark 6)
Erzählungen mit Nikki und Damien
Dich befreien (Stark Novella 1)
Dir gehören (Stark Novella 2)
Dir vertrauen (Stark Novella 3)
Nikki und Damien (Stark Novellas 1–3)
Dich begehren (Stark Novella 4)
Dich beschenken (Stark Novella 5)
Dich besitzen (Stark Novella 6)
Nikki und Damien forever (Stark Novellas 4–6)
Dich berühren (Stark Novella 7)
Dich fühlen (Stark Novella 8)
Dich erleben (Stark Novella 9)
Dich verwöhnen (Stark Novella 10)
Erzählungen aus der Stark-Welt
Zähme mich (Stark Friends Novella 1)
Verführe mich (Stark Friends Novella 2)
Halte mich (Stark Friends Novella 3)
Romane
Wanted (1): Lass dich verführen
Wanted (2): Lass dich fesseln
Wanted (3): Lass dich fallen
Closer to you (1): Folge mir
Closer to you (2): Spüre mich
Closer to you (3): Erkenne mich
Secrets (1): Dirty Secrets
Secrets (2): Sexy Secrets
Secrets (3): Dangerous Secrets
Deep Love (1)
Deep Passion (2)
Deep Danger (3)
Year of Passion. Januar. Februar. März (1–3)
Year of Passion. Januar (1) – E-book
Year of Passion. Februar (2) – E-book
Year of Passion März (3) – E-book
Year of Passion. April. Mai. Juni (4–6)
Year of Passion. April (4) – E-book
Year of Passion. Mai (5) – E-book
Year of Passion. Juni (6) – E-book
Year of Passion. Juli. August. September (7–9)
Year of Passion. Juli (7) – E-book
Year of Passion. August (8) – E-book
Year of Passion. September (9) – E-book
Year of Passion. Oktober. November. Dezember (10–12)
Year of Passion. Oktober (10) – E-book
Year of Passion. November (11) – E-book
Year of Passion. Dezember (12) – E-book
Sexy Security (1): Betörendes Feuer
Sexy Security (2): Glühendes Feuer
Sexy Security (3): Stürmisches Feuer
Sexy Security (4): Verlockendes Feuer
Lovely Little Liar – Sinnliche Lügen (Blackwell Lyon 1) – E-book
Pretty Little Player – Heiße Spiele (Blackwell Lyon 2) – E-book
Sexy Little Sinner – Verführerische Sünden (Blackwell Lyon 3) – E-book
Lovely. Pretty. Sexy – Drei heiße Kurzromane. Sammelband Blackwell Lyon 1–3
Fallen Saint (1) – Verwegene Versuchung – E-book
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Vollständige deutsche E-book-Ausgabe 4/2022
Copyright © 2020 by J. Kenner
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel
My Fallen Saint bei Martini & Olive.
Copyright © des deutschsprachigen E-book 2022
by Diana Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Anita Hirtreiter
Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München
Covermotiv: © 4 PM production/Shutterstock.com
Satz: Leingärtner, Nabburg
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-641-27200-5V001
www.diana-verlag.de
Widmung
Einen dicken Knutscher für Darcy Burke, weil du gerne mal mit mir herumspinnst, weil du mir dabei geholfen hast, den Aufbau der Handlung auszuarbeiten, weil du es warst, mit der ich mich ein bisschen wie Jason Bourne gefühlt habe, als dieser durchgeknallte Fahrer uns fast von der Straße gedrängt hat, und überhaupt.
Für Jon Brown, der mir die echte Shelby vorgestellt hat … auch wenn ich sie nicht fahren durfte. Und für J. Craig Stiles & Lisa Carolin, die mich an ihrem Küchentisch haben redigieren lassen.
Und für meine Mom. Hab dich lieb. Vermisse dich.
1. Kapitel
Der Wind weht mir ins Gesicht, und die Nachmittagssonne blendet mich, als ich mit über hundert Meilen pro Stunde die lange Gerade der Sunset Canyon Road hinunterjage.
Mein Herz hämmert, und meine Hände schwitzen, doch es liegt nicht am Tempo. Im Gegenteil: Genau das brauche ich jetzt. Den Rausch. Den Kick. Ich brauche ihn wie ein Junkie, und er wirkt auf mich wie zu viel Zucker auf ein Kleinkind.
Ernsthaft: Es kostet mich meine ganze Willenskraft, meinen 65er Shelby Cobra nicht noch stärker zu strapazieren.
Denn das geht nicht. Nicht heute. Nicht hier.
Nicht, wenn ich wieder zurück bin, und am wenigsten, wenn meine Heimkehr mich mehr belastet, als ich erwartet habe. Nicht, wenn jede Kurve auf der Strecke Erinnerungen aufsteigen lässt, die mir die Kehle zuschnüren und meine Eingeweide in Aufruhr versetzen.
Verflucht.
Ich trete die Kupplung und ramme meinen Fuß auf die Bremse, während ich gleichzeitig in den Leerlauf schalte und das Steuer scharf nach links herumreiße. Als ich mit schlingerndem Heck über die Gegenfahrbahn den U-Turn vollziehe und schleudernd auf der Standspur zum Stehen komme, quietschen die Reifen. Ich atme schwer, und ich könnte schwören, Shelby geht es genauso. Für mich ist sie mehr als nur ein Auto, eher eine alte, geschätzte Freundin, und normalerweise springe ich nicht so mit ihr um.
Nun jedoch …
Tja, nun könnte es gefährlich werden. Die ganze Beifahrerseite befindet sich parallel zum jäh abfallenden Steilhang, hinter dessen gähnendem Abgrund in der Ferne die Küste zu sehen ist. Und einen atemberaubenden Blick auf die kleine Stadt im Tal gibt es gratis dazu.
Mit wild pochendem Herzen ziehe ich die Handbremse mit ganzer Kraft an. Aber erst als ich sicher bin, dass wir nicht den Hang hinabrutschen, wage ich es, den Motor abzustellen, meine schweißfeuchten Handflächen an meiner Jeans abzuwischen und mich ein wenig zu entspannen.
Auch dir einen schönen Tag, Laguna Cortez.
Mit einem Seufzen nehme ich meine Baseballkappe ab und befreie meine dunklen Locken, die mir um das Gesicht und bis auf die Schultern fallen.
»Jetzt komm mal wieder runter, Ellie«, murmele ich und hole tief Luft. Nicht, um Mut zu fassen – ich habe keine Angst vor dieser Stadt –, sondern eher, um mich innerlich zu wappnen. Denn Laguna Cortez hat mich schon einmal fertiggemacht, und ich werde all mein Kraft brauchen, wenn ich dorthin zurückkehren will.
Noch ein tiefer Atemzug und ich steige aus. Ich trete an den Rand des Haltestreifens. Es gibt keine Leitplanke, und Erdklumpen und kleine Steine lösen sich und kullern den Hang hinab, als ich an der Kante entlangbalanciere.
Unter mir ragen schroffe Felsen aus der Canyonwand. Weiter unten glätten sich die schartigen Kanten zu sanften Hängen, an denen zwischen Felsbrocken und struppigem Gebüsch Häuser aller Größen und Bauarten zu sehen sind. Die Schindeldächer folgen den Serpentinen, die hinunter zum Ausgehviertel führen. Geschützt durch die u-förmige Hügelkette öffnet sich das Areal zum größten Strand der Stadt und zieht allein durch seine Lage einen steten Strom von Touristen und Einheimischen an.
In den Augen der Öffentlichkeit ist Laguna Cortez ein Juwel der Pazifikküste. Eine entspannte Stadt mit knapp unter sechzigtausend Einwohnern und vielen Meilen Sand- und Felsstränden.
Die meisten Menschen würden einiges geben, um hier leben zu dürfen.
Für mich ist dieser Ort die Hölle auf Erden.
Hier habe ich mein Herz und meine Jungfräulichkeit verloren. Ganz zu schweigen von jedem, der mir etwas bedeutet hat. Meine Eltern. Meinen Onkel.
Und Alex.
Den Jungen, den ich geliebt habe. Den Mann, der mir den Rest gegeben hat.
Nun ist keiner mehr hier. Meine Familie tot. Alex bereits lange fort.
Und auch ich bin abgehauen. Ich wollte nur weg von der Verzweiflung über den Verlust, dem Schmerz über den Verrat. Damals schwor ich mir, niemals zurückzukehren.
Ich hatte immer geglaubt, keine zehn Pferde würden mich mehr hierherbringen.
Doch jetzt sind zehn Jahre verstrichen, und die Geister der Vergangenheit haben mich in die Hölle zurückbeordert.
2. Kapitel
Ich lernte Alex Leto an meinem sechzehnten Geburtstag kennen, und als ich ihn das erste Mal sah, war es, als habe man etwas in mir angeknipst. So etwas wie ein Glücksgefühl, nur viel, viel komplizierter. Vielleicht Optimismus mit Regenbögen und Einhörnern gemischt.
Der Tag begann grau und düster. Noch vor der Dämmerung zog ein Sturm auf, blieb über unserem Haus hängen, breitete seine finsteren Arme aus und brachte von Tagesanbruch an bis weit in den Abend hinein Wind und Regen über uns. Sechs von meinen zehn geladenen Gästen riefen an, um abzusagen, doch die geplante Party hätte ohnehin nicht stattfinden können.
Dass irgendetwas passieren würde, hätte ich eigentlich voraussehen müssen. Vielleicht nicht gerade das Unwetter, aber irgendetwas schon. Schließlich konnte ich mich nicht gerade als Glückskind bezeichnen. Das fing bereits damit an, dass ich Waise war.
Ich wurde einen Tag, nachdem meine Mutter gestorben war, vier, und obwohl ich meinem Vater stets versicherte, dass ich mich an sie erinnern konnte, stimmte das schon nicht mehr, als ich zehn war.
Ihr Bruder, Onkel Peter, zog nach ihrem Tod mit seinem Immobilienunternehmen nach Laguna Cortez. Mein Vater konnte sich nicht leisten, eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung einzustellen, hatte aber als Polizeichef sehr unregelmäßige Arbeitszeiten. Daddy und ich wohnten in den Hügeln, meistens ging ich allerdings nach der Schule zu Onkel Peter, der ein riesiges, lichtdurchflutetes Haus am Strand besaß.
Es war wunderschön dort, doch ich wäre viel lieber bei meinem Vater gewesen. Vielleicht ahnte ich bereits, was geschehen würde, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich meinem Vater am liebsten nicht mehr von der Seite gewichen wäre.
Aber was man will oder nicht will, hat keine Bedeutung, so innig der Wunsch auch sein mag. Wünsche sind beliebig, und das Schicksal ist ein hinterhältiges Biest. Im Sommer, als ich dreizehn wurde, lernte ich diese Lektion auf die harte Tour.
In jenem Sommer wurde mein Vater erschossen; der Täter brachte sich anschließend selbst um. Manch einer versuchte mich damals zu trösten, mein Vater sei in Erfüllung seiner Pflicht gestorben und habe diese Arbeit geliebt, doch das half mir ganz und gar nicht. Sein Tod wurde dadurch nicht minder schrecklich.
Zum Glück gab es noch Onkel Peter, und ich zog bei ihm ein. Meine Freunde beneideten mich glühend, da es nicht viele Strandhäuser in Laguna Cortez gab. Aber ich hatte vor allem mit meiner Trauer zu kämpfen.
Natürlich gewöhnte ich mich irgendwann an die Situation. Manchmal war ich den ganzen Tag gut gelaunt, vor dem Einschlafen konnte mich dann aber selbst nicht leiden: Man durfte doch nicht fröhlich sein, wenn die eigenen Eltern schon so früh gestorben waren.
Was letztendlich der Grund dafür war, dass es mich nicht wunderte, als das Unwetter ausgerechnet an meinem sechzehnten Geburtstag aufzog. Das Schicksal hat nun einmal die Angewohnheit, sich hinterrücks anzuschleichen und zuzuschnappen.
Dennoch war es auch mit wenigen Gästen lustig. Statt am Strand Spaß zu haben, setzten wir uns ins Fernsehzimmer und sahen Filme. Und als Brandy und ich hinuntergingen, um meinen Onkel zu fragen, ob meine Lieblingspizzeria auch bei diesem Sturm auslieferte, begegnete ich ihm.
Alex.
Er war ein paar Jahre älter als ich, groß und schlank. Sein blondes Haar war sehr kurz geschnitten, und obwohl seinem Gesicht noch eine gewisse Jungenhaftigkeit anhaftete, hatte sein Ausdruck nichts Kindliches mehr. Als er sich umwandte, um mich anzusehen, war ich wie hypnotisiert von seinen hellbraunen Augen, und als er mir freundlich zulächelte, begann es zwischen meinen Schenkeln zu pulsieren.
Ich war schon ein, zwei Male verliebt gewesen, hatte aber noch nie körperlich auf einen Jungen reagiert. Alex jedoch … Nun, nach dieser kurzen Begegnung begriff ich jedenfalls eher, worum immer so ein Gewese gemacht wurde, als durch die Klatschgeschichten, die meine Freundinnen und ich uns bei Brandys Pyjamapartys unter viel Gekicher zuflüsterten.
Als er zu mir kam, mir die Hand gab und mir zum Geburtstag gratulierte, schwanden mir beinahe die Sinne. Ich konnte bloß dastehen, ihn anstarren und zu erfassen versuchen, was er gerade gesagt hatte.
Alex Leto. So hatte er sich vorgestellt. Er arbeitete in diesem Jahr für Onkel Peter, ehe er sich für ein College entscheiden würde.
»Hi«, brachte ich krächzend hervor und hätte mich am liebsten selbst getreten, dass mir nichts Besseres eingefallen war.
»Gibt es Probleme mit dem Film?«, fragte Onkel Peter. Ich blinzelte ihn nur verständnislos an. »Mit der Wiedergabe?«, fügte er erklärend hinzu. »Bist du runtergekommen, weil du bei etwas Hilfe brauchst?«
»Oh. Genau. Pizza. Wir wollten Pizza bestellen. Glaubst du, dass bei dem Wetter geliefert wird?«
»Falls nicht, kann ich sie euch holen«, erbot sich Alex, und wäre ich nicht bereits bis über beide Ohren verknallt gewesen, hätte das mein Schicksal besiegelt. Ein echter Traumprinz, und das in unserer Küche.
Onkel Peter willigte ein, und es gab keinen Grund mehr, hier unten herumzulungern, also begaben Brandy und ich uns widerwillig zurück ins Fernsehzimmer. »Oh. Mein. Gott«, flüsterte sie viel zu laut, als wir die Treppe hinaufstiegen. »Hast du bemerkt, wie er dich angesehen hat?«
»Quatsch, der war nur höflich«, entgegnete ich, obwohl ihre Bemerkung das Kribbeln da unten prompt wiederbelebte und ihm noch ein aufgeregtes Flattern in der Magengrube hinzufügte.
»Meinst du?« Sie zwinkerte mir zu, und ich packte ihr Handgelenk, ehe wir den Raum betraten.
»Sag den anderen nichts.«
»Was? Wieso denn nicht?«
»Ich will bloß nicht … ich … Bitte nicht, okay? Wir sagen einfach wegen der Pizza Bescheid, und das war’s, ja?«
»Okay.« Sie zuckte mit den Achseln. »Wie du willst.«
»Danke.«
Sie schenkte mir ein verschwörerisches Grinsen. »Aber er ist echt total niedlich.«
»Weiß ich.« Und schon brachen wir beide in wildes Gekicher aus, das sich in hysterischem Lachen entlud, als unsere Freundin Carrie finster blickend die Tür von innen aufdrückte.
»Hallo? Wir warten nur auf euch mit dem Film. Ganz schön unhöflich.«
Wir schlugen uns die Hände vor den Mund, um den nächsten Lachanfall zu unterdrücken, traten ein, setzten uns und warteten auf die Pizza. Obwohl Alex derjenige war, der sie uns hinaufbrachte – und obwohl er blieb, um die zweite Hälfte von Alien mit uns zu sehen, und sich direkt neben mich setzte! –, sagte Brandy kein einziges Wort. Damals nicht und später auch nicht.
Was einer der Gründe ist, warum ich sie bis heute meine beste Freundin nenne.
Danach tauchte Alex ziemlich oft auf. Peter hatte zu Hause ein Arbeitszimmer, aber er war häufig auf Baustellen oder in den Büros der Wohnhäuser oder Hotels, die ihm gehörten. Er hatte Alex für administrative Arbeiten eingestellt, was bedeutete, dass er praktisch jeden Tag bei uns zu Hause war.
Statt mich wie sonst am Strand oder zum Kino zu verabreden, blieb ich zu Hause und servierte Alex Wasser, Snacks und Kaffee. Jedes Mal blieb ich ein bisschen und fragte ihn, was er gerade mache, und niemals schickte er mich weg. Im Gegenteil: Er hatte nichts dagegen. Und eines Tages fragte er mich sogar, ob ich ihm helfen würde.
»Bestimmt nicht so spannend wie mit deinen Freunden am Strand zu sein, aber ich würde mich echt freuen, wenn du mir Gesellschaft leistest.« Das leise Lächeln, das um seine Lippen spielte – kaum mehr als ein Zucken der Mundwinkel –, gab mir schließlich den Rest.
»Kein Problem, ich bin sowieso lieber hier.«
»Ernsthaft?«
Ich nickte. Mein Herz pochte so heftig, dass er es sicher hören konnte.
»Dann passt das ja prima, denn ich habe dich gern hier.«
Unsere Blicke begegneten sich, und tief in meinem Inneren schien etwas aufzubrüllen. Zum ersten Mal erlebte ich reines sexuelles Verlangen.
»Okay. Gut.« Ich schluckte. Mein Mund war staubtrocken.
Also blieb ich zu Hause und tat genau das: Ich half ihm, wo ich konnte, und stand ansonsten herum. Aber wir unterhielten uns. Ständig und über alles Mögliche. Noch nie hatte ich mich in der Gegenwart eines Menschen so wohlgefühlt, und das trotz Knistern und Funkenflug, wann immer wir uns einander näherten.
»Habt ihr was gemacht?«, fragte Brandy, als wir uns ein paar Monate später wieder in der Schule trafen.
»Nein! Er arbeitet für meinen Onkel, das weißt du doch. Außerdem ist er achtzehn, ich bin erst sechzehn. Und das ist ihm klar.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na und? Du benimmst dich, als seist du älter. Seit du … na ja. Meine Mom sagt, du hast dich selbst großgezogen.«
So unrecht hatte Mrs. Bradshaw damit nicht. Natürlich hatte mein Onkel in den vergangenen Jahren für meinen Unterhalt gesorgt, aber mehr auch nicht. Geborgenheit und Ansprache hatte ich eher bei Brandy als zu Hause gefunden. Und den Rest? Tja, für den hatte ich wahrscheinlich wirklich selbst gesorgt.
»Er ist achtzehn«, wiederholte ich bestimmt. »Nächste Woche wird er neunzehn.«
»Ist doch wunderbar.« Ihre blauen Augen funkelten. »Binde dir eine Schleife um und mach dich zum Geschenk.«
Ich machte mich natürlich nicht zum Geschenk, aber an seinem Geburtstag gab ich ihm ein ledernes Freundschaftsarmband mit einem keltischen Knoten. »Den nennt man Liebesknoten«, erklärte er mir.
Ich wurde knallrot. »Das … das wusste ich nicht.«
»Nicht? Also für mich wird es dadurch noch besonderer.«
»Oh.«
Er streckte mir den Arm entgegen. »Legst du es mir an?«
Als ich es tat, strich ich mit dem Daumen versehentlich über sein Handgelenk.
»Das ist doch total vertrackt«, sagte er so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstehen konnte.
»Was denn?«
»Das mit uns.«
»Tut mir leid. Ich sollte besser …« Ich wandte mich zum Gehen, aber er packte meinen Arm und zog mich zurück. Wir waren allein in Onkel Peters Arbeitszimmer, und er hielt mich fest.
»Du bist sechzehn.« Es klang fast wie ein Knurren. »Warum zum Teufel bist du erst sechzehn?«
Ich schüttelte den Kopf und blinzelte heftig, um die Tränen zurückzuhalten.
»Es geht nicht«, sagte er, und ich musste nicht fragen, was er damit meinte.
»Ich weiß«, flüsterte ich. Ich hatte den Kopf gesenkt und zum Boden gesprochen, doch dann sagte ich mir, dass das nicht fair war. Er hatte ein Recht auf diese Worte. Er musste wissen, was in mir vorging. Ich hob den Kopf und begegnete seinem Blick. »Aber ich will.«
Er nickte leicht. »Ich weiß«, antwortete er. »Ich will auch.«
3. Kapitel
In den kommenden Monaten war Alex’ Nähe sowohl Fluch als auch Segen. Wir wussten beide, dass es nicht ewig so weiterging und wir eines Tages nicht mehr dagegen ankämpfen konnten.
Zu allem Überfluss brach dann Brandys Vater kurz nach Weihnachten alle Zelte ab und zog ohne viel Aufhebens mit der ganzen Familie nach San Diego. Brandy und ich waren am Boden zerstört. Am Tag vor dem Umzug half ich ihr noch, die letzten Sachen einzupacken, und blieb, bis ihre Mutter mich nach Hause schickte, weil die Möbelpacker am nächsten Morgen um fünf Uhr kommen würden. Widerstrebend verabschiedete ich mich und rang tapfer meine Tränen nieder, damit Brandy nicht erneut zu schluchzen begann.
Als ich nach Hause kam, war Alex noch da, und obwohl er so tat, als müsse er noch etwas für Onkel Peter erledigen, wusste ich, dass er auf mich gewartet hatte. Dennoch huschte ich hinauf in mein Zimmer; ich wollte nicht vor ihm in Tränen ausbrechen.
Als ich gerade einzudösen begann, klopfte es an die Tür. In der Annahme, dass Onkel Peter mir Gute Nacht sagen wollte, stützte ich mich auf. Doch es war Alex.
Er schloss die Tür hinter sich, blieb allerdings dort stehen. »Ich wollte nur nachsehen, wie’s dir geht.«
»Ich bin echt geknickt«, gab ich zu, und schon begannen die Tränen erneut zu laufen. »Ich glaube, seit Daddys Tod war ich nicht mehr so traurig.«
»Oh, Ellie …« Dann durchquerte er mein Zimmer, setzte sich auf meine Bettkante und nahm mich in die Arme, woraufhin ich mich an ihn klammerte und hemmungslos an seiner Schulter weinte.
Ich weiß nicht, wann er sich zu mir ins Bett legte, aber er tat es. Wir waren beide komplett angezogen, er in Jeans und ich in meinem Schlafanzug, und er hielt mich fest und streichelte mein Haar, bis ich mich in den Schlaf geweint hatte. Und ich weinte nicht nur, weil Brandy fort war, sondern auch, weil ich wusste, dass Alex eines nicht allzu fernen Tages zum Studieren in eine andere Stadt ziehen würde, und dann hatte ich auch ihn verloren.
Nichts geschah in jener Nacht. Jedenfalls nichts Körperliches. Aber emotional? Nun, falls ich bis zu diesem Abend noch ein Quäntchen meines Herzens zurückgehalten hatte, so gehörte es am nächsten Morgen gänzlich ihm. Er schlich sich aus meinem Zimmer, ehe Onkel Peter nach Hause kam, und wir lächelten uns heimlich in der Küche zu, als ich mir den Toast für die Schule zubereitete. Ein ganz normaler Morgen. Nur dass nichts mehr normal war.
Danach beinhaltete jeder Tag heimliche Blicke und Gesten, und ich schwebte auf Wolke sieben in dem Wissen, dass dieser großartige Kerl einen festen Platz in meinem Leben hatte – eine Konstante in meiner Welt war, in der mir offenbar jeder, der mir etwas bedeutete, genommen wurde.
Meinen siebzehnten Geburtstag feierte ich nicht. Da Brandy fort war und Alex außerhalb der Stadt zu tun hatte, brachte ich die Energie dafür nicht auf. Doch Onkel Peter führte mich zum Essen aus, und als er später am Abend noch ausging, spazierte ich in der Dämmerung an den Strand zu den Gezeitentümpeln.
So behutsam wie möglich, um das besondere Ökosystem nicht zu stören, ließ ich mich auf einen Felsen nieder. Der Mond stand voll am Himmel, sodass ich die silbernen Fische, die braunen Seeanemonen und all die anderen Lebewesen sehen konnte, die sich in der fragilen winzigen Welt tummelten.
Ich hatte mich vorgebeugt, um einen Einsiedlerkrebs zu beobachten, als ich leise Schritte hinter mir hörte. Plötzliche Furcht durchfuhr mich. Ich sprang ohne nachzudenken auf, verlor prompt das Gleichgewicht und stürzte in der Gewissheit nach vorne, dass ich entweder all die kleinen Wesen in dem Teich zerquetschen oder mir zumindest auf den schartigen Felsen die Haut aufschürfen würde.
Doch dazu kam es nicht. Stattdessen flog ich vorwärts direkt in Alex’ Arme.
»Ich hab’ dich«, sagte er, während mir das Blut laut in den Ohren pochte – und das nicht, weil ich beinahe zu Boden gegangen war, sondern weil mein Körper sich eng an seinen presste, während er noch meine Oberarme umklammert hielt.
Unsere Blicke begegneten sich, und obwohl ich mich nie für forsch gehalten hätte, war ich diejenige, die den ersten Schritt machte, indem ich meine Arme aus seinem Griff löste, sie um seinen Nacken schlang, mich auf die Zehenspitzen stellte und meinen Mund auf seinen drückte.
Ich hatte keine Angst, dass er mich wegstoßen würde, denn ich spürte, dass es genau so sein musste. Der Moment war richtig, und er war derart intensiv, dass es in mir einen Feuersturm entfachte, als er eine Hand in meinen Nacken legte und mich an sich zog.
»Ellie«, murmelte er, als wir uns voneinander lösten, und meinen Namen aus seinem Mund zu hören steigerte mein Verlangen nach ihm noch mehr. Ich wollte ihn. Begehrte ihn. Wieder hob ich mich auf die Zehenspitzen, um mich ganz seinem Geschmack hinzugeben.
Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, und diesmal fürchtete ich, er könnte mich zurückweisen. Doch dann stieß er einen kehligen Laut aus und nahm meinen Mund in Besitz, während seine Hände abwärtsglitten, um meinen Hintern zu packen.
Er zog mich noch näher an sich, und ich stöhnte unwillkürlich, als ich seine Erektion an meinem Bauch spürte. Ich war einem Jungen noch nie so nah gewesen, und der Beweis, dass er mich auf diese Art wollte, brannte in mir und ließ mein Geschlecht pochen.
Mit einem Mal nahm er die Hände von meinem Hintern und schob stattdessen eine in meine Shorts, und automatisch spreizte ich die Beine, um ihm besseren Zugriff zu verschaffen.
»Bitte«, keuchte ich, ohne zu wissen, worum ich bat. Um seine Finger? Seinen Schwanz? Wollte ich, dass er mich hier im Sand liebte? Wollte ich mit ihm nach Hause?
In meinem Kopf gab es nur eine Antwort: Ja! In diesem Moment wollte ich ihm gehören, wie und wo war mir vollkommen egal.
Als er schließlich auf mich herabblickte und ich die Glut, das ungezähmte Begehren in seinen Augen sah, wusste ich, dass auch er sich danach sehnte.
Jetzt geschah es. O Gott, es geschah wirklich.
Aber dann veränderte sich etwas in seiner Miene, und er zog die Hand aus meiner Shorts. Ich hörte mich selbst wimmern, als er sich von mir löste und einen Schritt zurücktrat.
»Alex?«, fragte ich, und es klang furchtsam. Wollte er mich doch nicht? Hatte ich etwas falsch gemacht?
»Es geht nicht«, brachte er hervor, nahm meine Hand und hielt sie an seiner Brust fest. »Ich habe noch nie jemanden so begehrt wie dich, Ellie. Aber das können wir nicht tun.«
Ich versuchte zu schlucken, aber die aufsteigenden Tränen verschlossen meine Kehle. »Warum nicht?«, fragte ich, und es klang wie ein Krächzen.
Zärtlich legte er mir eine Hand an die Wange. »Du bist gerade erst siebzehn geworden, El. Und ich bin fast zwanzig. Außerdem arbeite ich für deinen Onkel.« Dann blickte er mich ernst an. »Dein Onkel ist kein Mensch, der über so etwas hinwegsieht. Wir spielen bereits mit dem Feuer. Und wenn wir nicht aufpassen, verbrennen wir uns ganz gehörig die Finger.«
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass es mir vollkommen egal war. Ich wollte mich verbrennen, ich wollte mit ihm in Flammen aufgehen, bis nur noch ein Häufchen Asche von uns übrig blieb. Doch ich schwieg, denn natürlich hatte er recht.
Als er nun langsam den Kopf schüttelte, wirkte er zutiefst traurig. »Weißt du, ich wollte nicht …«
»Was?«
»Herkommen. Nach Laguna Cortez.«
»Nicht?«, fragte ich überrascht. »Ich dachte immer, die Stadt sei ein Traumziel.«
»Mein Vater hat mir keine Wahl gelassen. Jetzt aber …« Er ließ den Satz verklingen und fuhr sich mit den Fingern durch das kurze Haar. »Gott, Ellie, jetzt möchte ich nirgendwo anders sein.«
»Bitte«, entfuhr es mir. »Ich will dich.«
Seine Mundwinkel hoben sich leicht. »Und ich dich. Aber es geht nicht.«
»Doch, es geht. Onkel Peter hat noch nicht einmal bemerkt, dass wir uns angefreundet haben, von mehr ganz zu schweigen.«
»Na schön, es geht.«
Mir blieb fast das Herz stehen.
»Und doch, Ellie, tue ich es nicht.«
Und er hielt sich daran.
Jeden Abend ging ich ins Bett und schob meine Hand zwischen meine Beine, während ich mir vorstellte, dass er all das mit mir tat, was ich immer in Liebesromanen las. Jede Nacht betete ich stumm, dass er in mein Zimmer käme und zu mir ins Bett schlüpfte.
Doch er tat nichts dergleichen. Er hielt sich an das, was er gesagt hatte, auch wenn die Atmosphäre, wann immer wir allein waren, derart aufgeladen war, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein schien, wann einer von uns aufgab.
Aber es geschah nicht.
Noch nicht.
In den kommenden zwei Monaten festigte sich unsere Freundschaft. Da Brandy fort war, wurde er zu meinem besten Freund. In jenem Sommer unterhielten wir uns oft stundenlang, wenn er mit seiner Arbeit fertig war, und meistens setzten wir uns an die Gezeitentümpel. Manchmal blieb er auch bis spätabends bei uns, weil Onkel Peter nur selten zu Hause war.
Wir redeten oder kochten oder sahen Filme. Meistens Horrorfilme, weil sie mir eine Ausrede boten, nah bei ihm zu sitzen und bei der ersten gruseligen Szene seine Hand zu halten.
Ungelogen war da wirklich immer dieses gierige Begehren, das mich dazu brachte, die Schenkel zusammenzupressen, um die Sehnsucht zu lindern. Ich stellte mir vor, auf seinen Schoß zu klettern und genau das zu tun, was die Mädchen in den Filmen taten.
Mich kümmerte es nicht einmal, dass man dabei meistens von den Monstern erwischt wurde.
Vielleicht hätte es mich mehr kümmern müssen. Vielleicht lockte ich letztendlich dadurch die echten Monster an.
Ich weiß es nicht. Doch ich erinnere mich lebhaft an jenen Tag im September, als Chief Randall zur Schule kam, um mir mitzuteilen, dass Onkel Peter tot war. Von einem Monster durch einen Kopfschuss ermordet.
Entsetzt und voller Angst rannte ich nach Hause, wo ich Alex zu finden hoffte, aber er war nicht da. Später erfuhr ich, dass er in einer von Onkel Peters Immobilien die Bücher prüfte, als ein Detective kam und ihm die Nachricht überbrachte. Über eine Stunde lang wurde Alex befragt, weil man vermutete, in den Geschäftsunterlagen einen Hinweis auf einen möglichen Täter zu finden.
All das wusste ich in diesem Moment nicht. Ich wusste nur, dass ich innerlich starb. Dass ich seine Stimme hören und mich vergewissern musste, dass er wohlauf und am Leben war. Denn jeder – wirklich jeder! –, der mir etwas bedeutete, war mir genommen worden. Immer und immer wieder.
Den ganzen Nachmittag und Abend saß ich in eine Decke gehüllt, das Handy neben mir, auf der Couch im Wohnzimmer, während Amy Randall, die Frau des Polizeichefs, mich mit Tee und Keksen versorgte und mich tröstete. Sie war echt wunderbar, und ich wusste schon damals zu schätzen, was sie tat, doch sie konnte mir meine Einsamkeit nicht nehmen.
Alex meldete sich nicht, und gegen zehn küsste Amy mich auf die Wange und zog sich in unser Gästezimmer zurück. Ich ging nach oben in mein Zimmer – und da war er. Alex saß auf meiner Bettkante und wartete auf mich.
Ich weiß nicht wie, aber ich dachte noch daran, die Tür abzuschließen, ehe ich schluchzend in seinen Armen zusammenbrach.
»Alles wird wieder gut«, flüsterte er. »Es tut mir so leid, was du ertragen musst, aber du bist stark, El. Vergiss nie, wie stark du bist.« Seine Stimme klang ungewohnt belegt, und seine Worte drangen bis in meine Seele, als er fortfuhr. »Ich kenne dich, und ich weiß, dass du auch das hier überstehst. Und ich sage dir noch etwas, was du wissen musst. Ich liebe dich, Elsa Holmes.« Seine Stimme war rau vor Gefühlen. »Deswegen nenne ich dich El«, fügte er hinzu und bildete mit Zeigefinger und Daumen ein L. »Es ist der erste Buchstabe von Liebe.«
Reine Freude durchströmte mich und drängte Trauer und Schmerz zurück, als er mir eine Hand an die Wange legte und mir in die Augen sah. »Versprich mir, dass du das nie vergisst.«
»Alex …«, brachte ich unter Tränen seinen Namen hervor.
»Versprich es«, wiederholte er eindringlich, die Worte rau und harsch.
»Ich verspreche es.«
Er schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Als er sie wieder aufschlug, schnappte ich angesichts der wilden Intensität in seinem Blick nach Luft. Es war Sehnsucht und Begierde, und sie galt mir. »Heute Nacht, Ellie. Ich weiß, es ist falsch, aber ich muss dich heute Nacht haben.«
»Ja«, sagte ich, obwohl ich am liebsten vor Erleichterung geweint hätte. »Ja«, wiederholte ich, als seine Lippen sich schon auf meine legten und der zärtliche, tröstende, sanfte Kuss explosionsartig zu etwas sehr viel Leidenschaftlicherem wurde.
Es war wunderbar.
Er drückte mich auf den Rücken und setzte sich rittlings auf mich, ohne den Kuss zu beenden, während ich seine Hüften packte, um ihn fester auf mich zu ziehen. Ich wollte mehr, ich wollte Haut auf Haut, ich wollte alles, wovon ich geträumt hatte, und ich wollte es jetzt. Aber gleichzeitig wollte ich, dass wir es langsam angingen. Damit es ewig dauerte. Ich wollte nur noch Alex, ich wollte nichts anderes mehr, als in seinen Armen zu liegen.
»Ellie«, flüsterte er und wanderte mit seinen Lippen meinen Hals abwärts und dann noch weiter nach unten. Ich trug keinen BH, und sein Mund schloss sich durch mein T-Shirt über eine Brustwarze. Überrascht von der Intensität des Gefühls bäumte ich mich auf und musste mir in den Handballen beißen, um nicht laut aufzuschreien. Amy schlief zwar ein Stockwerk tiefer, und das noch auf der anderen Seite des Hauses, doch was ich empfand, war so stark, dass meine Lustschreie vermutlich die Wände zum Beben hätten bringen können.
Alex wanderte weiter abwärts. Seine Zunge neckte den Streifen nackter Haut zwischen dem Saum meines T-Shirts und meiner Schlafanzughose, bis ich mich unter ihm wand. Er strich mit den Fingern über meinen Bauch, als er die Schleife löste, und unsere Blicke begegneten sich, während er die Schlafhose mitsamt meinem Höschen hinunterzog. Ich schauderte – nicht aus Angst, sondern aus Vorfreude. Meine Nerven flatterten.
»Okay?«
Ich nickte und schloss die Augen, als er meinen Bauchnabel küsste. Und wieder ging es abwärts. Seine Hände lagen an meinen Seiten und berührten mich kaum, nur sein Mund hatte Kontakt mit meinem Körper, und ich konnte bloß staunen, wie wenig Haut es bedurfte, um so unglaubliche Empfindungen hervorzurufen.
Alex ging mit hinterhältiger Langsamkeit vor. Er wollte vermutlich ganz sichergehen, dass ich bereit für ihn war, doch seine Glut, die Wildheit und die Sehnsucht, die er in mir ausgelöst hatte, machten mich bereits ungeheuer an. Obwohl ich mich schon so viele Male selbst befriedigt hatte, hatte ich bisher weder eine derartige Steigerung der Spannung erlebt noch die Wonne, fachmännisch auf sinnlichen Pfaden zu erotischen Höhen geführt zu werden.
Fast war es nicht mehr zu ertragen. Ich wimmerte und bewegte unwillkürlich die Hüften, als seine Lippen sich auf meinen Venushügel legten. Um mich festzuhalten, packte er meine Taille. Nur einmal nahm er seinen Mund von mir, weil er zu mir sprach. Ich hatte die Augen geschlossen, den Rücken durchgebogen, und mein Körper war bis zum Äußersten angespannt. »Du solltest dich anfassen«, sagte er. »Deine Brüste. Deine Brustwarzen.«
»Warum?«
»Es wird dir gefallen«, flüsterte er. »Und mir auch.«
Ich schluckte. Der Gedanke, dass er zusehen würde, während ich etwas so Intimes tat, machte mich mehr als bloß ein wenig nervös. Was natürlich albern war, da wohl nichts intimer sein konnte als das, was er gerade machte. Also tat ich, was er wollte, indem ich versuchsweise über meinen harten Nippel strich. Und – o Gott, was für ein Feuerwerk es auslöste! Wieder schloss ich die Augen, vergaß meine Nervosität und streichelte mich selbst, während seine Zunge sich zwischen meinen Beinen auf eine Art beschäftigte, die mich zwang, mir fest auf die Unterlippe zu beißen, damit ich nicht zu sehr stöhnte; ich hatte Angst, dass er aus Sorge um mich vielleicht aufhören könnte.
Und dann – o Gott, und dann – erstarrte mein ganzer Körper, ehe er mit einer Intensität explodierte, die ich alleine noch nie erreicht hatte, weil ich immer zu schnell aufgehört hatte. Doch Alex neckte, koste und leckte mich unerbittlich, bis mir völlig egal war, ob ich mich blamierte. Ich wand mich und stöhnte und schrie, bis er schließlich von mir abließ, an mir hinaufrutschte und mir die Hand auf den Mund legte, um mich daran zu erinnern, dass die Wände dünn waren.
Er hielt mich im Arm, spielte anstatt meiner an meinen Brüsten und half mir schließlich aus meinem hochgerutschten T-Shirt, sodass ich nackt war, er aber noch vollständig angezogen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Willst du jetzt …?«, fragte ich versuchsweise und hielt den Atem an, während ich auf seine Antwort wartete. Ich war gesättigt und zufrieden, doch ich wollte noch mehr. Ich wollte ihn.
»Unbedingt«, sagte er. »Ich will alles, und zwar nur mit dir, El. Ich will eine Nacht, die wir nie vergessen. Ich will mich in dir versenken und spüren, wie du dich um mich herum auflöst.« Sanft küsste er mich. »Wenn du einverstanden bist?«
Ich nickte stumm, und er küsste mich wieder, ehe er sich auf die Fersen setzte und in seine hintere Jeanstasche griff. Er zog seine Brieftasche hervor und holte ein Kondom heraus, und ich kam mir vor wie eine Idiotin, weil ich nicht einmal daran gedacht hatte.
»Du hast das schon einmal getan«, sagte ich ein wenig anklagend, aber hauptsächlich, um meine Verlegenheit zu überspielen.
»Nein«, sagte er, während er sich von Jeans und T-Shirt befreite.
Ich verdrehte die Augen. »Ich bin ja nicht völlig naiv.«
Sein Lächeln war sowohl lieb als auch ein wenig verschmitzt. »Mit einer Frau geschlafen, ja. Aber noch nie Liebe gemacht.«
»Oh.«
»Ich liebe dich, El, und genau das ist das Problem.«
Ich runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Wir sollten das hier nicht tun. Es wäre nicht vernünftig. Schon gar nicht heute Nacht. Nicht, da … nicht nach … aber, verdammt, ich will dich so sehr. Und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ich dich vielleicht …«
»Was denn?«
»Verlieren könnte?«
Er hatte seine Worte als Frage formuliert, und ich nickte. Ich verstand ihn. Peter war der erste Mensch, den er verloren hatte. Und ich kannte mich mit Trauer besser als jeder andere aus. »Du wirst mich nicht verlieren, Alex«, versprach ich. »Wir lieben uns doch.«
Ich glaubte, Tränen in seinen Augen zu sehen, doch dann küsste er mich, und wieder versank ich in einem Meer aus Leidenschaft. Er begann aufs Neue, mich zu liebkosen, und er tat es mit einer quälenden Langsamkeit, die mir bald keine andere Möglichkeit ließ, als zu betteln. Und wie ich bettelte!
Er fragte nicht, ob ich mir sicher war – er wusste es –, aber er suchte meinen Blick, und als er grinste, war er mehr als nur mein neuer Geliebter, er war mein bester Freund. In diesem Moment wusste ich, dass diese Nacht nicht zu übertreffen sein würde.
Dann versenkte er sich in mir und begann sich langsam zu bewegen, um mir möglichst nicht wehzutun, bis ich tatsächlich vor Lust zu wimmern begann. Als er kam, öffnete ich die Augen, beobachtete, wie die Erlösung sich in seiner Miene abzeichnete, und staunte, dass ich die Macht gehabt hatte, ihn dorthin zu bringen.
Ein paar Minuten später staunte ich umso mehr, als er von vorne begann und mich erneut verwöhnte, bis wir irgendwann beide vollkommen befriedigt und erledigt übereinander liegen blieben.
Er stemmte sich hoch, ließ sich neben mir fallen und zog mich in seine Arme, und wir umklammerten uns und flüsterten miteinander, bis der Schlaf uns übermannte. Noch während ich in seinen Armen wegdämmerte, wusste ich, dass ich auch das furchtbare Ereignis von heute überleben würde. Denn mit Alex an meiner Seite konnte ich alles überstehen.
Alles würde gut werden.
Dachte ich.
Bloß um nur allzu bald herauszufinden, dass das totaler Schwachsinn war.
Denn als ich am nächsten Morgen erwachte, war Alex fort. Er war verschwunden und hatte mir nichts als eine kurze Nachricht auf einem Zettel hinterlassen, es täte ihm leid und ich sei stark. Ich hatte ihn geliebt. Ich hatte ihm vertraut. Und er war gegangen.
Jeder andere in meinem Leben war mir genommen worden. Aber Alex? War aus eigenem Antrieb gegangen.
Und das machte ihn zum schlimmsten Monster von allen.
4. Kapitel
Ausgerechnet der Mord an Onkel Peter ist der Grund dafür, dass ich nach Laguna Cortez zurückgekehrt bin. Damals hatte die Polizei angenommen, dass es sich bei dem Täter um einen gewissen Ricky Mercado handelte, der durchgedreht war, nachdem mein Onkel ihm gedroht hatte, ihn anzuzeigen, weil er in einem von Peters Mehrfamilienhäusern gedealt hatte.
Und zu diesem Schluss waren sie gekommen, weil Ricky Mercado sich am Tag nach dem Mord gestellt und die Beweislage seine Aussage gestützt hatte. Er bekam lebenslänglich, saß zehn Jahre ein und kam bei einer Gefängnisprügelei im vergangenen Monat ums Leben.
Vor knapp einer Woche habe ich von Chief Randall erfahren, dass neue Beweise aufgetaucht sind. Diese legen nahe, Mercado könnte das Verbrechen gar nicht begangen haben. Zur Tatzeit war er nämlich in Long Beach und hat einen Supermarktangestellten zusammengeschlagen, wie auf Videoaufnahmen wunderbar zu erkennen ist.
Wer also hat meinen Onkel erschossen? Und warum zum Teufel hat Mercado ein Verbrechen gestanden, dass er nicht begangen hat?
Ich weiß es nicht. Um das herauszufinden, bin ich zurückgekommen.
Mein Handy klingelt, und ich wende mich vom Abgrund ab und kehre zu Shelby zurück. Das Display zeigt mir die Nummer meines Chefredakteurs an, also beuge ich mich ins Auto und nehme das Telefon vom Beifahrersitz. »Hey, Roger. Überwachst du mich?«
»Ich wache über dich. Wie läuft’s, Kindchen?«
Bei jedem anderen würde ich bei diesem Spitznamen zusammenzucken, aber Roger darf das. Er ist seit meinem ersten Tag als Praktikantin bei The Spall Monthly mein Mentor, nachdem ich beim Irvine Police Department gekündigt hatte, um in New York ein neues Leben als investigative Reporterin anzufangen.
Inzwischen habe ich meinen Abschluss in Journalismus und bin fest angestellt, aber mein Mentor – und mein Freund – ist er immer noch. Vielleicht auch ein wenig Vaterfigur.
Und im Moment macht er sich Sorgen um mich. »Es ist merkwürdig, wieder hier zu sein«, gebe ich zu. Roger kennt nicht meine ganze Geschichte, weiß aber, wieso die Geister meiner Familie in dieser Stadt umgehen. Er weiß außerdem, dass ich Laguna Cortez ungefähr fünf Minuten nach Erhalt meiner Collegebefähigung hinter mir gelassen habe.
Ich packte fünf Kartons in meine Shelby, suchte mir eine Wohnung in Irvine und arbeitete zunächst als Barista, bis ich im Januar an der Universität von Kalifornien anfangen konnte. Ich war zwar noch siebzehn, aber Chief Randall und Amy gaben mir als meine staatlich bestimmten Vormunde die offizielle Erlaubnis.
Seitdem war ich kein einziges Mal mehr in Laguna Cortez. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich zurückgekommen wäre, wenn Roger mich nicht dazu gedrängt hätte.
»Atme tief ein und aus«, sagt er nun. »Ich habe dich jetzt drei Jahre lang beobachten können, und es gibt nichts, mit dem du nicht umgehen könntest.«
Ich verziehe das Gesicht. Ich hasse es, Schwäche zu zeigen, und ich bin sicher, dass er meinen Widerwillen, in meine Heimatstadt zurückzukehren, als solche ausgelegt hat. »Ich schaffe das schon«, erwidere ich mit fester Stimme. »Aber ich kann nicht versprechen, dass eine Story draus wird.« Ich wandere vor Shelby auf und ab, als könne die Bewegung das nagende Unbehagen in mir verscheuchen. »Ich will zwar herausfinden, was wirklich mit meinem Onkel geschehen ist, aber das bedeutet nicht, dass ich es zwingend zur Veröffentlichung freigebe. Noch ist es mein Leben. Meine Familie. Das ist dir klar, oder?«
Ich weiß, dass es ihm klar ist. Doch es scheint mir ein inneres Bedürfnis zu sein, ihn immer wieder darauf hinzuweisen.
»Mir ist es wichtig, dass du mit der Sache abschließt, Ellie. Wenn du dazu eine Geschichte schreiben musst, schreib sie. Wenn du die Wahrheit herausgefunden hast und sie wegschließen willst, dann tust du eben das. Du entscheidest. Ich werde dich nicht drängen, nicht für diese Story. Aber das Firmenporträt solltest du besser pünktlich abliefern.«
Jetzt muss ich lachen, denn Roger ist echt clever. »Ich bin sozusagen schon auf dem Weg zum Interview«, versichere ich ihm.
Als letztes Argument gegen die Rückkehr nach Kalifornien hatte ich ihm gesagt, ich hätte schließlich Arbeit in New York, woraufhin mir mein teuflischer Chefredakteur den Auftrag gab, über die Devlin Saint Foundation zu berichten. Die Stiftung war sehr erfolgreich darin, Frauen und Kinder aus den Fängen eines Menschenhändlerrings in Nevada zu befreien und sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Roger hat mir für heute Nachmittag einen Interviewtermin mit Devlin Saint – dem Devlin Saint – vereinbart.
Die Story hat nichts mit investigativem Journalismus zu tun, ist aber nichtsdestoweniger wichtig. Obwohl die Stiftung noch recht jung ist, hat sie sich bereits zu einer der führenden gemeinnützigen Organisationen entwickelt und kümmert sich genauso um Bildungsprogramme, Kunstförderung und Wiedereinstiegsmöglichkeiten von Vorbestraften wie um Aufbauprojekte in Dritte-Welt-Ländern und Hungerhilfe-Kampagnen. Und das ist nur ein Teil ihrer Aufgaben.
Der große Erfolg ist unmittelbar verknüpft mit Devlin Saint selbst, dem mysteriösen, extrem zurückgezogen agierenden jungen Gründer der Organisation, die er in lediglich fünf Jahren zu einem weltbekannten Unternehmen aufgebaut hat. Sein guter Ruf als großzügiger Menschenfreund steht den Gerüchten entgegen, er sei ein unterkühlter und rätselhafter Einzelgänger, der seiner Stiftung den Weg an die Spitze weniger mit einer gewinnenden Persönlichkeit als vielmehr mit außergewöhnlichem Aussehen und scharfem Geschäftsverstand geebnet hat.
Anfangs zögerte ich, als Roger mir den Job anbot, nahm jedoch letztlich an. Immerhin ist Saint so bekannt, dass alle Welt die Story lesen wird, um dem Mysterium des Mannes auf die Spur zu kommen, und das kann meiner Karriere nur förderlich sein.
Ich verabschiede mich von Roger – vorgeblich, weil ich mich nun auf den Weg machen muss, tatsächlich aber, weil meine Gedanken nie weit von Alex weg sind, wenn ich über die Stiftung nachdenke. Ich seufze und werfe einen letzten Blick aus der Vogelperspektive auf den Ort unter mir.
Von hier oben sieht er klein und zerbrechlich aus, wie ein Architekturmodell. Doch ich weiß es besser. Hinter dem strahlenden Sonnenschein und dem funkelnden Wasser besteht Laguna Cortez bloß aus Tod, Verlust und Schmerz.
Obwohl die Sunset Canyon Road nur zweispurig ist und kaum befestigte Randstreifen hat, ist sie die Haupt-Ost-West-Verbindung für diese Stadt im Orange County. Da sie sich recht sanft durch die Hügel windet, ist sie auch die entspannteste Strecke.
Aber ich brauche gerade keine Entspannung. Ganz im Gegenteil. Ich brauche den Kick.
Statt also gemütlich die Hauptstraße hinunterzugondeln, biege ich bei der nächsten Gelegenheit auf eine schmale Straße, die gar keine Randbefestigung hat, dafür aber ein ernst zu nehmendes Gefälle und Haarnadelkurven, die die Bezeichnung auch verdienen.
Ich verliere meine Kappe, als ich die Straße hinabbrause, und mein Haar peitscht mir ins Gesicht, doch ich ignoriere die feinen Stiche. Ich bin vollkommen auf die schwierige Wegstrecke konzentriert. Was ich jetzt brauche, sind der Wind in meinem Gesicht, das Dröhnen des Motors und der Rausch, wenigstens für diesen Moment alles unter Kontrolle zu haben.
Was natürlich eine Illusion ist, und niemand weiß das besser als ich. Niemand hat sein Schicksal unter Kontrolle. Leben enden. Träume sterben. Herzen brechen. Ich könnte jeden Augenblick in ein Schlagloch geraten und mich überschlagen. In der nächsten Sekunde könnte ich bereits tot sein.
Aber das macht ja gerade den Kick aus, nicht wahr? Als ich schließlich unversehrt auf den Parkplatz der Stiftung einbiege, habe ich mich selbst wieder im Griff. Weil ich dem blöden Schicksal erneut den Stinkefinger gezeigt habe.
Ich habe gewonnen.
Einen Moment lang bleibe ich einfach hinter dem Steuer sitzen und schwelge in meinem Sieg. Dann drehe ich den Rückspiegel zu mir, hole die Bürste aus dem Handschuhfach und versuche, meine dunklen Locken zu entwirren. Ich fahre immer mit Kappe, was das Schlimmste verhindert, aber da ich das Ding verloren habe, sehe ich nicht gerade vorzeigbar aus.
Also muss ich aussteigen und aus meinem Koffer meinen Kulturbeutel holen. Ich habe immer ein Fläschchen Arganöl dabei, mit dem sich die hartnäckigsten Knoten lösen lassen. Ich fahre Shelby jetzt schon einige Jahre; inzwischen weiß ich, welche Kleinigkeiten ich immer griffbereit haben muss.
Bei dieser Gelegenheit frische ich im Rückspiegel ebenfalls mein Make-up auf. Obwohl ich bereits seit Los Angeles mit offenem Verdeck fahre, ist es noch in recht gutem Zustand, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass ich mich ohnehin nie viel schminke. Etwas goldfarbenen Lidschatten, um meine braunen Augen zum Strahlen zu bringen, ein wenig Lipgloss. Natürlich Wimperntusche und manchmal einen Hauch Rouge.
Normalerweise mache ich nicht viel Aufheben um Gesicht und Haare. Oder meine Klamotten, was das betrifft. Klar, es macht mir Spaß, mich zum Ausgehen schick zu machen, aber das Schöne am Reporterdasein ist für mich vor allem, dass ich meistens in Jeans und T-Shirt herumlaufen kann. Denn der größte Teil der Arbeit findet am Schreibtisch oder am Telefon statt.
Heute allerdings möchte ich so professionell wie möglich auftreten. Ich habe noch nie ein Foto von Saint gesehen, auf dem er nicht tadellos gekleidet ist. Er wirkt immer wie aus dem Ei gepellt, und verdammt will ich sein, wenn ich mich mit ihm treffe und nicht mindestens genauso aussehe. Roger würde nichts anderes erwarten.
Gestern habe ich bei Freunden in Los Angeles übernachtet, nachdem ich in fünf Tagen von New York an die Westküste gefahren bin, damit ich Shelby mitnehmen konnte. Nach dem Lunch heute Mittag habe ich mich von meinen Freunden verabschiedet und bin dann gemütlich nach Laguna Cortez gefahren, wo ich bei Brandy unterkommen will, während ich den Artikel über die Stiftung schreibe und versuche, zu den Umständen von Onkel Peters Tod zu recherchieren. Brandy ist nach dem College wieder hergezogen, und ich habe sie gestern Abend angerufen und mich nach dem Interview mit ihr verabredet.
Ich habe mich schon in Los Angeles für den Termin angezogen und trage einen schlichten schwarzen Hosenanzug und ein weißes Seidentop. Zum Fahren hatte ich flache Schuhe an, aber nun greife ich nach hinten und hole die Louboutins hervor, die ich zu diesem Anlass eingepackt habe.
Designerschuhe sind meine große Schwäche, und da ich sie mir eigentlich nicht leisten kann, stöbere ich in Outlet-Centern, Secondhandläden oder auf Seiten wie eBay danach. Die hier habe ich vor wenigen Monaten bei einem Nachlassverkauf erstanden. Ein absoluter Volltreffer. Außerdem haben sie den Vorteil, meinen eins fünfundsechzig ein paar Zentimeter mehr hinzuzufügen, was bei einem offiziellen Interview eine feine Sache ist. Ich kann mich ganz gut behaupten, aber ein Plus an Größe ist immer auch ein Plus an Selbstsicherheit.
Sobald ich fertig bin, schnappe ich mir Dads alte Ledertasche, die ich als Aktenmappe nutze, und steige aus dem Wagen. Ich bleibe stehen, um das beeindruckende Gebäude auf mich wirken zu lassen. Es steht auf dem Areal eines ehemaligen Supermarkts, der damals schon leer stand. Mit dem demolierten Gebäude und dem aufgeplatzten Boden war er lange Zeit ein Schandfleck der Stadt gewesen, an dem Alex und ich öfter vorbeikamen, wenn wir uns abends noch ein Eis holten.
Von Onkel Peters Haus schlenderten wir zur Pacific Avenue, die Ost-West-Verbindung zum Ausgehviertel, besorgten uns unser Eis von der Eisdiele an der Ecke und kehrten schließlich neben dem Pacific Coast Highway zurück, ehe wir ihn nach ungefähr einer Meile überquerten und auf diesem Gelände landeten. Von hier aus ging es zum Meer und zu den Gezeitentümpeln weiter.
»Furchtbar hier«, sagte Alex einmal und blickte sich auf dem betonierten Platz um, durch dessen Risse sich das Unkraut gezwängt hatte.
Ich tat es ihm nach und zuckte die Achseln. »Ist doch nur Beton.«
»Eine Beleidigung fürs Auge. Und das zwischen der Küstenautobahn und dem Meer. Wie kann man das zulassen?«
»Na ja …« Ich sah mich nach einem vergessenen Stück Kreide um. Kinder nutzten den Platz gerne, um zu malen, daher fand ich schnell etwas. Ich ging in die Hocke und schrieb Grundstück von Alex und El auf den Boden, wobei ich mit Absicht den Spitznamen wählte, den er mir bald nach unserem ersten Kuss gegeben hatte. Alle anderen sagten Ellie zu mir.
Dann schaute ich zu ihm auf und grinste. »Jetzt gehört es uns. Wir können uns alles Mögliche dafür vorstellen. Macht es das besser?«
»O El«, sagte er und schenkte mir sein schönes, aufregendes Lächeln, »das tut es. Auf jeden Fall.«
Versunken in die Erinnerung stehe ich einen Moment lang einfach nur da. Dann schlucke ich und hole mich in die Gegenwart zurück. Das schlanke Gebäude, das nun vor mir aufragt, besteht aus Beton, Glas und Stahl – fünf Stockwerke klare Linien und scharfe Kanten, die in der Sonne funkeln, dahinter ein ausgedehnter, nach ökologisch korrekten Kriterien angelegter Landschaftspark, der sich bis zum Strand hinunterzieht.
Der ganze Komplex ist absolut atemberaubend, aber ich kann ihn nicht ausstehen.
Denn dieses Gebäude dürfte hier gar nicht stehen. Und dabei sind mir der wassersparende, umweltfreundliche Gartenbau oder die Verwendung heimischer Ressourcen vollkommen egal! Ich pfeife auf die Schönheit, mit der sich dieses massive Ding aus dem Boden erhebt, als sei es genauso Teil dieser Gegend wie die schroffen Felsen und steinigen Buchten. Und es interessiert mich nicht im Geringsten, wie der großartige Devlin Saint es geschafft hat, sich ein Stück brachliegendes Land anzueignen, indem er die strittigen Besitzrechte geklärt hat, und darauf ein so erstaunliches Gebäude wie das DSF-Hauptquartier zu errichten.
Weil das hier nämlich unser Grundstück war. Alex’ und meins. Und ich hasse Saint dafür, dass er mir meine Erinnerung geklaut hat.
Neue Wut steigt in mir auf. Doch diesmal nicht auf Saint, nicht einmal auf Alex. Sondern auf mich selbst. Denn Alex Leto war ein Mistkerl. Ein mieser Typ, der mich ausgenutzt hat, und ich schulde ihm nichts, schon gar keine wärmenden, schönen Erinnerungen.
Wenn ich ihn aus meinem Verstand verbannen könnte, würde ich es tun, aber zumindest muss ich endlich dafür sorgen, dass er keine Macht mehr über mich hat. Und, verdammt und zugenäht, damit fange ich jetzt sofort an.
Ich atme ein paarmal kontrolliert ein und aus und sammle mich bewusst. Danach beschirme ich mit einer Hand meine Augen und betrachte das Gebäude erneut. Und dieses Mal kann ich zugeben, dass es gar nicht so schlecht aussieht. Immerhin hat Saint aus diesem elenden Grundstück etwas gemacht. Etwas Atemberaubendes sogar. Alex Leto dagegen ist nur abgehauen.
Ich habe ihm vertraut, und er hat mich in Stücke gerissen.
Doch aus Fehlern lernt man, und ich bin nun schlauer. Und stärker. Genau wie er gesagt hat.
Tja, fick dich, Alex Leto! Dafür, dass du in dieser ohnehin bereits schlimmen Zeit abgehauen bist. Dass du dich ohne ein Wort davongestohlen und nie wieder gemeldet hast. Dass du mir den vernichtenden Schlag versetzt hast, als ich schon am Boden lag.
Er hat mir das Herz gebrochen, und das werde ich ihm nie verzeihen.
5. Kapitel
Die Lobby der Devlin-Saint-Stiftung ist im Grunde nichts weiter als ein stilvoll gestalteter Kasten – karg, aber beeindruckend. Die gläserne Wand zu meiner Rechten erlaubt den freien Blick aufs Meer und lässt Unmengen an natürlichem Licht herein, das die ausgesuchten Kunstwerke an den Betonwänden zur Geltung bringt.
Zu meiner Linken gelangt man in einen Korridor, der jedoch so rasch abbiegt, dass ich nicht sehen kann, wohin er führt. Vermutlich zu Büros. Neben der gewaltigen, freischwebenden Treppe, die in einem kühnen Bogen zur Galerie der oberen Stockwerke führt, wirkt der unaufdringliche Aufzug wie ein ironischer Kommentar.
Ich bleibe direkt hinter der Tür stehen und blicke hinauf in die dritte Etage. Dort befindet sich Devlin Saints Büro, dessen Fenster gegenwärtig undurchsichtig sind. Bei meiner Vorabrecherche habe ich gelesen, dass das Gebäude Fenster im Inneren hat, die zur Schaffung von Privatsphäre keine Jalousien benötigen, weil sie mit einer Technik ausgestattet sind, die das Glas auf Wunsch blickdicht macht.
Ich gehe davon aus, dass diese Technik kostspielig ist, und komme nicht umhin zu überlegen, wieso eine Organisation, die sich der finanziellen Unterstützung von bedürftigen Institutionen auf der ganzen Welt verpflichtet hat, Mittel in Zauberfenster steckt, anstatt ihren Sonnenschutz bei Walmart zu kaufen.
Obwohl ich mich vorher gründlich über die Stiftung informiert habe, habe ich wohl irgendwie doch einen gammeligen Laden erwartet, in dem die Mitarbeiter an zerschrammten Tischen vor billigen, an die Sperrholzwand getackerten Papierkalendern sitzen, weil jeder Cent, über den man verfügt, für gute Taten draufgeht.
Die ultramoderne, durchaus einschüchternde Szenerie, die sich mir stattdessen bietet, ist mehr als nur ein bisschen abschreckend.
Ich frage mich, wozu das gut sein soll, und füge die Frage im Geiste meiner Liste hinzu.
Dann setze ich mich in Bewegung und gehe durch die Eingangshalle auf die große Empfangstheke zu, die sich unter dem sich aufschwingenden Bogen der Treppe befindet. Daneben stehen zwei gepolsterte Bänke in L-Form zusammen, vermutlich um all denen die Wartezeit angenehmer zu machen, denen wie mir kein sofortiger Zugang ins Heiligtum gewährt wird. Vor den Bänken steht jeweils ein rechteckiges Tischchen, auf dem diverse Bildbände und eine Auswahl an Prospekten ausliegen.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« Ein Mann in meinem Alter lächelt mir entgegen und zeigt mir dabei makellose Zahnreihen, um die ihn jeder Schauspieler beneiden würde.
»Elsa Holmes«, stelle ich mich vor und zeige ihm meinen gleichermaßen strahlenden Presseausweis. »Oder auch Ellie. Ich habe einen Termin bei Mr. Saint.«
»Selbstverständlich.« Er tippt auf einer Tastatur, die ich nicht sehen kann, und blickt nach unten, vermutlich auf einen Bildschirm. Dann runzelt er die Stirn. »Es tut mir leid. Es sieht so aus, als sei Mr. Saint nicht abkömmlich.«
»Oh.« Ich blicke auf mein Handydisplay, aber eher aus Gewohnheit. Ich weiß genau, wie spät es ist – vier Uhr. Und ich weiß auch, dass ich um Viertel nach vier mit ihm verabredet bin. »Seltsam. Ich habe heute Morgen angerufen, um mir den Termin bestätigen zu lassen. Ist etwas Unvorhergesehenes geschehen?«
Röte steigt ihm den Hals hinauf, und ich habe den Eindruck, dass die Dinge hier normalerweise geschmeidiger laufen. »Wenn Sie vielleicht Platz nehmen würden. Es kümmert sich gleich jemand um Sie.«
Ich nicke. Ich habe keine Ahnung, ob die Verwaltung bei der Terminvergabe einen Fehler gemacht oder Saint sich kurzfristig umentschieden hat und sein Personal im Regen stehen lässt, aber irgendetwas läuft hier definitiv nicht so, wie es soll.
»Es tut mir wirklich leid, dass sich das Ganze verzögert. Darf ich Ihnen etwas bringen, während Sie warten? Kaffee? Wasser?«
Ich hätte gerne einen Kaffee, aber da ich mich kenne und ein weißes Oberteil trage, entscheide ich mich für Wasser. Während ich an meinem Glas nippe, blättere ich halbherzig durch die Prospekte. Alle haben die Stiftung zum Thema, und jedes handelt ein Geschäftsjahr ab. Der Schwerpunkt liegt auf den Hochglanzbildern, und mit bloß wenig Text werden das Ziel des jeweiligen Projekts und die entsprechenden Fortschritte skizziert.
Auf der Suche nach Fotos von Saint selbst gehe ich das Buch aus dem vergangenen Jahr gründlicher durch, doch es gibt nicht viele. Der Mann steht eindeutig nicht auf Selbstinszenierung.
Dennoch habe ich genug gesehen, um Saint erkennen zu können, würde er mir im Supermarkt über den Weg laufen. Und zu wissen, dass er schon fast lächerlich gut aussieht mit seinem welligen dunklen Haar, das fast kinnlang ist, den grünen Augen hinter der dunkelgeränderten Brille, die sein kantiges Gesicht akzentuiert, und der goldbraunen Haut mit der dünnen Narbe, die seine Augenbraue in zwei Hälften teilt, sich über die Wange zieht und in den gepflegten Kinnbart übergeht.