Dein letztes Date - Nikolas Stoltz - E-Book

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Nikolas Stoltz

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Beschreibung

Bist du sein perfektes Opfer?

Ein verlassenes Waldstück im Taunus: Eine schwer misshandelte Frau wurde bis zum Hals vergraben und zum Sterben zurückgelassen. Der Killer hat sie auf perfide Weise mit Sternen markiert, die wie eine Online-Bewertung aussehen. Schnell wird klar: Das war nicht sein erstes Opfer! Profilerin Caro Löwenstein und Kommissar Simon Berger jagen einen brutalen und sadistischen Frauenmörder. Dabei hat Caro im Moment ganz andere Sorgen: Ihre Teenager-Tochter Jennifer trifft sich heimlich mit deutlich älteren Männern. Bald wird klar, dass Jennifer ins Beuteschema des Serienmörders passt ...

Ein Fall für Löwenstein und Berger: ein spannender Psychothriller vom Autor von "Die Patienten" und "Todeskalt".

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

1

Mittwoch, 2. November

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Donnerstag, 3. November

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Freitag, 4. November

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Samstag, 5. November

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Sonntag, 6. November

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Montag, 7. November

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Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

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Über dieses Buch

Bist du sein perfektes Opfer?

Ein verlassenes Waldstück im Taunus: Eine schwer misshandelte Frau wurde bis zum Hals vergraben und zum Sterben zurückgelassen. Der Killer hat sie auf perfide Weise mit Sternen markiert, die wie eine Online-Bewertung aussehen. Schnell wird klar: Das war nicht sein erstes Opfer! Profilerin Caro Löwenstein und Kommissar Simon Berger jagen einen brutalen und sadistischen Frauenmörder. Dabei hat Caro im Moment ganz andere Sorgen: Ihre Teenager-Tochter Jennifer trifft sich heimlich mit deutlich älteren Männern. Bald wird klar, dass Jennifer ins Beuteschema des Serienmörders passt ...

Ein Fall für Löwenstein und Berger: ein spannender Psychothriller vom Autor von »Die Patienten« und »Todeskalt«.

Nikolas Stoltz

Dein letztes Date

Bist du sein perfektes Opfer?

Thriller

1

Marie Kirchner öffnete die Wohnungstür. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich die Enttäuschung eines misslungenen Abends ab. Sie hatte sich mit Tim, einer Internetbekanntschaft, zu einem ersten Date verabredet und hohe Erwartungen in das Treffen gesetzt. Doch er war nicht aufgetaucht.

Nachdem sie fast eine Stunde an einem Glas Wein genippt und die mitleidigen Blicke des Kellners stoisch ertragen hatte, war sie schließlich frustriert aufgebrochen.

Warum hatte er sie versetzt? In den vergangenen zwei Wochen hatten sie eine Vielzahl von Nachrichten ausgetauscht, die sich erfrischend von den üblichen Small-Talk-Chats abgehoben hatten. Er hatte sie mit tiefgründigem Charme und fast schon unheimlichen Gemeinsamkeiten überrascht. Außerdem sah er auf den Fotos zum Anbeißen auf. Ein echter Volltreffer – zumindest in der virtuellen Welt. Und dann diese Enttäuschung!

Marie trat in den Flur ihrer Zweizimmerwohnung und schaltete das Licht an. Für einen Moment betrachtete sie sich im Garderobenspiegel.

Was für ein ätzender Abend!

Sie strich sich durch die langen, blonden Haare, die ein schmales Gesicht mit einer fein geschnittenen Nase umrahmten. Ihre großen, braunen Augen hatten ihr den Spitznamen Rehlein eingebracht, was auch zu ihrer scheuen Wesensart passte.

Marie hatte sich für Tim in Schale geworfen. Mit der körperbetonten Hose, einer roten Seidenbluse und eleganten Stiefeln hatte sie versucht, ihm zu gefallen. Schade, dass alles umsonst gewesen war. Er wusste nicht, was er verpasst hatte!

Die Wohnung im Frankfurter Osten nannte sie seit zwei Jahren ihr Zuhause. Mit neunzehn hatte Marie den behüteten Schoß ihrer Eltern in einem langweiligen Taunus-Ort verlassen und war in die Großstadt gezogen. Noch immer überforderten sie die vielen Menschen, der Straßenlärm und die allgemeine Hektik. Aber nach und nach kam sie aus ihrem Schneckenhaus herausgekrochen.

Marie ließ ihren Blick durch den Flur gleiten. Das beklemmende Gefühl, das sie seit mehreren Wochen verspürte, wenn sie nach Hause kam, überfiel sie erneut. Es gab eigentlich keinen Grund dafür. Der Flur lag friedlich vor ihr. Die Schuhe waren in Reihe gestellt, die Herbstjacken aufgehängt, und die Buddhafigur auf der Kommode begrüßte sie lächelnd. Alles war genau so, wie sie es verlassen hatte.

Und dennoch lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es war das beunruhigende Gefühl, als wäre sie nicht allein.

Alles hatte vor etwa zwei Wochen begonnen. Ihre Schlafzimmertür hatte offen gestanden, als sie nach Hause gekommen war. Marie hasste offene Türen und war zwanghaft darum bemüht, sie geschlossen zu halten.

Zunächst hatte sie den Vorfall auf den hektischen Morgen geschoben. An jenem Tag hatte sie verschlafen und sich beeilen müssen, um rechtzeitig auf der Arbeit in einer Frankfurter Buchhandlung zu erscheinen. Vielleicht hatte sie einfach vergessen, die Tür zu schließen.

Doch auch an den Folgetagen hatten sich merkwürdige Vorkommnisse gehäuft. Der Müslibehälter hatte nicht exakt an seinem Platz gestanden, eine Schublade war einen Spalt offen geblieben, und ihre Kleider schienen im Schrank einen Hauch zu weit rechts gehangen zu haben. War es das Durcheinander der Stadt, das auf ihr Leben übersprang und ihre Ordnungsliebe anfraß? Färbte die hektische Zerstreutheit auf sie über?

Obwohl Marie alles auf ihre Einbildung geschoben hatte, war das miese Gefühl geblieben. Das Gefühl, dass jemand in ihrer Wohnung gewesen war.

Und genau das verspürte Marie jetzt wieder. Unsicher sah sie auf die Schlafzimmertür, die geschlossen vor ihr lag. Mit wachsender Furcht ging sie darauf zu. Sie hielt die Luft an, öffnete die Tür und tastete nach dem Lichtschalter.

Als die Deckenleuchte aufflammte, hetzte ihr Blick durch den Raum. Nichts. Das Bett war sorgsam gemacht, Schrank und Kommode waren geschlossen. Alles war in bester Ordnung.

Marie ließ sich auf dem Bett nieder und atmete tief durch.

Du siehst Gespenster! Hier ist nichts!

Warum überfiel sie immer wieder dieses seltsame Unbehagen, wenn sie nach Hause kam? Wovor hatte sie eigentlich Angst? War sie selbst das Problem? Drehte sie langsam durch?

Das vibrierende Handy riss Marie aus den Gedanken. Sie fischte das Gerät aus ihrer Handtasche und sah aufs Display. Eine

Textnachricht von Tim.

Tim: ›Es ist was dazwischengekommen.‹

Marie kniff die Augen zusammen. Das war alles? Keine Entschuldigung? Keine Begründung? Was bildete sich der Kerl ein?

Wieder vibrierte das Handy. Sie hatte eine weitere Nachricht erhalten. Kam jetzt die Erklärung?

Tim: ›Stell dir vor, wir würden gemeinsam von der Sacré-Cœur über die Dächer von Paris blicken.‹

Marie starrte aufs Display. Sie liebte Paris: Die Buchhändler an der Seine, die quirligen Märkte und der wunderschöne Ausblick von der Sacré-Cœur. Eine Leidenschaft, die er mit ihr teilte, wie sich im Chat gezeigt hatte.

Aber was sollte jetzt diese Nachricht? Marie war stocksauer und erwartete eine Entschuldigung. Und vor allem eine Begründung, warum er nicht zu ihrer Verabredung aufgetaucht war. Kein verdammtes Geschwafel über Paris.

Gerade wollte sie ihm antworten, als eine weitere Nachricht eintraf.

Tim: ›Du hast dich heute hübsch zurechtgemacht. Deine rote Bluse gefällt mir!‹

Marie sprang auf. Woher wusste er, was sie anhatte?

Ihr Atem ging stoßweise. Ihre Handflächen wurden feucht. War er in der Bar gewesen und hatte sie heimlich beobachtet? Hatte er sich nicht getraut, sie anzusprechen? Oder war er ein kranker Irrer?

Was immer dahintersteckte: Seine Nachricht war vollkommen daneben. Das Beste war, ihn sofort zu blockieren und den Kontakt zu löschen.

Bevor sie ihre Absicht in die Tat umsetzen konnte, traf die nächste Nachricht ein.

Tim: ›Warum schauen wir uns nicht Paris bei Nacht an?‹

Marie riss die Augen auf. Paris bei Nacht war der Titel ihres Lieblingsbildbandes. Es handelte sich um ein dickes Buch mit dem Cover eines Restaurants im Quartier Latin.

Sie schluckte. Das war jetzt richtig unheimlich. Sie hatte den Bildband nie erwähnt. Oder doch?

Nein, sie war sich sicher. Woher also wusste er davon?

Eine weitere Nachricht traf ein.

Tim: ›Wir passen perfekt zusammen!‹

Marie begann zu zittern. Angst überfiel sie. Der Kerl, mit dem sie die letzten Tage gechattet hatte, war schwer gestört.

Woher kennt er das Buch?

Sie dachte an die merkwürdigen Vorkommnisse der vergangenen Wochen. Hing das zusammen? War er in ihre Wohnung eingebrochen?

Mit wackeligen Knien ging Marie zurück in den Flur. Plötzlich bemerkte sie einen schwachen Lichtschein unter der Wohnzimmertür. Hatte sie vergessen, die Leselampe auszuschalten?

Marie tappte mit rasendem Puls auf die Tür zu und stieß sie auf. In der Bewegung erstarrte sie.

Vor dem Bücherregal stand ein dunkelhaariger Mann und blätterte seelenruhig in ihrem Bildband.

Wirre Gedanken galoppierten durch ihren Kopf. Wer war das? Es handelte sich definitiv nicht um Tim. Hatte der Kerl falsche Bilder ins Internet gestellt? Und wie war er hier hereingekommen? Was machte er mit ihrem Buch?

Lauf weg!

»Du bist die Frau, auf die ich gewartet habe«, sagte der Mann.

Marie stand schockgefroren in der Tür.

Sie kannte die Stimme.

»Es wird Zeit für den nächsten Schritt«, fuhr er fort.

»W... was ...?«, stammelte Marie. Noch immer war sie wie gelähmt.

Was für ein Schritt?

Panik schoss in ihr hoch.

Lauf weg!

Sie wollte schreien, brachte jedoch nur einen krächzenden Laut zustande.

Der Mann kam auf sie zu. War das ...?

»Wir passen so gut zusammen. Das mit uns wird wunderschön.«

»N... nein!« Maries Stimme zitterte vor Angst. Sie wich zurück in den Flur.

Erneut setzte sie zu einem Hilfeschrei an. Doch der Mann schnellte vor und drückte sie brutal gegen die Wand. Seine Pranke legte sich auf ihren Mund und erstickte den Schrei.

»Wir sind füreinander bestimmt. Du wirst sehen!«

Panisch schüttelte sie den Kopf. Sie versuchte, sich loszureißen, zappelte mit Armen und Beinen. Doch seiner Stärke konnte sie nichts entgegensetzen.

Er griff nach ihrem Hals und drückte ihr die Luft ab. Röchelnd wehrte sie sich, bis ihre Kräfte schwanden.

Bitte nicht!, flehte sie lautlos.

Sie wurde nicht erhört.

Verzweifelt rang sie um Luft, ihre Knie wurden weich. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Drei Wochen später

Mittwoch, 2. November

2

Theresa Petry zerrte an der Leine ihres Cockerspaniels. Sie wollte ihre tägliche Gassi-Runde durch den Wald endlich beenden, weil sie noch eine Verabredung für den Abend hatte. Außerdem wurde es allmählich dunkel, und das nasskalte Novemberwetter lud nicht gerade zu ausgedehnten Spaziergängen ein.

Der zweijährige Hund, der auf den Namen Louis hörte, hatte jedoch andere Pläne. Er schnüffelte fröhlich an einem Laubhaufen und wirbelte die Blätter in die Luft.

»Komm jetzt, Louis! Wir müssen nach Hause.« Theresa zog an der Leine.

Der Hund bellte, ergab sich aber seinem Schicksal und trottete dem Frauchen hinterher.

Theresa ging die Runde mit Louis jeden Tag. Sie wohnte am Rande von Königstein im Taunus und brauchte nur die Straße runterzulaufen, um in den Wald zu gelangen. Der tägliche Spaziergang ließ die dreißigjährige Krankenpflegerin von ihrem anstrengenden Job Abstand gewinnen und gab ihr Raum, die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten.

Louis bellte wieder und zerrte seinerseits an der Leine.

»Nein! Vergiss es. Wir wollen jetzt nach Hause.« Es wurde immer dunkler.

So sehr Theresa den Wald mochte: Sobald es finster wurde, jagte er ihr eine Heidenangst ein.

Sie versuchte, Louis auf den Weg zurückzuziehen. Er bellte.

Ein Windstoß fegte zwischen den Bäumen hindurch und kroch in Theresas Nacken.

»Louis, bitte komm jetzt!« Die Dunkelheit senkte sich immer stärker über den Wald.

Der Wind legte sich wieder, und für einen Moment herrschte Stille. Plötzlich hörte Theresa ein seltsames Geräusch. Eine Art Wimmern. Vielleicht ein Hund, der in eine Falle geraten war? Das Wimmern nahm zu und verstummte dann. Theresa spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten.

Louis bellte und zog wie irre an der Leine.

Ein neuerlicher Windstoß fegte durch den Wald und überdeckte die Geräusche.

»Nein, Louis. Wir gehen lieber weiter.«

Was das Wimmern betraf, so würde sie besser von zu Hause die Polizei benachrichtigen.

Aber der Hund dachte nicht daran zu hören. Er drängte in die Richtung, aus der die Laute gekommen waren.

Unvermittelt gab die Leine nach. Louis schoss nach vorne und lief in den Wald.

»Louis!«, schrie Theresa panisch. Sie sah auf das schlaffe Ende der Leine. Der Plastik-Karabinerhaken war gebrochen.

Der Hund hetzte zwischen den Bäumen hindurch und verschwand aus ihrem Blickfeld. Was, wenn er auch in die Falle geriet?

Theresa sprintete hinterher. »Louis!«

Fluchend erklomm sie einen Hang. Wo steckte Louis?

Wieder hörte sie das merkwürdige Wimmern.

Es kam von rechts. Louis bellte.

Theresa folgte den Geräuschen, bis sie die Umrisse ihres Hundes vor sich sah. Er schnüffelte an etwas.

Inzwischen war es unter den Bäumen so dunkel, dass Theresa nicht erkennen konnte, was Louis entdeckt hatte. Sie stoppte abrupt ab und ging vorsichtig weiter.

Louis bellte wieder. Theresa zuckte zusammen.

Sie holte ihr Handy aus der Tasche und schaltete die Leuchtfunktion ein. Schritt für Schritt näherte sie sich dem bellenden Hund.

Der Schein der Handyleuchte fiel auf das braune Fell des Cockerspaniels. Dahinter kam etwas Helles zum Vorschein.

Theresa kniff die Augen zusammen. Sie ging noch einen Schritt weiter.

Jetzt fiel das fahle Licht auf die Erhebung vor Louis.

Theresa erstarrte. Für einen Moment begriff sie nicht, was sie sah. Es war unmöglich. Sie musste sich irren.

Mit offenem Mund blieb sie stehen. Der Schock lähmte sie. Louis' Bellen schien weit entfernt zu sein. Dann kam es wieder näher.

Auf dem Boden lag ein blutverschmierter Frauenkopf. Glatte, blonde Haare fielen zu beiden Seiten herab und verschmolzen mit dem Herbstlaub. Die Mundwinkel hingen leblos herunter, die Augen waren geschlossen und ebenso wie die Stirn mit verkrustetem Blut überzogen.

Theresa starrte auf den Kopf, unfähig sich zu bewegen.

Was zum Teufel ...?

Louis bellte.

Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Was sollte sie machen? Polizei oder Krankenwagen rufen? Welche Rufnummer musste sie wählen?

Sie starrte den Frauenkopf wie hypnotisiert an. Auf der Stirn, unter dem verkrusteten Blut, schienen sich Symbole abzuzeichnen. Oder bildete sie sich das nur ein? Warum war die arme Frau so zugerichtet worden? Wer hatte ihr das angetan?

Ich muss die Polizei rufen! Jetzt!

Plötzlich riss der Frauenkopf die Augen auf.

Entsetzt sprang Theresa zurück und schrie auf. Louis bellte wie verrückt.

Dann hörte sie das merkwürdige Wimmern, das sie hergeführt hatte. Es kam aus dem Mund des Kopfes.

Theresa wich noch einen Schritt zurück.

Oh Gott! Die Frau lebt!

Der Hund näherte sich dem Kopf und schnüffelte.

»Louis! Geh da weg!«, schrie Theresa panisch.

Das Tier gehorchte und sprang zurück.

Wie war es möglich, dass die Frau lebte?

Theresa leuchtete den Kopf wieder an. Die Augen waren jetzt geschlossen.

Bei genauerem Hinsehen erkannte sie, dass der Kopf noch auf dem Körper saß. Die Frau war eingegraben worden. Und sie war schwer verletzt.

Theresa beugte sich herab und fühlte den Puls an der Halsschlagader. Die Frau lebte.

Mit zitternden Händen tippte Theresa auf die Notruftaste.

3

Carolin Löwenstein strich sich die roten Haare hinter die Ohren. Sie sah ihrer Tochter Jennifer missbilligend hinterher, die ein knappes Kleid von der Stange des Bekleidungsgeschäftes nahm.

Die beiden waren nach Feierabend zu einem Shoppingbummel im Wiesbadener Luisenforum aufgebrochen, weil sich Jennifer für ein Date mit einer Internetbekanntschaft einkleiden wollte.

Das siebzehnjährige Mädchen war ein zwei Dekaden jüngeres Abbild seiner Mutter. Von den blonden Haaren abgesehen, teilten sich beide ein schmales Gesicht mit dezenten Sommersprossen, einer feinen Nase, hohen Wangenknochen und blauen Augen.

»Du brauchst den Kerl nicht mit einem kurzen Kleid zu beeindrucken«, merkte Caro an. »Er sollte auch auf dich stehen, wenn du einen Jogginganzug trägst. Sonst hat das keinen Sinn.«

Das siebzehnjährige Mädchen verzog das Gesicht. »Dein Ernst? Ich soll im Jogginganzug zu einem Date gehen? Darauf kannst du lange warten.«

Seit Caro erfahren hatte, dass Jennifer auf deutlich ältere Männer stand, reagierte sie auf neue Bekanntschaften ihrer Tochter sensibel. Als Psychologin wusste Caro, dass die Ursachen dafür vielfältig sein konnten. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, befürchtete sie, dass eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung und Caros Scheidung vor drei Jahren die wahrscheinlichsten Gründe waren. Jennifer sehnte sich nach Führung und wollte unter allen Umständen gefallen. Das spiegelte sich auch in ihrem Kleidungsstil wider.

»Ich habe das im übertragenen Sinn gemeint«, erklärte Caro. »Du hast es nicht nötig, dich so herauszuputzen.«

»Mama, das ist heute nicht mehr so wie früher bei dir. Die coolen Typen sind sofort weg. Ein Klick aufs nächste Bild in der Dating-App, und das war's.«

»Das ist doch Unsinn. Du verhältst dich, als wärst du Ware in einem Onlineshop. Es gibt auch Männer mit ernsten Absichten, die nicht so sprunghaft sind.«

»Vielleicht habe ich ja jetzt einen gefunden.«

Caro bezweifelte das. Jennifer hatte ihr gezeigt, mit wem sie sich am Abend treffen würde: einem dreiundzwanzigjährigen Studenten, muskulös, dunkelhaarig und attraktiv. Dem Profil zufolge ein Playboy-Typ, nicht gerade die Sorte Mann, von der ewige Treue zu erwarten war. Aber Jennifer musste ihre eigenen Erfahrungen machen. Immerhin war sie – nach zahlreichen Gesprächen und Therapieeinheiten – weg von Kerlen jenseits der vierzig.

»Ja, vielleicht.« Caro verdrehte die Augen, als sich Jennifer ein kurzes, schwarzes Kleid mit glitzernden Applikationen vor den Körper hielt.

»Wie findest du das?«

»Für eine Silvesterparty im Casino passend, aber für ein erstes Date overdressed.«

»Ich finde es genau richtig«, gab Jennifer trotzig zurück und stapfte zielstrebig auf die Umkleidekabinen zu.

»Natürlich«, murmelte Caro, während sie ihrer Tochter nachsah. Ihr war klar, dass sie das Mädchen nicht davon abbringen konnte, sich für ihr Date aufzubrezeln. Zu tief war die Vorstellung in ihm verankert, gefallen zu müssen.

Caro wusste, dass es noch viel Zeit benötigen würde, das Selbstvertrauen ihrer Tochter zu stärken.

Sie schlenderte Jennifer zu den Umkleidekabinen hinterher, als ihr Telefon vibrierte.

Simon Berger rief an. Ein aufmerksamer Beobachter hätte den Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen bemerkt. Berger war neben Jennifer der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Der LKA-Kommissar war sowohl ihr Kollege als auch bester Freund. Und vielleicht mehr. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie umkreisten einander wie Monde ihre Planeten, ohne sich voneinander lösen zu können, aber auch ohne sich näherzukommen. Das lag nicht zuletzt an Bergers psychischer Verfassung. Infolge eines Schicksalsschlages, bei dem seine damalige Verlobte kurz vor der Hochzeit erschossen worden war, durchlebte er immer wieder heftige Depressionen, die ihn daran hinderten, über seinen Schatten zu springen.

»Hast du Sehnsucht nach mir?«, fragte Caro lächelnd. Noch vor gut einer Stunde hatten sie sich im Büro gegenübergesessen.

»Das auch.« Seine Stimme klang angespannt. »Aber jetzt haben wir erst mal einen neuen Fall auf dem Tisch.«

Caro sah zu Jennifer hinüber, die gerade aus der Kabine kam. Das Kleid war viel zu kurz, trotzdem musste sie innerlich zugeben, dass es ihrer Tochter gut stand.

»Worum geht es denn?«, fragte sie.

»In Königstein wurde am Waldrand eine halb tote Frau gefunden. Der Notarzt konnte ihr leider nicht mehr helfen.«

»Das ist schlimm!«, erwiderte Caro schockiert. »Aber ist das nicht eher ein Fall für die Kripo?«

Berger und Caro arbeiteten im hessischen Landeskriminalamt in der Abteilung für Gewaltverbrechen. Sie übernahmen nur Fälle von übergeordneter Bedeutung wie organisierte Kriminalität oder Serienmorde. Caro war vor gut einem Jahr ins Team gekommen und hatte die Rolle der operativen Fallanalytikerin inne, umgangssprachlich auch Profilerin genannt.

»Die Frau wurde besonders brutal zugerichtet«, erklärte Berger. »Und der Täter hat ein Zeichen hinterlassen. Ein Zeichen, das wir bereits kennen.«

»Also ein Serienmörder? Was für ein Zeichen?«

»Das musst du selbst sehen. Ich schicke dir die Adresse. Wir treffen uns dort.«

»Ich beeile mich.« Caro beendete das Telefonat. Sie musste Jennifer wohl oder übel sich selbst überlassen.

Das Mädchen hatte sich wieder umgezogen und kam ihr freudestrahlend entgegen. »Ich nehme das Kleid.«

»Du weißt ja, was ich davon halte«, entgegnete Caro.

»Ist mir egal. Jetzt brauche ich nur noch die passenden High Heels.«

»Ich muss leider gehen. Ein neuer Tatort.«

Jennifer zuckte mit den Schultern. »Ich komme allein klar. Dann meckerst du wenigstens nicht über die Schuhe.«

Caro gab ihren Widerstand auf. »Schreib mir bitte eine Nachricht, wenn du ihn nachher triffst. Ich möchte wissen, dass es dir gut geht.«

»Ja, ja.«

Caro runzelte die Stirn und warf einen kritischen Blick auf ihre Tochter. Dann verabschiedete sie sich und lief zum Parkhaus.

4

Nach einer halbstündigen Fahrt erreichte Caro Königstein, einen beschaulichen Kurort an den bewaldeten Hängen des Taunus.

Sie durchquerte den Ortskern und bog in eine schmale Seitenstraße ein, die am Waldrand entlangführte. Schon von Weitem erkannte sie im Laternenschein die Einsatzfahrzeuge des LKA, einen Krankenwagen und die Transporter der Spurensicherung. Die Straße war mit Flatterband abgesperrt. Ein Streifenpolizist sicherte die Zufahrt. Caro zeigte ihren Ausweis und wurde durchgewunken.

Nachdem sie den Wagen geparkt hatte, führte sie ein weiterer Polizist mithilfe einer Taschenlampe durch ein Waldstück zum Tatort.

Die Spurensicherung hatte Scheinwerfer aufgestellt, sodass ein Teil des Waldes in der Größe eines Tennisplatzes taghell erleuchtet wurde. Durch das Licht- und Schattenspiel zwischen den Bäumen wirkte der Ort surreal. Stimmen und Rufe der Einsatzkräfte hallten dumpf durch die Luft. Im Hintergrund brummte ein Generator.

Als Caro auf den Tatort zulief, kam ihr Simone Schweitzer, die Rechtsmedizinerin des Landeskriminalamtes, entgegen. Eine besorgte, fast schon schockierte Anmutung lag auf dem Gesicht der dunkelhaarigen Frau. Sie rückte ihre dickrandige Brille zurecht und winkte Caro zu. »Du kommst genau richtig, wir sind gerade dabei, die Leiche auszugraben.«

»Ausgraben?«, fragte Caro irritiert nach. »Ich dachte, sie hat noch gelebt, als sie gefunden wurde?«

Simone nickte. »Ja, das stimmt. Das Opfer wurde lebendig eingegraben. Nur der Kopf hat noch aus dem Waldboden herausgeschaut. Leider wurde sie zu spät gefunden. Die Frau war schon zu schwach, sodass der Notarzt nur noch ihren Tod feststellen konnte.«

»Das klingt ja furchtbar.« Caro fasste sich an den Kopf.

»Ja. Hol mal lieber tief Luft. Der Anblick ist nichts für schwache Nerven.«

Caro schauderte. Wenn die Rechtsmedizinerin, die täglich Leichen vor Augen hatte, so eine Aussage traf ...

»Berger ist schon da«, fuhr Simone fort. »Gleich da drüben.« Sie zeigte auf eine Traube von Polizisten.

Caro näherte sich ihren Kollegen. Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung in weißen Overalls hoben mit Spaten den Waldboden aus, um die Leiche vorsichtig freizulegen. Simon Berger stand daneben und beobachtete die Spatenstiche. Die schwarze Lederjacke und der Hoodie standen ihm gut, fand Caro. Sie passten zu seiner hochgewachsenen, athletischen Figur und den kurzen, dunklen Haaren. Doch im fahlen Licht der Scheinwerfer wirkte sein Gesicht kantig, und der Dreitagebart warf Schatten.

Berger drehte den Kopf, als Caro zu ihm trat, lächelte aber nicht wie sonst. Seine Miene schien wie eingefroren zu sein, und aus den melancholischen Augen sprach Sorge.

»Sieht übel aus«, sagte er mit trockener Stimme.

Der schlanke Frauenkörper war inzwischen zur Hälfte ausgegraben. Die Haut wies unzählige offene Wunden auf, an denen sich Maden und Käfer vergangen hatten. Der Kopf der Frau war zur Seite gesunken, die blonden Haare klebten an ihrem Gesicht. Sie musste um die zwanzig Jahre alt gewesen sein, fast noch ein Mädchen.

Die Männer der Spurensicherung hörten auf zu graben, damit Caro näher an die Leiche herantreten konnte. Sie starrte auf die Stirn der Frau.

Was ist das?

Drei blutverkrustete Sterne klafften zwischen Augenbrauen und Haaransatz.

»Was hat sie auf der Stirn?«, fragte Caro.

Berger folgte ihrem Blick. »Ich nehme an, eine Markierung. Der Täter muss ihr die Sterne bei lebendigem Leib eingeritzt haben.«

Caro holte tief Luft. »Was für ein Albtraum!«

»Ihr liegt nicht ganz richtig.« Simone Schweitzer war hinter Caro getreten und stellte ihre Tasche neben der Leiche ab.

»Womit?«, fragte Caro.

»Berger hat gerade gesagt, die Sterne wurden dem Opfer eingeritzt. Aber wenn ihr genau hinseht, stellt ihr fest, dass die Einkerbungen in der Stirn tief sind.« Sie strahlte mit ihrer Taschenlampe den Kopf der Leiche an.

Caro schauderte.

»Um genau zu sein«, fügte Simone hinzu, »wurde das Stirnbein perforiert. Höchstwahrscheinlich ist dabei auch der Frontallappen beschädigt worden, was Gehirnblutungen zur Folge hatte.«

Berger blickte betroffen auf die Leiche. »Sie muss noch gelebt haben, als der Täter ihr das angetan hat, vielleicht war sie sogar bei vollem Bewusstsein.«

Simone Schweitzer nickte. »Ja, damit hast du recht. Die Stirnwunden sind mehrere Tage alt, wie man an den verkrusteten Rändern erkennt.«

»Hätte sie nicht an den Hirnblutungen sterben müssen?«, fragte Caro.

»Nicht unbedingt. Wenn die Blutungen auf den Frontallappen beschränkt waren, hätte das im Wesentlichen kognitive Einschränkungen zur Folge, es bestand aber keine Lebensgefahr.«

»Was glaubst du, wie lange sie hier im Waldboden gesteckt hat?«, erkundigte sich Berger.

»Der dehydrierten Haut zufolge vier bis fünf Tage.«

»Was?« Caro spürte, wie das Blut aus ihrem Kopf wich. »Sie muss furchtbar gelitten haben.«

Die Rechtsmedizinerin nickte. »Ganz sicher. Sie war bewegungsunfähig und aufgrund der Gehirnverletzung vermutlich orientierungslos. Hinzu kommen noch Schnittwunden am ganzen Körper und der Wasserentzug. Das war die reinste Folter.«

»Noch mal zurück zu den Sternen«, sagte Berger. »Meinst du, der Täter hat ein Messer benutzt?«

Simone Schweitzer schüttelte den Kopf. »Nein. Das Stirnbein ist Teil des Schädelknochens, also sehr widerstandsfähig. Die Sterne müssen ihr regelrecht eingestanzt worden sein. Mit einer Maschine oder einem Bolzenschussgerät.«

Caro schüttelte schockiert den Kopf.

Berger sah Caro mit ernster Miene an. »Ich fürchte, wir haben es mit einem Serienmörder zu tun. Vor fünf Wochen wurde eine junge, blonde Frau mit identischen Verletzungen in der Nähe von Eschborn gefunden. Allerdings war sie nicht eingegraben.«

»Sie hatte auch Sterne auf der Stirn?«, hakte Caro nach.

Berger nickte. »Ja. Aber nur zwei.«

»Dann könnten die Sterne die Anzahl der Opfer symbolisieren«, vermutete Caro.

»Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Berger zurück. »Das würde bedeuteten, dass es ein drittes Opfer gibt, das noch nicht gefunden wurde.«

Caro wandte sich an Simone Schweitzer. »Hast du die andere Leiche auch obduziert?«

»Nein, der Fall wurde von der lokalen Mordkommission bearbeitet. Ich werde mir aber die Resultate besorgen und einen Vergleich ziehen.«

Die Männer der Spurensicherung gruben weiter.

»Sie hat übrigens eine Halsfessel getragen«, sagte die Rechtsmedizinerin.

Caro kniff die Augen zusammen. Aufgrund des verdreckten Halses waren ihr die Verfärbungen nicht aufgefallen. »Du hast recht. Die dunklen Ränder sind offensichtlich.«

Berger starrte nachdenklich auf die Leiche. »Das bedeutet, der Täter hat sie eine Zeit lang gefangen gehalten, ihr dann die Sterne in die Stirn gestanzt und sie schließlich hier eingegraben und qualvoll sterben lassen.«

»Ich hätte es nicht besser zusammenfassen können«, sagte Simone Schweitzer.

Caro wischte sich über die Stirn. »Die arme Frau muss Höllenqualen erlitten haben.« Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie mit brüchiger Stimme fort. »Eine derart sadistische Neigung habe ich noch nie bei einem Täter gesehen!«

Und sie hatte schon einiges erlebt ...

5

Nachdem die Leiche vollständig ausgegraben worden war, hatte man sie zunächst auf Spuren untersucht und anschließend in die Rechtsmedizin abtransportiert. Der Fundort hatte keine weiteren Erkenntnisse gebracht.

Caro war gegen einundzwanzig Uhr aufgebrochen. Als sie in ihrer Wiesbadener Wohnung eintraf, saß Jennifer im Jogginganzug auf dem Sofa, sah eine Kochshow im Fernsehen und löffelte einen Schokoladenpudding.

»Ich dachte, du hast heute dein Date«, sagte Caro, obwohl ihr klar war, dass es mies gelaufen sein musste.

»Frag nicht«, grummelte das Mädchen.

»Was ist denn passiert?« Caro setzte sich neben ihre Tochter.

»Der ging gar nicht. Das totale Opfer.«

Caro zog die Augenbrauen hoch.

»Erst war er meganervös und konnte kaum einen ganzen Satz sprechen. Dann hat er auch noch sein Wasser verschüttet.«

»Es ist doch normal, dass man bei einem ersten Date unsicher ist«, sagte Caro.

»Darauf stehe ich echt nicht«, gab Jennifer zurück.

Caro verdrehte innerlich die Augen. Der Reinfall würde sie hoffentlich nicht wieder in die Arme eines abgeklärten Mittvierzigers treiben. »Lass dich nicht entmutigen. Er war einfach der Falsche.«

»Als der mich gesehen hat, sind ihm fast die Augen rausgefallen. Fehlte nur noch, dass er angefangen hätte zu sabbern.«

Bei dem kurzen Kleid, das Jennifer am Nachmittag gekauft hatte, wunderte sich Caro keineswegs über die Reaktion. »Du bist eine attraktive Frau. Das schüchtert viele Männer ein. Du musst ihnen Zeit geben.«

»Nee, das geht gar nicht.« Das Mädchen nahm sein Handy in die Hand und wischte über den Bildschirm. »Ich habe Tinder gelöscht. Da laufen echt nur Vollpfosten rum.«

»Das ist nicht die schlechteste Idee«, antwortete Caro. Tinder war von allen Dating-Apps die oberflächlichste, bei der die Auswahl des potenziellen Partners im Wesentlichen über Bilder erfolgte. Und die waren häufig mit dem Computer nachbearbeitet.

»Ich habe mich jetzt bei einer neuen App angemeldet, die gerade durch die Decke geht.«

»Wie heißt die denn?«, erkundigte sich Caro.

»LovEvent. Mit einem großen E in der Mitte.«

Caro schaute ihre Tochter interessiert an. »Aha. Und was soll daran so gut sein?«

»Es ist eine App nur fürs Rhein-Main-Gebiet. Mega Typen laufen da rum. Und die veranstalten auch coole Events.«

»Klingt toll.« Caro hatte noch eine Zeit miterlebt, in der man sich ohne Apps kennengelernt hatte, was heutzutage unmöglich erschien. Zugegebenermaßen war die Geschwindigkeit der Partnersuche im Internet deutlich höher. Aber auch unverbindlicher.

Jennifers Handy brummte. Sie sah aufs Display und lächelte. Dann tippte sie.

»Hast du schon den nächsten Kerl an der Angel?« Caro versuchte, etwas auf dem Bildschirm ihrer Tochter zu erkennen, doch das Mädchen drehte das Gerät hastig in die andere Richtung.

»Klar!« Jennifer stand vom Sofa auf. »Ich gehe in mein Zimmer.«

Als sie verschwunden war, atmete Caro tief ein und wieder aus. Sie dachte an Berger. Würde sie sein Bild in einer Dating-App sehen, hätte sie ihn sofort angeklickt. Stattdessen hatten sie sich im Landeskriminalamt kennengelernt. Die Arbeit war nach dem Internet die wohl zweithäufigste Möglichkeit, den Partner fürs Leben zu finden. Aber war Berger dieser Partner fürs Leben?

Jedes Mal, wenn sie sich in den letzten Monaten geküsst hatten, war Caro der Hoffnung erlegen, dass ihre Beziehung die entscheidende nächste Stufe erreichen würde. Doch sie hatte immer wieder einen Rückschlag erlebt.

Der Tod seiner damaligen Verlobten ließ ihn nicht los, und er konnte das Trauma einfach nicht überwinden. Jeder Kuss führte ihn zurück an jenen Ort, als er ihr zum letzten Mal in die Augen geblickt hatte, bevor sie in seinen Armen verblutet war.

Es schmerzte Caro, dass Berger nicht loslassen konnte. Und es erschöpfte sie. Aber aufgeben wollte sie ihn auch nicht. Dafür liebte sie ihn zu sehr. Sie hoffte auf den Tag, an dem er die Dämonen seiner Vergangenheit endlich besiegen würde.

Bergers Gesicht erschien vor ihr, angestrahlt vom fahlen Licht der Tatortscheinwerfer. Wie er sorgenvoll die Leiche betrachtete.

Caros Gedanken schweiften zu der toten Frau. Der Täter hatte sie gefoltert, ihre Stirn auf bestialische Art perforiert und sie mitten im Wald eingegraben.

Ob sie bei klarem Verstand gewesen war? Sie musste eine Höllenangst erlitten haben. Bewegungslos. Allein. Ohne Wasser. Während sich Käfer und Maden an ihren Wunden vergangen hatten.

Caro schüttelte sich. Was für eine gruselige Vorstellung!

Wer tat einer jungen Frau etwas so Grausames an? Das besonders sadistische Vorgehen sprach eher für einen männlichen Täter. Auch die Tatsache, dass die Leiche durch den Wald transportiert und dort vergraben worden war, bestätigte die These.

Warum hatte der Mörder sein Opfer eingegraben? Wollte er die Frau maximal leiden lassen? Er musste gewusst haben, dass sie noch gelebt hatte. Das aber bedeutete ein hohes Risiko. Wäre sie früher entdeckt worden, hätte sie ihn eventuell entlarven können. Offensichtlich war es dem Täter wichtiger gewesen, sie zu quälen, als sie zum Schweigen zu bringen. Das deutete auf eine Triebsteuerung hin.

Die Befragung der Hundebesitzerin, die die Leiche entdeckt hatte, war wenig erfolgreich verlaufen. Sie hatte niemanden gesehen.

Caro fragte sich, warum der Hund die eingegrabene Frau nicht schon am Vortag gewittert hatte, an dem die beiden die gleiche Runde gedreht hatten. Vielleicht lag es an der Windrichtung.

Wieder dachte Caro an die Leiche. Das schreckliche Bild hatte sich in ihrer Erinnerung festgefressen: die starren Augen, die unzähligen Schnittwunden und natürlich die Sterne. Was für eine Bedeutung hatten sie für den Täter? Was wollte er damit ausdrücken? Handelte es sich um die Zahl seiner Opfer? Hatte er der Polizei eine Botschaft übermitteln wollen?

Das ist mein drittes Werk. Und ich bin noch nicht fertig!

Aber warum prangten die Sterne linksbündig auf der Stirn, und nicht mittig? Und war die Form mit fünf Zacken wichtig?

Caro schloss die Augen. An irgendetwas erinnerten sie die Sterne. Plötzlich hatte sie eine Ahnung, was die Markierung noch bedeuten könnte.

Donnerstag, 3. November

6

Als Caro am nächsten Morgen im Landeskriminalamt eintraf, saßen ihre Kollegen bereits an den Schreibtischen des Dreierbüros. Berger starrte angestrengt auf den Monitor, Matthias Darlinger – der jüngste Mitarbeiter des Teams – telefonierte. Er war fünfundzwanzig Jahre alt und hätte mit seinem durchtrainierten Körper, den dunklen, gewellten Haaren und dem kantigen Gesicht ohne Weiteres als Model arbeiten können. Sein Nachname und das attraktive Äußere hatten ihm im LKA schnell den Spitznamen Darling eingebracht.

Beide Kollegen blickten auf, als Caro eintrat.

Berger lächelte. »Guten Morgen, Schlafmütze.«

Caro sah auf die Uhr. »Es ist halb acht. Habt ihr im Büro übernachtet?«

Darling gähnte. »Mehr oder weniger.«

»Zoé hat ihn früh aus dem Bett geworfen«, flüsterte Berger gespielt geheimnisvoll.

Darlings Freundin Zoé war eine außergewöhnliche Frau, die nach ihren eigenen Regeln lebte und Darling an der kurzen Leine hielt.

Caro warf ihrem jungen Kollegen einen mitleidigen Blick zu. Sie wusste, dass er und Zoé trotz mancher Differenzen ein Herz und eine Seele waren.

»Ich habe Darling bereits über unseren Fall informiert«, sagte Berger. »Er ist in die Recherche eingestiegen.«

Caro zog die Jacke aus. »Wissen wir schon, wer die Tote ist?«

Darling grinste. »Klar. Hat keine fünf Minuten gedauert.«

»Das war auch keine große Kunst«, bremste Berger die Euphorie seines Kollegen. »Sie stand in der Vermisstendatei.«

»Aha.« Caro sah die Männer erwartungsvoll an. »Und?«

»Marie Kirchner. Sie war einundzwanzig Jahre alt und wird seit mehr als drei Wochen vermisst.« Darling zeigte auf seinen Monitor.

Caro umrundete den Schreibtisch und sah ihm über die Schulter. Auf dem Bildschirm zeichnete sich das Foto einer blonden Frau mit großen Rehaugen ab.

Schon seltsam, dachte Caro, wie der Tod das menschliche Antlitz verändert. Die besondere Schönheit ihrer Augen war gestern nicht mehr erkennbar gewesen.

»Was ist über die Umstände ihres Verschwindens bekannt?«, fragte sie.

»Nicht viel«, erklärte Darling. »Ihre Mutter hat die Anzeige aufgegeben, nachdem sie kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten hatte. Ihre Frankfurter Wohnung war verlassen.«

»Gab es Kampfspuren oder irgendwelche anderen Hinweise?«

»Nein. Allerdings hat Marie ihrer Mutter vor ihrem Verschwinden erzählt, dass sie sich zu Hause nicht mehr sicher gefühlt hat.

Berger kräuselte die Stirn. »Vielleicht lag sie ja mit ihrer Angst richtig.«

»Du meinst, der Mörder hat sie beobachtet?«, fragte Darling.

»Könnte sein. Mal sehen, was die Spurensicherung in ihrer Wohnung findet.«

»Die haben mal wieder Auftragsstau«, erklärte Darling. »Vor heute Abend passiert da gar nichts.«

»Was?« Berger schüttelte den Kopf. »Bei einem so wichtigen Fall?«

»Vielleicht sollten wir uns die Wohnung schon mal vorab ansehen und die Nachbarn befragen«, schlug Caro vor. »Dann sind wir schneller.«

»Ja, gute Idee«, entgegnete Berger. »Ach, und noch was. Schau dir bitte mal die Akte des anderen Opfers an, das vor fünf Wochen gefunden wurde. Ich habe dir die Datei zugeschickt.«

Caro setzte sich an ihren Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Neugierig öffnete sie die elektronische Akte.

Das Bild der Leiche mit zwei blutverschmierten Sternen auf der Stirn sprang Caro regelrecht an. Auch ihr Körper wies zahlreiche Schnittwunden auf. Sie war im Wald nahe Eschborn entdeckt worden, allerdings nicht eingegraben.

Das Mädchen hieß Mia Hellmann und war achtzehn Jahre alt. Es kam aus Hofheim, einem Ort zwischen Frankfurt und Wiesbaden und war ebenfalls zuvor vermisst gemeldet worden. Mit den langen, blonden Haaren und dem schmalen Gesicht wies Mia eine erstaunliche Ähnlichkeit zu Marie Kirchner auf.

»Aha! Unser Täter steht also auf junge, blonde Mädchen«, schloss Caro. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an Jennifer dachte.

»Sieht ganz danach aus«, erwiderte Berger. »Die Frage ist, ob es noch eine dritte Leiche gibt.«

»Wegen der Anzahl der Sterne?«, fragte Darling.

»Richtig.« Berger nickte. »Marie Kirchner hatte drei Sterne auf der Stirn. Das vorige Opfer Mia Hellmann zwei.«

Caro strich sich eine Haarsträhne hinter die Ohren. »Aber warum gerade Sterne?«

Berger zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht wie Weltmeistertitel auf dem Fußballtrikot.«

»Aber die Sterne auf den Trikots sind mittig aufgedruckt. Die Sterne auf der Stirn der Opfer liegen linksbündig.«

Berger starrte Caro an. »Worauf willst du hinaus?«

»Ich weiß, was Caro meint«, sagte Darling. »Mich erinnern die Sterne auch an etwas.«

»Dann klärt mich auf«, forderte Berger.

Caro räusperte sich. »Wenn man die Reihe der Sterne fortsetzen würde, dann hätten genau fünf Sterne auf der Stirn der Opfer Platz. Sowohl bei Mia Hellmann als auch bei Marie Kirchner. Das erinnert mich an ein Rating im Internet. Wie bei Amazon.«

Darling klatschte in die Hände. »Genau daran habe ich auch gedacht.«

Berger rückte näher an seinen Monitor heran und kniff die Augen zusammen. »Ihr könntet recht haben. Vielleicht ist es eine Bewertung. Aber eine Bewertung wofür?«

Caro zuckte mit den Achseln. »Das müssen wir herausfinden.«

»Okay.« Berger nickte. »Wir teilen uns auf. Caro und ich sehen uns Marie Kirchners Wohnung an. Darling, du recherchierst bitte im Internet nach den Opfern. Durchforste vor allem ihre Social-Media-Profile.«

Darling nickte. »Da gibt es bestimmt eine Menge zu finden.«

Caro wusste, dass er recht hatte. Die Generation Instagram legte wenig Wert auf Privatsphäre und präsentierte jedes noch so kleine Detail über sich im Netz.

Berger sprang auf. »Dann los. Ich bin gespannt, was wir in der Wohnung finden.«

7

Am Nachmittag trafen die Ermittler vor dem dreistöckigen Wohnblock im Frankfurter Osten ein, in dem Marie Kirchner gewohnt hatte.

Schwere Wolken türmten sich über der Stadt auf, und es begann zu nieseln. Typisch nasskaltes Novemberwetter. Berger parkte seinen BMW hinter dem Lieferwagen eines Hausmeisterservices.

»Der Schlüssel ist wohl schon unterwegs«, sagte Caro. Sie hatte die Wohnungsgesellschaft gebeten, einen Mitarbeiter mit Generalschlüssel zu schicken, um die Tür zu öffnen.

Im Hausflur wartete ein schlanker Mann mit kurz rasierten, schwarzen Haaren und einer schiefen Nase auf die LKA-Beamten. Er trug eine graue Arbeitshose und einen Fleece-Hoody. Nachdem die Polizisten ihren Ausweis gezeigt hatten, stellte er sich mit dem Namen Jegor Gussew vom Rhein-Main-Hausmeisterring vor. Er sprach mit osteuropäischem Akzent.

»Was ist hier passiert?«

»Die Bewohnerin wurde ermordet«, erwiderte Berger knapp.

Der Hausmeister wirkte wenig erstaunt, fragte aber trotzdem: »Echt jetzt?«

Berger verdrehte die Augen. »Ja, echt jetzt.«

»Kannten Sie Frau Kirchner?«, erkundigte sich Caro.

»Nein. Ich habe nur einen Wasserhahn bei ihr repariert.«

»Wann war das?«, hakte Caro nach.

Er zuckte mit den Schultern. »Vor zwei Monaten vielleicht.«

Caro nickte. »Haben Sie sich mit ihr unterhalten?«

»Die Frau hatte nicht viel Zeit.« Gussews Körperhaltung wirkte angespannt. »Soll ich jetzt aufschließen?«

Caro sah den Hausmeister durchdringend an. Sie hatte das Gefühl, dass das nicht alles war.

»Wo haben Sie den Wasserhahn repariert?«

»Im Badezimmer. Der Hahn hat getropft.«

»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches in der Wohnung aufgefallen?«, fragte Caro.

»Nein. Ich habe nur meine Arbeit gemacht. Bin ja noch in der Probezeit.«

»Aha. Wie lange genau machen Sie den Job schon?«

»Vier Monate.«

»Und wer war vorher für dieses Haus zuständig?«, fragte Berger.

»Keine Ahnung. Fragen Sie meinen Chef.«

Caro musterte den Hausmeister. »Das werden wir.«

»Soll ich jetzt aufschließen?«, fragte er noch mal.

»Ja, los«, gab Berger gereizt zurück.

Gussew öffnete die Tür und ließ die Ermittler eintreten. Neugierig sah er ihnen hinterher.

»Danke, Sie können gehen«, rief Berger ihm zu.

Der Hausmeister nickte und beeilte sich, aus dem Haus zu kommen.

»Komischer Kauz«, sagte Caro. »Irgendwas stimmt mit dem nicht. Ich hatte das Gefühl, dass er mehr über Marie Kirchner weiß.«

»Kann sein. Aber lass uns erst mal in der Wohnung umschauen. Um ihn können wir uns später kümmern.«

Caro nickte.

Die Ermittler zogen sich Handschuhe über, um nichts zu verunreinigen.

Caro ließ ihren Blick durch den Flur schweifen. Alles wirkte ordentlich, fast schon zu ordentlich. Drei Paar Schuhe waren fein säuberlich aufgereiht, als wären sie mit einer Wasserwaage ausgerichtet worden. Die Jacken hingen im Neunzig-Grad-Winkel zur Wand, und die Buddhafigur auf der Kommode stand exakt in der Mitte, vermutlich auf den Millimeter genau.

»Unsere Marie war wohl ein wenig penibel«, sagte Caro.

Berger öffnete eine der Türen. »Ja, eindeutig.«

Als Caro hinter ihrem Kollegen ins Schlafzimmer der toten Frau trat, verstärkte sich der erste Eindruck. Der Raum war ebenso akkurat aufgeräumt wie die Diele. Das Bett sah aus wie in einem frisch gemachten Hotelzimmer, strahlend weiß, ohne eine einzige Falte. Der Holzboden war gebohnert. Auf der Kommode standen ein Wecker und eine Vase vollkommen symmetrisch angeordnet.

»Wow. Ich bin mir sicher, im Innern ihres Kleiderschrankes sieht es genauso aus.« Caro öffnete eine der Schiebetüren und fühlte sich bestätigt. Jedes Kleidungsstück war penibel aufgehängt oder zusammengelegt, sortiert nach Farben.

Die Ermittler gingen weiter ins Wohnzimmer, das nicht minder ordentlich aussah. In einem breiten Bücherregal waren alle Werke akkurat ausgerichtet. Bis auf eines.

Caros Augen blieben sofort an der Unregelmäßigkeit hängen. »Siehst du das graue Buch? Es steht hervor.«

Berger folgte ihrem Blick und zog einen dicken Bildband von Paris aus dem Regal.

»Marie Kirchner war eine Ordnungsfanatikerin. Sie hätte das Buch niemals so schlampig einsortiert.«

Berger lachte auf. »In meine Wohnung hätte sie nicht kommen dürfen.«

Caro schüttelte den Kopf. »Nein, dann hätte sie einen Herzinfarkt erlitten.«

»Entweder Marie hat die Wohnung fluchtartig verlassen und keine Zeit gehabt, das Buch auszurichten. Oder eine andere Person war hier«, schloss Berger.

»Maries Aussage, dass sie Angst hatte, spricht für einen Stalker«, sagte Caro. »Er könnte in der Wohnung gewesen sein.«

Caro spürte, wie ein kalter Schauer ihren Rücken hinunterlief. Die Vorstellung, dass jemand in Maries Abwesenheit zwischen ihren privaten Sachen herumgeschnüffelt hatte, war gruselig.

»Fragt sich nur, wie er in die Wohnung gekommen ist.« Berger öffnete den grauen Bildband, fand jedoch keinen Hinweis, was das Buch mit Maries Verschwinden zu tun haben könnte.

Caros Blick wanderte durchs Wohnzimmer, auf der Suche nach weiteren Unregelmäßigkeiten. Sie konnte nichts entdecken.

»Ich sehe mir das Badezimmer an.« Caro kehrte in den Flur zurück und öffnete eine Tür, hinter der sie das Bad vermutete.

Als sie das Licht anschaltete, begann ein Ventilator zu summen. Der Hauch eines Desinfektionsmittels stieg ihr in die Nase.

Wie in einer Arztpraxis.

Das Bad war weiß gefliest, und alles glänzte. Die Handtücher hingen akkurat auf der Stange, genau mittig, als wären beide Enden abgemessen worden. Über dem Waschbecken standen ein Zahnputzbecher und zwei lilafarbene Spender, die mit Bodylotion und Seife gefüllt waren.

Als Caro die Tür des Spiegelschrankes öffnete, sprang ihr eine Packung Tampons ins Auge, die schief auf dem zweiten Regelboden lag.

Berger tauchte hinter Caro in der Badezimmertür auf. »Hast du was gefunden?«

Caro zeigte auf die Tamponpackung. »Ich denke, hier war auch jemand dran. Viel intimer geht's kaum noch.«

»Das sind zwar alles nur Indizien. Aber es würde Maries Angst erklären. Sie muss jede Unregelmäßigkeit bemerkt haben.«

»Ich stelle mir das schrecklich vor. Sie kommt nach Hause und entdeckt, dass ihre Sachen anders dastehen als zuvor. Vermutlich hat sie es zunächst auf sich selbst geschoben. Aber irgendwann muss die Erkenntnis in ihr gereift sein, dass jemand hier gewesen war.«

Berger sah auf den Spiegelschrank, dann hinauf zur Lampe und zum Ventilator, der sich hinter einem weißen Gitter in der Wand verbarg.

Caro folgte seinem Blick. »Was siehst du?«

»Nichts. Ich habe nur so eine Ahnung.« Berger holte sein Taschenmesser aus der Jacke und schraubte die Verkleidung des Ventilators ab. Dann pfiff er durch die Zähne.

»Was für eine kranke Scheiße! Jetzt wird es wirklich Zeit, dass die Spurensicherung eintrifft.«

8

Jana Engelhardt nippte an ihrem Cappuccino. Sie lächelte, als ihre Freundin Vera von einem missglückten Date erzählte.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie peinlich der war. Er hat mich die ganze Zeit mit ›gnädiges Fräulein‹ angesprochen. Außerdem hat er mich gesiezt. Wer macht denn so was?«

»Du hast doch bestimmt vorher mit ihm gechattet, oder?« Jana sah zum Nachbartisch hinüber, an dem zwei Kerle saßen. Das Frankfurter Café war gut besucht. Ein wabernder Geräuschpegel lag in der Luft.

»Natürlich«, erwiderte Vera. »Er hat sich normal verhalten. Sonst hätte ich mich doch gar nicht mit ihm getroffen.«

»Im Chat hat er dich also noch geduzt?« Jana fuhr sich durch ihre blonden Haare.

»Ja, klar.« Veras Stimme überschlug sich. »Das macht es noch krasser. Und dann seine Kleidung. Er hat so einen altmodischen Pullover getragen. Furchtbar hässlich. Als hätte er den im Schrank seiner Oma gefunden. Außerdem sah er ganz anders aus als auf dem Profilbild.«

»Und was ist dann passiert?«, fragte Jana interessiert nach.

»Ich habe ihm nach fünf Minuten gesagt, dass er sich keine Hoffnung zu machen braucht. Und du glaubst nicht, was er plötzlich für eine Show abgezogen hat. Der Typ ist komplett ausgerastet.«

Jana riss die Augen auf. »Nee, echt?«

»Ich sag's dir. Er hat mich angeschrien. Dass ich ein Flittchen sei, das mit jedem Kerl rumvögelt. Dass er eine Chance verdient hätte. Dass er sich so viel Mühe gegeben habe. Und was nicht noch alles.«

»Was für ein Loser.« Jana schüttelte den Kopf.

»Der war richtig durch. Totaler Psycho. Ich hab meine Jacke genommen und bin abgehauen. Das war so was von peinlich! Das Café war genauso voll wie jetzt.«

»Puh, was für ein Horrortrip!«

»Das kannst du laut sagen.« Vera schüttelte sich. »Ich hab das Opfer sofort blockiert. Hatte Angst, dass er mich stalkt oder so.«

»Krass.«

»Und wie sieht's bei dir aus?«, fragte Vera. »Hast du auch ein paar heiße Eisen im Feuer?«

»Hab ich wirklich. Ich schreibe seit ein paar Tagen mit einem total süßen Typen.« Jana zog ihr Handy aus der Tasche und öffnete die Chat-App. Dann klickte sie auf das Foto ihrer Bekanntschaft und drehte das Display zu Vera hinüber. »Das ist Tim.«

»Wow! Der sieht ja echt heiß aus. Ein bisschen wie Johnny Depp in jungen Jahren.«

»Ja, das war auch mein erster Gedanke. Und er ist so charmant.«

Vera lächelte. »Ich wünsch dir Glück, Süße!« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Was macht eigentlich die Sache mit dem Einbruch?«

Janas Unterkiefer fiel abrupt herunter. Gleichzeitig jagte ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken.

Vor ein paar Tagen war jemand in ihre Wohnung eingedrungen. Jana schloss die Augen. Es war, als würde sie die Szene erneut erleben, und Angst erfasste sie mit voller Wucht.

Jana wurde von einem Geräusch geweckt. In ihrer Schlaftrunkenheit konnte sie es zunächst nicht einordnen. Sie zog ihre Decke höher und horchte in die Stille der Nacht.

Hatte sie schlecht geträumt? Oder hatte ein Nachbar etwas fallen lassen?

Dann hörte sie das Geräusch erneut. Es waren Schritte. Schritte, die aus ihrem Wohnungsflur kamen!

Ein Einbrecher!

Jana hielt die Luft an und krallte sich an ihrer Bettdecke fest. Sie starrte auf die Schlafzimmertür. Im Flur brannte Licht, und unter der Tür zeichnete sich ein heller Streifen ab.

Die Schritte kamen näher. Ein Schatten verdunkelte den Türspalt. Der Einbrecher stand direkt vor ihrer Tür. Jana wagte kaum zu atmen.

Ihre Schlafzimmertür war nicht abgeschlossen. Würde er reinkommen und ...? Der Gedanke war so entsetzlich, dass sie ihn nicht zu Ende denken konnte.

Wieder erklangen die Schritte aus dem Flur. Sie entfernten sich, und der Schatten verschwand.

Jana holte Luft.

Du musst Hilfe rufen! Jetzt!

Mit zitternden Händen griff Jana zum Handy, ließ es jedoch fallen. Das Gerät krachte polternd auf den Holzboden.

Janas Herz setzte beinahe aus. Sie schloss die Augen.