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Wie alle Hauptwerke Hermann Hesses hat auch der Demian, den der damals 40jährige Autor mitten im Ersten Weltkrieg schrieb, eine ebenso ungewöhnliche wie spannende Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Daß dieses im Herbst 1917 vollendete Buch erst im Juni 1919, ein halbes Jahr nach Kriegsende, veröffentlicht wurde, lag an der Unbekanntheit des Verfassers. Denn Hesse hatte das Manuskript dem Verlag als das Erstlingswerk eines kranken jungen Dichters empfohlen, des zeitkritischen Poeten Emil Sinclair, der bisher nur in Zeitungen und Zeitschriften durch pazifistische Mahnrufe und Erzählungen aufgefallen war (die gleichfalls von Hesse stammten). Doch trotz des Inkognitos erlebte das Buch eine geradezu stürmische Aufnahme und wurde noch im Erscheinungsjahr mit dem Fontane-Preis für das beste Erstlingswerk eines Nachwuchsautors ausgezeichnet. Thomas Mann verglich die elektrisierende Wirkung des Buches mit der von Goethes Werther, da es »mit unheimlicher Genauigkeit den Nerv der Zeit traf und eine ganze Jugend, die wähnte aus ihrer Mitte sei ihr ein Künder ihres tiefsten Lebens entstanden, zu dankbarem Entzücken hinriß«. Bis zur Entdeckung des Pseudonyms im Mai 1920 erschienen drei Auflagen, denen dann unter Hesses eigenem Namen zu seinen Lebzeiten noch 93 weitere folgten.
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Seitenzahl: 237
Hermann Hesses Erzählung Demian, entstanden 1917 und zwei Jahre später unter dem Pseudonym Emil Sinclair erschienen, »um die Jugend nicht durch den bekannten Namen eines alten Onkels abzuschrecken«, hatte – wie Thomas Mann in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe des Buches berichtet – auf die junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg »eine elektrisierende Wirkung und traf mit unheimlicher Genauigkeit den Nerv der Zeit«, ähnlich Goethes Werther, dessen Wirkung Thomas Mann mit der des Demian vergleicht. »Er hebt ans Licht die urgeborene Amoralität«, schreibt Alfred Döblin, und Stefan Zweig verwies auf den »bewundernswerten Einblick in die Jugendpsychologie«, die der Demian ermöglicht, während C. G. Jung die Wirkung dieses Buches verglichen hat mit dem »Licht eines Leuchtturms in einer Sturmnacht«.
Hermann Hesse, am 2. Juli 1877 in Calw geboren, starb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano. 1946 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Hermann Hesse
Demian
Die Geschichtevon Emil SinclairsJugend
Suhrkamp
Umschlagabbildung: Klaus Kromarek
Entstanden 1917. Erste Buchausgabe,unter dem Pseudonym Emil Sinclair,Berlin 1919
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2011
Copyright 1925 by Hermann Hesse
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile, durch Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-76580-7
www.suhrkamp.de
Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?
Um meine Geschichte zu erzählen, muß ich weit vorn anfangen. Ich müßte, wäre es mir möglich, noch viel weiter zurückgehen, bis in die allerersten Jahre meiner Kindheit und noch über sie hinaus in die Ferne meiner Herkunft zurück.
Die Dichter, wenn sie Romane schreiben, pflegen so zu tun, als seien sie Gott und könnten irgendeine Menschengeschichte ganz und gar überblicken und begreifen und sie so darstellen, wie wenn Gott sie sich selber erzählte, ohne alle Schleier, überall wesentlich. Das kann ich nicht, so wenig wie die Dichter es können. Meine Geschichte aber ist mir wichtiger als irgendeinem Dichter die seinige; denn sie ist meine eigene, und sie ist die Geschichte eines Menschen – nicht eines erfundenen, eines möglichen, eines idealen oder sonstwie nicht vorhandenen, sondern eines wirklichen, einmaligen, lebenden Menschen. Was das ist, ein wirklich lebender Mensch, das weiß man heute allerdings weniger als jemals, und man schießt denn auch die Menschen, deren jeder ein kostbarer, einmaliger Versuch der Natur ist, zu Mengen tot. Wären wir nicht noch mehr als einmalige Menschen, könnte man jeden von uns wirklich mit einer Flintenkugel ganz und gar aus der Welt schaffen, so hätte es keinen Sinn mehr, Geschichten zu erzählen. Jeder Mensch aber ist nicht nur er selber, er ist auch der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder. Darum ist jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich, darum ist jeder Mensch, solange er irgend lebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit würdig. In jedem ist der Geist Gestalt geworden, in jedem leidet die Kreatur, in jedem wird ein Erlöser gekreuzigt.
Wenige wissen heute, was der Mensch ist. Viele fühlen es und sterben darum leichter, wie ich leichter sterben werde, wenn ich diese Geschichte fertiggeschrieben habe.
Einen Wissenden darf ich mich nicht nennen. Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ich suche nicht mehr auf den Sternen und in den Büchern, ich beginne die Lehren zu hören, die mein Blut in mir rauscht. Meine Geschichte ist nicht angenehm, sie ist nicht süß und harmonisch wie die erfundenen Geschichten, sie schmeckt nach Unsinn und Verwirrung, nach Wahnsinn und Traum wie das Leben aller Menschen, die sich nicht mehr belügen wollen.
Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter, jeder wie er kann. Jeder trägt Reste von seiner Geburt, Schleim und Eischalen einer Urwelt, bis zum Ende mit sich hin. Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte gemeinsam, die Mütter, wir alle kommen aus demselben Schlunde; aber jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den Tiefen, seinem eigenen Ziele zu. Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst.
Ich beginne meine Geschichte mit einem Erlebnisse der Zeit, wo ich zehn Jahre alt war und in die Lateinschule unseres Städtchens ging.
Viel duftet mir da entgegen und rührt mich von innen mit Weh und mit wohligen Schauern an, dunkle Gassen und helle Häuser und Türme, Uhrschläge und Menschengesichter, Stuben voll Wohnlichkeit und warmem Behagen, Stuben voll Geheimnis und tiefer Gespensterfurcht. Es riecht nach warmer Enge, nach Kaninchen und Dienstmägden, nach Hausmitteln und getrocknetem Obst. Zwei Welten liefen dort durcheinander, von zwei Polen her kamen Tag und Nacht.
Die eine Welt war das Vaterhaus, aber sie war sogar noch enger, sie umfaßte eigentlich nur meine Eltern. Diese Welt war mir großenteils wohlbekannt, sie hieß Mutter und Vater, sie hieß Liebe und Strenge, Vorbild und Schule. Zu dieser Welt gehörte milder Glanz, Klarheit und Sauberkeit, hier waren sanfte freundliche Reden, gewaschene Hände, reine Kleider, gute Sitten daheim. Hier wurde der Morgenchoral gesungen, hier wurde Weihnacht gefeiert. In dieser Welt gab es gerade Linien und Wege, die in die Zukunft führten, es gab Pflicht und Schuld, schlechtes Gewissen und Beichte, Verzeihung und gute Vorsätze, Liebe und Verehrung, Bibelwort und Weisheit. Zu dieser Welt mußte man sich halten, damit das Leben klar und reinlich, schön und geordnet sei.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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