Denn die Worte vom Kreuz - Barbara Millo - E-Book

Denn die Worte vom Kreuz E-Book

Barbara Millo

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Beschreibung

Österreich im Jahre 2032. In der niederösterreichischen Stadt Großenhofen wird ein geheimes Pilotprojekt der Bundesregierung gestartet. Der AWOHS-Bürgerchip, zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand eingepflanzt, soll über ein paar Monate auf seine Alltagstauglichkeit getestet werden. Fünfhundert Probanden werden dafür mit viel Geld gekauft, denn die zwei genialen Entwickler haben nicht nur das Potential eines solchen Chips erweitert, sondern auch für ein ausgereiftes Umsetzungsprozedere gesorgt. Doch genauso schnell, wie manche sich dafür begeistern, entsteht auch trotz aller Geheimhalte-Versuche Widerstand in der Bevölkerung von Großenhofen. Ewig wiederkehrende Verhaltensmuster des Menschen treten zum Vorschein, die schlechten und die guten. Das Tal um Großenhofen scheint zum Ausgangspunkt eines neuen Zeitalters zu werden in demTechnologie sich den Menschen zunutze macht. Rasch wird klar: Wer den Chip nicht trägt, wird ausgegrenzt. Doch noch ist alles nur ein Test. Warum also gibt es Gegner, die das Pilotprojekt so boykottieren wollen, als wäre es schon Gesetz geworden? Weshalb bringen sie den Gott der Christenheit dabei ins Spiel? Könnten die Worte aus der Offenbarung des Johannes durch diesen Chip wahr werden?

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Barbara Millo

Denn die Worte vom Kreuz

Bibliografische Information der Nationalbibliotheken: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Österreichischen Nationalbibliothek.

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags, Herausgebers und der Autoren unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Impressum:

1. Auflage 2019

http://www.karinaverlag.at/

[email protected]

© Coverbild: Iris Fink

Lektorat/Layout: Renate Zawrel

Herausgeber: www.karinaverlag.at

ISBN9783967245660

Prolog

Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft ... und Gottes Weisheit.

Korinther 1, 18.24

Jeder - ob groß oder klein, reich oder arm, ob Herr oder Sklave - wurde gezwungen, auf der rechten Hand oder der Stirn ein Zeichen zu tragen. Ohne dieses Zeichen konnte niemand etwas kaufen oder verkaufen. Und dieses Zeichen war nichts anderes als der Name des Tieres, in Buchstaben geschrieben oder in Zahlen ausgedrückt.

Offenbarung des Johannes 13,16 - 17

Danach sprach der Engel zu mir: »Diesen Worten kannst du vertrauen; sie sind zuverlässig und wahr. Gott, der Herr, dessen Geist durch den Mund der Propheten spricht, hat seinen Engel geschickt; durch ihn sollen alle, die Gott dienen, erfahren, was bald geschehen muss.

Jesus sagt: Macht euch bereit! Ich komme bald. Wirklich glücklich ist, wer sich an die prophetischen Worte dieses Buches hält!

Offenbarung des Johannes 22, 6 - 7

Im Neuen Testament lesen wir die Geschichte von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der für uns auf dem Kreuz gestorben ist. Das Wort vom Kreuz ... es kann unser Herz erreichen, wenn wir es zulassen …

Die Einladung

»Günter, Post für dich! Du musst unterschreiben kommen!«, rief die Mutter vom Flur hinauf in den ersten Stock.

Ein Mann, dreiundzwanzig Jahre alt, sportlich und von der Sonne braun gebrannt, sprang die Treppe hinunter, als bestünde sie nur aus drei Stufen. Es konnte nur einen einzigen Brief geben, der auf eingeschriebenem Weg zu ihm kam. Und auf den hatten er und sein Studienkollege Heinz bereits seit einigen Wochen gewartet. Eilig kritzelte er seine Unterschrift auf das für ihn vorsintflutliche Empfangsgerät des Briefträgers und schnappte den Brief, der in einem blauen Hybrid-RSa-Kuvert an ihn adressiert war. Er riss ihn noch im Vorzimmer auf und fischte schon, nachdem er die ersten Zeilen überflogen hatte, sein Handy aus der Jean und tippte drei Einser hinein – das Kurzzeichen für Heinz Strebig, seinen gleichaltrigen Freund. »War die Post schon bei dir?«, schrie er ins Telefon.

»Nein, bei uns kommt sie erst gegen Mittag. Warum?«

»Heinz, halt dich fest! Wir sind Preisträger! Unser Chip-Projekt hat gewonnen, wir sind Erster!«

Die Mutter stand mit offenem Mund neben ihrem Sohn, der in sein Handy brüllte, gleichzeitig lachte, wild gestikulierte und herumsprang wie ein verrückt gewordener Hampelmann.

Heinz, auf der anderen Seite der Leitung, stand eher wie versteinert da und brachte trotz des Wahnsinnsgefühls, das ihn gerade wie eine Sturmböe erwischt hatte, keinen einzigen Laut hervor.

Nachdem Günter seinen offensichtlichen Freudentanz beendet hatte, zumindest schien es Heinz so, nachdem keine seltsamen Geräusche mehr von seinem Freund zu hören waren, verlangte er mit belegter Stimme: »Günter! Lies! Endlich! Vor!«

Dieser hielt den weißen Papierbogen mit beiden Händen fest und las: »Das Bundesministerium für Forschung und Entwicklung teilt Ihnen mit, dass das von Ihnen eingereichte Projekt ›AWOHS-Bürgerchip‹ den ersten Preis im Wettbewerb ›Österreich ist Zukunft‹ erhalten hat. Wir ersuchen Sie, am 4. August 2032 um zehn Uhr im Hotel Ringstraßenpalast, Wien, zur Preis-verleihung zu erscheinen. Bitte halten Sie bis zu diesem Zeitpunkt noch die mit der Einreichung Ihres Projektes unterzeichnete Stillhaltevereinbarung ein. Unterzeichnet vom Ministerium persönlich!«

»Na, dann…«, jetzt klang auch Heinz' Stimme euphorisch, »… warte ich noch ab, bis ich denselben Brief bekommen hab und dann feiern wir!«

Am gleichen Vormittag erhielt Igen Zidahl, Bürgermeister der Stadt Großenhofen in Niederösterreich, ebenfalls einen eingeschriebenen Brief vom Zukunftsministerium. Darin wurde ihm das nunmehr abgeschlossene Wettbewerbsprojekt ›Österreich ist Zukunft‹ in der ursprünglichen Ausschreibungsbroschüre vorgestellt und er wurde ersucht, zur Preis-verleihung als Laudator nach Wien zu kommen. Man lobte seine Verdienste für Großenhofen und die perfekte Infrastruktur für aufstrebende junge Österreicher und Österreicherinnen. Die Zusage möge umgehend mitgeteilt werden und man bat ihn um eine zirka vierzehnminütige Redezeit.

Igen war begeistert. Irgendwie fühlte er sich in seiner Arbeit bestätigt und platzte fast vor Stolz, dass ausgerechnet er zu dieser Laudatio bestimmt worden war. Er war davon überzeugt, dass man endlich auch auf höchster politischer Ebene sein Talent erkannt hatte. Also waren die stetigen Besuche bei jeder wichtigen Veranstaltung doch nicht umsonst gewesen und seine Bemühungen durch Wortmeldungen, schriftliche Danksagungen und Händeschüttel- und Fotogeheische schließlich von Erfolg gekrönt. Sofort schrieb er ein Mail mit Empfangsbestätigung und Zusage an die angegebene Adresse und machte fast noch im selben Atemzug die ersten Notizen zu seiner Rede.

Die einen, Heinz und Günter, feierten an diesem Abend in Tirol, der andere saß bis spät in der Nacht vor seinem Computer und feilte an seiner Lobeshymne auf sich, auf Großenhofen und ja .... auch auf die österreichische erfolgreiche Jugend.

Hotel Ringstraßenpalast Wien

Hotel Ringstraßenpalast, Wien 4. August 2032.

Heinz und Günter waren schon am Vorabend aus Tirol nach Wien gekommen und hatten hier bei einem alten Schulfreund übernachtet. Sie waren in ausgelassener und launiger Stimmung gewesen, vor allem Heinz konnte gar nicht aufhören, über die Zukunftsperspektiven der beiden zu sprechen, die sich durch einen Preis für sie auftun würden. Günter war da schon etwas zurückhaltender und ›realistischer‹. Beim Eintreten in die Hotelhalle schweifte sein erster Blick zu den Ankündigungstafeln der verschiedenen Veranstaltungen des Hotels. Da er nichts von einer Preisverleihung des Ministeriums für Forschung und Entwicklung finden konnte, auch keine Transparente, so, wie er es eigentlich bei einer Groß-veranstaltung erwartet hatte, wurde er stutzig. Er ging an die Rezeption und befragte – mit einem kleinen Kompliment – die hübsche Dame hinter dem Tresen. Diese verwies ihn knapp zu den Seminartafeln beim Stiegenaufgang vor den Aufzügen.

Und wirklich, dort stand relativ unspektakulär ›Preisverleihung - Österreich ist Zukunft. Zimmer 411‹.

»Was kann das für eine Riesenpreisverleihung sein? Heinz, da linkt uns wer!« Günter schaute seinen Freund unschlüssig an.

Doch Heinz ließ sich seine gute Stimmung nicht nehmen. »Bleib cool, das ist ein großes Hotel, das hat auch große Zimmer!«, meinte er schwärmerisch und schob seinen ziemlich skeptischen Studienkollegen gleich in den nächsten Lift.

Sie fuhren in den vierten Stock und fanden ein paar Schritte weiter das Zimmer 411. Davor stand schon ein Mann in niederösterreichischer Landestracht. Das Zimmer schien noch verschlossen und nichts, aber auch rein gar nichts, deutete auf eine Preisverleihung oder Veranstaltung größerer Art hin.

Der Mann im grünen Janker war Igen Zidahl, der Bürgermeister von Großenhofen. Er war sichtlich nervös. In fünfzehn Minuten sollte eine Preisverleihung beginnen, auf der er Gastsprecher und Ehrengast war. Bereits seit einer halben Stunde und nachdem er extra an der Rezeption noch einmal nachgefragt hatte, stand er hier und wartete. An seiner Rede hatte er in den letzten drei Wochen fast täglich gefeilt und gearbeitet. Sollte sich das jetzt etwa als Scherz herausstellen? Er fühlte sich unbehaglich und zunehmend wütend.

Die drei Männer nickten sich zu und schwiegen ein paar Augenblicke, bis es einer der zwei Jüngeren nicht mehr aushielt: »Entschuldigen Sie bitte, kommen Sie auch zu dieser Preisverleihung vom Bundesministerium?«

Die folgende Antwort war zumindest ein kleiner Hoffnungsstrahl. »Ja!« Zidahl nickte energisch und reichte den beiden jungen Männern nacheinander die Hand. »Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Igen Zidahl, ich bin Bürgermeister von Großenhofen und bin eigentlich als Ehrengast und Laudator eingeladen! Darf ich fragen, wer Sie sind?«

Günter, der ebenfalls etwas erleichtert schien, stellte sich und seinen Freund vor und erzählte vom Preis, der sie hier erwarten sollte. Mit Stirnrunzeln und einem Blick auf die Uhr fügte er hinzu, dass sie ihrerseits ob der eigenartigen Situation auch sehr irritiert wären.

»Wir warten jetzt noch bis zehn Uhr und von mir aus geben wir noch fünf Minuten drauf, aber dann gehen wir hinunter und beschweren uns!«, übernahm Zidahl das Kommando.

Günter und Heinz waren ganz froh darüber.

Schlag zehn Uhr jedoch kam ein hagerer Mann in schwarzem Anzug und einer Mappe unter seinen vor dem Körper verschränkten Armen mit schnellem Schritt auf die Wartenden zu. »Meine Herren, guten Morgen!«, grüßte er mit einer viel zu schrillen Stimme und nickte einmal kurz. »Mein Name ist Magister Christian Boltegger, ich bin Generalsekretär im Bundesministerium für Forschung und Entwicklung. Sie sind die Herren Zidahl, Strebig und Obersteiner?«

Irritiert sahen sich die drei Männer an und nickten perplex. Als Igen Zidahl gerade Luft holte, um seine Meinung kundzutun, sagte der schwarze Anzugträger nur forsch: »Bitte folgen Sie mir!«

Der Bürgermeister war verdattert und verärgert zugleich. Doch seine neugierige Natur ließ ihn in ungewohntes Schweigen verfallen. Bei den beiden jungen Leuten war das etwas anders. Sicher war die Situation spannend, höchst dubios und abenteuerlich, doch auch in den Beiden war genug Neugier, um einfach mitzugehen.

Heinz tänzelte um Günter, der gar nichts sagte, herum. Teils lachte er nervös, teils witzelte er dumm. »Das Ganze ist ein übler Spaß, den sich unsere Exkollegen mit uns machen, du wirst sehen!« Dann musterte er wieder den, seiner Schätzung nach, sechzigjährigen Bürgermeister und zischte seinem Freund ins Ohr: »Aber, was macht dann dieser komische Kauz da?«

Zidahl sah ihn scharf an, worauf Heinz nur noch mehr grinste und dem Älteren leicht dümmlich zuwinkte.

Sie wurden durch verschiedene Gänge geführt und zwei Aufzugfahrten folgten. Insgesamt machte es den Anschein, dass man sie verwirren wollte. Auch Heinz schwieg jetzt nervös. Schließlich standen sie irgendwo im 11. Stock vor einem Zimmer ohne Namensschild und Nummer. Der Hagere klopfte zweimal in einer bestimmten Abfolge, öffnete die Tür und bat die drei in einen Vorraum. Er richtete sich auf, lächelte auf einmal und lud freundlich ein: »Meine Herren, wenn Sie bitte eintreten möchten, Sie werden bereits erwartet!« Damit öffnete er die nächste Tür, trat zurück und wies sie mit der Hand an, einzutreten.

Erstaunt und aufgekratzt zugleich betraten die Eingeladenen den Raum.

Im Hotelzimmer, einer Suite mit großen Fauteuils und neben einer Wohnlandschaft vor der Attrappe eines Kamins, wartete eine vornehm wirkende Gruppe von chinesischen und wenigen, offensichtlich österreichischen, Geschäftsleuten in dunklen Anzügen und Uniformen. Einen davon erkannte der Bürgermeister gleich. Es war ein bekanntes Gesicht aus der Spitze seiner Partei, der Igen Zidahl sogleich freundlich zuzwinkerte.

Einer der Chinesen trat aus der Gruppe hervor und begrüßte mit leichtem Akzent, jedoch mit perfekter Wortwahl das verblüffte Trio. Der etwas übergewichtige Mann mit rundem Gesicht und lachenden asiatischen Augen schüttelte dabei hochgestimmt jedem einzelnen die Hand: »Meine Herren, willkommen! Bitte verzeihen Sie diese ungewöhnliche Vorgehens-weise, wie wir Sie hierher eingeladen haben! Es war uns nur leider nicht anders möglich, Sie für das Projekt und ohne jedes Aufsehenerregen hierher zu bekommen!« Dann räusperte er sich und setzte mit seiner gesangähnlichen Tonlage fort: »Mein Name ist Chin Pi Jua, ich bin Sonderbeauftragter der NTSC, der National Transsolution China, und darf Ihnen unsere kleine Delegation aus China vorstellen!« Damit ging er von einem seiner Landsmänner zum anderen, legte jedem stolz die Hand auf die Schulter und nannte Namen und Titel. Sich verbeugend und freundschaftlich lächelnd reichten auch diese Heinz, Günter und Igen die Hände.

Die waren zunächst einmal sprachlos und sahen den dünnen Magister nur fragend an. »Auch von mir noch einmal ein herzliches Grüß Gott, meine Herren! Und vielen Dank für Ihr Kommen!« Damit übernahm Magister Boltegger wieder das Wort und stellte auch die österreichische Seite der Delegation vor. »Nun setzen Sie sich bitte erst einmal. Wie Sie sehen, haben wir eine kleine Stärkung für Sie vorbereitet! Als Ausgleich für den Schreck sozusagen!« Damit drängte er die ansehnliche Gruppe zu den Sitzgelegenheiten und nahm selber Platz.

Igen Zidahl war euphorisiert. Seit er so plötzlich und vollkommen unerwartet einer in seinen Augen sehr bedeutenden Abordnung von politischen und staatlichen Männern gegenüberstand, war er wie ausgewechselt. All seine Bedenken oder Skrupel waren verflogen. Egal, was nun kommen würde, wenn ›seine‹ Partei, noch dazu von höchster Ebene, damit zu tun hatte, konnte es nur in Ordnung sein! Er grinste mit geschwellter Brust, und ohne zu wissen, was auf ihn zukam, fühlte er sich wie ein Auserwählter. Er war es auch, der gleich kräftig zulangte bei den verlockend duftenden Brötchen, von denen eines schöner und köstlicher aussah als das andere. Die beiden Studenten saßen aufrecht und wirkten nervös. Sie aßen keinen Bissen. Auch die chinesischen Männer hatten nur einmal höflichkeitshalber zugegriffen.

Von einem Augenblick zum anderen wurde die Stimmung ernst und der Magister begann mit seinen Erklärungen: »Meine Herren, wir haben Sie auf diese umständliche Weise eingeladen, weil Sie von nun an, Ihrem Einverständnis vorausgesetzt, unsere wichtigsten Partner in einem Projekt mit absoluter Geheimhaltung sind. Herr Bürgermeister, vielen Dank und zugleich bitte um Entschuldigung, dass wir Sie genötigt haben, eine Ansprache vorzubereiten. Sehr gerne werden wir diese natürlich verlesen …«, er hustete einige Male, ehe er fortfuhr, »… aber wir haben Sie aus einem anderen Grund eingeladen!«

»Kein Problem!«, kommentierte Igen Zidahl und stopfte sich, noch bevor er richtig hinuntergeschluckt hatte, den nächsten Bissen in den Mund.

Der Magister verzog missbilligend den Mundwinkel, wandte sich aber rasch den zwei Preisträgern zu: »Meine Herren Studenten! Sie ahnen vielleicht schon eher, warum wir Sie zu der Preisverleihung eingeladen haben. Sie haben mit Ihrer Einreichung unser höchstes Interesse erweckt. Das Projekt ›AWOHS - Bürgerchip‹, das Sie da in einer derartig ausgeklügelten und ausgereiften Art und Weise entwickelt und uns unterbreitet haben, wird für Österreich, das als erstes Land der Welt einen solchen Chip einführen wird, große weltpolitische und vor allem weltwirtschaftlich enorm positive Folgen haben!« Er hielt inne, bevor er weitersprach.

Heinz und Günter saßen jetzt noch aufrechter und sogar der skeptische Günter schien nun auf einmal fasziniert zu sein. War es doch ihr Baby, von dem da die Rede war, ihre grenzgeniale, Welten verändernde, Weiter-entwicklung des Einsatzes solcher Chips! Und vor allem die noch grandiosere Idee, wie dieser Bürgerchip rasch und unkompliziert in ganz Österreich in der Praxis umgesetzt werden könnte.

In der chinesisch-österreichischen Abordnung warf man sich einen vielsagenden Blick zu. Man hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit der drei. Und noch besser, man hatte sie gefühlsmäßig schon auf der richtigen Seite!

Boltegger, der vorhin in seiner Rede innegehalten hatte, sprach weiter: »Wir müssen Ihnen etwas gestehen!« Bei diesen Worten blickte er den beiden Erfindern abwechselnd in die Augen. »Die für diesen Wettbewerb eingesandten Projekte landen, dankenswerterweise, zu allererst in unserem Büro des FFF, das ist der Forschungs-Förderungs-Fonds. Dort sitzen findige und vor allem feinsinnige Spezialisten, die wie Suchhunde ein Gespür für Erfindungen und Entwicklungen für die Zukunft Österreichs besitzen. Als nun Ihr Projekt dort eingetroffen war, hatte genau eine einzige Person Ihre Unterlagen in Händen und das war ich!« Er machte eine kurze Pause, damit das Gesagte wirken konnte, dann setzte er fort: »Ihr Bürgerchip-Projekt wurde sofort aus dem Wettbewerb genommen, quasi so, als hätten Sie es nie eingereicht!«

Günter wollte aufspringen, etwas sagen, doch Heinz zog ihn unsanft auf die Bank zurück und deutete ihm, den Mund zu halten.Der Generalsekretär erhob sich und trat ans Fenster, der einen wunderbaren Blick auf den Ring und den Stadtpark freigab. »Ihre Idee wurde von unseren Fachleuten bis ins kleinste Detail überprüft.« Er machte wieder eine wirkungsvolle Pause. »Sie ist genial! Und sie wird funktionieren! Es ist nicht nur eine bloße Weiterentwicklung auf diesem Gebiet, sondern ein Quantensprung. Aber, was das Beste ist, meine Herren! Sie haben das Drehbuch zur Umsetzung mitgeliefert und das ist bahnbrechend! Ihnen gebührt unser größter Dank und unsere noch größere Anerkennung, denn Sie haben damit unserem kleinen Österreich ein Werkzeug, einen Schlüssel in die Hand gelegt, wieder ganz ganz vorne dabei zu sein!«

In der Suite herrschte eine Stimmung, die zwar tonlos, aber voller Hochspannung war.

»Wenn Sie einverstanden sind, möchten wir in einer Stadt unserer Wahl … und nun kommen Sie ins Spiel, Herr Bürgermeister, ziemlich rasch ein Pilotprojekt starten. Dies ist möglich durch die großzügige Unterstützung der NTSC!« Bei diesen Worten nickte er dem chinesischen Sonder-beauftragten dankend zu, der diese Geste ebenfalls mit einer kleinen Verbeugung erwiderte und feststellte: »China ist immer interessiert, die Wege der Vereinfachung und der Modernisierung für die Bürger eines Staates zu ebnen. Als Österreich uns um diese Kooperationsmöglichkeit gebeten hat, haben wir gerne und großzügig zugesagt. Zunächst wird alles unter absoluter Geheimhaltung ablaufen. Diese werden wir den Teil-nehmenden hoch entgelten!«

»Wir danken Ihnen sehr dafür, ehrenwerter Chin Pi Jua!« Boltegger presste seine Handflächen ein weiteres Mal zusammen und nickte eifrig mit dem Kopf. Dem etwas nervös gewordenen Bürgermeister zugewandt, sprach er weiter: »Wenn das Projekt dann erfolgreich läuft, und das wird es, werden wir an die Öffentlichkeit gehen und die Stadt mit ihrem gelungenen Projekt präsentieren. Ihr Großenhofen, Herr Bürgermeister Zidahl, wird durch diese Sache als erste Stadt Österreichs, ja als erste Stadt der Welt, in welcher der Chip angewendet wurde, in die Geschichte eingehen!«

Zidahl schnappte nach Luft. ›Hoch entgelten‹ waren die Worte, die seit ihrer Nennung in seinem Ohr wie auf Dauerschleife surrten. Bürgerchip? Diese Information war zweitrangig. Vorrangig dachte er an Geld.Die österreichischen Delegierten nickten beifällig.

Der Generalsekretär legte Heinz Strebig die Hand auf die Schulter. »Wenn Großenhofen ein Erfolg ist und wir parallel dazu beste Vorarbeit bei allen Parteien geleistet haben werden, und, meine Herren, diesen Ruhm des Fortschrittes für unser Land wird sich keine ernstzunehmende Partei Österreichs entgehen lassen wollen, dann wird es trotz etwaiger Opposition bestimmt gelingen, dieses Gesetz binnen kürzester Zeit durchzubringen. Nach Großenhofen und dem Bundesland Niederösterreich folgt ganz Österreich, dann Europa und irgendwann die ganze Welt.«

Günter Obersteiner räusperte sich: »Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn wir unser Projekt wirklich testen können. Trotzdem. Glauben Sie nicht, dass es auch Widerstand geben wird? Ein Volksbegehren zum Beispiel, wie es vor der endgültigen Bargeldabschaffung der Fall war?«

Der Magister lachte gekünstelt. »Natürlich muss man mit so etwas immer rechnen, aber, junger Mann …« und jetzt lachte er lauthals, »… es gibt kein Bargeld mehr seit zwei Jahren! Trotz Volksbegehren! Und dadurch ist eine Riesenanzahl von Österreichern absolut lenkbar und käuflich geworden. Viel mehr, als es dies vor der Einstellung des Bargeldes waren, garantiert! Und seit dieser Umstellung, die scheinbar für alle wie über Nacht erfolgte, haben wir auch die Medien fast gänzlich auf unserer Seite. Wie haben übrigens Sie dieses Thema gesehen?«, wechselte der findige Politiker schnell die Gesprächsrichtung und legte nun Günter die Hand auf die Schulter.

Günter schluckte, doch er erkannte die Fangfrage und sein Entwicklerherz, das wie Feuer für seinen Bürgerchip brannte, legte ihm die richtige Antwort auf die Zunge: »Ich war immer dafür, erleichtert ja alles für jeden!« Er spürte ein Tätscheln auf seiner Schulter.

»Gut so, auf die österreichische Jugend ist halt einfach Verlass!«

Heinz verdrehte die Augen, als Günter ihn wie nach einem Sanktus suchend anschaute. Nur nichts Falsches sagen, schien er damit auszudrücken. Strebig war sein Familienname und dem machte er auch stets alle Ehre, wenn es ums Dranbleiben und Durchziehen bei einer Sache ging. Und jetzt witterte er etwas ganz Großes. Trotz der chinesischen Präsenz. Sie würden berühmt werden!

Igen Zidahl, der mittlerweile mehr als die Hälfte der Canapés verdrückt hatte, schossen die Fragen durch den Kopf. Seine Stadt, sein Großenhofen, sollte die erste Stadt für eine Weltneuheit sein? Geld, Ruhm und ja, auch Macht? Für ihn, Igen Zidahl? Was würden sie alle schauen in Großenhofen! Nur, seine Aufgabe in dieser Sache war ihm noch nicht ganz bewusst. Wie sollte das alles ablaufen?

»Warum wurde Großenhofen ausgewählt?«, erkundigte er sich trotz aller Euphorie etwas kleinlaut.

»Nun, lieber Herr Bürgermeister, aus all den Gründen, die wir Ihnen schon in Ihrem Einladungsschreiben angeführt haben. Sie haben in Großenhofen die perfekte Infrastruktur. Es gibt fast alles, was es auch in einer Großstadt gibt. Aber vor allem war es die Einwohnerzahl. Trotzdem man alles hat, was man in einer Stadt sucht, ist sie dennoch noch ein bisschen wie ein Dorf.«

Zidahl wollte schon seiner Empörung Luft machen, biss sich aber auf die Lippen.

Boltegger fuhr fort: »Es kennt dort bestimmt jeder noch jeden. Zumindest die Schlüsselpersonen, die Meinungs- und Stimmungsmacher. Ich bin mir sicher, Sie kennen gut siebzig Prozent Ihrer Bürger. Und das ist bei so einer Sache von großem Vorteil. Speziell in der ersten Phase der absoluten Geheimhaltung. Sie kennen die Leute, die in Frage kommen und die, die tabu sind. Sie, Herr Bürgermeister, wissen, wo man ansetzen kann!«

Im Handumdrehen fühlte sich Igen wieder geschmeichelt und bejahte eifrig beinahe jedes Wort.

Wie in Trance hörten Heinz und Günter zu, mehr jedoch mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Von den Wellen schon jetzt erfasst, die ihr Projekt schlug. So weit zu kommen und die Realisierung in nahester Zukunft, das hatten sie in ihren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt.

Es klopfte und ein schüchterner Kellner schob auf einem Servierwagen Essen herein. Erst jetzt bemerkten die geladenen Gäste, dass der gläserne Konferenztisch in der hinteren Ecke der Suite schon längst dafür gedeckt gewesen war, allerdings nur für sieben Personen.

Der Sonderbeauftragte und ein zweiter, äußerst knochiger Chinese mit schmalen Schultern und nichtssagendem Blick setzten sich nebeneinander. »Nehmen Sie Platz und greifen Sie zu, meine Herren! Sie sind meine Gäste!«, sagte Chin Pi Jua gönnerisch und sah dem Kellner zu, wie dieser die silberbedeckten Schüsseln und Platten auf den riesigen Tisch stellte. Keinen wunderte mehr, dass Igen Zidahl als Erster der drei an seinem Platz saß. Heinz und Günter hatten unsicher gegenüber der beiden Chinesen Platz genommen. Von der österreichischen Seite hatte sich ein zweiter Magister dazugesellt.

Der Generalsekretär selbst nahm nun vorsichtig eine Silberhaube nach der anderen ab. »Bitte sehr!«, lachte er erfreut, als er damit fertig war: »Tafelspitz mit Röstkartoffeln, Schnittlauchsauce, Apfelkren und Semmel-kren! Lassen Sie es sich schmecken!«

Chin Pi Jua und sein Gefolgsmann langten ordentlich zu und schafften es tatsächlich mehrere Male, den Ärger Bolteggers über den gefräßigen Bürgermeister verblassen zu lassen. Die beiden Herren aus dem Ministerium versuchten dennoch, während des Essens salopp zu bleiben, um für den nächsten und wichtigsten Teil des Gespräches die Stimmung euphorisch zu halten. Der Bürgermeister war ganz offensichtlich das geringere Problem. Er war absolut parteitreu und durch und durch geldgierig. Die beiden jungen Männer bis ins kleinste Detail zu begeistern, alle Bedingungen zu erfüllen, würde wohl der herausforderndste Teil der Verhandlung werden. Alle drei mussten am Ende des Gespräches von der Realisierung des Projektes – und ihrem Nutzen dafür – vollkommen überzeugt sein.

Nach dem hervorragenden Mahl, für das der Chefkoch des Ringstraßen-palasts persönlich verantwortlich zeichnete, begann der zweite österrei-chische Magister, den Tisch abzuräumen.

Günter, dem das unangenehm war, sprang auf und half.

Heinz konzentrierte sich indessen auf Boltegger, der aus einem schwarzen Koffer, der ganz offensichtlich in Griffnähe gewesen war, auf einmal eine Menge an bedrucktem und gebundenem Papier herausnahm und säuberlich vor sich auf den Tisch schlichtete.

Igen Zidahl genoss es, dem Ministeriumsbeamten bei dieser, seiner Ansicht nach, für ihn unwürdigen Tätigkeit zuzusehen. Niemals käme ihm, Igen Zidahl, wäre er aus einem Ministerium, so etwas in den Sinn.

Chin Pi Jua beobachtete lächelnd die Szenerie, als könnte er in den Gedanken aller Anwesenden lesen. Auch die vom unter Beobachtung stehenden Magister, der sich leise ›Trottel!‹ dachte, als er Zidahl Teller und Besteck abräumte und dessen Blick bemerkte.

»Meine Herren!«, hüstelte nun Magister Boltegger. »Wenn alle wieder Platz genommen haben, werden wir nun die vertraglichen Grundrisse besprechen, die das Projekt ›AWOHS - Bürgerchip‹ erfordert. Die Forderungen und Gegenleistungen der Kooperation NTSC/FFF lauten wie folgt …!«

Plötzlich war es still im Raum und nur vom Ring herauf komponierten die vorbeifahrenden Autos eine seltsame Hintergrundmusik.

»Herr Heinz Strebig und Herr Günter Obersteiner, Sie verpflichten sich für die Dauer des Projektes – unter anderen als Ihren wirklichen Namen – das Projekt ›AWOHS - Bürgerchip‹ direkt in Großenhofen zu betreuen. Dafür wurde vor Ort eine ausreichend Platz bietende Location mit allem erforderlichen Equipment und mit der freundlichen Unterstützung der NTSC ausgestattet!« Erneut erfolgte ein honoriges Verbeugen vor den chinesischen Delegierten. »Auch erwartet Sie ausreichend Personal, das Sie bei der Umsetzung unterstützt. Sowohl technische, kaufmännische als auch medizinische Angestellte werden zu Ihrer Verfügung stehen. Alles Mitarbeiter des FFF, die – wie Sie ab jetzt auch – zu totalem Stillschweigen verpflichtet sind. Weiters erhalten Sie eine gemeinsame, ansprechende und vor allem perfekt eingerichtete Wohnung in der Nähe Ihrer Software-schmiede, in der für einen vollen Kühlschrank, regelmäßige warme Mahlzeiten und Sauberkeit durch eine Haushälterin, die Sie allerdings nicht zu Gesicht bekommen, gesorgt werden wird. Sie erhalten ab Unter-zeichnung sofort sechzehn Monatsgehälter in der Höhe von 6.700,-- Euro netto sowie regelmäßige Boni für Teilerfolge. Dafür erwarten wir von Ihnen, dass Sie das Projekt in größtmöglichem Tempo erfolgreich umsetzen. Nach positivem Abschluss der Testphase verpflichten Sie sich weiter, Ihre Erfindung unter einer dauerhaften Gewinnbeteiligung von 40% gegen einen noch zu verhandelnden Betrag an die Kooperation zu verpachten. Umgekehrt dafür wird die NTSC auch im eigenen Interesse sämtliche Kosten und Aufwände für das Vorantreiben einer gesamt-österreichischen Umsetzung und schließlich eines europa- und weltweiten Projektes übernehmen. Dies wird allerdings dann gesondert verhandelt werden müssen.« Magister Boltegger stoppte, um Luft zu holen.

»Kurz und gut, Sie hätten für Ihr Leben ausgesorgt!«, ergänzte Chin Pi Jua.

»Es gibt noch eine Voraussetzung!«, fügte der Generalsekretär mit Nachdruck hinzu. »Sie müssen beide für die Dauer des Projektes aus Ihrem bisherigen Leben in einer gewissen Weise untertauchen!«

Heinz und Günter zuckten merklich zusammen und sahen einander fragend an.

Der Ministeriumsbeamte fuhr fort: »Sie werden angeben, einen Platz in einem Forschungsprojekt der Regierung bekommen zu haben, das zwar hauptsächlich in Wien betreut würde, jedoch Forschungsreisen in alle Teile der Welt notwendig machte – gleich zu Beginn einmal nach China. Damit hätten Sie die Möglichkeit, regelmäßig Besuche zu Hause abzustatten, allerdings gleichzeitig auch einen Grund für mehrmonatige Abwesenheiten. Sie werden verstehen, dass in der ersten Phase keine Zeit für Privates sein wird! Können Sie sich das vorstellen, Herr Strebig? Herr Obersteiner?«

Jetzt waren nicht einmal mehr die Autos vom Ring herauf zu hören. Die knisternde Spannung im Raum wirkte wie ein Schalldämpfer.

»Meine Herren! Sie müssen nicht sofort antworten …!«, wandte sich der zweite Österreicher an Boltegger: »Nicht wahr, Herr Magister?«

»Richtig!«, bestätigte dieser in beruhigendem Tonfall. »Sie haben eine Woche Zeit, Ihre Entscheidung zu treffen! Wir legen Ihnen aber im Namen und zum Wohle der Republik Österreich nahe, sich dafür zu entscheiden! Sollten Sie, was wir nicht annehmen – da es nicht in Ihrem Interesse sein kann – sich anders entscheiden, würde dies in Bezug auf Ihre künftige Karriere sicher keine angenehmen Folgen haben!«

Heinz und Günter starrten erst Boltegger, dann sich gegenseitig entgeistert an.

Der Magister lachte unnatürlich auf. »Das ist natürlich ein Scherz!« Sie können frei entscheiden! Doch nun zu Ihnen, Herr Bürgermeister!«

Zidahl, der bis dahin nur Zuhörer und Beobachter war, richtete sich kerzengerade auf. Ihm schwirrte der Kopf. Vor allem, weil er noch immer nicht ganz begriffen hatte, was dieser ›Bürgerchip‹ überhaupt sein sollte und warum deshalb so eine Geheimaktion in James Bond-Manier vom Zaun gebrochen wurde. Er verstand nicht wirklich, warum es im Interesse eines chinesischen Staatskonzerns sein konnte, mit einem kleinen Staat wie Österreich eine solche Kooperation einzugehen.

Der Magister bemerkte Zidahls Unbehagen und begann mit einer Laudatio: »Herr Bürgermeister, ich kann es gar nicht oft genug wiederholen, wie positiv Sie uns mit Ihrem außergewöhnlichem Engagement für Ihre Stadt aufgefallen sind. Die Kombination aus Feingefühl und Willenskraft, mit welcher Sie umstrittene Projekte, wie zum Beispiel das ›Handelszentrum Großenhofen‹ durchgesetzt haben, war beispiellos!«

Zidahl hing verzückt an den Lippen Bolteggers, doch der rüttelte mit bestimmtem Ton die Aufmerksamkeit des Bürgermeisters wieder wach. »Großenhofen«, polterte er, »ist ausgewählt worden, weil es eine typische österreichische Kleinstadt ist. Der Vorteil ist, dass die Stadt trotz wirtschaftlichem und infrastrukturellem Aufschwung nicht vordergründig im medialen Interesse steht. Großenhofen wird die erste Stadt in Österreich, in Europa, ja auf der ganzen Welt sein, die den ›Bürgerchip‹ bekommt! Ihre Aufgabe als Bürgermeister dieser Stadt ist nun, zunächst einmal eine Versuchspersonengruppe von genau fünfhundert Personen mit unterschiedlichstem sozialen Hintergrund zu rekrutieren. Hierfür ist es sinnvoll in etwa zehn bis fünfzehn Vertrauenspersonen zu finden, wie zum Beispiel Arzt, Richter, Apotheker, Geschäftsleute, Presse, Vereinsvorstände oder Lehrer. Einfach Personen, die einflussreich sind. Diese Schlüssel-personen haben dann den Auftrag, jeweils fünfzig Personen zu finden, die sich gegen gutes Geld dem Projekt anschließen. Diese fünfhundert Personen, und selbstredend Sie auch, Herr Bürgermeister, werden die ersten Träger und Benützer des Österreichischen Bürgerchips sein. Natürlich können Sie davon ausgehen, dass durch die NTSC jedem Probanden stattliche Gratifikationen zukommen werden, die es allen Beteiligten leichtmachen wird, absolutes Stillschweigen zu bewahren! Vor allem Sie, Herr Bürgermeister und in etwas geringerer Höhe auch die zehn oder fünfzehn Vertrauenspersonen, werden für die Bemühungen und den Einsatz für das Wohl und die zukunftsweisende Entwicklung Österreichs durch den ›Bürgerchip‹ so abgegolten, dass Sie sich um eine blendende finanzielle Zukunft keinerlei Sorgen mehr machen müssen!«

Igen hatte große Mühe, Konzentration zu bewahren, denn seine Gedanken überschlugen sich, gierig und lüstern. Die Vorstellung von Geld, Macht und Ruhm blendete ihn so gleißend, dass er blinzeln musste, und er alle Kraft zusammennahm, um nicht gleich »Ich bin dabei!« zu schreien.

»Das ist ja alles mehr als schön und gut!«, gab er mit krächzender Stimme von sich. »Aber könnten Sie mich bitte endlich zuerst einmal darüber aufklären, was dieser ›Bürgerchip‹ überhaupt ist?«

Die jungen Entwickler glotzten ihn verständnislos an, doch Chin Pi Jua parierte schnell: »Haha! Herr Bürgermeister! Was für eine Nachlässigkeit! Herr Magister Boltegger, wie konnten Sie das Wichtigste, die Erklärung unseres ›Bürgerchips‹ für unseren Herrn Zidahl, so lange hinauszögern?«

Damit drehten sich alle Köpfe wieder in Richtung des Magisters, der seine Stirn hochzog und tief Luft holte: »Bitte verzeihen Sie! Der ›AWOHS - Bürgerchip‹, der Austrian World Overheading Solution - Radio Frequence Identification Chip, kurz Bürgerchip genannt, wird unter die Haut an der rechten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger injiziert. Es handelt sich dabei um einen Mikrochip, den diese beiden jungen Herren da«, dabei nickte er in die Richtung von Strebig und Obersteiner, »entwickelt haben, sowie um den ganzen technischen Hintergrund, der es ermöglicht, diesen Chip in sämtlichen Situationen im Leben eines Bürgers einzusetzen. Er ersetzt nicht nur die Sozialversicherungskarte, sondern funktioniert wie eine Bankomatkarte, wie eine jederzeit abruf- und auf sie zugreifbare Datenbank. Alle Zahlen, Daten und Fakten, die einen Menschen betreffen, werden darauf gespeichert sein. Angefangen bei Geburts- und Herkunfts-daten, Schul- und Ausbildungszeiten, ja sogar Noten, Berufszeiten, Finanzen und Passwörter, der Reisepass selbst, einfach alles wird darauf registriert sein, zugänglich nur für die jeweils zuständigen Stellen. Das heißt, der Arzt kann nur die Sozialversicherungsdaten sowie die Gesundheitsakte einsehen und sogar diverse Messungen am Körper durchführen, Einträge ergänzen, Röntgenbilder speichern oder Rezepte darauf ausstellen. Die Bank hat Zugriff auf die Kontodaten, das Grenzpersonal auf die passrelevanten Personalien. An der Supermarktkasse, im Restaurant, im Kaufhaus oder an der Tankstelle kann man damit zahlen, in der Arbeit werden damit die Stunden erfasst und mit verschiedenen Apps, die aus unserer Software-Schmiede herausschießen werden wie die Schwammerln, wird man persönliche Angelegenheiten, wie Sport, Ernährung und Freizeit digital erfassen und verwalten können. All das ermöglicht ein extra hierfür von unseren beiden Forschern entwickeltes neues und geschütztes Netz, das selbstverständlich später auch weltweit eingesetzt werden kann. Auch die Art der Programmierung des Chips selbst ist eine vollkommene Neuheit, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Die Vorteile liegen wortwörtlich auf der Hand: mit dem Chip unter der Haut braucht man nichts mehr mit sich führen: keine Kreditkarten, keinen Pass. Nichts. Man kann nichts Wichtiges mehr verlieren oder vergessen. Nichts kann mehr gestohlen werden und jeder trägt seine absolute Identifikation persönlich mit sich herum!«

»Und das tut nicht weh?«, war alles, was Igen Zidahl darauf noch fragen konnte.

»Aber nein!« Der Generalsekretär stand nun hinter dem Bürgermeister und legte ihm fest die Hände auf beide Schultern. »Der Chip ist absolut schmerzfrei und ohne physische Folgen. Ja, nicht einmal spüren wird man ihn! Er braucht keine Stromquelle und wird somit nie funktionslos! Eine Wahnsinnssache ist das, Herr Bürgermeister! Und Sie haben das Glück, dass Großhofen und Sie die Pioniere sind!«

Zidahls Grinsen sah seltsam aus, während er nach Worten oder zumindest nach einer halbwegs intelligenten weiteren Frage rang. »Fünfhundert Probanden finden, die Stillschweigen behalten …«, dachte er laut und stellte sich gleichzeitig neben Bildern von Ruhm und Ehre ein paar ungute Szenen mit einzelnen Bürgern von Großenhofen vor.

»Mit Geld ist alles möglich! Und wir sprechen von viel Geld, genau genommen von exakt acht Millionen Euro, die Sie für diese Rekrutierung von uns umgehend erhalten und die Sie nach Ihrem Ermessen an die Probanden verteilen können!«, raunte ihm der Magister von hinten ins Ohr. »Aber auch Sie, verehrter Herr Bürgermeister, haben eine Woche Zeit, sich in aller Ruhe dafür oder dagegen zu entscheiden!«

»Und was wäre, wenn ich nicht einverstanden bin oder das Projekt scheitert?«

»Dann hat es dieses Gespräch nie gegeben!«, antwortete der Mittelsmann der Österreichischen Regierung ohne zu zögern.

Und Chin Pi Jua ergänzte mit sarkastischem Unterton: »... und Ihre Tage als Bürgermeister wollen doch auch noch nicht gezählt sein?«

»Aber davon gehen wir selbstverständlich nicht aus!«, Boltegger lachte und schloss die Unterredung: »Meine Herren, für heute wäre alles gesagt. Der nächste Termin ist am Mittwoch in exakt einer Woche um zehn Uhr vormittags. Der Ort des Treffpunktes wird rechtzeitig bekanntgegeben! Sollten Sie sich schon früher entscheiden, wird dies dann bereits ein Treffen in Großenhofen sein.«

Temperamentvoll ergriff er nun Zidahls Hände. Fast sah es aus, als wolle er ihn von seinem Sitz ziehen. »Herr Bürgermeister! Wir sehen uns!«

Auch die übrigen Männer erhoben sich von ihren Plätzen. Die Verabschiedung war knapp und wirkte unpersönlich.

Der Magister begleitete Igen Zidahl und die beiden jungen Burschen persönlich zum Lift, drückte für sie die Null und nickte ihnen noch einmal zu, ehe sich die automatische Tür schloss.

Jeder für sich war in Gedanken versunken und die kurze Fahrt ins Erdgeschoss verlief wortlos.

Igens Rückkehr nach Großenhofen

»Wohl oder übel bis zum nächsten Mittwoch«, verabschiedete sich Igen Zidahl von den beiden jungen Burschen und stieg in das vorderste von drei Taxis, die vor dem Ringstraßenpalast auf Kunden warteten. »Zum Hauptbahnhof, aber bitte schnell!«, verlangte er und schloss die Augen, als könnte er damit das kaltwarme Horrorszenario, das sich da in seinem Kopf zusammenbraute, ausblenden. Ich, von Abgeordneten der österreichischen Regierung und von einer chinesischen Delegation persönlich und heimlich empfangen. Heimlich! Nur – was wollen die mir da aufhalsen? Mir und meiner Stadt? Unmöglich, was die sich vorstellen! Als Ehrengast eingeladen werden und dann so angeschmiert sein! Ausgeschlossen! Das alles kann nicht funktionieren! Während er mit immer größer werdender Aufregung das Gespräch im Hotel Ringstraßenpalast analysierte, liefen zur gleichen Zeit wie Blitzlichter, wie Schnappschüsse, Bilder seiner Zukunft vor ihm ab: Er, Igen Zidahl, als gefeierter Held der Stadt auf der großen Festbühne am Hauptplatz. Jubelnde Bürger und Bürgerinnen, die ihren Pionier feiern. Schnitt. Der österreichische Bundespräsident, der ihm den goldenen Bundesverdienstorden überreicht. Schnitt. Weltweites Presseecho für ihn und seine Stadt: Österreich zeigt, was Zukunft bedeutet! Bürgermeister Zidahl schafft, was niemand für möglich hielt! Die Menschheit schaut auf Österreich! Schnitt. Eine Luxusvilla, die alles aussagt. Und es ist seine, weil er davorsteht. Er, Igen Zidahl. Schnitt.

»Wollten’S net am Hauptbahnhof?«

Was? Hauptbahnhof? Igen riss die Augen auf und schaute den Taxifahrer verdattert an. »Hauptbahnhof? Ja, .... natürlich!« Nervös und umständlich suchte er nach seiner Brieftasche: »Was bekommen Sie?«

Der Zug stand schon auf seinem Gleis. Igen stieg ein und suchte sich einen Platz aus, wo er nur eine graue Wand vor sich hatte. Er musste nachdenken. Eine Entscheidung finden. Für sich. Für seine Stadt. Für seine Zukunft und die seiner Familie! Nur eine Woche Zeit dafür! Wieder jagten die Gedanken, doch schnell hatten die Blitzlichter und die Schnappschüsse gewonnen. Die ganze Fahrt lang sah er die Einzelbilder, nun zusammenhängend wie einen Film, immer und immer wieder vor sich ablaufen, und sie gefielen ihm mit jedem Mal besser. Als er eineinhalb Stunden später ausstieg, hatte er sich entschieden und vor allem hatte er im Geiste schon die ihm als Kopfgeld zur Verfügung gestellten acht Millionen aufgeteilt.

Am Bahnhof wurde er von seiner Frau bereits ungeduldig erwartet. Hedwig Zidahl, neunundvierzig Jahre alt, eine schon durch ihre Körperhaltung recht energisch wirkende Frau mit blond gefärbten Haaren, beobachtete ihren Mann, wie er mit einem selten aufgewühlten Gesichtsausdruck auf sie zukam.

»Igen!«, begrüßte sie ihn mit einem kaum merklichen Kopfnicken. »Was ist so wichtig, dass ich dich extra vom Bahnhof abholen muss?«

»Wir müssen gleich zu Detger fahren. Und, glaub mir, es ist mehr als wichtig.«

Hedwig ärgerte sich über den Ton ihres Mannes. »Warum hast du mir das nicht schon am Telefon sagen können? Dann hätte ich mir etwas anderes angezogen. Und was war überhaupt mit deiner Laudatio? War sie ...?«

»Jetzt halte doch mal den Mund und warte kurz«, zischte ihr Mann sie an. »Im Auto erzähl ich es dir!«

Einerseits konnte Hedwig es nicht leiden, wenn ihr Mann sie unterbrach. Andererseits brannte sie darauf, zu erfahren, worum es ging.

Schweigend ging das Paar zum Parkplatz. Igen stieg auf der Fahrerseite in den Wagen, seine Frau – etwas mokiert darüber, dass ihr Mann es verabsäumt hatte, ihr die Tür aufzuhalten – auf der Beifahrerseite.

»Du tust ja gerade so, als ginge es um ein Staatsgeheimnis«, brummte sie und klappte die Sonnenblende herunter, um sich vor dem kleinen Spiegel die Frisur zurechtzuzupfen und ihr Make-up zu kontrollieren.

Igen Zidahl begann zu erzählen. Zuerst zögerlich, dann immer enthusiastischer. Die kompakte Beschreibung dieses Projekts hatte er sich während der Zugfahrt zusammengezimmert, und noch während er sprach, wusste er: Es war genial!

Hedwig starrte ihren Mann zunächst ungläubig an. Was er da erzählte, erschien ihr verrückt, ja geradezu wahnsinnig. Warum sollten gerade sie ausgewählt worden sein? Und dann ausgerechnet etwas mit Chinesen? Doch es hörte sich auch irgendwie faszinierend an. Igen war ein Meister des Wortes und so klangen immer wieder Sätze wie ›Unser Traumleben kann wahr werden!‹, ›Du bekommst endlich deine Villa!‹ oder ›Wir werden endlich reich sein!‹ in Hedwigs Ohren. Oh ja! Reich sein. In einem wunderschönen Haus wohnen, ohne all die Arbeit tun zu müssen, die so ein großes Heim mit sich brachte. Sie hatte es zwar immer geliebt und genossen, die Frau des Bürgermeisters zu sein – und sie tat es noch – aber trotzdem bedeutete es auch, einen hohen Preis zu zahlen. Ihr Mann war mit der Politik verheiratet. Zeit hatte er kaum für sie und oft genug hatten sie Streit. Dennoch wusste sie auch, dass, wenn Igen einmal nicht mehr Bürgermeister wäre, auch diese Zeiten vorbei sein würden. Sie kannte einige Bürgermeisterfamilien, die nach der Amtszeit wieder in Vergessenheit geraten und zu einem ganz normalen, unauffälligen Leben zurückgekehrt waren. Und genau das wollte Hedwig auf keinen Fall, obwohl ihr das Vorhaben ihres Mannes utopisch erschien. Er hatte in früheren Jahren oft Dinge durchgesetzt, an die niemand geglaubt hatte. Sie wusste, dass, wenn irgendwer, nur ihr Igen es schaffen könnte. Und sie würde ihn dabei mit all ihrer Kraft unterstützen und sich voll für ihn einsetzen. So, wie sie es schon oft getan hatte. Und jedes Mittel sollte ihr dazu recht sein.

»Was sagst du zu meinem Vorhaben?«, fragte Igen.

»Igen, ich bin deine Frau. Ich werde immer hinter dir stehen!« Hedwig schloss die Augen und sah sich vor dem Haupteingang ihres Traumhauses stehen.

Bei Harry Detger

Harry Detger öffnete die Eingangstüre und bat die unerwarteten Gäste herein. Er war ein hagerer Mann von knapp vierzig Jahren und die rechte Hand seines Gönners und Förderers Igen Zidahl. Von ihm war er in die Politik geholt worden und von ihm hatte er sein Handwerk gelernt. Schüttere schwarze Haare umrahmten Detgers kantiges grobknochiges Gesicht mit den blassen Lippen, die immer zusammengepresst waren. Seine Augen funkelten stets, doch nicht vor Freude, sondern angriffslustig.

»Igen, mein Freund, nur herein in die gute Stube!« Mit diesen Worten lotste Harry das Ehepaar Zidahl in die Küche des Hauses und bat sie, Platz zu nehmen. Eine ziemlich dürre Frau trat ebenfalls ein, grüßte verhalten und stellte Kaffee auf.

»Hedwig, kennst du Xenia schon?«

»Aber natürlich, Harry. Ich kenne alle, die in Großenhofen leben. Grüß dich, Xenia!«

»Hallo«, brummte diese und stellte ohne jedes Lächeln oder irgendeiner Geste vier Tassen, Zucker und Milch auf den Tisch. »Der Kaffee ist gleich fertig. Was willst du, Igen?«, fragte sie wenig freundlich.

Doch diesmal begann Igen nicht gleich mit seinen Neuigkeiten. Er war ein kluger Mann und Menschenkenner. Wenn er Harry und seine maulige Lebensgefährtin für das Projekt gewinnen wollte, musste er sie mit dem Richtigen locken. Und das Richtige in Harry Detgers Fall war Geld. Xenia Schluns, eine verbitterte, früh gealterte Witwe, lebte seit einigen Monaten in Detgers Haus. Offiziell hieß es, sie wäre jetzt nicht nur des Pfarrers Haushälterin, sondern nun auch die von Harry Detger. Inoffiziell wusste jedoch jeder, dass die beiden ein Paar waren. Auch, wenn keiner verstehen konnte, was Harry an ihr fand.

Igen räusperte sich. »Was würdest du sagen, Harry, wenn ich dir ein Geschäft anbiete, für das du Hunderttausend Euro cash auf die Hand bekommst? Und ... nach positivem Abschluss noch mal so viel?!« Igen leerte Milch in den Kaffee. »Hast du Süßstoff?«, fragte er Xenia.

Xenia hörte nicht, was Igen fragte. Sie hörte nur ›Hunderttausend Euro‹ und ›nach positivem Abschluss noch mal‹.

Igen sah sie etwas amüsiert an. »Xenia?«

»Ja, was?« Nervös zupfte sie die Tischdecke zurecht. »Also, Igen, wenn du uns auf den Arm nehmen willst, musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen!«

Harry Detger hatte sich abwartend zurückgelehnt und Xenia den Vortritt gelassen.

Igen konnte sich geradezu bildlich vorstellen, was in Harrys Kopf vorgehen musste. Er grinste Xenia an. Dann wurde sein Blick wieder ernst und er wandte sich Harry zu.

»Also, Harry! Soll ich weiterreden? Oder denkst du wie deine Verlobte, dass ich dich auf den Arm nehmen will?« Igen betonte genüsslich das Wort ›Verlobte‹ und lehnte sich wie Harry abwartend zurück.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Einer versuchte in den Augen des Anderen zu erkennen, was sein Gegenüber dachte.

Da richtete sich Hedwig auf einmal gerade auf und unterbrach das Schweigen. »Harry, du solltest dir anhören, was Igen dir vorschlagen will. Zweihunderttausend Euro! Das ist eine Menge Geld für euch!«

Xenia funkelte Hedwig an. Es ärgerte sie, dass Hedwig sich aufspielte wie eine huldvolle Gönnerin, die zu bewerten hatte, ob sie zweihunderttausend Euro nötig hatten.

»Natürlich interessiert mich das Geld. Bei so etwas bin ich immer dabei!«, ließ Harry nicht lange auf eine Antwort warten.

Igen war zufrieden. Harry Detger hing am Haken. Ausführlich erklärte er ihm das Projekt ›Bürgerchip‹, nicht ohne ständig hervorzuheben, dass für die, die von Anfang an dabei wären, finanzielle Unabhängigkeit, Reichtum und Einfluss der Lohn wären, und dies sogar über die Projektdauer hinaus. Der Kaffee in seiner Tasse war kalt geworden, als Igen endete. Jetzt brauchte er auch keinen Süßstoff mehr.

»Der nächste Schritt ist, fünfzehn Vertrauenspersonen in Großenhofen zu finden, die gegen angemessenes Geld jeweils fünfzig Freiwillige bringen, die bereit sind, als Probanden mitzumachen.«

»Mich irritiert an der Sache nur, dass die Chinesen da ihre Hand im Spiel haben. Aber, wenn sie brav zahlen …« Jetzt zwinkerte Harry Igen zu und überlegte weiter: »Das mit den Probanden sollte kein Problem sein.«

Auch Xenia nickte auf einmal ganz eifrig.

Igen freute sich, dass es so gut lief. Es würde ein Kinderspiel werden. »Aber eines müsst ihr beachten! Das Geld gibt es nur, wenn ihr absolutes Stillschweigen versprecht. Unbedingtes Redeverbot mit anderen. Keiner darf außer uns vom anderen wissen. Nur so wird es funktionieren. Sobald die Sache dann öffentlich ist und Großenhofen ein weltweiter Vorreiter, ist auch die Geheimniskrämerei zu Ende.«

Xenia hatte Lunte gerochen. »Wenn Harry zweihunderttausend bekommt, was bekommen dann die fünfzehn, und wie viel die fünfzig, die sie bringen?, fragte sie.

»Die fünfzehn Vertrauenspersonen bekommen jeder fünfzigtausend Euro. Fünfundzwanzigtausend, wenn sie sich bereit erklären und fünfundzwanzig-tausend nach Abschluss.«

»Und wer garantiert, dass es auch wirklich so sein wird?«, sorgte sich Xenia trotz der Gier, die man ihr jetzt schon ansehen konnte.

»Ich habe die Bestätigung dazu direkt vom Innenministerium, dass die Leute vom NTSC – was solche Vorhaben betrifft – verlässlich sind. Sonst würde ja auch der österreichische Staat nicht mit ihnen arbeiten. Aber auch die größte Bank im Ort, die Großenhofener Stadtbank, ist hier sehr aufgeschlossen. Der Direktor, Anton Peval, hat bereits zugesagt.« Das war zwar gelogen, denn Igen hatte ihn nur ganz kurz am Telefon gesprochen und einen Termin mit ihm ausgemacht, aber mit dem Rückhalt würde es wohl keine Schwierigkeiten geben.

Nun lächelte auch Xenia kurz. »Und die Probanden?«

»Bei denen sind es zehntausend Euro. Fünftausend und fünftausend, immer in zwei Teilen«. Igen staunte selbst noch immer über diese Summen.

»'ne Menge Geld!«, sagte Harry und leckte sich über die trockenen Lippen. »Da sagt keiner ›Nein‹. Jeder braucht Geld.«

Aus Hedwigs Sicht war alles Wesentliche gesagt. Sie stand auf und tippte Igen auf die Schulter, zum Zeichen, dass sie aufbrechen sollten. Harry schnellte aus seinem Sitz, langte nach dem Mantel der Bürgermeistersgattin, der über der Lehne eines Stuhls hing, und half ihr betont galant hinein.

Eine Frage lag ihm dennoch noch auf der Zunge: »Und wie geht’s jetzt weiter?« Er sprach so lässig wie möglich, um nicht neugierig zu wirken.

Auf diese Frage hatte Igen schon gewartet: »In einer Woche gibt es einen Termin mit den fünfzehn Vertrauensleuten. An verschiedenen Plätzen und einzeln. Vorausgesetzt, wir haben sie bis dahin gefunden. Dann bekommt jeder sein Geld direkt überwiesen und die nächsten Instruktionen folgen.«

»So schnell bekommen wir das Geld?« Xenia musste sich bemühen, ein Grinsen zu unterdrücken.

Zidahl nickte. »Ja, es muss schnell gehen. Harry, wir zwei treffen uns morgen im Rathaus. Und, Xenia ...!« Igen wandte sich noch einmal in Richtung Harrys Verlobter.

»Ja?«

»Absolutes Stillschweigen. Sonst gibt es gar kein Geld für euch!«

Detger geleitete Igen und Hedwig zur Haustür und sah ihnen nach, wie sie in ihren Wagen stiegen und danach flott davonfuhren.

Harry rieb sich die Hände und Xenia, die jetzt neben ihm stand, brauchte noch einige Augenblicke, bis sie sich von Igens letztem Satz erholt hatte. »Idiot!«, murmelte sie und schloss die Haustür.

AWOHS Valley – mitten in Österreich

Die beiden Studenten waren nach dem filmreifen Treffen nicht wieder nach Tirol zurückgefahren, sondern liefen seit ein paar Stunden durch die Wiener Innenstadt und konnten ihr Glück einfach kaum glauben. Vor allem fiel es ihnen schwer, die Folgen zu erfassen, die ihre Entwicklung – von einer Erfindung konnte man ja nicht wirklich sprechen – mit sich bringen würde.

Viel sprachen sie nicht. Jeder sinnierte für sich und von Zeit zu Zeit ließ einer den anderen an seinen Gedanken teilhaben.

»Untertauchen! Namen wechseln!«, rief zum Beispiel Günter und schüttelte energisch den Kopf.

»Ein Labor, eine Software-Schmiede! Personal, so viel wir wollen! Lauter gut ausgebildete Fachleute aus dem Ministerium! Und wir zwei sind die Chefs. Günter, kannst du dir das vorstellen?«, begeisterte sich Heinz und wäre ein paar Mal fast gegen einen Laternenmast gerannt.

Die beiden hätten wohl dringend jemanden zum Reden gebraucht, doch sie wussten, dass sie, wenn die Sache etwas werden sollte, zu völligem Stillschweigen verpflichtet waren.

»Es gibt keinen, den wir fragen können!«, jammerte Günter.

»Außer diesem Magister Boltegger, der uns seine Nummer noch ganz groß aufgeschrieben hat! Weißt du was, Günter? Wir fahren nicht heim nach Innsbruck, sondern wir nehmen uns ein Hotelzimmer, schnappen uns aus dem Seminarraum, den es dort sicher gibt, ein Flipchart und dann denken wir schriftlich!« Heinz holte sein Handy heraus, tippte eine Buchungs-anfrage ins Netz und bekam umgehend 34 Vorschläge von Hotels in ihrer unmittelbaren Umgebung. »Et voilà«, grinste er. »Das Hotel, das wir am schnellsten von hier aus erreichen können und das noch Zimmer frei hat, ist das One Day Plus-Hotel, gleich beim Museumsquartier. Die haben ein Schnäppchenpreisangebot für heute!«

»Wer braucht schon ein Schnäppchenangebot? Wir sind demnächst Millionäre! Ruf doch den Boltegger an, er soll uns das beste Zimmer von Wien buchen!«, witzelte Günter zynisch.

»Halt den Mund«, wies Heinz ihn schärfer als vielleicht beabsichtigt, zurecht. »Wir nehmen das Schnäppchenangebot. Noch sind wir arme Studenten!« Er drückte den Bestätigungsbutton für die Buchung und beschleunigte seinen Schritt.

Nur vier Minuten später waren sie beim Hotel angelangt. You are right stand in Leuchtschriftlettern neben dem Hotelnamen. Und über dem Eingang in ebenso orange funkelnden Lichtern prangte: We are all geniuses here.

»Das passt!«, meinte Günter.

Der Angestellte an der Rezeption, ein schlanker blonder Kerl, kaum ein paar Jahre älter als Heinz und Günter, konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen, als die beiden auf ihre soeben getätigte Buchung hinwiesen. Er musterte sie von Kopf bis Fuß und sah sie ironisch lächelnd an: »Haben Sie kein Gepäck? Beziehungsweise, darf ich nach dem Grund Ihres Aufenthaltes fragen?« Seine Stimme gluckste etwas beim Reden.

Die zwei Studenten sahen einander an und erkannten auf einmal selbst den Witz der Situation. Der junge Mann, möglicherweise selbst nicht heterosexuell, musste glauben, dass sie ein Zimmer für intime Stunden wollten. Heinz begann laut zu lachen und schlug Günter die Hand auf die Schulter. Der zuckte zusammen und hielt sich die schmerzende Stelle fest. Es sah wirklich mehr als eindeutig aus.

»Nein, nicht was Sie denken, Herr …?« Heinz versuchte vor lauter Lachen und Tränen in den Augen das Namensschild des Rezeptionisten zu lesen. »Herr … äh … Frauenstein!«

Jetzt prustete Günter los und versuchte immer wieder mit einer Erklärung und Rechtfertigung anzufangen, doch jedes Mal, wenn er ansetzte etwas zu sagen, entkam ihm die nächste Lachsalve.

Von dem Radau aufmerksam geworden, kam aus dem hinter der Rezeption liegenden Büro ein offensichtlicher Vorgesetzter des blonden Mannes heraus. Dessen strenger Gesichtsausdruck reichte aus, dass Heinz zu lachen aufhörte und wieder Herr seiner Stimme war.

»Wir sind unerwarteter Weise und beruflich hier in Wien aufgehalten worden. Unsere Koffer sind bei einem Geschäftspartner von uns, der sie uns in den nächsten Stunden, spätestens morgen Früh nachbringen wird. Ihr höchst … seltsamer …Angestellter hat uns scheinbar in eine Schublade gesteckt, die ja sowas von unangebracht ist!« Jetzt gelang ihm sogar ein empörter Blick und er nahm gewollt Haltung an.

Günter japste hinter ihm nach Luft, weil er sich im Gegensatz zu Heinz nicht beruhigen konnte.

Heinz setzte fort: »Wir haben dringend zu arbeiten und benötigen hierfür ein Flipchart, Stifte und falls Sie einen Laptop samt USB-Stick für uns leihweise hätten, wären wir Ihnen sehr dankbar!« Er war jetzt wieder ganz Geschäftsmann und nach einigen überschwänglichen Entschuldigungen seitens des Hotelmanagers hatten sie Zimmerschlüssel sowie das Versprechen, die gewünschten Utensilien innerhalb der nächsten Viertel-stunde ins Zimmer gebracht zu bekommen.

Die beiden marschierten zum Lift und konnten hinter sich noch den Beginn einer Schimpftirade anhören, die mit »Diskretion ist in unserem Haus das oberste Gebot, Herr Frauenstein!« begann, woraufhin Günter, als die Türe des Lifts geschlossen war, den nächsten Lachanfall bekam.

Im Zimmer angelangt und nachdem sie beim Roomservice noch Pizza bestellt und die Minibar nach Cola durchsucht hatten, wurde aus dem humoristischen Intermezzo wieder Ernst. Das Lachen hatte ihnen gutgetan und der Kopf schien wieder frei zu sein.

Sie verbrauchten zwei Flipchartsblocks und die ganze Nacht, bis sie schriftlich ihre nähere Zukunft auf Basis des Gespräches im Hotel Ringstraßenpalast auf Papier gebannt hatten. Sie waren jede Möglichkeit durchgegangen, die auf sie zukommen konnte. Sei es nun seitens ihrer Familien, ihrer Freundinnen oder auch ihr Studium betreffend, das im Oktober wieder hätte losgehen sollen. Und sie hatten einen Katalog von Anforderungen erstellt. Einerseits für die Entwicklung weiterer unzähliger Apps für ihren Chip und andererseits für das ganze Umsetzungsprozedere, das nun im richtigen Leben ausprobiert werden würde. Zudem hatten sie ihre Bedingungen für die Geheimhaltungssituation aufgelistet, mit deren Erfüllung sie sich vorstellen konnten, sofort einzusteigen. Das größte Problem würden zweifelsfrei die Freundinnen sein, wobei Heinz schon mehr gebunden war als Günter. Während Heinz das Flipchart bearbeitete, tippte Günter parallel dazu alles in den Laptop, fein säuberlich in Tabellen gefasst, sodass am Morgen auch ein ausdruckbares Dokument ihrer Forderungen auf dem Stick verfügbar war.

Es war längst wieder hell, als Günter schließlich Bolteggers Nummer in sein Display tippte und auf den grünen Hörer drückte. Es brauchte keinen zweiten Klingelton und Magister Boltegger meldete sich mit freundlicher Stimme. »Guten Morgen, Herr Obersteiner! Wie schön, Sie zu hören! Wie geht es Ihnen?« »Danke, uns geht es gut. Wir steigen ein. Und zwar noch heute! Können wir uns gleich treffen? Es gibt da einiges zu besprechen!«

»Selbstverständlich! Ich hole Sie sofort ab! Wo soll ich hinkommen?«

»Zum Museumsquartier in einer Stunde. Wir wollen noch frühstücken. Wir sind im Hotel One-Day-Plus.«

»Ich werde da sein!« Ein Klicken. Der Magister hatte aufgelegt, gar nichts nachgefragt.

Heinz und Günter marschierten zum Frühstück und als sie später mit Papierrollen, Laptop und USB-Stick zur Rezeption kamen, wartete Magister Boltegger, im gleichen Anzug wie am Vortag und in Begleitung des zweiten Chinesen schon auf die beiden.

»Guten Morgen, meine Herren! Herrn Peng Xu Yi kennen Sie ja noch von gestern. Er wird mich in seiner Rolle als Politkommissär von jetzt an immer begleiten!« Damit blickte er mit einem fast unmerklichen Seufzer den schmalen Mann an.

Der machte die nun schon gewohnte Verbeugung und sagte: »Es ist bereits alles beglichen! Guten Morgen, meine Herren! Haben Sie Gepäck?« Diesmal lachte ein blonder Rezeptionsangestellter hinter dem Tresen unpassend laut auf und Heinz deutete ihm einen Vogel.

Die vier Männer fuhren direkt in die Tiefgarage unter dem Ministerium und von dort unmittelbar mit einem Lift, den man durch eine mit einer Codekombination versperrte Türe erreichte, in den vorletzten Stock des Hauses. »Das ist der schnelle Weg ohne Kontrollen«, erklärte Magister Boltegger und führte die beiden in sein Büro, welches das Herzstück der eigens eingerichteten BMI-FFF-NTSC-Abteilung war.

Dort lagen auf einem blanken Schreibtisch bereits zwei der Vertrags-mappen, die am Vortag schon bei seinen Unterlagen zu sehen gewesen waren. Ohne vorher darüber geredet zu haben, stellte der Magister einen Laptop auf den Tisch, vor Günter hin, und meinte: »Sie haben sicher etwas auszudrucken. Den Drucker hier in meinem Büro können Sie vertraulich benutzen.«

Die jungen Männer sahen sich an. Big Brother konnte sie ja auch schon ohne ihren Chip perfekt beobachten. »Danke«, erwiderte Günter, schob den Datenträger in den Laptop, öffnete das Dokument und gab den Druckbefehl für dreifache Ausfertigung. Danach löschte er die Dateien vom Gerät, nicht nur den Stick, sondern auch aus den temporären Ordnern, und war froh, dass er ein IT-Genie war.

Mit Argusaugen beobachtete Peng Xu Yi den jungen Mann.

Gemeinsam gingen nun Boltegger, der Chinese und die Studenten Punkt für Punkt die Fragen und Wünsche der beiden AWOHS-Initiatoren durch. Der Generalsekretär war erleichtert, dass die Forderungen von Strebig und Obersteiner alles in allem bescheidener Natur waren. Was ihre Freizeit, ihr Wohnen und ihr Quasi-Untertauchen betraf. Es war normal, dass sie um gewisse Dinge fürchteten und noch normaler, dass sie versuchten, diese Angst mit materiellen Anforderungen zu beruhigen. Erstaunt war er allerdings, wie exakt und gar nicht bescheiden die Anforderungen für die Projektumsetzung waren. Als hätten sie wochenlang davor nichts anderes getan, als eine handfeste und glasklare Planung für den Start dieses Megaprojektes auf die Beine zu stellen. Es wirkte auf ihn nicht so, als hätten sie nur davon geträumt, ihr Projekt zu realisieren. Vor ihm saßen zwei Männer, die gewusst hatten, dass es soweit kommt. Und darauf gefasst waren! »Wann können wir beginnen?«, wollten Heinz und Günter fast gleichzeitig wissen.

»Jetzt gehen wir zuerst einmal den Vertrag gemeinsam durch und Sie unterzeichnen. Tja, und dann, meine Herren, geht es los! Ich würde vorschlagen, dass wir anschließend als allererstes nach Großenhofen fahren und wir Ihnen Ihre AWOHS-Softwareschmiede gleich einmal zeigen!«

»Was soll das heißen?« Die Frage erklang wieder wie im Chor und Magister Boltegger musste herzlich lachen.

»Sie sind ein gutes Team, kommt mir vor! Meine Herren, nichts, was in der Politik geschieht, kommt zufällig oder langsam. Alles, was sichtbar wird, ist von langem her geplant. Bereits nach Ihrer Einreichung Anfang des Jahres und der mehr als eingehenden Überprüfung wurde in Abstimmung mit NTSC sehr schnell beschlossen, hier einen Pilotversuch zu starten. Großenhofen war rasch gefunden. Der Bürgermeister scheint ideal für seine Aufgabe darin! Genau an dem Tag, an dem die Einladungen zur erfundenen Preisverleihung vor nun mittlerweile drei Wochen an Sie ergingen, wurde von einem Strohmann der Kaufvertrag für die benötigten Räumlichkeiten in Großenhofen abgeschlossen. Das Bauunternehmen Trümmel konnte seine alten Betriebsgebäude samt Wohnhaus zu einem unerwartet stattlichen Preis verkaufen. An unser Konsortium.« Genüsslich rieb sich der Magister die Hände. »Es war eine Win-Win-Situation. Wir wussten, dass der Baumeister eine finanzielle Spritze gut brauchen konnte, weil sein Neubau im Industrieviertel von Großenhofen ihn fast Bankrott gemacht hatte. Durch den Verkauf und Dank der chinesischen Unter-stützung hat er mehr bekommen, als das Ding je wert war. Wir haben ihn wissen lassen, dass ihm durch Protektion geholfen wurde. Er weiß nur noch nicht, welchen Preis er genau dafür zahlen muss. Der Bürgermeister wird ihm bald genug mitteilen, dass er eine wichtige Schlüsselperson in einem gigantischen Projekt sein wird. Und er wird verstehen, dass er zusagen muss.«Eigentlich wollte Günter sagen, dass die Politik ein dreckiges Geschäft sei und er rätselte, warum die Chinesen an Österreich so interessiert sein kö