Der Abstinenzlerabend und andere Humoresken - Jaroslav Hašek - E-Book

Der Abstinenzlerabend und andere Humoresken E-Book

Jaroslav Hasek

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Beschreibung

Jaroslav Hašek, das Enfant terrible der tschechischen Literatur, zieht in den vorliegenden Geschichten alle Register seiner Spott- und Fabulierlust: in bunter Reihenfolge werden fromme Heuchler, niederträchtige Pauker, hochanständige Bürger, pseudoemanzipierte Weibchen, verrückte Individuen und die löbliche Polizei auf die Schippe genommen. In manchen Geschichten macht die satirische Phantasie des Autors auch vor der eigenen Person nicht halt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Jaroslav Hašek

Der Abstinenzlerabend und andere Humoresken

Herausgegeben von Jana Halamíčková

Aus dem Tschechischen von Jana Halamíčková

FISCHER Digital

Inhalt

Der Abstinenzlerabend oder Ein amerikanisches VergnügenIIIIIIIVDer Traum des Quartaners PapoušekDas Prager AmtsblattDie Sünde des Pfarrers OndřejGespräche mit dem kleinen MílaFliegen wir!Einige Anmerkungen zu politischen RedenIm Havlíček-ParkIIIMein Abenteuer mit einem nackten JungenDer Ausflug der Genossen aus Vršovice nach ZáběhliceZeitschriften für die JugendDie Glocken des Herrn HejhulaBeim FriseurEin EinakterIdylle im ArmenhausHerr Mazucha rächt seine gekränkte EhreUnter SaufkumpanenEine geistige Übung mit HindernissenDas Waisenkind und seine geheimnisvolle Mutter1. Kapitel Das Waisenkind mit den blauen Augen2. Kapitel Der Geldbriefträger3. Kapitel Die tapfere Tat des Rentners Pavlík4. Kapitel Die Geschäftstüchtigkeit des Kaufmanns5. Kapitel Die Folgen des Artikels über die ›Geheimnisvolle Mutter‹6. Kapitel Das taubstumme Dienstmädchen7. Kapitel Neue Briefe, neue Enthüllungen, neue Geschäfte8. Kapitel Ratschläge und Überlegungen9. Kapitel Die ›geheimnisvolle Mutter‹ entdeckt, völlige Diskretion gewahrt10. Kapitel Der Vater sieht Tonička sehr ähnlichEin Vortrag über Dr. ZáhořDie Geschichte von den WanzenDer Lausbubenstreich des Herrn ČabounPorträt der Realistischen oder Fortschrittlichen ParteiDas glückliche HeimDie Geschichte von den MenschenfressernDie EinweihungBringen wir den Kindern bei, die Natur zu lieben!123Meine ›Montmartre‹-TragödieAuf den Spuren der Staatspolizei in Prag1234Jaroslav Hašek, der größte tschechische SchriftstellerNachwort

Der Abstinenzlerabend oder Ein amerikanisches Vergnügen

I

Schon in der Bibel kann man sich von den traurigen Folgen der Trunksucht überzeugen. Dort steht, daß das bekannte Individuum Cham sich wegen eines moralischen Verstoßes, den es im betrunkenen Zustand an seinem Vater verübt hatte, vor Gericht verantworten mußte.

Ich kenne jedoch noch andere Beispiele: ein betrunkener Geistlicher aus Interlaken wollte einmal die Heilige Messe nur im Hemd zelebrieren, und mein Freund Slavík verspeiste stockbetrunken eine junge giftige Kobra bei lebendigem Leib, ein entzückendes Schlangenbaby aus dem Dresdner Zoo.

Diese und andere Fälle veranlaßten die Menschheit, über die verheerenden Folgen des Alkoholgenusses nachzudenken, und die Amerikaner machten einen ersten konkreten Schritt in diese Richtung. Durch die Einführung der Prohibition zeigten sie der ganzen Welt, wie leicht es ist, Scharfsinn und Erfindungsreichtum des Menschen anzustacheln, wenn es darum geht, die Prohibitionsgesetze zu unterlaufen.

Es entwickelte sich eine Sonderform der Abstinenz: der sogenannte verzweifelte Abstinenzismus. Unter dem Druck des Prohibitionsgesetzes wurden Menschen, die ihr Leben lang keinen Alkohol getrunken hatten, zu Säufern und Salon- und Barbesitzer zu Betrügern.

»Whisky and Brandy!« das ist der Slogan, der heutzutage in ganz Amerika Furore macht und sich überall, von New York bis San Francisco, von Kanada bis Mexiko, durchsetzt.

In diesem riesigen Areal warten täglich einige Millionen Gentlemen in Millionen von Bars darauf, daß der Barkeeper an sie herantritt, ihnen ein Glas Whisky in den Rachen kippt und das Geld kassiert. So macht man das heute in Amerika. Alkohol wird der Polizeispitzel wegen nicht in Flaschen verkauft, da ein beschlagnahmtes Fläschchen ein Beweis der Gesetzesmißachtung wäre.

Die Gentlemen reißen einfach das Maul auf, und das Zeug wird hineingekippt.

Die Prohibition treibt die Kriminalitätsrate in die Höhe, denn mehr als siebzigtausend Menschen sitzen schon heute wegen unerlaubten Alkoholausschanks in amerikanischen Gefängnissen, so daß Amerika in der Kriminalstatistik den Rekord hält.

Bei uns in Böhmen haben weder die YMCA [Young Men’s Christian Association, dt: Christlicher Verein Junger Männer] noch die Heilsarmee mit ihrer fixen Idee Erfolg, daß das schönste Geschenk an die Menschheit die Prohibition sei. Bei uns hat der Alkoholismus seine Tradition, gefördert durch zahlreiche königliche Erlasse, die den Städten befahlen, Bier zu brauen, und den Untertanen, Bier zu trinken. Die berühmte Brauerei Destinka hat vor einiger Zeit sogar eine Schnapsbrennerei aufgekauft und schloß sie ihrem florierenden Unternehmen an.

YMCA bei uns? Von wegen. Ist das Bier achtprozentig, wird jedes Glas mit drei bis vier Schnäpschen aufgebessert. Ist das Bier zehnprozentig, wird es mit zwei Schnäpsen veredelt, und das zwölfprozentige braucht nur einen Schnaps.

Alle Werbekampagnen der YMCA im Namen der Nüchternheit sind daher keinen Schuß Pulver wert, wenn die Zeitungen in Inseraten garantiert siebzigprozentige Liköre anpreisen und für die Likörspezialisten mit vielversprechenden Losungen wie »Hau zu!« oder »Los, ran!« werben.

II

Man kann nicht sagen, daß die Stadt, in der der Versuch unternommen wurde, einen Abstinenzlerabend oder ein sogenanntes amerikanisches Vergnügen zu veranstalten, lasterhafter gewesen wäre als andere Städte unseres Landes. Die Alkoholiker hielten dort Schritt mit den Alkoholikern anderer Städte; wie anderswo kamen auch hier auf fünf Nüchterne ein Besoffener, und auf drei Einwohner eine Flasche Schnaps täglich. Nachts fand man immer ein Dutzend Betrunkener irgendwo auf der Straße liegen, wie in jeder anderen Stadt mit vergleichbarer Einwohnerzahl, und bei Tage lungerten gewöhnlich zwei oder drei Besoffene auf dem Bürgersteig herum. Man kann auch nicht sagen, in dieser Stadt hätte es mehr Gebrüll oder mehr Krawalle gegeben als anderswo. Hier und da zerschlug einer an einem anderen seinen Stock, einmal im Jahr wurde einer von einem Besoffenen mit dem Messer gekitzelt, und das war schon alles.

Daher war es für diese Stadt eine große Sensation, als eine Dame, die nach dem Tode ihres Gatten aus Amerika in ihre Heimatstadt zurückgekehrt war, die Öffentlichkeit mit ihrer Idee, einen Abstinenzlerabend zu veranstalten, in Unruhe versetzte. Das Vergnügen sollte in der Gaststätte des Herrn Vašata stattfinden.

Der arme Herr Vašata mußte hundertzwanzig Stühle und achtzig Tassen für den Tee auftreiben, den die Amerikanerin mit der Frau Bahnoberrevident bereiten wollte. Die Frau Bahnoberrevident konnte sich für die geplante Veranstaltung spontan begeistern, denn es verging kein Tag, an dem der Herr Oberrevident, wenn auch nicht stockbetrunken, so doch ziemlich angeheitert heimkam.

Der verstorbene Gatte der Amerikanerin war einer der Vorkämpfer der Abstinenzlerbewegung in Alabama und Oberprediger irgendeiner religiösen Sekte gewesen.

Die Plakate, die die Dame drucken ließ, erinnerten an Todesanzeigen:

Abstinenzlerabend

Ein amerikanisches Vergnügen

ohne Alkohol

 

Geht Betrunkenen aus dem Weg!

Alkohol erniedrigt das Ebenbild Gottes und macht den Menschen zum unvernünftigen Tier!

 

Am 9. April können Sie sich ohne Alkohol im Restaurant ›Vašata‹ vergnügen!

Beginn: 19 Uhr

 

PROGRAMM:

Die Begrüßungsworte spricht Frau Picknown, eine Tochter unserer Stadt

Gesellschaftsspiele

Zur Erfrischung wird kostenlos Tee serviert.

 

Kommen Sie zahlreich und überzeugen Sie sich, was Ihnen besser gefällt:

 

Ein Vergnügen mit oder ohne Alkohol!

In der Bevölkerung kam es zu einem wahren Aufruhr, dessen Tendenz in den Worten des Herrn Polívka, eines alten Försters im Ruhestand, zum Ausdruck kam: »So ’n Vergnügen gehört in keine Gastwirtschaft nicht, mit dem Tee soll’n se man besser auf eine Waldwiese ziehn!«

Der Kapellmeister Vořech aber ging noch weiter und tönte in der Bahnhofswirtschaft: »Ich geh hin und laß mich volllaufen!«

Den gleichen Vorsatz faßten Dutzende von Bürgern.

Über dem Abstinenzlerabend zogen sich drohende Wolken zusammen.

III

Im Saal des Restaurants ›Vašata‹ hatten sich zahlreiche Gäste versammelt. Lauter standhafte Säufer waren in Begleitung ihrer Ehefrauen erschienen, die es sich nicht entgehen lassen wollten, die Einladung und deren Wirkung auf ihre Männer zu studieren.

Frau Picknown hatte noch lebhaft in Erinnerung, wie ihr verstorbener Gatte einst in Alabama den alten Gaunern aus dem Wilden Westen donnernd ins Gewissen geredet hatte, sie müßten endlich vom Whisky loskommen und sich an die Bibel halten. Sie hielt eine kurze Ansprache. Ihre Rede wimmelte nur so von Amerikanismen und saftigen Schimpfwörtern. Eine ihrer milderen Formulierungen lautete: jeder, der trinke, sei ein elender Schuft, wobei die Hälfte der Ehefrauen ihre Männer anstieß und flüsterte: »Siehste? Das hab ich dir schon immer gesagt.«

Frau Picknown erzählte auch aus dem Leben der Säufer in Amerika, die es mit ihrer lasterhaften Lebensführung bis zum elektrischen Stuhl gebracht hätten.

Einige Besucher versuchten unauffällig wegzuschleichen, um im Ausschank ein paar Tropfen zu trinken. Aber an der Tür wurden sie von der Frau Oberrevident zurückgewiesen, die den Ausgang bewachte, was sich jedoch als sinnlos erwies, da einige Herren den Saal bereits mit einem Sprung aus dem Fenster verließen. Aus dem Garten in die Küche, von der Küche an die Theke.

Als Frau Picknown ihre Ansprache beendet hatte und erklärte, das Programm werde jetzt fortgesetzt, hatten bereits alle anwesenden Herren diesen abenteuerlichen Ausflug erfolgreich hinter sich gebracht. Es folgten die Gesellschaftsspiele. Frau Picknown erläuterte die Spielregeln. Aus der Tasche zog sie eine Pfeife hervor, wie sie Schiedsrichter beim Fußballspiel benutzen. Sobald sie ein Zeichen auf der Pfeife gebe, könne es losgehen.

Das erste Spiel: Die Damen bilden den äußeren Kreis, die Herren den inneren, und beide bewegen sich in entgegengesetzter Richtung, wobei die Damen wie die Herren einander die Hände reichen. Doch bevor die Kreise aufgestellt waren und sich in Bewegung setzen konnten, war es zwei Teilnehmern bereits gelungen, sich an der Theke restlos vollaufen zu lassen, so daß sie schon beim Händereichen umkippten und von ihren Ehefrauen in den Ausschank geschleppt werden mußten.

Die Prohibitionsbewegung zeigte die ersten positiven Ergebnisse. In den kleinen Pausen zwischen den Gesellschaftsspielen mußten die Teilnehmer alles nachholen, was sie inzwischen versäumt hatten, so daß sie den Alkohol mit Tempo und in solchen Mengen wie noch niemals zuvor in sich hineingossen. Bevor das nächste Spiel in Angriff genommen wurde, leerte ein Herr, der unter normalen Umständen höchstens vier Glas Bier trank, eine halbe Flasche Schnaps auf einen Zug und hätte auf dem Hof beinahe den Schweinestall in Brand gesetzt, als er dort am hellichten Tag mit einem brennenden Streichholz in der Hand den Saaleingang suchte.

Das zweite amerikanische Gesellschaftsspiel bezeugte den Scharfsinn seiner Erfinder. Auf einem Teller lagen zehn Erbsen. Die Aufgabe bestand darin, alle Erbsen mit der flachen Seite eines Tischmessers aufzunehmen, sie an das andere Saalende zu tragen und Frau Picknown in den Schoß zu werfen.

Die Gäste, denen der Alkohol bereits zu Kopf gestiegen war, amüsierten sich prächtig. Sie traten an den Tisch, unternahmen verzweifelte Versuche, zumindest eine Erbse auf das Messer zu heben, bis schließlich Herr Pexides, der zwar vollgelaufen, aber der gerissenste von allen war, weil er heimlich auf das Messer spuckte, alle zehn Erbsen leicht vom Teller hob, sie ans andere Ende des Saals hinübertrug, Frau Picknown in den Schoß warf und das Messer artig an ihrem Rock abwischte.

In der darauffolgenden Pause, in der die Frau Oberrevident den Damen eine Tasse Tee und Plätzchen servierte – eine Spende der Veranstalterin –, drängten sich die Herren um die Theke und leisteten dem jubelnden Ausruf des Herrn Pexides Folge: »Jetzt lassen wir uns vollaufen!«

Aus allen Augen strahlte tiefe Freude, und die Veranstaltung gefiel ausnehmend gut, so daß ein weiteres amerikanisches Gesellschaftsspiel mit großem Jubel begrüßt wurde.

Als sich alle wieder im Saal versammelten, ausgenommen jene, die im Ausschank nicht mehr vom Stuhl hochgekommen waren, weil sie weiche Knie hatten, pfiff Frau Picknown auf ihrer Trillerpfeife, so wie ein Schiedsrichter Abseits pfeift, und rief: »Alle Herren raus!«, was mit großem Hurra dankbar begrüßt wurde.

Nachdem die Herren den Saal verlassen hatten, wurden unter den Damen Nummern von eins bis hundert verteilt. Die Dame, die die Nummer eins bekam, mußte in einen Sack kriechen, der zugebunden und mit dem lebenden Inhalt auf den Tisch gesetzt wurde. Die angeheiterten Herren wurden in den Saal zurückgerufen, und die Dame im Sack versteigert. Das erste Angebot belief sich auf zwanzig Heller.

Gewinner der Dame im Sack war schließlich der pensionierte Förster, der ein Höchstangebot von zehn Kronen und sechzig Heller gemacht hatte. Es zeigte sich, daß er für diesen geringen Betrag die vor Angst halbtote Großmutter der Frau Postinspektorin ersteigerte, die ihre Enkelin begleitet hatte. Auf diese war zur ungeheuren Erleichterung aller Damen die Nummer eins gefallen.

Der pensionierte Förster geriet dermaßen in Rage, daß er zuerst bleich wurde, um dann puterrot anzulaufen; er zog die Uhr aus der Weste, steckte sie in die Hosentasche, riß sich den Rock und die Weste vom Leibe und zog beides im Handumdrehen wieder an, wobei er drohend sagte: »Da haben wir’s!«

Alle warteten gespannt, was nun folgen würde, aber es geschah rein gar nichts. Herr Polívka spuckte verächtlich aus und rief: »Diese Halunken!« Dann marschierte er stolz in den Ausschank, wo er Herrn Vašata gegenüber wiederholte: »So ’n Vergnügen gehört in keine Gastwirtschaft nicht, mit dem Tee soll’n se man besser auf ’ne Waldwiese ziehn!«

Der Mann, der beinahe den Schweinestall in Brand gesteckt hatte, war dermaßen begeistert, daß er seiner Gattin, die ihn auf dem Stuhl festhalten mußte, damit er nicht umkippte, vorstotterte: »Jetzt s-s-sehe ich erst, wi-wie schön d-d-das ist, wenn man Ach-Ach-Achstinenzler ist.«

Seine Frau erwiderte: »Nie hätte ich gedacht, daß ich mit dir in der Öffentlichkeit eine solche Blamage erleben würde.«

Frau Picknown pfiff wieder Abseits und rief mit rauher Männerstimme: »Alle Damen raus!«

Doch den Damen folgte natürlich die Hälfte der Herren, die die Pause zu einer verlockenden Bekanntschaft mit den Likörspezialitäten des Restaurants Vašata nutzen wollten. Mit dem Rest der Herren blieb Frau Picknown allein im Saal.

Die würdige Dame war von ihrer Prohibitionsidee so begeistert, daß sie bislang gar nicht mitbekommen hatte, was um sie herum eigentlich vor sich ging. Als der Förster Polívka in den Saal hineintorkelte und mit ihm der Kapellmeister Vořech, der in der Bahnhofswirtschaft erklärt hatte: »Ich geh hin und laß mich vollaufen!«, bemerkte die idealistisch gesonnene Dame, daß hier etwas im argen lag.

Frau Picknown wollte gerade erklären, wie die Versteigerung der Herren ablaufen sollte, als sich ihr Polívka und Vořech näherten. Sie hielten einander wie Rekruten um den Hals gefaßt, beschrieben mit den freien Armen seltsame Kurven in der Luft und brüllten ein altes Soldatenlied, daß die Fensterscheiben klirrten: »Als wir nach Jaroměř zogen, ’s waren noch Zeiten …«

Frau Picknown wußte selber nicht, wie sie plötzlich rittlings auf die Knie des Herrn Polívka geraten war, der sie reiten ließ und sang: »Hopp, hopp, hopp! – Hopp, hopp, hopp! – galoppiert der Reiter, wenn du stirbst, nehm ich eine andre …«

Der Kapellmeister Vořech kniff sie in die Wangen, zog eine Haarnadel aus ihrer Frisur und stocherte damit in seinen Zähnen herum; Frau Picknown spürte noch, wie man ihr einen Schnaps in den Mund goß und jemand sie ins Knie zwickte.

Kurz darauf drangen die Damen in den Saal, warfen alle Männer hinaus und verwüsteten das Lokal so, als wären sie auf einer Kirmes …

IV

Trotz erheblicher Sachschäden, die das Lokal erlitten hatte, erklärte Herr Vašata in aller Öffentlichkeit, die schlechte Einrichtung der Gastwirtschaft lasse sich durch eine bessere ersetzen, wenn man einen Abstinenzlerabend oder ein amerikanisches Vergnügen veranstalte.

Der Traum des Quartaners Papoušek

Der Quartaner Papoušek ging mit Gaius Julius Caesar spazieren.

»Ich weiß nicht, Junge«, sagte Julius Caesar zu Papoušek in einem Ton, der Lateinlehrern vorbehalten ist, »wie gut du in der lateinischen Sprache vorankommst.«

Seite an Seite wanderten sie durch die außerhalb der Stadt liegenden Felder, und als Papoušek Julius Caesar furchterfüllt anblickte, merkte er, daß Caesar haargenau so aussah wie auf dem Bild, das in seinem Klassenzimmer hing: streng, rundlich, in einer enganliegenden Toga und mit Sandalen an den Füßen. Nur auf dem Kopf trug er einen Kranz aus Löwenzahn anstelle des Lorbeers. »Ich lerne mit Toník Pálka«, antwortete Papoušek angsterfüllt und beobachtete, daß an Caesars Hüfte das Schwert schwang, mit dem er den Führer der Aremorikaner erschlagen hatte.

»Toník Pálka ist kein guter Schüler«, erwiderte Julius Caesar mit düsterer Miene, »von eurem Direktor habe ich gehört, daß Toník Pálka nicht gewußt hat, Wann die Schlacht bei Farsal stattgefunden hat, in der ich gesiegt … wen habe ich besiegt, Papoušek?«

Der arme Papoušek fuhr zusammen. Rings herum nichts als Natur, nirgendwo eine lebendige Seele, Caesars Schwert glitzerte in der Sonne, und Papoušek wußte nichts über die Schlacht bei Farsal.

»Toník Pálka«, stieß Papoušek, um sich zu retten, hervor, »hat über Sie, Herr Gaius Julius Caesar, gesagt, daß Sie den Rubikon nicht überschritten haben.«

»Was?« schrie ihn Caesar an, »quindam? Hast du einen guten Kameraden! Den werde ich in Ketten nach Rom führen und von meinen Gladiatoren enthaupten lassen. Weißt du, was ich mit Ariovista gemacht habe?«

»So weit sind wir bitte noch nicht gekommen«, flüsterte Papoušek entsetzt, »wir haben gelernt, daß Gallien aus drei Teilen besteht, quarum unam incolunt Belgae, tertiam Quintani, wobei der eine von Belgiern und der dritte von Aquitanern bewohnt wird.«

»Und wo bleibt der zweite Teil?« schrie Caesar wütend und spuckte in die Felder, »Bengel seid ihr alle! Im Jahre 54 vor Christus habe ich Britannien erobert und darüber ein Kapitel in meinen Memoiren über den Gallischen Krieg geschrieben. Im Jahre 1909 erfährt ein Junge davon, der nicht besser als die meisten ist, und er behält das Datum nicht, auch dann nicht, wenn ich ihn erschlagen würde. Das war im Jahre 54 vor Christus und nicht 53, wie gestern dein Klassenkamerad Bukáč im Geschichtsunterricht irrtümlich behauptet hat. Dafür hat er eine Sechs gekriegt, und es ist ihm recht geschehen. Ich habe den Krieg mit den Briten nicht geführt und die Aeden, Belgier, Armorikaner und den Führer der Arvernen nicht besiegt, damit Bukáč eine Sechs bekommt und weint.«

Mit seinem Schwert hieb Julius Caesar Löwenzahn auf dem Rain ab und schmückte damit seinen Kopf.

Der Quartaner Papoušek sah Julius Caesar furchterfüllt an, und da er ihm gefallen wollte, sagte er: »Ich weiß, daß Sie, Euer Gnaden, einmal gesagt haben ›veni, vidi, vici‹.«

»Freilich«, erwiderte Julius Caesar wohlwollend, »etwas Ähnliches habe ich einmal gesagt, ich sehe, meine Person ist dir nicht ganz gleichgültig, und das freut mich.«

Im Ton eines Lateinlehrers fuhr er fort: »Deine Bildung ist leider zu lückenhaft; wenn ich dich fragen würde, in welchem Jahr ich Ägypten verlassen habe, würdest du, anstatt Antwort zu geben, heulen. Zu meiner Zeit mußte man nicht so viel Schulgeld zahlen, doch die Jungen waren klüger. Ich erinnere mich, daß ich als Kind in deinem Alter einen Sklaven mit dem Dolch erstochen habe, der sich weigerte, in einen Bottich mit kochendem Wasser zu springen. Der Rhetoriker N. Antonius Guiphon war mein Lehrer; ihm habe ich einen Finger abgebissen. Ich bin im römischen Forum spazierengegangen, und als ich sechzehn war, habe ich den zweiten Sklaven, der es versäumte, mich zu grüßen, getötet. Auf diese Weise habe ich meinen glorreichen Weg fortgesetzt, habe schließlich mehrere Schlachten gewonnen und zu guter Letzt die Kleopatra verführt. Aber ihr seid Feiglinge! Wenn ihr eine schlechte Note bekommt, fürchtet ihr euch vor dem Rohrstock, und vor den schriftlichen Arbeiten habt ihr die Hosen voll. Euer Direktor sieht euch nur an, und schon erbleicht ihr. Ihr verdient kein Mitleid. Das beste wäre, euch in eine Arena zu sperren und eure mit Schwertern bewaffneten Lehrer sowie euren Schuldirektor auf euch loszulassen. Dann würden die Gladiatoren euch öffentlicher Fragen zur lateinischen Satzlehre stellen, und eure Antworten würden die Lehrer rasend machen. Sie würden euch auf dem Sand in der Arena ermorden, weil ihr nach der Präposition cum und nach dem infinitivum cum accusativum den Konjunktiv nicht richtig anwenden könntet. Einige Schüler würde ich den Löwen vorwerfen lassen, weil sie vom futurum exactum keine Ahnung haben. Es ist entsetzlich, daß dein Klassenkamerad Winter neue lateinische Wörter erfindet, und wenn er nach den unterschiedlichen Bedeutungen dieser Wörter gefragt wird, schändet er die lateinische Sprache. Noch abscheulicher ist aber, daß er nichts über die Schlacht bei Mund weiß, nach der ich am 17. März 45 vor Christus Herrscher des ganzen Römischen Imperiums geworden bin.«

Julius Caesar erhob sich und flocht in seinen Kranz aus Löwenzahn noch ein wenig Quendel- und Wegerichblätter.

»Der Schulrat c.k.«, fuhr er fort, »hat meine Aufzeichnungen vom Gallischen Krieg gutgeheißen; übergib diesen Kranz dem Oberschulinspektor c.k.«

Julius Caesar nahm den Kranz aus Löwenzahn, Wegerich und Quendel ab, reichte ihn Papoušek und rief: »Denk über die lateinische Satzlehre nach!« Dann schwebte er zum Himmel hinauf.

Der Quartaner Papoušek wachte auf. Im gegenüberliegenden Bett schlief sein Vater und pfiff durch die Nase. Im Morgengrauen sah sein Gesicht sehr streng aus. Papoušek fiel plötzlich ein, sein Vater würde morgen seine Noten zu sehen bekommen und erfahren, daß sein Sohn in der Schulkonferenz ein ›ungenügend‹ bekommen hatte. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Hose, die er abends über den Stuhl geworfen hatte. Der Quartaner Papoušek weinte leise in die Federkissen …

Das Prager Amtsblatt

Jedesmal, wenn ich das ›Prager Amtsblatt‹, das amtliche Organ der Regierung, in die Hand nehme, freue ich mich über seinen bildenden Wert. Von seiner äußeren Aufmachung läßt sich wenig sagen, sie ist ziemlich miserabel; der Inhalt dagegen unterhält durch moralische Belehrungen und strotzt von lustigen Einfällen, so daß es geradezu eine Wonne ist, die Beiträge der Regierungsredakteure, unter denen die mannhafte Gestalt von O. Chvatil herausragt, durchzuschmökern. Oft findet der Leser in diesem Blatt Sätze, die ihm auf den ersten Blick als absolut unsinnig erscheinen müssen. Ich sage, auf den ersten Blick, denn schon im nächsten Augenblick wird jedem klar, daß ausgerechnet hier der Schreiber einen großartigen Witz losgelassen hat. Sie lesen zum Beispiel von dem Unglück, das sich bei Luzin in der Schweiz ereignet hat, und bei dem zehn Einheimische zusammen mit dem Kapitän Liong ertrunken sind. Liong war ein Chinese, und Sie fragen sich, wie es der arme Teufel in der Schweiz zum Kapitän gebracht hat und nach seinem Tod zu allem Überfluß noch ins ›Prager Amtsblatt‹ gekommen ist. Dann suchen Sie Luzin. Sie wissen, daß es in der Schweiz die Stadt Luzern, aber kein Luzin gibt; Luzin ist eine Kreisstadt im russischen Gouvernement Wieteb, und schließlich fällt Ihnen Luzon ein, die größte Insel der Philippinen, wo es von Chinesen nur so wimmelt. Es könnte schon eher stimmen, daß dort der Kapitän Liong ertrunken ist. Sie lesen weiter und stellen fest, daß er ein Pirat war, und in der Tat, wie treffend gibt es die Lokalnachricht der amtlichen Zeitung wieder: PIRATEN TREIBEN IHR UNWESEN IN DER SCHWEIZ.

Mit Erstaunen nimmt man die pädagogischen Bemühungen des ›Prager Amtsblattes‹ zur Kenntnis. Der Leser darf den Lokalnachrichten des Blattes nicht einfach Glauben schenken, sondern muß prüfen und nachforschen, um die Lösung des Rätsels zu finden, das das ›Prager Amtsblatt‹ seinen Lesern in Form einer unschuldigen Lokalnachricht schenkt. Auf diese Weise bildet sich das Publikum. Darin liegt der Wert dieser Tageszeitung. Der Leser eilt in einen Lesesaal und vergleicht die Namen der Flüsse, der Länder und der Städte, die er im ›Prager Amtsblatt‹ genannt findet, mit denen des Lexikons. Allmählich bekommt er Lust, zu studieren; während der Lektüre des ›Prager Amtsblattes‹ im Lexikon nachzuschlagen, wird ihm zum täglichen Bedürfnis. Und die Hoffnung besteht zu Recht, daß der Leser in seinem Streben nach Bildung das ganze Wörterbuch studieren und noch auf andere Sachverhalte aufmerksam werden wird, die ein Intellektueller einfach wissen muß; die Seele des Lesers wird weich und zart, er wird über Kunst und Kunsterziehung nachdenken, in die Oper gehen und überall das ›Prager Amtsblatt‹ empfehlen, das aus ihm einen Intellektuellen machte und den Sinn für Schönheit in ihm weckte.

 

Was hat das ›Prager Amtsblatt‹ aus Lumpen, Mördern, Räubern und Dieben gemacht? Immer schon war es diese Zeitung, die der Polizei bei der Fahndung nach Räubern und Mördern behilflich gewesen ist, da sie ausführliche Beschreibungen darüber, wie die Täter nicht aussahen, veröffentlichte. ›Es wird allgemein vermutet, daß der Täter keinen schwarzen Sakko und keine graue Hose trug.‹ Die Polizei leitete auf dieser Basis ihre Fahndung ein, die auf diese Weise sehr vereinfacht wurde, da sie nur noch alle Menschen einsperren mußte, die einen schwarzen Sakko und eine graue Hose trugen; aber glauben Sie mir, es war lediglich ein Trick des ›Prager Amtsblattes‹, zu schreiben, daß der Täter keinen schwarzen Sakko und keine graue Hose trug. Man nahm nämlich an, der Täter wird sich, nach der Lektüre dieser Nachricht, just einen schwarzen Sakko und eine graue Hose anziehen, um nicht mehr erkannt zu werden.

Es war das ›Prager Amtsblatt‹, das den Mörder von Magda Novotná so ausführlich beschrieb, als hätte dieser die Beiträge für die Unterhaltungsbeilage der Sonntagsausgabe persönlich abgeliefert und wäre der Redaktion aufs beste bekannt.

Ein Wort aber spielt in den eben zitierten Nachrichten des ›Prager Amtsblattes‹ eine hervorragende Rolle – das Wort ›leider‹. Tag für Tag können Sie lesen: ›Leider ist er geflohen …‹, ›Leider ist er in den Fluß gesprungen …‹, ›Als die Krämerin sich umgedreht hatte, wurde ihr leider Schinken im Wert von zehn Kronen …‹, ›Nach diesen Worten hat er sie leider vergewaltigt …‹, ›Er hat sich leider betrunken …‹