Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die sonderbare Geschichte eines Geißers, der mit einem Adler, den Murmelen und mit seinen Ziegen hoch oben in den Felsen, wo er als Kind den Sommer verbringen musste, eine große Freundschaft geschlossen hat. Ein alter Mann versucht sich an diese Zeit der Kinderjahre zu erinnern. Traum und Wirklichkeit fließen ineinander. Sie sollen jetzt und später, wenn ich nicht mehr bin, meinen lieben Enkeln immer einen Anstoß geben, ihren Nöni nicht zu vergessen. Wenn meine fünf Kinder auch Freude daran haben, würde es mich doppelt freuen. Das ist das einzige Ziel dieser Geschichte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 233
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Wie es begann (Erinnerungen eines Großvaters an seine Kinderjahre)
Meine Ziegenherde
Mein erstes Treffen mit Mecki, dem kleinen, frechen, neugierigen Kitzlein und der Weg mit der Herde auf die Hochalm
Bei der Sennerin auf der Sennhüte
Der alte Nöni mein bester Freund. Eine kleine Erinnerung an ihn
Mir blieben die Worte des Nöni bis in mein Alter in Erinnerung
Das letzte Stück des Weges zu den Bergmatten, im Reich der Murmeln. Meckis Angst vor dem steilen Weg zu den hohen Felsen hinauf
Meckis erste Begegnung mit den Murmelen
Mit Mecki am Rücken auf den Satteln angekommen
Ein Adler ist im Anflug zum Reich der Murmelen
Wie ich ihm den Namen Robert gab
Was hat mein Adler Robert vor?
Der Adler Robert scheint sich mit den Murmelen anzufreunden
Der Heimweg mit den Ziegen. Viele Gedanken kreisten in meinem Kopf
Beim Nöni Robert
Daheim bei Mama und meinen Geschwistern
Begegnung mit den Kuhhirten
Warten auf den Adler Robert
Robert rettet mein Mecki
Ich näherte mich vorsichtig Robert
Ja, ich flog mit Robert über die Hochalm
Wie mir langsam beim Fliegen mit Robert die Angst verging
Nach dem Flug mit Robert. Ich musste meine Gedanken erst ordnen
Wie kann ich mein Geheimnis vor den Menschen für mich behalten?
Bei meinem lieben Nöni auf der Hausbank vor seinem Hof
Daheim bei Mama und den Geschwistern nach dem Flug mit Robert
Der nächste Tag auf der Hochalm. Der Flug mit Robert auf den hohen Berg
Los geht’s mit Robert hinauf zum hohen Berg
Oben auf dem hohen Berg. Ein wunderbares Erlebnis
Das Bild von der hohen See
Der Blick vom hohen Berg hinunter in unser stilles Tal
Was machen meine Ziegen? Robert spielt Geißer
Roberts Adlerhorst und sein Adlerweibchen
Der Rückflug zu meiner Herde
Ein eigenartiger Traum
Der Traum ließ mir keine Ruhe. Warum sollte ich ihn nicht versuchen zu verwirklichen?
Der Nöni zimmert mir Fußballtore
Am nächsten Morgen. Das erste Fußballtor von Nöni
Robert zeigt mir einen Fußballplatz und hilft mir bei der Organisation des Fußballspieles
Daheim bei Mama. Auch sie hilft mir bei der Verwirklichung meines Traumes
Das zweite Tor von Nöni. Der Fußballplatz wird fertig gemacht
Das Fußballspiel kann beginnen. Die erste Halbzeit:
Das 1 : 0 für die blaue Mannschaft
Das 1 : 1. Der Ausgleich für die rote Mannschaft
Die Spielpause. Meckis Vorführung auf dem Platz und sein Sturz über die Felswand
Robert rettet Mecki
Die zweite Halbzeit beginnt. Ein schmerzhaftes 2 : 1 für die blaue Mannschaft
Das 2 : 2. Der Ausgleich für die rote Mannschaft
Die Begeisterung nach dem Spiel
Der Heimweg nach dem Spiel. Unten beim Nöni
Wieder daheim bei Mama
Plötzlich hatte ich Sehnsucht nach meinem Vater
Ein wilder Kampf. Mein Freund der Adler Robert kämpft um sein Revier
Hinauf mit der Herde zu den Satteln. Was wird mich heute da oben auf den Satteln wieder erwarten?
Robert kämpft mit einem anderen Adler, der in sein Revier eingedrungen ist
Hat Robert den Kampf gewonnen? Der Eindringling ergreift die Flucht
Der Adler Robert kehrt nach seinem Kampf auf Leben und Tod zurück auf unsere Hochalm
Mit müden Flügelschlägen kommt Robert zu mir und Mecki. Robert gibt mir zwei Adlerfedern
Ich traf Mama bei der Sennerin. Am Heimweg erzähl ich ihr die Geschichte vom Kampf der beiden Adler
Unten im Dorf beim Nöni. Ich schenkte ihm eine Adlerfeder
Am nächsten Tag bahnte sich schlechtes Wetter an. Es ging aber noch einmal mit meinen Ziegen hoch zu den Satteln
Robert kommt zu mir. Ich mußte ihm ja seine Wunde verbinden
Das zweite Fußballspiel mit den Murmelen
Ein Sommergewitter zog auf
Beim Nöni in der warmen Stube
Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Der Almabtrieb der Kühe.
Nur noch ein kurzes Schlusswort, dann ist meine Geschichte über den Adler Robert zu Ende
Es ist Weihnacht 2006. Meine älteste Enkelin Nora neben vielen, die ich alle sehr liebe und schätze, schenkt mir ein Buch mit dem Titel: „Die Abenteuer des Adler Robert“ mit dem für mich einfach rührenden Zusatz: „Für den aller besten Märchenopa, deine Enkelin Nora.“ „Ich hoffe“, schreibt sie weiter, „du verewigst hier in diesem Buch Robert, die Abenteuer des Adlers.“ Das Buch hat nur leere Seiten. Nun, was soll ich tun? Ich bin heute ein alter Mann. Also auf zurück in meine Kinderjahre, also auf in die Jahre des zweiten Weltkrieges! Die Geschichte des Adlers Robert ist etwas ganz Sonderbares. Es ist eine Erinnerung an eine Zeit der Kindheit, die ich auch im Alter noch in meinem Gedächtnis habe. Ja, es sind Erinnerungen, es sind Sehnsüchte, es sind Schmerzen eines Kindes, das allein mit einer großen Ziegenherde hoch oben am Berg in einem stillen Tal Tag für Tag ohne gleichaltrige Spielgefährten verbringen musste. Ich wusste, dass mich meine Mama als Ziegenhirt „verdingen“ musste – so nannte man das damals. Heute erinnert es mich das an die Schicksale der Schwabenkinder ein Jahrhundert vorher. Wir waren arm. Vater war in Rußland im Krieg. Wir waren alle, auch meine vier Geschwister, froh, eine Mama zu haben, die uns zwar kaum Kleider neben der nötigen Nahrung bieten konnte, jedoch hatte sie eine ganz eigene - aber für uns Kinder für das spätere Leben sehr wichtige Art - Liebe weiterzugeben. Ich sehe heute noch als alter Mann ihre hellen Augen, die mir als Kind einfach das Bewusstsein gaben, da hab ich einen Menschen, an den ich mich kuscheln kann. Mama konnte auch streng sein, wenn man – auch als Kind – eine Verantwortung übernommen hat – ich z.B. als Ziegenhirt- dann musste man diese erfüllen und durchstehen. Da war Mama streng und ich bin ihr heute noch dankbar dafür, dass sie mir das beigebracht hat. Nun, ich musste meine Verantwortung als Ziegenhirt mit knappen acht Jahren übernehmen. Diese Arbeit dauerte vom 1. Mai bis Martini also bis zum 11. November. Wie viel ich da noch in der Schule lernen konnte, kann sich jeder selber ein Bild malen. Ich aber hatte Glück, dass Mama und Papa sehr viel im Hirn hatten – ich sag das jetzt, weil mir mein Papa, als er vom Krieg zurückkam, sagte: „Bua, lernen kannst nur durchs Leben, durch das du durch muasst, wenn a von der Schul viel weg bist, musst eben in der kurzen Zeit ganz, ganz gut hinhorchen, was der Lehrer sagt. Wenn was nicht verstehst, kommst zu mir, ich erklär es dir dann, du musst mich nur fragen.“ Ja, so wars auch. Oft bin ich auf dem Schoß von meinem Vater gesessen und hab ihm Fragen gestellt, die ihn oft nerven mussten. Doch Vater hat mir immer eine Antwort gegeben. Ich weiß, ich war als Kind ein ganz, ganz arger Quälgeist, neugierig und lästig. Ich kann mich noch gut erinnern, wie mich meine Geschwister, wenn ich ins Träumen kam, unser „verträumtes Böhmerlein“ gepflanzt haben. Ja, da bin ich zornig geworden.
Nun kam der 1. Mai. Ich musste bei den Bauern meine Ziegen abholen, für die ich nun verantwortlich bis Martini war. Unten im Tal auf diese Ziegen aufzupassen war eine schwere Arbeit für mich. Diese ca. 150 Biester taten immer das, was sie nicht tun sollten. Sie sprangen über die Zäune oder fanden ein Schlupfloch, um in die saftigen Wiesen der Bauern zu gelangen und das meist an drei bis vier Stellen. Bis ich sie alle aus den Wiesen vertrieben habe, verging oft eine lange Zeit. Ich vergesse die vielen Ohrfeigen nie, die ich von manchen Bauern erhielt, wenn sie zufällig auf ihren Wiesen waren. Langsam aber lernte ich meine Biester kennen. Ich wartete schon sehnsüchtig, bis der Schnee hoch oben am Berg weggeschmolzen war und auf den Matten grünes frisches Gras hervorspross. Da oben hatte ich sie eingesperrt durch Felsen und Schrofen. Aber auch da oben fanden sie noch ein zwei Schlupflöcher, wo sie mir entwischen konnten. Das taten sie aber nur einmal. Ich machte mir aus dieser Herde eine friedliche und gehorsame Gemeinschaft. Der Boss aber war ich. Wenn eine wieder auszuzwitschern versuchte, zog ich sie ganz kräftig bei den Ohren. Nach Monaten verstanden wir uns gut. Diese Biester kannten mich und ich sie. Wenn man ihnen in aller Strenge, aber auch in Freundschaft begegnete, verstanden sie es. Wir wuchsen eben langsam zu einer Gemeinschaft zusammen. Nun kam endlich der Tag, wo die Kühe auf die Almen getrieben wurden. Das war auch der Tag für mich, mit den Geißen auf die Hochmatten zu ziehen. Zweieinhalb Stunden bergauf in der Früh und eineinhalb Stunden abends wieder hinunter ins Tal. Und das fast jeden Tag. Für ein Kind, das ich damals noch war, sicher eine große Herausforderung. Dafür aber hatte ich untertags meine Ruhe. Das Alleinsein da oben schreckte mich schon ein wenig. Doch es sollte anders kommen.
Nun soll die Geschichte vom Geißerbua, dem Mecki, den Murmelen und dem Adler Robert beginnen. Endlich konnte ich die Geißen nicht mehr unten im Tal hüten, sondern hinaufbringen über die Almen in die jetzt grünen, saftigen Matten hoch oben in den Felsen. Ich zog mit meiner Herde die Bauernhöfe hoch, wo die Bauern der Reihe nach die Geißen aus den Stallungen ließen, so lange, bis ich meine ca. 150 Stück beisammen hatte. Beim letzten Bauernhof stand die Bäuerin vor der Tür. „Geißer“, sagte sie, „hörst, wies da drinnen zugeht“. Ich schaute in den Stall hinein, da sah ich ein wunderschönes Kitzlein, schwarzweiß gefleckt, es versuchte aus der Einzäunung zu springen. Mir kam vor, es riefe, „warum darf ich nicht mit?“ Ich ging zu ihm hin und redete mit ihm: „Was ist los, kleines Geißlein, bist du traurig?“ Dann hielt es still. Es sah mich so bittend an, und ich verstand, was es wollte, nämlich auch mit hinauf in die grünen Matten. Ich sagte zur Bäuerin: „Lass es heraus, ich nehm es mit“. Sie machte die Tür auf. Wie ein Blitz sauste das Tierlein heraus und verschwand in der Herde. Ganz vorn an erster Stelle sah ich es herumhüpfen. Es war für mich herzzerreißend, sehen zu können, wie auch ein Tier so eine Riesenfreude haben kann. Nun ging‘s los. Die alten Geißen kannten den Weg genau. Ich zog es aber vor, mitten in der Herde zu sein, und mit ihnen dann und wann zu reden. Vorn immer noch vor Freude überschäumend das schwarz weis gefleckte Kitzlein! Ich dachte mir: ,Wie lang wird es gehen, bis mein Kitzlein in seinem Übermut schlapp macht?‘ Es dauerte nicht mehr allzulange, bis ich sein helles, freudiges „Meck, Meck nicht mehr hörte. Nun konnte es mit den alten Geißen nicht mehr Schritt halten. Da blieb es stehen und wartete auf mich. Wenn ich so heute zurückdenke an diese Begebenheit, kann ich mich noch gut an diesen bittenden Blick des reizenden Geißleins erinnern. ‚Bitte, bitte, lieber Geiser, lass mich nicht zurück, dann bin ich ja ganz allein, was soll ich dann tun?‘ Ich streichelte ihm über das weiche Fell. Mühsam kam noch ein Meck, Meck heraus. Ich mußte ein wenig lachen. Ich habe aber die Verantwortung übernommen und würde es niemals zurücklassen. Die alten Geißen, vor allem voran die große weiße als Führerin, kannten den Weg genau. Vorne beim Rastplatz ruhten alle sich ein bisschen aus. Sie warteten sicher auf mich, denn sie wollten etwas ganz Bestimmtes von mir. Neben mir hopste mein Mecki –so nannte ich es jetzt - aufgrund seines eigenartigen Meck, Meck. Erst später lernte ich genau die Stimmung dieses lieben Geißleins, verbunden noch mit seinem oft schelmischen Blick, kennen. Mecki war nun fertig. Die Beine trugen es kaum mehr. Kein Meck, Meck mehr war zu hören. Nur mit einem bittenden Blick sah es zu mir herauf. „Nun komm, Mecki“. Ich hob es hoch auf meine Schultern und hielt es an den zitternden Haxen mit den Händen fest. Es war zwar nicht sehr schwer. Aber ich war ja auch kein starker Mann. Ich dachte mir im Stillen: „Oben werde dann ich fertig sein und das Mecki wird wieder zu Freudensprüngen ansetzen“, denn wir hatten erst die Hälfte des Weges zurückgelegt. Rasch hatten wir die Raststelle erreicht, bei der die Herde auf mich wartete. An dieser Raststelle sprudelte eine Quelle kristallklares Wasser, direkt unter einem Felsen. Ich setzte das Mecki neben dieser Quelle ab. Mecki wartete nicht lange bis es zu trinken anfing. Dass in so einem kleinen Geschöpf so viel Wasser Platz hat. Es hörte nicht mehr auf zu saufen. Nun saß ich mich auf den Geißerstein mitten in der Herde. Alle Blicke der Geißen waren nun auf mich gerichtet. Ich holte aus meinem Rucksack meinen Fotzhobel (Mundharmonika) heraus. Dieser Fotzhobel gehörte meinem Vater, denn er war ein Meister im Spielen dieses Instrumentes. Mama hat ihn mir mitgegeben mit der Mahnung, ja gut darauf aufzupassen. „Oben hast du ja viel Zeit zu üben, da vergeht dir die Zeit etwas schneller und vertreibt dir die Langeweile“. Vater hat mir ein paar Stücklein gelernt. So fing ich an zu spielen. Ganz ruhig lag die Herde da und lauschte. Das war für mich immer eine große Freude, wenn sie mir so andächtig zuhörte. Ich weiß es heute noch nicht, ob Geißen besonders gerne Musik hören. Meine taten es. Wenn sie mir oft an Regentagen gar nicht mehr folgen wollten, griff ich zu meinem Fotzhobel, und siehe da, sie kamen zu mir gelaufen. Dadurch ersparte ich mir viel Ärger mit meinen Biestern. Da hörte ich von der Quelle her ein Husten und Niesen. Da stand Mecki vor mir. Das Wasser rann ihm noch aus den Nasenlöchern. Es sah mich an, als wäre ich von einer anderen Welt. „Sowas“ – wird es sich gedacht haben – „hab ich doch noch nie erlebt“. Wie angewurzelt stand es mit seinen dünnen Haxerln vor mir und sah mich mit voller Bewunderung an. Ich spielte heute ein bißchen länger, damit sich Mecki ein wenig erholen konnte, denn jetzt ging der Weg nur leicht ansteigend weiter bis zur Almhütte hinauf. Ich steckte meinen Fotzhobel in den Schnerfer (Rucksack).
Das war das Zeichen zum Aufbruch. Langsam stand die Herde auf und trottete gemütlich weiter. Mir war das nur recht. Vielleicht konnte bei diesem Tempo Mecki wenigstens ein Stück mithalten. So war es dann auch. Mecki schaffte es bis zur Almhütte. Die Sennerin - eine fesche, mollige Maid - stand vor der Tür, wie sie das immer tat, wenn ich mit den Ziegen kam. Sie war eine ganz liebenswerte Person, die ich sehr gern hatte, weil sie mich so stark an meine Mutter erinnerte. „Ja Geißer, was hast du da für ein liebes Kitzlein bei dir, schafft das schon den langen Weg?“ „Zeitweise“, sagte ich zu Ihr, „muss ich es schon tragen. Aber ich hab es der Bäuerin versprochen, dass ich es mitnehme und heil wieder heimbring“. Die Sennerin verschwand kurz in der Sennhütte und kam mit einer Hand voll Haferfocken wieder heraus und hielt sie Mecki hin. Mecki schaute mich ganz verwundert an als wolle es mich fragen: „Darf ich das?“. „Komm Geißlein, friss.“ Da schnupperte Mecki an ihrer Hand, kostete zuerst. ‚Hui‘, wird es gedacht haben, ‚das ist aber eine Köstlichkeit‘. In Windesseile war die Hand der Sennerin leer. Es schleckte ihr dann noch die Hand ab. „Geißer, pass mir gut auf das Geißlein auf. Pass vor allem auf die riesigen Adler auf, die es auf solch kleine Kitzlein abgesehen haben.“ „Mach ich, Sennerin“, sagte ich und marschierte mit meiner Herde los, neben mir Mecki. „Übrigens, Sennerin, heißt das Kitzlein Mecki,“ rief ich ihr noch zu. Sie lächelte, sah uns noch eine Weile nach und ging zu ihrer Arbeit in die Sennhütte zurück. Wie sich später herausstellte, war der erste Weg meines Geißleins, wenn wir morgens beim Aufstieg und abends beim Heimziehen an der Alm vorüberkamen, der zur Sennerin, um seinen Leckerbissen abzuholen. Ich wusste es sicher, auch die Sennerin hatte eine große Freude daran, dem lieben Mecki – wie sie es jetzt auch nannte – seinen Leckerbissen zu geben. Sie war eine warmherzige, gute Seele, die immer Freude hatte, wenn sie jemandem etwas Gutes tun konnte. Mich fragte sie oft: „Haben dir die Bauern deine Butterdose auch voll gemacht und haben sie dir auch genug Brot mitgegeben?“ Wenn ich verneinte, machte sie mir die Dose voll und legte noch ein Stück Brot dazu. „Ja, ja, diese geizigen Hungerleider da unten,“ murmelte sie dann in sich hinein. Wenn ich dann mit meiner Herde an diesen Bauernhöfen vorbeizog, überkam es mich, in mich hineinzumurren, damit es ja keiner hörte: „Ihr geizigen Hungerleider“. Wenn das einer gehört hätte, wäre wohl die nächste Ohrfeige fällig gewesen. Nun gingen wir bereits das letzte Drittel unseres Weges an. Mecki lief zu meinem Erstaunen immer noch tapfer neben mir her. Die Freudensprünge hatte es sich Gott sei Dank abgewöhnt, damit konnte es sich Kräfte ersparen. Der Weg führte am Wetterkreuz vorbei, das die Bauern schon ein Jahrhundert vorher aufgestellt hatten, wie mir der alte Nöni Robert unten im Tal erzählte. Es sollte die ganze Alm und das ganze Dorf vor Unwetter und Murbrüchen schützen.
„ Ja, ja,“ sagte er zu mir, „wenn du da oben vorbeikommst, bete nur ein Vaterunser, das wird dir und uns allen helfen.“ In diesem alten Mann hatte ich einen echten Freund gefunden. Wenn ich die Ziegenherde übergeben hatte, setzte ich mich oft zu ihm, wenn er vor seinem Hof auf der Bank saß und auf mich wartete. „Geißer,“ sagte er oft, „wie sieht`s oben beim Wetterkreuz aus? Steht‘s noch und passen die Almhirten auf dieses Kreuz auf, ist wohl immer ein frischer Alpenblumenstrauch dabei? Wie gerne möchte ich oben sitzen und die kleine, stille Welt in unserem Tale mit allen Erinnerungen vorüberziehen lassen. Leider, Geißer, tragen mich meine Füße nicht mehr so weit in meinem Alter. So erzähl mir ein wenig von der Welt da oben, das tut mir gut, da kann ich dann in der Nacht davon träumen.“ Er war noch einer der Wenigen vom Dorf, der in seinen Kinderjahren als Kuhhirt nach Schwaben verdingt worden war. „Wie oft habe ich mich doch in der Nacht in das Kopfkissen versteckt und bitterlich geweint vor Heimweh und mir Martini herbeigesehnt, wo ich wieder in unser stilles Tal zurück kommen durfte“, erzähle er mir oft. „Ich weiß noch gut, wie ich einmal beim Wetterkreuz oben hingekniet bin und zu Jesus gebeten habe: Herrgott, lass mich, wenn ich einmal alt bin, so werden wie der alte Nöni da unten im Tal. So zufrieden und still und doch so rege und interessiert für alles. Ja, ja , wir als Kinder hatten es noch viel schlechter als du, wir mussten unsere Heimat verlassen, du kannst wenigstens unter uns bleiben. Warum müssen die Menschen immer Krieg führen, alles zerstören, was sie sich aufgebaut haben. Wann wird sich das einmal ändern? Ich wünsche es mir, dass es dir, Geißer, einmal besser gehen soll im Leben als uns Alten.
Ich bin öfters, soweit es mein Beruf erlaubte, noch oben am Wetterkreuz gewesen. Da hab ich mich hingesetzt und still gebetet. Wenn man auch schon gar nichts glaubt, da oben vor dem Wetterkreuz aber mit dem Blick in die schroffe Bergwelt hinein, da weiß man, was beten und in sich still hineindenken bedeutet. Ich habe mich später oft gefragt, hab ich etwas gelernt von meinem alten Nöni, wo ich jetzt selbst alt geworden bin? Das möchte ich für mich selbst nicht beantworten. Ich glaube, meine große Familie müsste darauf eine Antwort geben. Für mich kann ich nur sagen, ich bemühe mich darum, so zu sein wie der alte Nöni.“
Nun zurück zu unserer Geschichte. Vom Wetterkreuz aus konnte man erstmals einen Blick auf die grünen Matten hoch oben in den Felsen werfen. Mecki stand wie angewurzelt da und starrte hinauf auf die Felsen. ‚Da hinauf soll ich gehen,‘ dürfte es sich gedacht haben, das schaffe ich nie.‘ Ein Meck - Meck kam heraus, ganz ängstlich klang es. „Komm nur, Mecki, jetzt geht es ganz flach bis zur großen Pleiß hin. Dort rinnt ein Bach herunter, wo du noch einmal trinken kannst. Wenn`s gar nicht mehr geht, trag ich dich ja.“ In der Herde spürt man eine Unruhe. Die Tiere wurden immer schneller. Nun wussten sie den Weg selbst. Ich trottete mit Mecki hinterher und ließ sie laufen. Am Beginn der langen Pleiß stillten alle sich noch den Durst am kristallklaren Wasser des Baches, der mit munteren Sprüngen den oberen Teil der dort sehr steilen Pleiß heruntersprang. Schäumend und silbrig in der Sonne glänzend rauschte das Wasser herab in den flachen Teil. Ruhig bereitete sich dann das Wasser des Baches vor, bis es ganz abrupt in das wilde Tobel hineinsprang und nicht mehr zur Ruhe kam, bis es im Tal unten in den Hauptfluss mündete. Wenn durch das Tobel wieder Muren kamen nach längeren Regenfällen, Brücken, Heustadel und alles, was in der Nähe war, mitrissen, dachte ich mir oft: ‚Wie kann so ein friedliches Bächlein, wie es hier heroben gemütlich dahinrinnt, so viel Schaden anrichten.‘ Mecki trank noch ein paar Schluck vom kristallklaren Wasser, schaute mich dann hilfesuchend an. Das Wasser tropfte ihm noch aus den Nasenlöchern. ‚Da hinauf Geißer, da hinauf.‘ So hab ich seinen Blick verstanden. Die ersten meiner Herde waren schon fast oben auf dem Sattel, wo die Weidegründe für die Ziegen waren. Der untere Teil der langen Pleiß war den Kühen vorbehalten. Mecki und ich marschierten gemütlich hinter der Herde her, bis ich merkte, jetzt schaffts Mecki nimmer. Ich nahm es, wie schon gehabt, auf meinen Rücken, hielt es bei seinen vier Haxen, die wieder zitterten und marschierte zügig meiner Herde nach.
Auf einmal hörten wir ein Pfeifkonzert. Mecki zuckte auf meinem Rücken zusammen. Wir waren nun im Reich der Murmelen (Murmeltiere) angelangt. Ich freute mich über die Begrüßung. Mecki hatte ja keine Ahnung, was diese kugelrunden Tiere bedeuten sollten. Für Mecki dürften es Ungeheuer gewesen sein. Die Kleinen sahen aus wie runde Wollknäuel mit einem Kopf vorne und einem Schwanz hinten. Für die Murmelen begann erst der richtige Sommer, wenn die Ziegen bei ihnen waren. Der alte Murmelvater pfiff drei bis viermal. Es war aber kein Warnpfiff, sondern eine Begrüßung. Sie verkrochen sich nicht in ihre Höhlen. Vom Geißer und seinen Ziegen ging keine Gefahr aus. „Schau, Mecki, da drüben auf dem großen Stein sitzt der Murmelevater, bei dem magst vorsichtig sein. Er ist ein treuer, kluger Wächter über seine Herde, wie ich es über euch Ziegen sein muss. Geh aber doch zu diesem Murmelvater nicht zu nahe hin. Er kann sehr grantig werden, wenn man ihm zu nahe kommt. Mecki war ganz still. Ich hätte viel gegeben, wenn ich jetzt diesen oft schelmisch dreinschauenden kleinen Geißenkopf gesehen hätte. Ich hatte Mecki ja auf meinem Rücken, damit war mir der Blick ja verwehrt. Ich spürte nur öfters seine feuchte Schnauze am Hals. Mecki rührte sich auf meinem Rücken nicht mehr. Ich war froh darüber. Wenn es zwazelte, war es nämlich noch schwerer.
Ich war selber froh, als Mecki und ich auf den Satteln ankamen und ich meine Last ablegen konnte. Die Herde weidete friedlich um uns und über uns herum. Mecki stand nun wie angewurzelt da. Es wackelte kurz mit dem Kopf, streckte die Zunge heraus, der Versuch zu einem Meck - Meck erstickte im Hals. Nun legte sich Mecki nicht hin so wie das die Geißen tun. Mecki kippte einfach nach links weg auf die Seite, streckte seine vier dünnen Beinchen aus und blieb liegen. Ich hörte nur sein Schnaufen. Ein Walroß könnte sicher nicht besser schnaufen, als dieses kleine Geißlein. War es die Müdigkeit, oder waren es die vielen neuen Eindrücke, ich weiß es nicht. Ich ließ es liegen und war froh, dass ich meine Ruhe hatte. Lang dürfte das nicht dauern. Darob war ich mir sicher. Ich packte meinen Rucksack aus, schnitt mir eine Scheibe Brot ab und bestrich es mit Butter und ließ es mir schmecken. Ich träumte irgendetwas in die Welt hinein und sah den weißen Wolken nach, die der Wind durch den tiefblauen Himmel trieb und Formen daraus machte, die sich ständig änderten. Dieses Spiel von Wind und Wolken gefiel mir besonders gut. Mein Gott, ich weiß es nicht mehr, wie oft ich beim Figurenraten der Wolkengebilde eingeschlafen bin. Heute waren sie ganz milchig weiß, sodass keine Gefahr eines Gewitters zu befürchten war. Wenn sich die Wolken aber an der Unterseite grau färbten, wurde die Gewittergefahr groß. Ein Gewitter hier heroben im Reich der Adler und der Murmelen konnte sehr gefährlich werden. Da zuckten die Blitze nur so wie rote Pfeile über den Himmel und der Regen prasselte wie aus Kübeln geschüttet herunter. Innerhalb von Minuten war man bis auf die Haut nass. Ich musste die Gewittergefahr erst kennenlernen aus den Wolkenformationen. Oft habe ich sie zu spät erkannt. Meine Geißen und ich hatten hier heroben keine Berghöhle wie die Adler oder Erdlöcher wie die Murmelen, wo wir uns hätten verkriechen können. Es gelang mir nicht immer rechtzeitig, die Gefahr einzuschätzen. Normalerweise trieb ich meine Herde zusammen, trieb sie zur Waldgrenze hinunter und wir suchten Schutz unter den wuchtigen Fichten und Zirbenbäumen. Die Ziegen erkannten die Gefahr meist besser wie ich. Sie versammelten sich um mich, als wollten sie mir sagen: „ Gehen wir, Geißer, es wird bald krachen.“ Ich war schon wieder beim Träumen. Mecki lag noch immer seitlich auf dem Bauch neben mir und rührte sich nicht. Nun beschloss ich, die paar hundert Meter in das Reich der Murmelen zu gehen, mich auf einen Stein zu setzen und dem munteren Treiben dieser hoch interessanten Tiere zuzusehen. Vor allem die Jungen waren es, die es mir mit ihren lustigen Spielen angetan hatten. Ein solcher Knäuel mit einem frechen Gesicht interessierte mich besonders. Dieses kleine Wolknäuel musste ein richtiger Quälgeist sein. Er zwickte und neckte die anderen Jungen und lief dann pfeifend davon, die anderen hinter ihm her. Meistens hat dieser kleine Quälgeist zu viel Tempo aufgenommen, sodass es ihn oft überschlug. Mit fünf, sechs Purzelbäumen kollerte er dann viele Meter einen steilen Hang hinunter, bis er in einer