Der alte Fontane - Thomas Mann - E-Book

Der alte Fontane E-Book

Thomas Mann

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Unmittelbares und instinktmäßiges Entzücken«, »unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung« empfand Thomas Mann bei »jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzchen« Fontanes. Sein Interesse beruhte zu einem großen Teil darauf, dass er sich selbst positiv in Fontane spiegeln, sich in ihm wieder finden konnte. Doch er arbeitete auch individuelle Charakterzüge heraus: Fontanes Selbstironie, seine Verweigerung eindeutiger Urteile und Stellungnahmen. Er war ein »ungebundener, auf nichts eingeschworener Geist«, der als Theaterkritiker einmal äußerte, er könne eigentlich immer geradeso gut das Gegenteil sagen. Fontanes literarische Steigerung und seine »menschliche Verjüngung« im Alter beeindruckten Mann zutiefst. Der Essay von 1910 – einer von Manns meistgelesenen – hatte einen durchgreifenden Einfluss auf die Fontane-Rezeption und trug maßgeblich dazu bei, ihn als Klassiker zu etablieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 47

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Mann

Der alte Fontane

Essay/s

Fischer e-books

In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk

{245}Der alte Fontane

Ein neuer Band von Briefen Theodor Fontanes ist erschienen, – etwas ganz Entzückendes. Wir haben nun die beiden Bände der Familienbriefe und zwei mit Briefen an seine Freunde. Sind noch mehr da? Man soll sie herausgeben! Und zwar meine ich namentlich solche Äußerungen, die aus späten Tagen stammen, Briefe des alten Fontane; denn die des mittleren und jungen sind im Vergleich damit unbeträchtlich. Scheint es nicht, daß er alt, sehr alt werden mußte, um ganz er selbst zu werden? Wie es geborene Jünglinge giebt, die sich früh erfüllen und nicht reifen, geschweige denn altern, ohne sich selbst zu überleben, so gibt es offenbar Naturen, denen das Greisenalter das einzig gemäße ist, klassische Greise, sozusagen, berufen, die idealen Vorzüge dieser Lebensstufe, als Milde, Güte, Gerechtigkeit, Humor und verschlagene Weisheit, kurz, jene höhere Wiederkehr kindlicher Ungebundenheit und Unschuld, der Menschheit aufs vollkommenste vor Augen zu führen. Zu Diesen gehörte er; und es sieht aus, als habe er das gewußt und es eilig gehabt, alt zu werden, um recht lange alt zu sein. 1856, mit siebenunddreißig Jahren, schreibt er an seine Frau: »Daran, daß ich anfange, an Musik Gefallen zu finden, merk’ ich deutlich, daß ich alt werde. Musik und die schönen Linien einer Statue fangen an, mir wohlzuthun; die Sinne werden feiner, und die erste Regel des Genusses lautet: Nur keine Anstrengung! In der Jugend ist das Alles anders.« Dreiundzwanzig Jahre später schreibt er an seinen Verleger Hertz: »Ich fange erst an. Nichts liegt hinter mir, Alles vor mir, ein Glück und ein Pech zugleich. Auch ein Pech. Denn es ist nichts Angenehmes, mit Neunundfünfzig als ein ›ganz kleiner Doktor‹ dazustehen.« Vierzig Jahre später giebt er sein Meisterwerk …

{246}Man betrachte seine Bildnisse: das jugendliche im ersten Bande der Briefe an seine Freunde etwa neben der späten Profilaufnahme, die den Nachlaßband schmückt. Man vergleiche das blasse, kränklich-schwärmerische und ein Bischen fade Antlitz von dazumal mit dem prachtvollen, fest, gütig und fröhlich dreinschauenden Greisenhaupt, um dessen zahnlosen, weiß überbuschten Mund ein Lächeln rationalistischer Heiterkeit liegt, wie man es auf gewissen Altherren-Porträts des achtzehnten Jahrhunderts findet, – und man wird nicht zweifeln, wann dieser Mann und Geist auf seiner Höhe war, wann er in seiner persönlichen Vollkommenheit stand.

Dies Bild zeigt den Fontane der Werke und Briefe, den alten Briest, den alten Stechlin, es zeigt den unsterblichen Fontane. Der sterbliche, nach Allem, was man hört, war mangelhafter und hat die Leute wohl oft enttäuscht. Er ist Siebenzig, als er zu seiner Tochter von der Kraft und Frische spricht, die zum Vergnügen viel mehr noch als zum Arbeiten gehöre, und gesteht, daß die Frage: »Was soll der Unsinn?« ganz und gar von ihm Besitz zu nehmen drohe. Aber er bildet sich wohl nur ein, daß er jener Art Frische je recht eigentlich theilhaft gewesen ist, und er hat wohl nur vergessen, daß der mißmuthige Quietismus der »berühmten Frage« ihn mehr oder weniger zu allen Zeiten besessen hat. »Um sich hier zu amusiren«, schreibt er, siebenunddreißigjährig, aus Paris, »bedarf es gewisser guter und schlechter Eigenschaften, die ich beide nicht habe. Zunächst muß man Französisch können; und das ist eine große Tugend, die ich nicht habe. Außerdem muß man Libertin sein, Hazard spielen, Mädchen nachlaufen, Rendezvous verabreden, türkischen Tabak rauchen, das Billardqueue zu handhaben wissen und so weiter. Wer von Alledem nichts hat und weiß, der ist ein verlorenes Subjekt und thut gut, seine Koffer zu {247}packen, wenn er sich den Schwindel angesehen und seine Kunstvisiten im Louvre und in Versailles beendet hat.« Das ist eine etwas grämliche Äußerung für einen Mann in der Blüthe der Jahre, der zum erstenmal Paris auf sich wirken läßt. Aber es ist die Äußerung einer geistig beladenen, von der Verpflichtung zur Produktion absorbierten Existenz, die sich zum Vergnügen nothwendig übellaunig und widerwillig verhält; und es ist namentlich die Äußerung einer zwar dauerhaften und zu späten Meisterleistungen bestimmten, aber nervös gequälten Konstitution, für welche die Jugend kein angemessener Zustand war und die zur Harmonie eigentlich erst im Alter gelangen konnte, wo weder wir selbst noch die anderen »Frische« von uns verlangen, und wo die Frage: »Was soll der Unsinn?« zu einer natürlichen, menschlich erlaubten und darum sympathischen Grundstimmung wird.

Seine nervöse Verfassung muß eine gewisse Ähnlichkeit mit der Wagners gehabt haben, der freilich munter bis zur Albernheit sein konnte, in dessen langem, ergiebigem Schöpferleben das Gefühl des Wohlseins aber eine Ausnahme gewesen zu sein scheint; der, konstipirt, melancholisch, schlaflos, allgemein gepeinigt, sich mit dreißig Jahren in einem Zustand befindet, daß er sich oft niedersetzt, um eine Viertelstunde lang zu weinen; der vor der Beendung des »Tannhäuser« zu sterben fürchtet und mit fünfunddreißig Jahren sich für zu alt hält, um die Ausführung des Nibelungenplanes zu unternehmen; der fortwährend erschöpft, jeden Augenblick »fertig« ist, mit Vierzig »täglich an den Tod denkt« und mit fast Siebenzig den »Parsifal« schreiben wird. Der Temperamentunterschied ist groß, und bei Fontane ist Alles kühler, gemäßigter. Aber seine Briefe geben Kunde von seiner raschen Erschöpfbarkeit, seiner inneren Gehetztheit; und offenbar hat er nicht geglaubt, es zu hohen Jahren zu bringen. Wenn er mit siebenunddreißig sich {248}