Der Anfang ist Musik - Christine Lange - E-Book

Der Anfang ist Musik E-Book

Christine Lange

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Beschreibung

Svea beginnt eine Ausbildung zur Musiktherapeutin. Dort lernt sie Timo kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Sie verlieben sich ineinander. Aber dann passiert ein schrecklicher Unfall, der Sveas Leben komplett auf den Kopf und alles in Frage stellt...

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Über den Autor:

Christine Lange ist 1990 in Halle (Saale) geboren und aufgewachsen.

Nach der Schule hat sie eine Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Bibliothek absolviert. In diesem Beruf arbeitet sie bis heute.

Geschichten schreibt sie seit ihrer Kindheit.

Allerdings mehr für sich allein. Doch mit der Veröffentlichung ihres ersten Buches hat sich das geändert.

Mail: [email protected]

Instagram: @christinelange.autor

Facebook: www.facebook.com/christinelange.autor

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Playlist

Danksagung

Quelle

Anmerkung

Kapitel 1

Ich liege hier und starre an die Zimmerdecke. Mein Leben ist vorbei. Vor ein paar Tagen war noch alles in Ordnung. Ich hatte Träume und Ziele. Und jetzt ist alles vorbei. Ich hätte nie gedacht, dass sich das Leben innerhalb von Minuten so radikal ändern kann. Plötzlich kann ich mein Leben begraben und nichts ist mehr wie vorher.

Ich schnappte mir die Zeitung und zog mich in mein Zimmer zurück.

„Hey! Wiedersehen macht Freude“, rief mein Vater mir hinterher. Ich verdrehte die Augen. Natürlich würde ich die Zeitung wiederbringen. Mich interessierten nur die Stellenanzeigen.

Ich suchte sie heraus und entschloss mich, meinem Vater den Rest der Zeitung gleich zurückzubringen.

„Da hast du deine geliebte Zeitung. Es fehlen lediglich die Stellenanzeigen. Vielen Dank“, sagte ich.

Schnell verschwand ich wieder in meinem Zimmer, bevor mich mein Vater in ein Gespräch verwickeln konnte. Ich legte mich auf mein Bett und fing an, die Anzeigen zu lesen. Es gab eine Menge Annoncen. Angestellte im Call Center, im Krankenhaus, in Pflegeheimen und mobilen Pflegediensten, in der Verwaltung und sogar bei der Zeitung wurden unter anderem gesucht. Aber das war alles nichts für mich.

Ich wollte etwas mit Musik machen. Verschiedene Sachen hatte ich schon ausprobiert. Ich hatte Praktika in den Berufen Musiklehrerin, Verkäuferin im Instrumentenladen und sogar als Tonstudiomitarbeiterin gemacht. Aber bei all diesen Berufen fehlte das gewisse Etwas. Was auch immer dieses Etwas war...

Doch plötzlich stieß ich auf eine Anzeige:

Sie lieben Musik? Sie spielen ein Instrument? Dann haben wir genau das Richtige für Sie!

Wir bieten Ihnen:

eine Ausbildung zum Musiktherapeuten

(m/w/d)

parallel ein Studium an einer renommierten

Fachhochschule

eine ansprechende Vergütung während der

Ausbildung

Übernahmechancen nach erfolgreichem

Ausbildungsabschluss

Sie besitzen folgende Qualifizierungen:

Einfühlungsvermögen und Kontaktfreude

Offenheit im Umgang mit behinderten

Menschen

Geduld

psychische Stabilität

Spaß daran, andere anzuleiten

Treffen diese Punkte auf Sie zu? Dann würden wir uns über ein persönliches Gespräch freuen.

Bitte melden Sie sich telefonisch oder persönlich im Behindertenwohnheim Regenbogen.

Wow! Ich war begeistert. Dieser Job könnte das Etwas beinhalten, welches ich die ganze Zeit gesucht hatte. Schnell rannte ich aus meinem Zimmer. Ich musste meinen Eltern unbedingt diese Annonce zeigen.

„Mama, Papa. Seht euch das an“, rief ich aufgeregt.

„Was ist denn passiert, Schatz?“, fragte meine Mutter besorgt. „Beruhige dich erst einmal.“

Ich zeigte auf die Anzeige. „Was haltet ihr davon?“

„Also, ich finde das klingt gut“, sagte mein Vater, nachdem er die Stellenanzeige aufmerksam studiert hatte.

„Ja, klingt nicht schlecht“, antwortete meine Mutter zustimmend. „Hast du da schon angerufen?“

„Nein, noch nicht. Ich wollte erst eure Meinung hören“, erklärte ich.

„Na, dann Marsch ans Telefon. Sonst ist die Stelle weg“, forderte mich mein Vater auf.

Ich holte mir gleich das Telefon und wählte mit zitternden Fingern die Nummer aus der Anzeige. Es klingelte ein paar Mal.

„Behindertenwohnheim Regenbogen. Ludwig am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“, meldete sich schließlich eine Männerstimme. Ich erstarrte. Was sollte ich sagen? „Hallo?“, fragte der Mann am anderen Ende.

„Äh … Hallo“, antwortete ich, um Worte ringend. „Mein Name ist Svea Andersen. Ich interessiere mich für Ihre Ausbildungsstelle als Musiktherapeut.“ Gespannt lauschte ich ins Telefon.

„Das ist aber schön, Frau Andersen“, antwortete Herr Ludwig. „Darf ich Sie zu einem persönlichen Gespräch einladen?“

„Gern“, sagte ich über beide Ohren grinsend. Meinen Eltern zeigte ich schnell einen Daumen nach oben. Sie lächelten mir aufmunternd zu.

„Super. Wann passt es Ihnen denn?“, fragte in dem Moment Herr Ludwig.

„Ich bin ganz offen. Sagen Sie mir einfach eine Zeit und ich werde da sein“, antwortete ich fröhlich.

„Okay. Dann...“, erwiderte Herr Ludwig nachdenklich. „Wie wäre es gleich morgen 10:00 Uhr?“

„Ja, das passt gut“, erwiderte ich. „Was für Unterlagen benötigen Sie?“

„Ach wissen Sie, Frau Andersen, ich halte nicht so viel von Lebensläufen und Zeugnissen. Bringen Sie einfach sich selbst mit, das reicht“, gab Herr Ludwig zurück.

„Okay“, mehr brachte ich vor Erstaunen nicht heraus.

Ehe mir eine einfallsreichere Antwort einfallen konnte, fragte der Mann am anderen Ende: „Wissen Sie denn, wie sie zu uns kommen?“

„Ich fürchte nicht so genau“, antwortete ich kleinlaut.

„Kein Problem. Ich erkläre es Ihnen.“ Ich sah seine Belustigung über meine Naivität förmlich vor mir. „Das Behindertenwohnheim liegt in der Bäckerstraße.“

„Ah! Da weiß ich, wo es ist“, fiel ich ihm ins Wort.

„Wirklich?“, fragte er sofort nach.

„Ja, ich wohne sozusagen um die Ecke“, bestätigte ich ihm.

„Na, umso besser“, antwortete Herr Ludwig beschwingt. „Dann also bis morgen. Ich freue mich auf Sie, Frau Andersen.“

„Ich mich auch auf Sie, Herr Ludwig. Bis morgen.“ Damit legte ich auf.

„Und?“, fragten meine Eltern wie aus einem Mund.

„Morgen darf ich zum Vorstellungsgespräch“, erwiderte ich und lächelte breit.

„Das ist doch super“, antwortete meine Mutter ebenfalls freudestrahlend.

„Ja, ich muss mich noch ein bisschen vorbereiten und dann gehe ich früh ins Bett, damit ich morgen ausgeschlafen bin“, legte ich fest.

„Mach das, Svea“, stimmte meine Mutter nickend zu.

Daraufhin ging ich in mein Zimmer. Ich legte mich auf mein Bett und überlegte, was morgen für Fragen kommen könnten. So lag ich bis abends da. Glücklich und ein bisschen nervös.

Ich kann bestimmt die halbe Nacht nicht schlafen, dachte ich. Doch dann fielen mir die Augen zu und ich schlief tief und fest.

Kapitel 2

Am nächsten Tag stand ich extra zeitig auf. Ich wollte mich in Ruhe anziehen und pünktlich da sein. Damit konnte man schon die ersten Pluspunkte sammeln.

Hoffentlich geht alles gut, ging mir durch den Kopf.

„Guten Morgen, mein Kind“, erklang die Stimme meiner Mutter. Ich war so erschrocken, dass mir mein Kakao aus der Hand rutschte. „Oh, Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Wieso bist du denn schon auf, Mama?“, fragte ich, den Kakao aufwischend.

Meine Mutter lächelte mich an. „Ich konnte nicht mehr schlafen und da dachte ich mir, ich gucke mal, wie es dir so geht und ob du auch ordentlich frühstückst.“

Ich verdrehte die Augen. „Ich bin so aufgeregt, dass ich nichts runterkriege, außer dem Kakao. Aber das hat sich ja nun auch erledigt.“

„Nichts da“, erwiderte meine Mutter kurzerhand und verschwand in der Küche. „Du kannst nicht mit leerem Magen zum Vorstellungsgespräch.“

An ihrem Tonfall merkte ich, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Außerdem kam sie bereits mit Brötchen, Marmelade, Butter und einem frischen Kakao um die Ecke.

„Iss, mein Schatz“, befahl sie.

„Na schön“, lenkte ich ein. „Wenn ich dann meine Ruhe habe.“ Ich zwang mir ein Brötchen rein. „Ach du je, ich muss los“, rief ich erschrocken, als mein Blick auf die Uhr fiel. Ich zog mich schnell fertig an, schnappte meine Tasche und lief zur Tür.

„Viel Glück, Svea“, rief mir meine Mutter hinterher. „Und melde dich, wenn du es hinter dir hast.“

Draußen war es frisch. Aber die Sonne schien und versprach – zumindest wettertechnisch – einen schönen Tag. Ich versuchte, einen klaren Kopf zu kriegen, während ich durch die Straßen lief.

Als ich in die Bäckerstraße einbog, wurde mir auf einmal übel. Das Wohnheim musste ungefähr in der Mitte der Straße sein. Aufgeregt ließ ich meinen Blick nach links und rechts schweifen. Da war es! Ein großes Gebäude mit einem wunderschön bepflanzten Vorgarten. Auf dem Rasen befand sich ein großes Schild. ‚Behindertenwohnheim Regenbogen‘ stand in großen Buchstaben darauf. Ich atmete einmal tief durch. Dann öffnete ich das kleine Gartentor und betrat das Gelände. Ich schritt schnurstracks auf das Haus zu. Wenn ich auch nur ein bisschen zögerte, würde mich der Mut verlassen. Das wusste ich.

Vorsichtig öffnete ich die Eingangstür und trat ein. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich offenbar eine völlig falsche Vorstellung von einem Behindertenwohnheim hatte. Aus irgendeinem Grund hatte ich ein Gebäude mit Krankenhausflair im Kopf. Steril, weiße Wände, Geruch nach Desinfektionsmittel und ein langer Flur, von dem links und rechts die Zimmer abgehen. Aber dieses Haus sah definitiv nicht nach einem Krankenhaus aus. Es war bunt und groß und freundlich eingerichtet. Ein Haus, in dem eine große, glückliche Familie wohnen könnte.

„Hallo“, ertönte plötzlich eine Stimme. Ich sah mich erschrocken um. Von der anderen Seite des Eingangsbereichs kam ein junger Mann auf mich zu. „Wie heißt du denn?“

„Hallo. Ich … Ich bin Svea“, antwortete ich zögernd. Der Mann gab mir die Hand.

„Das ist aber ein schöner Name“, sagte er. Obwohl er inzwischen direkt vor mir stand, schrie er mich immer noch an. „Ich bin Lars. Ziehst du bei uns ein?“

„Nein. Ich möchte hier arbeiten“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Lars überlegte eine Weile. „Das ist auch toll.“

„Lars? Überfällst du schon wieder unsere Besucher?“, kam eine neue Stimme von rechts. Ein anderer junger Mann kam näher.

Hier scheinen nur Männer zu wohnen, ging es mir durch den Kopf.

„Sie will hier arbeiten, Timo“, schrie Lars begeistert.

„Oh, dann müssen Sie wohl Frau Andersen sein, richtig?“ Überrascht sah ich ihn an. „Ich bin Timo Ludwig. Wir haben gestern telefoniert.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, erwiderte ich und gab Herrn Ludwig die Hand.

Lars sah uns abwechselnd an und wippte dabei von einem Fuß auf den anderen. Anscheinend fiel es ihm schwer, ruhig zu stehen.

„Na, was ist los, Lars?“, fragte Herr Ludwig sanft.

„Darf sie hier arbeiten? Bitte. Ich mag sie“, flehte Lars ihn an.

„Den ersten hätten Sie schon von sich überzeugt“, sagte Herr Ludwig augenzwinkernd in meine Richtung und sorgte damit dafür, dass ich rot wurde.

„Du magst sie bestimmt auch. Sie ist etwas ganz Besonderes. Glaub mir, ich merke sowas“, erzählte Lars aufgeregt.

„Ist ja gut, Lars“, versuchte Herr Ludwig ihn zu beruhigen. „Lass uns zwei erst allein miteinander reden und dann sehen wir weiter, einverstanden?“

„Okay. Aber ich sag dir, du wirst sie mögen!“, versicherte Lars ihm eindringlich.

Ich stand die ganze Zeit nur da und beobachtete die beiden Männer. Anscheinend hatten sie eine besondere Beziehung zueinander. Doch plötzlich drehte sich Lars um und ging.

„Wollen wir in mein Büro gehen, Frau Andersen?“, fragte Herr Ludwig förmlich.

„Ja, gern“, erwiderte ich.

„Bitte folgen Sie mir. Auf dem Weg dorthin kann ich Ihnen das Heim ein wenig zeigen“, bot er an.

„Ich bin gespannt“, antwortete ich. „Aber ich habe schon gemerkt, dass es anders ist, als ich dachte.“

Herr Ludwig musterte mich von der Seite und setzte sich in Bewegung. „Lassen Sie mich raten ... Sie haben gedacht, Sie kommen hier in eine Art Krankenhaus. An jeder Ecke ein Spender mit Desinfektionsmittel, weiße Wände, in den Zimmern nur ein Bett und ein Kleiderschrank. So in etwa?“

„Ja, so in etwa“, gestand ich kleinlaut. „Woher wissen Sie das?“

Er grinste amüsiert, ehe er antwortete: „Das denkt fast jeder, bevor er unsere heiligen Hallen betritt.“ Peinlich berührt sah ich auf den Fußboden. „Hey. Keine Sorge“, sagte Herr Ludwig beschwichtigend. „Das ist nichts Schlimmes. Wenn Sie noch nie in so einem Heim waren, woher sollen Sie dann wissen, wie es hier aussieht. Deswegen will ich Ihnen auch alles zeigen.“

Wir kamen an einer großen Flügeltür vorbei. Da sie offenstand, konnte ich einen Blick in das Zimmer dahinter werfen.

„Das ist unser Speiseraum. Mindestens eine Mahlzeit am Tag essen wir gemeinsam. Das ist sozusagen ein Teil des Pflichtprogramms der Bewohner. Somit sehen wir uns alle jeden Tag und können uns austauschen“, erklärte Herr Ludwig.

„Und die anderen Mahlzeiten?“, fragte ich interessiert.

„Die dürfen auch auf den jeweiligen Zimmern gegessen werden. Aber in der Regel sind immer viele im Speiseraum und essen hier. Es ist angenehmer zusammen zu essen, als allein.“

„Ja, das ist wahr“, stimmte ich zu. Wir gingen weiter und kamen zu einer Tür, auf der ‚Wasseroase‘ in großen, verzierten Buchstaben stand.

„Das haben die Künstler unter unseren Bewohnern gemacht“, sagte Herr Ludwig lachend. Er öffnete die Tür und wir standen in einem riesigen Bad. Es gab ein großes Badebecken darin. „Hier findet unsere Wassertherapie statt. Einige Heimbewohner können sich nur im Wasser gut und frei bewegen. Deswegen gibt es auch diese Hebevorrichtungen am Beckenrand. So können auch die gelähmten Menschen ins Wasser. Sie trainieren hier nahezu alle Muskelgruppen und haben auch noch Spaß dabei.“

„Das klingt gut“, antwortete ich. „Und wozu sind diese anderen … Dinger?“

An den Wänden sah ich einige Wasserdüsen. Außerdem war der Boden nicht eben. Es gab eine Art Berg-und-Tal-Landschaft. Damit konnte ich auf den ersten Blick nichts anfangen.

„Diese Dinger, wie Sie sie nennen, sind unser kleiner Wasserspielplatz“, erwiderte Herr Ludwig lächelnd.

„Oh. Ich dachte, so etwas gibt es nur in Kindereinrichtungen“, rief ich überrascht aus.

„Nein, wir benötigen so etwas auch“, antwortete Herr Ludwig. „Das lässt sich schwer erklären. Wir haben hier sowohl körperlich, als auch geistig behinderte Menschen. Sie nutzen das Spiel mit dem Wasser als Ausdrucksmöglichkeit. Außerdem macht es einen Riesenspaß, sich gegenseitig nass zu spritzen. Aber das werden Sie auch noch merken, wenn Sie hier anfangen sollten.“

Die nächste Tür auf unserem Weg war das Büro von Herrn Ludwig. Vorsichtig trat ich ein und sah mich um.

„Wie gefällt Ihnen mein Büro?“, fragte er gespannt.

„Es ist…“, begann ich vorsichtig. „Nun ja. Es ist anders, als ich es mir vorgestellt habe. Aber so, wie ich Sie bisher kennengelernt habe, scheint es gut zu Ihnen zu passen.“

„Ich weiß. Hier sieht es aus, wie in dem Kinderzimmer eines Fünfjährigen“, gab Herr Ludwig grinsend zurück.

Er hatte schon wieder meine Gedanken gelesen. Und er hatte Recht! Jede Wand war in einer anderen grellen Farbe gestrichen. Blau, gelb, rot und grün. Sein Schreibtisch war über und über mit allem möglichen Kleinkram bedeckt. Er schien gern Überraschungseier zu essen. Außerdem gab es einen Tisch mit 4 Stühlen in seinem Büro. Auf dem Tisch standen einige Brettspiele.

„Ich liebe mein kreatives Chaos“, versuchte er sich zu erklären.

„Ich bin auch ein kreativer Chaot“, gestand ich. „Es gefällt mir. Ich hätte nur so etwas niemals von einem Mann erwartet. Entschuldigung, wenn ich das einfach so sage.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen“, beruhigte er mich. „Ich verstehe das. Außerdem kriege ich das ständig um die Ohren gehauen.“ Jetzt musste ich lachen.

„Und mit wem spielen Sie hier?“, fragte ich neugierig und deutete auf die Brettspiele auf seinem Tisch.

„Mit den Heimbewohnern“, erklärte er knapp. „Am meisten mit Lars, denke ich. Er ist nicht gern allein.“

Ich nickte verstehend. „Sie scheinen eine sehr innige Beziehung zu haben.“

„Das stimmt. Sie werden sicherlich bemerkt haben, dass er eine leichte geistige Behinderung hat. Außerdem fällt es ihm schwer, sich Dinge zu merken. Deshalb spielen wir viel Memory“, erklärte mir Herr Ludwig.

„Aber ist das nicht unfair?“, wandte ich ein.

„Nein, überhaupt nicht. Es fördert die Merkfähigkeit sehr stark“, erwiderte Herr Ludwig. „Außerdem lasse ich ihn natürlich auch manchmal gewinnen.“

„Hört er eigentlich auch schlecht?“, fragte ich.

„Weil er immer so schreit, wenn er redet?“ Ich nickte. „Nein, nein. Im Gegenteil, er hört sehr gut“, sagte Herr Ludwig. „Das laute Reden hängt auch mit seiner Behinderung zusammen. Bei seiner Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und deshalb hat er diese Einschränkungen.“

„Das ist ja schrecklich“, antwortete ich mitfühlend.

„Aber dafür ist er ein ganz besonderer Mensch, auf seine ganz eigene Art“, fügte Herr Ludwig an. „Das werden Sie schon noch merken.“ Wir schwiegen eine Weile.

„Aber jetzt zu Ihnen, Frau Andersen. Sie wollen also bei uns die Ausbildung anfangen“, wechselte Herr Ludwig das Thema.

„Ja, das würde ich gern“, gab ich zurück. Herr Ludwig fragte mich nach dem Grund, weshalb ich unbedingt diese Ausbildung machen wollte. „Weil ich Musik über alles liebe und immer etwas mit Musik machen wollte. Ich habe auch schon verschiedene Sachen gemacht.“

„Und warum sind Sie nicht dabei geblieben?“, fragte er neugierig nach.

„Das ist schwer zu beantworten. Ich denke, es war einfach noch nicht das Richtige dabei“, versuche ich mich zu erklären.

„Hm“, machte Herr Ludwig nachdenklich. „Okay. Das lassen wir mal so stehen. Denken Sie denn, dass unsere Arbeit das Richtige für Sie ist?“

„Ja, ich hoffe es“, sagte ich aufrichtig. Herr Ludwig stand auf und ging eine Runde durch sein Büro. Er schien angestrengt nachzudenken.

Schließlich drehte er sich zu mir um und sagte: „Was halten Sie davon, einen Tag bei uns zur Probe zu arbeiten? Dann können Sie entscheiden, ob Sie hier arbeiten möchten, und ich kann entscheiden, ob ich das auch möchte.“ Ich dachte eine Weile darüber nach.

Was habe ich schon zu verlieren? „Okay. Dann machen wir das so“, beschloss ich kurzerhand. „Wann hätten Sie denn Zeit für mich?“

„Wie wäre es mit … Morgen?“, schlug Herr Ludwig vor.

„Morgen passt mir gut“, erwiderte ich freudestrahlend.

Herr Ludwig ließ sich von meinem Lachen anstecken und sagte: „Gut. Dann sehen wir uns morgen früh um 8:00 Uhr. Dann zeige ich Ihnen auch den Rest von unseremWohnheim.“

„Das klingt super“, erwiderte ich gut gelaunt. Ich stand auf und wollte mich verabschieden.

„Ich bringe Sie noch nach draußen“, sagte Herr Ludwig.

Wir verließen gemeinsam sein Büro und gingen den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren.

Im Eingangsbereich trafen wir auf Lars. „Da bist du ja wieder!“, rief er. „Darf sie jetzt bleiben, Timo?“

„Vielleicht“, antwortete er vage. „Morgen kommt sie erst einmal für einen Tag und guckt sich bei uns um.“

„Super. Ich zeige dir alles“, beschloss Lars sofort.

Ich glaube, ich verstehe, warum Herr Ludwig ihn so mag, ging es mir durch den Kopf.

„Ich freue mich auf morgen“, sagte ich, halb zu Herrn Ludwig und halb zu Lars.

„Bis morgen, Frau Andersen“, verabschiedete sich Herr Ludwig.

„Bis morgen, Svea. Das wird ein toller Tag. Und danach wirst du uns nie wieder verlassen wollen!“, sagte Lars, immer noch viel zu laut.

Ich glaube, ich werde ihn mögen, dachte ich. Nachdem ich beiden die Hand gegeben hatte, verließ ich das Wohnheim.

So schnell ich konnte, lief ich nach Hause. Ich musste meinen Eltern unbedingt erzählen, wie das Gespräch gelaufen war. Außerdem wollte ich mich ein bisschen vorbereiten und etwas über den Beruf im Internet recherchieren. Schließlich hatte ich keine Ahnung, was ein Musiktherapeut machte.

Zu Hause angekommen, erwarteten mich meine Eltern bereits.

„Und wie war's, Schatz?“, fiel meine Mutter gleich mit der Tür ins Haus.

„Es war gut. Morgen mache ich dort einen Probetag und dann sehen wir weiter“, erklärte ich ihr die Kurzfassung des Tages.

„Super gemacht“, sagte mein Vater anerkennend. „Vielleicht ist es endlich genau der richtige Job.“

„Das sage ich dir dann morgen“, erwiderte ich augenzwinkernd. „Auf jeden Fall ist es anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich glaube, ein Bewohner hat sich schon mit mir angefreundet.“

„Das ist doch schön. Dann läuft der Rest auch noch. Du wirst sehen“, freute sich meine Mutter.

„Das hoffe ich wirklich. Drückt mir weiter die Daumen“, bat ich sie.

„Natürlich machen wir das“, versprachen die beiden.

„Gut, danke. Ich werde mich jetzt noch ein bisschen an meinen Laptop setzen. Damit ich morgen nicht als kleines Dummchen dastehe“, erwiderte ich.

Mein Vater nickte. „Das ist gar keine schlechte Idee.“

Damit zog ich mich in mein Zimmer zurück.

Kapitel 3