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Corona hat die Belastung unter den Pflege- und Betreuungskräften noch verstärkt. Wertschätzung und Unterstützung am Arbeitsplatz helfen zwar. Doch letztlich hat es jede Pflege- und Betreuungskraft zum großen Teil selbst in der Hand, wie sie mit dem beruflichen Druck umgeht. Der Stress wird nie verschwinden, aber er lässt sich mindern! Dieses Buch legt dazu den Fokus auf die „Selbstwirksamkeit“ – dahinter steht die Überzeugung, dass sich selbst schwierigste Herausforderungen durch eigenes Handeln wirkungsvoll meistern lassen. Margarete Stöcker beschreibt kompakt eine Fülle von effektiven Methoden zur Stressreduktion: Stressimpfungsprogramme, Verhaltensänderungen (Shaping, Chaining), neue Verhaltensweisen (mit Rollenspielen), Veränderungen dysfunktionaler Gedanken, gesunder Schlaf, Methoden der Entspannung und der Achtsamkeit.
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Seitenzahl: 173
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Margarete Stöcker ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Master of Arts und Master of Sience und Inhaberin des Bildungsinstituts Fortbildungvorort.
»Leben Sie eine gesunde Selbstfürsorge, Sie sind es sich wert.«
MARGARETE STÖCKER
pflegebrief
– die schnelle Information zwischendurch Anmeldung zum Newsletter unter www.pflegen-online.de
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8426-0872-6 (Print)ISBN 978-3-8426-9131-5 (PDF)ISBN 978-3-8426-9132-2 (EPUB)
Originalausgabe
© 2022 Schlütersche Fachmedien GmbH, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannoverwww.schluetersche.de
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Buch häufiger die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich Personenbezeichnungen gleichermaßen auf Angehörige des männlichen und weiblichen Geschlechts sowie auf Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.
Autorin und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autorin noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.
Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept Flöer
Covermotiv: Stephen – stock.adobe.com
Covergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg
Danke
Vorwort
1Pflege – ein Beruf mit Wirkungen und Nebenwirkungen
1.1Die Gegenwart in der stationären Pflege
1.2Hintergründe und Rahmenbedingungen
1.2.1Wandel der Gesundheitsbranche und der Pflegeeinrichtungen
1.2.2Die Ist-Situation in der Gesundheitsbranche der Pflegeeinrichtungen
1.3Die Berufsgruppe der Pflegenden
1.3.1Pflegefachkräfte
1.3.2Pflegekräfte
1.4Die Berufsgruppen des Sozialen Dienstes und Betreuungskräfte
1.4.1Berufsgruppen des Sozialen Dienstes
1.4.2Berufsgruppe Betreuungskräfte
2Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung
2.1Der Weg zu mehr Selbstwertgefühl
2.1.1Entdecken Sie Ihre positiven Eigenschaften
2.1.2Legen Sie eine Schatzkiste an
2.2Eine kleine Anleitung fürs Selbstcoaching
2.2.1Schaffen und verstärken Sie Ihre Körperanker
2.2.2Machen Sie aus Ihren Träumen konkrete Ziele
2.2.3Gehen Sie konstruktiv mit Kritik um
2.3Selbstwirksamkeitserwartung und Pflege
2.4Selbstwirksamkeitserwartung im Sozialen Dienst/ in der Betreuung
3Stress, Arbeitsbezogenheit und Arbeitssucht
3.1Arbeitsbedingter Stress
3.2Kurzer Ausflug in die Stressforschung
3.3Belastungsfaktoren als Ursachen von Stress
4Unverzichtbar: die gute Prävention
4.1Die Verhältnisprävention
4.2Verhaltensprävention
5Die Verhaltensprävention
5.1Checken Sie Ihr Risikoverhalten
5.2Entspannung muss sein
5.3Stressimpfungsprogramme
5.3.1Verhaltensänderungen durch Shaping und Chaining
5.3.2Rollenspiel zum Einüben neuer Verhaltensweisen
5.3.3Dysfunktionale Gedanken verändern
5.4Besser schlafen
5.4.1Entdecken Sie, was Sie wirklich möchten
5.5Entspannungsmethoden für jeden Tag
5.5.1Die Progressive Muskelrelaxation
5.5.2Autogenes Training
5.5.3Fantasiereisen
5.5.4Meditation
5.5.5Yoga Nidra
5.6Bewusst atmen
5.7Achtsamkeitsübungen
5.7.1Achtsamkeitsmeditation
5.7.2Weitere Achtsamkeitsübungen
5.7.3Body-Scan
5.8Entspannungsverfahren mit Bewegung
5.8.1Hatha-Yoga
5.8.2Qi-Gong
5.8.3Die Fünf Tibeter
5.8.4Pilates
5.9Mandala
5.10Für die schnelle Entspannung zwischendurch
5.10.1Klopfen Sie den Stress ab
5.10.2Aktivieren Sie die Thymusdrüse
5.10.3Progressive Muskelrelaxation im Stehen
5.11Beruhigende Massagen
5.12Lachen Sie doch mal!
5.13Spielen Sie wieder
5.14Bewegen Sie sich
5.14.1Feldenkrais
5.15Heute schon getrommelt!
5.16Nutzen Sie die Kraft der Düfte
5.16.1Genussinstruktion »Duft-Erlebnis-Rausch«
5.17Netzwerken tut gut!
6Die Verhältnisprävention
6.1Verringern Sie Stressoren
6.2Passen Sie das Qualitätsmanagement an
6.3Achten Sie auf adäquate Arbeitsumgebung
6.4Gestalten Sie Übergaben, Besprechungen und Fallbesprechungen effizienter
6.5Ernährungsmanagement für alle
6.6Achten Sie aufs Miteinander
7Umsetzung: Das betriebliche Gesundheitsmanagement
8Exkurs: SARS-CoV-2
9Und jetzt sind Sie dran…
Literatur
Register
Dank an das Team der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, besonders an Claudia Flöer von Text & Konzept Flöer, für die Begleitung, an Sie, liebe Leser*innen, denn kein Buch kann ohne Leser*innen existieren. Danke an Markus Binz für die Genehmigungen zum Abdruck der Abbildungen der 5 Tibeter (fotografiert von Ulrich Landsherr).
Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem Mann sowie meinem Sohn, die mir stets motivierend und unterstützend zur Seite standen.
Wer ist der wichtigste Mensch in Ihrem Leben? Vielleicht antworten Sie jetzt spontan: »Meine Kinder, mein*e Partner*in und/oder meine Familie«. Sie sollten jedoch antworten, dass Sie selbst der wichtigste Mensch in Ihrem Leben sind. Denn wenn Sie auf sich nicht achten, können Sie andere – auch Ihre Familie – nicht stützen. Jede Mutter, die mit ihren Kindern eine Flugreise macht, hört bei der Sicherheitseinweisung, dass im Falle eines Druckabfalls die Sauerstoffmasken herunterfallen und sie sich zunächst selbst die Maske aufsetzen müsse und dann erst die Kinder versorgen solle. Macht sie das nicht, kann es sein, dass sie dazu nicht mehr in der Lage ist. Es geht nicht um Egoismus, wenn es um Sie selbst geht, sondern um Selbstfürsorge.
Den ersten Schritt sind Sie schon gegangen: Sie haben dieses Buch gekauft (danke!) oder ausgeliehen (immer eine gute Idee!). Der zweite ist: Sie lesen diese Zeilen. Nun steht nur noch der dritte entscheidende Schritt aus: Sie setzen die Empfehlungen, Tipps und Ideen zur Stressreduktion auch um. Das ist der entscheidende Schritt. Alle Angebote sind selbstverständlich Empfehlungen. Erst wenn Sie sie ausprobieren, können Sie feststellen, ob diese Maßnahmen etwas für Sie sind. Wenn Sie sich ein Kochbuch kaufen und es nur ins Bücherregal stellen, werden Sie davon auch nicht satt. Sie müssen die Rezepte lesen, etwas daraus kochen und essen. Nach dem gleichen Prinzip wenden Sie bitte auch meine Empfehlungen an. Bleiben Sie dran! Dies Buch soll Ihr Begleiter für eine erfolgreiche Selbstfürsorge werden.
Jedoch ersetzt dieses Buch keinen Arzt, Therapeuten oder Coach. Entspannungsverfahren haben auch »Kontraindikationen«, die ernst genommen werden müssen. Doch zunächst starte ich mit einem theoretischen Teil. Ich gebe Ihnen Hintergrundinformationen zum Thema Pflegeberufe bzw. zum Erleben von Stress. Die Komplexität der beruflichen und (privaten) Aufgaben nimmt kontinuierlich zu. Immer mehr Arbeit verteilt sich auf immer weniger Schultern.
Seit vielen Jahren bin ich im Bereich der Pflege tätig, als Krankenschwester, heute Kranken- und Gesundheitspfleger genannt, als Fachkrankenschwester für Psychiatrie, in Leitungsfunktion in der stationären Pflege und als selbstständige Referentin für Einrichtungen des Gesundheitswesens. Ich kenne zahlreiche Facetten der Pflege und Betreuung. Jeder Tätigkeitsbereich hat seine Besonderheiten und Herausforderungen, seine Freuden und Belastungen. Der Pflegeberuf ist ein sehr anspruchsvoller und vielseitiger Beruf. Pflegebedürftige brauchen dringend fachliche und empathische professionell Tätige, damit sie gut versorgt und begleitet werden. Kurzum: Sie brauchen Menschen wie Sie. Jedoch kann nicht bearbeiteter Druck und erlebter Stress dazu führen, im schlimmsten Fall diesen Beruf zu verlassen und/oder selbst zu erkranken. Somit war es naheliegend, mich des Themas Stress zu stellen und Ihnen Möglichkeiten der Neubewertung, der Ver- und/ oder Bearbeitung vorzustellen.
Im Vordergrund der theoretischen Beschreibungen steht die stationäre Langzeitpflege, jedoch sind alle Angebote grundsätzlich für alle Akteure im Gesundheitswesen zu verstehen, in Einrichtungen, ambulanten Diensten und Krankenhäusern. Zu den Akteuren gehören die Mitarbeiter*innen der Pflege, Betreuung, des Sozialen Dienstes, von Hauswirtschaft, Verwaltung, Reinigung und alle weiteren Mitarbeiter*innen des Gesundheitssystems.
Bis zum vierten Kapitel erfahren Sie theoretisches Hintergrundwissen. Dazu gehört die Entwicklung der Pflege und der Einrichtungen der Langzeitpflege. Was das Thema Stress angeht, erfahren Sie, dass es verschiedene Sichtweisen gibt und wie Stress im Körper physiologisch abläuft. Nach einer Vorstellung von Verhaltens- und Verhältnispräventionen geht es ab Kapitel fünf ganz praktisch mit vielen Maßnahmen weiter.
Sie finden in diesem Buch viele Praxisberichte von Mitarbeiter*innen verschiedener Berufsgruppen und aus unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Ich habe viele Gespräche geführt und nicht immer ging es dabei nur um positive Erfahrungen. Jedoch waren die meisten Erfahrungen für die Gesprächspartner*innen angenehm und gewinnbringend.
»Mir fällt immer wieder zwischendurch ein, was alles gemacht werden müsste, aber dann geht es wieder weiter. Es sind ja auch die vielen Kleinigkeiten, Ordnung in den Zimmern machen (...) Wir sind einfach zu wenig, wir brauchen zwei Leute mehr.«1 Dieses Zitat einer Altenpflegerin stammt aus dem Jahre 2003. 19 Jahre später beherrschen die Themen Pflegenotstand, Zeitnot, Stressbelastung, Überforderung und Berufsausstieg das Gesundheitssystem nach wie vor. Wer soll sich um unsere »Alten« kümmern? Arbeitsüberbelastung im Pflege- und Beschäftigungsberuf! Täglich sind derartige Meldungen in sozialen Medien und in öffentlichen Nachrichtensektoren zu lesen und zu hören. Belastungen am Arbeitsplatz in der Pflege nehmen kontinuierlich zu, beispielsweise dadurch bedingt, dass sich Aufgaben zunehmend verdichten und Anforderungen in immer kürzerer Zeit erledigt werden müssen. Zudem steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen (Abb. 1).
Experten erwarten in Deutschland bis zum Jahr 2060 einen weiteren Anstieg an Pflegebedürftigen auf 4,53 Millionen Menschen. Daraus lässt sich schließen, dass sich im Zuge dieser Problematik die Versorgungsengpässe noch verstärken können und dass, vor allem im Hinblick auf den bereits bestehenden Pflegefachkräftemangel, die Zahlen weiter steigen können. Die in der Abbildung 2 dargestellte Prognose des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass der Bedarf an stationären Pflegekräften kontinuierlich wächst. Es wird prognostiziert, dass der Pflegemangel bis zum Jahr 2035 schätzungsweise auf knapp 500.000 offene Stellen für Pflegekräfte ansteigen wird2 (Abb. 2).
Abb. 1: Anzahl der in Pflegeeinrichtungen versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland von 1999–2017 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36438/umfrage/anzahl-der-zu-hause-sowie-in-heimen-versorgten-pflegebeduerftigen-seit-1999/)
Abb. 2: Prognostizierter Bedarf an stationären Pflegefachkräften in Deutschland bis 2035 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/172651/umfrage/bedarf-an-pflegekraeften-2025/)
Diese Tendenz lässt die Aussage zu, dass sich die Arbeit weiterhin verdichten wird. Das nicht ausreichend vorhandene Personal erfährt zusätzliche Anforderungen. Das bedeutet, zu den steigenden Belastungsfaktoren wie die zunehmenden Pflege- und Betreuungsaufgaben bei gleichzeitig immer knapper werdenden Zeitressourcen und großen körperlichen Anstrengungen kommen weitere Faktoren hinzu. Dazu gehören beispielsweise unklar definierte Arbeitsaufträge sowie eine geringe berufliche Anerkennung. Wie empfinden Personen, die in der stationären Pflege tätig sind, diesen Druck im Rahmen ihrer täglichen Arbeit? Wie erleben sie Stress? Verfügen sie über eine Überzeugung, schwierige Anforderungssituationen mit den vorhandenen Kompetenzen bewältigen zu können?
Der Begriff »Stress« wird heutzutage inflationär benutzt, sowohl im Arbeitskontext als auch im privaten Umfeld. Bei in Pflegeeinrichtungen tätigen Personen wird immer weniger von Zufriedenheit gesprochen. Eine Online-Umfrage ergab, dass von 588 Teilnehmern 410 Befragte ihre berufliche Situation als »sehr unzufrieden« bezeichnet haben3. Trotzdem findet täglich in den Pflegeeinrichtungen eine gute Versorgung der Bewohner*innen statt, die geleistete Qualität wird über die bis dato stattgefundene Vergabe von Pflegenoten belegt.4 Das lässt die Vermutung zu, dass dort tätige Personen über eine Vielzahl an Fähigkeiten und Ressourcen verfügen. Durch die Konzentration auf das Stresserleben kann jedoch der Blick zu den eigenen Kompetenzen zur Bewältigung von schwierigen Anforderungen verloren gehen. Daher stellt sich die Frage, inwiefern in der Pflege tätige Personen davon überzeugt sind, diese Anforderungen mit eigenen Kompetenzen bewältigen zu können. Ist die Zeit wirklich ein auslösender Faktor für die Empfindung von Dauerstress? In welchem Zusammenhang steht die Einstellung zur Arbeit im Verhältnis zum Belastungsgrad?
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Beschäftigte in den sogenannten »helfenden Berufe« ein erhöhtes Risiko haben, physisch und psychisch zu erkranken.5 Die ständigen Veränderungen in der Arbeitswelt, teilweise bedingt durch qualitätsfordernde Maßnahmen, die zunehmende Verdichtung der Aufgaben, die Anforderungen der ständigen Ansprechbarkeit sowie die eingeforderte Flexibilität erfordern entsprechende Bewältigungsstrategien. Dazu gehören das Erkennen und die Handhabe der eigenen Fähigkeiten und Ressourcen sowie das Wahrnehmen des eigenen Stresserlebens. Vor allem das Stressmanagement ist ein prominentes und allgegenwärtiges Thema der heutigen Zeit. Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört Stress zu den größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Im Handelsblatt wird gewarnt: »Stress ist ein bisschen wie Klimawandel: Beides wird unterschätzt, und wenn man nichts dagegen unternimmt, endet beides katastrophal.«6
Nerdinger7 beschreibt Belastungen als objektive Faktoren und Größen, die aus der Umgebung auf den Menschen einwirken. Er unterscheidet dabei physische und psychische Belastungen, zu denen beispielsweise die körperlichen Reaktionen und die psychische Wertung einer Situation zählen. Psychische Belastungen beziehen sich in seiner Aussage auf die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn einwirken. Nach Dietrich8 fallen unter Arbeitsanforderungen, die zu Stress führen können, insbesondere Zeitdruck und komplexe Arbeitsinhalte. Gerade Arbeitsbedingungen wie im Kontext der Pflege, die wenig Entscheidungsmöglichkeiten bieten und gleichzeitig durch hohe Anforderungen wie den genannten Zeitdruck und sich widersprechende Arbeitsaufgaben gekennzeichnet sind, sind mit verstärkten Stresserleben verbunden. Vermehrter Stress, einhergehend mit einem subjektiven Gefühl der Überforderung sowie dem Eindruck, die Arbeit gedanklich nicht mehr loszulassen zu können, ziehen potenziell Beeinträchtigungen der Gesundheit nach sich.9
Erfahren Menschen in ihrer sozialen Umgebung Stress, dann werden sie, wie bereits beschrieben, anfälliger für psychische und physische Krankheiten. Diese ätiologische Erkenntnis basiert auf einer langen Geschichte der Stressforschung und ist heute für viele Krankheiten belegt, dazu gehören Erkrankungen des Herz-/Kreislaufsystems, Magen-/Darm-Erkrankungen, Diabetes, Schwächungen des Immunsystems, Störungen im Muskel-/Skelett-System, Depressionen, Panikattacken sowie Burnout.
Im Sozialversicherungsrecht wird Gesundheit als eine der Voraussetzungen zur Arbeits- und Erwerbsfähigkeit einer Person verstanden. Ein gesunder Mensch ist in Bezug auf die an ihn gestellten Anforderungen handlungsfähiger.10
Darüber hinaus ist die Bewertung der eigenen Arbeit ein wichtiger Faktor für die Identifikation mit der Tätigkeit und die Basis für Motivation und Arbeitszufriedenheit. Subjektive Sinnerfahrung resultiert häufig aus dem Erleben der eigenen Wirksamkeit und aus den sichtbaren Ergebnissen der eigenen Arbeit. Des Weiteren spielt die Anerkennung, die von Vorgesetzten, Kolleg*innen und Interaktionspartner*innen, z. B. Bewohner*innen und Angehörigen entgegengebracht wird, eine entscheidende Rolle.
* Vgl. Jacobs 2019
Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und die Teilhabe am Leben. Im Vordergrund steht dabei die psychische Gesundheit, die durch berufliche Belastung, Lebensereignisse und Lebensführung erschüttert werden kann. Die psychische Gesundheit kann jedoch auch durch von außen, wie z. B. durch Unterstützung, Resilienz sowie Lebens- bzw. Arbeitsweisen gestärkt werden. Aus diesen Zusammenhängen können Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden. Zu Beginn ist das Erkennen der belastenden wie auch der stärkenden Faktoren wesentlich.11 Dies kann dem Phänomen vorbeugen, dass viele in der Pflege und Betreuung Tätige wegen der zunehmenden Belastungen erkranken oder den Beruf verlassen.
Abbildung 3 stellt zusammenfassend die wesentlichen Einflussfaktoren auf Pflegekräfte dar. Unterschieden werden organisatorische Bedingungen, Belastungen aus der Umgebung sowie Rahmenbedingungen, die teilweise extern bedingt sein können. Die Abbildung12 zeigt weiterhin Einflussfaktoren, die als belastend oder als stärkend empfunden werden können.
So wird die Theorie von Lazarus vorgestellt (S. 50), der postuliert, dass die Bewertung einer Situation das Resultat des Erlebens sein kann. Analog zu den Einflussvariablen auf Pflegefachkräfte und Pflegekräfte gelten diese Parameter (Abb. 3) auch in Bezug auf die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes und die Betreuungskräfte.
Trotz der beschriebenen Problematik bleiben viele in der Pflege Tätige in ihrem Beruf und fühlen sich physisch und psychisch stabil und zufrieden. Was hält Menschen in diesem Beruf? Verfügen manche über besondere Eigenschaften? Mögliche Ansatzpunkte bieten die Selbstwirksamkeitserwartung, ein besonderer Umgang mit Stress oder eine andere Grundeinstellung zur Arbeit. Die Identifikation solcher Einflussgrößen erweitert nicht nur das Wissen über den Zusammenhang zwischen Stressexposition und psychischer Gesundheit, sondern bietet auch die Möglichkeit, Präventionsmaßnahmen abzuleiten. Somit könnte es gelingen, Menschen mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung und potenziell negativen Einflüssen auf den Gesundheitszustand, auf das Befinden und auf die Belastungsbewältigung zu stabilisieren und zu stärken.
Abb. 3: Einflussvariablen auf die Pflegekräfte (mit * markiert) in Abhängigkeit von ihren Ausprägungen, Ressourcen oder Belastungen.
Wie beschrieben, gelten Stress und Überforderung innerhalb der Erwerbstätigkeit als Risikofaktoren für psychische und physische Erkrankungen. Aus diesem Grund ist eine Senkung dieser Stressoren sehr wichtig. Mit Interventionsmethoden der Verhaltens- und Verhältnisprävention kann dieses Ergebnis erreicht werden. Ziel von Maßnahmen zur Verhaltensprävention ist es, die persönlichen Ressourcen, Stärken und Potenziale der Tätigen zur Bewältigung der Arbeitssituation zu erweitern und zu vertiefen. Werden diese Maßnahmen erfolgreich eingesetzt, können Gesundheit und Lebensqualität gestärkt werden, wodurch sich das Risiko eines Arbeitsausfalls durch psychische und/oder physische Erkrankungen reduzieren oder minimieren lässt.
DefinitionSelbstwirksamkeitserwartung
Selbstwirksamkeitserwartung ist die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können.
»Das Konzept der Selbstwirksamkeit ist inzwischen auf zahlreiche Situationen und verschiedenen Handlungsfeldern erfolgreich angewendet worden, u. a. dokumentiert durch mehr als 500 wissenschaftliche Veröffentlichungen.«13
2019 waren in Deutschland 1,7 Millionen Pflegekräfte tätig, davon 1,1 Millionen in der Krankenpflege und 0,6 Millionen in der Altenpflege. Ein Großteil der Beschäftigten ist weiblich, der Bereich der Pflege ist somit weiterhin eine Frauendomäne. Der Anteil von Beschäftigten in Teilzeitarbeit ist hoch. Die Nachfrage nach Beschäftigten kann über die Arbeitslosenzahlen erfasst werden und die sind in der Kranken- und Altenpflege seit Jahren rückläufig. Dem gegenüber steht eine anhaltend hohe – teilweise steigende – Nachfrage der Einrichtungen vor allem nach Pflegefachkräften. Bei Altenpflegekräften besteht ein bundesweiter Mangel.14
Die im Folgenden beschriebenen Berufsgruppen haben gemeinsam, dass sie zu den sog. »personenbezogenen Berufen« gehören. Sie werden als helfende Berufe bezeichnet, nicht zu verwechseln mit dem »Helfer-Syndrom«.
Info
Der Begriff. »Helfer-Syndrom«, das heißt ein übermäßiger Einsatz von Unterstützung und Hilfe für andere Menschen, wurde in den 1970er Jahren von Schmidbauer geprägt. »Ein typischer Helfersyndrom-Helfer ist unfähig, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu äußern, kann eigene Schwächen nicht akzeptieren und kompensiert diese durch eine Fassade übertriebener Hilfsbereitschaft.«* Das Helfer-Syndrom ist wiederum von der Arbeitsbezogenheit abzugrenzen. Diese wird als ein anhaltendes drängendes Gefühl beschrieben, ständig arbeiten zu müssen.
* Beckmann 2015, S. 19
Bezogen auf die stationäre Langzeitpflege haben die dort tätigen Berufsgruppen den gemeinsamen Nenner, dass sie in einer Einrichtung pflegebedürftige Bewohner*innen versorgen. Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes sind nach § 14 SGB XI »Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.« In § 15 wird der Grad der Pflegebedürftigkeit beschrieben.
Der Wandel der Pflegeeinrichtungen und zugehörigen Berufsgruppen, der sich in den letzten Jahren zunehmend vollzogen hat, wird im Folgenden differenziert vorgestellt.
Die Geschichte der Pflege von Menschen lässt sich so weit zurückverfolgen, wie es Menschen gibt. Ebenso wie es Veränderungen in dem Beruf der Pflege gab, veränderten sich im Laufe der Zeit auch die Angebote für pflegebedürftige Menschen. Beispielhaft wird die Entwicklung der Langzeitpflege vorgestellt. Veränderungen fanden selbstverständlich auch in Krankenhäusern und der ambulanten Pflege statt. Die Entwicklung der Pflegeeinrichtungen, früher als »Heime« bezeichnet, kann in drei Abschnitten15 betrachtet werden:
•1. Generation: Die Einrichtungen dieser Generation zeichneten sich durch einfache, zweckmäßige räumliche Ausstattungen aus und dienten bis zu Beginn der 1960er Jahre primär der Versorgung und Verwahrung von alten Menschen in Mehrbettzimmern.
•2. Generation: Die Heime zwischen den 1960er und 1970er Jahren orientierten sich stark an den Krankenhäusern. Das Alter wurde mehr als Krankheit aufgefasst und somit Heimbewohner*innen mehr als Patient*innen gesehen. Im Vordergrund standen Hygienemaßnahmen und der zunehmende Einsatz von medizinischer Technik.
•3. Generation: Ab den 1980er Jahren veränderte sich die Landschaft der Pflegeeinrichtungen, von der reinen Versorgung zu Einrichtungen mit Wohncharakter für pflegebedürftige Menschen. Es wurde nun versucht, Bedürfnisse von alten Menschen mit den Angeboten in den Einrichtungen zu verbinden. Die Heime wurden zunehmend als ein Zuhause für Bewohner*innen definiert, in denen auch Raum für eine individuelle Versorgung sein sollte.
Die Einführung der Pflegeversicherung am 1. Januar 1995 als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung veränderte das bis dahin bestehende Pflegesystem nochmals grundlegend. Zu diesen Veränderungen gehörte, dass Instanzen künftig die Qualität der Pflegeeinrichtungen kontrollieren und die Einrichtungen verpflichtet wurden, für diese Qualität Verantwortung zu tragen. Zu diesen Instanzen gehören die Kommunen mit ihrem Organ der Heimaufsicht, das Gesundheitsamt sowie der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK, heute MD).
Die Aufgaben sind im Einzelnen:
•Heimaufsicht
– Beratung und Überwachung der Einrichtungen, geregelt über die Heimverträge,
– ergänzend das Personalgesetz, das mit der Heimmindestpersonalverordnung das prozentuale Verhältnis der Bewohner*innen zum Personal bestimmt,
– ergänzend die Heimmindestbauverordnung beim Bau einer neuen Einrichtung
– zusätzliche Wirkorgane: Gewerbeaufsicht, Brandschutzbehörde und Bauaufsicht
•Gesundheitsamt
– medizinische und hygienische Beratung sowie Überwachung
• Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) bzw. MD16
– Beratung und Überprüfung zur Qualitätssicherung
Zu den Veränderungen gehörte auch die Schaffung einer neuen Berufsgruppe, die sog. zusätzlichen Betreuungskräfte. Die Veränderungen im Pflegeversicherungssystem zeigten sich auch am Bewohnerklientel. »Gingen seit der Einführung der allgemeinen Rentenversicherung Menschen praktisch unmittelbar mit Erreichen des Ruhestandes in ein Heim, so sind die gegenwärtigen BewohnerInnen bei ihrem Einzug häufig bereits pflegebedürftig. Damit geht die Tendenz vom Altenheim hin zum reinen Pflegeheim, mit einem deutlich höheren Durchschnittsalter der BewohnerInnen.«17 Nicht nur das Alter der Bewohner*innen nahm und nimmt weiter zu, sondern auch die Intensität der benötigten professionellen Unterstützung. Im Jahr 2013 trat das Pflege-Neuausrichtungsgesetz in Kraft, 2015 das erste Pflegestärkungsgesetz und 2016 dessen zweite Fassung. Diese hatte zum Ergebnis, dass am 1. Januar 2017 der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit eingeführt und aus der Pflegestufe der Pflegegrad wurde. Somit wurde zur Bewertung der Pflegebedürftigkeit ein neues Begutachtungssystem eingeführt. Um die Qualität der Pflegeeinrichtung zu evaluieren, wurden im November 2018 die »Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität« veröffentlicht. Das neue Qualitätssicherungsverfahren besteht aus zwei Komponenten18:
1. Indikatoren für Ergebnisqualität, bestehend aus 98 Fragen, die seitens der Einrichtungen alle sechs Monate an eine Datenanalysenstelle gemeldet werden,
2. Ergebnisse der Qualitätsprüfungen, zusammengesetzt aus den Auswertungen und den direkten Prüfungen in den Einrichtungen.