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Komm mit auf die abenteuerlichste Reise quer durch alle Welten: Die neue magisch-rasante Fantasy-Reihe von Bestseller-Autorin Cressida Cowell für alle Kinder ab 10 Jahren Eine Familie mit magischen Geheimnissen. Ein Kind mit einer mächtigen Gabe. Eine Geschichte aus einer anderen Welt. Eine kleine Warnung vorab: Diese Geschichte enthält Ziemlich Gefährliche Weltraumreisen und noch mehr Ziemlich Gefährliche und Illegale Magie! Nehmt euch in Acht! Die zwölfjährigen Zwillinge K2 und Izzabird O'Hero haben geschworen, die magische Geschichte ihrer Familie strengstens geheim zu halten. Besonders vor ihren Stiefgeschwistern Theo und Mabel Smith, die sowieso schon misstrauisch sind. Und supernervig … Das Einzige, worin sich die vier einig sind: Ihre kleine Schwester Annipeck ist toll! Als Annipeck entführt wird, bleibt ihnen keine andere Wahl, als zusammenzuhalten. Denn einer der vier Geschwister hat eine besondere MAGISCHE GABE. Eine Gabe, die sie in eine andere Welt führt, und vielleicht die einzige Gabe ist, die Annipeck und sie selbst noch retten kann … Weitere Bücher von Cressida Cowell: Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie Wilderwald (2). Die Rache des Königshexers Wilderwald (3). Im Auge des Inselmonsters Wilderwald (4). Die Macht des magischen Versprechens Drachenzähmen leicht gemacht (1) Drachenzähmen leicht gemacht (2). Wilde Piraten voraus! Drachenzähmen leicht gemacht (3). Strenggeheimes Drachenflüstern Drachenzähmen leicht gemacht (4). Mörderische Drachenflüche Drachenzähmen leicht gemacht (5). Brandgefährliche Feuerspeier Drachenzähmen leicht gemacht (6). Handbuch für echte Helden Drachenzähmen leicht gemacht (7). Im Auge des Drachensturms Drachenzähmen leicht gemacht (8). Flammendes Drachenherz Drachenzähmen leicht gemacht (9). Jagd um das Drachenerbe Drachenzähmen leicht gemacht (10). Suche nach dem Drachenjuwel Drachenzähmen leicht gemacht (11). Verräterisches Drachenmal Drachenzähmen leicht gemacht (12). Der letzte Drachenkönig
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Seitenzahl: 348
Cressida Cowell
verbrachte ihre Kindheit in London und auf einer kleinen unbewohnten Insel an der schottischen Westküste. Neben den Aufzeichnungen von Hicks’ berühmten Memoiren hat sie mehrere Bilderbücher geschrieben und illustriert. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Hammersmith, England.
Dieses Buch ist meiner wunderbaren Familie gewidmet Simon, Maisie, Clemmie und Xanny, denn wahre Liebe und Familie sind alles.
»Das Nimmerland ist ›eine Karte der Fantasie eines Kindes‹ …«J. M. Barrie, Peter Pan
Die Originalausgabe erschien erstmals 2022 unter dem Titel
»Which Way to Anywhere« bei Hodder Children’s Books, London.
© 2022 by Cressida Cowell
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2024
© für die deutschsprachige Ausgabe 2024 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Aus dem Englischen von Jan Möller
Text: Cressida Cowell
Cover, Umschlaggestaltung und Innenvignetten: Timo Grubing
(wird vertreten von der Agentur Brauer)
Innenillustrationen: Tobias Goldschalt
Lektorat: Anna-Lena Amend
Hintergründe für Innengestaltung: Shutterstock.com, New York/Kazakova Maryia; Shutterstock.com, New York/Julia August; Shutterstock.com, New York/FotoMirta; Shutterstock.com, New York/DigitalMagus; Shutterstock.com, New York/Andrey_Kuzmin
Layout und Satz: Malte Ritter
E-Book-ISBN 978-3-401-81085-0
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Was, wenn die Fantasiewelten, die du dir ausmalst,Die Karten, die du immer wieder zeichnest,Die Länder, die du mit Wäldern füllstUnd Hügeln, die Inseln, die Meere,
Was, wenn es sie wirklich GIBT?
Dies ist eine Geschichte mit vier Helden.
Wer von ihnen wird wohl dein liebster werden?
Ich bin die Geschichtenmacherin.
Ich habe große schwarze Schwingen, die mich wie einen
Vogel durch Zeit und Raum und Galaxien tragen können.
Ich habe Augen, die in die Herzen der Leute sehen.
Steig auf meinen Rücken und flieg mit mir, Kind, aber klammere dich fest an meinen Hals, denn ich fliege SCHNELL.
Schwarze Löcher machen MIR keine Angst.
Ich kann auf die Größe eines Stecknadelkopfs schrumpfen.
Ich kann mich weiter ausdehnen als das Universum.
Halt dich fest, während ich von Planet zu Planet springe.
Schau meinen Sternenmantel an!
Wie hell er ist. Wie schillernd.
Vertrau mir nicht zu sehr. Denn ich werfe meinen Staub hierhin und dorthin, um dich in gefährliche Richtungen zu lenken. Erst täusche ich einen sicheren Kurs vor, und dann bringe ich dich doch dorthin, wo du nicht hinwillst.
Schau!
Ich springe hoch und höher, aus dieser Welt hinaus, in
Sphären, wo der Sauerstoff für Menschen zu dünn ist!
Wie lange kannst du die Luft anhalten?
Dies ist eine Geschichte aus einer anderen Welt.
Dies ist eine Geschichte AUS EINER ANDEREN WELT …
Also … komm mit mir, wenn du dich traust, und nimm den Welcherweg nach Irgendwo …
Nun komm mit mir, wenn du dich traust,
Und tritt ein in eine Welt, die du noch nie gesehen hast,
Durch das ausgefranste »X«, das der
Stockdegen eines Piraten gerissen hat.
Siehst du diese Welt herüberschimmern von der anderen Seite des Papiers?
Was du für fest gehalten hast, schmilzt dahin.
Und etwas anderes bleibt zurück.
Eine weitere Karte hinter der Karte, die du zuerst gesehen hast?
Vielleicht ist hier ein Schatz vergraben oder es ist ein Grab all deiner Träume.
Du wirst dieselbe Person sein, aber jemand ganz anderes.
Halte einen Moment inne und stell dir vor, wie diese Welt sein könnte …
Stell dir einen Ort vor, der ganz anders ist als alles, was deine Menschenaugen je gesehen haben.
Ich weiß, das geht nicht so leicht, weil es schwierig ist, sich irgendeine andere Welt auszumalen als die eigene, besonders falls du ein Erwachsener bist und deine Fantasie steif und schwerfällig und unnachgiebig geworden ist. Also erinnere dich, wenn nötig, daran, wie es einmal war, ein Kind zu sein, damit du dir diese andere Welt vorstellen kannst. Diesen anderen Planeten.
Der Planet heißt Excelsiar und er hat drei Monde: einen in Blassorange, einen in einem schönen Türkis, einen in Lila und Grün. Die Sonne ist röter als deine Sonne und viele der Gebirge sind gestreift wie Zuckerstangen, fast als wären sie zum Naschen da. Und oh, der Dschungel in dieser Welt! So grün, dass dir von dem Anblick die Augen wehtun, mit Flüssen, die brennen und qualmen.
Der Großteil dieses Planeten ist von einem Ozean bedeckt, der schwarz wie Tinte sein kann und rot wie Wein, und die Lebewesen in diesem Ozean leuchten sternengleich in der prachtvollen Dunkelheit, während sie träge durchs Meer schwimmen. Viele dieser Tiere wirst du aus allerlei Welten im Universum wiedererkennen: Wale, Delfine, Quallen … aber in der endlosen Weite dieses besonders dunklen Ozeans können die Quallen riesig wie Inseln werden, die mit herabhängenden Tentakeln unheilvoll dahindriften.
Es gibt ausgedehnte Kontinente mit Landmassen, die entweder aus finsteren Einöden oder staubumtosten Wüsten oder verschlungenen Dschungeln voller Leben bestehen. Ab und an wird der Urwald von den gestreiften Bergen durchbrochen, die in die violetten Wolken aufsteigen. Und es gibt auf Gaswolken schwebende Städte, bevölkert von allen möglichen Wesen, die du vielleicht für reine Märchen gehalten hast. Die Wolkenkratzer und die Bäume in den Städten haben sich spiralförmig umeinandergewunden, die Straßen können aus brennenden Flüssen bestehen, die Gebäude wachsen jeden Tag ein klitzekleines Stückchen wie große Bambuspflanzen.
Jetzt atme ruhiger, denn im Dschungel auf diesem Planeten sind wahrhaft grässliche Dinge auf der Jagd, erfüllt von einem hungrigen, blutigen Hass auf Menschen. Sie können Angst mehrere Meilen weit riechen, und glaub mir, du willst die Aufmerksamkeit dieser Wesen nicht auf dich ziehen. Du willst sie nicht wittern lassen, dass du hier bist. Sobald du auch nur den winzigsten Hauch von Angst verspürst, sich Schweiß auf deiner Stirn bildet, du ein flaues Gefühl im Magen bekommst, verlangsame deinen Herzschlag.
HALT DIE LUFT AN.
Bist du bereit?
Halt dich gut an den Rändern dieses Buches fest.
Schärfe deinen Verstand.
Öffne die Augen, wisch diese Schmierflecken von deiner Brille, spitze die Ohren.
Klammere dich fest an die Haare in meinem Nacken.
Halt die Luft an.Wir tauchen ein.
Auf dem Planeten mit den drei Monden rannte ein Menschenjunge durch das Dickicht eines wild verschlungenen Dschungels. Sein Herz hämmerte, seine Brust bebte vor Schluchzen, er war vollkommen verängstigt.
Dieser Junge wurde K2 genannt (ausgesprochen »Key Tu«) und er sah recht gewöhnlich aus, dürr wie ein Zweig, von Schrammen überzogen, seine Kleider waren abgerissen und seine Brille war so mitgenommen und verkratzt, dass er kaum erkennen konnte, wohin er trat.
K2 hatte allen Grund, sich so zu fürchten.
Denn dies war ein Planet, auf dem Menschen bis zum Tod gejagt wurden.
Über K2s Kopf schwirrte ein fliegender Roboter von der Größe eines Schoßhündchens. Der kleine Roboter hieß Puck und er war in noch schlechterem Zustand als der Junge. Eines seiner Rotorblätter war so verbogen, dass er in Schieflage hing, und ein gutes Stück seiner rechten Seite war weggeschossen worden. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch fliegen konnte.
»Menschenfressende Pflanzen sind hinter uns her …«, sagte Puck.
»Ja, Puck. Ich weiß«, keuchte K2.
Rund um K2 erwachte der Dschungel zum Leben.
»Und dieses Viech, das ich absquoluut nicht erwähnen will …«, sagte Puck (aber leider erwähnte er es trotzdem). »Diese haarige, schaurige, unfortstellbar schreckliche BESTIE … mit ihren Greifern und ihren Stacheln und ihren großen … Wie nennt man die weißen, spitzigen lieblosen Dinger an den auf- und zuklappenden Teilen?«
»Zähne«, keuchte K2. »Aber bitte red nicht darüber, Puck! Wie alles andere hier wittert auch diese Bestie den Geruch von Angst und je mehr du über sie redest, desto schwerer wird es, ruhig zu bleiben …«
Doch das Entsetzen hatte K2s Magen bereits erfasst, und die Vegetation musste den Geruch seiner Angst wahrgenommen haben, denn nahe Schlingpflanzen wickelten sich von Ästen ab und streckten schlanke Tentakelfinger aus, die vor K2s Augen in die Länge wuchsen.
»Kannst … du … irgendetwas … tun?«, schrie K2, als sich eine pythonartig eingerollte Liane träge ausfuhr und K2 zu Fall brachte. Er wand sich aus ihrem Griff, kam schwankend wieder auf die Beine und rannte weiter, jetzt noch mehr hinkend als vorher.
»Laser wären gut!«, rief Puck voller Begeisterung.
»Du hast Laser?«, fragte K2 erfreut.
»Ich HABE Laser!«, erwiderte Puck, stets bemüht, einen guten Eindruck zu machen.
»Dann setz die Laser ein, Puck!«, quiekte K2.
»Ich habe Laser«, gab Puck traurig zu, »aber ich fürchte, meine Laser sind in der Würste vom Sand blockiert worden.«
Ich glaube, er meint »Wüste«, dachte K2, das würde mehr Sinn ergeben.
»Mal sehen … was squabe ich denn sonst noch hier drin?« Puck fuhr einen kleinen Roboterarm mit einer Reihe von Anhängseln aus, wie eine fortgeschrittene Version eines Schweizer Taschenmessers. »Gabel? … Nein … Dosenöffner? … Nein … Eiscremeportionierer? … Nein … Schneebesen? … Nein.«
WIIIIIIIIUUUUUUUUU!
K2 duckte sich gerade noch rechtzeitig, als eine große Harpune über seinen Kopf hinweg und direkt vor ihm in einen Baumstamm schoss. Rund um den Einschlag breitete sich Schwärze aus, als ob der Baum blutete.
Der Baum stieß einen so gewaltigen Schrei aus, dass K2 die Ohren klingelten.
»Tut mir leid, Baum …«, sagte K2, als er an dem armen schrumpfenden Bäumchen vorbeistolperte. »Es tut mir so leid …«
»Mir tut’s auch leid, K2!«, jammerte Puck. »Ich hab nix Hilfreiches!«
»Mach dir nichts draus, Puck, das ist nicht deine Schuld, du hast dein Bestes gegeben …«
K2 war in großen Schwierigkeiten, doch er wusste, dass sich sein Roboter ebenfalls in fürchterlicher Gefahr befand.
»Versteck dich in meinem Rucksack«, schlug er vor. »Sie hassen Roboter fast ebenso sehr wie Menschen. Geh da rein und verhalte dich ruhig, dann finden sie dich vielleicht nicht. Das ist ein Befehl, Puck!«
Der kleine Roboter tauchte in K2s Rucksack ab, denn Roboter müssen Befehlen Folge leisten, selbst wenn sie nicht wollen.
K2 konnte die Bestie, die sie verfolgte, jetzt riechen. Es war ein schwerer, beißender Gestank, und er erinnerte ihn vage an den Löwengeruch, den er von einem Besuch im Zoo kannte. Doch dieser Gestank hier war weit kräftiger und wütender, und er verdrängte das schwache Echo des Löwenkäfigs und ersetzte es durch etwas viel Furchteinflößenderes.
Die Bäume zogen ihre Äste zurück, um den getroffenen, vergifteten Baum mit beruhigendem Murmeln zu trösten. Aber weil sich die Erde unter ihm wölbte und die Blätter am Boden erzitterten, wusste K2, dass sich ihre Wurzeln zugleich heimlich durch den schweren Schlamm gruben und jetzt jeden Moment hervorbrechen würden, um ihn am Knöchel zu packen …
Und wenn sie ihn zu fassen bekamen, würde sich die Bestie auf ihn stürzen.
WOOOOOOOAAAAAAARRRRRRRR!
Das plötzliche Brüllen hallte durch den Dschungel und stürmte auf K2 ein, als würde er von einer riesigen Meereswelle erfasst. Als das Geräusch tief in sein Innerstes drang, wusste er nicht mehr, ob er vor der Bestie davonrannte oder auf sie zu.
Und die Bestie schnappte ihn.
Oder genauer gesagt, eine weitere Ranke wickelte sich um K2s Knöchel, um ihn zu Fall zu bringen, und obwohl er sie abschütteln konnte, stolperte er, und dieses kurze Straucheln erlaubte einer neuen Ranke, seinen anderen Fuß zu packen. Er wurde zu Boden gerissen und innerhalb von fünf Sekunden komplett in Lianen und strickdicke Pflanzenstiele gewickelt …
… und dann über den Dschungelboden zur Bestie geschleift.
Und mir wird gerade bewusst, dass es eigentlich auch gar nicht der Beginn der Geschichte ist.
Also heb dir deinen äußerst angemessenen, Herzklopfen erregenden, eiskalten Schrecken vorerst auf, denn wir machen erst mal nicht in dieser gefährlichen Welt weiter. Wir warten noch, bis du besser vorbereitet bist.
Während K2 wer weiß WELCH grauenvollem Schicksal entgegengezogen wird, gehe ich einfach zurück und erkläre, wie und warum es dazu kam, dass er überhaupt so weit weg von zu Hause war.
Denn K2 war weit, weit, WEIT weg von zu Hause.
Moment, ich seh mal eben auf meinem Tablet nach, dort habe ich den offiziellen Reiseführer zu allen Welten im Universum … Ja, ich habe mich nicht geirrt.
Sooooooooooooo viele Male »weit« weg, dass es hier auf diesen Seiten keinen Platz gibt, sie alle unterzubringen.
Ich weiß nicht, wer du bist, liebes Lesewesen – du könntest praktisch irgendwo in all den unzähligen Galaxien leben. Vielleicht ist dieser Planet dir also gut bekannt oder aber du hast einen ziemlich langen Weg bis dorthin. Aber während du in das seltsame rechteckige Portal dieses Buches fällst, stell dir vor, du fällst durchs All, Meile für schwarze Meile. Denk an eine Zahl und multipliziere sie mit einer Milliarde.
Von morgens bis mittags wirst du fallen … bis du plötzlich in K2s Heimat ankommst, einem kleinen und unwichtigen blauen Planeten namens Erde.
Der offizielle Reiseführer zu allen Welten im Universum
UNIVERSUMSREGIERUNG
Alternativer Atlas
PLANET ERDE.
ALLE MAGIE HAT DIESEN
PLANETEN VERLASSEN.
… ODER DOCH NICHT?
Einst gab es Magie hier auf der Erde.
Einst gab es Drachen.
Die Erde, auf der du gerade stehst, ist tatsächlich auf Abertausenden von Jahren menschlicher Intelligenz in Form von Geschichten gebaut, wie Schicht um Schicht aus Kalkstein, Kreide, Ton und Basalt.
Viele dieser Geschichten beschrieben Magie in all ihrer Herrlichkeit und ihren Erscheinungsformen.
Erst hier auf dieser dünnen kleinen Schicht der Gegenwart glauben Menschen NICHT an Magie, im Gegensatz zu den Jahrtausenden menschlicher Existenz, als sie es TATEN.
Alles, worum ich dich bitte, ist, dir jetzt vorzustellen …
Was, wenn manche dieser Geschichten wahr wären?
Dies ist eine Geschichte einer sehr modernen Magie, die nicht weit weg in der Dunkelheit der Bronzezeit vergraben ist oder im Nebel der Wikingerzeit, sondern sich gleich hier vor deinen Augen verbirgt, direkt vor deiner Nasenspitze, so nah, dass du sie berühren kannst.
Denn die Menschen, die jetzt auf der Erde leben, ahnen absolut nichts von der Menge an Spezies und Welten und unglaublichen Wesen mit ihren eigenen dramatischen Kriegen und Liebesgeschichten und Lebensschicksalen, die nur knapp außerhalb der Sicht der Erdenbewohner liegen, jenseits dessen, was diese begreifen können.
Ist das nicht witzig?
Wir müssen etwas näher heran, zu einem unspektakulären, nassen und windigen Teil des Planeten Erde, an einer seiner Küsten.
Denn wir besuchen die Erde zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt, als eine ganz bestimmte Familie fatalerweise das Interesse der skrupellosesten, herrischsten, fürchterlichsten Köpfe in den Unendlichen Galaxien erregt hat.
Und aufgrund dessen ist jetzt jedes einzelne Lebewesen auf dem Planeten Erde in Gefahr, selbst die lieblichen Vögel und die ruhigen Meeresbewohner, die ganz gewiss nichts getan haben, um solch ein gnadenloses Schicksal zu verdienen.
So steht also schon am Anfang der Geschichte ziemlich viel auf dem Spiel. Besonders wenn du zufällig selbst vom Planeten Erde kommst, denn dann könnte dir einiges an ihm liegen.
Also halt dich wieder an meinen Flügeln fest.
Schärf deinen Verstand.
Fass dir ein Herz.
Wir tauchen ein.
Als K2 am Morgen zuvor in seinem Zimmer aufwachte, hatte er noch nicht einmal von dem Planeten gehört, auf dem er nur einen Erdentag später um sein Leben kämpfen würde. Er war noch nicht dem kleinen Roboter begegnet, der ihn begleiten sollte. Und er wusste noch nichts von der Existenz von Leben in anderen Welten.
Während er auf dem Schulweg durch einen bitterkalten Hexenwind stapfte, der über diesen nassen, vergessenen Landstrich des Planeten Erde blies, an seiner Nasenspitze brannte und durch drei Kleidungsschichten drang, um seinen Bauch auszukühlen und sein Herz gefrieren zu lassen, sorgte K2 sich deshalb um Mathearbeiten und Sportstunden und ob ihm wieder sein Pausenbrot weggenommen werden würde.
Aber um was er sich wirklich hätte sorgen SOLLEN, das waren die Augen, die ihn verfolgten.
Zwei Paar sehr merkwürdige Augen beobachteten K2 und drei andere sich gegen den Wind krümmende Kinder auf ihrem Weg entlang dieser schlammigen, vereisten Landstraße.
Die Augen – und die Wesen, denen diese Augen gehörten – hätten nicht dort sein sollen.
Man könnte sogar sagen, es waren Augen-aus-einer-anderen-Welt.
Ein Augenpaar gehörte mir, das war also nicht weiter schlimm.
Aber das zweite – oh, das zweite – nun, das war etwas ganz anderes.
Das zweite Paar Augen starrte durch eine nahe gelegene Hecke.
Diese Kinder, musst du wissen, wurden verfolgt, und sie wussten es noch nicht.
Die Kinder gingen alle zur selben Schule. Aber zwei von ihnen hatten die Straßenseite gewechselt, als ob die anderen beiden irgendeine ansteckende Krankheit hätten.
Denn diese zwei Geschwisterpaare, deren Eltern einander geheiratet hatten und von denen jetzt erwartet wurde, dass sie sich darüber freuten, sich bei der Hand nahmen und wie fröhliche kleine Schäfchen gemeinsam herumtollten, um zusammen eine neu vereinte, bis ans Lebensende glückliche, ach-so-moderne Stieffamilie zu bilden …
… kamen nicht wirklich miteinander aus.
Um ehrlich zu sein, nur zwischen mir und dir …
Zum Teil konnten sie sich absolut NICHT ausstehen.
Lass mich dir diese Kinder vorstellen, dann kannst du selbst entscheiden, wen du am liebsten magst.
K2O’Hero kennst du ja schon.
Er war nach dem zweithöchsten Berg der Welt benannt worden, denn er kam aus einer Familie von weltberühmten, sehr klugen Abenteurern und Entdeckern.
Es hätte also ein guter Heldenname sein können.
Aber wenn du nach einem Helden mit dem perfekten Aussehen eines Filmstars, überwältigender Ausstrahlung und erstaunlicher körperlicher Fitness suchst, tja, dann ist K2 nicht der richtige Held für dich.
Er war ein ziemlich unscheinbares Kind, das sich stets größte Mühe gab, nicht aufzufallen. Was sich etwas schwierig gestaltete, weil er so einen nicht-sehr-gewöhnlichen Namen hatte, in einem nicht-sehr-gewöhnlichen Haus wohnte und zurzeit eine nicht-sehr-gewöhnliche Brille mit einem verdunkelten Glas tragen musste, um seine Schwachsichtigkeit zu korrigieren, wodurch er einem kleinen, ernsten, besorgt dreinblickenden Piraten glich.
Aber dies ist nicht nur eine Geschichte über K2, auch wenn ihr ihn zuerst kennengelernt habt.
Es ist eine Geschichte über seine ganze Familie.
Izzabird war K2s Schwester und sein Zwilling. Sie war klein und mitteilsam und unverbesserlich optimistisch, mit einer Menge abstehender Haare und einem äußerst entschlossenen Gesichtsausdruck.
Die meisten Menschen hätten Izzabird als die aufmüpfigste, vorlauteste Zwölfjährige beschrieben, der sie je begegnet waren, aber K2 kannte sie am besten und er hätte gesagt: »Izza ist die wunderbarste Person der Welt. Sie ist klug und lustig und sie kann sich nicht entscheiden, ob sie Präsidentin von allem oder Astronautin wird. Sie redet die ganze Zeit, was toll ist, weil es bedeutet, dass ich nicht reden muss.«
Die anderen zwei Kinder hießen Theo und Mabel und sie hatten ein unglaublich angenehmes Leben in der Hauptstadt gehabt, bevor ihr Vater, Daniel Smith, einen Job in Marshington-Wetmoor annahm und sich lästigerweise in die Mutter von Izzabird und K2 verliebte.
Von all den Kindern hatte Theo das offensichtlichste Heldenpotenzial. Er war im selben Alter wie Izzabird und K2 und er war intelligent und schnell und wurde ohnehin schon von der ganzen Schule als Held angesehen, weil er in allen Schulfächern der Beste und noch dazu so sportlich war. Theo gelang es, zu jeder Zeit schick auszusehen, selbst wenn ein wilder Hexenwind um seine sorgfältig gestylten Haare heulte und vergeblich versuchte, seine Kapuzenjacke umzustülpen.
Mabel war drei Jahre jünger als Theo, und K2 hätte sicher gern mit ihr geredet, wenn Izzabird ihn gelassen hätte. Mabel war nett und ruhig und klein und schüchtern. Vielleicht sind das ja auch Heldenqualitäten? Die Geschichte wird es uns zweifellos noch wissen lassen.
Es gibt nichts Besseres als ein Abenteuer, um herauszufinden, ob du ein Held bist oder nicht.
Alle vier Kinder hatten etwas Wichtiges gemeinsam. Sie waren alle traurig und ziemlich wütend und das aus sehr unterschiedlichen Gründen. Zweieinhalb Jahre zuvor, und zwei Jahre nachdem ihre Eltern sich hatten scheiden lassen, war der Vater von K2 und Izzabird auf einer sehr gefährlichen wissenschaftlichen Expedition verschwunden und wurde seitdem für tot gehalten. Und lange Zeit davor war die Mutter von Theo und Mabel gestorben.
Ein Elternteil zu verlieren, ist schlimm genug, um jedes Kind traurig und wütend zu machen, ganz gleich aus welcher Familie es kommt.
»Das ist Hexenwetter«, sagte Theo düster. »Vielleicht hat eure eigenartige Mutter es heraufbeschworen …«
»UNSERE MUTTER IST KEINE HEXE!!!« (Izzabird musste brüllen, um den tosenden Wind zu übertönen.) »Du bist bloß neidisch, weil unser Vater ein großer Entdeckerheld war und euer Vater so weit entfernt von einem Helden wie nur möglich ist!«
Theo war genauso sauer wie Izzabird, doch er hatte eines dieser Gesichter, die sich kaum etwas anmerken lassen, und seine scheinbare Gelassenheit ärgerte Izzabird noch mehr.
»Sie ist eine Hexe …«, sagte Theo.
Zwar hatten Tausende Jahre lang Menschen auf der Erde an Zauberer und Gespenster und Riesen und Feen und alle Arten von außergewöhnlichen Dingen geglaubt. Aber seit mindestens einem Jahrhundert hatte niemand hier mehr diese Dinge für real gehalten. Die Wissenschaft hatte die Existenz von Magie scheinbar widerlegt.
Doch K2 und Izzabird wussten es besser. Sie wussten, dass Magie existierte, denn sie kamen aus einer Familie mit einer merkwürdigen Magievergangenheit. Einer Vergangenheit, die sie unter strenger Anweisung ihrer Mutter vor allen geheim halten mussten, auch vor den Smith-Kindern.
Theo und Mabel sollten also eigentlich nichts von alldem wissen.
Aber Theo war jemand, der sich seine eigenen Gedanken machte.
Dass alle in seiner Welt meinten, so etwas wie Magie gebe es nicht, ließ Theo nur umso entschiedener daran glauben.
Und besonders misstrauisch war Theo gegenüber den O’Heros.
Mit zusammengekniffenen Augen drehte er sich zu Izzabird um. »Sie sind alle Hexen, deine Mumund deine Großtanten, und eines Tages werde ich es beweisen. Das ist keine geeignete Familie für Mabel.«
»Dann haut doch ab!«, schrie Izzabird. »Ich will euch gar nicht in meiner Familie. Ich HASSE euch!«
Theo schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, während er weiter die Straße hinunterschlenderte, tat so, als kümmerte es ihn nicht und zog Mabel mit sich.
Ach, Hass. Das ist ein schlimmes Wort aus dem Mund eines Kindes an einem solch stürmischen Tag.
Ich kann es dir gleich sagen, Hass wird keinem von ihnen weiterhelfen. Nicht gegen den Tornado, der bald über sie hereinbrechen wird. Um damit fertig zu werden, brauchen sie schon etwas Besseres als Hass.
»An UNS ist gar nichts seltsam!«, tobte Izzabird und schwang drohend eine Faust in Richtung von Theo und Mabel.
Sie war so sehr damit beschäftigt herauszuschreien, wie überaus NICHT seltsam sie und K2 seien, dass ihr etwas entging, das die meisten Leute als in-der-Tat-extrem-seltsam erachtet hätten.
Eine große Zahnbürste mit ein paar fehlenden Borsten war aus Izzabirds Tasche gehüpft und sprang nun auf einer ihrer Schultern auf und ab, um über den heulenden Wind hinweg ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Das ist kein normales Verhalten für eine Zahnbürste, jedenfalls nicht auf dem Planeten Erde.
Sogar ich, die die Szene aus den Schatten heraus beobachtete, hielt die Luft an, als ich die magische Zahnbürste erblickte.
Denn EIGENTLICH SOLLTE ALLE MAGIE DIESEN PLANETEN VERLASSEN HABEN.
Hmmmmmmm.
Das war wirklich eine sehr interessante Familie.
Zum Glück liefen die zwei Smith-Kinder ein gutes Stück weiter voraus und versuchten, Izzabirds Geschrei zu ignorieren, daher entdeckten sie die aufgeregte Zahnbürste nicht.
»Der einzige Grund, warum ihr denkt, dass überhaupt etwas an uns seltsam sein könnte, ist, dass ihr Smiths so LÄCHERLICH gewöhnlich seid!«, rief Izzabird, während die Zahnbürste noch wilder auf ihrer Schulter herumsprang.
»Izza!«, zischte K2 beunruhigt, als er die Zahnbürste entdeckte, und zupfte an ihrer Jacke.
Zu der hüpfenden Zahnbürste gesellten sich inzwischen eine Babyzahnbürste und eine äußerst schnittige elektrische Zahnbürste, die ihren Drehkopf mit einer solchen Dringlichkeit rotieren ließ, dass kleine Funken im Regen sprühten. Verzweifelt versuchte K2, die Zahnbürsten einzufangen, um sie zu verstecken.
»Ihr seid die KÖNIGE der Gewöhnlichkeit!«, schrie Izzabird.
Plötzlich bemerkte auch sie die Zahnbürsten. Sie stieß einen kleinen Überraschungsschrei aus und begann ebenfalls, nach ihnen zu schnappen.
Und dann passierte etwas noch Seltsameres.
Ein Schwarm Krähen flog mit krächzenden Alarmrufen aus den Bäumen in der Nähe.
Die Zahnbürsten hüpften noch ein paar weitere Sekunden in heller Aufregung auf Izzabirds Schulter und dann sprangen sie von ihr hinunter, durch Pfützen und Schlagregen bis hinter die Hecke.
Der Wind nahm einen noch bedrohlicheren, schrillen Ton an, als ob er durch sein Geheul das uralte Volk beschwören wollte, das vor langer Zeit in diesen Breiten gelebt hatte.
»Irgendetwas stimmt nicht …«, flüsterte K2, hob den Blick zum Himmel und sah sich dann in der Gegend um. »Etwas hat die Zahnbürsten verschreckt …« Ihm kam es vor, als würde sich in der Gasse hinter ihnen etwas bewegen.
»Los, hinter die Hecke!«, schrie er.
Theo und Mabel waren so weit vor ihnen, dass sie es nicht zu hören schienen.
»Los, hinter die Hecke!«, rief jetzt auch Izzabird im Rennen, holte Theo und Mabel ein und zog an Theos Rucksack, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, sodass der Reißverschluss aufging und einige seine Bücher heraus in den Dreck fielen.
»Lass meinen Rucksack los, du Nervensäge!«, blaffte Theo und fuhr herum.
Und dann lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, als er sah, wie K2 und Izzabird in das Gestrüpp krochen.
Was in aller Welt TATEN diese O’Heros da?
Theo stellte sich vor Mabel, um sie zu beschützen.
»Habt ihr nicht gehört, was wir gesagt haben? Kommt hinter die Hecke!«, zischte Izzabird.
Etwas an der Dringlichkeit in ihrer Stimme brachte Mabel und Theo dazu, ihr zu gehorchen. Theo griff nach Mabels Hand und sie krochen ebenfalls ins Gestrüpp.
Sie konnten einander atmen hören, ein und aus, ein und aus.
»Was MACHEN wir hier?«, flüsterte Theo, wütend darüber, dass er im Matsch dreckig wurde.
»Psssscht …«, zischte Izzabird.
K2 hatte jetzt alle drei Zahnbürsten fest im Griff. Vor lauter Furcht zitterten ihre kleinen Plastikkörper derart in seinen Händen, dass seine Handflächen vor Schweiß ganz glitschig wurden.
Etwas wirklich Merkwürdiges geschah hier.
Da kam ETWAS die Straße entlanggesprungen.
Dem Etwas gehörte das zweite Augenpaar, das die Kinder ohne ihr Wissen beobachtet hatte. Mit dieser Sorte kannte ich mich ziemlich gut aus, aber ich bin schließlich auch ein bisschen herumgekommen auf den weiten Sternenpfaden des endlosen, staubigen Universums. Für die Augen dieser Kinder muss es höchst ungewöhnlich gewesen sein.
Das Etwas trug einen langen braunen Kapuzenmantel wie der Tod selbst und es war über zwei Meter groß und rannte viel schneller als ein gewöhnlicher Mensch.
In fünf Sprüngen war das ETWAS direkt vor ihnen und da blieb es stehen. Und stehen blieb den Kindern vor Schreck auch das Herz.
Während K2 durch ein fransiges Loch in der Hecke spähte, fühlte er sich vor lauter Angst einem Schwächeanfall nah.
Theos Mathebuch lag dort im Dreck.
Die riesige verhüllte Gestalt schien das Buch sehr aufmerksam zu studieren, als ob sie sich fragte, wohin der Besitzer verschwunden war. Tränen kribbelten in K2s Augenwinkeln.
Der braune Kapuzenmantel bewegte sich ein Stück und für einen kurzen Moment blitzte etwas außergewöhnlich Silbernes darunter auf, doch anders als jegliches Silber, das sie je zuvor gesehen hatten. Es war ein so helles Silber, dass es fast leuchtete, ja strahlte wie eine glühende Aluminiumsonne.
WAS war dort unter dem Mantel?
K2 konnte spüren, wie ihm sein eigenes heißes Blut vor Furcht in die Wangen strömte, und er presste seine kalten Hände daran, um sie zu kühlen.
Alle vier Kinder waren wie erstarrt, versuchten ihre im Kaninchentempo schlagenden Herzen zu beruhigen, um bloß nicht die Aufmerksamkeit dieses potenziellen Jägers auf sich zu ziehen.
Es funktionierte nicht.
Aus der Kapuze kam das unverwechselbare Geräusch eines fast menschlichen Schnüffelns.
Fast menschlich.
Ein leiser, klickender Laut ertönte und Theos Mathebuch ging in Flammen auf.
Und dann drehte sich der Kopf von Was-immer-das-war laaangsam, laaaangsam in ihre Richtung, und oje, oje!
Was sie da sahen, war selbst durch den strömenden Regen gut zu erkennen.
Ein Anblick aus einem Traum – oder eher einem Albtraum.
Aus den Tiefen des braunen Kapuzenmantels blickte ihnen ein Kopf in Form eines menschlichen Schädels entgegen, der glitzernd mit sternförmigen Diamanten geprägt war. So schön war es, wie diese Edelsteine auf dem silbernen Schädelknochen funkelten und strahlten, in einem sanften hellen Licht, das wirklich von den Sternen hätte stammen können.
Und diese Augen!
Kein menschliches Auge zeigte je solch einen herrlichen Regenbogen aus Farben und Mustern, die sich in ständiger Bewegung befanden wie über einen aufgewühlten Nachthimmel ziehende Wolken.
Aber als diese nicht menschlichen Augen sich durch das traurige tropfende Blattwerk brannten, das die Kinder nicht wirklich verbarg, und sich mit stecknadelkleinen Pupillen auf sie einstellten, wandelte sich der Ausdruck in ihnen zu purem Zorn und ein Lichtblitz schoss wie Laser daraus hervor und äscherte das Stück Hecke vor ihnen ein.
Was als Nächstes hätte passieren können, wäre womöglich sehr unschön geworden, aber in diesem Moment wurden die Kinder gerettet und zwar von – na ja, tatsächlich von mir, aber das wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Für die Kinder und das silberne ETWAS im braunen Kapuzenmantel, das dort auf der Straße kniete, klang es wie ein sehr schnell heranbrausendes Auto, und wer oder was auch unter dieser Kapuze steckte, gab einen eigenartigen Laut von sich, wie ein Fluchen in einer unbekannten Sprache.
Und dann, zur unendlichen Erleichterung der aufatmenden Kinder, sprang die verhüllte Gestalt mit gewaltigen Sätzen davon, und das Auto kam mit kreischenden Reifen viel zu schnell um die Ecke geschossen und verschwand gleich darauf wieder, auf der Jagd nach was-auch-immer.
Die Kinder warteten, zitternd, wie gelähmt. Erst als sie das Gefühl hatten, in Sicherheit zu sein und dass niemand zurückkommen würde, krochen sie aus ihrem Versteck.
»Alles in Ordnung bei dir, Mabel?«, fragte Theo im Versuch, seine eigene Angst zu verbergen, und wischte seiner kleinen Schwester den Dreck vom Anorak.
»Was um ALLES IN DER WELT war das?«, sagte K2 schaudernd.
Theo hob die verkohlten Reste seines Mathebuchs auf. »Ich hätte nicht gedacht, dass es hier draußen im hintersten Nirgendwo eine Firma für fortgeschrittene Robotertechnik gibt …«, murmelte er nachdenklich, während ihm vor lauter Sorge, Aufregung und Fragen der Kopf brummte.
»Das zeigt ja nur, wie dumm du bist«, sagte Izzabird, die auch sehr nachdenklich wirkte. »Mitten im Nirgendwo ist doch genau dort, wo man eine Firma für fortgeschrittene Robotertechnik ansiedeln würde.«
»Wir sollten die Polizei informieren«, sagte Theo. »Dieses Ding hätte Mabel ernsthaft verletzen können. Wir haben das hier als Beweis.« Er hielt sein Mathebuch hoch und eilte mit Mabel voraus.
K2 wäre ihnen gefolgt, aber Izzabird untersuchte den Boden an der Stelle, wo das wirklich gruselige ETWAS gekniet hatte.
»Izza, was machst du denn?«, fragte K2 ängstlich. »Ich denke nicht, dass wir hier herumlungern sollten …« Die Zahnbürsten hatten sich aus K2s Griff befreit und versuchten jetzt, hinter Izzabird auf- und abhüpfend, sie wie drei winzige Plastikschäferhunde von dort wegzutreiben.
»Und warum hast du diese Zahnbürsten mit in die Schule genommen?«, schimpfte K2. »Du hast Mum VERSPROCHEN, dass du keine Zauber mehr wirken würdest, schon gar nicht außerhalb unseres Hauses …«
»Na, wenn sie mich keine Magie lehren will«, sagte Izzabird, »dann muss ich mir es wohl selbst beibringen, oder? Ich habe mir bloß ein bisschen belebungstrankartiges Zeug aus Tante Trudies Werkstatt ausgeliehen und es auf die Zahnbürsten geträufelt, um Annipeck zum Lachen zu bringen …«
Annipeck war ihre kleine Schwester.
»Du hast Zeug aus Tante Trudies geheimer Werkstatt gestohlen?«, fragte K2 entsetzt.
»Ja, also, darum geht es doch jetzt gar nicht«, sagte Izzabird schnell. »Ich habe die Zahnbürsten in meinen Schrank eingesperrt, bis die Wirkung des Tranks abklingt, aber sie müssen ausgebrochen sein – wahrscheinlich wollten sie einfach bei mir sein. Ist doch ziemlich süß, oder?«, fuhr sie fort. »Und es war ein Glück, dass sie uns vor diesem Ding gewarnt haben. Ich denke mal, Zahnbürsten haben von Natur aus einen Beschützerinstinkt, weil sie auch von den Zähnen alles Schädliche fernhalten sollen.«
K2 atmete schwer. Die Zahnbürsten sprangen immer unruhiger in den Pfützen herum.
Man musste kein Experte für Zahnbürstenverhalten sein, um zu verstehen, was diese Zahnbürsten damit sagen wollten: Lasst uns hier AUF DER STELLE verschwinden …
»Ich suche nach Hinweisen«, sagte Izzabird aufgeregt. »Aber ich kann keine finden.«
K2 verspürte einen Schauder der Erleichterung. »In dem Fall schick die Zahnbürsten nach Hause und lass uns hier verschwinden.«
Doch die Zahnbürsten wollten sie nicht allein lassen. Izzabird musste sie in ihren Rucksack stecken, neben die Flasche mit der Aufschrift Belebuncks-Tranck und diverse andere Zauber, die Izza von Tante Trudie »ausgeliehen« hatte.
Wärme und Dunkelheit sorgten dafür, dass sie sich zusammenrollten und einschliefen, wobei die Stiele der zwei großen Zahnbürsten sich schützend um die kleine wickelten.
Obwohl es noch regnete und K2 zum Gehen drängte, öffnete Izzabird ihr Planbuch.
Sie markierte OPERATION LIEBESENDE: PLAN, WIE WIR DIE SMITHS LOSWERDEN als »Superdringend« und schrieb dann zwischen die Pläne DAD FINDEN und VON DER SCHULE FLIEGEN: WER IST DIESER KOMISCHE TYP IM KAPUZENMANTEL?
»Wieso willst du von der Schule fliegen?«, fragte K2.
»Weil ich dann zu Hause unterrichtet werden muss«, erklärte Izzabird. »Und Mum und die Tanten werden gezwungen sein, mir beizubringen, wie ich Magie richtig anwende und meine magische Gabe finde. Das sollten sie ohnehin tun. Sieh mich doch an!«, grinste sie. »Ich bin völlig außer Kontrolle!«
Hier musste ich der wilden kleinen Izzabird recht geben. Die Erwachsenen im Leben dieser Kinder sollten ihnen wirklich beibringen, wie man Magie korrekt anwendete. Selbst Nicht-Magische können einen Magietrank benutzen, doch es kann auch danebengehen. Magische nutzen Stecken oder Stäbe, um die Wirkung von Trank oder Spruch zu bündeln, und viele Magische haben eine besondere »Gabe«, die für gewöhnlich zum Vorschein kommt, wenn sie etwa elf oder zwölf Jahre alt sind. Die »Gabe« könnte ein ausgeprägtes Hörvermögen sein oder Teleportation oder, wenn man Pech hat, auch etwas weniger Nützliches, wie die Fähigkeit, sich in eine Qualle zu verwandeln.
Was es auch war, man brauchte eine gute Anleitung in Magie, um seine »Gabe« angemessen einzusetzen. Was um alles in der Welt dachten sich diese Erwachsenen nur?
IzzabirdO’Hero(die GENIALE)
PLANBUCH
Haus der O’Heros
Welcherweg-Kreuzung
Marshington-Wetmoor
Planet Erde
WELTALL
OPERATION LIEBESENDE: *Superdringend*
PLAN, wie wir die Smiths loswerden
DAD FINDEN Ich weiß, dass sie uns anlügen!!!
??? WER IST DIESER KOMISCHE TYP IM KAPUZENMANTEL ???
VON DER SCHULE FLIEGEN
Heutiger Zwischenbericht:
Ich
Theo
Hab Stinkbomben in Theos Rucksack gesteckt.
Hab mich ins Klassenzimmer geschlichen, unverschämte Sachen über Lehrer an die Tafel geschrieben und dann unterzeichnet mit: Herzlich, Theo Smith.
Hat Saft über mein Geschichtsbuch gekippt. Hat unanständige Geräusche hinter Mr Hargreaves Rücken gemacht und dann behauptet, ICH sei es gewesen, aber Mr Hargreaves hat ihm nicht geglaubt. HA.
2:1 für mich. Und 2 extra Häkchen am Plan, von der Schule zu fliegen. Sehr gut.
Ein paar Dinge, die ich aus Tante Trudies Werkstatt habe:
1. Belebuncks-Tranck. An Zahnbürsten ausprobieren? Guter Plan.
In Theos Shampooflasche kippen!! Oder zu krass?
2. Schrumpf-Lozion.
Damit sein Kopf schrumpft
3. Vergesslichkeitspulver. Auf Mum anwenden, gleich nachdem sie mein Zeugnis gelesen hat.
4. Tapletn der wachsenden Liebe. Hmmm. An Tante Violet ausprobieren? GEFÄHRLICH
Izzabird klappte das Buch zu und steckte es zurück in ihren Rucksack, neben die schlafenden Zahnbürsten.
»Ich glaube ja«, sagte Izzabird energisch, »dass das hier etwas mit unserem Dad zu tun hat!«
Ihr Vater war damals auf einer äußerst wichtigen, aber auch hoffnungslosen Mission gewesen, für die er den Grund des Marianengrabens erreichen musste, die tiefste Stelle aller Meere …
… und er kam nie mehr zurück.
Seitdem trugen K2 und Izzabird einen Schmerz im Herzen, der sich anfühlte, als hätten sie einen Stein verschluckt. Einen Felsen. Eine verschlossene Tür.
»Dad ist tot, Izza«, flüsterte K2. »Verstehst du das denn nicht? Darum will Mum uns beschützen. Sie will nicht, dass wir genauso ENDEN wie unser Vater. Sie will, dass wir nicht auffallen und uns nicht in Gefahr begeben.«
»Er ist nicht tot, K2«, sagte Izzabird stur. »Und eines Tages werde ich ihn finden. Sie haben nie erklärt, WIE er verschwunden ist, oder? Warum lügt Mum uns an? Warum hat sie uns diese SMITHS an den Hals gehängt, statt nach unserem wunderbaren Heldenvater zu suchen?«
»Ich weiß es nicht, aber ich mache mir mehr Sorgen um dieses Roboterskelettding«, sagte K2 unruhig. »Ich habe so ein Gefühl, dass es etwas mit uns zu tun hat, selbst wenn es nicht um Dad geht. Und was, wenn Theo allen davon erzählt und die Leute anfangen, Fragen über unsere Familie zu stellen?«
»Ach, Theo!« Izzabird schnaubte verächtlich. »Pfff! Mit Theo werde ich schon fertig … Du machst dir zu viele Sorgen, K2.«
»Das kommt daher, dass ich mich für dich mitsorge«, sagte K2 bedrückt. »Es ist harte Arbeit, sich Sorgen für zwei zu machen.«
Sie rannten den Rest des Weges zur Schule.
O ja, die Kinder befanden sich in Schwierigkeiten.
Schwierigkeiten-aus-einer-anderen-Welt.
Und selbst ich kann ihnen womöglich nicht helfen.
Als ich durch die regennassen Fenster der Schule spähte, stellte sich heraus, dass der Tag K2 noch eine Menge weiterer Gründe zur Sorge bescheren würde.
Zunächst einmal war Theotatsächlich zum Schulleiter gegangen, damit dieser wegen des Roboterskeletts, das sie auf dem Schulweg gesehen hatten, die Polizei rief.
Aber der Schulleiter hatte ihm nicht geglaubt.
Denn Daniel Smith war nicht nur der Schulleiter der Grund- und Mittelschule von Marshington-Wetmoor (es war eine sehr kleine Schule); er war außerdem Theos Vater.
So hatte er nämlich FreyaO’Hero kennengelernt, die in ebendieser Schule Mathematik unterrichtete.
Daniel Smith wollte sich vor der Polizei nicht lächerlich machen.
Deshalb wurden K2 und Izzabird und Mabel in Daniels Büro bestellt, wo Izzabird alles abstritt.
»Also wirklich, ein ›Roboterskelett‹, das es auf Theos Mathebuch abgesehen hat?«, spöttelte Izzabird. »Wie wahrscheinlich ist das?Theo hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, deshalb hat er das Mathebuch angezündet und sich den Rest dazu ausgedacht, und Mabel gibt ihm Rückendeckung, weil sie alles macht, was Theo sagt. Ist es nicht so, K2?« Sie starrte ihren Zwillingsbruder eindringlich an.
K2 nickte widerwillig.
Das erschien Daniel Smith sehr viel glaubhafter als ein auf dem Land randalierendes Roboterskelett.
Und so wurde Theo für sein vermeintliches Lügen getadelt.
Als sie das Büro seines Vaters verließen, war Theos Mund vor lauter Ärger zu einer bleistiftdünnen Linie zusammengepresst. »Ihr zwei seid die Lügner, nicht ich«, sagte er. »K2, du solltest dich von Izzabird nicht zu allem drängen lassen, was sie von dir erwartet. Stimmt’s oder hab ich recht, Mabel?«
»Äh …«, murmelte Mabel.
»K2 denkt immer selbstständig. Ist doch so, oder, K2?«, zischte Izzabird.
»Äh …«, murmelte K2.
»Nimm dich besser in Acht, IzzabirdO’Hero«, drohte Theo.
»Nimm DU dich besser MEHR in Acht, Theo Smith …«, erwiderte Izzabird.
Von da an ging es mit dem Tag bergab.
Izzabird und Theo handelten einander den ganzen Morgen über absichtlich Ärger ein. Izzabird kippte »Schrumpf-Lozion« auf Theos Sport-Shirt. Theo versteckte Izzabirds Englisch-, Mathe- und Chemiehausaufgaben. Izzabird zerbröselte »Tapletn der wachsenden Liebe« auf Theos Fußballschuhen, sodass sie sich magnetisch anzogen und Theo sie nicht mehr auseinanderbekam, sosehr er es auch versuchte. Die beiden wurden mehrmals ins Büro des Schulleiters geschickt.
K2 wiederum bekam zwar keinen Ärger, hatte aber trotzdem einen schwierigen Morgen. Er war Legastheniker, deshalb fand er die Schule manchmal frustrierend, denn obwohl er so tolle Ideen hatte, konnte er sie nicht schnell genug aufschreiben oder richtig buchstabieren. Und dann schoss er im Sportunterricht versehentlich ein Eigentor und seine Mannschaft verlor wegen ihm das Spiel. Dafür bekam er von Angus McDognut einen kräftigen Boxhieb gegen den Arm. Anschließend musste er sich eine Weile auf der Toilette verstecken.
Darum geht es, wenn man lernen will, ein Held zu sein, ermahnte K2 sich streng in Gedanken, während er sich die Augen trocken rieb. Ich wette, wenn MEINEM VATER das passiert wäre, hätte er einfach so getan, als wäre nichts gewesen.
K2 schnäuzte sich die Nase, straffte seine Schultern und marschierte aus der Toilette, wobei er gleich wieder mit Angus McDognut zusammenstieß, der ihm sein Pausenbrot wegnahm, sodass K2 zum Mittag IzzabirdsSandwich mit ihr teilen musste.
Aber es sollte noch sehr viel schlimmer werden.
Das Wetter wurde immer wilder und dazu immer befremdlicher.
Und wo wir gerade von Befremdlichem reden: Am Nachmittag zur letzten Schulstunde der Klasse 7D tauchte nicht wie normalerweise ihre Lehrerin Frau Foremichael auf, sondern ein großer Fremder mit langen schwarzen Handschuhen, der beim Lächeln zu viele Zähne zeigte.
»Ich bin heute euer Vertretungslehrer für Erdkunde«, sagte der Fremde lächelnd. »Denn Frau Foremichael hatte leider einen kleinen Unfall. Ihr ist bei der Vorbereitung ihres Mittagessens im Lehrerzimmer die Hand am Dosenöffner abgerutscht. Es hat schrecklich geblutet, aber sie wird es wohl überleben, dem Himmel sei Dank …« Der Fremde legte sich eine Hand aufs Herz und schloss in frommer Erleichterung die Augen.
Klasse 7D stieß ein überraschtes OHH aus.
Der Fremde öffnete seine boshaft wirkenden Augen und lächelte sie abermals an. »Zum Glück bin ich gerade rechtzeitig aufgetaucht, um den Krankenwagen zu rufen. Und da ich als armer umherreisender Erdkundelehrer auf Arbeitssuche an diese Schule gekommen bin«, erklärte der Fremde aalglatt, »konnte ich meine Dienste als Vertretungslehrer anbieten. Ab sofort.«
Hmm. Was für ein glücklicher Zufall.
»Mein Name ist Professor Cyril Sidewinder«, sagte der Fremde, drehte sich geschwind um und schrieb PROFESSOR CYRIL SIDEWINDER, ARMER UMHERREISENDER ERDKUNDELEHRER in Großbuchstaben an die Tafel, aber in solch einer rasenden Eile, dass das Kreidestück den grässlichsten, unerträglichsten Quietschton von sich gab, bis beim letzten »R« die Spitze abbrach und der Fremde etwas in sich hineinmurmelte, das nach einem unflätigen Schimpfwort klang. Währenddessen war sein Ärmel ein Stück herabgerutscht, sodass eine Totenkopf-Tätowierung mit gekreuzten Knochen auf seinem Handgelenk sichtbar wurde.