Der begehbare Kleiderschrank - Thomas Knittel - E-Book

Der begehbare Kleiderschrank E-Book

Thomas Knittel

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Beschreibung

In seinen Betrachtungen über Sinn und Geschmack geht Thomas Knittel der Botschaft unserer Kleidung auf den Grund. In gleichermaßen unterhaltsamen wie hintergründigen Texten geht er Fragen nach, auf die es letztlich keine Antwort gibt, spielt mit den Worten, die im Inneren der Gewänder verborgen sind, und beschreibt die Mitwirkenden vor und hinter den Kulissen des Kleidermachens und Zurschaustellens. Am Ende scheint es, als sei das Styling auch nichts anderes als Kochen. Zu guter Letzt allerdings öffnet sich der Vorhang für Modesünders Nachtgebet. Illustriert und kommentiert werden die Texte durch Bilder der Dresdner Künstlerin Gabriele Schwanebeck.

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Inhaltsverzeichnis

TRETEN SIE EIN!

MODE UND THEOLOGIE. GELEITWORT VON ANDRÉ THOSS

DAS OUTFIT UND SEINE TEILE

TEIL 1 : FRAGEN, AUF DIE ES KEINE ANTWORT GIBT

WARUM WIR UNS KLEIDEN

KÖNNEN KLEIDER GLÜCKLICH MACHEN?

PASST DAS?

WAS IST SCHÖN?

IST DAS NICHT ZU TEUER?

WER BIN ICH?

WAS TRÄGT MAN ZUM CHABLIS?

TEIL 2 : AUF DEN PUNKT KOMMEN. MODISCHE WORTSPIELE

ANZIEHEN

DER LETZTE SCHREI

HERR SCHICK UND FRAU SCHICKLICHKEIT

ATTRAKTION TRIFFT ABSTRAKTION

WAS DIE HÜLLEN ENTHÜLLEN

UMZIEHEN

VERBOTEN GUT

DAS SAHNEHÄUBCHEN

TEIL 3 : VON KÜNSTLERN, NARREN UND TUCHMACHERINNEN. DIE MITWIRKENDEN IM MODEZIRKUS

DER MODENARR

MEIN ATELIER

DIE TUCHMACHERINNEN

DIE MODEPÄPSTIN

MUSEN UND MODELS

DER MODEVERWEIGERER

DAS PUBLIKUM

TEIL 4 : DAS SAMMELSURIUM DES MODISCHEN GESCHMACKS

EMOTION

KOMMUNIKATION

SPIEL

NEUGIER

STIL

IRONIE

RELIGION

WAS NICHT GENANNT WERDEN DARF

ZUM SCHLUSS : MODESÜNDERS NACHTGEBET

EPILOG : DIE GESCHICHTE HINTER DER GESCHICHTE

TRETEN SIE EIN!

Eine Geschichte voller Rätsel. Diesen Untertitel gab Thomas Mann vor mehr als hundert Jahren seiner Erzählung „Der Kleiderschrank“.

Und tatsächlich steckt dieses Möbelstück bis heute voller Fragen. Freilich sind das häufig andere als sie Thomas Manns Figur Albrecht van der Qualen seinerzeit empfand.

Wie kann ein opulent bestückter Kleiderschrank zugleich so leer wirken? Wie will ich in meinen Hüllen erscheinen? Was möge besser verhüllt bleiben? Welche Offenbarung gebe ich preis? Was steht mir, und wo steht das überhaupt? Welchen Sinn ergibt der Geschmack? Ist da vielleicht gar eine Muse, welche ich mit verspielter Robe zu amüsieren vermag?

Was verrät mir meine Kleidung über mich? Vermag ich den Dresscode zu entschlüsseln? Als Theologe frage ich nach der Seele der Gewänder. Die Geheimnisse im Hintergrund haben mich von jeher fasziniert. Und so lade ich zur Entdeckungsreise in ein unbekanntes Land, in dem wir uns gleichwohl täglich ergehen. Möglicherweise wird sich uns eine ganz neue Welt auftun, wenn wir die „Wunderkammer“ ergründen. Nur zu. Treten Sie ein!

MODE UND THEOLOGIE. GELEITWORT VON ANDRÉ THOSS

Ein Geständnis vorweg – als Aufmacher, sozusagen: Im Gegenzug zu Thomas Knittel habe ich nicht Theologie studiert. Die göttliche Ordnung war mir vielleicht „eine Nummer zu groß“, wie es im Mode-Jargon heißt. Deshalb verschlug es mich zum Studium weltlicher Ordnungen und Gesetze an eine juristische Fakultät. Über meinen mangelnden theologischen Sachverstand könnte ich jedoch mit der Redewendung hinwegtäuschen, dass man „vor Gericht und auf hoher See“ in Gottes Händen ist. Außerdem ließe sich sagen, dass die vorliegenden Zeilen einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen göttlicher und weltlicher Ordnung suchen: Die Kleiderordnung.

Ein zweites Geständnis vorweg – eine allgemeingültige Ordnung in puncto Mode gibt es nicht. An einzelnen Stellen mögen sich Ratschläge oder Vorschriften hierzu finden, aber die Wirkungskreise solcher Ge- und Verbote beschränken sich zumeist auf einzelne Gebäude oder Räume. Weil es also keine Kleiderordnung gibt, haben wir modische Fehltritte vor und hinter uns.

Bisweilen wird uns die Mode selbst hierfür aber exkulpieren. Manches, was uns auf alten Fotografien als modischer Fauxpas vorkommt, war zu seiner Zeit im Trend und chic. Wenn wir uns also für modische Unvorteilhaftigkeit mit dem Satz „Das war damals modern“ entschuldigen, gelingt ein Zirkelschluss, in dem bereits eine überirdische Logik gilt. Nehmen wir zur Verdeutlichung drei Stücke aus der musikalischen Populärkultur. So proklamiert Lord David Paul Nicholas Dundas 1977 „I put my blue Jeans on“, die Neil Diamond mit „Forever in blue Jeans“ bereits ein Jahr später für immer anbehalten will, während das rheinische Frank-Popp-Ensemble 2003 konterte „Hip teens don’t wear blue Jeans“. Also weg mit dem Gedanken, dass es in Modefragen ein richtig oder falsch gäbe und sie in diesem Buch beantwortet werden.

Vielmehr sollen diese Zeilen Brücken der Mode an einen Ort schlagen, wo wir sie vielleicht nicht auf den ersten Blick vermutet hätten: in die Theologie. Hier könnte eine erste Assoziation freilich mit schwarzen Talaren verbunden sein oder dem, was Christoph Magnusson in seinem Roman „Ein Mann der Kunst“ bei der Beschreibung einer Pfarrersfrau als „naturtrüb“ betitelt. Doch dieser Schein trügt.

Eine erste Brücke, die mir zu diesen beiden Themengebieten einfiel, war Goethes „Osterspaziergang“. Nach einem langen, dunklen und müßigen Winter erfreut sich der mit seinem Famulus Wagner spazierende Doktor Heinrich Faust, seines Zeichens Philosoph, Jurist, Mediziner und leider auch Theologe, an der österlichen Auferstehungsbotschaft. „Doch an Blumen fehlt’s im Revier – sie nimmt geputzte Menschen dafür […] Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden“, kommentiert Faust die offenbar auch modisch zum Ausdruck gebrachte Freude der Menschen am äußerlichen und innerlichen Frühlingserwachen. „Selbst von des Berges fernen Pfaden blinken uns farbige Kleider an“ – ein deutlicherer Hinweis auf die Verbindung zwischen Mode und Theologie lässt sich wohl kaum dichten!

Das Verlangen nach Wahrnehmung, Verkörperung, Zugehörigkeit und Schutz – es gilt für Mode- und Glaubensfragen gleichermaßen. Es ist immer abhängig von unserer individuellen Situation, unseren Bedürfnissen und Nöten. Jeden Tag treffen uns Fragen aus beiden Themenbereichen aufs Neue – was ziehe ich heute an? Was schützt mich heute? Was streife ich nach verrichtetem Tagwerk von mir? In den folgenden Kapiteln werden theologische Dimensionen der Mode beschrieben, hinterfragt und gedeutet. Am Ende steht für Mode und Theologie unisono keine geringere Frage, als „Was zieht uns an?“

DAS OUTFIT UND SEINE TEILE

Wenn der Knopf spräche: Ich gehöre nicht zum Outfit, da ich kein Schuh bin. Wäre das richtig? Oder wenn das Hemd spräche: Ich bin kein Mantel und somit für den Gesamteindruck unbedeutend. Wer würde nicht widersprechen? Und wenn der Schal sich nutzlos fühlte, da er doch keine Hose ist. Würdest du ihn für verzichtbar halten?

Wenn die Teile gleich sein wollten, wo bliebe das Zusammenspiel? So aber sind es viele Einzelstücke, das Outfit aber ist ein Ganzes.

Der Strumpf kann nicht sagen zum Hut: Geh fort. Die Weste kann den Gürtel nicht für wertlos erklären. Der Schuh kann dem Querbinder nichts vorschreiben.

Vielleicht sind gar die Teile, die uns schwach erscheinen, die nötigsten. Und die man für verzichtbar hält, könnten sich als unabkömmlich erweisen. Gerade die Unscheinbaren bedürfen hoher Aufmerksamkeit.

Es möge im Outfit keine Spaltung sein, sondern die Teile einträchtig füreinander sorgen. Und wenn ein Teil leidet, so leiden alle Teile mit, und wenn eines geehrt wird, so freut sich die Gemeinschaft mit.

TEIL 1 : FRAGEN, AUF DIE ES KEINE ANTWORT GIBT

Warum heißt der Querbinder Fliege? Gibt es einen Unterschied zwischen Sakko und Jackett? Und wie heißt der Gürtel am Kimono oder die Spitze des Schnürsenkels? Alles leicht zu beantworten. Keine Frage. Die entscheidenden Fragen bleiben aber bis heute rätselhaft.

Warum ziehen wir uns überhaupt an? Können Kleider glücklich machen? Warum kann ich den Kleiderschrank nur mit Mühe schließen und habe doch nichts anzuziehen? Bis heute ist das Reich der Gewänder voller ungelöster Rätsel. Und wird es wohl auf ewig bleiben. Andererseits sind die schönsten unter den Fragen gewiss diejenigen, auf die es keine Antwort gibt. Nun denn.

WARUM WIR UNS KLEIDEN

Adam und Eva. Am Anfang waren sie nackt, offenbar, ohne es selbst zu bemerken. Es schien das Selbstverständlichste der Welt zu sein. Der Nacktheit wurden sie gewahr, als das Gewissen erwachte. Denn sie hatten von der verbotenen Frucht gekostet. In jenem Moment, da ihnen aufging, wie unbekleidet sie waren, flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Es scheint, als ginge die Praxis des Kleidens auf eine Erfahrung des Verlusts zurück. War die Unschuld erst einmal dahin, traten flugs die Schneider auf den Plan. In diesem Sinne verstand der Theologe Dietrich Bonhoeffer die Verhüllung mit den Feigenblättern als Eingeständnis der Scham. Das Nacktsein hingegen als idealen Urzustand. „Nacktheit ist Unschuld“. In dem Moment, wo die Nacktheit vor Augen trete, beginne der „Zustand der Entzweiung“, sodass es dem Menschen zum Bedürfnis werde, sich hinter Kleidern zu verstecken.

Gänzlich anders urteilte der Philosoph Immanuel Kant. Er sah die in dem Griff nach den Feigenblättern einen Akt der Kultivierung. Es sei eine Äußerung der Vernunft gewesen, dass die Menschen sich Kleider machten. „Der Mensch fand bald, dass der Reiz des Geschlechts der Verlängerung und sogar Vermehrung durch die Einbildungskraft fähig sei.“

Zweifellos würde eine Neigung dadurch inniglicher und dauerhafter, dass man „ihren Gegenstand den Sinnen entzieht“. Just in dem Moment, da das Objekt der Anschauung dem direkten Zugriff der Augen verwehrt würde, erfolge der Übergang zu den „idealischen Reizen“, der Übergang „vom Gefühl des bloß Angenehmen zum Geschmack für Schönheit.“

Möglicherweise haben beide Sichtweisen etwas Wahres an sich. Fest steht jedenfalls: Der Mensch kommt ohne Kleider zur Welt. Am Anfang ist er nackt, und er wird es, nachdem er das letzte Hemd abgelegt hat, auch am Ende wieder sein. Dazwischen aber kleidet er sich. Warum und in welcher Weise er das tut, hat verschiedene Ursachen.

Eine ist die Verhüllung der Scham. Die Kleider verdecken meine Blöße. Eine andere ist die ästhetische Kultivierung im Umgang der Menschen miteinander. Weiterhin ist Kleidung eine Äußerung des menschlichen Selbstbildes, gleichsam ein Spiegel der Seele. Mit seiner Kleidung präsentiert sich der Mensch seinen Mitmenschen und sagt etwas über seine Lebenseinstellung aus. Die Kleidung ist eine Art Kennlern-Angebot. Und nicht zuletzt folgt sie natürlich auch den ganz praktischen Bedürfnissen, etwa dem Schutz vor Kälte, Hitze oder vor Verletzungen.

„Kleidung bildet eine Art Nahtstelle zwischen dem Körper und seiner Umgebung und kommuniziert mit der Gesellschaft.“ (Martina Weingärtner) Sie schmückt und schützt, erweitert die körperlichen Funktionen, ist Medium der Kommunikation. Sie gibt Einblick in das Innere, gerade indem sie es verhüllt. Sie spiegelt meine Beziehung zur Umwelt.

Gleichwohl ist ihre Sprache nicht eindeutig. Kleidung kann nicht zweifelsfrei interpretiert werden. Sie suggeriert Deutungen und stellt diese im nächsten Moment in Frage. Einem Kunstwerk gleich kann sie Stimmungen erzeugen, entzieht sich aber der geradlinigen Interpretation.

Der Umgang mit Kleidung hat wohl immer etwas Spielerisches und Rätselhaftes an sich. Und so bleibt die Frage, warum sich die Menschen kleiden, am Ende doch ungelöst. Nur gut.

KÖNNEN KLEIDER GLÜCKLICH MACHEN?

Richten wir unseren Blick zunächst auf den Gegensatz. Kleider können unglücklich machen. So erscheint es jedenfalls in der Geschichte von Josef und seinen Brüdern, die in der Bibel erzählt wird. Sein schicker bunter Rock, den ihm sein Vater gemacht hatte, löste Neid bei den Brüdern aus. Und so verkauften sie ihn kurzerhand in die Sklaverei nach Ägypten. Dort machte er schnell Karriere, stieg auf zum Verwalter Potifars, eines hohen Beamten am Hofe des Pharaos. Alsbald hatte er aber neue Probleme aufgrund seines guten Aussehens. Die Frau seines Chefs hatte ein Auge auf ihn geworfen. Als er ihren Avancen nicht Folge leistete, beschuldigte sie ihn flugs der sexuellen Übergriffigkeit. Und so landete er hinter Gittern.

Später stieg er aufs Neue auf und wurde zur rechten Hand des Pharaos. Dieser gab Josef seinen Siegelring, kleidete ihn in kostbares Leinen und legte ihm eine goldene Kette um den Hals. Doch der Konflikt mit seinen Brüdern lastete weiter auf ihm. Wirklich glücklich war er wohl nicht.