Der beste Rat für ein gutes Leben - Arthur C. Brooks - E-Book

Der beste Rat für ein gutes Leben E-Book

Arthur C. Brooks

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Beschreibung

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, im Alter von 50 Jahren, begibt sich Arthur Brooks, gefeierter Bestsellerautor, renommierter Harvard-Professor und erfolgreicher Glückskolumnist auf eine siebenjährige Reise. Er hat scheinbar alles erreicht, was sich ein Mensch nur wünschen kann, doch auch für ihn bricht die zweite Hälfte des Lebens an. Alles Mühen und Streben führt auf einmal nicht mehr zu mehr Erfolg, sondern zu der immer stärkeren Gewissheit, all das nicht ewig durchhalten können, auch wenn er es noch so sehr versucht. Doch Brooks findet einen Weg. Er schafft es nicht nur aus dem Hamsterrad des Erfolgs auszusteigen, sondern findet vielmehr eine neue Art von Erfolg und noch mehr: eine tiefere Form von Glück. Im Lauf seiner Reise sogar einen wahren Sinn im Leben – und das zum ersten Mal. Dieses Buch ist die Essenz daraus – ein praktischer Fahrplan für den Rest des Lebens. Das Verfahren beschreibt Brooks Schritt für Schritt und bietet endlich echte Antworten auf die zeitlosen Fragen des Lebens.

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Seitenzahl: 312

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Arthur C. Brooks

Der New York Times-Bestseller From Strength to Strength

DER BESTE RAT FÜR EIN GUTES LEBEN

FINDEN SIE ERFOLG, GLÜCK UND EINEN TIEFEN SINN IN IHRER ZWEITEN LEBENSHÄLFTE

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

2. Auflage 2024

© 2023 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Copyright © 2022 by ACB Ideas, Inc.

Die englische Ausgabe erschien 2022 bei Portfolio an imprint of Penguin Random House LLC. unter dem Titel From Strength to Strength.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Max Limper

Redaktion: Matthias Höhne

Korrektorat: Anke Schenker

Umschlaggestaltung: in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe Marc-Torben Fischer, München

Umschlagabbildung: christiaan hart/Alamy Stock Photo

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-701-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-347-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-348-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Für meinen Guru

Wohl denen, deren Zuflucht bei dir ist,

denen, die sich zur Wallfahrt rüsten.

Ziehen sie durch das Bachatal,

machen sie es zum Quellgrund,

und in Segen hüllt es der Frühregen.

Sie schreiten dahin mit wachsender Kraft,

bis sie vor Gott erscheinen auf Zion.

Psalm 84,6–8

Inhalt

Einführung Der Mann im Flugzeug, der mein Leben veränderte

Kapitel 1 Der berufliche Abstieg kommt (viel) früher, als man denkt

Kapitel 2 Die zweite Kurve

Kapitel 3 Jenseits der Erfolgssucht

Kapitel 4 Die Kruste abkratzen

Kapitel 5 Den Tod im Sinn

Kapitel 6 Ein Espenhain

Kapitel 7 Auf ins Vanaprastha

Kapitel 8 Aus Schwächen werden Stärken

Kapitel 9 Angeln bei Ebbe

Schlusswort Drei Merksätze

Danksagung

Anmerkungen

Einführung

Der Mann im Flugzeug, der mein Leben veränderte

»Es stimmt nicht, dass dich niemand mehr braucht.«

Diese verärgerten Worte kamen von einer älteren Frau, die auf einem Nachtflug von Los Angeles nach Washington, D.C., hinter mir saß. Das Flugzeug war dunkel und still. Die meisten Leute schliefen oder sahen sich einen Film an. Ich arbeitete an meinem Laptop und versuchte fieberhaft, irgendetwas fertigzustellen, woran ich mich heute längst nicht mehr erinnere, das aber damals von entscheidender Bedeutung für mein Leben, mein Glück und meine Zukunft zu sein schien.

Ein Mann, der vermutlich ihr Ehemann war, murmelte fast unhörbar eine Antwort.

Wieder seine Frau: »Ach, sag nicht schon wieder, es wäre besser, du wärst tot.«

Jetzt hatten sie meine volle Aufmerksamkeit. Ich wollte sie nicht belauschen, konnte aber nicht anders. Halb aus menschlichem Mitgefühl, halb aus professioneller soziologischer Faszination hörte ich zu. Vor meinem inneren Auge entstand ein Bild des Mannes. Ich stellte mir jemanden vor, der sein ganzes Leben lang abseits der Öffentlichkeit hart gearbeitet hatte. Jemanden, der wegen seiner unerfüllten Träume enttäuscht war, vielleicht wegen einer Berufung, der er nicht gefolgt war, wegen einer Universität, die er nicht besucht hatte, wegen einer Firma, die er nicht gegründet hatte. Jetzt, stellte ich mir vor, musste er in den Ruhestand, weggeworfen wie die Zeitung von gestern.

Als nach der Landung die Lichter angingen, konnte ich endlich einen Blick auf den verzweifelten Mann werfen. Ich erschrak, denn ich wusste, wer er war. Er war bekannt, ja sogar berühmt. Zu der Zeit war er Mitte achtzig und wurde wegen seines Mutes, seines Patriotismus und seiner viele Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen allenthalben als Held verehrt. Ich selbst habe ihn bewundert, seit ich jung war.

Als er hinter mir durch den Mittelgang ging, erkannten ihn die Passagiere und murmelten ehrfürchtig. Auch der Pilot, der an der Tür des Cockpits stand, erkannte ihn und sagte laut, was ich dachte: »Sir, ich habe Sie bewundert, seit ich ein kleiner Junge war.« Der alte Mann, der sich noch wenige Minuten zuvor zu sterben gewünscht hatte, strahlte bei der Erinnerung an seine vergangene Glanzzeit.

Ich fragte mich: Welches war das wahre Gesicht des Mannes? Dieses hier, das gerade von Freude und Stolz erfüllt war, oder das andere, das vor zwanzig Minuten seiner Frau gesagt hatte, er könne genauso gut tot sein?

Ich bekam die kognitive Dissonanz dieser Szene in den folgenden Wochen nicht mehr aus dem Kopf.

Es war im Sommer 2012, kurz nach meinem achtundvierzigsten Geburtstag. Ich war nicht weltberühmt wie der Mann im Flugzeug, aber beruflich lief es ziemlich gut. Ich war Vorsitzender einer bekannten, florierenden Denkfabrik in Washington, D. C., und hatte einige Bestseller geschrieben. Meine Vorträge waren gut besucht. Meine Kolumnen erschienen in der New York Times.

Ich hatte gerade eine alte Liste wiedergefunden. Acht Jahre zuvor hatte ich an meinem vierzigsten Geburtstag meine beruflichen Ziele festgehalten – Ziele, die mir sicherlich Befriedigung bringen würden, wenn ich sie erreichte. Nun hatte ich alle erreicht oder übertroffen. Und dennoch … war ich nicht besonders zufrieden oder glücklich. Ich hatte mir alle Wünsche erfüllt, zumindest so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber das erhoffte Glücksgefühl war ausgeblieben.

Und selbst wenn ich Befriedigung gefunden hätte, könnte ich denn wirklich so weitermachen? Wenn ich meine Achtzig-Stunden-Woche beibehalten würde, also weiterhin sieben Tage die Woche rund zwölf Stunden am Tag arbeitete, würden meine Fortschritte irgendwann weniger werden und zum Erliegen kommen. An vielen Tagen hatte ich den Eindruck, dieses Nachlassen hätte bereits begonnen. Und was dann? Würde ich am Ende auf mein Leben zurückblicken und meiner leidgeprüften Frau Ester sagen, dass ich ebenso gut tot sein könnte? Gab es irgendeine Möglichkeit, aus dem Hamsterrad des Erfolgs auszusteigen und den unvermeidlichen beruflichen Abstieg gelassen hinzunehmen? Ihn vielleicht sogar in eine Chance zu verwandeln?

Obwohl mich diese Fragen ganz persönlich betrafen, beschloss ich, sie als Soziologe anzugehen und sie als Forschungsprojekt zu behandeln. Es fühlte sich ungehörig an – wie ein Chirurg, der seinen eigenen Blinddarm entfernt. Trotzdem vergrub ich mich im Thema und machte es mir in den letzten neun Jahren zur persönlichen Mission, meine angstbehaftete Zukunft in eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung zu verwandeln.

Ich vertiefte mich in allerlei Literatur, die neben meinem eigenen Fachgebiet, der Sozialwissenschaft, auch angrenzende Forschungen aus der Neurowissenschaft, Philosophie, Theologie und Geschichte umfassten. Ich beschäftigte mich mit den Biografien einiger der erfolgreichsten Menschen der Geschichte. Ich grub mich durch die Forschung über Menschen, die Großes leisten, und interviewte Hunderte von Führungskräften, von Staatsoberhäuptern bis hin zu Baumarktbesitzern.

Ich stieß auf eine im Verborgenen schwelende Angst, die unter Menschen mit florierender Karriere nicht nur häufig, sondern nahezu allgegenwärtig war. Ich fand einen Namen dafür: »der Fluch der Ehrgeizigen«. Menschen, die in dem, was sie tun, herausragend sein wollen, finden ihren unvermeidlichen Niedergang oft erschreckend, ihre Erfolge zunehmend unbefriedigend und ihr Sozialleben dürftig.

Das Gute ist, dass ich auch gefunden habe, wonach ich suchte: einen Weg, dem Fluch zu entkommen. Für den Rest meines Lebens habe ich mir methodisch eine Strategie erstellt und mir die Chance auf eine zweite Hälfte des Erwachsenenalters eröffnet, die nicht nur nicht enttäuschend, sondern glücklicher und sinnvoller als die erste sein kann.

Aber ich habe schnell gemerkt, dass es mir nicht reichte, einen Lebensplan nur für mich zu erstellen. Ich wollte auch andere teilhaben lassen. Die Geheimnisse, auf die ich gestoßen war, sind für alle zugänglich, die gewillt sind, ein Leben voller Freude und Sinn zu führen – und die bereit sind, dafür etwas zu tun. Anders als in der Welt, die wir in früheren Lebensstadien zu erobern suchten, gibt es hier kein Ringen um die ersten Plätze. Hier können alle erfolgreich und glücklich sein. Und darum habe ich dieses Buch für alle geschrieben, die noch etwas wollen.

Dass Sie dieses Buch in die Hand genommen haben, lässt mich vermuten, dass Sie durch harte Arbeit, Entbehrung und allerhöchste Ansprüche an sich selbst Erfolg gefunden haben (und, seien wir ehrlich, auch durch ein nicht unwesentliches Quäntchen Glück). Sie verdienen viel Lob und Bewunderung und haben davon gewiss auch reichlich bekommen. Aber Sie wissen auch, dass Sie diese Party nicht ewig am Laufen halten können, und vielleicht sehen Sie sogar schon die Anzeichen dafür, dass sie zu Ende geht. Leider haben Sie nie viel über das Ende der Party nachgedacht. Und so bleibt Ihnen eigentlich nur eines: sie möglichst weiterhin am Laufen halten. Veränderungen leugnen und noch härter arbeiten.

Aber das ist ein sicherer Weg ins Elend. In meinem Berufsfeld der Ökonomie gibt es das sogenannte Stein’sche Gesetz, benannt nach dem berühmten Ökonomen Herbert Stein aus den 1970er-Jahren: »Wenn etwas nicht ewig weitergehen kann, hört es irgendwann auf.«1 Einleuchtend, oder? Nicht ganz, denn wenn es um ihr eigenes Leben geht, ignorieren Menschen dieses Gesetz ständig. In Bezug auf den beruflichen Erfolg passiert das allerdings auf eigene Gefahr. Es lässt einen immer weiter zurückfallen, egal wie sehr man mit dem Schicksal hadert.

Es gibt aber auch einen anderen Weg: Anstatt die Veränderung der eigenen Fähigkeiten zu leugnen, kann man die Veränderung selbst zu einer Quelle der Kraft machen. Anstatt sich gegen den Niedergang zu wehren, kann man ihn überwinden, indem man – vielleicht zum ersten Mal – eine neue Art von Erfolg findet, die besser als das ist, was die Außenwelt zu bieten hat; die keine Neurosen und Süchte hervorbringt, die ein tieferes Glück beschert als das, was man bereits hat, und in der der wahre Sinn des Lebens verborgen ist. Diesen Weg beschreibe ich im vorliegenden Buch. Er hat mein Leben verändert, und er kann auch Ihres verändern.

Doch zunächst eine Warnung: Dieser Weg verlangt, dass Sie gegen viele Ihrer Erfolgsinstinkte handeln. Ich werde Sie dazu auffordern, Ihre Schwächen nicht zu leugnen, sondern demütig hinzunehmen; einiges loszulassen, wofür Sie hart gearbeitet haben, was Sie nun jedoch aufhält; Teile Ihres Lebens anzunehmen, die Sie glücklich machen, auch wenn sie Sie nicht zu etwas Besonderem machen; dem Niedergang – ja sogar dem Tod – mit Mut und Zuversicht entgegenzutreten; Beziehungen wieder neu zu knüpfen, die Sie auf dem langen Weg zum äußeren Erfolg vernachlässigt haben; und sich die Ungewissheit einer Übergangsphase zuzumuten, die Sie bisher mit aller Mühe vermieden haben.

Nichts davon ist einfach – einem alten Ehrgeizler kann man nur schwer etwas Neues beibringen! Es erfordert große Anstrengung, Ideen zu akzeptieren, die Ihnen vielleicht verrückt erschienen, als Sie alles in Ihrer Macht Stehende taten, um im Berufsleben wirklich zu brillieren. Aber ich verspreche Ihnen, die Belohnung wird es wert sein. So wie ich können auch Sie mit jedem Jahr glücklicher werden.

Wir können mit neuer Kraft voranschreiten.

Kapitel 1

Der berufliche Abstieg kommt (viel) früher, als man denkt

Wer sind die fünf größten Wissenschaftler, die je gelebt haben? Fragen dieser Art werden gerne in nerdigen Nischen des Internets diskutiert, die Sie wahrscheinlich nicht besuchen. Ich habe auch nicht vor, Sie dorthin zu führen. Aber egal ob Laie oder Koryphäe, jeder wird Charles Darwin auf die Liste setzen. Darwin gilt gemeinhin als der Mann, der unser Verständnis von Biologie vollständig und dauerhaft verändert hat. Seine Wirkung war so tiefgreifend, dass Darwins Ruhm seit seinem Tod im Jahr 1882 nie nachgelassen hat.

Und dennoch empfand Darwin, als er starb, seine Karriere als enttäuschend.

Fangen wir von vorne an. Darwins Eltern wünschten, dass Charles Geistlicher werde. Aber da er für eine Kirchenkarriere wenig Enthusiasmus und Begabung hatte, konnte er als Student nicht glänzen. Seine wahre Liebe galt der Naturwissenschaft, hier fühlte er sich glücklich und lebendig. So war es die Chance seines Lebens – später nannte er es »bei Weitem das wichtigste Ereignis in meinem Leben« –, als er 1831 im Alter von zweiundzwanzig Jahren das Angebot bekam, an der Erdumrundung des Forschungsschiffs Beagle teilzunehmen. Die nächsten fünf Jahre verbrachte er an Bord des Schiffs, sammelte exotische Pflanzen und Tiere, schickte Proben davon zurück nach England und faszinierte damit die Fachwelt ebenso wie die breite Öffentlichkeit.

Das war beeindruckend genug, um ihn ziemlich bekannt zu machen. Als er jedoch im Alter von siebenundzwanzig Jahren heimkehrte, entfachte er mit seiner Theorie der natürlichen Selektion einen intellektuellen Großbrand. Er behauptete, dass sich Arten über Generationen hinweg verändern und anpassen und dass uns dies nach Hunderten von Jahrmillionen die Vielfalt von Pflanzen und Tieren beschert hat, die wir heute erleben. In den nächsten dreißig Jahren entwickelte er seine Theorie weiter und veröffentlichte sie in Büchern und Aufsätzen, wobei sein guter Ruf stetig wuchs. 1859, im Alter von fünfzig Jahren, veröffentlichte er die Krönung seines Lebenswerks, sein Opus magnum Die Entstehung der Arten, in dem er seine Evolutionstheorie erläutert. Das Buch wurde zum Bestseller, machte seinen Namen unsterblich und veränderte den Lauf der Wissenschaft.

Fortan jedoch stagnierte Darwins Schaffenskraft: Er kam mit seiner Forschung nicht mehr weiter und konnte keine neuen Durchbrüche erzielen. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte ein tschechischer Mönch namens Gregor Mendel genau das, was Darwin fehlte, um seine Arbeit fortzusetzen: die Theorie der Genetik. Unglücklicherweise wurde Mendels Arbeit in einer obskuren deutschen Fachzeitschrift veröffentlicht, und Darwin bekam sie nie zu Gesicht. Ohnehin hätte Darwin (der, wie Sie sich erinnern, ein unambitionierter Student gewesen war) nicht die mathematische oder sprachliche Kompetenz gehabt, um sie zu verstehen. Obwohl er in seinem weiteren Leben noch zahlreiche Bücher schrieb, entdeckte er bei seiner Arbeit nicht mehr viel Neues.

In seinen letzten Lebensjahren war Darwin immer noch hochberühmt – nach seinem Tod wurde er sogar als Nationalheld in der Westminster Abbey bestattet. Aber er war zunehmend unzufrieden mit seinem Leben und sah seine Arbeit als unbefriedigend, unerfüllt und unoriginell an. »Ich habe in meinem Alter weder den Mut noch die Kraft, um jahrelange Forschungen anzustellen, wobei dies das Einzige ist, was Spaß macht«, gesteht er einem Freund. »Ich habe alles, was mich glücklich und zufrieden machen sollte, aber das Leben ist für mich sehr ermüdend geworden.«1

Charles Darwin war nach allen Maßstäben der Welt erfolgreich, nach seinen eigenen jedoch gescheitert. Er wusste, dass er nach weltlichem Maßstab alles hatte, was ihn »glücklich und zufrieden« machen müsste. Und dennoch gab er zu, dass ihm Ruhm und Reichtum jetzt wie Stroh fressen vorkamen. Nur Fortschritt und neuer Erfolg, wie er sie in seiner bisherigen Arbeit genossen hatte, könnten ihm Freude bringen – aber das überstieg nun seine Kräfte. So war er in seinem Niedergang dem Unglück ausgeliefert. Darwins Melancholie ließ allen Berichten zufolge nicht nach, ehe er im Alter von dreiundsiebzig Jahren starb.

Ich würde Ihnen gerne sagen können, dass Darwins unglücklicher Abstieg im Alter so ungewöhnlich war wie seine Errungenschaften, aber das ist nicht der Fall. Darwins Niedergang war völlig normal und verlief genau nach Zeitplan. Und wenn Sie ebenso wie Darwin hart daran gearbeitet haben, auf Ihrem Gebiert Außergewöhnliches zu leisten, werden Sie mit ziemlicher Sicherheit ein ähnliches Muster des Niedergangs und der Enttäuschung erleben – und zwar viel, viel früher, als Sie glauben.

Der überraschend frühe Niedergang

Falls Sie nicht der James-Dean-Formel Live fast, die young folgen, wissen Sie, dass Ihr beruflicher, körperlicher und geistiger Niedergang unvermeidlich ist. Allerdings denken Sie wahrscheinlich, dass es ein langer, langer Weg ist.

Mit dieser Meinung sind Sie nicht allein. Die meisten Menschen nehmen stillschweigend an, dass das Altern und seine Auswirkungen auf die berufliche Leistung weit in der Zukunft liegen. Diese Annahme erklärt allerlei lustige Umfrageergebnisse. Als man zum Beispiel 2009 die Amerikaner fragte, was »alt sein« bedeutet, war die beliebteste Antwort »fünfundachtzig werden«.2 Mit anderen Worten: Der durchschnittliche Amerikaner (der neunundsiebzig Jahre alt wird) stirbt sechs Jahre vor Eintritt ins hohe Alter.

Die Realität sieht so aus: In praktisch jedem hoch qualifizierten Beruf setzt der Niedergang irgendwann zwischen Ende dreißig und Anfang fünfzig ein. Ich weiß, das tut weh, sorry. Es kommt noch schlimmer: Je erfolgreicher jemand auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist, desto ausgeprägter wirkt der Niedergang, wenn er dann eintritt.

Natürlich werden Sie mir das nicht einfach glauben. Werfen wir darum einen Blick auf die Beweislage.

Wir beginnen mit dem offensichtlichsten und frühesten Niedergang: im Sport. Bei Sportarten, bei denen es um Explosivkraft oder Sprints geht, ist die Höchstleistung schon zwischen zwanzig und siebenundzwanzig Jahren erreicht, bei Ausdauersportlern etwas später – aber immer noch im frühen Erwachsenenalter.3 Das ist nicht überraschend. Niemand erwartet ernsthaft von einem Sportler, dass er bis zum Alter von sechzig Jahren wettkampftauglich bleibt. Den meisten Sportlern, mit denen ich für dieses Buch gesprochen habe (da es keine Umfragen dazu gibt, wann Menschen mit ihrem körperlichen Verfall rechnen, habe ich informell damit begonnen), war bewusst, dass sie sich bis dreißig einen neuen Job suchen müssen. Diese Tatsache gefällt ihnen nicht, aber im Allgemeinen stellen sie sich ihr.

Ganz anders ist es bei denjenigen, die wir heutzutage »Wissensarbeiter« nennen – die meisten, die dieses Buch lesen, zählen vermutlich dazu. Von diesen Menschen, deren Beruf eher Ideen und Intellekt als sportliche Fähigkeiten und körperliche Kraft erfordert, hat mir gegenüber kaum jemand zugegeben, dass vor dem siebzigsten Lebensjahr mit einem Niedergang zu rechnen ist; manche setzen ihn noch später an. Anders als Sportler stellen sie sich damit nicht der Realität.

Nehmen wir Wissenschaftler. Benjamin Jones, Professor für Strategie und Entrepreneurship an der Kellogg School of Management der Northwestern University, hat jahrelang erforscht, in welcher Lebensphase preisgekrönte wissenschaftliche Entdeckungen und bahnbrechende Erfindungen am wahrscheinlichsten geschehen. Jones hat bedeutende Erfinder und Nobelpreisträger in einer Spanne von mehr als einem Jahrhundert untersucht und festgestellt, dass das häufigste Alter für große Entdeckungen Ende dreißig ist. Er zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer großen Entdeckung in den Zwanzigern und Dreißigern stetig zunimmt und dann in den Vierzigern, Fünfzigern und Sechzigern drastisch abnimmt. Natürlich gibt es Ausreißer. Aber die Wahrscheinlichkeit, im Alter von siebzig Jahren eine bedeutende Innovation hervorzubringen, ist etwa genauso groß wie im Alter von zwanzig Jahren, nämlich ungefähr null.4

Diese Tatsache hat wohl den Physik-Nobelpreisträger Paul Dirac zu einem kleinen melancholischen Gedicht darüber inspiriert, dass das Alter der Fluch eines jeden Physikers ist. Es endet mit diesen beiden Zeilen:

Besser wär es, tot zu sein, als über dreißig noch zu leben.

Den Nobelpreis gewann Dirac im Alter von einunddreißig Jahren für Forschungsarbeit, die er mit Mitte zwanzig geleistet hatte. Bis zu seinem dreißigsten Geburtstag hatte er eine allgemeine Theorie des Quantenfelds entwickelt. Zu dem Thema hatte er (im Alter von vierundzwanzig) in Cambridge promoviert. Mit achtundzwanzig schrieb er The Principles of Quantum Mechanics, ein noch heute verwendetes Lehrbuch. Mit dreißig hatte er einen Lehrstuhl in Cambridge inne. Und danach? Er war als Forscher aktiv und erzielte einige Durchbrüche. Aber das war nichts im Vergleich zu den frühen Jahren. Daher sein Gedicht.

Natürlich mögen Nobelpreisträger anders sein als gewöhnliche Wissenschaftler. Jones hat zusammen mit einem Co-Autor Daten von Forschern aus den Bereichen Physik, Chemie und Medizin überprüft, die häufig zitierte Arbeiten sowie Patente und verschiedene Preise vorweisen konnten. Dabei zeigte sich, dass Spitzenleistungen heutzutage in späteren Lebensjahren auftreten als in der Vergangenheit. Das liegt vor allem daran, dass das für herausragende Arbeit erforderliche Wissen im Laufe der Jahrzehnte so stark zugenommen hat. Dennoch liegt das Höchstalter seit 1985 nicht sehr hoch: in der Physik bei fünfzig; in der Chemie bei sechsundvierzig; und in der Medizin bei fünfundvierzig. Danach fällt die Innovationskraft steil ab.

Andere Wissensgebiete folgen dem gleichen Grundmuster. Bei Schriftstellern setzt der Niedergang ungefähr zwischen vierzig und fünfundfünfzig ein.5 Finanzprofis erreichen ihren Leistungsgipfel zwischen sechsunddreißig und vierzig.6 Oder Ärzte: Sie scheinen in den Dreißigern ihren Höhepunkt zu erreichen und erleben danach im Laufe der Jahre einen steilen Abfall ihrer Fähigkeiten.7 Für Leute in meinem Alter ist es irgendwie beruhigend, einen Arzt zu haben, der an einen grau melierten Fernseharzt erinnert. Aber eine kürzlich durchgeführte kanadische Studie hat sich achtzig Prozent aller Anästhesisten des Landes und die über einen Zeitraum von zehn Jahren erfolgten Klagen von Patienten gegen sie angeschaut. Dabei kam heraus, dass Ärzte über fünfundsechzig mit fünfzig Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als jüngere Ärzte (unter einundfünfzig) für Behandlungsfehler verantwortlich gemacht werden.

Unternehmer sind beim Thema Leistungsgipfel ein interessanter Fall. IT-Gründer verdienen sich oft in ihren Zwanzigern enormen Ruhm und Reichtum, aber viele von ihnen geraten schon mit dreißig Jahren in einen kreativen Niedergang. Laut Harvard Business Review sind Gründer von Unternehmen, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar Risikokapital ausgestattet werden, in der Regel in der Altersgruppe der Zwanzig- bis Vierunddreißigjährigen anzusiedeln. Die Zahl der Gründer, die älter sind, ist demzufolge gering. Andere Forscher dagegen bestreiten diese Feststellung und behaupten, das Durchschnittsalter der Gründer der am stärksten wachsenden Start-ups betrage in Wahrheit fünfundvierzig Jahre.8 Aber der Punkt bleibt derselbe: Im mittleren Alter nehmen die unternehmerischen Fähigkeiten ab. Selbst nach den optimistischsten Schätzungen sind nur etwa fünf Prozent der Gründer über sechzig Jahre alt.

Das Muster zeigt sich nicht nur in der Wissensarbeit. In anspruchsvollen Berufsfeldern von der Polizei bis zur Krankenpflege kommt es früher, als man denken mag, zu einem spürbaren altersbedingten Leistungsabfall. Die Leistungsspitze von Servicetechnikern und Büroangestellten wird zwischen fünfunddreißig und vierundvierzig erreicht; bei angelernten Fließbandarbeitern und Postsortierern liegt sie zwischen fünfundvierzig und vierundfünfzig.9 Der altersbedingte Leistungsabfall ist bei Fluglotsen so stark und die Folgen dadurch bedingter Fehler sind so schlimm, dass das obligatorische Rentenalter hier bei fünfzig liegt.10

Der Niedergang ist so absehbar, dass ein Forscher ein gruselig genaues Modell entwickelt hat, das ihn für bestimmte Berufe vorhersagen kann. Dean Keith Simonton von der University of California hat das Muster des beruflichen Abstiegs bei Menschen in kreativen Berufen untersucht und ein Modell erstellt, das den Karriereverlauf einer durchschnittlichen Person darstellt. Die aus Gigabytes an Daten gewonnene Kurve ist in Abbildung 1 zu sehen.

Der Höhepunkt kreativer Karrieren tritt im Durchschnitt etwa zwanzig Jahre nach dem Berufseinstieg ein. Das erklärt die Beobachtung, dass man in der Regel zwischen fünfunddreißig und fünfzig abzubauen beginnt. Dies ist ein Durchschnittswert über viele Berufsfelder hinweg, und Simonton hat auch eine ganze Reihe von Varianten gefunden, zum Beispiel die »Halbwertszeit« vieler Berufe – das Alter, in dem die Hälfte des Lebenswerks geschaffen ist. Das entspricht im Durchschnitt mehr oder weniger dem höchsten Punkt der Kurve. Eine Berufsgruppe, die diese Halbwertszeit von zwanzig Jahren genau einhält, sind Romanautoren, die im Allgemeinen nach 20,4 Jahren schriftstellerischer Laufbahn eine Hälfte ihrer Arbeit geschafft haben und die andere Hälfte danach vollbringen. In der Nähe befinden sich auch Mathematiker mit einer Halbwertszeit von 21,7 Jahren. Etwas schneller sind die Dichter mit 15,4 Jahren Halbwertszeit und etwas gemächlicher die Geologen mit 28,9 Jahren.

Abb. 1. Durchschnittliche Produktivität nach dem Karrierestart in kreativen und wissenschaftlichen Berufen11

Überlegen wir mal, was das bedeutet. Angenommen, Sie sind in einem quantitativen Feld tätig – Sie sind beispielsweise Datenanalyst. Wenn Sie nach dem Abschluss der Ausbildung Ihre Karriere mit zweiundzwanzig beginnen, erreichen Sie im Durchschnitt mit vierundvierzig Ihren beruflichen Höhepunkt und beginnen dann, Ihre Fähigkeiten zu verlieren. Nehmen wir jetzt an, Sie sind Dichter und im Alter von fünfundzwanzig ein frischgebackener Master of Arts. Simontons Daten zufolge werden Sie schon mit vierzig Jahren mit der Hälfte Ihres Lebenswerks durch sein und sich danach in einem Produktivitätsrückgang befinden. Sind Sie dagegen Geologe, kommt ihr Gipfel eher um die vierundfünfzig.

Mein persönlicher früher Niedergang

Als ich mit dieser Recherche begann, interessierte es mich besonders, ob das Abstiegsmuster auch auf Musiker, besonders klassische Musiker, zuträfe. Es gibt einige berühmte Fälle von klassischen Musikern, die lange weitermachen und bis ins hohe Alter auftreten. 1945 fing die Kontrabassistin Jane Little im zarten Alter von sechzehn Jahren bei der Atlanta Symphony an. Sie hörte erst einundsiebzig Jahre später im Alter von siebenundachtzig auf. (Wobei sie nicht in den Ruhestand ging, sondern tatsächlich mitten im Konzert auf der Bühne verstarb, als sie gerade There’s No Business Like Show Business spielte.12)

Jane Little ist jedoch nicht die Norm. Die meisten gehen viel früher in Rente. Und der Ruhestand kommt offenbar noch zu spät. In Umfragen geben klassische Musiker an, dass Höchstleistungen in den Dreißigern erreicht werden. Jüngere Kollegen beschweren sich oft, dass die besten Plätze von älteren Musikern mit unkündbaren Verträgen besetzt sind, die noch lange, nachdem sie ihren Vorsprung verloren haben, dort sitzen bleiben. Das Problem ist, dass diese älteren Musiker ihren Niedergang oft nicht einmal vor sich selbst zugeben können. »Es ist sehr schwer, sich einzugestehen, dass die Zeit gekommen ist«, hat mir ein achtundfünfzigjähriger Hornist des Pittsburgh Symphony Orchestra gesagt. »Wir sind Experten der Verdrängung. Wir sind nur deshalb erfolgreich, weil wir die überwältigende Wahrscheinlichkeit, in unserem Beruf zu scheitern, einfach ignoriert haben. Am Anfang unserer Entwicklung ist Verdrängung also positiv.«13

Dieser Hornist war nicht ich. Aber das hätte ich sein können, in einem Paralleluniversum.

Als Kind hatte ich eigentlich nur ein Ziel: der beste Hornist der Welt zu werden. Ich übte jeden Tag stundenlang mit höchster Disziplin Horn und spielte in jedem Ensemble, das ich finden konnte. Zur Inspiration hingen Bilder berühmter Hornisten an meiner Zimmerwand. Ich besuchte die besten Musikfestivals und lernte bei den besten Lehrern, die einem Jungen aus der unteren Mittelklasse in Seattle zur Verfügung standen. Ich war immer der beste Hornist, immer der erste Hornist.

Eine Zeit lang dachte ich, der Traum meiner Jugend könnte wahr werden. Mit neunzehn verließ ich das College und ging mit einem professionellen Kammermusikensemble auf Tournee. Wir spielten hundert Konzerte im Jahr und fuhren in einem Kleinbus durchs ganze Land. Ich war nicht krankenversichert, und jede Monatsmiete kostete mich Nerven, aber mit einundzwanzig hatte ich alle fünfzig Bundesstaaten und fünfzehn fremde Länder gesehen. Ich hatte Alben aufgenommen, die ich gelegentlich im Radio hörte. Mein Traum war es, in den Zwanzigern durch die Ränge der klassischen Musik aufzusteigen, in ein paar Jahren in eins der besten Sinfonieorchester einzutreten und dann Solist zu werden – die höchste Stellung, die ein klassischer Musiker erreichen kann.

Aber dann passierte in meinen frühen Zwanzigern etwas Seltsames: Ich wurde immer schlechter. Bis heute habe ich keine Ahnung, warum. Meine Spieltechnik verschlechterte sich, und ich hatte keine Erklärung dafür. Nichts half. Ich suchte berühmte Lehrer auf und übte noch mehr, aber ich gelangte nicht mehr an den Punkt, an dem ich bereits gewesen war. Stücke, die leicht zu spielen gewesen waren, wurden schwierig; Stücke, die schwierig gewesen waren, wurden unmöglich.

Der vielleicht schlimmste Moment meiner jungen, unsicheren Karriere war in der Carnegie Hall in New York. Als ich gerade ein paar Worte über die Musik sprach, die ich spielen wollte, machte ich einen Schritt nach vorn, verlor den Halt und fiel von der Bühne ins Publikum. Auf dem Heimweg vom Konzert überkam mich der düstere Gedanke, dass dieses Erlebnis ein Hinweis von Gott sein müsse.

Aber egal ob Gott mir etwas sagen wollte oder nicht, ich hörte nicht darauf. Ich hatte kein Bild von mir selbst außer »großartiger Hornist«. Ich wäre lieber gestorben, als dass ich aufgegeben hätte.

So trudelte ich noch weitere neun Jahre vor mich hin. Mit fünfundzwanzig nahm ich eine Stelle im Stadtorchester von Barcelona an. Ich übte noch fleißiger, aber mein Spiel wurde immer schlechter. Nach ein paar Jahren fand ich eine Stelle als Lehrer an einem kleinen Musikkonservatorium in Florida und hoffte auf eine magische Wende, die nie eintrat.

Als mir klar wurde, dass ich vielleicht doch einen Plan B bräuchte, ging ich per Fernstudium zurück ans College, ohne es einer Menschenseele außer meiner Frau zu verraten (ich schämte mich). Ohne je einen Professor zu treffen oder einen Fuß in einen Hörsaal zu setzen, machte ich einen Monat vor meinem dreißigsten Geburtstag meinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften. Die Zeugnisverleihung sah für mich so aus, dass ich in Hausschuhen zum Briefkasten ging und meine Bachelor-Urkunde herauszog. Auf dem Umschlag stand dick und fett »NICHT KNICKEN«. Er war geknickt.

Ich setzte heimlich mein Abendstudium fort und erwarb ein Jahr später den Master-Abschluss. Unterdessen übte ich weiter und verdiente die ganze Zeit meinen Lebensunterhalt als Musiker. Ich hoffte immer noch, dass ich ein Comeback meiner Fähigkeiten erleben würde.

Das Comeback blieb aus. Und so gestand ich mir mit einunddreißig meine Niederlage ein: Ich würde meine ins Stocken geratene Musikkarriere nie wieder in Gang kriegen. Aber was sollte ich sonst mit meinem Leben anfangen? Widerwillig stieg ich ins Familiengeschäft ein. Mein Vater war Akademiker; sein Vater war Akademiker gewesen. Ich gab meine musikalischen Ambitionen auf und begann eine Promotion.

Das Leben geht weiter, nicht wahr? Irgendwie schon. Nach Abschluss meines Studiums wurde ich Universitätsprofessor und praktizierte sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre – eine Arbeit, die mir viel Spaß machte. Aber trotzdem dachte ich jeden Tag an meine geliebte erste und einzig wahre Berufung. Noch heute träume ich regelmäßig, dass ich auf der Bühne stehe. Ich höre das Orchester und sehe das Publikum. Ich erlebe die Glückseligkeit des musikalischen Flows und spiele besser denn je … Und dann wache ich auf und erinnere mich daran, dass meine Kindheitsträume nur noch Phantasmen sind.

In Wirklichkeit habe ich Glück. Ich weiß jetzt, dass mein Niedergang unabwendbar war. Er ist mir nur ein, zwei Jahrzehnte früher zugestoßen, als es normalerweise der Fall ist. So konnte ich mich noch rechtzeitig darauf einstellen und mein Leben in Richtung neuer intellektueller Arbeit umlenken. Dennoch schmerzt mich mein früher Niedergang noch heute so sehr, dass mir das Schreiben dieser Worte schwerfällt. Ich habe mir geschworen, dass mir das nie wieder passieren wird.

Aber die Daten sind natürlich untrüglich: Es wird mir wieder passieren.

Grund und Wirkung unseres Leistungsabfalls

Für die meisten Menschen ist der Abstieg nicht nur eine unwillkommene Überraschung; er ist ihnen auch ein großes Rätsel. Wir lernen früh, dass Übung den Meister macht. Die Forschung besagt, dass Meisterschaft aus zehntausend Stunden der Mühe folgt oder zumindest aus einer ähnlich hohen Zahl. Anders gesagt hat das Leben eine Formel: Je mehr man etwas tut, desto besser wird man darin.

Und dann nicht mehr. Fortschritt ist keine geradewegs nach oben zeigende Linie, das hat Abbildung 1 gezeigt. Wie erklärt sich also der absteigende Teil? Eine frühe Theorie war, dass die Intelligenz mit dem Alter abnimmt. Beim Vergleich der schieren kognitiven Fähigkeit (IQ) von Menschen aller Altersgruppen schneiden junge Menschen durchweg viel besser ab als ältere Menschen. Daraus zog man den Schluss, dass der IQ mit zunehmendem Alter sinkt – und damit auch unsere Fähigkeiten. Diese Analyse war jedoch substanziell fehlerhaft: Sie verglich besser gebildete Menschen (die in der Regel jünger sind) mit solchen, die mit geringeren Bildungschancen aufgewachsen sind. Als man Einzelpersonen im Laufe der Zeit betrachtete, stellte sich heraus, dass der Rückgang der Intelligenz viel weniger ausgeprägt ist, als die älteren Studien zeigten.14

Eine bessere Erklärung nahm strukturelle Veränderungen im Gehirn in den Blick – besonders die sich ändernde Leistung des präfrontalen Kortex, des Stirnlappens. Dieser Teil des Gehirns entwickelt sich in der Kindheit als letzter und baut im Erwachsenenalter als erster ab. Er ist zuvorderst für das Arbeitsgedächtnis, die exekutiven Funktionen und die Inhibition verantwortlich. (Inhibition ist die Fähigkeit, die für die anstehende Aufgabe nicht relevanten Informationen zu blockieren, sodass wir uns auf unsere Kernfähigkeiten konzentrieren und diese verbessern können.) Mit einem großen, starken präfrontalen Kortex kann man auf seinem Gebiet immer besser werden, egal ob man einen Rechtsstreit führt, eine OP leitet oder einen Omnibus steuert.

Im mittleren Alter lässt die Effektivität des präfrontalen Kortex nach, und dies hat mehrere Auswirkungen. Als Erstes werden schnelle Analysen und kreative Einfälle beeinträchtigt – was angesichts des beobachtbaren Leistungsabfalls erwartbar ist.15 Zweitens werden einige besondere, vormals einfache Dinge teuflisch schwierig, beispielsweise Multitasking. Ältere Menschen lassen sich viel leichter ablenken als jüngere. Wenn Sie Kinder im Teenageralter haben oder hatten, haben Sie sie vielleicht schon ermahnt, dass sie nicht effektiv lernen können, während sie Musik hören und mit Freunden chatten. Dabei können Sie das nicht. Ältere Erwachsene können ihre Denkfähigkeit steigern, indem sie auf ihren eigenen Rat hören: Handy und Musik ausschalten und sich an einen vollkommen ruhigen Ort setzen, um nachzudenken und zu arbeiten.16

Ebenfalls im Schwinden begriffen ist die Fähigkeit, sich an Namen und Fakten zu erinnern. Wenn Sie fünfzig sind, ist Ihr Gehirn so vollgestopft wie die New Yorker Stadtbibliothek. Und die für Sie zuständige Bibliothekarin ist gebrechlich, langsam und leicht ablenkbar. Wenn sie eine Information raussuchen soll, die Sie brauchen (sagen wir, den Namen von jemandem), braucht sie ewig, um aufzustehen, holt sich erst mal einen Kaffee, redet mit einem alten Freund in der Zeitschriftenabteilung und weiß dann nicht mehr, was sie eigentlich wollte.17 Währenddessen könnten Sie sich in den Hintern beißen, weil Sie etwas vergessen haben, was Sie seit Jahren wissen. Wenn die Bibliothekarin endlich wieder auftaucht und sagt: »Der Typ heißt Mike«, ist Mike schon längst weg, und Sie machen längst etwas anderes.

Trotz solcher Ärgernisse kommen manche Leute ziemlich gut mit dem Verfallsprozess zurecht. Nehmen wir den Fall von Paul Dirac, dem Physik-Nobelpreisträger mit dem traurigen Gedicht darüber, dass Physiker mit dreißig zum alten Eisen gehören. Sein wichtigstes Werk und seine intensivsten und produktivsten Jahre lagen tatsächlich in seinen Zwanzigern und frühen Dreißigern. Nach Mitte dreißig war er immer noch ein aktiver Gelehrter und leistete gute Arbeit, aber nicht mehr in dem Maße wie früher. Doch er machte das Beste daraus. In einem späten Geniestreich – anders kann man es nicht bezeichnen – verließ Dirac mit siebzig das trübe Cambridge und nahm eine Professur an der Florida State University an. In seinen späten Jahren genoss er den Sonnenschein und ging schwimmen. An der Uni aß er jeden Tag mit Kollegen zu Mittag und machte dann ein Nickerchen. Er veröffentlichte weiterhin Fachartikel – ohne spektakuläre Ergebnisse. Seine letzte Arbeit beschäftigt sich mit einer Forschungsfrage, die er nicht beantworten kann, und endet mit den ehrlichen Worten: »Ich habe viele Jahre mit der Suche nach […] verbracht und es noch nicht gefunden. Ich werde weiter daran arbeiten, solange ich kann, und andere werden hoffentlich diesem Beispiel folgen.«18

Leider ist eine solche Gelassenheit die Ausnahme von der Regel. Nehmen wir Linus Pauling, den einzigen Menschen, der Nobelpreise in zwei unterschiedlichen Kategorien erhalten hat. Wie bei Dirac und so vielen anderen hatte er seine größten Erkenntnisse in den Zwanzigern. In seinen Dreißigern schrieb er sein berühmtestes Buch, The Nature of the Chemical Bond, das die Arbeit des vorangegangenen Jahrzehnts zusammenfasste. Den Nobelpreis für Chemie erhielt er 1954 für Arbeiten zu chemischen Bindungen, die er Jahrzehnte zuvor geleistet hatte.

Nach seinen großen Entdeckungen arbeitete Pauling weiter in der Forschung, widmete sich jedoch zunehmend dem öffentlichen Aktivismus – um, wie manche glauben, im Rampenlicht zu bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Pauling der Anti-Atombewegung zu. Als Chemiker, Nobelpreisträger und Zeitgenosse jener Wissenschaftler, die die Atombombe entwickelt hatten, bekam er von der Antikriegsbewegung in den Vereinigten Staaten und Europa eine prominente Position zugewiesen.

Pauling erhielt 1962 für seinen Einsatz für die Einstellung von Atomtests am Höhepunkt des Kalten Krieges den Friedensnobelpreis. Naturgemäß machte ihn dies zu einer umstrittenen politischen Figur: Für einige war er ein Held, für andere ein Schurke. Letztere wiesen gerne darauf hin, dass er 1970 auch den Lenin-Friedenspreis der Sowjetunion gewann – und entgegennahm.

Paulings Verlangen nach Relevanz verleitete ihn dann dazu, pseudowissenschaftliche Trends zu verbreiten. Er befürwortete die Eugenik und schlug vor, dass Menschen mit Gendefekten wie der Sichelzellenanämie als Warnung für potenzielle Partner auffällig tätowiert werden sollten. Wie allgemein bekannt ist, vertrat er mit zunehmender Besessenheit die Theorie, Vitamine könnten eine Vielzahl von Krankheiten, sogar Krebs, heilen und das Leben stark verlängern. Er befürwortete eine sogenannte »orthomolekulare Psychiatrie«, die psychisch kranke Menschen mit hohen Vitamindosen behandeln sollte.

Höchstwahrscheinlich haben auch Sie schon einmal gehört, dass man mit reichlich Vitamin C Erkältungen vorbeugen könne. Diese Theorie stammt aus Paulings berühmten Schriften aus den 1970er-Jahren, die wie praktisch alle seine späteren Ideen vielmals wissenschaftlich widerlegt wurden. Wie der Cambridge-Professor Stephen Cave dokumentiert hat, erwarb sich Pauling in der etablierten Medizin den Ruf eines Quacksalbers und verbrachte einen Großteil seiner letzten Lebensjahrzehnte im erbitterten Kampf gegen seine vielen Kritiker in Wissenschaftsjournalen.19

Die Qual der Irrelevanz

Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Niedergang für Pauling so schwer war, weil mit der Abnahme seiner Fähigkeiten auch seine Bedeutung in der Öffentlichkeit abnahm. Und egal ob man berühmt ist oder nicht: Kaum etwas fühlt sich schlimmer an, als für diejenigen, die einen vormals schätzten, irrelevant oder sogar nutzlos zu werden. Diese Klage kam mir bei der Recherche für dieses Buch immer wieder zu Ohren. Ich habe zum Beispiel mit einem Antiquar in New York gesprochen. Er liebte seinen Beruf und hatte Freude an seiner Karriere. Aber jetzt … na, ich lasse ihn für sich selbst sprechen:

Ich habe mein ganzes Leben lang mit seltenen Büchern gehandelt, ich war schon mit vierundzwanzig Jahren im Geschäft. Ich hatte großes Glück – Bob Dylan, John Updike, J. M. Coetzee, Woodward und Bernstein – zahllose Nachlässe – Waugh, Pound, Churchill, Roosevelt. Vor zwanzig Jahren lauschte man bei Dinnerpartys gebannt meinen Anekdoten über die Suche nach Bücherschätzen, über meine Deals. Aber in den letzten zwölf Jahren frage ich mich immer, wie die anderen am Tisch mich sehen. Was sehen sie? Ich fürchte, sie sehen das »Gestern«.

Ich habe mit einer fünfzigjährigen Frau gesprochen, die einen hohen Verwaltungsposten an einer großen Universität innehat.

Sobald die Software so raffiniert ist, dass sie die menschliche Fehlerquote unterbietet und das Ergebnis nicht mehr von einem menschlichen Auge überprüft werden muss, bin ich arbeitslos. Ich schätze, mir bleiben noch etwa fünf bis zehn Jahre. […] Ich versuche, meinen Abstieg bei der Arbeit vorerst zu verbergen, aber ich weiß, dass ich ihn nicht ewig verbergen kann. Ich möchte genug Zeit für Veränderungen haben, ohne mein Einkommen zu verlieren. Aber wenn ich eines Tages gefeuert werde, na ja. Das Leben geht weiter, oder auch nicht.

Bedenkenswert sind auch diese Worte von einer prominenten Journalistin in den Fünfzigern: