Der Bewusstseinsweg - Janine Bonk - E-Book

Der Bewusstseinsweg E-Book

Janine Bonk

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Beschreibung

Der Bewusstseinsweg lädt all jene ein, die bereit sind, sich auf ihre eigene Heldenreise zu begeben, sich selbst zu begegnen und in die volle Verantwortung zu gehen. Die Autorin Janine Bonk begleitet die Leser und Leserinnen durch die Stromschnellen dieser Reise hin zu ihrer verborgenen inneren Kraft. Jeder erlebt hier sein eigenes Abenteuer und erfährt, wie er die Fesseln des Egos und der Angst erkennen und lösen kann, um dann Schritt für Schritt das Licht im Schatten zu entdecken und leuchten zu lassen. Im Licht ohne Schatten öffnet das Buch einen Raum, in dem der Kontakt mit dem inneren Funken und ein Leben im wahren Selbst erlebbar wird. Die geistige Sonne erwacht. Der Bewusstseinsweg ist eine wahrhaftige Liebeserklärung an die Heldenreise, die wir als Menschen antreten und an die Ent-Wicklungen, die wir auf diesem Weg erfahren können.

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Inhaltsverzeichnis

Das Licht im Schatten

1. Das Wesen des Weges

1.1 Märchenstund´ hat Gold im Mund

1.2 Der Wille, den Weg zu gehen

1.3 Der eigenen Spur folgen

2. Die innere Schmiede: Angst und Freiheit

2.1 Die Fesseln erkennen

2.2 Das Wesen der Fesseln: Die Themen der Angst

2.2.1 Gefangen im Körper

2.2.2 Der Kampf ums Ansehen

2.2.3 Die Fessel des Besitzes

2.2.4 Von Macht, Kontrolle und Sicherheit

2.2.5 Im Bann der Beziehungen

2.3 Fesseln und Bannsprüche (er)lösen

2.3.1 Das Lösen ist unsere Erlösung

2.3.2 Die Fähigkeit zur Lücke

2.3.3 Der Weise lässt den Stein liegen

2.3.4 Der Weg des Phönix

2.3.5 Die Kunst der Differenzierung

2.3.6 Der Abschied von der Schuld

2.3.7 Die Gnade der Vergebung

3. Das L-ICH-T im Wir

Licht ohne Schatten

4. Das L-ICH-T in mir

4.1 Eine Annäherung an das Göttliche

4.2 Ein Weg ohne Weg

Einleitung – Das Leuchten beginnt

Jeder einzelne Mensch findet auf seine eigene Art und Weise auf den Bewusstseinsweg. Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an diese innere Reise des Menschseins. Es lädt all jene ein, die entschlossen sind den Entwicklungsweg zu gehen und sich bewusst auf ihre eigene Heldenreise begeben wollen – denn es ist eine wahre Heldenreise, die wir antreten.

Auf dieser Reise werden wir zwei Strömungen folgen – dem Werden und dem Sein. Wir werden das „Licht im Schatten“ und das „Licht ohne Schatten“ erstrahlen lassen. Diese Gleichzeitigkeit – die Arbeit der inneren Schmiede an unseren Verwicklungen und die Weitung zu unserem wahren Sein, wird uns fortwährend begleiten. Immer wieder werden wir erfahren, dass wir wachsen, einen Weg gehen und gleichzeitig bereits dort sind. Wir sind es und werden es immer mehr. Die Heldenreise ist eine Reise in der Zeit und jenseits dieser. Mit unserer linearen Ratio können wir diese Paradoxie nicht fassen. Erst, wenn wir uns in ein lebendiges, durchfühltes Denken und in eine Feldwahrnehmung weiten, können wir diese Gleichzeitigkeit erleben, uns unmittelbar in ein neues Bewusstsein heben und das Erwachen der geistigen Sonne erfahren. Der Weg ist zu unserem Ziel geworden, die Bewegung hat in ihrem höchsten Punkt zur Stille gefunden, Zentrum und Raum sind gleichzeitig präsent, das All-Eine ist im Einen erfahrbar.

Das Leuchten beginnt.

»Werde still mein Wesen und sinke tiefer in dich hinein, wachs aus allem, was gewesen zu diesem Punkt hin allein.

Und ruh‘ in dir und weite dich in diese Welt, fern jedem Kampf und jeder Gier, und sieh‘, wie es in dir bestellt.

Erkenne dich in allem Sein und sinke tiefer als du je vernommen, ohne Grund in dich hinein und wisse, du bist angekommen.«

(Janine Bonk)

Das Licht im Schatten

Der Bewusstseinsweg – unsere ganz eigene Heldenreise

1. Das Wesen des Weges

Jede Heldenreise beginnt mit einer Sehnsucht, mit einer Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit, nach Freiheit und Liebe. Irgendwann kommt der Tag, an dem die Sehnsucht so groß oder die Not so essenziell wird, dass es unumgänglich wird, den Aufbruch ins Ungewisse zu wagen und sich allen Gefahren und Herausforderungen zu stellen. Es führt kein Weg daran vorbei, diesem inneren Ruf zu folgen. Wer einmal das goldene Leuchten gespürt oder einen Blick hinter den Vorhang werfen durfte, wird fortan von der Sehnsucht, sich mit diesen ganz zu verbinden, geführt werden. Ebenso können Erschütterung und Leid zu diesem Weg hinleiten. All diese Wege führen den Helden auf seine Suche nach Freiheit, Heilung, Liebe und Vereinigung. Bereits in Kindheitstagen sind uns diese inneren Reisen in Sagen und Märchen begegnet. Immer wieder konnten wir mit leuchtenden Augen den Aufruf des Helden erleben, den Schatz zu finden und die Prinzessin zu retten. Ganze Welten entstanden in uns, während wir den Worten lauschten, die den Helden in die Ferne ziehen ließen. Wir erlebten, wie er Verlorenes wiederfand, sich und andere aus Gefangenschaften befreite, Bannsprüche und Verwünschungen löste und sein Land von Krankheit, Leid und Not heilte. Gespannt harrten wir aus, bis er den Drachen besiegt, enge Felsschluchten durchschritten, hohe Berge erklommen oder den Schatz vom Grund des Meeres gehoben hatte. Und dann tauchten wir voller Freude mit ein, wenn er Hochzeit feierte und die Königswürde erlangte. All diese Bilder wurden in uns lebendig und wie ein Samenkorn in uns gelegt, als wir ein Kind waren. Heute, als erwachsener Mensch, können wir diese ins Bewusstsein heben und uns von ihnen auf unserer eigenen Heldenreise begleiten lassen.

Wir alle sind Heldinnen und Helden. Doch auf diese, eher oberflächliche Sicht, bezieht sich der Begriff des Helden nicht. Er spricht etwas viel Umfassenderes an. Der Held ist eine Instanz in uns. Sie ist es, die sich all den Herausforderungen auf der Heldenreise stellt. Einmal finden wir sie im Bild der weisen Prinzessin oder der sorgenden Schwester. Ein anderes Mal zieht sie als Jüngling der Sehnsucht hinterher. All dies sind Teilaspekte der Heldenreise, Aufgaben und Kräfte, die uns auf unserem Weg begegnen und in uns wohnen.

Die Heldengeschichten und Bilder sollen aber nur Impulsgeber sein und uns zu unseren ganz eigenen Schritten inspirieren. Jede Heldenreise ist einmalig und von unvergleichlicher Art. Daher werden hier keine Theorien, Konzepte oder Weisheitsgebilde vorgestellt. Auch geht es nicht darum, etwas leichtfertig zu übernehmen oder einen neuen „Ismus“ zu schaffen. Vielmehr soll ein wahrhaftiges Erringen des Geistigen aus eigener Kraft im Mittelpunkt stehen, das Eigene als das Eine im Ganzen zu leuchten beginnen und alle Anregungen einem aufrichtigen und gegenwärtigen Erleben entspringen. Dennoch möchte ich in Achtung und Dankbarkeit jene erwähnen, auf deren Erbe und innerer Führung diese Schritte fußen. Allen voran seien Joel Goldsmith und Rudolf Steiner genannt, aber auch Mabel Collins, Friedrich Weinreb, Mirra, Sri Aurobindo, Laotse, Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī und viele weitere Poeten, klare Denker, Mystiker und großen Geister, die sonnenhaft hineinwirken.

Treten wir nun selbst auf diesen Bewusstseinsweg und folgen unserer ureigensten Spur, inspiriert von jenen, die den Berg bereits bestiegen haben. Dieses Buch soll den Bewusstseinsweg allerdings nicht nur beschreiben, sondern ihn so verdichten, dass wir unmittelbar beim Lesen in das Erleben der Heldenreise eintauchen. Immer wieder werden wir daher an den verschiedenen Abzweigungen unseren eigenen Verhärtungen begegnen und durch unsere Verwicklungen hindurch zum größeren Bogen geführt, zur Qualität dahinter und dem Geistigen in den Dingen. In den folgenden Kapiteln begeben wir uns bewusst in dieses Abenteuer und beschreiten den Weg des „Werdens“. Wir nutzen die Weisheiten der Märchen, das Bildnis des Unalome und das Labyrinth von Chartres, um uns dem Wesen des Weges zu nähern. Sie weisen uns auf wichtige Weggabelungen hin und beleuchten verschiedene Aspekte und Eigenschaften dieser inneren Reise. In der inneren Schmiede, im zweiten Kapitel, betrachten wir die Stolpersteine, die grundlegenden Fesseln und die Verbindung von Angst und Freiheit genauer. Wir schulen unser Erkennen, unsere Differenzierungsfähigkeit und lernen uns von den Fesseln zu lösen, das „Licht im Schatten“ leuchten zu lassen. Das dritte Kapitel erinnert uns noch einmal daran, das Errungene mitten im Leben, in unseren Beziehungen und Gemeinschaften zu verwirklichen und zu vertiefen. Im letzten Abschnitt tauchen wir ins „Sein“ ein und erfahren die zweite Geste, die uns in die Freiheit, in unsere Mitte bringt. Im „Licht ohne Schatten“ nähern wir uns über das Wort, um in das, was jenseits aller Worte ist, überzugehen, und das „L-ICH-t“, unser „Ich“ zu erfahren.

1.1 Märchenstund´ hat Gold im Mund

Lassen wir uns ein wenig von den Heldenreisen in den Märchen und Sagen inspirieren. Zu den bekanntesten Erzählungen zählen sicherlich die Geschichten von König Arthus und den Rittern der Tafelrunde, Siegfried und die Sage der Nibelungen, die Odyssee oder auch die modernen Legenden Herr der Ringe und Harry Potter. Viele weitere Mythen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen und Epochen könnten hier angefügt werden. In Bild, Klang und Wort zeugen sie alle von der großen Heldenreise, auf die sich der Mensch seit jeher begeben hat. Wir finden sie in der Bhagawadgita genauso wie im Tao Te King, in den Steinmetzarbeiten der Tempel, in den Gemälden der alten Meister oder auch in den Klängen der Zauberflöte. Wer sich offenen Auges umschaut, wird überrascht sein, an welchen Orten diese einem überall entgegenkommen. Aus dieser Fülle der Quellen möchte ich die Märchen der Gebrüder Grimm hervorheben, da sie eine besondere Rolle unter den Erzählungen einnehmen. Sie entstammen unserem Kulturraum und die meisten von uns sind mit ihnen aufgewachsen. Während Sagen und Legenden häufig von regionalen Begebenheiten berichten und Kunstmärchen uns in die Welt der Fantasie führen, erfahren wir in den Grimmschen Märchen die Urbilder und Weisheiten des Bewusstseinsweges in lebendigen, imaginativen Bildern. In ihnen werden wir auf unsere eigenen Heldenreisen mitgenommen. Aus diesem Grund geben uns die Erzählungen auch keine genauen Orte, Zeiten oder individuellen Namen vor. Sie zeigen vielmehr das übergeordnete Bild, den zeitlosen Ausdruck. Rudolf Steiner und Friedrich Weinreb geben uns hierzu einige wichtige Impulse. Diesen möchte ich in den nächsten Abschnitten ein wenig folgen. Bereits das Stammwort „maere“, auf dem unser heutiges Wort Märchen beruht, weist mit der Bedeutung „Kunde“ oder „Nachricht“ auf die Aufgabe der Märchen hin. Sie sollten in erster Linie nicht dem Vergnügen dienen, sondern den Menschen eine Botschaft näherbringen. Beginnen wir also ihrer Kunde zu lauschen.

»Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen Wenn die, so singen oder küssen, Mehr als die Tiefgelehrten wissen, Wenn sich die Welt ins freie Leben Und in die Welt wird zurück begeben, Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit werden gatten, Und man in Märchen und Gedichten Erkennt die wahren Weltgeschichten, Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort.«

(Novalis)

Wenn wir die Grimmschen Märchen nicht nur als Fantasiegeschichte ansehen oder oberflächlich deuten, sondern die Wahrheiten in den Bildern und die Aussagen dahinter erkennen, können sie uns auf unserem Weg zu einem geistigen Proviant werden. Die Märchenbilder schenken uns Inspiration und Begleitung. Allerdings soll in diesem Buch nicht die Märchenkunde und die fachliche Auseinandersetzung mit dem Mythos der Heldenfahrt im Mittelpunkt stehen. Dennoch dienen uns ein paar Elemente als Wegweiser und Anregung für unsere eigenen Erfahrungen und Entwicklungsschritte. Je länger wir uns mit den Botschaften der Märchen beschäftigen, umso klarer verstehen wir ihre Sprache und entschlüsseln sie mehr und mehr. Wir wissen, dass der Prinz keine „männliche“ Person ist, sondern die Kraft in uns, der Teil unseres Wesens, der sich auf die Heldenreise begibt, um sich mit dem höheren Selbst, der Prinzessin zu vereinen. So ist es kein Zufall, dass im „Treuen Johannes“ der Prinz beim Anblick der Prinzessin tief berührt und von einer ungeheuren Sehnsucht ergriffen wird. Er hat einen Blick auf das wahre Sein werfen dürfen und ist fortan von dem Wunsch durchdrungen, sich mit dem Wahren, dem Geistigen ganz zu verbinden, es zu ehelichen und Hochzeit zu feiern. Dieses Motiv begegnet uns in vielen Märchen. Auch in der Mystik kennen wir den Begriff der „Chymischen Hochzeit“. Attribute der Prinzessin, wie Schönheit oder goldene Kleider, zeichnen dabei ein deutlich komplexeres Bild als nur ein nettes Aussehen. In den Erzählungen wird unser Inneres äußerlich sichtbar, entweder als Schönheit oder in einem abscheulichen Anblick. Ähnlich wie in den Beschreibungen der nachtodlichen Transformation, in denen das Innere nach außen gekehrt und jeder Gedanke im Geistigen sichtbar wird, zeigt uns das Märchen ebenso unverschleiert, wer vor uns steht.

Dies kann uns nachdenklich stimmen. Wie verborgen sind in unserem Alltag doch unsere inneren Gedanken und Gefühle? Wir können selbst einmal das Experiment wagen und uns überlegen, wie es wäre, wenn diese für jeden sichtbar wären. Würde das innere Bild mit dem äußeren übereinstimmen? An welchen Stellen wäre es uns unangenehm? Wo kommt es uns zu Bewusstsein, dass wir Ungutes bewirken und erschaffen? Ein wunderbarer Hinweis bereits jetzt, dies zu ändern und mehr und mehr in einen Einklang, einen Klang zu schwingen. Solange das schöne Bild nur äußerlich wirkt und wir innerlich noch wüten, solange leben wir in vielen Missklängen und Verstimmungen. Unser Urton kann noch nicht in seiner ganzen Kraft und Klarheit durch all das Rauschen durchdringen. Auch dieses Motiv finden wir in den Märchen, indem die Schönheit noch verdeckt oder gar in eine andere Form gebannt ist. Vielleicht war der Prinz zu hartherzig und zu unbedarft, begegnete einer Hexe und ließ sich von dieser überwältigen, so dass er versteinert, verwunschen oder verwandelt wurde. Dann braucht es den Helden, der um die Erlösung ringt. Eine Instanz in uns, die die Kraft, den Mut und die Tugend besitzt, den Zauber zu lösen und das verwandelte Antlitz wieder in seiner Schönheit erblühen zu lassen.

Eines der geläufigsten Märchen der Gebrüder Grimm ist wahrscheinlich Sterntaler. Es zeigt uns den ganzen Bogen der Heldenreise und fasst in eine starke Bildsprache, wie wir unsere Ego-Strukturen befreien. Wir erfahren, wie wir Schicht um Schicht ablegen, bis wir schließlich frei unter dem Firmament stehen und sich uns der Himmel in seiner ganzen Fülle entgegen neigt. Ein ähnliches Märchen aus dem östlichen Raum beschreibt diesen Weg im Bild eines Ungeheuers oder Drachengetiers, dass in der Hochzeitsnacht durch die Weisheit der Prinzessin beginnt Hautschicht für Hautschicht abzuziehen. Nach der letzten Schicht steht neben ihr kein Ungeheuer mehr, sondern der Prinz. Ist die Erlösung vollbracht, begegnet uns das Motiv der Vereinigung oder eines Festes. Die Lebendigkeit kehrt zurück, alles leuchtet in seinem Glanz und ist golden.

Wird in den Märchen etwas als „golden“ beschrieben, so meint dies allerdings weniger den materiellen Reichtum als den Geistigen. Die Qualität erschließt sich uns im Bild. Das Vergolden weist uns auf geistige Kräfte und eine Verbindung zum Geistigen hin. Hier ist unser feines Sensorium gefragt, dies zu ertasten, den Geschmack und die Sprache des uns entgegenkommenden Bildes zu entschlüsseln. Eine platte Übersetzung von Gold mit Weisheit oder Geist – mag sie meistens auch zutreffen – kann ebenso ein Irrweg sein. Erinnern wir uns beispielsweise an Hans in Glück, der nach sieben Jahren einen Klumpen Gold als Lohn für seine Arbeit bekommt. Der Goldklumpen ist mit dem Hinweis belegt, so groß zu sein wie sein Kopf. Hier ist weniger das Geistige, als ein Kopf-Reichtum, ein Wissen gemeint, welches Hans auf seinem Weg nach Hause zu seiner Mutter, zur Alma Mater in Weisheit, in die Isis-Sophia wandelt. Manch eine Vergoldung muss in den Geschichten erarbeitet werden, andere ist bereits vorhanden. Während zum Beispiel in Allerleirauh der Held mit goldenen Haaren geboren wird, finden wir im Eisenhans das Motiv, dass sich jemand die goldene Haarpracht erarbeitet. Zwei Gesten treten uns entgegen und wir können in ein eigenes Forschen gehen: Welche Talente trage ich in mir? Was habe ich mitgebracht? Und welche Fähigkeiten habe ich neu erworben? Beides hat seine Qualität und verdient Würdigung. Allerdings dürfen wir in keine Wertungen verfallen. Zwar geben uns die mitgebrachten Stärken Hinweise auf vergangene Wege, doch bleibt davon wenig, werden diese im Jetzt nicht weiterentwickelt, neu errungen und auf eine neue Stufe gehoben. Wir können nur weitertragen und mitnehmen, was wir selbst errungen haben. Die reine Kopie oder das Nachsprechen von Weisheiten macht noch nicht ihre Qualität aus. Erst wenn wir sie uns ganz zu eigen gemacht haben, können ihr Inhalt und ihre Kraft in uns und durch uns wirken. Sie sind zu etwas ganz Individuellem im übergeordneten Gemeinsamen geworden. Einmal mehr dürfen wir uns bewusst machen, dass wir durch den „Weg“, durch unser „Werden“ nicht durch das „Haben“ die Welt gestalten und in dieser Weise am Bewusstseinsweg der Menschheit und der Vergeistigung mitarbeiten.

Bleiben wir beim Gold als Sinnbild für spirituell-geistigen Reichtum, so kann uns der vergoldete Gegenstand Hinweise schenken, welche Ebene bereits vergeistigt ist. Ist es eine Pflanze oder ein Apfel, ein Tier oder gar ein ganzes Schloss? Das Gold kann auf die Ebene der Lebenskräfte hindeuten, uns eine Veredelung der Seelenwelt und Astralebene zeigen oder gar den Schritt zum höheren Ich und in die geistige Welt beschreiben. Interessant ist, dass es nicht immer allen Figuren möglich ist, den goldenen Gegenstand zu nehmen. Der alte König im Märchen „Der goldene Vogel“ kann beispielsweise nicht mehr in den Garten mit den goldenen Früchten hinter sein Schloss treten. Er muss seine Söhne schicken, denn er selbst ist zu fest, zu materiell geworden und kann nur noch im vorderen Bereich im Tagesgeschäft und Tagesbewusstsein wirken. Im Garten mit den goldenen Früchten sollen die Prinzen wachen. Wir erfahren, wie unterschiedlich ihre Fähigkeiten sind. Während es dem ersten gar nicht gelingt wach zu bleiben, so kann der zweite schon über eine gewisse Zeit wachen, während der dritte, der Held der Geschichte, die ganze Nacht durchwacht.

Diese Dreierkonstellation finden wir in vielen Märchen und oft ist es der dritte Versuch, der dritte und jüngste Bruder, dem es gelingt. Es ist interessant, dass an dieser Stelle auf das Alter hingewiesen wird, während ansonsten solche Angaben fehlen. Das Alter stellt hier also mehr dar als nur eine Jahreszahl. Welche Qualität soll aufgezeigt werden? Warum ist es gerade dem Jüngsten, der auch häufig als Dummling bezeichnet wird, möglich die Heldenreise zu bestreiten? Beide Bezeichnungen weisen auf Eigenschaften hin, die der Held noch bewahren oder sich erringen konnte. Er ist jung oder in sich jung geblieben und hat eben nicht – wie der alte König oder seine Brüder – schon eine Starre in seinem Wesen und seinem Denken eingenommen. Eine innere Lebendigkeit, eine Beweglichkeit, eine Warmherzigkeit ist ihm eigen. Ein lebendig-durchwärmtes Denken, das aus einem tiefen Wissen, einem wirklichen Begreifen und Durchdringen der Dinge gespeist wird, von Interesse und Mitgefühl geprägt ist und sich nicht durch äußerlich vorgefertigte Konzepte zeigt, führt seine Wege. Statt rein erlerntem Wissen, folgt er einer gelebten Weisheit. Er ist jung und „dumm“ geblieben. Mit dieser Wachheit, Beweglichkeit und Herzenswärme besitzt er genau die Bewusstseinskräfte, die nötig sind, um nicht in den Schlaf abzugleiten. Ihm ist es in dem Märchen der „Der Goldene Vogel“ möglich, das Geschehen wahrzunehmen, den goldenen Vogel zu erleben und ihm sogar zu folgen. Wir können uns selbst die Frage stellen: Kann ich in meinen hinteren, geistigen Raum hineinblicken oder bin auch ich wie der alte König allein im Alltagsgeschäft aktiv? Kann ich zu den Vorgängen dahinter erwachen, das Bild dahinter erkennen, das Lied in allen Dingen hören? Oder nimmt mich die Welt der Erscheinungen so gefangen, dass ich an ihrer Oberfläche gefesselt bin? Kann ich wach werden in meinem Wesen? Kann ich aus einem Reagieren in ein freies Handeln wachsen? Ist es mir möglich im Geistigen zu erwachen? Und die noch wesentlichere Frage: Kann ich wach bleiben? Oder schlafe ich immer wieder ein und verliere mich im Alltag und im Spiel der Erscheinungen? Der Grad unserer Wachheit hängt direkt mit dem Grad unserer Freiheit zusammen. Schnell schließen sich viele Fragen zu unseren eigenen Fesseln und unserer Unfreiheit an, denen wir uns im zweiten Kapitel widmen wollen.

»Es geht durch die Märchendichtung innerlich dieselbe Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen. Kindermärchen sollen erzählt werden, damit in ihrem hellen und reinen Lichte die ersten Gedanken und Kräfte des Herzens aufwachen und wachsen.«

(Jacob Grimm)

Eine weitere typische Erzählung in den Märchen ist die Darstellung der Beziehung zum Geistigen im Bild der Haare. Wenn wir dabei wissen, dass Haare in vielen Kulturkreisen die Bedeutung geistiger Verbindung und göttlicher Kraft haben, entschlüsselt sich uns das Bild, wenn diese besonders lang sind, beschnitten werden oder sich gar vergolden. Bis heute wahrt die Glaubensgemeinschaft der Sikh ihre Haarpracht. Aber auch in den griechischen und ägyptischen Mysterien haben Haare eine ähnliche Bedeutung. Beispielsweise schnitt Isis sich eine Locke ab und legte sie Osiris zum Schutz seiner Seele mit ins Grab. Ebenso wie die Ehrung der Haarpracht gab es jedoch auch eine Angst davor. Gerade in den Zeiten, in denen die Menschen immer weniger in einem natürlichen Kontakt zum Geistigen standen, erschienen Ängste. Alte keltische Feste wie Samhain verwandelten sich so im Laufe der Zeit zu Abenden voller Angst. Die Menschen nahmen eine Kraft wahr, konnten sie allerdings nicht mehr verstehen. Über die Jahrzehnte verlor sich auch dieses Erahnen. Aus dem einst geistigen Fest wurde eine Spukparty. Ein ähnlicher Prozess lässt sich bei der Deutung von Haaren vermuten. Das einstige Symbol für geistige Verbindung wurde dämonisiert und mit der Entfesselung magischer Kräfte verbunden. Traditionen, in denen Haare nicht offen getragen bzw. bedeckt werden mussten oder nicht gekämmt werden durften, solange Verwandte auf See waren, sind auf diesen Glauben zurückzuführen. Es gibt aber auch andere Deutungen. Eine davon vertritt Friedrich Weinreb. Er folgt dem biblischen Bild, nachdem der Mensch vom Baum der Erkenntnis gekostet, sein Lichtkleid verloren hatte und daraufhin seinen Körper mit Fell und Haar bedeckte. Mit diesem Bewusstseinsschritt ist der Mensch in die Trennung getreten. Das äußere Prinzip hat die Herrschaft übernommen. Weinreb beschreibt, dass Haare ein Ausdruck dieses Zurückweichens des inneren vor dem äußeren Prinzipes symbolisieren. In der Aussage des Apostel Paulus, dass Frauen in der Kirche ihr Haar bedecken sollen, sieht er die Aufforderung, dass das äußere Prinzip mit den Wertungen und Urteilen bedeckt und zurückgehalten werden soll. Andere Quellen wiederum sehen in dieser Anweisung den erwähnten altertümlichen Glauben an Hexenkräfte. Diese unterschiedlichen Varianten und Sichtweisen lassen uns erkennen, welche Möglichkeit der Interpretationen gegeben sind. In der Vielfalt können wir erspüren, welche Qualität uns das Bild entgegenbringt. Und uns bewusst machen, dass es eben kein mechanischer Bauplan ist, der immer nach dem gleichen Schema reproduziert werden kann. Wir wollen in der Arbeit mit den Märchenbildern kein Baukastensystem erstellen, sondern uns vielmehr durch diese anregen und in tiefere bzw. auf höhere Ebenen weiten lassen.

In vielen Märchen begegnen uns in der Bildsprache nicht nur Gegenstände, sondern auch Zahlen. Neben der Zwölf und der Sieben erscheint die Drei in den drei Brüdern, den drei Prüfungen, der dreifachen Wiederholung und Zusammenkunft und den drei Wünschen an vielen Stellen. Betrachten wir die Symbolik der Drei, so erfahren wir, dass die Drei für den Ausdruck der göttlichen Kraft steht. Das Ewige wird in der Dreiheit sichtbar, offenbart sich dem Menschen als das Wahre-Gute-Schöne oder in dem Weg des Menschen mit Glaube-Liebe-Hoffnung. Auch das „Sat-Chid-Ananda“ gehört zu der Offenbarung der Drei. Sri Aurobindo sieht in ihm eine Beschreibung des erhabenen göttlichen Wesens in einem dreifachen Aspekt, der im Höchsten doch Eins ist. Dieses Bewusstsein der Dreiheit finden wir in den unterschiedlichen Kulturen als Vater-Sohn-Heiliger Geist, Isis-Osiris-Horus, Zeus-Poseidon-Hades oder Brahman-Vishnu-Shiva, dem Schöpfer, Erhalter und Erneuerer. Auch bei den Nornen, den drei Schicksalsfrauen aus der nordischgermanischen Mythologie, finden wir dieses Dreigestirn in Udr-Verdandi-Skuld, das Gewordene, Werdende und Werdensollen. Die Triskele ist ein ebenso bekanntes Symbol dieses Dreier-Prinzips und auch in dem Dreiklang von Körper-Seele-Geist zeigt sich uns dieses. Wir finden die Drei in der Besonderheit der ersten drei Tage nach dem Tod und der dreitägigen Totenwache, den alten Einweihungsriten, welche meist über drei Tage gingen, als auch in der Auferstehung Christi am dritten Tage. Indem wir die Weitung von der Zwei zur Drei erleben, erfahren wir die jeweilige Qualität in ihrer Unterschiedlichkeit noch intensiver. Mit der Zwei bildet sich ein Gegenüber, ein neues Erkennen wird möglich. Gleichzeitig bleiben wir aber auch mit der Zwei im Spiel der Pole gefangen. Wir verbleiben auf der Fläche der Zweidimensionalität oder folgen der Linie von einem Pol zum anderen, in einer unaufhörlichen Hin-und-Her-Bewegung. In dieser Deutungsweise, die nur ein Aspekt der Zwei ist, verharren wir im Wechsel von „Für und Wider“, von „Richtig und Falsch“, von „Sympathie und Antipathie“. Etwas ganz anderes entsteht, wenn die Drei da ist. Statt dauerhaft von These zu Antithese zu gehen, finden wir uns in einer neuen Synthese. Mit ihr entsteht Raum. Ein Innenraum, in dem wir uns in der Dreidimensionalität auf eine andere Ebene, in eine neue Dimension weiten können. Mit der Drei treten wir in Beziehung und ein Miteinander wird erlebbar. Dieses Annähern an die Qualitäten kann uns ein Gefühl dafür geben, warum uns an vielen Stellen die Zugänge und Weisheitsaspekte verloren gegangen sind: Das geistige Prinzip der Dreiheit wurde zu einer Zweiheit reduziert und an die Polarität gekettet. Ein Beispiel auf welches Rudolf Steiner uns aufmerksam macht, ist die Reduzierung des Menschen auf Körper-Seele, die auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 869 beschlossen wurde. Die Auswirkungen und Einschränkungen, die daraus hervorgehen, sind sofort ersichtlich und wirken bis heute fort. Stelle ich mich unter dieses Gesetz, so ist ein Mittler, ein „Geistlicher“ nötig, um zum Geist zu gelangen oder der Geist wird sogar komplett als Fälschung empfunden. Der Atheismus hat sich zu Recht aus dieser Herrschaft befreit. Den Schritt weiter und aus sich selbst heraus zum Geistigen zu gelangen, hat er jedoch verpasst. Hier bedarf es noch einer Revolution, um aus einer reinen Verneinung in eine Aneignung, ein Erringen und Durchdringen zu gehen. In der Arbeit mit den Märchen entwickeln wir ein Sensorium für das, was durch diese Bilder zu uns spricht. Dieses können wir in andere Bereiche weiten. Unsere Begegnung wird zu einer Meditation. Indem wir lauschen lernen, ein innerliches Bild entstehen lassen und dieses wiederum auflösen können, wird die Qualität dahinter sichtbar. Wir erwachen zum Wesen des Bildes. Je feiner unser Gespür wird, je mehr erleben wir diese lebendige Sprache, die sich uns in dem Moment der Verbindung entschlüsselt und genauso schnell auch wieder verschwindet, sobald wir aus der Begegnung heraustreten. Es tritt uns entgegen und wird durch uns selbst wiederum geprägt. So entsteht in jeder Begegnung eine neue Schöpfung, ein Bewegt- und Beeindrucktwerden, wie ein Bewegen und Prägen gleichermaßen. Treten wir ihnen hingegen mit vorgefertigten Interpretationen gegenüber, bleibt uns ein Großteil ihres Schatzes verborgen. Selbst wenn der geschöpfte Inhalt mit der vorgefertigten Definition in seiner äußeren Form nahezu übereinstimmen mag, so trennen sie doch Welten. Das Bild ist für uns nur die Wiederholung von etwas Bekanntem, schon Definiertem. In dieser Festigkeit kann das Bild nicht zu uns sprechen. Aus diesem Grund möchte ich bei einigen Anregungen bleiben. Sie sollten nicht zu starr betrachtet oder als eine einfache, richtige Antwort missverstanden werden. Ich stelle sie als Hilfe und Ermutigung hinein, selbst in einen Kontakt zu gelangen, innere Fähigkeiten zu entwickeln und das eigene Gespür zu schulen. Dann werden die Bilder vom Erklimmen hoher Berge ähnlich stark mit uns sprechen wie das Hinabsteigen in dunkle Höhlen, das Tauchen auf den Grund des Meeres, die Gefangenschaft im Turm dies tun oder das Durchschreiten der Säle zu einem bekannten, lebendigen Erlebnis wird.

1.2 Der Wille, den Weg zu gehen