Der Blutschlüssel - Anne Jungenitz - E-Book

Der Blutschlüssel E-Book

Anne Jungenitz

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Ein fesselnder Escaperoom-Thriller, der Leser*innen miteinsperrt - und jede Tür öffnet sich nur im Tausch gegen ein Leben ... Herzlichen Glückwunsch! Willkommen bei Partners-in-Crime. Du bist als Komplizin auserwählt worden! Dein Team wartet auf dich, um gemeinsam mit dir die herausforderndste Mission eures Lebens zu begehen. Können sie sich auf deinen Einsatz verlassen? In der Anonymität von LA folgen fünf neu Zugezogene dem Lockruf eines Werbeflyers. "Partners in Crime" nennt sich das mysteriöse Abenteuer, bei dem Fremde eine Mission bestehen müssen, um sich als Team und vielleicht sogar menschlich zusammenzufinden. Hinter dem aufwändig verborgenen, spannenden Geheimnis dieser Aktivität steckt schließlich nicht mehr als ein normaler Escape Room. Doch der Raum öffnet sich nicht, nachdem alle Aufgaben gelöst wurden. Die Tür bleibt verschlossen, und schließlich erscheint ein Countdown, der verrät: Das hier ist kein Fehler. Jetzt beginnt das eigentliche Spiel. Und mit dem ersten Toten sind die Regeln klar. Die Frage ist nur: Wer wird sie akzeptieren? Wer von ihnen wird bereit sein, seine Teammitglieder zu opfern, um die nächste Tür zu öffnen? Und was verbirgt sich dahinter? Für alle Leser*innen von Sebastian Fitzek und Andreas Winkelmann!

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Seitenzahl: 371

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Stephanie Röder

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Pexels und Freepik genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Danach

1. Das Spiel

2. Luft

3. Wasser

4. Wut

5. Vertrauen

6. Puls

Herzlichen Glückwunsch

Danksagung

Für Papa

Na?

Guckst du jetzt niedlich?

Danach

»911. Was ist Ihr Notfall?«

– »Ich habe keinen Notfall, junger Mann, aber meine Nachbarin. Mrs. Adams, Calhoune Avenue, Ecke Lemay Street. Das ist die Nummer 12 auf der Lemay, aber Sie kommen über die Calhoune besser ans Haus.«

»Wie ist Ihr Name, Ma’am und welche Art von Notfall möchten Sie melden?«

– »Erica McGavern. Ich wohne gegenüber, müssen Sie wissen, und hier in der Gegend passen wir aufeinander auf. Selbst auf Neulinge. Ich möchte melden, dass ich nun schon viel zu lange den Automotor von diesem SUV höre.«

»Für Lärmbelästigung wenden Sie sich bitte an die örtliche Polizeidienststelle. Diese Nummer …«

– »Ich bin alt, junger Mann, nicht senil. Der Wagen steht in der Garage. Ich habe ihn nicht kommen sehen, aber ich höre ihn schon eine Weile, und das Garagentor ist verschlossen. Mrs. Adams lebt in Trennung, müssen Sie wissen. Eine Affäre … das arme Ding. Sie hat immer sehr kummervoll gewirkt. Ich fürchte, sie möchte ihrem Gram ein Ende setzen.«

»Verstehe, Mrs. McGavern.«

– »Miss. Diese Dummheiten mit den Männern habe ich gar nicht erst angefangen. Aber Mrs. Adams …«

»Ich schicke einen Wagen, Ms. McGavern. Können Sie mir sagen, ob ungehinderter Zugang zum Haus möglich ist?«

– »Oh Grundgütiger, wie Sie sich ausdrücken. Wissen Sie, ich habe keine Ahnung, ob Mrs. Adams ihre Tür offen lässt. Wäre dumm, wenn Sie mich fragen. Mir hat sie keinen Schlüssel gegeben, müssen Sie wissen, obwohl ich direkt gegenüber wohne. Hat nicht einmal gefragt. Aber ich nehme ohnehin schon seit Jahren keine fremden Schlüssel mehr an. Heutzutage hetzen sie einem ja den Anwalt auf den Hals, weil die Rosen verdorrt sind. Aber nicht mit Erica McGavern, sage ich Ihnen, nicht mit mir.«

»Dann werden die Einsatzkräfte vor Ort prüfen, wie sie … «

– »Vielleicht hat sie ja einen Schlüssel versteckt. Aber junger Mann, ich werde jetzt sicher nicht suchen. Ihre Jungs sind eher hier, als ich an meinem Briefkasten. Ich versuche nur, meine bürgerliche Pflicht zu erfüllen.«

»Verstehe, Ma’am, vielen Dank. Es sollte gleich jemand da sein. Ist sonst jemand in dem Haus Ihrer Nachbarin? Brennt vielleicht Licht?«

– »Kein Licht. Und ich sagte ja bereits – ihr Mann hatte eine Affäre, und sie lebt in Trennung. Rosalind Evans hat mir das erzählt. Sie weiß es von Mary aus dem Drugstore zwei Straßen weiter. Keine Ahnung, woher die es hat. Aber die jungen Dinger tauschen sich über solche Sachen ja aus.«

»Ms. McGavern, die Kollegen müssten gleich vor Ort sein, können Sie vielleicht das Blaulicht schon sehen?«

– »Nein, noch nicht. Haben Sie denen gesagt, dass sie über die Calhoune kommen sollen? Diese Baustelle oben … Sie müssten einen Umweg … Oh, ich sehe etwas.«

»Der Streifenwagen ist eingetroffen?«

– »Das will ich doch wohl meinen, junger Mann.«

»In Ordnung, dann werden sich die Beamten nun um die Lage kümmern und kommen auf Sie zu, falls Ihre Aussage aufgenommen werden muss, Ms. McGavern.«

Ohne ein Wort des Abschieds legte Erica McGavern auf. Mit 91 Jahren war sie zu alt für derlei Geplänkel mit Fremden, mit denen sie ohnehin nie wieder ein Wort sprechen würde.

Diese Mrs. Adams war ihr sympathisch gewesen. Keine Schwätzerin, aber immer ein freundliches Nicken. Sie hatte gewusst, was nötig war, und was überflüssig. Pragmatische Menschen hatten Erica schon immer besser gelegen als Waschweiber wie diese Rosalind Evans drei Häuser weiter. Doch man musste die Menschen nehmen, wie sie waren, hatte ihre Großmutter ihrerzeit gemeint. Eine Weisheit, die auf der Strecke der Zeit verloren gegangen war. Genauso wie die Geduld und das Durchhaltevermögen.

Frances Adams hatte kein Durchhaltevermögen. Das erkannte Erica McGavern an den wabernden Abgasen, die aus der Garage strömten, als die Beamten das Rolltor nach oben stemmten.

1. Das Spiel

Frances

Extremsituationen sind ein Garant für die Kurzlebigkeit romantischer Beziehungen.

Aber sie sind der perfekte Start für Freundschaften bis ans Lebensende.

Du willst den Beweis?

Dann stell uns auf die Probe unter www.partners-in-crime.com/application

Frances Adams warf einen zweiten Blick auf die schwarze Karte mit der gelben Schriftprägung, dann legte sie das Ding beiseite und ging weiter ihre Rechnungen durch. Ziemlich teuer für einen Werbeflyer, dachte sie, und öffnete den nächsten Umschlag.

»Du musst einfach mehr Geduld haben«, sprach die sanfte Stimme ihrer Schwester zu ihr – durch Frances’ Kopfhörer, was den Eindruck eines Selbstfindungspodcasts nur noch verstärkte. Dass Nora davon etliche inhalierte, wenn sie ihre täglichen Meilen zur Arbeit fuhr, war nicht zu überhören. »Ich habe dir ja gleich gesagt, dass der Anfang schwierig wird. Das passiert nun einmal, wenn Träume wahr werden, Fran. Sobald sie in der Realität ankommen, passen sie sich ihr an und werden kälter und grobkantiger, damit sie nicht an ihr zerplatzen.«

Frances war sich ziemlich sicher, dass keiner dieser albernen Podcasts seinen Zuhörern dazu riet, Sätze mit »Ich habe dir ja gleich gesagt« zu beginnen, unabhängig davon, wie metaphorisch das darauf Folgende sein mochte.

»Hörst du mir eigentlich zu?« Merkwürdig, mit dieser Nachfrage klang Nora plötzlich nicht mehr wie eine ausgeglichene Yogafee, sondern wie die nervige kleine Schwester, die sie war. Und wie der einzige Mensch, der noch mit ihr sprach, ohne die Unterhaltung auf ein »Überleg es dir doch noch mal« zu lenken.

Es war zwei Monate her, dass Frances nach einem Vorstandsmeeting in ihr Designerschlafzimmer spaziert war. Gary hatte nackt hinter einer jungen, dünnen Blondine gestanden, die auf allen vieren auf ihrem Ehebett gekniet hatte. Nicht nackt. Lediglich der Rockteil ihres Kleides war über ihren Hintern bis zur Taille gerutscht, und bei seiner Kürze war anzunehmen, dass er das sogar von selbst vollbracht hatte.

Gary hatte seinen Unterleib noch zweimal gegen den der Blondine gerammt, ehe er Frances, seine Ehefrau, im Türrahmen bemerkt hatte. Seine Worte hatten nur unterstrichen, wie ungeheuer klischeehaft diese Situation war: »Es ist nicht so, wie es aussieht.«

Genauso klischeehaft waren Frans Gedanken gewesen: Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert. Warum ich? Was soll ich denn jetzt tun?

Erst die Antwort auf die letzte Frage war überraschend gewesen. Für Gary, für ihren Boss, für ihre Freunde, die eigentlich Garys Freunde waren, und für ihre Familie.

Vor sieben Wochen hatte Frances ihre Sachen gepackt und war nach L. A. gezogen, hatte kleine Ladenräume am Rande der Stadt angemietet und alle Fäden und Dollarnoten gezogen, um binnen fünf Wochen ihren Laden zu eröffnen. Ihr Traum, den sie all die Jahre geträumt hatte, in denen sie damit beschäftigt gewesen war, Geld zu verdienen und ihrem Mann gefällig zu sein. Unzureichend, wie sich herausgestellt hatte.

»Fran?« Noras Stimme hörte sich nun an wie die ihrer Mutter. Es war regelrecht unheimlich. »Bist du noch dran?«

»Bin da«, versicherte sie und begann damit, die Rechnungen nach Dringlichkeit zu sortieren. »Ich glaube, ich sollte einfach Champagner für Hunde verkaufen. Dafür würden die Leute Geld ausgeben. Mit Glitzer. Und Pink. Meinst du, man kann Champagner in Regenbogenfarben herstellen?«

»Ich weiß, das hörst du nicht gern, aber das klingt nach einem Konzept, das funktionieren könnte«, meinte Nora.

Frances entschied sich zu lachen, anstatt wütend zu werden und ihr Geschäftskonzept zu verteidigen. Schon wieder. »Weißt du, was gestern passiert ist?«, hob sie an und hoffte, dass ihre Schwester darauf eingehen würde. Anekdoten waren besser als Kalkulationen und Konzepte. Damit hatte sie genug Zeit ihres Lebens verschwendet.

»Ein neuer Mann mit Schäferhund?«

»Oh Gott, nein. Um Männer mit Schäferhunden mache ich jetzt einen großen Bogen«, stellte Fran sofort richtig. Eine Woche lang war dieser auffallend attraktive Kerl mit seinem Schäferhund in ihrem Laden gewesen. Beim ersten Besuch hatte er sich noch beraten lassen und dann eingekauft. Danach waren es sehr deutliche Flirts und eher wahllose Einkäufe gewesen. Und ja, Frances war sich sicher, dass er mit ihr geflirtet hatte. Sie hatte solche Spielereien jahrelang nicht mehr nötig gehabt und war erschreckend eingerostet. Wenn ihr also ein Flirt überhaupt auffiel, dann war es eindeutig einer. Und sie hatte es genossen, bis irgendwann eine blondierte Schönheit mit demselben Hund in das Geschäft spaziert war, etwas von der Geschäftsreise ihres Mannes erzählte und davon, dass das Futter zur Neige ging und »Hunter«, der Hund, nur dieses Spezialfutter fressen würde.

»Ein Mann mit einem anderen Hund? Oder ohne Hund?«

»Gar kein Mann.« Vermutlich würde ihr dieses Thema noch anhängen, bis sie wieder einen Ring am Finger trug und endlich glücklich wurde. Bei diesem Gedanken kam Frances mit dem Augenrollen gar nicht mehr hinterher. »Eine Frau, Mitte fünfzig, würde ich sagen. Operiert, um auszusehen wie unter dreißig. Also war sie vielleicht auch siebzig. Jedenfalls hatte sie einen Mops. Natürlich hatte sie einen. Kam ins Geschäft, hat sich umgesehen und gefragt, ob ich Pelze führen würde.«

»Pelze? Was für Pelze?«

»Richtig!« Es gab also doch noch Punkte, bei denen Nora und sie auf derselben Wellenlänge lagen. »Dieses Geschäft wäre ihr empfohlen worden und ihre Prinzessin bräuchte einen neuen Pelz. Sie würde so leicht frieren. In Los Angeles.«

Frances hörte das schallende Gelächter ihrer Schwester am anderen Ende der Leitung.

»Ich war wirklich höflich, als ich ihr erklärt habe, dass sich mein Konzept eher auf artgerechte Haltung und nicht auf einen vierbeinigen Puppensalon spezialisiert hätte. Sie hat die Nase gerümpft und ist wieder gegangen. Und weißt du was?«

»Was?«

»Die Leute sind hier so. Tiere tragen Kleidung und fressen Cupcakes. Kein Fleisch. Vielleicht sollte ich ernsthaft mein Konzept überdenken. Weg vom Rohfutter und hin zu Einhornmützchen und Flip-Flops für Katzen.«

»Es können unmöglich alle Leute so sein, Fran. Auf gar keinen Fall. Denk an den Kerl mit dem Schäferhund. Das war für dich sehr schade, aber der Hund bekommt gutes Futter.«

Damit war der Moment der schwesterlichen Einheit für Frances beendet. Ihr stand nicht der Sinn nach gutem Zureden. Sie wollte nicht hören, was zuweilen gut lief, und dass es immer ein Licht am Ende des Tunnels gab. Einen Abreißkalender mit Motivationssprüchen konnte sie sich im Zweifelsfall auch selbst durchlesen. Nein, sie wollte sich an diesem Abend auskotzen. Vielleicht sogar betrinken – mit der halben Flasche Weißwein, die noch im Kühlschrank war und vermutlich nicht mehr verursachen konnte als einen angenehmen Schwips. »Da hast du wohl recht«, murmelte sie nur und bediente sich damit selbst einer abgedroschenen Phrase. Ihrer Meinung nach war das schlicht die höflichste Art, um auf Kalenderweisheiten zu reagieren.

»Ich glaube, du brauchst Freunde«, verkündete Nora. Frances hatte gerade den Kühlschrank angesteuert und die Weinflasche herausgezogen. In dieser Entscheidung fühlte sie sich nach der Aussage ihrer Schwester noch bestätigt. »Normale Menschen. Dann kannst du über Verrückte besser lachen.«

»Nora, wir sind nicht mehr in der Schule. Erwachsene gehen nicht einfach auf andere Erwachsene zu und fragen, ob man befreundet sein will. In einer Großstadt fragt man am besten nicht einmal nach der Uhrzeit. Könnte ja falsch verstanden werden.«

»Sei nicht albern. Du hattest in der Schule schon nicht viele Freunde.«

Aber die richtigen, dachte Frances. Für diese Zeit waren sie die richtigen gewesen. Und dann waren sie nach Europa gegangen oder ans andere Ende der Staaten, hatten studiert oder gearbeitet, geheiratet und Kinder bekommen. Bei ihr selbst war es ja nicht anders gewesen. Uni, Gary, Job. Zeit war vergangen, das Leben war passiert und irgendwann waren richtige Freunde zu Fremden geworden. Das war normal und auch okay, bis man in L. A. einsam in einem Haus saß, das viel zu groß für einen allein war, und sich fragte, was Lauren Holgard gerade machte, und ob sie immer noch grüne Fingernägel trug.

»Ich habe was Falsches gesagt«, schlussfolgerte Nora auf das Schweigen ihrer Schwester hin.

»Hast du nicht.« Noch so eine Phrase. Das verlangte ganz klar nach dem ersten Schluck Wein, der trocken und mit einer leichten, angenehmen Säure über ihre Zunge und ihren Gaumen glitt. Mit dem Glas setzte Frances sich wieder an den Schreibtisch, den sie am Erkerfenster ihres Arbeitszimmers platziert hatte. Kaum jemand sonst verstand sich so gut wie sie darauf, schöne Orte mit Arbeitsflächen zu verunstalten.

»Wie sieht es in der Nachbarschaft aus? Die Bilder, die du geschickt hast, waren bezaubernd. Gibt es da keine Möglichkeiten, Anschluss zu finden? Wenn du mal die Katze von jemandem hütest?«

»Die einzige Katze, die ich kenne, gehört Mrs. McGavern, und diese Frau ist mir ehrlich gesagt ein bisschen unheimlich.« Frances gluckste bei dem Blick auf das Haus gegenüber. »Ich glaube, sie hasst Menschen. Ich hab mal ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber sie schien schon alles über mich zu wissen. Gruselig.«

»Klingt, als hättest du schon eine Freundin. Vielleicht kennt sie noch mehr Leute.«

»Sie kennt jeden«, raunte Frances durch den Hörer und legte die nächste Rechnung beiseite. Auf den semi-dringenden Stapel. »Und sie weiß alles.«

»Also ist sie auch im Bilde über den Singlemarkt. Vielleicht gibt es frisch geschiedene Junggesellen? Witwer?«

Und da war sie wieder – die nächste Trainingseinheit für das olympische Augenrollen. Nichtsdestotrotz hielt Frances nun das dritte Mal an diesem Abend diesen schwarzen Flyer in den Händen anstelle eines weißen Umschlages. Er war geschmackvoll und definitiv kostspielig erstellt und bedruckt worden. Und sie mochte das Augenzwinkern.

»Nora, sei mir nicht böse, aber ich glaube nicht, dass ich so schnell wieder einen Mann brauche. Zum Spaß, meinetwegen, aber sonst …«

Innerlich zählte sie schon den Countdown runter, bis ein empörter Kommentar ihrer Schwester ihr mitteilen würde, dass »nur Spaß« unmöglich das Ziel für eine Frau Mitte dreißig sein konnte. Innere Uhr, Glück, Ticktack, die ganze Bandbreite.

Aber offenbar war auch Nora erwachsen geworden und war ihrer Mutter zwar ähnlich, aber nicht die Kopie, auf die sie noch vor einiger Zeit zugesteuert war. »Spaß passiert aber auch nur dann, wenn man ein Leben neben der Arbeit hat, weißt du?«

»Ich weiß«, erwiderte Frances und versuchte dann, das Thema genauso zu wenden wie den Flyer in ihrer Hand. Schwarz. Die Rückseite war nur schwarz. Keine weiteren Informationen oder Bilder. Nicht einmal ein QR-Code. »Deshalb telefoniere ich ja mit dir. Damit du mir von einem Leben neben dem Job erzählst. Also leg los.«

Nora tat ihr den Gefallen und biss an, was Frances Zeit gab, in der sie nur zuhören musste. Zuhören und diese schwarze Rückseite anstarren, die ihr nichts, aber auch absolut gar nichts verriet. Erwartet hatte sie ein paar Eckdaten, ein paar Informationen und die Gewissheit, dass das, was da angepriesen wurde, ein ganz tolles Konzept war. Für andere Menschen. Für verzweifelte Menschen, die sich händeringend nach Anschluss sehnten. Für einsame Menschen und für all jene, die es eben zu Datingportalen, zu organisierten Spieleabenden mit Fremden, auf Blind Dating-Events und solche Verrücktheiten zog.

Eine schwarze Seite aber war etwas für neugierige Menschen, und zu denen musste Frances sich zählen, ob sie wollte oder nicht.

Während sie Nora zuhörte, was deren Schüler im Unterricht für Unsinn angestellt hatten, klappte sie ihren Laptop auf und gab die Homepage vom Flyer in den Browser ein. Das Anmeldeformular ignorierte Frances und wechselte auf die Hauptseite von partners-in-crime.com.

Auf dem Bildschirm öffnete sich eine schwarze Seite und in gelber Schrift erschien derselbe Text, den sie auch auf der Karte neben der Tastatur lesen konnte. Der Cursor bewegte sich über die Zeilen und hinterließ einen Buchstaben nach dem nächsten, als tippte jemand die Worte gerade ein.

Extremsituationen sind ein Garant für die Kurzlebigkeit romantischer Beziehungen.

Der Cursor blinkte einige Sekunden hinter dem Satz, dann verschwanden die Worte und die nächste Zeile erschien.

Aber sie sind der perfekte Start für Freundschaften bis ans Lebensende.

Wieder blieben die Wörter einen Moment lang stehen, verschwanden und der letzte Satz folgte auf dieselbe Weise wie seine Vorgänger.

Du willst den Beweis?

Darunter erschien in gelben Linien die schematische Darstellung einer verschlossenen Tür. Frances klickte das Bild an, die Tür öffnete sich und führte wieder zum Anmeldeformular.

»Morgen ist das Herbstfest in der Schule«, hörte sie Nora erzählen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgeregt die Kleinen sind. Jede Klasse ist selbstverantwortlich …« Dekoration. Klassenzimmer. Herbstgedichte an der Tafel.

Frances lauschte den Informationen ihrer Schwester, während sie die zwei übrigen Reiter in der Menüleiste ansteuerte. Unter »Impressum« fand sie nicht mehr als das übliche. Eine Adresse in L. A., Telefonnummer, Firmierung, Namen … Und der Punkt »Informationen« hielt wenig von dem bereit, was er eigentlich versprach. Auch hier fand sich eine schwarze Seite, die sich Satz für Satz mit Worten füllte, die wieder verschwanden.

Was sich hinter der Tür verbirgt, musst du allein herausfinden.

Ein bisschen Mut reicht aus.

Und was dich dahinter erwartet, erlebt ihr gemeinsam.

Neugierige. Mutige. Verbündete.

Das war ziemlich pathetisch und gab absolut nichts preis. Unter den letzten drei Worten fanden sich wieder gelbe Linien zu einer Tür zusammen, die zum Anmeldeformular führte.

Das war’s.

Mehr war auf dieser Seite nicht zu finden.

»… und die Großen durften vollkommen selbstständig die Kürbisse schnitzen. Du kannst dir vorstellen, was bei der alten Fraktion der Belegschaft los war. Verletzungsgefahr, Versicherungsschutz und Fahrlässigkeit. Das waren die Begriffe, die am häufigsten gefallen sind. Aber wir haben uns was getraut, und die Kinder waren am Ende so stolz auf sich.«

»Ihr hattet doch bestimmt Sicherheitsmesser?«

»Natürlich!«

Frances nickte. So waghalsig war man also gewesen.

»Aber auch damit kann man enormen Schaden anrichten, wenn man es darauf anlegt.«

Sie verkniff sich die Frage, ob wirklich davon auszugehen war, dass diese Kinder irgendwem Schaden zufügen wollten, und fragte stattdessen nach den in Kürbis verewigten Motiven, während sie »Partners in Crime Homepage« in die Suchmaske eingab.

Ergebnisse spuckte das Internet im vierstelligen Bereich aus. Aber außer der offiziellen Homepage gab es nichts, was mit ihr in Verbindung zu stehen schien. Auf einer Plattform hatte jemand in die Runde gefragt, ob irgendwer schon von dieser Seite gehört hätte, über die er oder sie zufällig gestolpert war. Von einem Flyer war keine Rede. Die Nachfrage war allgemein verneint worden. Niemand hatte je von der Homepage gehört, was aber kein Grund zu sein schien, sich nicht in Spekulationen zu vertiefen. Das Ganze war nach kurzer Zeit im Sande verlaufen. Ähnliches hatte sich in anderen öffentlichen Foren wiederholt, aber die Beiträge konnte Frances an einer Hand abzählen. Dafür brauchte sie nicht einmal alle zur Verfügung stehenden Finger.

Alle übrigen Vorschläge der Internetsuche gaben zwar ein beeindruckendes Spektrum an Themen her, die man mit diesen drei Worten in Verbindung bringen konnte, jedoch keinerlei Antworten.

»Ich schicke dir einfach Bilder«, sagte Nora.

»Was?« Zum ersten Mal seit Beginn dieses Gesprächs hatte Frances den Faden verloren. Wann war ihr die Fähigkeit abhandengekommen, jemandem zuzuhören und gleichzeitig kleine Recherchen anzustellen? Vermutlich, seit diese Recherchen nichts mehr mit dem Gesagten zu tun hatten – anders als in den Meetings, als sie schon Zahlen und Lieferanten geprüft hatte, während ein Kollege noch über die Idee philosophierte, die er für innovativ hielt.

»Die Kürbisse. Die besten haben wir fotografiert, ich schicke dir einfach Bilder. Du wirst staunen, was Kinder alles können. Ehrlich. Manche Kürbisse sehen besser aus als die Versuche, die Rick und ich im Garten stehen haben. Deutlich besser, sogar.«

»Du bist Lehrerin und er Steuerberater, Nora. Nichts für ungut, aber jeder Zehnjährige hat mehr handwerkliches Geschick als ihr, wenn er ein bisschen Talent mitbringt.«

»Jetzt wirst du gemein«, gab Nora zurück und lachte dabei. Weil es die gute Art von »gemein« war. Die Dinge, die nur große Schwestern sagen dürfen, ohne dass sie wehtun. Und niemand sonst.

»Ihr habt einen Handwerker gerufen, um ein Regal an die Wand zu hängen.«

»Und es hält bombenfest.«

Glucksend setzte Frances das Glas an ihre Lippen und bemerkte erst jetzt, dass es bereits leer war.

»Keine Kunst«, stichelte sie weiter und erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl, um in der Küche nachzuschenken. »Als ich das letzte Mal bei euch war, standen darauf ein paar Bilderrahmen. Das Regal leistet also nicht gerade Schwerstarbeit.«

»Du bist doof«, erwiderte Nora, und Frances bemerkte einmal mehr, dass es gleichermaßen irritierend wie niedlich war, dass sie sich in albernen geschwisterlichen Raufereien gern demselben Argumentationsniveau bediente wie ihre Schützlinge. Einmal mehr fragte sie sich, ob Diskussionen mit Rick auch mit einem »Du bist doof« und »Ich mag dich nicht mehr« beglückt wurden. Was wiederum zu der Frage führte, ob diese beiden überhaupt Diskussionen führten, wie sie es von sich und Gary kannte. Laut. Oft unfair. Und aggressiv. Immer aggressiv. Ebenso wie die Versöhnungen. Frances konnte sich nicht vorstellen, dass Sex nach einem »Du bist doof« genauso gut war wie nach einem »Dann geh doch einfach! Du würdest hier nicht fehlen. Es wäre eine Erleichterung, hörst du? Eine richtige Wohltat!«.Die eigentliche Ehe allerdings war vermutlich besser.

»Schick mir die Bilder«, meinte Frances, als sie wieder an ihrem Tisch Platz nahm. »Von den Kürbissen. Und von dem Regal. Ich will unbedingt wissen, wie es dem Regal geht.«

»Hervorragend. Willst du mit ihm sprechen?«

»Das Regal spricht? Meine Güte, Nora! Hast du einem der Kids etwa den Joint abgenommen?«

Das war der Schritt zu weit. Frances hörte es schon an dem Schnaufen, das ihr durch die Leitung antwortete und genauso klang wie das ihrer Mutter. Exakt genauso. Warum nur waren diese Momente so kurz, in denen sie und ihre Schwester auf einer Wellenlänge schwammen? Manchmal schien es ihr, als bewege Nora sich absichtlich wieder weiter weg. Oder als wäre andersrum sie diejenige, die Nora aus dieser Welle hinausstieß, um wieder allein mit sich zu sein. Oder aber es war die Strömung, die sie nur hin und wieder in die Nähe voneinander brachte. Und wer war sie schon, dass sie die Strömung beherrschte?

»Keiner meiner Schüler kifft, Frances.« Sogar der volle Name. Tatsächlich, ganz wie ihre Mutter. »Es sind Kinder!«

Kinder, denen sie eben noch unterstellt hatte, mit Sicherheitsmessern auf sich und andere losgehen zu wollen. Wenn man es so verstehen wollte. Frances schluckte das Bedürfnis herunter, den Engel, der ihre Schwester war, darauf hinzuweisen, und rettete sich auf die Insel, die Gott sei Dank immer zur Verfügung stand, und von genauso viel Reife zeugte wie Noras Streitkultur. »War nur ein Witz.«

»Man hat nur ein einziges Mal einen Joint bei einem Viertklässler gefunden«, klärte Nora sie auf und gab damit genug Anlass, um das Weinglas direkt zur Hälfte zu leeren. Frances kannte die Geschichte. Aus den Zeitungen, von Nora, aus dem Fernsehen, von Nora, von der Nachbarschaft und immer wieder von Nora. Dabei interessierte sie nicht, ob ein 16-jähriger großer Bruder ihrem Schüler einen Joint untergejubelt hatte oder ob der Kleine, den von seinem Bruder geklaut hatte. Es war ermüdend, wie viel Energie Menschen in die Richtigstellung von Sachverhalten stecken konnten, die so oder so nur auf die Aussage von zwei Minderjährigen zurückzuführen waren. Ein ewiges Zuschieben von Schuld, obwohl in Wahrheit vermutlich der Große dem Kleinen hinter irgendeinem Schuppen längst beibrachte, wie man sich eine Tüte schnell selbst rollte. Während alle Erwachsenen darum kämpften, das vorbildliche Bild ihrer Kleinstadt von dieser Beschmutzung zu befreien.

Nein, Frances wünschte sich definitiv nicht nach Camden zurück. Auch wenn dieser kleine Ort in ihrem Kopf noch immer als »Zuhause« abgespeichert war. Die Anonymität der Großstadt mochte hin und wieder eine öde Angelegenheit sein, aber wenn man nicht vergaß, sich an das Gegenteil zu erinnern, war sie ein befreiendes Aufatmen.

»Ich weiß«, antwortete Frances nur. Mehr blieb auch gar nicht übrig, wenn sie sich nicht tiefer in dieses Thema manövrieren wollte. Allein ein »Spielt doch keine Rolle« wäre fatal gewesen.

»Anscheinend hast du es vergessen. Es war ein riesiger Skandal. Ich verstehe einfach nicht, wie du darüber Witze machen kannst!«

Ja, Mom, schoss es ihr durch den Kopf. Sie rollte erneut mit den Augen und ihr Blick blieb an ihrem Finger hängen, der ungeduldig auf die Taste »M« ihres Laptops tippte, ohne sie hinunterzudrücken.

»Es hat uns Wochen gekostet, das richtig zu stellen. Wochen!«

Scheiß drauf, dachte Frances, während sie sich die Leiden ihrer kleinen Schwester einmal mehr anhörte. Binnen Sekunden verwandelte sich Nora wieder in das Klischee einer Kleinstadtlehrerin. Mittlerweile war das vielleicht längst ihr wahres Ich. Und die Sequenzen, in denen sie Frances nahe war, waren womöglich die, in denen sie eine Rolle spielte. Ihrer Schwester zuliebe. Nur hatte sie all die Schauspielerei in ihrer Umgebung allmählich satt. Genauso wie das Gefühl, es wäre ihre Schuld, dass sie so war, wie sie war, und andere eben nicht. »Weißt du, ich kenne wirklich niemanden, der das so machen würde. Nur dich.« Das waren Garys Worte gewesen. Oft und nie anerkennend. Immer mit einem unterschwelligen »Was stimmt nicht mit dir? Warum bist du nicht normal?«. Als sie ihren Beschluss der Scheidung verkündet hatte, hatte er die Worte sogar laut ausgesprochen.

Scheiß drauf.

Frances leerte ihr Glas, ließ die längst bekannten Schilderungen ihrer Schwester zu einem Hintergrundrauschen verklingen – Die Strömung. Das ist das Rauschen der Strömung, die sie von mir wegzieht. – und klickte auf das gelbe Symbol der Tür.

Herzlichen Glückwunsch!

Willkommen bei Partners-in-Crime. Du bist als Komplizin ausgewählt worden! Dein Team wartet auf dich, um gemeinsam mit dir die herausforderndste Mission eures Lebens zu begehen.

Können sie sich auf deinen Einsatz verlassen?

Dann findet euch am 28.09. um 17 Uhr an eurem geheimen Treffpunkt zusammen. Wo du den findest, siehst du auf der Karte. Euer Teamleiter nimmt euch in Empfang und wird euch die Instruktionen übergeben.

Danach seid ihr auf euch gestellt.

Viel Erfolg.

Die Bestätigung für Was-auch-immer-das-war hatte sie vier Tage nach ihrer Anmeldung erreicht. Vier Tage, nachdem sie ein regelrechtes Charakterprotokoll hatte ausfüllen müssen. Begonnen hatte das Formular mit den üblichen Kontaktdaten. Auf der nächsten Seite aber hatte sie schon ihre Hobbys eingeben müssen, ihre Größe und Statur, Herkunft, sozialer Hintergrund, Ausbildung und Job. Es folgte eine Art Multiple Choice Test.

»Sind Sie ein Charakter, der führt oder einer, der Anweisungen folgt?« Darunter eine Zahlenreihe von 1 bis 5, um sich einzuschätzen.

Tierlieb?

Kontaktfreudig?

Künstlerisch?

Naturliebhaber?

Stubenhocker?

Das ging eine ganze Weile so, bis es mit der Frage abschloss, wieso Frances sich überhaupt anmelden wollte. Bis zu diesem Punkt hatte sie sich das bereits selbst gefragt, sodass ihre Antwort sich auf ein »Ich will wissen, was das hier ist« beschränkt hatte. Ein Motivationsschreiben sah definitiv anders aus.

Und doch war der Eingangsbestätigung für die Bewerbung – sie hatten es wirklich eine Bewerbung genannt – nach vier Tagen diese Zusage gefolgt.

Das war nun sechs Tage her, in denen sie mehr als ein Mal mit dem Gedanken gespielt hatte, einfach nicht aufzukreuzen. Schlussendlich war sie am Vortag einfach zu der Adresse gefahren, die in einem pdf-Anhang ausgewiesen war, und hatte sich in einem Industriegebiet wiedergefunden. Ein fünfstöckiger Betonklotz hatte sich hinter der Hausnummer 13C verborgen – unbeeindruckend, hässlich, aber auch ungefährlich. Die Tafel der ansässigen Firmen führte das Logo von »Partners in Crime« für den zweiten Stock auf – auf einer ordentlichen, seriösen Metallplakette und nicht mit einer handgeschriebenen Notiz.

Ein paarmal waren Menschen durch den Eingang in das Gebäude hinein oder wieder heraus gegangen, und schlussendlich hatte Frances beschlossen, dass sie einfach feige war, wenn sie damit haderte, sich auf ein kleines Abenteuer einzulassen. Überall in L. A. ploppten diverse Unternehmen auf, welche die Menschen näher zusammenbringen wollten. Ob nun romantisch, erotisch oder rein platonisch. Zum Teil sogar auf der Businessebene, dabei nahm Frances an, dass das die einzige Ebene in dieser Stadt war, die nach wie vor tadellos funktionierte.

Das hier war nur ein weiteres Konzept. Es war in Ordnung, es albern zu finden. Die herausforderndste Mission eures Lebens … So ein Schwachsinn. Ihr Marketingstudium war herausfordernd gewesen, die Annäherungen ihres Professors und der Kampf um die Akzeptanz ihrer Schwiegereltern. Die letzten zwei Monate waren herausfordernd gewesen. Was also konnte sich in so einem hässlichen Gebäude bitte anderes verbergen, als maximal das leichte Lampenfieber, das sie immer überkam, wenn sie wusste, dass sie sich gleich von ihrer besten Seite würde zeigen müssen?

Scheiß drauf.

Entschlossen holte Frances tief Luft, atmete die kühle, abgasgeschwängerte Luft ein und trat durch die Tür. Das Treppenhaus vor ihr führte direkt nach oben und blieb auch der einzige Weg zu ihrem Ziel. Die Fahrstuhltür zu ihrer Linken war mit einem A4-Zettel versehen worden, der die Information bereithielt, dass der Aufzug gegenwärtig defekt sei. Ein Techniker sei gerufen worden und die Hausverwaltung bedanke sich für das Verständnis.

Das Verständnis derjenigen, die öfter ein- und ausgingen als einmalige Besucher, hielt sich offenbar in Grenzen. Irgendein Spaßvogel hatte den Aushang handschriftlich mit einem knappen Tagebuch versehen:

Tag 1 – Atemnot in der 5. Etage.

Tag 4 – Feldlager zwischen 1. und 2. Etage aufgeschlagen, um die Treppensteiger zu rehabilitieren.

Tag 8 – Sauerstoffzelt in Etage 3 meldet wachsenden Zulauf.

Tag 12 – erste Treppensteiger melden erhöhten Fitnesslevel – IT-Unternehmen in der 5. Etage steht vor einem Umbruch

Tag 17 – Iron Man verlegt nach L. A., man munkelt, das Kellergeschoss werde mit einbezogen. Anmeldeformulare liegen beim Hausmeister aus

Blieb also die Treppe. Erwartungsgemäß fand Frances zwischen Etage 1 und 2 kein aufgeschlagenes Feldlager, nahm aber mit einem Schmunzeln auf den Lippen an, dass die Dauernutzer dieses Gebäudes ein solches längst nicht mehr nötig hatten.

Die Eingangstür zu »Partners in Crime« war ebenso unspektakulär wie das übrige Gebäude. Eine Tür aus Sicherheitsglas, die von innen mit einer milchigen Folie beklebt war, bedruckt mit dem Logo des Unternehmens. Oben links am Rahmen löste sich bereits eine kleine Ecke ab.

Die Tür selbst war verschlossen, aber zu Frances’ Erleichterung musste sie nur den QR-Code auf ihrer Einladung vor den kleinen Sensor halten, um den summenden Ton heraufzubeschwören, auf den hin sich die Tür einfach aufdrücken ließ. Überraschender war, dass der Raum dahinter so gut wie leer war.

Schwarzer Boden und schwarze Wände gehörten definitiv nicht zu dem, was ein Innenausstatter empfehlen würde. An der Wand zeichneten gelbe Leuchtröhren das Logo des Unternehmens – die Tür. Gegenüber entdeckte Frances einen quadratischen Schrank mit Schließfächern – gelb – und Sitzsäcke – ebenfalls gelb. Aus einem von ihnen erhob sich ein großer, breitschultriger Mann, als sie den Raum betrat. Er vollbrachte dieses Kunststück mit der Anmut eines Hundewelpen, der sich einfach nicht an seine zu groß geratenen Pfoten gewöhnen konnte – allerdings auch mit demselben Sympathiebonus. Dieser steigerte sich sogar noch, als er sie regelrecht schüchtern anlächelte. »Gehörst du zum Unternehmen oder zum Team?«

Zum Team, echote Frances in ihrem Kopf. Wie süß, der Kerl nahm die Sache also ernster als sie. Mit einem stummen Seufzen schob sie den Zynismus beiseite, der sich schon wieder bereitmachte, sich zu ihr zu gesellen und nicht mehr von ihrer Seite zu weichen. Dabei wollte sie der Sache doch eine Chance geben. Nur deshalb war sie hier, nicht wahr? Und ihr Gegenüber gab dieser Aktion definitiv eine riesige Chance. Denn wenn sie ehrlich war, hätte sie selbst hier nicht gewartet, wäre sie die Erste gewesen, die sich in einem leeren, fragwürdig eingerichteten Raum wiedergefunden hätte.

»Team«, sagte sie also und beschloss, einfach die Vorteile dieser Situation hier zu nutzen. Und wenn die allein darin lagen, zusammen mit einem durchaus attraktiven, wenn auch etwas jüngeren Mann in einem Raum auf die Mission ihres Lebens zu warten, dann war ihr das nur recht. »Frances.«

Das Lächeln des Hünen wurde noch etwas breiter und unter dem ausgeprägten Bartschatten zeichneten sich sympathische Grübchen ab, als er verlegen mit einer Hand durch sein kurzes blondes Haar strich und mit der anderen einschlug. »Jaden«, stellte er sich vor. »Jaden Cline.«

»Hallo, Jaden Cline.« Sie lächelte, drückte seine Hand kurz und ließ sie dann los. »Bist du schon einem Ansprechpartner begegnet?«

Er zuckte die Schultern und sah sich um, als wäre er bisher nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass hier andere Personen sein müssten als er selbst und Frances. »Hat sich noch keiner blicken lassen – abgesehen von dir.«

»Hm«, machte sie. Einen Moment lang spielte sie noch einmal mit dem Gedanken, einfach wieder zu verschwinden und die Sache für sich abzublasen, allerdings wusste sie noch immer nicht … »Hast du eine Ahnung, was das hier genau sein soll?«

Jaden schüttelte den Kopf. »Keinen Schimmer. War neugierig und dachte, ich probier’ es mal aus. Und heute ist mein freier Tag, also …« Wieder zuckte er mit den Schultern. »Und wieso bist du hier?«

Ein freier Tag? Das war sein Grund?

»Neugier.« Kurze, klare Antworten. Das war etwas, was sie sich für ihren Vorstandsposten hatte aneignen müssen. Früher hatte es ihr ähnlichgesehen, sich zu viel zu erklären, zu viel zu entschuldigen, zu viel Angriffsfläche für Infragestellungen zu geben. Sechs Jahre in ihrem Posten hatten ihr diese Eigenart ausgetrieben. So sehr, dass sie nun sogar außerhalb eines Konferenzzimmers an den verknappten Kommunikationsstrukturen ihrer alten Position festhielt. Dabei hatte sie genau das doch zurücklassen wollen: Konferenzen, rein pragmatische Entscheidungen und unmenschliche Professionalität. »Ich wollte einfach wissen, was dahintersteckt. Ich hatte diesen Flyer gesehen, und er hat nichts verraten, die Homepage auch nicht und …«

Ein Summen unterbrach ihre Erklärungen, und sie war nicht böse darüber. Kaum zwei Sätze und schon hatte ihr Geplauder ihr das Gefühl von Inkompetenz beschert. Wie ein alter Freund, von dem man doch eigentlich froh war, dass man ihn so lange nicht gesehen hatte. Weil er nicht mehr zu einem passte. Und weil Gary ihn nicht gemocht hatte.

Die folierte Glastür schwang mit dem Summen auf und ließ eine weitere Person in den Raum herein. Große braune Rehaugen auf einem gebräunten, runden Gesicht starrten fast erschrocken zu Frances und Jaden, ehe sie den Raum musterten wie eine Falle. Oder wenigstens wie irgendetwas Furcht einflößendes, das man nicht freiwillig betrat.

Frances schätzte die junge Frau, die sich da so schüchtern durch den Türspalt gedrückt hatte, auf vielleicht zwanzig Jahre. Unschuldige und zarte zwanzig Jahre. Man musste dem Küken also wohl nachsehen, dass es angesichts einer Mittdreißigerin und eines Riesen in einem schwarz-gelben Raum nur ein scheues Lächeln zustande brachte.

Gott sei Dank tat Jaden ihnen allen den Gefallen und trat mit seinem Hundewelpencharme auf das Küken zu. Sein Gesicht zeigte das perfekte Du-kannst-mir-vertrauen-Lächeln, als er der jungen Frau seine Hand entgegenstreckte. »Du gehörst vermutlich auch mit zum Team«, begrüßte er sie. »Ich bin Jaden und das ist Frances. Wir sind auch gerade erst angekommen.«

»Alayna«, stellte die Kleine sich vor – mit einer Stimme, die etwas tiefer und rauchiger klang, als Frances ihrer zierlichen Gestalt zugetraut hätte.

»Freut mich.« Sie machte es Jaden nach und nahm die Hand der jungen Frau, drückte sie kurz und ließ sie wieder los. »Du bist also auch eine Neugierige?«

Sie nickte. »Ich bin neu in L. A. Mein Studium beginnt jetzt und dann werde ich keine Zeit mehr haben, um irgendwen kennenzulernen. Außer Kommilitonen. Was sicher auch funktioniert, weil man dieselben Interessen teilt und dieselben Probleme, aber so richtig abschalten wird man ja nie können, wenn man immer nur mit anderen Studenten zusammen ist. Man kommt immer auf das Thema Uni und Prüfungen und Abschlussarbeiten und ist in einer ständigen unterschwelligen Konkurrenz. Das kann nicht gesund sein. Also dachte ich, ich werde einfach normale Menschen suchen. Aber wo lernt man die kennen? Ich bin niemand, der auf Partys geht. Das ist alles zu laut und zu hektisch.« Alayna atmete einmal tief durch und tat Frances damit den Gefallen, sich wieder daran zu erinnern, weshalb sie sich damals die Prägnanz angewöhnt hatte: völlig verunsicherte Außenwirkung und, wenn man nicht aufpasste, auch noch Atemnot. Manchmal war ein Satz einfach zu lang für die Kapazität einer untrainierten Lunge.

»Verstehe«, antwortete Jaden mit einem Maß an Empathie, das er Frances eindeutig voraushatte. »Ich bin auch neu hier. Was ist mit dir?«

Die Frage galt ihr, und Frances räusperte sich. »Auch neu. Vor ein paar Wochen bin ich hergezogen und muss mal etwas anderes tun als arbeiten. Wenn wir ehrlich sind, wird sich wohl kaum jemand auf so eine Überraschungskiste einlassen, wenn er eine Schar an Bekannten hat, mit denen er genauso gut eine Bar unsicher machen kann. Oder?«

»Ich trinke nicht«, räumte das Küken ein. »Dabei bin ich schon 21.«

Nicken und Lächeln, ermahnte Frances sich. Keine Ahnung, wie groß die Gruppe sein würde, aber sie konnte unmöglich nur aus drei Leuten bestehen. Wenn diese Alayna schon den nervigen Unschuldspart übernahm, konnte der Rest nur besser werden. Und falls nicht, bewunderst du eine Weile den Bizeps von diesem großen Kerl und gehst wieder nach Hause. Lektion gelernt.

»Ich halte mich in meiner Freizeit auch eher von Bars und Clubs fern«, gestand Jaden und vollbrachte es damit nun doch, Frances ein wenig zu überraschen.

»Wieso?«, fragte Alayna. Offenbar konnte sie sich das ebenso wenig vorstellen wie Frances.

Er grinste schief und deutete auf sich. »Türsteher.« Das Grinsen wurde etwas breiter, ehe es sich mit einem Schulterzucken verlor. »Ich brauche das nicht noch in meiner Freizeit.«

Das war eine Begründung, mit der Frances leben konnte. »Und du schmeißt wirklich Leute aus Clubs? Oder lässt sie gar nicht erst rein?«, fragte sie.

Vermutlich sah Jaden ihren eher skeptischen Blick, der keineswegs auf seiner Statur ruhte, sondern auf seinem Gesicht. Er wirkte wie ein Mensch, dem man blind seine Kinder anvertraute, um einen Kaffee trinken zu gehen, nicht wie jemand, der aufmüpfige Idioten in die Schranken wies.

»Ich habe zum Glück selten das Problem, dass sich jemand wirklich mit mir anlegen will.« Und wieder wirkte er schüchtern, als er das sagte. Als würde er sich für seine Körpergröße schämen. »Und falls doch, ist es zweifelsohne so ein großes Arschloch, dass ich meine Freundlichkeit vergessen kann. Das lernt man ziemlich schnell.«

Alayna kicherte. Natürlich kicherte sie. Vermutlich hätte grölendes Gelächter ihre Charakterphysiognomie gesprengt.

»Ist das nicht gefährlich?«, hakte sie nach, als sie wieder normal atmete.

»Eigentlich nicht. Ich bin nie allein und …«

Summen.

Das Klicken eines Türschlosses.

Schritte.

Und dann ein gehetztes »Scheiße, bin ich schon zu spät?« Der Kerl, hinter dem die Tür sich leise wieder schloss, trug eine Jeans und ein Hemd. Seine Haare waren mit Gel eher ungeschickt in Form gebracht und ihm folgte eine Aftershave-Wolke, die angenehm bis interessant gewesen wäre, hätte er sie vernünftig dosiert.

»Team«, äußerte Frances ihre Vermutung an Jaden gewandt und verlor allmählich die Hoffnung auf eine Begegnung, die sie über diese merkwürdige Veranstaltung hinaus weiterführen wollte.

Erst mit dem nächsten Mitglied, das sich nach dem penetrant duftenden Mann namens Makenzie-aber-man-nennt-mich-Max einfand, glaubte Frances, ihrer Rettung gegenüberzustehen.

Das machte sie nicht an seinem markanten Kinn, dem Dreitagebart oder dem weißen Shirt fest, unter dem sich ein mit mühsamer Arbeit definierter Oberkörper vermuten ließ. Nein, bezeichnend waren die Augen: stahlgrau und mit einem Höchstmaß ungezügelter Skepsis versehen, als er sich die versammelte Truppe anschaute.

»Ihr seid also die anderen«, meinte er nur unbeeindruckt und hob seine Hand. Es war deutlich, dass er sich nicht die Mühe machen wollte, jeden einzeln zu begrüßen. »Brian Jenkins.«

Es war der Kerl, der vor ihm eingetroffen war, der sich Brian trotz der kalten Ausstrahlung näherte und ihm seine Hand reichte. »Makenzie«, stellte er sich mit unerschütterlicher Euphorie vor. »Aber meine Freunde nennen mich Max. Oder man müsste wohl richtigerweise sagen, dass meine Frau mich Max nennt. Sie und ihre Freunde. Ich bin ihretwegen hierhergezogen und in ihren Bekanntenkreis gerutscht. Aber weil es in jedem Ratgeber heißt, man müsse auch ein paar eigene Wurzeln schlagen, bin ich hier.«

Brian musterte den Kerl in dem Hemd, von dem Frances fest annahm, dass es im Laufe der Zeit noch deutliche Schweißflecken zeigen würde. »Makenzie, also.«

»Max«, korrigierte sein Gegenüber.

»Mh.« Es war offensichtlich, dass der Neue sich mit solchen Dingen wie Höflichkeit keine unnötige Mühe geben wollte. »Deine Eltern werden sich schon etwas dabei gedacht haben, als sie dir diesen Namen gegeben haben, Makenzie.«

Und da war er, der Schweiß – zuerst nur auf seiner Stirn, falls Frances das Glitzern auf der höher werdenden Gesichtspartie nicht falsch interpretierte.

»Ganz, wie du magst.« Er stotterte nun fast und tat Frances dabei sogar ein kleines bisschen leid.

»Frances«, stellte sie sich selbst vor, ließ ihre Hände jedoch vorsorglich in den Hosentaschen. Alberne Gesten waren bei diesem Brian weder erwünscht noch nötig. »Und das sind Jaden und Alayna.«

Natürlich machte das Küken den Fehler und trat mit einem zurückhaltenden Lächeln auf Brian zu. Offenbar hatte sie noch nicht ganz raus, wann ihre Schüchternheit angemessen war und wann nicht.

Die Blamage einer in der Luft schwebenden Hand, die nicht ergriffen wurde, ersparte ihr ein lautes Donnern.

Frances glaubte zuerst, sich verhört zu haben, doch das Geräusch wiederholte sich und mit ihm flackerten auf einmal auch die Lichter, die das Symbol an der Wand definierten. Es machte den Anschein, als wollten diese Leuchtröhren Blitze imitieren, während weiterhin ein lautes, allerdings erkennbar falsches Donnergrollen durch den Raum dröhnte.

Alayna sah sich mit großen Rehaugen um, und Frances konnte wirklich nicht ausmachen, ob es Neugier war, die ihre Augen so aufriss oder doch tatsächlich ein Hauch von Furcht. Die anderen beiden Männer taten es ihr gleich – nur verfügten die nicht über so hübsche Bambi-Augen. Lediglich Brian tat Frances den Gefallen und erwiderte ihre hochgezogenen Augenbrauen mit einem amüsierten Schmunzeln.

»Sieht aus, als wäre unser Ende gekommen«, meinte er trocken, als sich nun, wie durch Geisterhand der Schrank mit den Schließfächern zur Seite schob. Sobald er den Kontakt zur Wand verlor, floss weißes Licht in den Raum hinein und breitete sich immer mehr aus, je weiter sich der Schrank zur Seite schob.

»Ein Trommelwirbel wäre vielleicht angemessener, als dieses Getöse«, raunte Frances Brian zu, der kurz amüsiert schnaubte und ihr zunickte. Dann gewann ein Schatten seine Aufmerksamkeit, der sich in bester theatralischer Manier über das weiße Licht schob und schließlich eine Silhouette zeichnete, die kleiner wurde, bis sie zu der Größe ihres Verursachers geschrumpft war.

Frances fragte sich kurz, ob dieser Schrank absichtlich exakt so groß war wie diese Person, oder ob es sich hier um einen blanken Zufall handelte.

»Was meinst du?«, raunte Jaden ihr zu. »Auch Team?«

»Ich hoffe nicht«, gab sie wahrheitsgemäß zurück.

Was auch immer diese Gestalt darstellen sollte, die in ihrem schwarzen Gewand nicht einmal sicher als kräftige Frau oder schmaler Mann zu erkennen war, wirkte nicht, als würde sie sich allzu gut in ein Team einfinden. Die gelbe Maske, die sich über ihr Gesicht legte und deren Lippen sich leicht mitbewegten, als sie sprach, mochten einen gewissen Anteil an dieser Einschätzung haben.

»Willkommen«, verkündete sie bedeutungsschwanger, woraufhin Frances hinter sich ein leises Glucksen vernahm.

»Wir sind heute hier zusammen gekommen …« Das war eindeutig Brians Stimme, die ihr diese Worte zuraunte. Er hatte sie also ebenso schnell als Verbündete erkannt wie sie ihn. Dabei hatte sie sich nicht einmal sonderlich große Mühe gegeben, desinteressiert oder arrogant zu wirken. Vielleicht aber stellte sie für ihn auch nur das kleinste Übel dar.

Über seinen leisen Kommentar verpasste Frances die ersten einleitenden Worte dieser … Person. Nicht einmal die Stimme gab einen eindeutigen Hinweis auf das Geschlecht. »… das beste Team zusammengesucht, das für diese besondere Mission zu finden war. Ihr kennt euch nicht, aber das wird sich bald ändern. Und gemeinsam werdet ihr Großes erleben. Erfolge und Ängste. Nicht beides zu gleichen Teilen, sondern genauso wie das Leben da draußen es …«

Summen.

Krachen einer Tür.

Hektische Schritte.

»Verfickte Scheiße noch mal, nie bin ich … Ach, Fuck, ihr habt schon angefangen? Was hab ich verpasst?«

»Du bist unpünktlich«, stellte die maskierte Gestalt fest, als wäre das kein offensichtlicher und unwichtiger Umstand. »Wir können nur Menschen in unserem Team gebrauchen, auf die wir uns verlassen können.«

»Sie bleibt«, mischte Frances sich kurzerhand ein und schenkte der schwarzhaarigen, blassen Frau, die etwas überrumpelt blinzelte, ein aufmunterndes Lächeln. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass Brian der einzige Vernünftige in dieser Truppe blieb. Die Gefahr, dass sie sich irrte, war einfach zu groß. »Ich mag sie und wir können uns auf sie verlassen.« Sie deutete zu Schneewittchen. »Wer sich den Mund schmutzig machen kann, ist vertrauenswürdig.«

Brian lachte dreckig, ehe er mit sehr plötzlicher Souveränität verkündete, dass er dieser Kausalität seine uneingeschränkte Zustimmung gab.

»Daisy Evans«, stellte sie sich vor. »Ich bin eingeladen worden, das ist also mein Team, und mein Team sollte wissen, dass ich absolut nicht in der Lage dazu bin, irgendwo pünktlich zu erscheinen. Es wird besser mit mir arbeiten können, wenn es das von vornherein weiß.« Sie grinste, als hätte sie gerade ein unüberwindbares Argument hervorgebracht.