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Von den blutigen Köpfen, die sich steinzeitliche Horden schlagen, bis zu den Interkontinentalraketen: 400 Jahre Männergeschichte als sinnloser Reigen der Gewalt werden in der Danziger Bucht vom Erzähler und unsterblichen Märchenhelden selbst erlebt, während Ilsebill, seine Geliebte und Partnerin zu allen Zeiten, für den wirklichen Fortschritt sorgt: die Beseitigung des Hungers. Den abgewirtschafteten Männern und wundersamen Plattfisch eröffnet ein Frauentribunal 1974 in Berlin den Prozess, denn jetzt wollen die Frauen Geschichte machen. Doch Hoffnung liegt nur in der gemeinsamen Emanzipation zu etwas Drittem.
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Seitenzahl: 860
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Ilsebill salzte nach. Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen, weil Anfang Oktober. Beim Essen noch, mit vollem Mund sagte sie: »Wolln wir nun gleich ins Bett, oder willst du mir vorher erzählen, wie unsre Geschichte wann wo begann?«
Ich, das bin ich jederzeit. Und auch Ilsebill war von Anfang an da. Gegen Ende der Jungsteinzeit erinnere ich unseren ersten Streit: rund zweitausend Jahre vor der Fleischwerdung des Herrn, als das Rohe und Gekochte in Mythen geschieden wurde. Und wie wir uns heute, bevor es Hammel zu Bohnen und Birnen gab, über ihre und meine Kinder mit immer kürzeren Wörtern stritten, so zankten wir uns im Sumpfland der Weichselmündung nach neolithischer Wortwahl über meinen Anspruch auf mindestens drei ihrer neun Gören. Doch ich verlor. So fleißig meine Zunge turnte und Urlaute in Reihe brachte, es gelang mir nicht, das schöne Wort Vater zu bilden; nur Mutter war möglich. Damals hieß Ilsebill Aua. Auch ich hieß anders. Doch Ilsebill will nicht Aua gewesen sein.
Ich hatte die Hammelschulter mit halben Knoblauchzehen gespickt und die in Butter gedünsteten Birnen zwischen grüne gesottene Brechbohnen gebettet. Auch wenn Ilsebill mit noch vollem Mund sagte, das könne prompt anschlagen oder klappen, weil sie, wie der Arzt ihr geraten habe, die Pillen ins Klo geschmissen hätte, hörte ich dennoch, daß das Bett zuerst recht haben sollte und die neolithische Köchin danach.
Also legten wir uns, wie wir uns jederzeit umarmt umbeint haben. Mal ich, mal sie oben. Gleichberechtigt, auch wenn Ilsebill meint, das Vorrecht der Männer, einzudringen, werde kaum ausgeglichen durch das weibliche Kümmerrecht, Einlaß zu verweigern. Doch weil wir in Liebe zeugten, waren unsere Gefühle so allumfassend, daß ihnen im erweiterten Raum, außer der Zeit und ihrem Ticktack, also aller irdischen Bettschwere enthoben, eine ätherische Nebenzeugung gelang; wie zum Ausgleich drängte ihr Gefühl stößig in mein Gefühl: Doppelt waren wir tüchtig.
Es hat wohl, vor Hammel mit Birnen und Bohnen, Ilsebills Fischsuppe, aus dem Sud bis zum Zerfall gekochter Dorschköpfe gewonnen, jene fördernde Kraft gehabt, mit der die Köchinnen in mir, wann immer sie zeitweilten, zum Wochenbett einluden; denn es klappte, schlug an, aus Zufall, mit Absicht und ohne weitere Zutat. Kaum war ich — wie ausgestoßen — wieder draußen, sagte Ilsebill ohne grundsätzlichen Zweifel: »Na, diesmal wird es ein Junge.«
Das Bohnenkraut nicht vergessen. Mit Salzkartoffeln oder historisch mit Hirse. Wie immer bei Hammelfleisch ist es ratsam, von angewärmten Tellern zu essen. Trotzdem war unser Kuß, wenn ich das noch verraten darf, talgbelegt. In der Fischsuppe, die Ilsebill mit Kapern und Dill grün gemacht hatte, schwammen Dorschaugen weiß und bedeuteten Glück.
Nachdem es geklappt haben mochte, rauchten wir im Bett unter einer Decke jeder seine Vorstellung von Zigarette. (Ich lief, die Zeit treppab, davon.) Ilsebill sagte: »Übrigens brauchen wir endlich eine Geschirrspülmaschine.«
Bevor sie über umgekehrte Rollenverteilung weitere Spekulationen anstellen konnte — »Ich möchte dich mal schwanger erleben!« —, erzählte ich ihr von Aua und ihren drei Brüsten.
Glaub mir, Ilsebill: Sie hatte drei. Die Natur schafft das. Ehrlich: drei Stück. Doch hatte nicht sie allein. Alle hatten so viel. Und wenn ich mich genau erinnere, hießen steinzeitlich alle so: Aua Aua Aua. Und wir hießen allemann Edek. Zum Verwechseln. Und auch die Auas waren sich gleich. Eins zwei drei. Weiter konnten wir anfangs nicht zählen. Nein, nicht tiefer, nicht höher: dazwischengebettet. Und zwar waren sie alle drei gleich groß und hügelten landschaftlich. Mit drei beginnt die Mehrzahl. Die Vielfalt, die Reihe, Kette, der Mythos beginnt. Trotzdem mußt du jetzt nicht Komplexe kriegen. Wir hatten später welche. In unserer Nachbarschaft, östlich des Flusses, soll Potrimp, der neben Pikoll und Perkun Pruzzengott wurde, drei Hoden gehabt haben. Ja, du hast recht: Drei Brüste sind mehr oder sehen nach mehr, immer mehr aus, bedeuten Überfluß, künden Verschwendung an, versichern auf ewig Sättigung, sind aber, genau besehen, abnorm — doch immerhin denkbar.
Klar. Mußt du sagen: Männliche Wunschprojektion! Mag ja sein, daß das anatomisch nicht möglich ist. Damals aber, als die Mythen noch Schatten warfen, hatte Aua drei Stück. Und es stimmt schon, oft fehlt heute die dritte. Ich meine, es fehlt irgendwas. Na, das Dritte. Sei doch nicht gleich so gereizt. Jadoch ja. Ich werde bestimmt keinen Kult daraus machen. Natürlich sind zwei genug. Du kannst schon glauben, Ilsebill, daß mir das reicht im Prinzip. Bin doch kein Narr und lauf einer Zahl nach. Jetzt, wo es ohne Pille und dank deiner Fischsuppe sicher geklappt hat, wo du schwanger bist und deine zwei bald mehr als Auas drei wiegen werden, bin ich zufrieden und wie ohne Wunsch.
Die dritte war immer die übrige. Im Grunde nur eine Laune der launischen Natur. Unnütz wie der Blinddarm. Überhaupt frage ich mich, was diese Brustbezogenheit eigentlich soll? Diese typisch männliche Tittomanie? Dieser Schrei nach der Ur-Super-Nährmutter? Schön, Aua war Göttin später und ließ sich ihre drei Zitzen in handgroßen Lehmidolen bestätigen. Aber andere Göttinnen — zum Beispiel die indische Kali — hatten vier und mehr Arme. Das machte noch praktischen Sinn. Die griechischen Muttergöttinnen — Demeter, Hera — waren hingegen normal bestückt und hielten trotzdem während Jahrtausenden ihren Laden zusammen. Allerdings habe ich Götter abgebildet gesehen, die hatten ein drittes Auge, und zwar auf der Stirn. Möchte ich nicht geschenkt haben.
Wie überhaupt die Zahl drei mehr verspricht, als sie hält. Mit ihren drei Dingern hat Aua so übertrieben, wie die Amazonen mit einer einzigen Brust untertrieben haben. Weshalb heute die Feministinnen immer ins andere Extrem fallen. Nun krieg doch nicht gleich schlechte Laune. Bin ja für die Manzis. Und glaub mir, Ilsebill, zwei reichen wirklich. Bestätigt dir jeder Arzt. Und unser Kindchen wird, wenn es kein Junge ist, bestimmt mit zwei genug haben. Was heißt hier: Aha! Sind nun mal so verrückt, die Männer, und gibbern nach immer mehr Brust. Dabei haben alle Köchinnen, mit denen ich zeitweilte, wie du nur links rechts was gehabt: Mestwina zwei, Agnes zwei, Amanda Woyke zwei, Sophie Rotzoll hatte zwei rührende Mokkatäßchen voll. Und die kochende Äbtissin Margarete Rusch hat mit ihren zwei allerdings enormen Titten den reichen Patrizier Eberhard Ferber im Bett erstickt. Also bleiben wir auf dem Teppich. Das Ganze ist mehr ein Traum. Nicht Wunschtraum! Fang doch nicht immer gleich Streit an. Wird doch wohl noch erlaubt sein, ein bißchen zu träumen. Oder?
Einfach lächerlich, diese Eifersucht auf alles und nichts. Wo kämen wir hin, wie müßten wir verarmen ohne Entwürfe und Utopie! Dann dürfte ich nicht mehr mit Blei auf weißem Papier dreimal die Linie ausschwingen lassen. Dann müßte die Kunst nur immer Ja und Jawoll sagen. Ich bitte dich, Ilsebill, sei mal ein wenig vernünftig. Nenne das Ganze eine Idee, aus deren Widerspruch der weiblichen Brust die fehlende Dimension, so etwas wie eine Überbrust erwachsen soll. Du mußt das dialektisch begreifen. Denk mal an die römische Wölfin. An Ausdrücke wie: Busen der Natur. Und was die Zahl betrifft, an den dreieinigen Gott. Oder an die drei Wünsche im Märchen. Wieso ertappt? Ich wünsche mir doch? Meinst du? So. Meinst du?
Also gut. Zugegeben: Wenn ich ins Leere greife, meine ich immer die dritte Brust. Geht mir bestimmt nicht alleine so. Muß doch Gründe dafür geben, daß wir Männer so brustversessen und wie zu früh abgestillt sind. Es muß an euch liegen. Es könnte an euch liegen. Weil ihr das wichtig, zu wichtig nehmt, ob sie hängen, immer ein bißchen mehr hängen. Laß sie doch hängen, verdammt noch mal! Nein. Deine nicht. Aber sie werden, bestimmt, mit der Zeit. Amandas hingen. Lenas Brüste hingen schon früh. Und doch habe ich sie geliebt und geliebt und geliebt. Es muß ja nicht immer das bißchen mehr oder weniger Brust sein. Zum Beispiel könnte ich deinen Arsch samt Grübchen genauso schön finden. Und zwar auf keinen Fall dreigeteilt. Oder was anderes Rundes. Jetzt, wo dein Bauch sich bald kugeln wird und Begriff ist für alles, was Platz hat. Vielleicht haben wir nur vergessen, daß es noch mehr gibt. Was Drittes. Auch sonst, auch politisch, als Möglichkeit.
Aua, jedenfalls, hatte drei. Meine dreibrüstige Aua. Und auch du hattest eine mehr, damals im Neolithikum. Denk mal zurück, Ilsebill: wie es anfing mit uns.
Auch wenn die Vermutung handlich ist, sie alle, die Köchinnen in mir (neun oder elf), seien nichts als ein draller Komplex und üblicher Fall extremer Mutterbindung, reif für die Couch und kaum geeignet, in Küchengeschichten Zeit aufzuheben, muß ich dennoch auf dem Recht meiner Untermieterinnen bestehen: Sie wollen raus alle neun oder elf und von Anfang an namentlich da sein: weil sie zu lange nur alteingesessene Insassen oder Komplex sein durften und ohne Namen geschichtslos geblieben sind; weil sie zu oft nur stumm duldend und selten beredt — ich sage: dennoch beherrschend — Ilsebill meint: ausgebeutet und unterdrückt — für Pfeffersäcke und Deutschherren, für Äbte und Inspektoren, nur immer für Männer in Rüstung und Kutte, in Pluderhosen, gamaschengewickelt, für Männer gestiefelt oder mit schnalzenden Hosenträgern gekocht und was sonst noch getan haben; und weil sie sich rächen wollen, an jedermann rächen wollen: endlich außer mir — oder wie Ilsebill sagt: emanzipiert.
Sollen sie doch! Sollen sie doch uns alle und auch den Koch in ihnen — das werde wohl ich sein — zu Männchen machen. Aus mittlerweile verbrauchten Pappis könnten sie einen Mann entwerfen, der, unbeleckt von Vorrecht und Macht, klebrig neu wäre; denn ohne ihn geht es nicht.
»Geht es leider noch nicht!« sagte Ilsebill, als wir ihre Fischsuppe löffelten. Und nach der Hammelschulter zu Bohnen und Birnen gab sie mir neun Monate Zeit, meine Köchinnen auszutragen. Gleichberechtigt sind uns Fristen gesetzt. Was immer ich vorgekocht habe; die Köchin in mir salzt nach.
Über das Essen, den Nachgeschmack.
Nachträglich über Gäste, die ungeladen
oder ein knappes Jahrhundert zu spät kamen.
Über den Wunsch der Makrele nach gepreßter Zitrone.
Vor allen Fischen schreibe ich über den Butt.
Ich schreibe über den Überfluß.
Über das Fasten und warum es die Prasser erfunden haben.
Über den Nährwert der Rinden vom Tisch der Reichen.
Über das Fett und den Kot und das Salz und den Mangel.
Wie der Geist gallebitter
und der Bauch geisteskrank wurden,
werde ich — mitten im Hirseberg —
lehrreich beschreiben.
Ich schreibe über die Brust.
Über Ilsebill schwanger (die Sauregurkengier)
werde ich schreiben, solange das dauert.
Über den letzten Bissen geteilt,
die Stunde mit einem Freund
bei Brot, Käse, Nüssen und Wein.
(Wir sprachen gaumig über Gott und die Welt
und über das Fressen, das auch nur Angst ist.)
Ich schreibe über den Hunger, wie er beschrieben
und schriftlich verbreitet wurde.
Über Gewürze (als Vasco da Gama und ich
den Pfeffer billiger machten)
will ich unterwegs nach Kalkutta schreiben.
Fleisch: roh und gekocht,
lappt, fasert, schrumpft und zergeht.
Den täglichen Brei,
was sonst noch vorgekaut wurde: datierte Geschichte,
das Schlachten bei Tannenberg Wittstock Kolin,
was übrigbleibt, schreibe ich auf:
Knochen, Schlauben, Gekröse und Wurst.
Über den Ekel vor vollem Teller,
über den guten Geschmack,
über die Milch (wie sie glumsig wird),
über die Rübe, den Kohl, den Sieg der Kartoffel
schreibe ich morgen
oder nachdem die Reste von gestern
versteinert von heute sind.
Worüber ich schreibe: über das Ei.
Kummer und Speck, verzehrende Liebe, Nagel und Strick,
Streit um das Haar und das Wort in der Suppe zuviel.
Tiefkühltruhen, wie ihnen geschah,
als Strom nicht mehr kam.
Über uns alle am leergegessenen Tisch
werde ich schreiben;
Die erste Köchin in mir — denn nur von Köchinnen kann ich erzählen, die in mir hocken und raus wollen — hieß Aua und hatte drei Brüste. Das war in der Steinzeit. Wir Männer hatten nicht viel zu sagen, weil Aua für uns das Feuer, drei Stückchen glühende Holzkohle dem himmlischen Wolf geklaut und irgendwo, womöglich unter der Zunge versteckt hatte. Danach hat Aua wie nebenbei den Bratspieß erfunden und uns gelehrt, das Rohe vom Gargekochten zu unterscheiden. Auas Herrschaft war milde: Die Steinzeitfrauen legten sich, nachdem sie ihre Säuglinge gestillt hatten, ihre Steinzeitmänner an die Brust, bis sie nicht mehr rumzappelten und fixe Ideen ausschwitzten, sondern still dösig wurden: brauchbar für allerlei.
So wurden wir allemann satt. Nie wieder, als später Zukunft anbrach, sind wir so satt geworden. Es lagen ja immer Säuglinge an. Immerzu floß uns Überschuß zu. Nie hieß es: Genug ist genug, oder mehr ist zu viel. Kein vernünftiger Nuckel wurde ersatzweise angeboten. Immer war Stillzeit.
Weil Aua allen Müttern als Nahrung einen Brei aus gestampften Eicheln, Störrogen und den besonderen Drüsen der Elchkuh vorschrieb, schoß den Steinzeitweibern auch dann die Milch ein, wenn keine Säuglinge anlagen. Das machte friedlich und teilte die Zeit. So pünktlich genährt, blieben wir zahnlos noch stößig, was einen ziemlichen Männerüberschuß zur Folge hatte; die Frauen waren sterblicher, weil schneller verbraucht. Für uns blieb wenig zu tun zwischen den Stillzeiten: Jagd, Fischfang, Faustkeilproduktion; und wenn wir dran waren nach strenger Regel, durften wir die durch Fürsorge herrschenden Frauen belegen.
Übrigens sagten zur Steinzeit schon die Mütter zu ihren Babies: »Eiei« — und die Männer, dazugerufen, sagten: »Nana«. Väter gab es keine. Nur Mutterrecht galt.
Das war eine angenehm geschichtslose Zeit. Schade, daß jemand, natürlich ein Mann, plötzlich beschloß, Metall aus Gestein zu schmelzen und in Sandformen zu gießen. Dafür hatte Aua das Feuer weiß Gott nicht gestohlen. Doch so sehr sie auch drohte, uns die Brust zu verweigern, die Bronzezeit und was an harter Männersache danach kam, ließ sich nicht aufhalten, doch immerhin ein wenig vertagen.
Die zweite Köchin in mir, die raus will namentlich, hieß Wigga und hatte schon keine drei Brüste mehr. Das war zur Eisenzeit, aber Wigga, die uns verbot, die fischreichen Sümpfe zu verlassen und mit den durchziehenden Germanenhorden Geschichte zu betreiben, hielt uns noch immer in Unreife. Nur die Schnurkeramik durften wir den Germanen abgucken. Und eiserne Tiegel, die sie in ihrer Hast zurückließen, mußten wir sammeln, weil Wigga herrschte, indem sie kochte und Töpfe feuerfest brauchte.
Für alle Männer, die alle Fischer waren — denn die Elche und Wasserbüffel waren knapp geworden —, kochte sie Dorsch, Stör, Zander und Lachs, legte sie Plötze, Neunaugen, fingerlang Ukeleis und die kleinen schmackhaften Ostseeheringe auf jenen Eisenrost, den aus germanischem Schrott zu schmieden wir gelehrig genug waren. Indem sie glubschäugige Dorschköpfe bis zum Zerfall auskochte und so einen sämigen Sud gewann, hat Wigga die Fischsuppe erfunden, an die sie, weil uns Hirse noch nicht bekannt war, den gestoßenen Samen der Sumpfgräser rührte. Womöglich in Erinnerung an Aua, die uns überliefert zur dreibrüstigen Göttin geworden war, hat Wigga, der immer Säuglinge anlagen, ihre Fischsuppen aus eigener Brust gemilcht.
Wir ungestillten Männer waren ziemlich zappelig und wie von germanischer Unrast infiziert. Fernweh kam auf. Wir kletterten auf hochstehende Bäume, standen auf Dünenkämmen, verkniffen die Augen zu Sehschlitzen und suchten den Horizont ab, ob nicht was kommen, was Neues kommen wolle. Deshalb — und weil ich mich weigerte, wie auf ewig Wiggas Köhler und Torfstecher zu sein — bin ich mit den germanischen Goitschen, wie wir die Goten nannten, auf und davon. Kam aber nicht weit. Wurde fußkrank. Oder machte, weil mir Wiggas gemilchte Fischsuppe fehlte, gerade noch rechtzeitig kehrt.
Wigga hat mir verziehen. Sie wußte, daß sich Geschichte zwischen Hunger und Hunger vergißt. »Die Germanen«, sagte sie, »wollten nicht auf ihre Frauen hören, deshalb werden sie überall immerzu untergehen.«
Für Wigga habe ich übrigens einen Kamm aus Fischbein gefeilt, weil mir ein sprechender Butt so klug zu raten wußte. Ich hatte den Plattfisch noch zu Auas Zeiten aus dem Flachwasser gefischt und wieder schwimmen lassen. Der sprechende Butt ist eine Geschichte für sich. Seitdem er mich berät, hat die Männersache Fortschritte gemacht.
Die dritte Köchin in mir hieß Mestwina und herrschte immer noch dort, wo uns Aua und Wigga mit ihrer Fürundfürsorge kindlich gehalten hatten, zwischen den Sümpfen der Weichselmündung, zu Füßen der Buchenwälder des Baltischen Höhenrückens, hinter Strand- und Wanderdünen. Po Morze — vorm Meer gelegenes Land —, weshalb Mestwinas Fischervolk, das schon Wurzeln pflanzte, bei den benachbarten Pruzzen die »Pomorschen« hieß.
Sie bewohnten ein Hakelwerk, so genannt, weil die Umzäunung der Siedlung, aus Weiden geflochten, vor pruzzischen Einfällen Schutz bot. Mestwina war, weil Köchin, auch Priesterin. Sie hat den Auakult zur Hochform gebracht. Und als wir getauft werden sollten, hat sie das Heidnische mit dem Christlichen so lange verkocht, bis es katholisch wurde.
Für Mestwina bin ich Schäfer, der ihr Hammeldünnung lieferte, und Bischof, dem sie tischte, zugleich gewesen. Jene Bernsteinkette, die ihr beim Kochen überm Fischsud aufging, habe ich in Stücken vom Strand gesammelt, mit glühendem Draht gelöchert, unter geeigneten Sprüchen gefädelt; und jene Suppe, aus Dorschköpfen gewonnen, in der, weil die Kette riß, an die sieben Bernsteinstückchen verkochten, habe ich als Bischof Adalbert gelöffelt, worauf ich stößig wie ein Bock aus Aschmateis Stall wurde.
Später hat man den Bischof Adalbert von Prag, der ich in meiner Zeitweil gewesen bin, heiliggesprochen. Doch hier ist von Mestwina zu reden, die, weil sie mich kurzerhand erschlug, nur den Männern übliches Handwerk betrieben hat. Und der Butt schimpfte mit mir, als ich ihm den Fall vom April des Jahres 997 berichtet hatte: »Das ist Amtsanmaßung! Schließlich habt ihr euch halbwegs zu Kriegern gemausert. Diesen Totschlag zu verüben wäre Männersache gewesen. Eindeutig. Ihr dürft euch die absoluten Lösungen nicht aus der Hand nehmen lassen. Keine Rückfälle in die Steinzeit, bitte. Die Frauen sollten sich mehr innerlich um die Religion kümmern. Die Küche ist Herrschaft genug.«
Die vierte Köchin in mir ist zum Fürchten, so daß sie loszuwerden Vergnügen bereitet. Nicht mehr pomorsche Fischersfrau, sanft im Hakelwerk herrschend, sondern, seitdem die Stadt gegründet war, Frau eines Handwerkers: Dorothea von Montau genannt, weil im Weichseldorf Montau geboren.
Ich will sie nicht schlechtmachen, obgleich der Ratschlag des sprechenden Butt, nach so viel geschichtsloser Weiberfürsorge, fortan die Männersache mit maskulinem Überdruck zu betreiben und den Frauen zwar nicht die Kirche, aber die Religion als Zweitrecht der Küchenherrschaft zu überlassen, meiner Dorothea hochgotisch anschlug. Wenn ich sage, daß sie, obgleich vom Volk wie heilig verehrt, eher hexisch und des Satans Bettstück gewesen ist, heißt das wenig für eine Zeit, die sich, während die Pest im Vorbeigehen raffte, Hexen und Heilige in Personalunion hielt.
So typisch Dorothea für das vierzehnte Jahrhundert gewesen sein mag, der Küche jener bis zum Erbrechen nach Fettlebe verrückten Zeitläufte hat sie nur einseitig beigetragen, denn Dorothea herrschte, indem sie die Fastenküche aufs ganze Jahr bezog; Martin und Johannis, Lichtmeß und die hohen Feiertage nicht ausgelassen. In ihren Töpfen wurde keine Graupe geschmälzt. Immer in Wasser und nie in Milch ließ sie die Hirse quellen. Kochte sie Linsen und graue Erbsen, durfte kein Knöchlein sein bißchen Mark spenden. Nur Fisch ließ sie zu, den sie mit Rüben, Lauch, Ampfer und Lattich garte. Von ihren Gewürzen wird noch erzählt werden. Wie sie Gesichte hatte und das Herz Jesu in Brotteig backen ließ. Welche Buße ihr süß war und wie sie die Erbsen durch büßendes Knien erweichte. Wonach sie hungerte und was ihre Schönheit gesteigert hat. Wozu mir der Butt riet, doch mir war nicht zu raten: Ruiniert hat sie mich, die Hex.
Margarete Rusch, auch die dicke Gret genannt, hockt als fünfte Köchin in mir. Wie sie hat keine gelacht: so total. Während sie eine schlachtwarme, noch tropfende Gans zwischen den runden Knien rupfte, bis sie in einer Federwolke saß, ließ sie in ihrem Gelächter den Papst und den Luther ersaufen. Das Römische Reich und die teutsche Nation, Polens Krone und die zerstrittenen Zünfte, die hansischen Herren und den Abt zu Oliva, Bauerntölpel und lausige Ritter, was da gepludert, bewamst, gekuttet oder verblecht die wahre Lehre im Fähnlein führte, hat sie verlacht; sie hat ihr Jahrhundert verlacht.
Während sie aus dem Bauch heraus lachte und die elf Gänse Stück für Stück rupfte, habe ich, ihr Küchenjunge und Löffelziel, pustend den Flaum in Schwebe gehalten; das konnte ich immer schon: Federn blasen und schwebende Federn in Schwebe halten.
Die rupfende Köchin war als Äbtissin der Birgittinen eine jener freischweifenden Nonnen, die sich nahm, was in ihre Schlafkiste paßte. Mich, das Franziskanermönchlein, hatte sie sich während der Vesperandacht aus Sankt Trinitatis geholt. Die dicke Gret war eine so geräumige Frau, daß viele Herren in ihr verlorengingen. Patriziersöhnchen waren ihr Vorgericht: butterköpfiger Spargel. Den Abt zu Oliva hat sie zu Tode gemästet. Dem Prediger Hegge soll sie das linke Hodenei abgebissen haben. Dann liefen wir dem Patrizier Ferber zu, der katholisch bleiben und nicht auf Margrets gepfefferte Hammelzungen zu dicken Bohnen verzichten wollte. Dann waren wir wieder in evangelischem Dienst und kochten auf Festtagen reihum für die Zünfte. Als König Bathory die Stadt belagerte, wollten wir sicherer vor den Mauern sein und polnisch abkochen. Bei ihr habe ich warm gelegen. Bei ihr fand ich Ruhe. Sie hielt mich unter Verschluß. Sie war das deckende Fett.
Die dicke Gret, das hat mir der Butt gesagt, war eine Frau nach seinem breitmäuligen Geschmack: Sie ließ die Männer ihren todernsten Weizen-Pfahlgeld-Zunft-Glaubenshandel betreiben und lachte sich, während sie einander auf immer kompliziertere Weise abstachen, verpulverten oder als Silbenstecher die Schrift auslegten, schier gesund bei so viel mörderischer Kurzweil. »Wenn sie gewollt hätte«, sagte der Butt, »hätte sie jederzeit wieder Auas Herrschaft antreten können.«
Die sechste Köchin in mir — sie drängeln und sind namentlich neun und mehr — hat auch, doch nicht lachend, Gänse gerupft. Die Hafermastgans, als die Schweden, Feuer im Rücken, abzogen. Als dann die Schweden (pünktlich auf Martin) zurückkamen, blieb von den restlichen Gänsen nur die Schüssel gerührtes Blut, um das gekochte Kleinzeug — Hals, Herz, Magen, die Flügel — mit Wurzelwerk und Birnenschnitzeln schwarzsauer zu binden.
Gleich hinterm Stall, unterm Apfelbaum, an dem später die Köpfe mit Schnäbeln himmelwärts baumelten, hat Agnes die Gänse gerupft und Liedchen dabei gesungen: verwehte Wörter zum Müdmachen, die die Schwedennot reimten und mit dem Gänseflaum einen Novembertag lang in der Schwebe blieben. O Jammertal!
Das war, als Agnes noch kindlich-kaschubisch war. Wie sie dann städtisch wurde und für den Stadtmaler Möller kochte, waren die Schweden mit ihrem Gustav Adolf schon anderswo. Dafür kam, vier Jahre nach Lützen, angesäuert vom langatmigen Krieg, der Poet und Diplomat Martin Opitz nach Danzig gereist.
»Agnes«, sagte der sprechende Butt — wobei ich nicht sicher bin, ob ich den neunmalklugen Fisch als Maler Möller oder als Dichter Opitz befragt habe —, »eure Agnes«, sagte er, »gehört zu jenen Frauen, die nur umfassend lieben können: Für wen sie kocht, den liebt sie; und da sie euch beiden, dem einen die geschwollene Leber, dem anderen die verbitterte Galle jeweils schonend bekocht, müßt ihr mit ihrer, wie ihr meint, geteilten, wie ich sage, doppelten Liebe zu Tisch sitzen und das Bett knarren hören.«
Dem Maler Möller hat sie ein Mädchen geboren; doch mir hat Agnes, als mich die Pest in Schweiß gebracht hatte, das Sterbekissen mit Gänsedaunen platzvoll gestopft. Sie war so gut. Doch kein Gedicht ist mir auf ihre Güte gelungen. Immer nur fürstliche Lobhudelei und Jammertalallegorien. Kein vollmundiger Agnesreim auf Hühnerbrühe, Kalbsmilke, Schwadengrütze und ähnliche Schonkost. Das soll nachgeholt werden.
Die siebte Köchin in mir hieß Amanda Woyke und ist mir, wenn ich sie alle und ihre Töchter versammelt schwatzen und die Preise zu jeder Zeit vergleichen höre, besonders deutlich geblieben. Niemals könnte ich freiweg sagen: So, genau so sah Agnes aus, weil Agnes immer anders wehmütig und allenfalls wie zwischen Möller und Opitz hin- und hergerissen aussah; doch leicht fällt es mir, Amandas Aussehen ins Bild zu bringen: Sie hatte ein Kartoffelgesicht. Genauer: Die Schönheit der Kartoffel feierte in ihrem Gesicht Alltag. Nicht nur das Knollige an Amanda, auch ihre Haut insgesamt hatte jenen erdigen Glanz und Schimmer von greifbarem Glück, der matt auf gelagerten Kartoffeln liegt. Und weil die Kartoffel zuallererst große umlaufende Form ist, verhielten sich ihre Augen klein und lagen, ohne von starken Brauen betont zu sein, ringsum schwellend gebettet. Und auch ihr Mund, den kein fleischiges Lippenrot, sondern kaschubischer Sandboden tönte, war gute Laune der Natur: zwei Wülste, immer bereit, Wörter wie Bulwe, Wruke und Runkel zu bilden. Von Amanda geküßt zu werden hieß von der Erde, ich meine jene trockenen Kartoffelböden, die die Kaschubei berühmt gemacht haben, einen Schmatz bekommen, der nicht flüchtig war, sondern sättigte, wie Pellkartoffeln uns satt machen.
Wenn Mestwina gelächelt hat, glänzte Weidengeäst im März; das Lächeln der Dorothea von Montau ließ den Nasenrotz der Kinder zu Eiszapfen erstarren; das Lächeln meiner Agnes war von Todessehnsucht gefaßt und hat mir das Sterben schmackhaft gemacht; doch lächelte mir Amanda zu, konnte die Geschichte vom Sieg der Kartoffel über die Hirse, gewunden wie Amandas Kartoffelschalen, forterzählt werden: Denn immer schälte sie vom Daumen weg, wenn ihre Geschichten ins Kraut schossen. Als Gesindeköchin der Königlich-Preußischen Staatsdomäne Zuckau mußte sie täglich an die siebzig Knechte und Mägde, Tagelöhner, Instleute und Althäusler bekochen.
»Man sollte ihr ein Denkmal errichten«, sagte der Butt, »denn die Einführung der Kartoffel in Preußen nach der Zweiten Polnischen Teilung, als überall Hungersnot herrschte und Eicheln ihren Marktpreis hatten, ist ohne Amanda Woyke nicht denkbar. Sie hat, nur eine Frau, dennoch Geschichte gemacht. Erstaunlich, nicht wahr? Erstaunlich!«
Die achte Köchin in mir wollte partout ein Mann sein und ihrer revolutionären Zeit gemäß mit angriffiger Brust auf Barrikaden stehen; dabei ist Sophie Rotzoll zeitlebens ein siebenmal verschlüsseltes Mädchen geblieben, so nah ihr die Männer (und also ich) gekommen sind. Geliebt hat sie nur den stotternden Gymnasiasten Friedrich Bartholdy, der wegen jakobinischer Umtriebe zum Tode verurteilt wurde. Siebzehn war er und Sophie vierzehn: Deshalb hat ein Gnadenbeweis der Königin Luise von Preußen den schroffen Spruch zu Festung lebenslang gemildert. Erst vierzig Jahre später, als alte Frau, besser: ältliches Fräulein, hat Sophie ihren Fritz, krank aus der Festung Graudenz entlassen, wiedergesehen. Kalbskopf in Kräuteressig, Pfifferlinge zu Schweinebauch, Hasenpfeffer in Rotwein gesotten: was sie ihm alles gekocht, wie sie ihn agitiert, welch hohe Ziele sie ihm und der Menschheit gesteckt hat; Bartholdy wollte nicht mehr, er wollte nur noch sein Pfeifchen schmauchen.
Ich habe sie gut gekannt. Schon als Junge bin ich mit Sophie, soweit die Wälder um Zuckau lagen, in die Pilze gegangen. Sie konnte alle beim Namen nennen: den Hallimasch, den giftigen Seidenriß, Anisegerlinge, die auf Nadelböden gern den geschlossenen Hexenkreis bilden. Vereinzelt der Steinpilz stand. Die Stinkmorchel wurde Begriff. So heillos kurzsichtig sich Sophie an revolutionären Büchern verlesen hatte, Pilze bestimmte sie auf den ersten Blick.
Später, als sie für Pastor Blech, den Hauptpfarrer zu Sankt Marien, kochte, und noch später, als sie Napoleons Gouverneur, dem General Rapp, zuerst begeistert, dann konspirierend die Küche geführt hat, bin ich Blech, der Pastor, dem sie entlief, und Rapp, der Gouverneur, den sie durch ein Gericht besonderer Pilze absetzen wollte, nacheinander gewesen.
Sophie konnte mitreißen. Sie sang im Keller, auf allen Treppen und in der Küche: »Trois jeunes tambours!« Ihre Stimme war immer voraus: Säbelhieb Peitschenknall Freiheitsdurst Todeskuß. Es war, als wollte Dorothea von Montau ihren himmlischen Überdruck irdisch entladen. »Seit Sophie«, sagte der sprechende Butt, »ist die Küche wie aus dem Häuschen. Immerzu Revolution.« (Und auch meine Ilsebill hat diesen fordernden Blick.)
Die neunte Köchin in mir wurde geboren, als Sophie Rotzoll, die achte, im Herbst neunundvierzig starb. Fast könnte man meinen, sie habe das Banner der Revolution an Lena Stubbe weiterreichen wollen; und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß Lena, die jung einen Ankerschmied heiratete, der im 70/71er Krieg vor Paris fiel, als junge Witwe, indem sie einer Volksküche vorstand, die Armensuppe zwar stumm austeilte, doch unterm Löffel sozialistisch hoffte. Aber Lenas Stimme trug nicht. Sie agitierte niemand. Sie konnte sich nie recht begeistern. So bebelkundig sie sich belesen hatte, blieb sie doch immer von grauer Praxis umwölkt.
Als Lena Stubbe zum zweitenmal eine Ehe einging, war sie schon eine reife Frau, und ich (wie ihr erster Mann Ankerschmied) war zwar zehn Jährchen jünger als sie, doch auch nicht mehr neu und, zugegeben, ein Trinker.
Sie hat die Streikkasse geführt und vor meinem Zugriff zu schützen versucht. Sie hat meine Schläge ertragen und mich getröstet, wenn ich, weil ich sie wieder geprügelt hatte, zerknirscht in den Hosenträgern hing. Lena hat mich überlebt, denn 1914, als ich zum Landsturm nach Ostpreußen kam, wurde sie zum zweitenmal Witwe.
Danach hat sie nur noch Suppen ausgeteilt: Graupen-Kohl-Erbsen- und Kartoffelsuppen. In Volksküchen, Caritashäusern, im Grippewinter 17 aus Gulaschkanonen, danach bei der Arbeiterhilfe, und als die Nazis kamen mit ihrem Winterhilfswerk und den Eintopfsonntagen, war sie uralt mit der Suppenkelle noch immer rührig.
Als Junge — schon wieder neugierig da — habe ich Lena gesehen. Ihr weißes Haar, in der Mitte gescheitelt. Ihre besondere Art des Suppeausteilens. Eine ernste, wie von Beruf mitleidende Frau. Der Butt meint, eigentlich sei Lena Stubbe unpolitisch gewesen, wenn man von ihrem »Proletarischen Kochbuch« absähe, das nach dem Wegfall der Bismarckschen Sozialistengesetze als Manuskript vorlag, doch keinen Verleger fand.
»Sehen Sie«, sagte der Butt, »das hätte Bewußtsein verändern und neues schaffen können. Zwar gab es dazumal bürgerliche Kochbücher ungezählt, aber das proletarische fehlte. So kochte die Arbeiterklasse mittellos dennoch bürgerlich. Sie sollten, bevor Sie sich eine zehnte oder gar elfte Köchin erfinden, aus dem Nachlaß der Lena Stubbe zitieren. Schließlich sind Sie Sozialdemokrat.«
Die zehnte und elfte Köchin in mir sind noch ungenau, weil mir die beiden zu nah bekannt wurden. Nur ihre Namen stehen schon auf sonst leerem Blatt: Billy (die eigentlich Sibylle hieß) verlor ich in den sechziger Jahren an einem Himmelfahrtstag, der in Berlin und anderswo lauthals als Vatertag gefeiert wird; mit Maria, die auf der Leninwerft in Gdánsk (früher Schichau-Werft Danzig) in der Werkkantine arbeitet, bin ich verwandt.
Ich gebe zu: Billy und Maria drängen. Doch weil mir der Butt zur chronologischen Folge rät und da ich nun einmal von so vielen Köchinnen besetzt bin, sei mir — zumal mich meine gegenwärtige Ilsebill ziemlich beutelt — vorerst erlaubt, die drei Brüste der neolithischen Köchin Aua handlicher zu begreifen als jenes Vatertagsfest, das im Juni 1962 im Grunewald und im Tegeler Forst, in Spandau, Britz und am Wannsee als reine Männersache gefeiert wurde. Wer von so viel Vergangenheit verstopft ist und endlich zu Stuhl kommen möchte, den drängt es, von Mestwinas Bernsteinkette zu erzählen, auch wenn ihm der Aufstand der Werftarbeiter in den polnischen Hafenstädten, wie er im Dezember 1970 durch alle Zeitungen ging, näher sein sollte.
Olle Kamellen. Die Geschichte der Hirse. Was aß der Bauer leibeigen von dem, was ihm blieb? Nach welcher Speisenfolge hat die dicke Gret klösterliche Äbte schlachtreif gemästet? Was geschah, als der Pfefferpreis fiel? Die Rumfordsche Armensuppe. Wie der Knollenblätterpilz politisch zu werden versprach. Als die Erbswurst erfunden und so Preußens Armee gestärkt wurde. Warum die Proletarier bürgerlich essen wollten. Was das heißt: am Hungertuch nagen. »Doch vielleicht«, sagt der Butt mit seinem Schiefmaul lehrerhaft, »können wir aus der Geschichte lernen, welchen Anteil an ihr die Frauen hatten, zum Beispiel, als die Kartoffel siegte.«
Und säße gegenüber drei Brüsten
und wüßte nicht nur das eine, das andere Gesäuge
und wäre nicht doppelt, weil üblich gespalten
und hätte nicht zwischen die Wahl
und müßte nie wieder entweder oder
und trüge dem Zwilling nicht nach
und bliebe ohne den übrigen Wunsch…
Aber ich habe nur andere Wahl
und hänge am anderen Gesäuge.
Dem Zwilling neide ich.
Mein übriger Wunsch ist üblich gespalten.
Und auch ganz bin ich halb nur und halb.
Immer dazwischen fällt meine Wahl.
Nur noch keramisch (vage datiert) gibt es,
soll es Aua gegeben haben: die Göttin
mit dem dreieinigen Quell,
dessen einer (immer der dritte) weiß,
was der erste verspricht und der zweite verweigert.
Wer trug dich ab, ließ uns verarmen?
Aber nein, Ilsebill! Bestimmt rede ich nicht dem Schummelmärchen nach. Wahrhaftig werde ich, was Philipp Otto Runge als andere Wahrheit mitschrieb, auf meinem Papier erinnern; und müßte ich Wort für Wort aus der Asche lesen.
Denn was ein altes Weib im Sommer 1805 dem Maler zusätzlich in die Feder schwatzte, wurde zwischen Rehwiese und Waldteich bei Vollmond verbrannt. So wollten die Herren die patriarchalische Ordnung schützen. Deshalb brachten die Brüder Grimm nur die eine Rügener Niederschrift »Von dem Fischer un syner Fru« auf den Märchenmarkt. Seitdem ist des Fischers Frau Ilsebill sprichwörtlich: ein zänkisches Miststück, das immer mehr haben, besitzen, beherrschen will. Und der Butt, den der Fischer gefangen und wieder freigesetzt hat, muß liefern und liefern: die größere Hütte, das steinerne Haus, das Schloß königlich, des Kaisers Macht, den päpstlichen Stuhl. Endlich fordert Ilsebill Liebgottchens Vermögen, die Sonne auf- und untergehen zu lassen; worauf die raffgierige Ilsebill und ihr zu gutmütiger Mann bestraft werden und wieder in ihrer Kate, »Pißpott« genannt, ihr Fell aneinander reiben müssen. Wirklich, ein nimmersatter Hausdrachen. Kriegt den Rachen nicht voll. Hat immer noch ein Gelüst. Die Ilsebill, wie sie im Buche steht.
Dabei wäre meine der lebende Gegenbeweis, den ich hiermit bekanntmache. Und auch der Butt meinte, es sei an der Zeit, die Urfassung seiner Legende zu veröffentlichen, alle Ilsebills zu rehabilitieren und jenes weiberfeindliche Propagandamärchen zu widerlegen, das er listig unter die Leute gebracht hatte. Jadoch, gründlich. Nur noch die Wahrheit. Glaub mir, Liebste, es lohnt nicht, Streit anzufangen. Du bist ja im Recht, wie immer im Recht. Schon hast du, bevor wir uns streiten, gewonnen.
Das war gegen Ende der Steinzeit. Ein ungezählter Tag. Wir machten noch keine Striche und Kerben. Nur mit Furcht sahen wir den Mond abmagern oder Fett ansetzen. Nichts Vorbedachtes traf pünktlich ein. Kein Datum. Nie kam wer oder was zu spät.
An einem zeitlosen Tag, heiter bis wolkig, fing ich den Butt. Dort, wo sich der Fluß Wistulle immer verändert gebettet mit der offenen See mischte, hatte ich meine Korbreusen ausgelegt, in Hoffnung auf Aale. Netze kannten wir nicht. Und auch das Angeln mit Haken und Köder war noch nicht üblich. Soweit ich zurückdenke — die letzte Eiszeit setzt meinem Erinnern Barrieren —, haben wir Fische nur immer mit gespitzten Ästen, später mit Pfeil und Bogen gespießt: in den Flußarmen den Barsch, den Zander, den Hecht, Aale und Neunaugen, und wenn er flußab zog, den Lachs. Dort, wo die Baltische See wandernde Dünen bespülte, spießten wir Plattfische, die im warmen Seichtwasser gerne im Sand gebettet liegen: Flundern, Rotzungen, den Butt.
Erst als Aua uns lehrte, Körbe aus Weidengeäst zu flechten, half uns der Zufall, den Sammelkorb auch als Reuse zu begreifen. Uns Männern kam ja selten eine Idee. Wieder ist es Aua gewesen, die einen Korb, gefüllt mit abgenagten Elchknochen, am Ufer eines Nebenflusses, der später Radune, viel später Radaune hieß, im Schilf versenkte, damit der Fluß die letzten Fasern und Sehnenreste ablaugte; denn Aua benutzte Elch- und Rentierknochen als Küchenwerkzeuge und für kultische Zwecke.
Als wir den Korb nach genügend Zeit aus dem Fluß hievten, gelang es einigen Aalen, knapp zu entkommen, doch blieben, neben Kleinzeug, fünf armlange Burschen im Geflecht und tobten zwischen den blanken Knochen. Das wurde wiederholt. Diese Fangtechnik ließ sich entwickeln. So hat Aua die Reuse erfunden; wie sie knapp zwei Jahrhunderte später aus dem Lügenbein der Sumpfvögel den ersten Angelhaken entwickelt hat. Und nach ihren Angaben, unter ihrer wie Schicksal verhängten Aufsicht haben wir jene zur offenen Seite verengten Körbe geflochten, in die wir später aus Eigenantrieb, ohne daß uns Aua wie auf ewig bevormunden mußte, einen zweiten, dann dritten verengten Korb gehängt haben, um den Aalen die Flucht zu erschweren. Schmiegsame, lang ausgeschossene Weidenruten in ein kompliziertes System gezwungen: schon kunstvoll. Es ging auch ohne Aua.
Gute Fänge seitdem. Überfluß. Erste Räucherversuche in hohlen Weiden. Aal und Reuse wurden als Wortpaar Begriff und durch mich, der ich zwanghaft überall Zeichen setzen mußte, ins Bild gebracht. Bevor ich, nach dem Auslegen der Reusen, den Strand verließ, zeichnete ich mit scharfem Muschelrand in den nassen Sand: zum Beispiel sich windende Aale hinter kunstvollem Flechtwerk. Und wäre unsere Gegend nicht flach und sumpfig, sondern gebirgig zur Höhlenbildung fähig gewesen, hätte ich sicher den Aal in der Reuse als Höhlenzeichnung hinterlassen. »Neolithische Felsenritzbilder nordosteuropäischer Fischerkulturen, verwandt den südskandinavischen Maglemosezeichnungen auf Knochen und Bernstein«, würde der Butt in seiner heutigen Zeitweil sagen; er hielt ja von Anfang an auf Kultur.
Das konnte Aua nicht, Zeichen setzen, ein Bildnis machen. Zwar fand sie meine geritzten Sandbilder schön und kultisch brauchbar, zwar wollte sie sich und ihre drei Brüste so faßlich abgebildet sehen, doch als ich eine fünffach verengte Reuse aus zwecklosem Spaß auf eine Strandfläche übertrug, wurden die Fünferreuse und ihre zeichnerische Entsprechung verboten. Der von Aua mit ihren Brüsten gesetzte Grundwert Drei durfte nicht überschritten werden. Ähnlich schroff wurden mir Grenzen gesetzt, als ich den Butt, gefangen in einer Aalreuse, zum Bild machte. Aua steigerte sich in muttergöttlichen Zorn: So etwas habe sie noch nie gesehen. Und weil sie das nie gesehen habe, könne es sowas nicht geben. Das sei nur erfunden und deshalb nicht wahr.
Unter Strafandrohung wurde mir von Aua und dem gesamten Weiberrat verboten, jemals wieder einen Butt, gefangen in einer Aalreuse, zu zeichnen. Heimlich tat ich es doch. Denn so sehr ich die Verweigerung der täglich dreimal stillenden Brust als mutterrechtliche Strafe zu fürchten gelernt hatte, der Butt war stärker, zumal er, ich mußte nur »Buttke« rufen, jederzeit zu mir sprach. Er sagte: »Sie will sich, nur immer sich bestätigt sehen. Was außer ihr ist, steht unter Verbot. Doch die Kunst, mein Sohn, läßt sich nicht verbieten.«
Gegen Ende des dritten Jahrtausends vor der Fleischwerdung des Herrn — oder wie ein Computer ausrechnete, am 3.Mai 2211 vor unserer Zeitrechnung — es soll ein Freitag gewesen sein — an einem jungsteinzeitlichen Tag, bei Ostwind und unter Wolken in losem Verband geschah, was später aus Gründen patriarchaler Selbstherrlichkeit zum Märchen verfälscht wurde; das kränkt meine Ilsebill immer noch.
Jung war ich, aber schon bärtig. Am späten Nachmittag wollte ich meine dreifach verengte Korbreuse einholen, die ich am frühen Morgen, noch vor der ersten Stillzeit, ausgesetzt hatte. (Etwa dort war mein bevorzugter Fangplatz, wo später der beliebte Badeort Heubude mit der Straßenbahn, Linie 9, bequem zu erreichen war.) Meiner Zeichenkunst wegen wurde ich von Aua fürsorglich durch Nachstillen außer der Reihe bevorzugt. Deswegen sagte mein erster Gedanke, als ich den Butt in der Aalreuse sah: Den bringe ich Aua. Den soll sie, nach ihrer Art, mit feuchten Lattichblättern umlegen und in heißer Asche garen.
Da sprach der Butt.
Ich bin nicht sicher, ob mich seine schiefmäulige Ansprache mehr erstaunt hat als die platte Tatsache, einen breitgelagerten Butt in einer Aalreuse gefangen zu haben. Jedenfalls habe ich auf die Worte »Guten Tag, mein Sohn!« nicht mit einer Frage nach seinem erstaunlichen Sprechvermögen geantwortet. Vielmehr wollte ich wissen, was ihn, den Plattfisch, bewegt haben mochte, sich durch alle drei Verengungen in eine Reuse zu zwängen.
Der Butt gab Auskunft. Von Anfang an belehrend, mit allwissender Überlegenheit und deshalb, trotz seiner kategorischen Punktumsätze, geschwätzig näselnd, professoral, wie von der Kanzel herab abkanzelnd oder penetrant väterlich: Er habe mit mir ins Gespräch kommen wollen. Nicht etwa dumme (oder sagte er damals schon) weibliche Neugierde sei sein Antrieb gewesen, sondern ein wohlbedachter Entschluß aus männlichem Willen. Schließlich gebe es einige über den jungsteinzeitlichen Horizont weisende Erkenntnisse, die er, der wissende Butt, mir, dem dumpfen, durch totale Weiberfürsorge kindlich gehaltenen Mann und Fischer vermitteln wolle. Vorsorglich habe er das baltische Küstenplatt zu sprechen gelernt. Viele Worte mache man hierzulande ja nicht. Ein armseliges, nur die Notdurft benennendes Gemaule. In relativ kurzer Zeit habe er sich den alles breitschlagenden Zungenschlag eingeübt. Schon könne er »Pomuchel« und »Ludrichkait« sagen. An Sprachschwierigkeiten werde der Dialog gewiß nicht scheitern. Doch auf Dauer empfinde auch er das Weidengeflecht als eng.
Kaum hatte ich ihn aus der Dreierreuse befreit und auf Sand sichergelegt, sagte er zuerst: »Danke, mein Sohn!« und dann: »Natürlich weiß ich, welchen Gefahren mich mein Entschluß aussetzt. Mir ist bekannt, daß ich schmecke. Es hat sich herumgesprochen, auf wie verschiedene Weise eure durch Fürsorge herrschenden Weiber Plötze am Weidenspieß rösten, den Aal, den Hecht, den Zander, die handgroßen Flundern auf durchglühten Steinen braten oder meinesgleichen, wie jeden größeren Fisch, mit Blättern umlegt in heiße Asche betten, bis wir gar sind und dennoch saftig bleiben. Wohl bekomm’s! Es schmeichelt, schmackhaft zu sein. Dennoch bin ich sicher, daß mein Angebot, dir, das heißt der Männersache für alle Zeit als Berater verpflichtet zu bleiben, meinen Küchenwert übersteigt. Kurzum: Du, mein Sohn, setzt mich wieder frei; ich komme, sobald du mich rufst. Dein Großmut verpflichtet mich, dich mit weltweit gesammelten Informationen zu versorgen. Schließlich ist meinesgleichen — in dieser und in verwandter Art — in allen Meeren, an allen Küsten zu Haus. Ich weiß, wie dir zu raten wäre. Rechtlos, wie ihr baltischen Männer gehalten werdet, wird euch mein Zuspruch notwendig sein. Du, ein Künstler, der in seiner Not Zeichen zu setzen versteht, der die bleibende, die vielsagende Form sucht, du wirst den vergänglichen Vorteil der Beute gegen mein zeitloses Versprechen abzuwägen wissen. Und was meine Glaubhaftigkeit betrifft, sei dir, mein Sohn, die Devise ›Ein Mann — ein Wort!‹ als erster Lehrsatz vermittelt.«
Stimmt. Ich fiel auf ihn rein. So von ihm angesprochen, fühlte ich mich. Mir kam Bedeutung zu. Dieses Übersichhinauswachsen. Dieses Sichbewußtwerden. Schon nahm ich mich wichtig. Doch immerhin — glaub mir, Ilsebill! — blieben noch Zweifel. Ich wollte den sprechenden, mir so viel versprechenden Butt prüfen. Kaum hatte ich ihn ins Flachwasser geworfen, rief ich ihm nach: »Butt! Komm zurück! Ich muß dich was fragen.«
Und wo ich ihn ausgesetzt hatte, sprang er aus der Baltischen See mir auf beide Handteller: »Was gibt’s, mein Sohn? Immer zu Diensten. Übrigens auch bei Sturm und Wellengang.«
»Aber«, sagte ich zum Butt, »wenn wir nun gar nicht unter der Fürsorge unserer Aua leiden? Wenn uns nichts fehlt, weil es uns gutgeht? Wirklich! Denn wir bekommen ja, was wir brauchen. Nichts geht uns ab. Nur selten, wenn wir Fisimatenten machen, wird uns die Brust verweigert. Dreimal täglich werden wir angelegt. Selbst den Klappergreisen ist noch das Stillen sicher. Das war schon immer so. Auch in der Altsteinzeit. Jedenfalls seit Ende der letzten Vereisung. Die Brust bekommt uns. Wir sind satt, zufrieden, geborgen. Immer werden wir warm gehalten. Nie müssen wir uns für oder gegen etwas entscheiden. Frei von Verantwortung leben wir, wie wir Lust haben. Sicher, manchmal die Unruhe. Wenn man wissen will, von wo der Fluß kommt. Oder ob hinterm Fluß, wo die Sonne aufsteigt, irgendwas los ist. Auch möchte ich wissen, ob man weiter zählen kann, als wir dürfen. Und auch die Frage nach dem Sinn. Ich meine, ob das, was wir so machen und was ja immer dasselbe ist, außer dem, was es ist, noch was anderes sein könnte. Aua sagt: Es ist nur, was ist. Sie gibt uns, sobald wir zappeln und zweifeln, die Brust. Das hilft auch, na gegen die Unruhe und das Fragen. Während du, Butt, mich nervös machst. Du redest so zweideutig. Was sind das: Informationen? Sag schon: Wo kommt der Fluß her? Darf man woanders mehr als drei Reusen ineinanderhängen? Und hat das, was ist, auch noch anderen Sinn? Zum Beispiel das Feuer. Wir wissen nur, daß Aua für uns, gleich nach Ende der letzten Vereisung, drei Stückchen glühende Holzkohle vom Himmel geholt hat. Sie sagt, Feuer ist gut, um Fleisch, Fische, Wurzeln und Pilze zu garen, auch um schwatzend drumrum zu hocken wegen der Wärme. Ich frage dich, Butt: Was noch kann das Feuer?«
Da gab mir der Butt Antwort. Er erzählte von Horden auf beiden Seiten des Flusses, die auch ihre Aua hätten, auch wenn sie sich Eua oder Eia nennen lasse. Von anderen Flüssen und dem viel größeren Meer erzählte er. Wie eine schwimmende Zeitung gab er mir Nachricht, informierte er mich über heroischen und mythologischen Klatsch. Zeus-Zitate, von einem Gott namens Poseidon kommentiert, kommentierte der Butt. Weibliche Gottheiten — eine hieß Hera — wurden glossiert. Doch ich begriff nicht viel, selbst wenn er sachlich technisch informierte. So sprach er zum erstenmal vom Metall, das man aus Steinen mit Hilfe des Feuers schmelzen könne, damit es, in Sandformen gegossen, wieder erkalte und hart werde. »Merke, mein Sohn! Metall läßt sich zu Speerspitzen und Äxten schmieden.«
Nachdem sein Schiefmaul »Das Ende des Faustkeilzeitalters« verkündet hatte, beschrieb er mir den Weg zu nahe gelegenen Hügeln landeinwärts, zum später baltisch genannten Höhenrücken, wo, wenn auch spärlich, metallhaltiges Gestein zu finden sei. Und drei Tage später, als ich ihn, wie verabredet — »Buttke, Buttke inne See!« —, wieder rief, brachte er mir, wahrscheinlich aus Schweden, eine Gesteinsprobe mit: versteckt in der oberen Kiementasche.
»Nur Mut!« rief der Butt. »Dieses und mehr ausgeschmolzen, und ihr habt nicht nur Kupfer gewonnen, sondern obendrein dem Feuer einen weiteren, einen fortschrittlichen, scheidenden, entscheidenden, einen männlichen Sinn gegeben. Feuer, das ist nicht nur Wärme und Garküche. Im Feuer züngeln Visionen. Das Feuer reinigt. Dem Feuer enteilt der springende Funke. Feuer, das ist Idee und Zukunft. Schon hat sie an anderen Flüssen begonnen. Männer meistern sie zielbewußt, ohne die dortigen Auas und Euas zu fragen. Nur ihr laßt euch noch an die Brust legen und einlullen. Säuglinge bis ins Greisenalter. Jetzt gilt es, prometheisch vom Feuer Besitz zu ergreifen. Sei nicht nur Fischer, mein Sohn, sei Schmied!«
(Ach, Ilsebill, wäre das Metall doch in den Bergen geblieben.) Angeblich auf Jagd — und wir spießten auch eine Wildsau — fanden wir in den später »Zigankenberge« genannten Hügeln das Mitbringsel des Butt, seine Gesteinsprobe bestätigt. Bald besaßen wir eine Kupferaxt, paar Klingen und einige metallene Speerspitzen, die wir prahlerisch rumzeigten. Die Weiber schauerten kicherig, sobald sie das neue Material berührten. Schon nahm ich Schmuckbestellungen entgegen. Da griff Aua ein.
In Wut geraten, drohte sie sogleich, die Brust zu verweigern. Peinliche Verhöre mußten wir Edeks uns gefallen lassen. Wo diese plötzlichen Kenntnisse herkämen? Uns falle doch sonst nichts Nützliches ein. Was dem Feuer an Dienstleistung abzuverlangen sei, werde ausschließlich von ihr, der Überaua, entschieden. Nichts gegen den Gebrauchswert der metallenen Gegenstände — darunter das erste von mir geschmiedete Küchenmesser —, doch diese plötzliche Selbständigkeit gehe zu weit.
Aller Verdacht blieb an mir hängen, weil die anderen Edeks geständig auf mich wiesen. Ich log mir Zufälle zusammen und verriet den Butt nicht. Zur Strafe wurde mir einen harten Winter lang von allen Weibern die Brust und der warme Rest verweigert. Striktes Metallverbot wurde ausgesprochen. Keine Zweckentfremdung des Feuers mehr. Die Kupferaxt, die paar Klingen und Speerspitzen mußten nach stampfendem Rundtanz um Auas drei Brüste, die ich in den Sand geritzt und mit Muscheln ausgelegt hatte, in den Fluß Radune geworfen werden: bei abschwörendem Geschrei. (Glaub mir, Ilsebill, das war nicht einfach, wieder zum Faustkeil greifen zu müssen.)
Doch als ich verzweifelt den Butt aus der See rief, überschrie er die aufgewühlte, die stürmische See: »Alles halb so schlimm. Ist dir nicht aufgefallen, mein Sohn, daß eure herrschsüchtig alles Metall verdammende Aua, dieser dreibrüstige Ausbund geschichtsloser Weiblichkeit, eure allesfressende Großmöse, die geheiligte Urmutter, daß eure Aua ihr kupfernes Küchenmesser, das du ihr zur Freude geschmiedet, gehärtet, geschärft hast, unter ihren küchengebräuchlichen Elchknochen versteckt hat? Heimlich benutzt sie es. Wie du, trotz Verbot, mein Bild heimlich in den Sand zeichnest. Ein gerissenes Luder, deine fürsorgliche Aua! Ihr müßt euch abnabeln. Und zwar mit dem Küchenmesser. Töte sie, mein Sohn. Töte sie!«
(Nein, Ilsebill. Ich habe mich nicht vergriffen. Das war nicht ich, der später zustieß. Ich bin immer auagläubig geblieben, bis heute.)
Sie hielt die Zeit auf. Sie war uns einziger Begriff. Unermüdlich erfand sie neue kultische Anlässe, das Seiende in feierlichen Umzügen zu bestätigen, wobei ihre fleischlichen Ausmaße die Form unserer jungsteinzeitlichen Religion bestimmten. Denn außer Aua opferten wir nur noch dem Himmelswolf, dem eine Frau aus unserer Urhorde — es ist die Uraua gewesen — drei Stückchen glühende Holzkohle gestohlen hatte. Es kam ja alles von ihr, nicht nur Reuse und Angelhaken.
Sei es, um uns Edeks von weiterem Mißbrauch des Feuers abzuhalten, sei es, um ihre Garküche zu entwickeln: Aua hat im Bereich unserer Horde das Brennen von Ton und Lehm zum Beruf gemacht. Es fing damit an, daß sie Sumpfvögel mit ihren Federn, aber auch Igel in ihrem Stachelkleid mit einer fetten Lehmschicht ummantelte und so geschützt in Glut und heiße Asche bettete. Mag sein, daß die später aufgebrochenen Schalen, in denen Gefieder und Stacheln haften blieben, als mögliche Töpfe begriffen wurden. Jedenfalls lehrte Aua mich, Ton und Lehm zu kneten, aus Moränengeröll einen hitzespeichernden, von der allseits gehäuften Glut freien Brennraum zu schichten, in dem, außer Schalen und Töpfen, meiner primitiven Kleinkunst keramische Härte eingebrannt wurde; so entstanden jene dreibrüstigen Idole, die heutzutage Museumsstücke sind.
Als ich dem Butt davon erzählte, muß er bemerkt haben, wie lustreich ich Auas Fleisch, ihre Wülste und Grübchen in Lehm nachbildete. Seine Frage hieß: »Wie viele Grübchen hat sie denn?«
Also lehrte der Butt mich zählen. Nicht Tage, Wochen, Monate, keine Plötze, Schnepfen, Elche und Renkühe: Auas Grübchen zählte ich bis zur Zahl hundertundelf. Ich formte ein dreibrüstiges Lehmidol mit hundertelf Grübchen, das unserer Aua, die nun gleichfalls bis hundertelf zählen lernte, wohl gefiel, zumal die anderen Weiber — es wurde Hordenspaß, nachzuzählen — weit unter hundert blieben. Die meisten Grübchen hatte Aua (wie du, Ilsebill) im Winterpolster ihrer Arschbacken: dreiunddreißig Stück.
Schon triumphierte der Butt: »Großartig, mein Sohn. Wenn es uns auch vorerst nicht gelungen ist, die längst überfällige Kupferzeit als Vorstufe zur Bronzezeit einzuläuten, die Stunde der Algebra hat geschlagen. Fortan wird gezählt werden. Und wer zählt, wird bald rechnen. Und wer rechnet, berechnet voraus. Wie im minoischen Reich, wo man neuerdings Haushaltsrechnungen in Tontäfelchen ritzt. Übt die Rechenkunst heimlich, ihr Männer, damit euch später die Frauen nichts vorrechnen. Bald könnt ihr die Zeit bestimmen und Daten setzen. Bald werdet ihr Abgezähltes gegen Gezähltes tauschen. Wenn nicht morgen, dann werdet ihr übermorgen bezahlt werden und gleichfalls zahlen, bezahlen. Anfangs mit Muschelgeld, doch dann kommt, trotz Aua, und sei es lange nach Aua, die metallene Münze. Hier ist eine. Attisches Silber, das noch in Umlauf ist. Ich fand das Kleingeld in einem Schiff, das vor der kretischen Küste nach einem Seebeben auf Grund ging. Doch was erzähle ich dir von Kreta und segelnden Schiffen. Was weißt du von König Minos? Ihr Tölpel hängt wie verhext an den Titten und laßt euch dumm halten von eurer Aua mit ihren hundertelf Grübchen.«
Es muß Jahrhunderte nach meinen ersten Rechenkunststückchen gewesen sein, als mir der Butt die Münze schenkte. Auch bin ich nicht sicher, ob es eine Drachme gewesen ist. Wahrscheinlich ein vorderasiatisches Opferstück, das keinen Geldwert hatte. Etwa auf tausend vor der Zeitwende zu datieren. Doch was besagte schon ein Jahrtausend mehr oder weniger bei unserer Minimalentwicklung zwischen den Sümpfen der Weichselmündung. Irgendwann jedenfalls brachte mir der Butt in seiner Kiementasche eine metallene Münze, wie er mir später und vorher minoische, archaische, attische und ägyptische Kleinkunst — Gemmen, Siegel, Figürchen und filigranen Schmuck — gebracht hat.
Natürlich habe ich die griechische Drachme, dumm wie ich war, Aua geschenkt. Wenn sie auch Spaß hatte an dem griffigen Silberling, wollte sie dennoch nichts von weiterführenden Abzählspielen, vom Kaufwert und von Zahlungsmitteln hören. Sie sagte, hundertundelf sei die höchste, die absolute Zahl, der endliche Wert Aua. Das könne man an ihr nachzählen und beweisen. Solange keinem der Hordenweiber mehr als hundertelf Grübchen abzutasten seien, bleibe es bei der Größe hundertundelf. Jede Rechnung darüber hinaus sei unnatürlich und deshalb gegen die praktische Vernunft gerichtet. Sie werde jegliche Spekulation unter Strafe stellen. In seinen Anfängen müsse man den Irrationalismus bekämpfen. Dann befahl sie mir, noch vor Einbruch des Winters hundertundelf Elchschädel auf hundertelf Pfähle in einen hundertelf Schritt messenden Kreis zu stellen und so den neuen Opferplatz zu bezeichnen.
Du wirst zugeben, Ilsebill, daß so viel urmütterliche Fürsorge, auch wenn sie mich warm und in Unschuld hielt, langsam zum Zwang wurde. Denn dabei blieb es. Noch ungezählte Jahrhunderte lang durften wir nur bis hundertelf zählen. Zwar begann irgendwann im letzten Jahrtausend vor der Fleischwerdung des Herrn der Bernsteinhandel mit den Phöniziern, die mit Schiffen gesegelt kamen, als habe der Butt sie an unsere entlegene Küste gelotst, aber wir schenkten den Herren faustgroße Klumpen und lernten nur mühsam das Tauschgeschäft. Beschummelt wurden wir allemal.
Der Butt schimpfte, wenn ich ihn aus der See rief. Er rechnete mir unsere Verluste vor: »Ihr immer noch steinzeitlichen Narren! Soll man euch denn auf ewig für dumm verkaufen! Mit eurem Bernstein könntet ihr für hundertundelf Horden, so groß und vaterlos wie eure, komplette Bronzeausrüstungen einhandeln. Silberschmuck und Purpurstoffe für die Weiber obendrein. Wenn ihr schon keine Münzen prägen dürft, dann begreift endlich, daß euer Bernstein in Sidon und Tyros wie Gold zählt. Bald hab ich euch satt. Nie werdet ihr richtige Männer werden. Ihr Memmen!«
Wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau Ilsebill nur immer, ohne genaue Angabe, vom Butt die Rede ist — »Dar sed de Butt to em… Dar kam de Butt answemmen un sed…« —, so spreche auch ich vom Butt, als gäbe es nur den einen allwissenden, der mich, wann immer ich zeitweilte, beraten, belehrt, indoktriniert, zum Mannestum erzogen und kategorisch unterwiesen hat, wie die Frauen fügsam bettwarm zu halten und bei heiterem Gemüt in stille Duldung einzuüben seien. Dabei gibt es den Glattbutt, den Heilbutt, den Goldbutt, den Strufbutt. Meiner war und ist ein sogenannter Steinbutt, der dem Glattbutt zwar ähnelt, doch buckeln kieselsteingroße Verknöcherungen seine Haut.
Der Steinbutt ist im Mittelmeer, in der nördlichen See bis zur norwegischen Küste und in der Ostsee, meinem Baltischen Meer, verbreitet. Wie bei allen Plattfischen ist seine Augenachse im Verhältnis zum Schiefmaul schräg verkantet, was ihm den neunmalklugen und zugleich tückischen, ich sage, zwischensichtigen Blick gibt: Er schielt zeitraffend. (Angeblich soll ihn der attische Gott Poseidon im Kampf gegen Hera, die pelasgische Athene und verwandte Mutterrechtlerinnen eingesetzt haben: als Agitator.)
Seine Familie — was alles Butt genannt wird — ist wohlschmeckend. Die jungsteinzeitliche Aua garte seinesgleichen in feuchten Blättern. Gegen Ende der Bronzezeit rieb Wigga ihn beiderseits mit weißer Asche ein und legte ihn mit der hellen Blindseite auf Asche, unter der sich Glut verzehrte. Nach dem Wenden milchte sie den Butt entweder nach steinzeitlichem Rezept aus immer überschüssiger Brust oder neumodisch mit einem Schuß vergorener Stutenmilch. Mestwina, die schon auf eisernem Rost in Töpfen feuerfest kochte, hat den Butt mit Sauerampfer oder in Honigbier auf kleiner Flamme ziehen lassen. Zum Schluß streute sie wilden Dill auf den weißäugigen Fisch.
Er, der eine und einzige, der sprechende, mich seit Jahrhunderten agitierende Butt kannte alle Rezepte, nach denen seinesgleichen heidnisch zubereitet und später als christlicher Fastenfisch (nicht nur am Freitag) getischt wurde. Wie mit Distanz zu sich, also schiefäugig ironisch, konnte er seinen Wohlgeschmack preisen: »Es ist nun mal so, mein Sohn, daß der Butt zu den Edelfischen gehört. Später, wenn ihr unmündigen und von jung an vertrottelten Männer euch endlich, indem ihr Münzen prägt, Geschichte datiert und dem Vaterrecht Geltung verschafft, von der Mutterbrust lösen, ich sage endlich, nach sechstausend Jahren Weiberfürsorge emanzipieren werdet, wird man meinesgleichen, den Stein-, auch den Glattbutt, in Weißwein dünsten, mit Kapern abschmecken, in Gelee einschließen, köstlich mit Soßen verfremden und auf sächsischem Porzellan servieren. Man wird meinesgleichen brässieren, glacieren, pochieren, nappieren, filetieren, mit Trüffel adeln, mit Cognac vergeistigen und nach Marschällen, Herzögen, dem Prince of Wales, dem Hotel Bristol benennen. Feldzüge, Eroberungen, Landnahme! Der Osten wird mit dem Westen handeln. Der Süden wird den Norden bereichern. Ich sage euch und mir Oliven, verfeinerte Kultur, den Feingeschmack, die Zitrone voraus!«
Doch das hatte Zeit, Ilsebill. (Du siehst ja, wie schwer es euch fällt, den Männern die väterliche Fürundfürsorge abzugewöhnen.) Noch lange nach Aua und ihren hundertelf Grübchen und drei Brüsten herrschten die Frauen, doch mit mehr Mühe. Wir Männer hatten schon am Metall geleckt. Und der Butt hielt uns auf dem laufenden. Ich mußte nur rufen, schon kam die schwimmende Zeitung. Ich hörte von weitentlegenen Hochkulturen, von den Sumerern und der minoischen Doppelaxt, von Mykene und der Erfindung des Schwertes, von Kriegen, in denen Männer gegen Männer kämpften, weil überall die geschichtsunlustige Weiberherrschaft gebrochen war und endlich Daten gesetzt werden durften.
Ermüdende Vorträge hielt mir der Butt: Über mesopotamische Tempelarchitektur und den ersten Palast in Knossos. Über den Getreideanbau — Emmer Gerste Spelt Hirse — in der Donauregion. Über die Herdenhaltung von Haustieren — Ziege und Schaf — in Vorderasien und über die mögliche Herdenhaltung von Rentieren im baltischen Raum. Über Grabstock und Hacke, den revolutionären Pflug.
Jeden Vortrag schloß der Butt mit beschwörenden Worten: »Es ist höchste Zeit, mein Sohn! Das Neolithikum, wie wir die Jungsteinzeit nennen, ist in seine Schlußphase getreten. Vom Zweistromland über das Nildelta bis zur Insel Kreta breitet sich, gefördert durch männliche Tatkraft, hohe Kultur aus. Da sieht man Frauen Äcker bestellen und später das gewonnene Korn in steinernen Mörsern stampfen. Da sind Hungersnöte nicht unabänderlich. Nein, Schweine und Rinder drängen, in Herden gehalten. Immer ist Vorrat. Feste Häuser werden gebaut. Aus Horde und Sippe gliedern sich Stämme. Horos-Könige herrschen. Reich grenzt an Reich. Und in Waffen stehen die Männer. Sie wissen, wofür sie kämpfen: für den ererbten Besitz. Doch ihr lottert noch immer in Unzucht und wißt nicht, was zeugen heißt. Die Mutter stöpselt sich mit dem Sohn. Die Schwester weiß nicht, daß ihr der Bruder Spaß macht. Nichtsahnend beschattet der Vater die Tochter. Alles in Unschuld! Ich weiß! Jadoch, ihr hängt an den Zitzen. Könnt nie genug bekommen. Brustkinder ewiglich. Doch draußen hat schon die Zukunft Zielfähnchen gesteckt. Die Natur will nicht mehr weiblich erduldet, sondern männlich bezwungen werden. Kanäle ziehen. Sümpfe trockenlegen. Das Land einteilen, pflügen und in Besitz nehmen. Den Sohn zeugen. Vererben. Zweitausend Jahre zu lang habt ihr Stillzeit gehabt, habt ihr die Zeit im Stillstand vertrödelt. Ich rate euch: Weg von der Brust. Ihr müßt euch entwöhnen. Mein Sohn, du mußt dich endlich entwöhnen!«
Das war einfach gesagt vom Butt, zu einfach. Wir, jedenfalls, brauchten noch ein sattes Jahrtausend, um männlich im Sinne des Butt zu werden. Doch dann wurden wir Männer, wie man nachlesen kann: Männer unter Lederkappen und Helmen mit nagelndem Blick. Männer mit schweifendem, die Horizonte abtastendem Auge. Zeugungswütige Männer, die ihre Stinkmorcheln zu Geschlechtertürmen, Torpedos, Weltraumraketen umdachten. Männer mit System, in Männerorden versammelt. Wortgewaltige Wortspalter. Sich unbekannte Entdecker. Helden, die nicht, nie und auf keinen Fall im Bett sterben wollten. Männer, die mit hartem Mund Freiheit verordneten. Durchhaltende, sich selbst überwindende, standhafte, ungebeugte, immer wieder trotzdem sagende, den Feind sich erfindende, grandios verstiegene, die Ehre um der Ehre willen suchende, prinzipielle, zur Sache kommende, sich ironisch spiegelnde, tragische, kaputte, darüber hinaus weisende Endzielmänner.