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Hinter der Mittelmeer-Idylle lauern dunkle Abgründe − Dieser Urlaubskrimi entführt Sie auf die Insel Elba, wo ein sympathisches Ermittlerduo auf private Verbrecherjagd geht. Gerade genießen Hagen Berensen und Fiorina Luccarelli wieder Elbas raue Schönheit, da scheint Fiorinas Patientin Lucia Santoro wie vom Erdboden verschluckt. Als ihre Leiche entdeckt wird, geht die Polizei von Selbstmord aus. Doch Psychologin Fiorina beschleicht ein ungutes Gefühl, und sie begibt sich auf Spurensuche. Hagen hat unterdessen Ärger mit seinem Pool und einem Handwerker, der sich nicht mehr blicken lässt. Das kann der ehemalige Kommissar nicht auf sich sitzen lassen. Bei ihren Nachforschungen stoßen die beiden auf ein kriminelles Netzwerk, das in den Schatten der Insel agiert … In seinem zweiten Fall begibt sich das sympathische Ermittlerduo aus Hagen Berensen und Fiorinal Luccarelli ein weiteres Mal auf private Verbrecherjagd und wird im frühsommerlichen Elba in ein Netzwerk dunkler Machenschaften hineingezogen. Die Bände der Reihe »Ein Fall für Berensen & Luccarelli«: Band 1: Der Commissario und die Dottoressa – Sturm über Elba Band 2: Der Commissario und die Dottoressa – Nacht über Elba
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© Piper Verlag GmbH, München 2023
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Redaktion: Annika Krummacher
Covergestaltung: Cornelia Niere
Covermotiv: Luca Da Ros/HUBER IMAGES; Shutterstock.com
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Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Che miseria! Das war doch nicht zum Aushalten!
Der Presslufthammer zwei Wände weiter dröhnte und ratterte in einer Lautstärke, dass Fiorina Luccarelli am liebsten schreiend die Flucht ergriffen hätte.
»Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe kein Wort verstanden«, sagte sie zu ihrer Klientin, als der Lärm endlich nachließ. »Könnten Sie das Letzte bitte noch mal wiederholen, Signora?«
Lucia Santoro, die der ständig wiederkehrende Krach nicht weiter zu stören schien, nickte zögernd. Ihr in die Ferne gerichteter Blick fokussierte sich wieder auf Fiorina Luccarellis Gesicht.
»Während Stefano gestern Abend auf mich eingeredet hat, hatte ich immer wieder denselben Gedanken«, sagte sie leise und knetete dabei unentwegt ihre filigranen Hände. »Was wäre, wenn ich jetzt das Handy auf den Küchentisch lege, hinaus auf den Balkon gehe und einfach hinunterspringe?«
Fiorina Luccarelli versuchte, sich ihren Schrecken über die Selbstmordfantasien ihrer Klientin nicht anmerken zu lassen.
»Und … warum haben Sie es nicht getan?«, fragte sie.
Hatte sie sich in der Einschätzung Lucia Santoros getäuscht? War sie doch suizidgefährdet?
»Weil Stefano das nicht wert wäre.« Lucia Santoro lächelte spitzbübisch. »Außerdem traue ich mich bei meiner Höhenangst ja kaum auf den Balkon.«
Schwungvoll strich sie sich eine ihrer hennaroten Korkenzieherlocken aus dem herzförmigen Gesicht. Die sprühende Energie, die Fiorina schon bei ihrer ersten Begegnung fasziniert hatte, war plötzlich wieder da. Dennoch wirkte ihre Klientin, die sie bei sich längst beim Vornamen nannte, angespannt. Irgendetwas hatte sie offenbar noch auf dem Herzen.
»Außerdem will ich nicht wieder weglaufen«, fügte Lucia hinzu. »Ich will das Problem mit Stefano endlich angehen. Ich muss endlich begreifen, warum ich mich immer wieder auf ihn einlasse, obwohl ich doch weiß, dass er mir nicht guttut.«
Fiorina atmete auf. Die Tätigkeit einer Psychotherapeutin glich oft einer Gratwanderung. Sie musste einschätzen, ob die Selbstmordabsichten eines Klienten ernst gemeint waren, und in diesem Fall darauf bestehen, dass er sich in eine Klinik einweisen ließ.
»Erzählen Sie doch mal«, sagte sie, nun wieder halbwegs beruhigt, und schlug ein Bein übers andere. »Sind Sie in Ihrem Leben schon oft weggelaufen?«
Schon wieder ging es los mit dem Getöse. Dieses Mal verdrehte auch Lucia die hellbraunen Augen. Als obendrein das gekippte Fenster, das auf die Via del Carmine hinausging, zu klirren begann, machte sie mit den Händen eine gottergebene Geste. Dann legte sie die Arme auf die Lehnen des Polstersessels und wartete, bis der Lärm wieder abebbte. Ihre Finger trommelten einen unruhigen Rhythmus auf den zerschlissenen Stoffbezug.
Fiorina saß auf einem einfachen Holzstuhl. Ein Blick zur Wanduhr sagte ihr, dass es erst zwanzig nach zwei war. Sie hatten also noch eine gute halbe Stunde bis zum Ende der Therapiesitzung. Eigentlich hätten die Handwerker erst im Laufe des Nachmittags mit ihrer Arbeit beginnen sollen. Da sie am Morgen aber wieder einmal viel zu spät gekommen waren, wollten sie die versäumte Zeit offenbar ausgerechnet jetzt, während der Siesta, nachholen. Dennoch mochte Fiorina die Stunde nicht abbrechen. Heute war das erste Mal, dass Lucia sich ein wenig öffnete.
Kurz entschlossen, sprang Fiorina auf und ging nach nebenan, um die beiden über und über mit grauem Staub bepuderten Männer zu bitten, sich in der nächsten halben Stunde mit einer weniger lärmintensiven Arbeit zu beschäftigen.
»Oft bin ich vielleicht nicht weggelaufen, aber zum Beispiel dann, als ich Stefano verlassen habe. Ich habe mich ja nicht einmal von ihm verabschiedet«, antwortete Lucia, als Fiorina wieder auf ihrem Stuhl saß. »Sechs Wochen ist das jetzt her, und jeden Tag schäme ich mich vor mir selbst, weil ich so feige war.«
In der Gasse fuhr ein Auto vorbei. Viel zu schnell. Wildes Hupen folgte, ein Mann rief eine wüste Beschimpfung, zur Bekräftigung bellte ein Hund.
»Am Abend waren wir essen.« Lucia machte eine ihrer sparsamen Bewegungen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie sich vermintem Gebiet näherte. »Stefano hatte mich eingeladen, in ein wunderschönes Ristorante außerhalb von Lucca. Ich wollte ihm sagen, dass alles zu Ende ist. Aber ich konnte es einfach nicht. Die ganze Zeit über habe ich kein Wort darüber verloren, dass ich ihn verlassen und zurück nach Elba gehen werde. Nicht einmal richtig verabschiedet habe ich mich von ihm. Einfach davongelaufen bin ich. Nach zwölf Jahren, einfach davongelaufen.«
Mit dem Ärmel ihrer flamingoroten Crêpe-de-Chine-Bluse, die wie das edle, einen Ton hellere Kostüm und die farbenprächtigen High Heels ein kleines Vermögen gekostet haben musste, wischte sie sich verstohlen über die Augen. Fiorina überlegte, in welcher ihrer noch nicht ausgepackten Kisten die Papiertaschentücher liegen mochten. Doch da zog ihre Klientin schon ein Päckchen aus ihrer Gucci-Handtasche und putzte sich geräuschvoll die Nase.
Erst am nächsten Tag auf der Fähre, erklärte Lucia weiter, habe sie ihren Ex-Liebhaber angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie endlich einen Schlussstrich gezogen habe, mit allen Konsequenzen.
Fiorina hörte nur mit halbem Ohr zu, da sie darüber nachdachte, was sie von Lucias Selbstmordgedanken halten sollte. Inzwischen wirkte diese jedoch wieder so gelöst, dass sie den Gedanken zur Seite schob.
Es war Lucias dritte Stunde in Fiorinas hoffentlich irgendwann einmal fertig renovierter Praxis für Psychotherapie mitten in der Altstadt von Portoferraio. Der Raum, in dem Fiorina und ihre Klientin sich gegenübersaßen, war ein wenig dunkel, dafür aber angenehm kühl. Später einmal sollte er als Arbeitszimmer dienen, war bislang aber nur provisorisch eingerichtet: ein Stuhl, ein alter Ohrensessel für die Klienten, jede Menge Umzugskisten. Der spätere Therapieraum hatte ein Fenster zum Hof und war wie der Rest der Erdgeschosswohnung ihres Elternhauses in der Via del Carmine immer noch eine einzige Baustelle, in der unentwegt gehämmert, gebohrt und geschimpft wurde.
»Und seither terrorisiert Stefano mich.« Unwillig hob Lucia die Rechte, spreizte die Finger mit den sorgfältig knallrot lackierten, langen Nägeln, und ihr Ton wurde aufgebracht: »Fünfmal hat er mich gestern Abend angerufen, fünfmal!«
Ihr perfekt geschminktes Gesicht verzerrte sich zu einer genervten Grimasse. Während sie die Arme vor der Brust verschränkte, klimperten die mit winzigen Juwelen besetzten Goldkettchen an den Handgelenken, und ihre Bernsteinaugen wurden groß und rund.
»Aber anstatt das Handy einfach läuten zu lassen oder auszuschalten, hebe ich jedes Mal schon beim ersten Klingeln ab«, gestand sie mit so kleinlauter Stimme, als wäre sie nicht schon über vierzig, sondern höchstens vierzehn. »Und wissen Sie, warum? Weil ich Stefano immer noch liebe. Und dabei weiß ich doch, dass es keinen Sinn hat, weil er seine Frau nie verlassen wird, seine Kinder, er …«
Erneut wurden sie unterbrochen, dieses Mal jedoch vom aufgeregten Trillern eines Handys. Hastig zog sie ihr teures Smartphone aus der Handtasche. Mit gerunzelter Stirn sagte sie: »Scusi, aber da muss ich rangehen«, sprang so hektisch auf, dass der schwere Sessel über den Terrazzo schrammte, und stolperte hinaus. Sekunden später sah Fiorina ihre Klientin, das Telefonino am Ohr, vor dem Fenster auf und ab gehen und heftig gestikulieren. Der Duft ihres herben Parfüms, das so gar nicht zu ihrer eleganten, durch und durch weiblichen Erscheinung passte, hing noch im Raum.
Fiorina nutzte die Pause, um rasch ein wenig Ordnung zu schaffen. Der am Vormittag gelieferte neue Schreibtisch aus geöltem Olivenholz quoll über vor ungeöffneter Post, unbezahlten Rechnungen, Werbung und noch nicht ausgepackten Büroutensilien. Sie riss Briefe auf, legte die Rechnungen auf einen Stapel, warf Werbung ungeöffnet in den ebenfalls nagelneuen Papierkorb aus Bambus. Um die großen Kartons, die sich hinter einem Paravent stapelten, würde sie sich später kümmern. Darin befanden sich Unmengen von Fachbüchern, Unterlagen aus ihrer Studienzeit, wissenschaftliche Zeitschriften und sonstiger Krimskrams. Nicht zu vergessen die Unterlagen für die im August anstehende Prüfung in Frankfurt. Erst, wenn sie die bestanden hatte, konnte sie die Zulassung als Psychotherapeutin in Italien beantragen.
»Heute Abend noch?«, hörte sie Lucia sagen, als sie vor dem Fenster stehen blieb. »Doch, halb neun passt mir sehr gut, ich würde ohnehin gerne etwas besprechen, weil …«
Eine froschgrüne Vespa knatterte die schmale Straße hinauf und übertönte den Rest des Satzes. Einer der Handwerker, der gerade eine Kiste voller Werkzeug aus dem Lieferwagen vor dem Haus holte, rief der Fahrerin einen launigen Gruß nach. Obwohl erst Mitte Mai war, war es draußen schon so heiß wie sonst nur im Hochsommer. Doch selbst an einem Tag wie heute drangen die Sonnenstrahlen nicht in jeden Winkel der Gasse, wo die hohen alten Häuser dicht an dicht standen.
Als Lucia wieder eintrat, wirkte ihre Miene noch verschlossener als zu Beginn der Therapiestunde. Sie setzte sich nicht mehr, sondern schulterte ihre Handtasche.
»Tut mir leid, aber ich muss los«, sagte sie knapp. »Die Stunde bezahle ich natürlich komplett.«
Fiorina überlegte, ob sie wegen des Baustellenlärms, der gerade wieder einsetzte, nur die Hälfte des vereinbarten Honorars verlangen sollte. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte, zählte ihre Klientin schon die Geldscheine auf den Tisch.
»Haben Sie morgen noch einen Termin frei? Es gibt nämlich etwas, das ich noch mit Ihnen besprechen möchte, Signora Dottoressa.«
Fiorina hatte in Frankfurt Psychologie studiert, allerdings nicht promoviert. In Italien aber genügte schon ein abgeschlossenes Studium, um mit Dottore oder Dottoressa angesprochen zu werden.
»Morgen?« Überrascht blätterte Fiorina in ihrem Terminkalender, bisher hatten sie sich nur einmal pro Woche getroffen. »Wieder in Ihrer Mittagspause?«
»Nein, bitte noch vor meinem Arbeitsbeginn.«
Bedauernd schüttelte Fiorina den Kopf. Um neun musste sie mit der Nonna zum Arzt.
»Ich weiß, das ist sehr kurzfristig.« Ihre Klientin zwinkerte nervös. »Aber es ist wirklich wichtig, ich halte das keine Minute länger …«
Sie brach ab, und für einen Moment sah Fiorina Verzweiflung in ihren Augen. Und noch etwas anderes, was sie nicht einordnen konnte, sie aber umso mehr beunruhigte. Lucia hatte offensichtlich Angst.
»Va bene«, sagte Fiorina. »Ich verschiebe den anderen Termin. Sagen wir um halb neun?«
»Dann wäre ich um zwanzig vor zehn im Büro, ein bisschen spät, aber ja, so machen wir es.« Lucia wirkte erleichtert, dann jedoch bohrte sich ihr Blick in Fiorinas. »Sie sind doch unter allen Umständen an Ihre Schweigepflicht gebunden, Dottoressa?«
Als Fiorina nickte, murmelte Lucia einen flüchtigen Abschiedsgruß und war im nächsten Moment zur Tür hinaus.
Kopfschüttelnd sah Fiorina ihr nach. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Warum erzählte sie ihr von der angeblich so dringenden Angelegenheit nicht gleich jetzt? Die Stunde war doch noch lange nicht um. Sie wurde nicht schlau aus ihrer Klientin.
Fiorinas Handy gab ein Lachen von sich, das Signal, dass eine Nachricht von Hagen eingegangen war.
»Ciao, Bellissima, geht’s dir gut?«, hatte er geschrieben. »Bleibt es bei halb acht? Wir gehen heute Abend noch aus. Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen. 113 479 880 Küsse, dein Commissario.«
Mit einem Lächeln auf den Lippen tippte Fiorina eine kurze Antwort und rätselte, welche Pläne er wohl für den Abend hatte. Schon bei seiner Frage neulich, ob sie heute Zeit habe, hatte er so geheimnisvoll getan. Gab es etwas zu feiern? Vielleicht, dass sie nun schon seit fast zwei Monaten ein Paar waren?
Aber dann hätte Hagen als korrekter Deutscher bestimmt bis zum exakten Datum in der übernächsten Woche gewartet.
Mit der Schulter prallte Lucia Santoro gegen etwas Hartes, Kantiges. Eine schmale Kommode, die krachend umkippte. Sie konnte sich nicht erinnern, ob das fast schwarze Möbel vorhin auch schon hier im Flur gestanden hatte. Doch sie verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, sondern rannte weiter, blind und taub für alles um sie herum.
Nur weg von hier. Wie hatte sie nur so naiv sein können? So vertrauensselig, so …
Hinter ihr ertönte ein Poltern und Fluchen, als ob jemand über etwas gestolpert wäre und sich jetzt wieder aufrappelte. Im vollen Lauf drückte sie die verglaste Tür auf, stürzte zur Treppe, die hinabführte in die Freiheit, in Sicherheit, und stieß wieder gegen etwas.
Groß war das Hindernis dieses Mal, größer als sie selbst, und in Plastikfolie eingeschweißt.
Hektisch versuchte sie, sich daran vorbeizuzwängen. Der Spalt zwischen dem riesigen Etwas, vielleicht einer Palette mit Fliesen, und dem Treppengeländer war jedoch zu schmal. Zur Seite schieben konnte sie das schwere Ding auch nicht.
Der Aufzug?
Ein Blick auf die Anzeige sagte ihr, dass er sich gerade im Erdgeschoss befand.
Wieder hörte sie Geräusche hinter sich. Klappernde Schritte, die sich viel zu schnell näherten.
Sie wandte sich um, hastete an der Tür vorbei, durch die ein schwacher Lichtschein fiel. Der einzige Weg, der ihr blieb, war der nach oben.
Türenschlagen, die Schritte kamen noch näher.
Lucia Santoro nahm ihre Schuhe in die Hand und lief lautlos die Treppe hinauf. Allein beim Gedanken an die Höhe dort oben wurde ihr schwindelig. Doch sie hatte keine andere Wahl.
Wieder sah sie die Pistole vor sich, in deren Lauf sie plötzlich geblickt hatte. Sie hatte den erstbesten Gegenstand gepackt, der ihr in die Finger geriet, und ohne nachzudenken zugeschlagen. Wie sie es geschafft hatte, sich in den Flur zu flüchten, wusste sie nicht mehr. Alles war so unfassbar schnell gegangen. Instinktiv hatte sie die Tür hinter sich zugeschlagen und das hohe Regal umgeworfen, das daneben stand.
Sie erreichte die steile, schmale Eisentreppe, die die letzten Meter hinauf zur Dachterrasse führte. Trotz der Gefahr, in der sie schwebte, musste sie kurz innehalten. Aber es gab nur diesen einen Weg. Hoffentlich fand sie oben ein gutes Versteck, sie war ja noch nie dort gewesen.
Entschlossen eilte sie weiter, klammerte sich mit feuchten Fingern am Geländer fest. Den Blick nach unten vermied sie, auch wenn sie im barmherzigen Halbdunkel des Treppenhauses ohnehin kaum etwas gesehen hätte. Die Übelkeit, die sich schon nach den ersten Schritten eingestellt hatte, ignorierte sie, so gut es ging.
Licht flammte auf.
Lucia Santoro erstarrte.
Unter ihr hämmerte jemand wie wild auf den Aufzugknopf, dachte vermutlich, sie wäre damit hinuntergefahren, hätte das Haus vielleicht schon verlassen.
Sie versuchte, ihren jagenden Atem zu kontrollieren, doch es gelang ihr nicht. Ihr Herz raste, ihre Hände bebten so sehr, dass sie Probleme hatte, nach dem Geländer zu greifen. Es konnten nur noch wenige Stufen bis zur Tür sein, die auf die Dachterrasse führte. Aber plötzlich konnte sie nicht mehr weiter. Sie schaffte es nicht, auch nur einen weiteren Schritt zu tun.
Nicht hinunterschauen, wiederholte sie in Gedanken immer wieder, während sie reglos und mit geschlossenen Augen auf der Treppe kauerte. Auf keinen Fall nach unten schauen …
Erst, als der Aufzug sich rumpelnd in Bewegung setzte, gelang es ihr, sich aufzurichten, mit zitternden Beinen die letzten Stufen hinaufzusteigen, und sie erreichte die rettende Stahltür. Hoffentlich quietschte sie nicht.
Das Scheppern und Rumoren des altersschwachen Aufzugs kam näher. Er fuhr nicht abwärts, sondern aufwärts!
Im Nu war Lucia Santoro draußen, drückte leise die Tür hinter sich zu, sah sich panisch um. Dunkel war es hier oben. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war die Nacht über Elba hereingebrochen.
Schemenhaft zeichneten sich die Umrisse von Liegestühlen ab, weiße Tische, billige Stühle, Pflanzenkübel, Kisten zum Verstauen von was auch immer. Im Westen war der Himmel immer noch in ein gespenstisches, bedrohliches Purpur getaucht.
Hinter einer Ansammlung von klobigen Sitzmöbeln, die in der Mitte der riesigen Terrasse unter mehreren Palmen und fern des tödlichen Abgrunds standen, duckte sie sich. Hier war sie von der Tür her nicht zu sehen. Obwohl der Aufzug angehalten hatte, hatte sie auf den letzten Stufen der Eisentreppe keine Schritte hinter sich gehört, hatte es tatsächlich hier herauf geschafft …
Doch dann holte die Wirklichkeit sie ein. Auch wenn sie jetzt in trügerischer Sicherheit war – wo sollte sie hin, wenn die akute Gefahr vorüber war?
Erneut überflutete sie die Panik, schnürte ihr die Kehle zu. Hin und wieder wagte sie einen Blick auf die Stahltür, die nach wie vor geschlossen war, kauerte sich wieder hinter die Möbel. Sie war zu blauäugig gewesen, so furchtbar naiv. Wie hatte sie nur glauben können, dass sie die Regeln in diesem verfluchten Spiel bestimmte?
Lucia Santoro sprach ein stummes Gebet, horchte verzweifelt in das dunkler werdende Zwielicht. Doch sie hörte nur das Knattern der Motorinos und das Hupen der Autos von der Straße tief unter ihr. Gedämpfte Stimmen, Gelächter von Menschen, die einen unbeschwerten Abend genossen. Und das Hämmern ihres Herzens, das so fest gegen den Brustkorb schlug, als wollte es herausspringen und davonflattern, hinauf in den Himmel.
Da hörte sie das Knacken des Türschlosses. Schritte kamen zögernd näher, leiser als zuvor.
»Jetzt sag schon«, drängte Fiorina, als sie abends um kurz vor neun im Bell’Vista saßen, einem kleinen Ristorante in Pomonte, einem Örtchen ganz im Westen Elbas. »Was ist los? Gibt es was zu feiern?«
Sie sprach Deutsch, da Hagen Berensen sich mit dem Italienischen immer noch schwertat, während sie seine Sprache nach den vielen Jahren in Frankfurt fast perfekt beherrschte.
Mit versonnenem Lächeln schwieg er.
»Willst du etwa um meine Hand anhalten?«, fuhr sie fort. »Mamma würde jubeln.«
Fiorina selbst wohl eher weniger, schloss der ehemalige Münchner Kripokommissar aus ihrem skeptischen Blick.
Sie hatten sich an ihrem üblichen Treffpunkt verabredet, der Bushaltestelle beim Fährhafen in Portoferraio. Gemeinsam waren sie hierhergefahren, ohne dass er verraten hätte, was der Anlass ihres Ausflugs war, und auch während ihres Spaziergangs am Meer hatte er zum Anlass seiner Einladung hartnäckig geschwiegen.
Fiorina trug das weit schwingende, tief dekolletierte Cocktailkleid in kräftigem Apricot, das er so gerne an ihr sah. Dazu hatte sie die schwarzen Stilettos an, in die sie nur bei besonderen Anlässen schlüpfte. Als einzigen Schmuck trug sie ein goldenes Halskettchen mit einem kleinen Kreuz.
Schmunzelnd legte er seine warme Hand auf ihre kalte. »Ich habe einfach nur Geburtstag, Bellissima, und den wollte ich mit dir feiern. Kein Grund für Panikattacken.«
»Und wieso weiß ich das nicht?«, fragte sie empört.
»Jetzt weißt du es ja. Und ich habe es dir nicht gesagt, damit du dir nicht den Kopf darüber zerbrichst, was du mir schenken sollst.«
Das kleine, schlicht eingerichtete Ristorante lag direkt am Meer und beschäftigte einen zwar unsympathischen, aber äußerst talentierten Koch. Im Wasser, das sie auf drei Seiten umgab, spiegelten sich die Sterne und der Mond in einer Pracht, als wollten sie Hagens Geburtstag feierlich illuminieren. Aus kleinen Boxen schmachtete Eros Ramazotti von der »più bella cosa«, der schönsten Sache der Welt.
Die Bedienung kam, Salvina Solario, die sie schon von früher kannten. Die seit Neuestem silberblonde Süditalienerin begrüßte die Gäste jedoch, als würde sie diese zum ersten Mal sehen, und mit so mürrischer Miene, als legte sie keinen Wert auf ein Trinkgeld.
Hagen bestellte Wasser und eine Karaffe vom Vino bianco della casa sowie zur Feier des Tages zwei Gläser Prosecco. Fiorina orderte – wie üblich, ohne ihn zu fragen, da er ohnehin immer mit ihrer Wahl einverstanden war – Antipasti di mare für zwei, eine elbanische Fischsuppe, die sich Sburrita nannte, als Primo Spaghetti alle vongole und als Secondo überbackenen Wolfsbarsch mit Salbei.
»Das Dolce wählen wir dann später.« Sie klappte die in zerschlissenes Kunstleder gebundene Speisekarte mit leisem Knall zu und hielt sie Salvina Solario hin wie ein Messer, das sie ihr in der nächsten Sekunde in den Bauch rammen würde.
Sie hatte, wie Hagen wusste, die Kellnerin schon bei ihrem ersten Besuch nicht leiden können, da diese ihn ohne jede Hemmung angebaggert hatte. Damals waren sie hier gewesen, um ihr Informationen zu entlocken, weshalb Fiorina nett zu ihr sein musste. Heute hingegen war Fiorina Gast, und auch in Italien war der Gast immer König.
Seufzend legte sie ihre noch immer kühle Hand auf Hagens warme.
»Buon compleanno, amore«, sagte sie und küsste ihn zärtlich. »Aber ich muss dir doch was schenken. Wie stehe ich denn jetzt da?«
»Fiorina, bitte, ich hab doch alles, was ich brauche. Aber wenn du mir unbedingt was schenken willst …« Er setzte eine geheimnisvolle Miene auf und beugte sich über den Tisch. »Es ist nichts, was man für Geld kaufen kann.«
»Im Basteln war ich schon in der Schule eine Null. Malen kann ich nicht, und singen erst recht nicht.«
»So eine Nacht wie vor drei Wochen.«
»Im Hotel? Als wir …« Sie verstummte, errötete sogar ein wenig. »Sehr gerne, aber diese Woche habe ich immer wieder Termine, bei denen ich fit sein muss. Was ich nach unserer Nacht im Val di Cornia definitiv nicht war.«
»Dann am Wochenende?«
»Wochenende ist gut. Dasselbe Hotel wie beim letzten Mal? Ich kümmere mich um alles.«
Salvina Solario brachte die Getränke mit noch grimmigerer Miene als vorhin. Heute würde sie definitiv kein Trinkgeld bekommen.
Schon zwanzig nach neun. Wo blieb sie denn nur?
Zum vermutlich zehnten Mal spähte Fiorina Luccarelli am Dienstagmorgen die Via del Carmine hinauf und hinab, entdeckte jedoch bis auf den alten Nunzio, ihren Nachbarn von gegenüber, der gerade zu seinem Morgenspaziergang aufbrach, niemanden. Lucias Handy war nicht erreichbar.
Kopfschüttelnd schloss Fiorina das Fenster wieder. Noch war es ruhig im Haus, die Handwerker waren noch nicht aufgetaucht.
Bislang war Lucia immer pünktlich gewesen. Der Termin heute Morgen war ihr so wichtig gewesen. Hatte sie ihn etwa vergessen? Oder war sie doch lieber gleich ins Büro gegangen? Schließlich arbeitete sie erst seit Kurzem im Kulturamt, und Fiorina konnte verstehen, dass sie ungern zu spät kam. Doch warum rief sie dann nicht wenigstens an?
Fiorina ärgerte sich, dass sie den Arzttermin der Nonna wegen ihrer Klientin verschoben hatte. Seufzend beschloss sie, den Leerlauf zu nutzen und in den anderen Räumen nachzusehen, wie weit die Renovierungsarbeiten schon gediehen waren.
Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg durch den Korridor, der mit Werkzeugkisten und Paletten mit Terrazzofliesen vollgestellt war. Aufgerollte Stromkabel lagen am Boden, Wasserrohre, Kartons voller Lichtschalter und Steckdosen. Die zukünftigen Praxisräume schienen immer noch chaotischer zu werden statt schöner. Der Boden war aufgerissen, und trotz der weit geöffneten Fenster hing überall Staub in der Luft.
Sie betrat die Küche, in der es immerhin schon einen Wasseranschluss, einen zweiflammigen Gaskocher, eine Macchinetta für den Kaffee zwischendurch und ein wenig Geschirr gab, und goss sich ein Glas Wasser ein. Selbst, wenn Lucia demnächst auftauchen sollte, hatte es wenig Sinn, die Stunde noch zu beginnen. Spätestens um zehn würden die Handwerker anrücken, um das Desaster weiter zu vergrößern.
Fiorina trug das Glas ins Arbeitszimmer, das sich zwischen Küche und Bad befand. Der Raum, in dem sie zukünftig ihre Klienten empfangen würde, lag auf der hinteren, wesentlich ruhigeren Seite der Wohnung, mit Blick auf den Innenhof. Daneben gab es noch eine Kammer, die sie als Stauraum für Putzmittel und dergleichen nutzen wollte, und ein weiteres, ebenfalls geräumiges Zimmer. Was sie damit anfangen würde, wusste sie bislang noch nicht.
Sie schickte Lucia eine Nachricht, in der sie ihr anbot, den verpassten Termin heute um achtzehn Uhr nachzuholen. Dann machte sie sich daran, endlich die Kartons hinter dem Paravent auszuräumen und ihren Inhalt in den farblich zum Schreibtisch passenden Holzregalen zu verstauen. Zwischendurch bewunderte sie die blassblauen Vorhänge, die ihre Mutter genäht und gestern Abend aufgehängt hatte, als sie selbst mit Hagen unterwegs gewesen war. Sie harmonierten mit den kobaltblauen Farbtönen der Tiffanylampe, die Mamma auf die antike Vitrine aus Nussbaumholz gestellt hatte, ein Erbstück aus der Familie von Fiorinas verschollenem Vater. Allmählich wurde es doch ein wenig wohnlicher hier. Später musste sie sich unbedingt bei Mamma bedanken.
Fiorina hatte erst wenige Klienten, mit denen sie auch keine offiziellen Therapiestunden abrechnete, sondern eher eine Art Coaching machte. Schließlich hatte sie bisher weder ihre Prüfung in Deutschland abgelegt noch all die Formalitäten in Italien erledigt, die für die offizielle Eröffnung ihrer Praxis nötig waren.
Lucia war bei ihr in Behandlung, um endlich ihre Flugangst loszuwerden. Anfangs war sie zurückhaltend gewesen, und es hatte eine Weile gedauert, bis Fiorina begriffen hatte, dass sie auch bei einem anderen Problem Hilfe brauchte. Sie liebte einen verheirateten Mann, und obwohl sie ihn kürzlich verlassen hatte, kam sie nicht von ihm los.
Gestern hatte Lucia kein Wort über den Grund ihres überstürzten Aufbruchs verloren, und Fiorina hatte natürlich nicht nachgefragt. Nun aber rätselte sie, ob der Anrufer vielleicht Stefano Turrone gewesen war, Lucias Ex-Liebhaber, der von dieser unseligen Amour fou offenbar genauso wenig lassen konnte wie sie selbst. Hatte sie sich später wider besseres Wissen mit ihm getroffen und nach einer stürmischen Liebesnacht einfach nicht mehr an den vereinbarten Termin gedacht? Das würde immerhin erklären, warum sie nicht ans Handy ging.
Vor Kurzem hatte er schon einmal vor Lucias Tür gestanden, ohne Vorwarnung, wie sie gestern beschämt erzählt hatte. Und anstatt ihn wegzuschicken, hatte sie ihn mit offenen Armen empfangen, und das ganze Elend hatte wieder von Neuem begonnen.
Die erste Kiste war leer. Fiorina faltete sie, stellte sie an die Wand und öffnete die nächste. Beim Anblick der kuscheligen Decke mit Paisleymuster und der bunten Samtkissen aus ihrer Zeit in Frankfurt hatte sie plötzlich eine Idee. Sie würde in dem Extraraum für Hagen ein Gästezimmer einrichten.
In der Wohnung der Luccarellis im ersten Stock gab es kein freies Zimmer, wo er übernachten konnte, und dass er in ihrem Bett schlief, war völlig undenkbar. Im katholischen Italien war es vielerorts noch heute ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Freund oder Verlobte einer unverheirateten Frau nicht im selben Zimmer schlief wie sie, solange sie im Haushalt der Eltern lebte. Gestern Abend hatten sie wieder einmal viel Zeit damit verbracht, bei zunehmend frischem Wind ein lauschiges Plätzchen am Strand von Pomonte zu finden, das nicht schon von einem anderen Liebespaar belegt war.
Mit dem Gästezimmer hier unten wäre dieses Problem gelöst. Hagen könnte sie jederzeit besuchen, ohne dass jemand aus ihrer Familie etwas davon bemerkte. Er würde ein Bad mit Dusche zur Verfügung haben, sie könnten sich morgens einen Caffè machen und zusammen frühstücken. Die Frage war nur: Wie sollte sie ihre Mutter für diesen Plan begeistern, die den Braten natürlich sofort riechen würde?
Fiorina klappte den Deckel der Kiste wieder zu und machte sich an die nächste, die randvoll mit Studienunterlagen und Fachbüchern war und die sie seit ihrer Heimkehr aus Deutschland nicht wieder in der Hand gehabt hatte. Eigentlich war es eine Flucht gewesen. Der Job in der Frankfurter Uniklinik, wo sie nach dem Studium mit traumatisierten Frauen arbeitete, hatte sich zwar genau so entwickelt, wie sie es sich erträumt hatte. Da die Stelle jedoch zeitlich befristet gewesen war, hatte sie anschließend zur Deutschen Bank gewechselt. Trotz des Traumgehalts widerte sie die Arbeit dort mit jedem Tag mehr an, und Moritz, ihr deutscher Ex-Verlobter, der ihr den Job vermittelt hatte, belog sie nicht nur nach Strich und Faden, wie sie bald feststellen musste, sondern begann hinter ihrem Rücken auch noch eine Affäre mit einer Kollegin. Die Fachbücher und Vorlesungsmitschriften erinnerten Fiorina wieder an die drohende Prüfung. Schon seit Monaten bereitete sie sich darauf vor, doch es gab noch genug zu tun. Wenn sie den Handwerkerlärm, der bald beginnen würde, nicht mehr ertrug, würde sie ihre Unterlagen mitnehmen und sich in Gabrieles Bar ihr übliches Frühstück gönnen. Später könnte sie in der Altstadt einige Dinge für die Praxis besorgen und am Nachmittag weiterlernen.
Als sie das erste Skript aufschlug, Goethe-Universität Frankfurt – Entwicklungspsychologie 1, schrak sie zusammen. Ein ohrenbetäubendes, rhythmisches Getöse brachte das Haus zum Erzittern.
Nun explodierte ihr südländisches Temperament. Wutentbrannt knallte sie den Ordner zu, rannte hinaus auf den Korridor, die Treppe hinauf.
»Rompiscatole!«, schrie sie auf halber Höhe zum Dachgeschoss. »Federico, hör auf mit dem Krach, sofort!«
Aber natürlich hörte er sie nicht.
»Isse Fusch«, verkündete der stämmig gebaute Kerl, der sich Hagen Berensen als Enzo Bibbiani vorgestellt hatte.
Deutsch hatte Enzo in Bremen gelernt, wo er einige Jahre auf Baustellen geschuftet hatte. Laut Fiorinas Tante Renata war er ein handwerkliches Universalgenie und konnte angeblich einfach alles, was mit Beton, Backsteinen, Fliesen, Tapeten oder Dachziegeln zu tun hatte. Unvorsichtigerweise hatte Hagen ihm verraten, dass er schon selbst diverse Versuche unternommen hatte, den Pool abzudichten. Unter anderem dadurch, dass er die Ritzen mit Unmengen von Silikon füllte.
»Isse Fusch«, wiederholte Enzo sein kategorisches Urteil. »Da musse reintun richtigen Beton. Silikon raus und Beton rein.«
Ungeniert griff er sich zwischen die Beine, um sein Gemächt zurechtzurücken oder vielleicht auch nur zu überprüfen, ob noch alles an seinem Platz war. Eine heftige Duftwolke stieg Hagen in die Nase. Enzo schien ein waffenscheinpflichtiges Aftershave zu benutzen.
Erst jetzt begriff Hagen, dass er »Pfusch« meinte, wenn er »Fusch« sagte. Der breiteste und längste Riss befand sich in der Wand des Pools, die dem Meer zugewandt war. Seit Hagens letztem Reparaturversuch schien er sogar noch breiter und länger geworden zu sein. Wie alles an seinem luxuriösen und erst im vergangenen Spätsommer gekauften Heim entsprach auch der Pool definitiv nicht deutschen Baunormen. Seine moderne Beton-und-Glas-Villa lag auf einem dem steilen Hang abgetrotzten Grundstück einige Kilometer nördlich von Porto Azzurro, und in Italien schien es nicht üblich zu sein, vor Beginn der Baggerarbeiten eine Baugrunduntersuchung durchzuführen. Vielleicht hatte der Bauherr diese auch nicht für nötig befunden, da er ohnehin plante, das Anwesen nach seiner Fertigstellung einem dummen Ausländer wie ihm anzudrehen.
Sogar im Haus selbst, das in den felsigen Hang hineingebaut war, bildeten sich immer wieder Risse, und bei jedem größeren Regen drang an allen möglichen und unmöglichen Stellen Wasser ein. Zur Trockenlegung seines regelmäßig überschwemmten Fitnessraums hatte Hagen im Frühjahr in seiner Verzweiflung schließlich eine Lenzpumpe installiert, die die trübe Brühe ins Freie beförderte, bevor sie den Wohnraum und seine weitläufige Sitzlandschaft durchnässen konnte. Sein Bett im Obergeschoss musste er regelmäßig mit einer Plane abdecken, wenn der Wetterbericht Regen ankündigte. Die Nächte verbrachte er in diesen Zeiten auf seiner Wohnlandschaft im Erdgeschoss. Ob Enzo, das Inselgenie, wohl auch imstande war, ein Flachdach abzudichten? Aber eines nach dem anderen.
»Was würde es kosten, wenn du das Silikon rausreißt und alles richtig professionell machst?«, eröffnete Hagen die Preisverhandlungen.
Das Übermalen der geflickten Stellen würde er selbst erledigen. Die notwendige Schwimmbadfarbe hatte er schon seit Längerem im Abstellraum stehen. Nicht, dass er es sich nicht hätte leisten können, Enzo auch den Anstrich machen zu lassen. Aber er wollte das Gefühl genießen, an der Instandsetzung des Pools wenigstens ein klein wenig mitgewirkt zu haben.
Enzo zog die Stirn kraus, steckte sich eine weitere seiner grausam stinkenden, filterlosen Zigaretten an und sagte schließlich mit Leidensmiene: »Tausend. Isse Minimum.«
»Achthundert«, hielt Hagen aus Prinzip dagegen, denn Fiorina hatte ihm erklärt, viele Italiener seien beleidigt, wenn man nicht zu handeln versuchte.
»Neunhundertfünfzig«, sagte Enzo, vermutlich ebenfalls aus Prinzip. »Material zahle du.«
Sie einigten sich auf neunhundert, was Hagen mehr als preiswert fand.
»Kein Problem«, sagte er frohgemut beim obligatorischen Handschlag. »Du schreibst mir auf, was ich besorgen soll, und ich schaffe das Zeug her.«
Mit dieser Vorgehensweise zeigte sich Enzo im Großen und Ganzen einverstanden.
»Und wenn es mit dem Pool klappt, kann ich dir ein paar Stellen im Haus zeigen, wo auch Wasser reinkommt. Das Dach zum Beispiel ist die reine Katastrophe.«
»Flachdach isse immer Fusch«, meinte Enzo zu diesem Punkt.
Mit seinen hundertzweiundneunzig Zentimetern überragte Hagen den Italiener um zwei Köpfe. Enzo hatte eine kastenförmige Statur, beeindruckend breite Schultern und schien nur aus Knochen, Muskeln und Sehnen zu bestehen. Sein Alter war schwer zu schätzen, vielleicht etwas über fünfzig, das Gesicht gefurcht wie ein von einem Betrunkenen gepflügter Kartoffelacker. Am Grund der Falten schien sich über die Jahrzehnte Zementstaub festgesetzt zu haben, der jeder Wäsche widerstand, und auch bei den borstigen Haaren war sich Hagen nicht sicher, ob sie von Natur grau waren oder einfach nur staubig.
»Mache auch Job für andere deutsche Signore«, verkündete Enzo mit bedeutender Miene. »Isse große Projekt, darum nicht gleich kanne machen deine Pool.«
»Wann würde es denn gehen?«
Wieder rechnete Enzo mit höchster Konzentration und furchterregend gerunzelter Stirn.
»Juli«, sagte er schließlich.
»In zwei Monaten erst?«, fragte Hagen entsetzt.
»Früher geht nix.«
»Und wenn ich … ein bisschen was drauflege?« Er machte die international gebräuchliche Geste des Geldzählens mit Daumen und Zeigefinger.
»Wie viel?«, fragte Enzo mit schmalen Augen und betontem Desinteresse.
»Sagen wir hundert mehr?«
Wieder musste ein Weilchen gerechnet und kalkuliert und abgewogen werden.
»Dann Mitte Juni. Musse andere Signore eben bissele warten.«
»Und wie wäre es bei zwölfhundert?«
»Anfang Juni.«
Am Ende einigten sie sich auf siebzehnhundert Euro und Beginn der Baumaßnahmen am kommenden Montag.
»Was baut der andere Signore denn?«, fragte Hagen mehr aus Höflichkeit denn aus Interesse.
»Isse sehr reiche Mann. Hat tolle Villa mit Meerblick bei Cavo. Supergroße Villa mit seeehr viele Zimmer.«
Enzo machte keinen Hehl daraus, dass er Hagens Haus, das man ebenfalls durchaus als Villa bezeichnen konnte, mit Traumblick aufs Meer und eigenem Strand, für keine architektonische Meisterleistung hielt. Und Hagen konnte es ihm nicht einmal verübeln. Wie oft hatte er dem Deppen, der diesen verschachtelten Flachdachmurks geplant hatte, schon die Pest an den Hals und einen langsamen, schmerzhaften Tod gewünscht.
Cavo, wo die angeblich so sagenhafte Villa von Enzos anderem deutschen Arbeitgeber stand, lag gut zehn Kilometer nördlich von Hagens undichtem Pool und ebenfalls an der Ostküste.
»Flachdach isse immer Fusch«, wiederholte Enzo noch einmal sein Mantra. »Pisse immer rein irgendwo. Immer.«
»Aber du kannst da doch bestimmt auch was machen«, gab sich Hagen überzeugt.
Enzo hob die kantigen Schultern und meinte philosophisch: »Musse sehen. Isse molto complicato.«
Zum Abschluss der Verhandlungen bot Hagen dem Handwerker einen Caffè an, den dieser mit so trostloser Miene akzeptierte, als kostete es ihn enorme Überwindung, einen Espresso zu sich zu nehmen, den ein Tedesco zubereitet hatte.
Da Enzo es plötzlich eilig hatte wegzukommen, leerten sie die schwarzen Tässchen im Stehen unter dem weißbiergelben Sonnenschirm.
Gleich morgen früh, versprach Enzo, werde er die Einkaufsliste vorbeibringen, mit der Hagen zum Baumarkt in Portoferraio fahren sollte. Die Hälfte seines Espresso ließ er in der Tasse und verabschiedete sich mit einem Gesichtsausdruck, als hätte dieser noch ekliger geschmeckt, als er es sich in seinen schlimmsten Albträumen hätte ausmalen können.
Sekunden später hörte Hagen das sonore Knattern von Enzos kleinem Motorrad, das sich zügig entfernte.
»Ambrogio spielt wie ein Gott«, beteuerte Federico nun schon zum dritten Mal, seit sie von zu Hause aufgebrochen waren, und seine kastanienbraunen Augen leuchteten vor Begeisterung. »Einen so genialen Schlagzeuger hast du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen, wetten?«
»Schlagzeug? Madonna, dann wird es ja noch lauter.« Fiorina seufzte aus tiefstem Herzen. »Du versprichst mir aber, dass ihr mit eurem Krach nur dann …«
»Von wegen Krach«, unterbrach er sie empört. »Bestimmt haben deine Patienten noch nie so geile Musik gehört.«
»Im Ernst, Federico, wie soll ich bei dem ewigen Radau arbeiten? Dass die Handwerker ständig einen Heidenlärm veranstalten, ist schon schlimm genug.«
»So schlimm kann das doch nicht sein, Patatina. Wir sind oben unter dem Dach, du bist unten im Erdgeschoss.«
Wie so oft benutzte ihr um acht Jahre jüngerer Bruder Fiorinas Kosenamen aus ihrer Kindheit – Kartöffelchen – meist dann, wenn er für gute Stimmung sorgen wollte. Als sie vorhin wie ein Derwisch in seine Wohnung gestürmt war, hatte er sich natürlich nicht mehr an ihre Vereinbarung erinnert, die besagte, dass er seine E-Gitarre nur in den Stunden ohne Kopfhörer malträtieren durfte, wenn seine große Schwester keine Kliententermine hatte.
Sie durchquerten die Porta a Mare und bogen in die Calata Giacomo Matteotti, die am alten Hafen entlangführte. Segelboote und blütenweiße Jachten lagen vor Anker, eines der selten gewordenen bunten Fischerboote tuckerte in der strahlenden Vormittagssonne aufs offene Meer hinaus. In der Nacht hatte es geregnet, aber längst war jeder Fleck, den die Sonne erreichte, wieder getrocknet.
»Hör zu, Federico«, sagte Fiorina mit erhobener Stimme, weil gerade ein Motorroller mit defektem Auspuff an ihnen vorbeiröhrte. »Du musst dich wirklich an die vereinbarten Zeiten halten, sonst …«
»Die Kunst kennt nun mal keine Termine«, verkündigte Federico großspurig und warf sein Haar zurück, das so dunkel war wie das ihre, aber nicht glatt und kurz, sondern ihm in verspielten Locken über die Schultern fiel. »Ein Künstler arbeitet dann, wenn ihn die Muse küsst.« Während er sprach, musterte er nervös die Menschen, die vor den Bars und Cafés saßen. »Hoffentlich ist Ambrogio nicht schon wieder weg.«
Fiorina bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Wenn du vorhin nicht so lange gebraucht hättest, um dich zu stylen, wären wir jetzt nicht zu spät dran.«
Mit seinem rosafarbenen Hemd, den hellgrauen, eng anliegenden Stretchjeans und den nagelneuen Sneakers in schrillbunten Farben sah Federico wieder einmal aus wie aus dem Ei gepellt. In dieser Hinsicht war er Italiener durch und durch. Sie selbst fühlte sich zwar auch im gemütlichen Freizeitlook wohl, den sie während ihrer Jahre in Frankfurt schätzen gelernt hatte. Seit der inoffiziellen Eröffnung ihrer Praxis legte sie jedoch – zur großen Freude ihrer Mutter – wieder mehr Wert auf ihr Äußeres. Am Morgen hatte sie sich für ein luftiges Baumwollkleid in frischen Gelbtönen und farblich passende Sandaletten entschieden.
Sie begleitete Federico nur deshalb zu seiner Verabredung, weil die Handwerker heute früher als sonst angerückt waren und sie keine Termine mehr in der Praxis hatte. Erst vor einigen Wochen war er ins Dachgeschoss des vierstöckigen Hauses gezogen, hatte sich dort ein Atelier für seine Malerei eingerichtet, das seit Neuestem nun auch als Probenraum für seine noch zu gründende Band diente. Vorhin hatte er darauf bestanden, Fiorina seine neueste Komposition vorzuspielen, ein von sphärischen Harmonien untermaltes Gejaule und Gekreische, das in den Ohren schmerzte und ihrer Meinung nach nichts mit Musik zu tun hatte.
»Sei bloß nett zu Ambrogio, sonst werde ich nie reich und berühmt«, ermahnte Federico sie mit Schmollmund. »Er ist nicht nur megagut im Geschäft, er kennt auch Gott und die Welt. Wir brauchen nämlich auch noch einen Bassgitarristen, vielleicht auch noch eine Frau für die Vocals, ich …«
»Und so ein heiß begehrter Star tut sich ausgerechnet mit dir zusammen?«, unterbrach Fiorina ihn genervt und wich zwei asiatisch aussehenden Touristinnen aus, die fröhlich schnatternd aus einer Boutique traten.
Seit Tagen sprach ihr Bruder von nichts anderem mehr als von seiner musikalischen Karriere und diesem angeblichen Weltklassemusiker. Gemeinsam mit ihm, war er überzeugt, würde sein neuestes Projekt – die Gründung von Elbas erster Rockband – todsicher ein Erfolg werden.
»Bist du bescheuert?« Federico schnaubte beleidigt. »Ich bin nicht nur Gitarrist, sondern auch noch Leadsänger, Songwriter und Manager. Nach so jemandem schleckt sich jeder die …«
»Wie sieht er denn aus, dein supergenialer Schlagzeuger?«, fiel sie ihm erneut ins Wort, während auch sie die Menschen an den vielen Tischen musterte.
Wie immer am Vormittag war einiges los. An der von Palmen und blühenden Oleandern gesäumten Einkaufsstraße lagen ebenso viele Bars wie Geschäfte. Die Duftwolken der vorbeischlendernden Frauen und Männer mischten sich mit dem Geruch von Schmieröl und Dieselabgasen, der von den Kais herüberwehte.
»Groß und megamuskulös, geiler Iro und am Oberarm das absolute Wahnsinns-Tattoo. Eigentlich ist er voll mein Typ, aber ich schwöre hoch und heilig, dass ich ihm nicht an die Wäsche gehe. Seit Andrea mich hat sitzen lassen, hab ich die Nase voll von den Männern.« Federicos leidende Miene hellte sich auf. »Vielleicht lasse ich mir auch so ein Tattoo stechen, was hältst du davon?«
»Willst du, dass Mamma vor Schreck tot umfällt?«
»Natürlich an einer Stelle, an der man es nur bei gewissen Gelegenheiten sieht.« Er kicherte, stieß dann unvermittelt einen spitzen Schrei aus und fuchtelte wie wild mit beiden Armen. »Da vorne, das ist er!«
Ambrogio saß an einem kleinen runden Tisch unter der dunkelgrünen Markise der nächsten Bar. Schon jetzt zeigte das Thermometer wieder über fünfundzwanzig Grad, und jeder vernünftige Mensch suchte den Schatten.
Federicos Partner in spe sah noch gruseliger aus, als Fiorina es sich ausgemalt hatte. Ein muskelbepackter Riese, um dessen grell orangefarbenen Irokesenschnitt ihn jeder Punk beneidet hätte. Ein schwarzes Muskelshirt umspannte seine breite Brust, im Gesicht trug er mehr Metall, als in der Eisenwarenhandlung an der Piazza Cavour zu finden gewesen wäre, und das aufgerissene Maul seines auf Schulter und Bizeps tätowierten Löwen wirkte so lebensecht, dass sie bei der Begrüßung unwillkürlich auf Abstand blieb. Ambrogio schien es jedoch nicht zu bemerken, sondern küsste ihr mit einer formvollendeten Verbeugung die Hand und machte ihr ein Kompliment zu ihrem Kleid. Auch wenn er aussah wie der Boss einer weithin gefürchteten Hells-Angels-Gang, Charme hatte er, das musste sie ihm lassen.
Die Bestellungen nahm Tiziana auf, eine Bekannte, mit der sie erst kürzlich gesprochen hatte, weil Hagen immer noch keine neue Zugehfrau gefunden hatte. Aber auch Tiziana hatte kein Interesse an dem Job. Der Sommer begann und damit die Zeit der vollen Lokale und üppigen Trinkgelder.
Federico wollte einen doppelten Espresso, Fiorina ihr übliches Frühstück, einen Cappuccino und ein Cornetto alla crema. Ambrogio hatte schon einen Pfefferminztee vor sich stehen, der in italienischen Bars nur selten zu bekommen war, und erzählte mit großem Gehabe und dröhnender Stimme vom letzten Firenze-Rocks-Festival und einem geplanten Gig in Arezzo. Federico hing an seinen Lippen, während Fiorina das Treiben am Hafen und die eleganten Flugmanöver der Möwen verfolgte.
Auf der Promenade flanierten Touristinnen, die immer wieder vor den mit Mode, Kunsthandwerk oder Kitsch dekorierten Auslagen der vielen kleinen Läden stehen blieben. Einheimische erledigten ihre Einkäufe oder trafen sich auf einen Kaffee in einer Bar, um Kochrezepte oder den neuesten Klatsch auszutauschen, und waren wie stets schick zurechtgemacht. Mit Taschen, Körben, Sonnenschirmen und Badematten bewaffnete Paare und Familien pilgerten zu einem von Portoferraios Hausstränden. Schon jetzt, Mitte Mai, gab die Hitze das Tempo vor. Selbst die Möwen drehten nur träge kreischend ihre Runden, schlapp klatschte das Wasser gegen die Kais.
Während ihr Bruder und Ambrogio über Hi-Hat-Muster, besonders coole Gitarrenriffs und den perfekten Groove debattierten, inspizierte Fiorina wieder einmal ihr Handy. Lucia hatte sich noch immer nicht gemeldet.
»Du musst mich einfach dazwischenschieben«, rief Dodo eine halbe Stunde später mit solcher Lautstärke ins Handy, dass Fiorina es mit ausgestrecktem Arm von sich hielt und immer noch jedes Wort verstand. »Es ist wahnsinnig dringend! Sagen wir achtzehn Uhr?«
»Da habe ich schon eine andere Klientin«, erwiderte Fiorina bedauernd. »Das heißt, höchstwahrscheinlich, zugesagt hat sie noch nicht. Aber du könntest gleich danach in die Praxis kommen. Um sieben.«
»Das geht nicht, Giulio kommt heute früher aus der Bäckerei, und wenn er merkt, dass ich mit dir über seine Schlampe rede …« Fiorina hörte ein Geräusch, als hätte Dodo vor Wut gegen eine Schranktür geschlagen. »Der bringt mich um, du kennst ihn doch!«
Fiorina hielt es zwar für wahrscheinlicher, dass ihre alte Schulfreundin ihrem notorisch untreuen Gatten etwas antat als umgekehrt, doch es gäbe in jedem Fall ein Ehedrama, das sich gewaschen hatte, und alle im Viertel würden am Ende Fiorina die Schuld geben. Sie wusste nur zu gut, wie die Gerüchteküche in Portoferraio funktionierte.