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Neueste Erkenntnisse über das wichtige Organ unseres Körpers
Es ist schier unglaublich, was im Laufe eines Menschenlebens in unseren Verdauungsorganen passiert. Etwa 30 Tonnen Speisen, 50.000 Liter Flüssiges, kiloweise Schadstoffe und Umweltgifte, Erreger und Bakterien reisen während eines 75-jährigen Lebens durch den Darm. Doch noch immer wird dieses Organ viel zu wenig beachtet, obwohl er von zentraler Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ist. Denn Immunsystem und unser Stoffwechsel sind sehr eng mit dem Zustand des Darms verknüpft! Wer denkt z. B. bei ständig wiederkehrenden Infekten, Allergien, Schlafstörungen, Depressionen oder Gelenkbeschwerden daran, dass die Ursache im Darm liegen könnte? Eine schleichende Vergiftung über den Darm birgt Probleme für das ganze Stoffwechselsystem.
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Seitenzahl: 149
Dieses Buch widme ich meinem Sohn Christian.
Trotz großen Fortschritts hat das Wirtschaftswachstumsozialen Problemen wie Armut, Stress und Krankheiten nichtdie erhoffte Heilung verschafft. Stattdessen ruiniert unserLebenswandel uns – und unseren Planeten.
Prince Charles, The Prince of Wales: Harmonie – Eine neue Sicht unserer Welt.
Riemann Verlag
Chronische Darmerkrankungen, das Reizdarmsyndrom, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Verdauungsstörungen und auch psychische Erkrankungen nehmen in den »zivilisierten« Ländern stark zu. An chronischen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Crohn-Krankheit leiden 2,2 Millionen Menschen in Europa. Neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer kommen ebenfalls immer häufiger vor – und die Patienten werden immer jünger.
Für Patienten schwer zu verstehen und unbefriedigend ist die häufig gestellte Diagnose »Reizdarmsyndrom«, die zwar ärztlich abgesegnet das beschreibt, was der Patient schon lange weiß und was schließlich zu dem Arztbesuch geführt hat. Allein in Deutschland leiden ca. 7 Millionen Menschen an diesem Beschwerdebild – und daran, dass man ihr Reizdarmsyndrom oft für psychosomatisch hält. Denn bislang ist der organische Auslöser der Krankheit unentdeckt, entsprechend enttäuschend sind die Therapieansätze für Patienten wie Ärzte. (77)
Wenig bekannt ist die massive Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Darm (auch als Bauchhirn bezeichnet) und dem Immunsystem. Im Darm befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft eng umschlungen zwei der wichtigsten Informationssysteme des Organismus:
100 Millionen Nervenzellen70 Prozent des ImmunsystemsDie Zusammenarbeit beider Systeme ist aufgrund der anatomischen Nachbarschaft jedem leicht verständlich. Dieses Buch möchte besonders die Fernwirkung des Darms auf unser zentrales Nervensystem, das Gehirn, beleuchten und mögliche pathophysiologische Erklärungen für viele chronische Erkrankungen, deren Ursachen bislang unbekannt waren, liefern.
Neben den bekannten Beschwerden, die direkt den Darm betreffen (Krämpfe, Durchfall, Verstopfung, Blähungen), müssen wir uns mehr den extraintenstinalen Symptomen widmen, den Beschwerden also, die sich an den unterschiedlichsten Zielorganen zeigen. Weitgehend unberücksichtigt in der Standard-Schulmedizin ist die Tatsache, dass der Darm direkte Verbindungen zum Gehirn hat.
Überhaupt spielen Nahrungsmittel, Aromen und andere Zusatzstoffe eine große Rolle bei zahlreichen Erkrankungen – auch solchen, die vorrangig das Gehirn und Nervensystem betreffen. Dass hierbei die Nahrungsmittelindustrie eine unrühmliche Rolle spielt, ist vielen meiner Patienten bereits bekannt. Laut Thilo Bode, Chef von Foodwatch, bewegt sich die Nahrungsmittelindustrie »am Rande der Körperverletzung« (12). Seit dem 20. Juli 2010 müssen nach einer Vorschrift des Europäischen Parlaments auf den Nahrungsmittelverpackungen bestimmte Zusatz- und Farbstoffe mit dem Hinweis gekennzeichnet werden, dass sie zu Verhaltensstörungen und Hyperaktivität führen können. Der Warnhinweis »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen« gilt z. B. für die Zusatzstoffe mit den E Nummern 102 (Tartrazin), 104 (Chinolingelb), 110 (Gelborange S), 122 (Azorubin), 124 (Cochenillerot A), 129 (Allurarot AC).
1963 wurde bei dem Zahnarzt William Kelley Pankreaskrebs festgestellt – eine Krankheit, die den meisten Patienten nur noch ein Jahr Lebenszeit lässt. Kelly entdeckte den Zusammenhang zwischen Pankreasenzymen und der Remission von Tumoren und war in der Lage, seinen eigenen Krebs zu heilen. Kelly legte Wert auf den Begriff biochemische Individualität bzw. Metabolic Typing, was so viel bedeutet, dass es nicht eine einzige Therapie, Diät oder Nährstoffsubstitution gibt, die für jeden Menschen geeignet ist, da jeder Mensch völlig einzigartig ist und sich im Hinblick auf Genetik, Stoffwechsel, Entgiftungsleistung und Immunität komplett von einer anderen Person unterscheidet. Der Begriff »Metabolic Typing« wird in letzter Zeit allerdings missbräuchlich für ein Ernährungs-Marketing verwendet, wobei dem Patienten ohne Blut- bzw. Urinanalysen schließlich verschiedene Produkte zur Gewichtsreduktion verkauft werden. Eine wirkliches Metabolic Typing kann nur auf der Grundlage moderner Stoffwechsel- und Stuhlanalysen erfolgen.
Mit diesem Buch möchte ich dem Leser Einblicke in eine neue spannende Betrachtungsweise chronischer Erkrankungen liefern. Es zeigt nicht nur die Stoffwechselverbindungen zwischen Darm und Gehirn auf, sondern enthält viele Tipps zur Selbsthilfe und zu neuen medizinischen Analysen, die man selbst veranlassen kann. Möge dieses Buch eine kleine Hilfestellung sein, um die zentrale Rolle der Darm-Hirn-Verbindung für unseren Organismus zu erkennen und hierdurch chronische Beschwerden besser einordnen zu können. Für Rückmeldungen, Berichte über eigene Erfahrungen, Anregungen, Verbesserungsvorschläge wäre ich sehr dankbar. Diese können in der nächsten Ausgabe dieses Buches berücksichtigt werden.
Klaus-Dietrich Runow
Im November 2009 stellte sich ein 28-jähriger Handwerksmeister bei mir vor, der nun schon seit einem Jahr an chronischen Beschwerden litt. Schwindel, Bauchschmerzen und Übelkeit machten ihn fast arbeitsunfähig. Bei Voruntersuchungen sei eine Helicobacter-pylori-Infektion festgestellt und eine Antibiotikatherapie kombiniert mit Säureblockern (Tripeltherapie) verordnet worden. Die Beschwerden wurden nicht wesentlich gebessert. Im Gegenteil – nun traten Nahrungsmittelunverträglichkeiten, besonders nach dem Verzehr von Süßigkeiten auf. Im Sommer hatte der Patient geheiratet. Das Hochzeitsessen hatte wieder zu massiven Schmerzen und Schwindelattacken geführt, und die Hochzeitsreise nach Gran Canaria war von derart heftigen Beschwerden geprägt gewesen, dass schließlich eine stationäre Behandlung am Urlaubsort notwendig geworden war. Nach der dort durchgeführten Infusionstherapie mit Antibiotika traten massive Durchfälle auf. Eine später in Deutschland durchgeführte Magenspiegelung war ohne pathologischen Befund. Es zeigte sich nur eine dezente Schleimhautreizung. Innerhalb der nächsten drei Monate kam es zu einer Gewichtsabnahme um 20 Kilogramm! Die daraufhin angeordneten Untersuchungen (Ultraschall, Bauchspeicheldrüsen-Diagnostik/ERCP) waren auch unauffällig. Dem Handwerksmeister wurde eine Depression/ Burn-out-Syndrom attestiert, und es wurden Antidepressiva verordnet.
Da der Patient bei der Anamnese eine Pollenallergie (Frühblüher) erwähnte und, dass er nach dem Verzehr von Kirschen Juckreiz in den Ohren verspüre, erhob ich den Verdacht auf ein sogenanntes orales Allergiesyndrom, das auch als pollenasssoziierte Nahrungsmittelallergie oder Kreuzallergie bezeichnet wird. Aufgrund der hochdosierten Antibiotikagabe vermutete ich zusätzlich eine Minderung der freundlichen Darmbakterien. Der neue genetische Stuhltest bestätigte diesen Verdacht – zusätzlich wurden eine deutliche Hefepilzbesiedelung und vereinzelte Parasiten nachgewiesen. Durch die sofort eingeleitete Darmtherapie mit natürlichen Antipilzwirkstoffen (Caprylsäure, Oregano) sowie hochdosierten probiotischen Darmbakterien (mit 12 freundlichen Bakterienstämmen) klangen die Bauchschmerzen und die Schwindelattacken innerhalb von einer Woche (!) ab.
Da sich im Nahrungsmitteltest verschiedene positive Reaktionen – u. a. gegen Kuhmilch/Casein – zeigten, habe ich eine vorübergehende kuhmilchfreie Ernährung unter Beachtung der Kreuzallergene empfohlen. Die diätetischen Maßnahmen sind notwendig, um die Darmschleimhaut auf Dauer zu stabilisieren. Zum Therapieprogramm gehört darüber hinaus die Einnahme von Nährstoffpräparaten mit Vitamin C, B-Vitaminen und Mineralstoffen (Zink, Selen etc.) sowie Enzymen. Bis heute ist der Patient weitgehend beschwerdefrei.
Ein 24-jähriger kräftiger Mann – ich nenne ihn Stephan – kam in Begleitung seiner Mutter in meine Sprechstunde. Die Mutter berichtete über seit einiger Zeit bestehende psychotische Symptome. Von seinem Vater, selbst Arzt, sei er unter anderem mit Psychopharmaka (Neuroleptika) behandelt worden. Der hauptsächliche Grund des Kommens war der Wunsch, Nahrungsmittelunverträglichkeiten auszuschließen.
Da Stephan angenommen hatte, er müsse nüchtern zur Blutentnahme kommen, hat er an jenem Tag gefastet. Nachdem ich ihm mitteilte, dass dies nicht notwendig sei, aß er ein Vollkornbrötchen mit Käse. Der vorher völlig normal erscheinende junge Mann veränderte sein Wesen innerhalb von 30 Minuten so sehr, dass ich an eine Einweisung in die am Ort ansässige psychiatrische Klinik dachte. Er saß mir mit starrem Blick gegenüber, wippte mit dem Oberkörper in monotonen Bewegungsabläufen nach vorn und hinten, während er sich beide Hände um den Hals legte und begann sich zu würgen. Auf meine Frage, warum er dies tue, erklärte er, Stimmen zu hören, die ihn aufforderten, seine neben ihm sitzende Mutter zu erwürgen. Da er diese Befehle nicht befolgen wollte, versuchte er sich selbst zu erwürgen. Er war zeitlich und örtlich nicht mehr orientiert. Welche Lösung gab es in dieser Situation? Einen richterlichen Beschluss zur Einweisung in die stationäre psychiatrische Behandlung wäre das Mittel der Wahl – aber das an einem Freitagnachmittag?!
Gemeinsam mit der Mutter überlegte ich, wie es zu dieser akuten Psychose gekommen sein kann? Eine Möglichkeit könnte der Verzehr des Käsebrötchens auf nüchternen Magen gewesen sein. Wenn es hierdurch zu einer starken Histaminfreisetzung gekommen sein sollte, müsste ein Antihistaminikum vielleicht helfen, dachte ich mir.
Obwohl es zunächst nicht ganz einfach war, sich Stephan zu nähern, weil er mittlerweile ziemlich aggressiv geworden war, ist es mir schließlich gelungen, seine Einwilligung zu einer Injektion zu bekommen. Wenige Minuten nach der intravenösen Injektion eines Antihistaminikums, das wir ansonsten nur bei allergischen Symptomen und Notfällen verabreichen, klarte Stephan auf, war zeitlich und örtlich orientiert und stimmte freiwillig der Aufnahme zur stationären psychiatrischen Therapie zu. Auch die Mutter war hiermit einverstanden und sehr erleichtert. In der Psychiatrie war man bezüglich unserer Schilderung über die antipsychotische Wirkung des Antihistaminikums eher skeptisch. Die Assistenzärztin versprach aber, vorübergehend eine getreide- und kuhmilchfreie Diät anzusetzen. Leider ist man durch Anordnung der ärztlichen Leitung relativ rasch wieder zur klassischen Therapie zurückgekehrt. Die Einnahme von Nährstoffpräparaten wurde abgelehnt.
Im Januar 2010 bin ich psychisch erkrankt. In einer Fachklinik (Psychiatrie) wurden viele Medikamente ausprobiert. In der Diagnose gingen die Ärzte zunächst von einer Schizophrenie aus. Später wurde die Diagnose Depression mit einer Depersonalisierungsstörung gestellt. Selbst bei der Entlassung aus der Klinik im Juli 2010 waren die Symptome der Krankheit noch sehr schlimm. Einige Beispiele: Aus meinem Umfeld erkannte ich Menschen und Objekte nicht. Die Kontaktaufnahme zu Mitmenschen war nicht möglich. Ich erkannte mich selber nicht im Spiegel. Ich konnte nicht mehr alleine um das Elternhaus oder das Klinikgebäude gehen; hatte keine Konzentration mehr; fühlte mich, als würde ich nicht mehr leben (wollen)! Auch körperlich hatte ich keine Kraft mehr.
Durch eine Mitpatientin wurde ich auf den Umweltmediziner Runow aufmerksam. Nach verschiedenen Untersuchungen wurde mir empfohlen, eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln einzunehmen. Mit der Einnahme habe ich im September 2010 begonnen.
Bereits nach vier Wochen verspürte ich ein Interesse daran, kleinere Wanderungen zu unternehmen. Das Interesse am Leben wurde immer größer, und ich konnte auch wieder Kontakte zu Mitmenschen herstellen. Da meine Konzentrationen wesentlich besser wurde, konnte ich wieder kochen und einkaufen gehen. Auch meine körperliche Kraft hat sich erheblich gesteigert, und ich fühle mich weitgehend wieder gut.
Anmerkung des Autors:
Bei meiner Patientin wurde eine bakterielle Fehlbesiedelung des Darms (Bakterien, Pilze) mit verstärkter Ammoniakbelastung festgestellt. Ammoniak entsteht u. a. beim Abbau von Proteinen und Harnstoff durch Darmbakterien. Wenn Ammoniak in den Blutkreislauf gelangt, kommt es zu neurotoxischen Reaktionen (Belastungen des Nervensystems). In der Elementanalyse des Haares lagen Uran und Silber deutlich über dem Referenzbereich. Die Energieproduktion in den Zellkraftwerken (Mitochondrien) war deutlich gestört, wodurch u. a. die Einnahme von Coenzym Q10 notwendig wurde. Darüber hinaus wurde ein erhöhter Bedarf an folgenden Nährstoffen ermittelt: Vitamin E, C und D3, B-Vitamine, Magnesium, Carnitin, Arginin. Aufgrund der erheblichen Schlafstörungen habe ich zur Nacht die Einnahme von 3 Milligramm Melatonin mit verzögerter Wirkstoffabgabe empfohlen.
Die in den Fallbeispielen empfohlenen therapeutischen Maßnahmen wurden individuell auf der Grundlage von Blut-, Urin-, Haar- bzw. Stuhlanalysen zusammengestellt. Als Basisdiagnostik bei Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts und auch des Gehirns und Nervensystems gehören neben einer Colo- bzw. Gastroskopie folgende Untersuchungen (siehe auch Kapitel 8 – Diagnostik):
Stuhl- und Verdauungsanalyse (neu: genetische Analysen)Nahrungsmittelallergien bzw. NahrungsmittelunverträglichkeitenZöliakie/Glutensensitivität (Gewebstransglutaminase-Antikörper)Histaminintoleranz (Diaminooxidase)Laktose- und Fruktose-Intoleranz (Atemgastests)Umweltmedizinische Untersuchungen (u. a. Schwermetalle, Porphyrine, Phthalate)Stoffwechsel- und Nährstoffanalysen (u. a. Mitochondrien, Neurotransmitter, B-Vitamine)Gefühle wie Glück, Trauer und Hass spüren wir zuerst im Darm, unserem zweiten Gehirn.
In der Darmschleimhaut (Mucosa) finden sich aktive Nervenzellen, die mit den Gliazellen im Gehirn assoziiert sind. Durch Entzündungen, Allergien und mikrobielle Fehlbesiedelung des Darms (intestinale Dysbiose) werden Entzündungssignale über chemische Botenstoffe aus dem Darm direkt an die Gliazellen im Gehirn weitergeleitet und diese werden schließlich selbst zu Entzündungszellen, die wieder chemische Botenstoffe an das Gehirn und auch an andere Organe abgeben. Dieser Vorgang hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf das Gehirn und Nervensystem, sondern auf den gesamten Organismus. Die Entzündung der Gliazellen kann im ungünstigsten Fall bis zu zehn Monaten andauern. Das bedeutet, dass neurologische Reaktionen – auch Depressionen – über diesen Zeitraum bestehen können.
Bild 1: In der Darmwand befinden sich 100 Millionen Nervenzellen. 90 Prozent der Nervenzellen führen zum Gehirn; nur 10 Prozent kommen vom Gehirn!
Im Darm finden wir neben den Nervenzellen auch andere Zellen, die Auswirkungen auf andere Organe im Körper haben wie z. B. Mastzellen und T-Zellen. Diese können Histamin, Serotonin und andere entzündungsfördernde Zellbotenstoffe (Zytokine) freisetzen und somit ebenfalls die Gehirnsymptome wie Depressionen, Aggressivität, Hyperaktivität (ADHS), Autismus, Schizophrenie auslösen oder verstärken. Der Botenstoff Histamin ist vielen bekannt als Substanz, die bei Allergien freigesetzt wird. Wenig bekannt ist, dass Histamin ein Botenstoff des Gehirns ist. Im Limbischen System, unserem Emotionszentrum, ist Histamin ein bedeutender Botenstoff (siehe auch Kapitel 7.4 Depressionen durch Entzündungen).
Zur Abklärung entzündlicher Prozesse im Körper sollten u. a. die im nachfolgenden Kasten aufgezählten Werte im Blut analysiert werden.
Über 30 Tonnen Nahrung und 50.000 Liter Flüssigkeit werden im Lauf eines Lebens im Verdauungstrakt verarbeitet. Das Bauchhirn analysiert ihre Nährstoffzusammensetzung, den Salzgehalt und Wasseranteil und koordiniert, was der Körper absorbiert und was er ausscheidet (76).
Nicht nur niedermolekulare Botenstoffe können aus dem Darm ins Gehirn gelangen, sondern größere Proteine z. B. aus unverdauten Nahrungsbestandteilen. Durch den vermehrten Einstrom von Nahrungsbausteinen, bakteriellen Stoffwechsel- und Gärprodukten kommt es – wie oben beschrieben – zu einer Aktivierung immunologischer Vorgänge, die zu Entzündungen führen können. Störungen im Verdauungstrakt, der immerhin die Oberfläche von 300 bis 400 Quadratmeter einnimmt, führen daher zu einer Vielzahl von Beschwerden auch an anderen Zielorganen: Hautkrankheiten (Ekzeme, Juckreiz), Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Asthma und Erschöpfungssymptome – also Beschwerden, deren Ursache oft nicht im Verdauungstrakt vermutet wird.
Alle Neurotransmitter des Gehirns (hemmende und erregende Botenstoffe) sind im Darm gefunden worden. Ein Gleichgewicht dieser Botenstoffe ist essenziell für eine optimale körperliche und geistige Gesundheit.
Der Göttinger Physiologe Ernst Herbst hat bereits 1843 den nach ihm benannten Herbst-Effekt entdeckt: Füttert man einem Hund Stärkemehl-Suspension, sind die unveränderten Stärkekörner wenig später in Blut und Lymphe nachweisbar. Sogar Hefen und Haare von Pfirsichen können vom Darm in den Blutkreislauf wandern. Diesen Vorgang nennt man Persorption. Der Hirsch-Effekt, benannt nach Rachel Hirsch (1870 – 1950) beschreibt, dass diese Korpuskel in den Urin übergehen, wo jedermann nach reichlichem Verzehr von Pfirsichen die Härchen erkennt. Deshalb sollte man Pfirsiche nicht ungeschält verzehren. Jene Partikel, die nicht mit dem Urin ausgeschieden werden, bleiben im Kapillarraum, und dies kann nach Ansicht von Prof. Hans E. Müller durchaus im ZNS zur Arteriosklerose beitragen (4).
Innerhalb der Zellen existiert ein Röhrensystem (Mikrotubuli), das man auch als ein Straßennetz zur Informationsübermittlung bezeichnen kann. »Damit Zellen schnell auf Signale aus der Umgebung reagieren können, brauchen sie eine Art Straßennetz, mit dessen Hilfe sie Nachrichten an die richtigen Stellen in der Zelle transportieren«, erläutert Sara Wickström, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Bei Fehlern dieser Maschinerie, d. h. wenn sich die Zellen von den normalen Regulationsmechanismen zur Übermittlung von Steuersignalen aus der Umwelt befreien, kann es zu Krankheiten wie Krebs kommen (19). Nicht nur innerhalb der Zellen, sondern auch zwischen Organsystemen existiert eine Verbindungsstruktur – so auch zwischen Darm und Gehirn. Wie neurologische Krankheiten, etwa Parkinson und Autismus, vom Darm ausgelöst werden, kann man in Kapitel 7.2 und 7.3 lesen.
Eine eingehende Stuhl- und Verdauungsanalyse ist bei allen Patienten mit chronischen körperlichen und psychischen Erkrankungen obligat. Seit kurzer Zeit sind genetische Stuhlanalysen verfügbar, die von dem US-Labor Metametrix in Atlanta, einem der renommiertesten Labors auf dem Sektor der Functional Medicine in den USA, durchgeführt werden und über das Institut für Umweltmedizin (IFU) in Wolfhagen angefordert werden können. Aufgrund der neuartigen Labortechnik werden nicht nur aerobe, sondern auch das gesamte Spektrum an anaeroben Darmbakterien untersucht. Die anaeroben Bakterien können mit den herkömmlichen Stuhlanalysen nicht hinreichend untersucht werden, weil sie beim Transport durch den im Teströhrchen befindlichen Luftsauerstoff abgetötet werden. Die anaeroben Bakterien stellen immerhin 95 Prozent der Darmflora dar. D. h. übliche Stuhlanalysen betrachten nur einen Bruchteil der Darmbakterien. Auch Parasiten werden durch die neuen genetischen Stuhltests mit einer Auffindungsrate von nahezu 100 Prozent ermittelt. Während bei den bisher durchgeführten Verfahren für einen positiven Nachweis 5000 bis 25.000 Parasitenzellen pro Gramm Stuhl benötigt wurden, reichen schon ein bis fünf Bakterien- bzw. Parasitenzellen bei dem neuen Stuhltest aus. Die Teströhrchen können per Post verschickt werden. Nähere Informationen über die neuen Stuhlanalysen erfahren Sie im Kapitel 8 – Diagnostik.
Unter dem Begriff Darmflora bezeichnet man alle Mikroorganismen, die sich auf der Schleimhaut im VerdauungsTrakt befinden. Die Anzahl dieser Mikroorganismen übersteigt diejenige der Zellen des menschlichen Organismus deutlich – sie kann bis um das Zehnfache höher sein. Veränderungen der Darmflora können in einer Unter- oder Überbesiedelung und in einer Veränderung ihrer Zusammensetzung bestehen.
Es können Fehlbesiedelungen (intestinale Dysbiosen) entweder im Dick- oder im Dünndarm oder in beiden Darmabschnitten gleichzeitig auftreten. Bei Fehlbesiedelungen kann es zu einer verstärkten Gasbildung kommen und es treten Bauchschmerzen und Krämpfe auf. Parallel zur Darmsymptomatik treten häufig neurologische Beschwerden auf: Erschöpfung, Schwindel, Denk- und Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Aggressivität, Depressionen und Migräne. Dramatische Veränderungen der Bakterienflora im kindlichen Darm könnten auch für die Zunahme an frühem Übergewicht und an gesundheitlichen Problemen mit Magen und Darm verantwortlich sein. Diese Überlegung ergab sich aus dem Vergleich von Stuhlanalysen von Kindern aus Afrika, die sich weitgehend pflanzlich ernährten und Kindern aus Italien, deren Kost aus viel tierischem Eiweiß, Zucker, Fetten und einem geringem Ballaststoffanteil bestand. (siehe auch Kapitel 2.6 Übergewicht durch bakterielle Fehlbesiedlung (Adipositas-Index) und Kapitel 8 Diagnostik.
Beim Neugeborenen ist die Darmoberfläche steril. Wie es kommt, dass es bei dem anschließenden Bakterienwachstum im Darm nicht zu Abwehr- und Entzündungsreaktionen durch das Darmimmunsystem kommt, war bislang unklar. Ein Wissenschaftlerteam um Prof. Mathias Hornef an der Medizinischen Hochschule Hannover fand kürzlich heraus, dass bei Mäusen kurz nach der Geburt ein zentrales Signalmolekül (IRAK-1) für die Erkennung von Mikroorganismen in den Darmschleimhautzellen herunterreguliert wird. Damit wird die Schleimhaut des Neugeborenen unfähig, auf bakterielle Besiedelung zu reagieren und so kann sich die Darmflora ungestört ausbilden. Nachdem die Darmflora ausgebildet ist, tritt das Signalmolekül IRAK1 (Interleukin-1-Rezeptor-Associated-Kinase 1) wieder in Funktion und ermöglicht so eine schützende Immunabwehr vor krankheitserregenden Keimen (18).
Bevor sich der freundliche Bakterienfilm auf der Darmschleimhaut ausbreiten kann, sind Neugeborene der aggressiven Umwelt schutzlos ausgeliefert. Infektionsschutz gibt es aber durch die unverdaulichen Komplexzucker, die ausschließlich in der Muttermilch vorkommen. Diese Zucker machen immerhin bis zu einem Fünftel der Muttermilch aus. Menschen besitzen keine Enzyme, um diese Komplexzucker aufzuspalten (siehe auch Kapitel 6, über Enzyme). Für freundliche Darmbakterien wie die Bifidobakterien (B. longum) stellen diese Zucker aber einen wichtigen Nährstoff dar – sie können sich vermehren und im Darm des Säuglings ausbreiten und ihn vor schädlichen Bakterien schützen. Forscher der North Carolina State University haben herausgefunden, dass die Komplexzucker auch direkten Schutz vor giftigen Bakterien bieten. Denn die Zucker ähneln den Zuckermolekülen auf den menschlichen Zelloberflächen, an die sich zahlreiche schädliche Bakterien und Viren gerne binden. Die Komplexzucker werden somit zur Falle für krank machende Mikroorganismen und Viren (31).
Durch die tägliche Nahrung wird die Zusammensetzung der Darmkeime wesentlich beeinflusst. Bei gestillten Säuglingen breiten sich auf der zunächst sterilen Schleimhaut relativ rasch Bifidobakterien und Laktobazillen aus. Diese produzieren Milchsäure und desinfizieren somit die Darmschleimhaut und schützen das Kind somit vor der Ausbreitung krank machender Bakterien. Im Laufe der Zeit siedeln sich bis zu 1000 verschiedene Mikroorganismen im Darm an. Insgesamt können diese ein Gewicht von 1 Kilogramm erreichen können. Man geht davon aus, dass 20 Prozent unserer verzehrten Nahrung als Nährstoff für die Darmbakterien verbraucht wird. Umgekehrt haben diese – auch als freundliche Bakterien/Probiotika oder, englisch, predominant flora bezeichneten – Keime wichtige Funktionen in unserem Körper, ohne die wir nicht lebensfähig wären. Sie produzieren Vitamine wie z. B. Biotin und Vitamin K sowie Antikörper, die uns vor Infektionen schützen. Darüber hinaus sind alle Neurotransmitter (Botenstoffe des Gehirns) im Darm nachgewiesen worden. Laktobazillen fördern die Bildung von Enzymen wie Laktase, die zum Abbau von Milchzucker notwendig ist. Diese und andere Stämme sorgen für die Bildung von Krebschutzfaktoren, neutralisieren Giftstoffe und verhindern Fettsucht. Wenn sich die predominanten Bakterien in Balance befinden, werden sie als »freundliche« Stämme betrachtet. Wenn ihre Zahl allerdings stark anwächst, spricht man von Überbesiedelung (Overgrowth), und sie sind als krank machend einzustufen. Eine Überbesiedelung mit Fusobakterien führt zur Bildung von Fäulnis und Eiter im Dickdarm; eine Prevotella-Überbesiedelung kann zu Hals- und Kehlkopfinfektionen führen (siehe Kapitel 2.5 – Dünndarm-Fehlbesiedelung).
Das Wissenschaftsmagazin Science berichtet, dass Molekularbiologen Mäuse in keimfreier Umgebung gezüchtet haben. Anschließend impften sie die Tiere mit Darmbakterien (Probiotika) und stellten fest, dass diese probiotischen Bakterienstämme über 20.000 Gene aktivieren können. Viele der von ihnen aktivierten Gene spielen eine zentrale Rolle für die Verdauung. Einige sind wichtig für die Aufnahme von Zuckern und Fetten. Andere kontrollieren die Zellbarriere (Schleimhaut-Schutzschicht) und versorgen die Darmzellen mit Energie (Butyrat).
Probiotische Darmbakterien können über 20.000 Gene aktivieren.
Die Forschungsergebnisse von Zellbiologen der Universität Konstanz um Professor Dr. Christof Hauck werfen ein neues Licht auf die Mechanismen, mit denen Bakterien den menschlichen Körper besiedeln. Die Wissenschaftler konnten experimentell beweisen, dass an den Menschen angepasste Bakterien (u. a. freundliche Bakterien/Probiotika) die Abschilferung (Exfoliation) von Schleimhautzellen unterdrücken, damit sie ihren Wirt besser besiedeln können. Die Bakterien regen die Bildung bestimmter Signalstoffe, sogenannter Integrine, an. Integrine sind Rezeptoren, welche die Zellen am Bindegewebe haften lassen und dadurch wie eine Art hochwirksamer Klebstoff der Abschilferung entgegenwirken. Die Abschilferung von Zellen ist andererseits außerordentlich wichtig zum Schutz vor der Besiedelung mit Krankheitserregern. Bevor sie sich in ihrem Wirt ausbreiten können, besiedeln viele Mikroben zunächst die Schleimhäute des menschlichen Körpers, zum Beispiel den Rachenraum, den Darm oder den Urogenitaltrakt. Sich dort zu behaupten, ist für die Mikroorganismen nicht einfach, denn wenn sich oberflächliche Zellen durch Exfoliation vom Verband lösen, verhindern sie auch das Einnisten der Mikroorganismen. Exfoliation ist also eine ständige Gewebeerneuerung und beugt einer Einnistung von Erregern vor (32).
Krank machende Bakterien haben noch weitere Tricks, um sich auf den Schleimhäuten auszubreiten. Sie regen die Schleimhautzellen zu einer erhöhten Anheftung an das Bindegewebe an und sorgen dafür, dass die infizierten Zellen sich nicht mehr aus dem Gewebeverband herauslösen können. Die Konstanzer Forscher konnten aufzeigen, dass die Erreger dadurch nicht nur die Exfoliation unterdrücken, sondern auch die Schleimhaut weitaus effizienter besiedeln können.
Kinder, bei denen vermehrt Laktobazillen im Stuhl nachweisbar sind, haben eine bessere Immunität und eine geringere Bereitschaft zur Entwicklung von Atopien (Allergien). Laktobazillen besiedeln schon die Speiseröhre und den Magen. Im Verlaufe der Darmpassage steigen die Keimzahlen deutlich an. Im Endbereich des Dünndarms befinden sich 108 Keime pro Gramm, und im Dickdarm sind es schon 1012 pro Gramm Stuhlmasse. 90 bis 95 Prozent der Keime sind anaerobe Bakterien, d. h. sie existieren ohne Sauerstoff. Da Sauerstoff die anaeroben Stämme sogar abtötet, kann also der größte Teil der Darmbakterien durch die üblichen Stuhlanalysen nicht untersucht werden, d. h. dass diese nur begrenzt aussagefähig sind. Nur die neuen genetischen Stuhlanalysen (siehe Kapitel 8 Diagnostik), mit denen man die DNA auch von den abgestorbenen Keimen analysieren kann, liefern ein exaktes Bild von der Darmökologie. Gleiches gilt für Pilze, die den Körper häufig tot verlassen und daher nicht auf den üblichen Nährböden kultiviert werden können und somit oft zu falsch negativen Resultaten führen.
Nur die genetische Stuhlanalyse (GI-Effects) liefert ein exaktes Bild von der Mikrobiologie des Darms, weil alle Organismen – einschließlich aerober und anaerober Bakterien – nachgewiesen werden.
Durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in Arztpraxen und der Nahrungsmittelproduktion kommt es zunehmend zu einer mikrobiologischen Veränderung der Darmflora. Bei der Hähnchenproduktion stehen die Tiere während zwei Drittel ihrer Lebenszeit unter dem Einsatz von Antibiotika. Das Problem hierbei ist, dass sich Antibiotikaresistenzen ausbilden, d. h. dass sich auch im menschlichen Darm Bakterien ansiedeln, die sich genetisch auf Antibiotika eingestellt haben. Im Falle einer notwendigen Antibiotikatherapie ist das Medikament dann nicht mehr wirksam. Ein zunehmendes Problem stellt der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) – ein Super-Keim – dar. Aus einer einfachen Hautinfektion kann sich bei seiner Anwesenheit eine lebensbedrohliche Infektion im Bereich der Knochen, Gelenke, Herzklappen, Lungen etc. entwickeln.
Bild 9: Stuhlbefund: Mangel an freundlichen Darmbakterien (predominant Bacteria) und starke Besiedelung mit opportunistischen Bakterien mit Klebsiellen, Citrobacter und Pseudomonas-Stämmen (= Dysbiose). Nähere Informationen zur neuen DNA-Stuhlanalyse im Diagnostik-Kapitel 8. (Quelle: K. Runow, Metametrix Clinical Laboratory, USA)
Die Bestimmung der genetischen Resistenz der Darmbakterien sollte aus diesem Grund Bestandteil einer jeden Stuhluntersuchung sein. Nur wenn der Arzt die genetischen Resistenzen kennt, kann er im Notfall schnell und zielgerichtet eine lebensbedrohliche Infektion bekämpfen, weil er hierdurch keine Zeit mit dem Einsatz unwirksamer Antibiotika verliert.
Die Ursache für eine bakterielle Fehlbesiedelung im Dünndarm (Overgrowth Syndrom), die auch zu starken neurologischen Symptomen führen kann, ist komplex. Man spricht auch von SIBO: Small Intestinal Bacterial Overgrowth (11). Häufig ist diese Fehlbesiedelung assoziiert mit Störungen der Schutzmechanismen.
Bei einer bakteriellen Fehlbesiedelung kann im Urin D-Milchsäure (D-Laktat) nachgewiesen werden, die neurotoxisch wirkt. D-Laktat entsteht bei einer veränderten anaeroben Darmflora im Dick- und Dünndarm aus dem Überangebot nicht resorbierbarer bzw. nicht resorbierter Kohlenhydrate (insbesondere Fruktose und Glukose).
Wenn nichtabbaubare D-Milchsäure im Urin nachgewiesen werden kann, entspricht dies einer schweren Komplikation. Die Patienten erscheinen ohne Alkoholgenuss wie betrunken.Zu beachten ist, dass D-Milchsäure von freundlichen Bakterienstämmen, den Laktobazillen, produziert wird.
Falls die Patienten freundliche Darmbakterien (Probiotika/ Laktobazillenpräparate) einnehmen, sollte dies vorerst beendet werden, da viele von ihnen D-Milchsäure produzieren. Wenn eine probiotische Therapie dennoch indiziert ist, dürfen nur Laktobazillen-Stämme eingenommen werden, die keine D-Milchsäure produzieren. Das sind im Einzelnen folgende Stämme:
Lactobacillus agilisL. amylophilusL. animalisL. bavaricusL. caseiL. paracaseiL. ruminisL. salivariusL. rhamnosus(Quelle: Laboratory Evaluations, 2nd Edition, Richard S. Lord, J. Alexander Bralley, Metametrix Institut, Duluth, Georgia, USA)
Zur Aufdeckung einer bakteriellen Fehlbesiedelung, die mit der Produktion neurotoxischer Substanzen im Darm einhergeht, eignen sich neben einer Biopsie (Jejunum Aspirat) folgende Methoden:
D-Laktat-Nachweis im Urin: Organix-Stoffwechsel-Profil. Benötigt wird eine Morgenurinprobe, die per Post verschickt werden kann. Neben D-Laktat werden zahlreiche andere darmspezifische Stoffwechselprodukte nachgewiesen. Wasserstoff-Methan-Atemtest. Hierbei kann nach Einnahme von Glukose oder Laktulose Methan und Wasserstoff in der Atemluft nachgewiesen werden. Die Untersuchung kann vom Patienten selbst durchgeführt werden. Spezial-Vakuumröhrchen können im IFU-Diagnostic Center in Wolfhagen angefordert werden (Tel: 05692-994555; [email protected]). (Näheres siehe auch Diagnostik-Kapitel 8.3 – Dysbiosemarker)
Neben D-Laktat messen wir bei unseren Patienten häufig auch noch eine andere neurotoxische Substanz, die von Mikroorganismen im Darm gebildet wird. Es ist das D-Arabinitol — ein Zuckeralkohol. Dieser steht in Zusammenhang mit einem invasiven Hefewachstum (Candida) und kann zu folgenden neurologischen Störungen führen: Schwindel, Benommenheit (Brain Fog), Konzentrations-und Denkstörungen. Manche Patienten berichten von einem Gefühl wie betrunken zu sein.
Eine weitere bekannte neurotoxische Substanz ist Ammoniak , der ebenfalls durch eine bakterielle Fehlbesiedelung im Darm, z. B. durch Klebsiella- und Proteus-Stämme gebildet wird. Bei einer starken Ammoniakbildung kommt es zu Schädigungen des Gehirns (toxische Enzephalpathie). Während der klassisch schulmedizinisch denkende Therapeut in solchen Fällen an den Einsatz von Antibiotika denkt, schlage ich zunächst pflanzliche desinfizierende Substanzen wie Oregano-Öl und Neem-Extrakt bei gleichzeitiger Einnahme hoch dosierter freundlicher Darmbakterien (Probiotika) vor. Dass antibiotische Verfahren hier hilfreich sind, wurde in einem Artikel in der medizinischen Fachpresse im August 2010 mit der Überschrift »Antibiotikum sorgt für klaren Kopf« beschrieben. Zur Eindämmung der Darmbakterien hat man bei Patienten mit Leberzirrhose das Antibiotikum Rifaximin eingesetzt und hierdurch das Risiko eines Enzephalopathie-Rezidivs im Vergleich zu Placebo hochsignifikant reduziert (35).
Nach der Einnahme von Antibiotika kann es zu Ausbreitung von Clostridien-difficile-Stämmen kommen. Das häufig bei Durchfallerkrankungen unkritisch eingesetzte Ciprofloxacin erhöht offenbar den Selektionsdruck auf die Clostridien und hat zu einer Verbreitung hochvirulenter, Ciprofloxacin-resistenter Stämme beigetragen, berichtet Prof. Wolfgang Scheppach aus Würzburg (20). Clostridieninfektionen könnten sogar nach einem Behandlungsintervall von 3 Monaten (!) auftreten und zu heftigen Durchfällen und Darmentzündungen führen. Bei der Anamneseerhebung müsse man daher das letzte Vierteljahr berücksichtigen. Man spricht hier von antibiotikaassoziierten Durchfallerkrankungen (AAD), die immerhin jährlich zu 75.000 Klinikeinweisungen und somit zu einer erheblichen volkswirtschaftlichen Belastung von 3 Milliarden Euro pro Jahr führen! (22)
20 Prozent der AAD werden durch Clostridium difficile verursacht, die in einigen Fällen zu schweren, rezidivierenden Verläufen führen. Problematisch ist die sich weltweit ausbreitende pseudomembranöse Clostridiencolitis, die tödlich verlaufen kann. Wenn also nach einer Antibiotikatherapie Durchfälle auftreten, ist höchste Vorsicht geboten. Wenn die zunächst leichten Symptome nicht hinreichend beachtet werden, kann es zu dem fulminant verlaufenden Vollbild einer pseudomembranösen Colitis kommen. Therapeutisch kommen Metronidazol oder Vancomycin in Betracht. Das Deutsche Ärzteblatt schreibt: »Der Nachweis des neuen hoch virulenten Clostridium-difficile-Stamms erfordert molekulare Methoden, die in Deutschland noch wenig etabliert sind.« (22) (siehe Kapitel 8 — Neue Stuhl-und Verdauungsanalysen)
Immer wieder werden zur Durchfallbehandlung auch Präparate mit dem Hefestamm Saccharomyces boulardii empfohlen, die jedoch nicht bei Immunschwäche oder bei Patienten mit i. v. Katheter eingesetzt werden sollten. Es droht nämlich die massive Ausbreitung des Hefestammes und es kommt zur Fungämie (Pilzausbreitung im Blut), die ebenfalls tödlich verlaufen kann (21).
Bei dem als »Magenteufel« bezeichneten Helicobacter pylori (H. p.) handelt es sich um das am häufigsten im menschlichen Organismus vorkommende Bakterium. H. p. kann ursächlich an verschiedenen Erkrankungen des Verdauungstrakts beteiligt sein, wie z. B. Magengeschwüren und auch Magenkrebs. Die Hälfte der Weltbevölkerung ist mit dem Keim infiziert. Höher noch ist die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) in den Entwicklungsländern. Die Infektionsrate in Indien ist in der Altersgruppe um 60 annähernd 100 Prozent. Die Bevölkerungsdichte wie auch der sozioökonomische Status könnten für die hohe Besiedelungsrate eine entscheidende Rolle spielen (58). Im Jahr 1994 hat die International Agency for Research das Bakterium als karzinogen (krebserregend) eingestuft. Als Behandlung hat sich die sogenannte Tripeltherapie etabliert. Hierbei werden zwei Antibiotika gleichzeitig in Verbindung mit einem Magensäureblocker (Protonenpumpenhemmer) verabreicht (siehe auch Kapitel 5.1 – Vorsicht Magenschutz)
Ich persönlich rate nur jenen Patienten, die an Geschwüren im Magen-Darm-Trakt leiden, diese Therapie durchzuführen, da sie schließlich nicht nur den Helicobacter-Stamm, sondern auch zahlreiche freundliche Bakterien im Darm abtötet. Die meisten Träger von H.-p.-Stämmen haben nämlich keinerlei Beschwerden und nur etwa 1 Prozent der betroffenen Patienten entwickeln Magenkrebs. Bei einem positiven Helicobacter-Befund (Atemgasanalyse bzw. genetischer Stuhltest) rate ich zunächst zu einer vier- bis sechswöchigen hoch dosierten probiotischen Therapie, d. h. ich verordne lebende Bifido- und Laktobazillen-Stämme. Darüber hinaus empfehle ich pflanzliche Substanzen wie Oregano-Öl, Neem-Extrakt und Sulforaphan, ein Wirkstoff aus Brokkoli- und Kohlgemüse. Auch Knoblauch hat ein antibiotisches Wirkspektrum und hilft schon in moderaten Mengen gegen Helicobacter pylori (90).
Zur Unterstützung der Darmschleimhaut kann zusätzlich die Einnahme von täglich 1 bis 2 Gramm Glutamin (in schweren Fällen bis 7 Gramm) und auch das antientzündliche Curcumin oder Tumeric (Gelbwurzel) hilfreich sein. In den meisten Fällen kann anhand der Besserung der Symptomatik, einer Stuhlkontrolle bzw. eines H2-Atemtests nach sechs Wochen der Erfolg der Therapie bestätigt werden.
Neben den Reaktionen im Darm verursacht H. p. auch verschiedene extraintestinale Reaktionen – Symptome also, die unterschiedliche Organe betreffen. Sobald sich das Bakterium in der Magenschleimhaut eingenistet hat, löst es eine Immunreaktion aus, d. h. unsere Immunzellen bilden Antikörper (humorale Immunreaktion). Es kommt sowohl zur humoralen als auch zellulären Immunantwort, bei der Immunzellen an den Reaktionsort wandern und dort eine Abwehr- bzw. Entzündungsreaktion auslösen können. Aufgrund der Ähnlichkeit der von den Immunzellen gebildeten Antikörper mit körpereigenen Strukturen wie z. B. glatte Muskulatur und Epithelzellen in den Blutgefäßen – führt diese Immunantwort gegen H. p. nicht nur zur lokalen Entzündung im Magen, sondern es kann zu Gefäßentzündungen (Vaskulitis) im ganzen Körper kommen. Die Folge ist eine systemische Autoimmunerkrankung, die auch die Blutgefäße des Herzens und der Augen, die Thrombozyten (Blutplättchen) und das Nervensystem angreift. Eine Studie aus dem Jahr 2005 kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit einer Triggerfunktion (Verstärkungsreaktion) von Helicobacter pylori bei der ideopathischen Parkinsonerkrankung sehr hoch ist (59).
Studien aus den Jahren 1998 und 1999 fanden Zusammenhänge zwischen H.-p.-Infektionen und autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen (Thyreoiditis). Wie grundlegend wichtig es ist, auf diese Zusammenhänge im Rahmen der Diagnostik zu achten, wird besonders anschaulich, wenn man sich die Organsysteme ansieht, die von der Schilddrüse gesteuert werden: Die Schilddrüse nimmt Einfluss auf den Zucker-, Fett- und Eiweißhaushalt, den Wärmehaushalt und die Körpertemperatur, das Herz und den Kreislauf, die Gemütsverfassung und die Leistungsfähigkeit, den Magen und den Darm, die Muskeln und das Nervensystem. Beim Kind steuern die Schilddrüsenhormone zudem die Gehirn- und Nervenentwicklung sowie das Knochenwachstum.
Im Jahr 2003 veröffentlichten Forscher eine interessante Fallstudie. Bei einem Magenkrebspatienten schrumpfte nach einer Teilresektion des Magens sein Schilddrüsentumor und verschwand vollständig nach einer antibiotischen Eradikation von H. pylori (60).
Infektionen mit Helicobacter pylori können Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, Gefäßentzündungen (Vaskulitis) und auch Parkinson verstärken.
Helicobacter pylori ist nicht der einzige Keim, der neben den örtlichen Infektionen zu systemischen — also im ganzen Körper ablaufenden — Reaktionen führt, siehe die nachfolgende Tabelle.
Bakterien und Pilze, die zu systemischen Reaktionen führen können
Arthralgien (Gelenkentzündungen) sind die häufigsten Reaktionen bei entzündlichen Darmerkrankungen — sie treten bei 7 bis 35 Prozent der Patienten auf. Obwohl die Ursache der entzündlichen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit) nicht hinlänglich geklärt ist, werden aber genetische und immunologische Mechanismen vermutet. Eine immunologische Fehlregulation, wie z. B. die verstärkte Abwehrreaktion gegen Mikroorganismen im Darm, hat lokale und systemische Entzündungsreaktionen zur Folge. Zusätzlich kann es auch zu einem direkten immunologischen Angriff auf körpereigene Proteinstrukturen kommen und es bilden sich Auto-Antikörper, die in ungünstigen Fällen aufgrund der Strukturähnlichkeit zu Zellmembranen anderer Organe im Körper sogenannte Kreuzreaktivitäten verursachen (siehe auch Kapitel 3.5 — Zöliakie als Multisystemerkrankung).
Kreuzreaktivität besteht zwischen Darmzellen (Colon-Epithelzellen) und den Zellmembranbausteinen der Augen, Knorpelzellen und den Gallenepithelien. Auch nach Entfernen des Darms können diese extraintestinalen Kreuzreaktionen noch über Jahre ablaufen, was auf das Vorhandensein von immunologischen Gedächtniszellen hindeutet, die lange im Blut zirkulieren. Im November 2010 berichtet die medizinische Fachzeitung Medical Tribune über Autoimmunerkrankungen mit der Überschrift »Eigene Bakterien schuld am Rheuma?« (74) Patienten mit neu diagnostizierter rheumatoider Arthritis haben in der Mundflora mehr Spirochetaceae-, Prevotellaceae- und Porphyromonas-Bakterien (im Mittel 53 Prozent) als gesunde Kontrollen (im Mittel 18,5 Prozent). Da mit der bisher üblichen kulturellen Anzüchtung nur etwa ein Fünftel der Bakterienspezies im menschlichen Körper nachgewiesen werden können, hat das New Yorker Forscherteam schon die neuen genetischen Tests (DNA-Sequenzierung) eingesetzt, ein Verfahren, das auch bei den neuen Stuhlanalysen in meiner Praxis und im IFU-Diagnostic Center in Wolfhagen zum Einsatz kommen. (siehe auch Kapitel 8 — Diagnostik).
Bei zwei Dritteln der Rheumapatienten zeigten sich deutliche Schleimhauterkrankungen im Mund. Bei der oralen Probenentnahme bluteten die Patienten mit rheumatoider Arthritis an 78 Prozent der gingivalen »Entnahmestellen« und Gesunde nur an 12 Prozent. Da alle Schleimhäute miteinander immunologisch in Kontakt stehen, kann man sich erklären, warum Patienten mit Autoimmunerkrankungen so unterschiedliche Symptome an unterschiedlichen Organen zeigen. Da die Mundschleimhaut zum Verdauungstrakt gehört, kann man nun spekulieren, ob eine Behandlung der Darmschleimhaut, z. B. mit freundlichen Darmbakterien, bei Rheumapatienten nicht auch positiv auf die Mundschleimhaut wirkt und natürlich auch auf das entzündliche Geschehen bei der rheumatischen Erkrankung?
Extraintestinale Manifestationen von Erkrankungen können natürlich auch durch Nährstoffdefizite ausgelöst bzw. verstärkt werden (61). (siehe auch Kapitel 9 — Therapie)
Höchstes öffentliches Interesse fand die Entdeckung Dr. Talalays und seiner Kollegen, dass Sulforaphan sich in Laborversuchen als wirkungsvolles Mittel gegen das Magenkrebsbakterium Helicobacter pylori erwiesen hat. Infektionen mit Helicobacter werden für Ösophagitis (Entzündungen der Speiseröhre), Gastritis, Magengeschwüre und die meisten Fälle von Magenkrebs verantwortlich gemacht — Magenkrebs gehört zu den weltweit häufigsten Todesursachen.
Ein großes Problem bestand bisher in den beschränkten Erfolgsaussichten bei einer Behandlung mit Antibiotika. Nicht nur, dass die Helicobacter-Bakterien zunehmend resistent sind, sie verbergen sich auch in den Zellen, die die Magenwände auskleiden — und werden dadurch für eine erfolgreiche Behandlung durch Antibiotika unzugänglich.
Sulforaphan (Brokkoliextrakt) schaltet dagegen nach den vorliegenden Berichten Helicobacter wirkungsvoll aus, unabhängig davon, ob sich die Bakterien innerhalb oder außerhalb der Magenwandzellen befinden und auch unabhängig davon, ob es sich um Stämme handelt, die gegen die gewöhnlich eingesetzten Antibiotika resistent sind.
Dr. Talalay äußerte sich überzeugt davon, »dass die zweifache Aktion von Sulforaphan — nämlich einmal die Hemmung von Helibacter-Infektionen und zum anderen die Blockierung der Tumorbildung im Magen — zu der berechtigten Hoffnung Anlass gibt, dass diese einfachen und natürlichen Maßnahmen synergistisch wirken, um die Menschen vor Magenkrebs zu schützen.« Nähere Informationen über Brokkoli/Sulforaphan finden Sie auf der Internetseite www.nwzg.de.
Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass beim Übergewicht auch bakterielle Komponenten eine Rolle spielen. Eine positive Veränderung der Darmflora führt zu einer verbesserten Insulinresistenz und einer insgesamt verbesserten oralen Zuckertoleranz. Eine Reduzierung bestimmter Bakterienstämme, der Firmicutes, unterstützt Maßnahmen zur Gewichtsreduktion. Manche Bakterien führen nämlich zu einer erhöhten Freisetzung von Kalorien aus der verzehrten Nahrung.
Zu den Firmicutes zählen folgende Bakterienstämme: Clostridien, Streptomyces, Laktobazillen, Mycoplasma, Bacillus. Das Verhältnis von Firmicutes-Stämmen zu Bacteroidetes-Stämmen bezeichnet man als Adipositas-Index und ist Bestandteil der neuen DNA-Stuhlanalysen (siehe
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Tilman Leher; grafikatelier luk: Bild 1,Bild 2, Bild 3; K. Runow, Labor: IMD-Berlin: Bild 4; Genova Diagnostics, USA: Bild 5, Bild 6, Bild 7, Bild 8; K. Runow, Labor: Metametrix, USA: Bild 9, Bild 10, Bild 11, Bild 12, Bild 13.
Layout und Gesamtproducing
Lore Wildpanner, München
eISBN 978-3-641-06290-3
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