Der Drachenteich - S. S. Van Dine - E-Book

Der Drachenteich E-Book

S. S. Van Dine

3,9

Beschreibung

Eine feuchtfröhliche Party in Inwood – einem ländlich geprägten Stadtteil im Norden von Manhattan: Der Schauspieler Sanford Montague springt zum Baden in den »Drachenteich« der gastgebenden Familie Stamm – und taucht nicht wieder auf. Dafür werden nach Ablassen des Wassers auf dem Teichgrund Spuren entdeckt, die denen eines Drachen ähneln. Stimmt die alte Indianer-Legende, nach der ein Seeungeheuer die Familie Stamm von ihren Feinden beschützt? Philo Vance ermittelt – und stößt auf eine in Eifersucht, Hass, Intrigen und Aberglauben verstrickte Gesellschaft, in der jeder verdächtig scheint … Der Krimi aus der Philo Vance-Reihe wurde 1934 erfolgreich verfilmt. Mit dieser Ausgabe bei krimischaetze.de ist die deutsche Erstübersetzung erstmals als E-Book verfügbar. In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen - überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen. krimischaetze.de Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 252

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,9 (12 Bewertungen)
3
6
2
1
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



S. S. van Dine

Der Drachenteich

Ein Fall für Philo Vance. Kriminalroman aus New York.

S. S. van Dine

Der Drachenteich

Ein Fall für Philo Vance. Kriminalroman aus New York.

(The Dragon Murder Case)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Hans Herdegen EV: Goldmann, Leipzig, 1935 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-27-6

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Über kri­mis­chaet­ze.de

Über den Au­tor

Über den Ro­man­hel­den Phi­lo Van­ce

Über die­ses Buch

Han­deln­de Per­so­nen

1. Die Tra­gö­die

2. Eine ver­blüf­fen­de Be­schul­di­gung

3. Pool­ge­plan­sche

4. Eine Un­ter­bre­chung

5. Das Seeun­ge­heu­er

6. Ein un­glück­li­cher Zu­fall

7. Auf dem Grund des Tei­ches

8. Ge­heim­nis­vol­le Fuß­spu­ren

9. Eine neue Ent­de­ckung

10. Der Ver­miss­te

11. Eine düs­te­re Pro­phe­zei­ung

12. Ver­neh­mun­gen

13. Drei Frau­en

14. Nächt­li­che Geräusche

15. Blut und eine Gar­de­nie

16. Tod in dop­pel­ter Aus­füh­rung

17. Ang­ler­la­tein

18. Dra­chen­spu­ren

19. Das letz­te Glied in der Ket­te

20. Die Auf­lö­sung

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

kri­mis­chaet­ze.de

Der Drachen­teich

Fräu­lein Ban­dit

Die blaue Spur – Mau­ri­ce Wal­li­on er­mit­telt

Das ver­schwun­de­ne Haus

Der Tod im Ka­si­no

Der Mann vom Meer

Auf der Flucht

Die wei­ße Nel­ke

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Über krimischaetze.de

Kri­mi­nal­ro­ma­ne sind heut­zu­ta­ge er­folg­reich wie nie. Kri­mi-Klas­si­ker? Da den­ken die meis­ten so­fort an Aga­tha Chris­tie (1890-1976) oder Ed­gar Wal­lace (1875-1932). Tat­säch­lich ge­hör­ten die bri­ti­schen Au­to­ren zu den ers­ten, die in den »wil­den« 1920er Jah­ren ins Deut­sche über­setzt wur­den. Kri­mi-Fans ken­nen oft auch den Schwei­zer Fried­rich Glau­ser (1896-1938), den Na­mens­ge­ber des Glau­ser-Prei­ses -- eine der wich­tigs­ten Aus­zeich­nun­gen für deutsch­spra­chi­ge Kri­mi-Au­to­ren. Wie viel­fäl­tig die Kri­mi-Sze­ne in der Wei­ma­rer Re­pu­blik war, ist in der brei­ten Öf­fent­lich­keit je­doch voll­kom­men in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Für kri­mis­chaet­ze.de ha­ben sich Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger des Null Pa­pier-Ver­la­ges, und Se­bas­ti­an Brück, Au­tor und Jour­na­list, zu­sam­men­ge­tan, um alte Kri­mi-Best­sel­ler neu zu ent­de­cken und als E-Book ver­füg­bar zu ma­chen -- über­ar­bei­tet, in neu­er Recht­schrei­bung und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen.

Das kri­mis­chaet­ze.de-Pro­gramm star­tet zu­nächst mit sechs Ti­teln -- so­wohl Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen (S.S. Van Dine) und Schwe­di­schen (Ju­li­us Re­gis), als auch deutsch­spra­chi­ge Ori­gi­na­le: In je zwei Fäl­len er­mit­teln Phi­lo Van­ce, der »ame­ri­ka­ni­sche Sher­lock Hol­mes«, und Mau­ri­ce Wal­li­on, der »De­tek­tivre­por­ter« und »Ur­va­ter« von Stieg Lars­sons »Mil­le­ni­um«-Pro­tago­nist Mi­kael Blom­qvist. Eben­falls ver­tre­ten sind die ver­ges­se­nen Wer­ke zwei­er jü­di­scher Au­to­ren: Die in Bu­da­pest, Pa­ris und San Se­bas­tián spie­len­de Kri­mi­ko­mö­die »Fräu­lein Ban­dit« des Ös­ter­rei­chers Jo­seph Del­mont so­wie der hu­mor­vol­le Kri­mi­nal­ro­man »Das ver­schwun­de­ne Haus -- oder: Der Ma­ha­ra­dscha von Bre­cken­dorf« des Frank­fur­ters Karl Ett­lin­ger.

In Zu­kunft wer­den bei www.krimischaetze.de re­gel­mä­ßig wei­te­re Ti­tel er­schei­nen.

Über den Autor

Noch heu­te wird S.S. Van Dine im­mer wie­der ge­mein­sam mit Au­to­ren wie Aga­tha Chris­tie oder Do­ro­thy L. Sayers als Mit­be­grün­der des gol­de­nen Zeit­al­ters des Kri­mi­nal­ro­mans ge­nannt. Wil­liam Hun­ting­ton Wright -- so lau­tet der ech­te Name des US-Au­tors -- wähl­te für sei­ne Kri­mi­nal­ro­ma­ne ein fik­ti­ves Ich-Er­zäh­ler-Pseud­onym: »Van« ist sein drit­ter Vor­na­me und nicht mit dem nie­der­län­di­schen Adelsprä­di­kat zu ver­wech­seln, »S.S.« steht für »steam­ship« (Deutsch: »Dampf­schimpf«).

Wright wur­de 1888 in Vir­gi­nia ge­bo­ren, wo sei­ne El­tern ein Ho­tel führ­ten. Er stu­dier­te mit mä­ßi­gem Er­folg an drei Col­le­ges, un­ter an­de­rem in Har­vard. Da­nach ging er für ein Kunst­stu­di­um nach Mün­chen und Pa­ris. Zu­rück in den USA mach­te er sich in den 1910er Jah­ren einen Na­men als Li­te­ra­tur- und Kunst­kri­ti­ker für die Los An­ge­les Ti­mes so­wie als Re­dak­teur ei­nes Li­te­ra­tur­ma­ga­zins. Au­ßer­dem ver­öf­fent­lich­te er ein Fach­buch über Fried­rich Nietz­sche (»What Nietz­sche Taught«, 1915) -- ein kom­men­tier­ter Über­blick über alle Wer­ke des deut­schen Phi­lo­so­phen -- so­wie meh­re­re Kurz­ge­schich­ten.

Sei­ne Kar­rie­re als Kri­mi-Au­tor be­gann in New York, als er von sei­nem Arzt eine zwei­jäh­ri­ge Bett­ru­he ver­ord­net be­kam -- of­fi­zi­ell auf­grund von Herz­pro­ble­men, tat­säch­lich in Fol­ge sei­ner heim­li­chen Ko­kain­sucht. In die­ser Zeit, ab 1923, wühl­te er sich in­ten­siv durch das Gen­re der Kri­mi­nal- und De­tek­tiv­li­te­ra­tur, die da­mals in li­te­ra­ri­schen Zir­keln einen schlech­ten Ruf hat­te. Wright er­schuf als Ge­gen­pol sei­nen aus der rei­chen und ele­gan­ten Ge­sell­schaft stam­men­den Pro­tago­nis­ten Phi­lo Van­ce, der schnell zum er­folg­reichs­ten Kri­mi-Er­mitt­ler sei­ner Zeit avan­cier­te, bis er ab 1939 -- dem Jahr in dem Wright verstarb -- all­mäh­lich von Ray­mond Chand­lers De­tek­tiv Phi­lip Mar­lo­we ab­ge­löst wur­de.

Über den Romanhelden Philo Vance

Ein ame­ri­ka­ni­scher Sher­lock Hol­mes der 1920er und 1930er -- bis heu­te ist Phi­lo Van­ce im­mer wie­der mit die­sem Eti­kett ver­se­hen wor­den. In der Tat er­in­nert schon die Er­zähl­wei­se an Ar­thur Co­nan Doy­le: In die­sem Fall heißt der Chro­nist nicht Dr. Wat­son, son­dern S.S. Van Dine -- ein gu­ter Freund von Phi­lo Van­ce und des­sen Be­ra­ter und Pri­vat­se­kre­tär.

Phi­lo Van­ce ist Mit­te drei­ßig, groß und kräf­tig, scharf ge­schnit­te­ne Ge­sichts­zü­ge, graue Au­gen -- ein durch­aus at­trak­ti­ver Mann, aber kein Schön­ling. Zu­wei­len wirkt er et­was sno­bis­tisch und di­stan­ziert. Dazu pas­sen auch die stets ta­del­lo­se Klei­dung, sei­ne pri­va­te Kunst­samm­lung so­wie ex­klu­si­ve In­ter­es­sen wie Polo, Hun­de­zucht oder Bo­gen­schie­ßen. Die­ser Typ New Yor­ker kann nur aus der obe­ren Ge­sell­schafts­schicht der Me­tro­po­le stam­men.

Van­ce hat im bri­ti­schen Ox­ford stu­diert, ist durch eine Erb­schaft fi­nan­zi­ell un­ab­hän­gig und wohnt mit sei­nem But­ler Cur­rie in der 38. Stra­ße Ost in ei­nem lu­xu­ri­ösen Stadt­haus -- ein so­ge­nann­tes Brown­sto­ne mit Dach­gar­ten. Durch sei­ne lang­jäh­ri­ge Freund­schaft mit dem Ge­ne­ral­staats­an­walt John Mark­ham wird Phi­lo Van­ce im­mer wie­der in span­nen­de Kri­mi­nal­fäl­le hin­ein­ge­zo­gen. Auch Ser­geant Heath, Lei­ter der Mord­kom­mis­si­on des New York Po­li­ce De­part­ment (NYPD), greift ger­ne auf den Scharf­sinn und die hohe Bil­dung des Ama­teur-De­tek­tivs zu­rück. Kri­mi­nal­fäl­le als in­tel­lek­tu­el­le Her­aus­for­de­rung: In­di­zi­en sam­meln, Fak­ten ana­ly­sie­ren -- dar­in ist Phi­lo Van­ce ähn­lich gut wie ei­ni­ge Jahr­zehn­te vor ihm Sher­lock Hol­mes.

Nach dem durch­schla­gen­den Er­folg der Kri­mi-Rei­he wur­den von 1929 bis 1947 ins­ge­samt fünf­zehn Fil­me mit wech­seln­den Phi­lo Van­ce-Dar­stel­lern ge­dreht. Ein­mal (1930) über­nahm auch der Ame­ri­ka­ner Ba­sil Ra­th­bo­ne die Rol­le, der ein paar Jah­re spä­ter als Sher­lock Hol­mes-Dar­stel­ler welt­be­rühmt wer­den soll­te. Auch für das Ra­dio wur­den die Phi­lo Van­ce-Kri­mis ad­ap­tiert, NBC brach­te in den 1940er Jah­ren drei Hör­spiel­se­ri­en.

Ei­ni­ge Jahr­zehn­te spä­ter gab es das ers­te Re­vi­val: 1974 wag­te das ita­lie­ni­sche Fern­se­hen eine fil­mi­sche Neu­auf­la­ge und dreh­te eine drei­tei­li­ge Mini-Se­rie, 2002 ent­stand ein tsche­chi­scher TV-Film.

Über dieses Buch

Eine feucht­fröh­li­che Par­ty in In­wood -- ei­nem länd­lich ge­präg­ten Stadt­teil im Nor­den von Man­hat­tan: Der Schau­spie­ler San­ford Mon­tague springt zum Ba­den in den »Drachen­teich« der gast­ge­ben­den Fa­mi­lie Stamm -- und taucht nicht wie­der auf. Da­für wer­den nach Ablas­sen des Was­sers auf dem Teich­grund Spu­ren ent­deckt, die de­nen ei­nes Dra­chen äh­neln. Stimmt die alte In­dia­ner-Le­gen­de, nach der ein Seeun­ge­heu­er die Fa­mi­lie Stamm von ih­ren Fein­den be­schützt? Phi­lo Van­ce er­mit­telt -- und stößt auf eine in Ei­fer­sucht, Hass, Int­ri­gen und Aber­glau­ben ver­strick­te Ge­sell­schaft, in der je­der ver­däch­tig scheint ...

Der Kri­mi aus der Phi­lo Van­ce-Rei­he wur­de 1934 er­folg­reich ver­filmt. Mit die­ser Aus­ga­be bei kri­mis­chaet­ze.de ist die deut­sche Er­st­über­set­zung erst­mals als E-Book ver­füg­bar.

Handelnde Personen

Phi­lo Van­ce: Pri­va­ter Er­mitt­ler in New York.

S.S. Van Dine: Pri­vat­se­kre­tär von Phi­lo Van­ce und im Hin­ter­grund blei­ben­der Ich-Er­zäh­ler. Wird von Phi­lo Van­ce mit sei­nem drit­ten Vor­na­men »Van« an­ge­spro­chen.

John Mark­ham: Be­zirks­staats­an­walt von New York.

Ser­geant Heath: Lei­ter der Mord­kom­mis­si­on des New York Po­li­ce De­part­ment (NYPD)

San­ford Mon­tague: Ein gut­aus­se­hen­der Schau­spie­ler, der beim Ba­den im Drachen­teich ver­schwun­den ist.

Ru­dolph Stamm: Ober­haupt ei­ner rei­chen New Yor­ker Fa­mi­lie

Mat­hil­da Stamm: Sei­ne Mut­ter

Ber­ni­ce Stamm: Sei­ne Schwes­ter und Ver­lob­te von Mon­tague

Le­land: Gu­ter Freund des Hau­ses Stamm, hat die Po­li­zei in­for­miert.

Alex Greeff: Be­kann­ter Bör­sen­mak­ler und Finanz­be­ra­ter der Fa­mi­lie Stamm

Kir­win Ta­tum: Le­bens­künst­ler mit schlech­tem Ruf, ist in Ber­ni­ce Stamm ver­liebt

»Tee­ny« McAdam: Ver­gnü­gungs­süch­ti­ge Wit­we. Hat ein Auge auf Ru­dolph Stamm ge­wor­fen.

Ru­by Stee­le: Ex­zen­tri­sche Künst­le­rin

Trai­nor: But­ler im Hau­se Stamm

Dr. Hol­li­day: Haus­arzt der Stamms

Hen­nes­sey, Bur­ke, Snit­kin: De­tec­ti­ves des NYPD

Dr. Ema­nu­el Do­re­mus: New Yor­ker Po­li­zei­arzt und Lei­chen­be­schau­er

Cur­rie: Eng­li­scher But­ler und Haus­meis­ter von Phi­lo Van­ce

1. Die Tragödie

(Sonn­abend, 11. Au­gust, 23.45 Uhr)

Phi­lo Van­ce hat­te eine Fe­ri­en­rei­se nach Nor­we­gen ge­plant, aber eine wis­sen­schaft­li­che Ar­beit über Ägyp­ten nahm ihn so in An­spruch, dass er in Ame­ri­ka blieb. Auf die­se Wei­se wur­de er in die Un­ter­su­chung ei­nes der selt­sams­ten Mord­fäl­le der Kri­mi­nal­ge­schich­te hin­ein­ge­zo­gen.

Kurz nach sei­ner Stu­den­ten­zeit auf der Har­vard-Uni­ver­si­tät hat­te er mich ge­be­ten, als Rechts­an­walt und Ver­mö­gens­ver­wal­ter für ihn tä­tig zu sein, und ich fühl­te eine so große Zu­nei­gung und Be­wun­de­rung für ihn, dass ich dar­auf ein­ging und aus der Fir­ma mei­nes Va­ters Van Dine, Da­vis & Van Dine aus­trat. Die­sen Ent­schluss habe ich nie­mals be­reut, denn der Um­gang mit Phi­lo Van­ce er­mög­lich­te es mir, au­then­tisch über die ver­schie­de­nen Ver­bre­chen zu be­rich­ten, die er ganz al­lein auf­klär­te.

Mit die­sem be­son­de­ren Fall brach­ten ihn sei­ne freund­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen zu John Mark­ham in Berüh­rung, dem Be­zirks­staats­an­walt von New York.

Es war am 11. Au­gust, und es ging auf Mit­ter­nacht zu. Mark­ham hat­te mit mei­nem Freund und mir zu­sam­men im Dach­gar­ten von Van­ces Woh­nung zu Abend ge­ges­sen, und wir drei hat­ten uns zwang­los über die ver­schie­dens­ten Din­ge un­ter­hal­ten. Wir wa­ren alle et­was müde und ab­ge­spannt, und all­mäh­lich ent­stan­den im­mer grö­ße­re Pau­sen im Ge­spräch. Drau­ßen war es schwül und drückend. Stun­den­lang hat­te es ge­reg­net, und erst ge­gen zehn Uhr abends hat­te das Un­wet­ter auf­ge­hört. Van­ce hat­te ge­ra­de einen küh­len Drink für uns ge­mischt, als Cur­rie, sein But­ler, in der Tür zum Dach­gar­ten er­schi­en.

»Mr. Mark­ham wird drin­gend am Te­le­fon ge­wünscht«, mel­de­te er. »Ich habe mir er­laubt, den Ap­pa­rat gleich mit­zu­brin­gen. Es ist Ser­geant Heath.«

Mark­ham sah är­ger­lich und über­rascht auf, nick­te aber. Sei­ne Un­ter­re­dung mit dem Ser­geant dau­er­te nicht lan­ge, und als er den Hö­rer zu­rück­leg­te, run­zel­te er die Stirn.

»Son­der­ba­re Ge­schich­te«, brumm­te er. »Das sieht Heath gar nicht ähn­lich. Er macht sich Ge­dan­ken über eine Sa­che und will mich un­be­dingt se­hen. Um was es sich han­delt, hat er nicht ge­sagt, und ich habe auch nicht dar­auf ge­drun­gen. Er hat bei mir zu Hau­se er­fah­ren, dass ich hier bin. Der merk­wür­di­ge Ton, in dem er mit mir sprach, ge­fiel mir nicht, des­halb sag­te ich Heath, er sol­le her­kom­men. Hof­fent­lich ha­ben Sie nichts da­ge­gen, Van­ce.«

»Im Ge­gen­teil«, er­wi­der­te mein Freund und setz­te sich be­que­mer in den Lehn­stuhl. »Ich habe den tüch­ti­gen Ser­geant schon mo­na­te­lang nicht mehr ge­se­hen ... Cur­rie«, rief er, »brin­gen Sie Whis­ky und Soda. Ser­geant Heath kommt.« Dann wand­te er sich wie­der zu Mark­ham. »Ich hof­fe, es ist kein Un­glück ge­sche­hen. Vi­el­leicht hat ihn die Hit­ze zu sehr mit­ge­nom­men.«

Mark­ham schüt­tel­te be­sorgt den Kopf.

»Es ge­hört mehr als die­se Hit­ze dazu, um Heath aus dem Gleich­ge­wicht zu brin­gen.« Er zuck­te die Schul­tern. »Nun, wir wer­den ja bald hö­ren, was los ist.« Un­ge­fähr zwan­zig Mi­nu­ten spä­ter kam der Ser­geant. Als er auf den Dach­gar­ten hin­austrat, wisch­te er sich die Stirn mit ei­nem großen Ta­schen­tuch, und nach­dem er uns alle et­was geis­tes­ab­we­send be­grüßt hat­te, ließ er sich in einen Ses­sel sin­ken und griff nach dem Glas Whis­ky-Soda, das Van­ce ihm zu­schob.

»Ich war eben in In­wood«,1 er­klär­te er sei­nem Vor­ge­setz­ten. »Es ist je­mand ver­schwun­den, und die Sa­che kommt mir ver­däch­tig vor.«

Mark­ham sah ihn düs­ter an. »Wes­halb?«

»Heu­te Abend um zehn Uhr fünf­und­vier­zig ruft ein ge­wis­ser Le­land die Mord­kom­mis­si­on an und sagt, dass sich auf dem al­ten Land­sitz der Fa­mi­lie Stamm in In­wood eine Tra­gö­die ab­ge­spielt hät­te, und dass ich so­fort hin­kom­men sol­le ...«

»Das ist al­ler­dings der ge­ge­be­ne Platz für ein Ver­bre­chen«, un­ter­brach ihn Van­ce. »Die Stamms ha­ben eine der äl­tes­ten Park­vil­len der Stadt. Vor un­ge­fähr hun­dert Jah­ren wur­de sie ge­baut, und man er­zählt sich vie­le son­der­ba­re Ge­schich­ten dar­über.«

Heath sah ihn er­leich­tert an. »Ja, ganz recht. Das­sel­be Ge­fühl hat­te ich auch, als ich hin­kam. Na­tür­lich habe ich Le­land ge­fragt, was pas­siert ist. Da­rauf er­fuhr ich, dass der Schau­spie­ler Mon­tague dort beim Ba­den in das Schwimm­bas­sin ge­taucht und nicht mehr zum Vor­schein ge­kom­men war.«

»Han­delt es sich viel­leicht um den al­ten Drachen­teich?«, frag­te Van­ce, rich­te­te sich auf und lang­te nach ei­ner Zi­ga­ret­te.

»Ja. Ich habe den Na­men al­ler­dings heu­te Abend zum ers­ten Mal ge­hört. Ich sag­te Le­land, dass ich mich nicht da­mit be­fas­sen könn­te, aber er be­stand dar­auf und er­klär­te, dass sich die Po­li­zei so­fort um die An­ge­le­gen­heit küm­mern müs­se. Er sprach so ein­dring­lich, dass es Ein­druck auf mich mach­te. Sein Eng­lisch hat­te kei­nen aus­län­di­schen Ak­zent, trotz­dem glau­be ich nicht, dass er Ame­ri­ka­ner ist. Ich frag­te ihn, warum ge­ra­de er an­rie­fe, wenn sich bei den Stamms et­was er­eig­net hät­te. Da­rauf er­wi­der­te er, dass er ein al­ter Freund der Fa­mi­lie sei und die Tra­gö­die mit­er­lebt hät­te. Stamm wäre au­ßer­dem nicht in der Lage, selbst zu te­le­fo­nie­ren, des­halb hät­te er sich im Au­gen­blick der Sa­che an­ge­nom­men. Mehr konn­te ich nicht aus ihm her­aus­brin­gen.«

»Und dar­auf­hin sind Sie hin­aus­ge­fah­ren?«, frag­te Mark­ham.

»Ja.« Heath nick­te ver­le­gen. »Ich nahm Hen­nes­sey, Bur­ke und Snit­kin mit, und wir fuh­ren in ei­nem Dien­st­au­to hin.«

»Und was fan­den Sie?«

»Nichts!«, ent­geg­ne­te Heath ner­vös. »Ich fand nur be­stä­tigt, was ich am Te­le­fon ge­hört hat­te. Zum Wo­che­n­en­de hat­te Stamm ei­ni­ge Da­men und Her­ren ein­ge­la­den. Mon­tague ge­hör­te auch zu den Gäs­ten und hat­te zur Er­ho­lung ein Bad im Drachen­teich vor­ge­schla­gen. Vor­her hat­ten die Leu­te an­schei­nend et­was zu viel ge­trun­ken. Sie gin­gen zum Was­ser hin­un­ter und zo­gen sich aus ...«

»Ei­nen Au­gen­blick, Ser­geant«, un­ter­brach ihn Van­ce. »War Le­land auch be­trun­ken?«

»Nein. Er hat­te einen kla­ren Kopf be­wahrt, aber er mach­te trotz­dem einen et­was merk­wür­di­gen Ein­druck. Es schi­en ihn sehr zu be­ru­hi­gen, dass ich kam. Er nahm mich bei­sei­te und sag­te mir, ich sol­le die Au­gen of­fen­hal­ten. Na­tür­lich frag­te ich ihn, was er da­mit mei­ne, aber nun tat er plötz­lich gleich­gül­tig und er­wi­der­te nur, dass sich frü­her selt­sa­me Vor­gän­ge in die­ser Ge­gend ab­ge­spielt hät­ten und heu­te Abend et­was Be­son­de­res pas­siert wäre.«

»Ich glau­be, ich weiß, was er meint«, ent­geg­ne­te Van­ce. »Die­ser Stadt­teil ist von vie­len Le­gen­den um­spon­nen --- Alt­wei­ber­mär­chen und aber­gläu­bi­sche Ge­schich­ten, die von In­dia­nern über­lie­fert wur­den.«

»Nun gut«, nahm der Ser­geant sei­nen Be­richt wie­der auf. »Nach­dem alle an den Teich ge­gan­gen wa­ren, trat Mon­tague auf das Sprung­brett und mach­te einen Kopf­sprung, aber er kam nicht mehr zum Vor­schein.« »Wo­her wuss­ten denn die an­de­ren so be­stimmt, dass er nicht wie­der an die Ober­flä­che kam?«, frag­te Mark­ham. »Es muss doch nach dem Re­gen sehr dun­kel ge­we­sen sein. Jetzt ist es ja noch be­wölkt.«

»Der Teich war hell er­leuch­tet«, er­klär­te Heath. »Sie ha­ben min­des­tens ein Dut­zend Lam­pen am Was­ser.«

»Gut, fah­ren Sie fort!« Mark­ham griff un­ge­dul­dig nach sei­nem Glas. »Was er­eig­ne­te sich dann?«

»Nicht viel. Die an­de­ren Her­ren tauch­ten nach ihm und ver­such­ten, ihn im Was­ser zu fin­den, aber nach un­ge­fähr zwan­zig Mi­nu­ten ga­ben sie es auf. Le­land sag­te ih­nen, es wäre bes­ser, wenn sie wie­der ins Haus gin­gen. Er wür­de die Be­hör­den ver­stän­di­gen.«

»Selt­sam, dass er das ge­tan hat, die Sa­che sieht nicht nach ei­nem Kri­mi­nal­fall aus«, mein­te Mark­ham nach­denk­lich.

»Ge­wiss ist das selt­sam«, stimm­te Heath eif­rig zu. »Aber was ich fand, war noch viel selt­sa­mer.«

Van­ce blies eine Rauch­wol­ke zur De­cke. »Die­se ro­man­ti­sche Ge­gend von New York macht also schließ­lich doch noch ih­rem Ruf Ehre. Was ha­ben Sie denn ge­fun­den, Ser­geant?«

»Zu­nächst war Stamm schwer be­trun­ken, und ein Dok­tor aus der Nach­bar­schaft be­müh­te sich, ihn wie­der zu sich zu brin­gen. Stamms jün­ge­re Schwes­ter ein hüb­sches Mäd­chen von un­ge­fähr fünf­und­zwan­zig Jah­ren -- hat­te einen Wein­krampf und fiel von ei­ner Ohn­macht in die an­de­re. Die vier oder fünf üb­ri­gen Gäs­te mach­ten Aus­flüch­te und Ent­schul­di­gun­gen, statt so­fort of­fen Aus­kunft zu ge­ben. Und wäh­rend der gan­zen Zeit ging Le­land hin und her, zog die Au­gen­brau­en hoch und mach­te ein Ge­sicht, als ob er viel mehr wüss­te, als er mir ge­sagt hat­te. Dann ha­ben sie dort drau­ßen einen son­der­ba­ren But­ler, der um­her­schleicht wie auf Filz­soh­len.«

»Ja, ja.« Van­ce nick­te ernst. »Al­les sehr ge­heim­nis­voll ... wie in ei­nem Schau­er­ro­man. Der Wind fuhr stöh­nend durch die Fich­ten, und eine Eule schrie in der Fer­ne. Vom Dach­ge­schoss her ka­men ra­scheln­de Lau­te, eine Tür knarr­te, und dann klopf­te es, nicht wahr, Ser­geant? Hier, trin­ken Sie noch einen Whis­ky-Soda, Sie zit­tern ja an al­len Glie­dern.« Sei­ne Stim­me klang be­lus­tigt, aber un­ter halb­ge­schlos­se­nen Au­gen sah er Heath scharf an, und der Ton sei­ner Stim­me ver­riet, dass er den Be­richt viel erns­ter nahm, als man nach sei­nen Wor­ten hät­te ver­mu­ten kön­nen. Ich er­war­te­te, dass sich Heath ver­letzt füh­len wür­de, aber ich täusch­te mich.

»Sie schil­dern die Si­tua­ti­on ganz rich­tig, Mr. Van­ce«, sag­te er.

Mark­ham wur­de är­ger­lich. »Ich fin­de wirk­lich nichts Be­son­de­res an dem Fall«, wi­der­sprach er. »Ein Mann springt in ein Schwimm­bas­sin, stößt mit dem Kopf auf den Grund und er­trinkt. Und was Sie sonst be­rich­tet ha­ben, lässt sich auch auf ganz na­tür­li­che Wei­se er­klä­ren. Es ist nicht un­ge­wöhn­lich, dass je­mand be­trun­ken ist, und dass eine Frau nach ei­nem sol­chen Un­glück hys­te­ri­sche Zu­stän­de be­kommt, hat man doch schon oft ge­nug er­lebt. Selbst­ver­ständ­lich woll­ten sich die an­de­ren Gäs­te nach dem trau­ri­gen Vor­fall emp­feh­len. Le­land hat die ein­fa­che Ge­schich­te eben auf­ge­bauscht. Au­ßer­dem ha­ben Sie ja schon im­mer eine Ab­nei­gung ge­gen den But­ler ge­habt. Die Mord­ab­tei­lung hat nichts mit die­sem Fall zu tun, denn ein Mord­ver­dacht ist schon da­durch aus­ge­schlos­sen, dass Mon­tague selbst das Bad im Teich vor­schlug. Das war an ei­nem so hei­ßen Abend ein sehr ver­nünf­ti­ger Ein­fall. Dass er nicht wie­der auf­tauch­te, muss doch nicht ein Ver­bre­chen vor­aus­set­zen.«

Heath zuck­te die Schul­tern und steck­te sich eine Zi­gar­re an. »Das habe ich mir auch ge­sagt«, er­wi­der­te er hart­nä­ckig. »Aber die Ge­schich­te hat be­stimmt einen Ha­ken.«

Mark­ham ver­zog den Mund und sah den Ser­geant nach­denk­lich an. »Ha­ben Sie noch einen an­de­ren Grund für die­se An­nah­me?«, frag­te er nach ei­ner Pau­se.

Heath ant­wor­te­te nicht so­fort. Of­fen­bar wuss­te er noch mehr, über­leg­te aber, ob er da­von er­zäh­len soll­te. Schließ­lich rich­te­te er sich auf und nahm die Zi­gar­re aus dem Mund. »Die Fi­sche ge­fal­len mir nicht!«, sag­te er plötz­lich.

»Fi­sche?«, wie­der­hol­te Mark­ham er­staunt. »Was für Fi­sche?«

Der Ser­geant zö­ger­te wie­der.

»Ich glau­be, ich kann Ih­nen das er­klä­ren, Mark­ham«, warf Van­ce ein. »Ru­dolph Stamm ist ei­ner der be­deu­tends­ten Aqua­ri­en­be­sit­zer in Ame­ri­ka und hat eine her­vor­ra­gen­de Samm­lung von Tro­pen­fi­schen. Vor al­lem ist es ihm ge­lun­gen, sel­te­ne, we­nig be­kann­te Ar­ten zu züch­ten. Seit zwan­zig Jah­ren ist das sei­ne Lieb­ha­be­rei, und er macht dau­ernd Ex­pe­di­tio­nen -- an den Ama­zo­nas, nach Siam, In­di­en, Pa­ra­guay, Bra­si­li­en und auf die Ber­mu­das. Er hat auch schon Rei­sen nach Chi­na und den Ori­no­co hin­auf un­ter­nom­men. Erst vor ei­nem Jahr wa­ren die Zei­tun­gen voll von Be­rich­ten über sei­ne Rei­se nach Li­be­ria und den Kon­go.«

»Es sind son­der­ba­re Ge­schöp­fe«, sag­te Heath. »Ei­ni­ge se­hen aus wie Seeun­ge­heu­er, die nicht aus­ge­wach­sen sind.«

»Trotz­dem sind sie in Form und Far­be sehr schön«, mein­te Van­ce lä­chelnd.

»Aber das war noch nicht al­les«, fuhr Heath fort, ohne auf die letz­te Be­mer­kung zu ach­ten. »Die­ser Stamm hat auch Ei­dech­sen und klei­ne Kro­ko­di­le ...«

»Wahr­schein­lich auch Schild­krö­ten, Frösche und Schlan­gen?«

»Na­tür­lich hat er Schlan­gen!« Der Ser­geant schnitt eine ver­ächt­li­che Gri­mas­se. »Eine gan­ze Men­ge! Sie krie­chen aus fla­chen Was­ser­tanks her­aus ...«

»Ja.« Van­ce nick­te. »Stamm be­sitzt auch ein Ter­ra­ri­um ne­ben sei­nen Fi­schen. Man fin­det ja häu­fig bei­des zu­sam­men.«

Mark­ham brumm­te. »Vi­el­leicht hat sich Mon­tague nur einen Scherz mit den an­de­ren Gäs­ten er­laubt«, sag­te er schließ­lich. »Wo­her wis­sen Sie denn, dass er nicht un­ter Was­ser zur an­de­ren Sei­te des Tei­ches ge­schwom­men und am jen­sei­ti­gen Ufer ver­schwun­den ist? Es war doch dun­kel ge­nug, dass die an­de­ren ihn nicht se­hen konn­ten.«

»Ge­wiss, das Licht der Lam­pen reicht nicht ganz über das Was­ser, aber die­se Er­klä­rung schei­det aus. Ich dach­te zu­nächst auch, dass sich die Sa­che so ver­hal­ten könn­te, nach­dem die Ge­sell­schaft so viel ge­trun­ken hat­te, aber das jen­sei­ti­ge Ufer des Tei­ches wird von ei­ner stei­len Fel­sen­klip­pe ge­bil­det. Sie dürf­te etwa drei­ßig Me­ter hoch sein. Am obe­ren Ende des Teichs, wo der Zuf­luss ein­mün­det, be­fin­det sich ein großer Fil­ter. Es wür­de ei­nem Mann schwer fal­len, hin­auf­zu­klet­tern, au­ßer­dem liegt der Fil­ter noch im Be­reich der Lam­pen, so dass alle Gäs­te Mon­tague hät­ten se­hen müs­sen. Das un­te­re Ende des Teichs ist durch eine hohe Ze­ment­mau­er ab­ge­dämmt, die jen­seits etwa sechs Me­ter auf fel­si­gen Grund ab­fällt. Nie­mand wird es ris­kie­ren, dort hin­un­ter­zu­sprin­gen, nur um sich einen Scherz zu er­lau­ben. An der dem Haus zu­ge­kehr­ten Sei­te, wo sich das Sprung­brett be­fin­det, ist eine Stütz­mau­er aus Be­ton ge­zo­gen, die ein Schwim­mer er­klet­tern kann, aber dann ge­rät er auch in das hel­le Licht der Ufer­lam­pen.«

»Und Mon­tague hät­te den Teich auf kei­nem an­de­ren Weg un­ge­se­hen ver­las­sen kön­nen?«

»Doch, es gibt noch einen, aber den hat er nicht ge­wählt. Zwi­schen dem Fil­ter und der Fel­sen­klip­pe jen­seits des Tei­ches liegt näm­lich eine freie Stel­le von un­ge­fähr fünf Me­tern, die zu dem nied­ri­ger ge­le­ge­nen Teil des Parks führt. Dort ist es sehr dun­kel, und man kann von drü­ben aus nicht hin­über­se­hen.«

»Dann klärt sich der Fall wahr­schein­lich auf die­se Wei­se auf.«

»Nein, Mr. Mark­ham«, ver­si­cher­te Heath nach­drück­lich. »So­bald ich die Lage des Teichs und des Ge­län­des über­se­hen konn­te, nahm ich Hen­nes­sey mit, und wir such­ten an dem fünf Me­ter brei­ten Ufer­strei­fen nach Fuß­spu­ren. Sie wis­sen, dass es den gan­zen Abend ge­reg­net hat. Fuß­ab­drücke ir­gend­wel­cher Art wä­ren deut­lich zu se­hen ge­we­sen, aber der gan­ze Bo­den war eben. Wir gin­gen so­gar wei­ter bis zu der klei­nen Ra­sen­flä­che, weil wir dach­ten, Mon­tague wäre viel­leicht auf einen Fels­vor­sprung ge­klet­tert und von dort auf den Ra­sen ge­sprun­gen. Aber wir ent­deck­ten nichts.«

»Dann wird man ihn wahr­schein­lich fin­den, wenn der Teich ab­ge­sucht wird«, sag­te Mark­ham. »Ha­ben Sie ver­an­lasst, dass das ge­schieht?«

»Das hat heu­te Nacht kei­nen Zweck mehr. Es wür­de zwei oder drei Stun­den dau­ern, bis wir ein Boot und lan­ge Ha­ken an Ort und Stel­le hät­ten, und im Dun­keln kann man so­wie­so nicht viel er­rei­chen. Aber mor­gen in al­ler Frü­he ma­chen sich die Leu­te so­fort dar­an.«

»Nun, dann wüss­te ich nicht, was wir heu­te Abend noch tun soll­ten«, er­wi­der­te Mark­ham un­ge­dul­dig. »So­bald der Tote ge­fun­den ist, wird der Po­li­zei­arzt ge­ru­fen, und der wird Ih­nen wahr­schein­lich er­klä­ren, dass der Mann sich den Schä­del ge­bro­chen hat und dass es sich um einen Un­glücks­fall han­delt.«

Die­se Wor­te be­deu­te­ten ei­gent­lich eine Ver­ab­schie­dung, aber Heath ließ sich nicht fort­schi­cken. Ich hat­te den Ser­geant noch nie­mals so zäh und hart­nä­ckig ge­se­hen.

»Sie mö­gen recht ha­ben«, ent­geg­ne­te er zö­gernd, »aber ich bin an­de­rer An­sicht und vor al­lem her­ge­kom­men, um Sie zu bit­ten, nach In­wood hin­aus­zu­fah­ren und sich selbst ein­mal dort um­zu­se­hen.«

Ein ge­wis­ser Un­ter­ton in der Stim­me des Be­am­ten ließ Mark­ham auf­hor­chen. »Was ha­ben Sie denn ei­gent­lich bis jetzt un­ter­nom­men?«, frag­te der Staats­an­walt nach ei­ner Pau­se.

»Noch nicht viel«, ge­stand der Ser­geant. »Ich hat­te ja kaum Zeit dazu. Na­tür­lich schrieb ich die Na­men und Adres­sen al­ler An­we­sen­den auf und be­frag­te sie in der üb­li­chen Wei­se. Stamm konn­te ich nicht spre­chen, weil der Arzt sich noch um ihn be­müh­te. Die meis­te Zeit habe ich da­mit ver­bracht, mich am Teich um­zu­schau­en, weil ich hoff­te, da­bei et­was her­aus­zu­be­kom­men, aber ich hat­te kei­nen Er­folg. Schließ­lich ging ich ins Haus und rief Sie an. Ich ließ die drei Be­am­ten dort zu­rück und sag­te den an­de­ren, dass sie nicht fort­ge­hen dürf­ten, bis ich zu­rück­käme. Und dann fuhr ich zu Ih­nen.«

»Sie sind also da­von über­zeugt, dass ein Ver­bre­chen vor­liegt?«, frag­te Mark­ham.

»So weit will ich nicht ge­hen, aber die Ge­schich­te ge­fällt mir nicht. Die Be­zie­hun­gen der Leu­te un­ter­ein­an­der sind auch sehr merk­wür­dig, je­der scheint auf je­den ei­fer­süch­tig zu sein. Meh­re­re der Män­ner sind ver­liebt in das­sel­be Mäd­chen, und nie­mand -- mit Aus­nah­me von Stamms Schwes­ter -- schi­en sich et­was dar­aus zu ma­chen, dass Mon­tague nicht mehr auf­tauch­te. Ich glau­be, es schi­en ih­nen so­gar ent­ge­gen­zu­kom­men, und das konn­te ich nicht ver­ste­hen. Auch Miss Stamm trau­er­te of­fen­bar nicht so sehr um Mon­tague. Ich kann es nur schwer er­klä­ren, aber ich mei­ne, dass sie sich über et­was ganz an­de­res auf­reg­te, das mit sei­nem Ver­schwin­den zu­sam­men­hängt.«

»Trotz­dem hal­te ich es für rich­tig, bis mor­gen zu war­ten«, er­wi­der­te Mark­ham.

Wäh­rend sich der Staats­an­walt und Heath un­ter­hiel­ten, lehn­te sich Van­ce be­quem in sei­nem Ses­sel zu­rück und rauch­te. Er wirk­te ab­we­send, aber ich wuss­te, dass er sich stark für al­les in­ter­es­sier­te, was ge­spro­chen wur­de. Plötz­lich drück­te er sei­ne Zi­ga­ret­te aus und er­hob sich. »Mark­ham, al­ter Jun­ge, wir soll­ten wirk­lich mit dem Ser­geant hin­aus­fah­ren. Es kann nicht im Ge­rings­ten scha­den, und die Nacht ist so­wie­so zu heiß zum Schla­fen. Ein we­nig Ablen­kung hilft uns über die Hit­ze weg.«

Mark­ham sah ihn über­rascht an. »Wa­rum wol­len Sie denn mit­kom­men?«

»Weil ich mich un­ge­heu­er für Stamms Fi­sche in­ter­es­sie­re«, ent­geg­ne­te Van­ce und un­ter­drück­te ein Gäh­nen. »Ich habe mich näm­lich selbst frü­her ein­mal mit der Zucht sia­me­si­scher Kampf­fi­sche und ähn­li­cher Tie­re ab­ge­ge­ben.«

Mark­ham schau­te ihn ei­ni­ge Se­kun­den an, ohne et­was zu er­wi­dern. Er kann­te Van­ce gut und wuss­te, dass ganz an­de­re Grün­de für ihn maß­ge­bend wa­ren. Schließ­lich stand er auch auf und sah auf sei­ne Uhr. »Es ist schon nach Mit­ter­nacht«, sag­te er wi­der­wil­lig. »Na­tür­lich ist das die pas­sends­te Zeit, ein Aqua­ri­um zu be­su­chen! Wol­len wir im Dien­st­au­to fah­ren, oder neh­men wir Ihren Wa­gen?«

»Selbst­ver­ständ­lich neh­men wir mei­nen.«

Van­ce klin­gel­te Cur­rie und ließ sich Hut und Stock brin­gen.

In­wood ist ein Vier­tel im nörd­li­chen Teil des New Yor­ker Stadt­be­zirks Man­hat­tan. Es ist eher hü­ge­lig, durch Hud­son Ri­ver und Har­lem Ri­ver an drei Sei­ten von Was­ser um­ge­ben und le­dig­lich durch den Broad­way und eine wei­te­re Stra­ße mit dem Haupt­teil Man­hat­t­ans ver­bun­den. Zur Zeit der Ro­man­hand­lung war In­wood noch eher länd­lich ge­prägt. Die Be­woh­ner wa­ren meist iri­scher oder jü­di­scher Ab­stam­mung. Von den 1960er bis zu den 1980er Jah­ren ver­än­der­te sich die Be­völ­ke­rungs­struk­tur, vie­le alt­ein­ge­ses­se­ne Fa­mi­li­en zo­gen in Vo­r­or­te oder an­de­re Vier­tel New Yorks. Da­für wur­den vie­le Zu­wan­de­rer aus der Do­mi­ni­ka­ni­schen Re­pu­blik in In­wood hei­misch.  <<<

2. Eine verblüffende Beschuldigung

(Sonn­tag, 12. Au­gust, 0.30 Uhr)

Ser­geant Heath fuhr vor­aus, Mark­ham, Van­ce und ich folg­ten in dem Wa­gen mei­nes Freun­des. Von der Dy­ck­man Street wand­ten wir uns west­lich zur Pay­son Ave­nue und von dort zu der sich steil nach oben win­den­den Bol­ton Road. Als wir den höchs­ten Punkt er­reicht hat­ten, bo­gen wir in einen brei­ten Pri­vat­weg ein und fuh­ren bis zur Höhe des Hü­gels, auf dem das be­kann­te Haus der Fa­mi­lie Stamm stand. Das Grund­stück lag zwi­schen Ze­dern, Ei­chen und Fich­ten, ru­hi­gen Ra­sen­flä­chen und Fel­spar­ti­en. Und ob­wohl man fast zu je­der Sei­te einen Aus­blick auf das mo­der­ne New York hat­te, über­kam mich doch ein Ge­fühl von Ab­ge­schie­den­heit in die­ser Ge­gend. Plötz­lich schi­en ich weit ent­fernt zu sein von all dem ge­schäf­ti­gen Trei­ben der Welt­stadt und er­kann­te, wie we­nig In­wood in die jet­zi­ge Zeit pass­te. Das Ge­län­de mit sei­nen großen Bäu­men, sei­nen al­ten Häu­sern, sei­ner Wild­nis und sei­ner länd­li­chen Stil­le ge­hör­te wohl zu Man­hat­tan, aber es schi­en weit weg in ei­nem an­de­ren Land zu lie­gen.

Als wir auf einen klei­nen Park­platz am Ende des Pri­vat­we­ges ein­bo­gen, sa­hen wir einen al­ten Ford un­ge­fähr fünf­zig Me­ter vor der Haus­tür ste­hen.

»Er ge­hört dem Arzt«, be­merk­te Heath, als er aus­stieg. »Die Ga­ra­ge liegt wei­ter un­ten öst­lich vom Haus.«

Er führ­te uns zu der Bron­ze­tür hin­auf. Wir tra­fen De­tec­ti­ve Snit­kin in der klei­nen Vor­hal­le, de­ren Wän­de mit dunklem Ei­chen­holz ver­klei­det wa­ren. »Ich bin froh, dass Sie wie­der hier sind, Ser­geant«, sag­te der Be­am­te, nach­dem er uns be­grüßt hat­te.

»Ih­nen ge­fällt es hier wohl auch nicht?«, frag­te Van­ce.

»Es ist hier un­heim­lich«, er­wi­der­te Snit­kin und ging auf die in­ne­re Tür zu.

»Ist noch et­was pas­siert?«, frag­te Heath.

»Nein. Aber Stamm ist wie­der zu sich ge­kom­men.« Snit­kin klopf­te drei­mal an die Tür.

Gleich dar­auf öff­ne­te der But­ler, der uns miss­trau­isch be­trach­te­te. »Ist es wirk­lich not­wen­dig, dass so vie­le Be­am­te ins Haus kom­men?«, frag­te er den Ser­geant höf­lich, wäh­rend er die Tür zö­gernd auf­hielt. »Sie müs­sen wis­sen, dass Mr. Stamm ...«

»Ich habe hier zu be­stim­men«, schnitt ihm Heath kurz das Wort ab, »und Sie ha­ben mei­ne Auf­trä­ge aus­zu­füh­ren und kei­ne Fra­gen zu stel­len.«

Der But­ler ver­neig­te sich und schloss die Tür hin­ter uns. »Was be­feh­len Sie?«

»Sie blei­ben hier an der Haus­tür«, ent­geg­ne­te Heath schroff, »und las­sen nie­mand her­ein.« Dann wand­te er sich an Snit­kin, der uns in die ge­räu­mi­ge Hal­le ge­folgt war. »Wo sind die Stamms und die Gäs­te, und was ma­chen sie?«

»Stamm ist mit dem Dok­tor drü­ben in der Biblio­thek.« Snit­kin deu­te­te mit dem Dau­men auf einen schwe­ren Tür­vor­hang im Hin­ter­grund der Hal­le. »Die an­de­ren habe ich auf ihre Zim­mer ge­schickt, wie Sie mir sag­ten. Bur­ke be­wacht die Hin­ter­tür, und Hen­nes­sey ist un­ten beim Teich.«

Heath brumm­te. »Was soll nun zu­erst ge­sche­hen?«, wand­te er sich an Mark­ham. »Soll ich Ih­nen die Lage des Ge­län­des er­klä­ren und Ih­nen den Teich zei­gen, oder wol­len Sie zu­erst je­mand ver­neh­men?«

»Ich bin da­für, dass wir erst ein paar Fra­gen an die Leu­te rich­ten«, sag­te Van­ce. »Vor al­lem möch­te ich er­fah­ren, was sich vor­her zu­ge­tra­gen hat und die An­sich­ten der ein­zel­nen Gäs­te hö­ren. Der Teich kann bis spä­ter war­ten. Wir müs­sen erst ein­mal die Hin­ter­grün­de die­ses merk­wür­di­gen Vor­falls ken­nen.«

»Mir ist es gleich, was wir zu­erst un­ter­neh­men«, er­wi­der­te Mark­ham skep­tisch. »Je eher wir wis­sen, was hier los ist, de­sto bes­ser.«

*

Van­ce sah sich flüch­tig in der Hal­le um. Gro­ße, ver­bli­che­ne Öl­ge­mäl­de hin­gen an den Wän­den, an der Tür schwe­re Fal­ten­vor­hän­ge. Der Raum mach­te einen düs­te­ren Ein­druck. Die Luft war muf­fig.

»Wir wol­len ins Wohn­zim­mer ge­hen«, sag­te Mark­ham är­ger­lich. »Wo ist es, Ser­geant?«

Heath zeig­te auf einen schwe­ren Vor­hang zur Rech­ten, und wir setz­ten uns ge­ra­de in Be­we­gung, als je­mand lei­se die Trep­pe her­un­ter­kam und aus dem Schat­ten zu uns sprach: »Kann ich ir­gend­wie be­hilf­lich sein, mei­ne Her­ren?« Ein großer Mann kam auf uns zu. Als er in den Licht­schein ei­nes al­ter­tüm­li­chen Kris­tall­kron­leuch­ters trat, sa­hen wir eine un­ge­wöhn­li­che und -- wie mir schi­en -- düs­te­re Ge­stalt.

Er war über einen Me­ter acht­zig groß, da­bei schlank und elas­tisch. In sei­nem dunklen Ge­sicht leuch­te­ten küh­ne, ru­hi­ge schwar­ze Au­gen. Sei­ne Lip­pen wa­ren dünn und ge­ra­de, und das Haar hat­te er aus der nied­ri­gen, brei­ten Stirn ge­kämmt, in dem ge­dämpf­ten Licht der Hal­le er­schi­en es schwarz. Er war ta­del­los und ele­gant ge­klei­det, aber es lag eine ge­wis­se Nach­läs­sig­keit in sei­ner Art. »Mein Name ist Le­land«, er­klär­te er, als er vor uns stand. »Ich bin seit Jah­ren ein Freund die­ses Hau­ses und war auch heu­te Abend hier zu Gast, als sich die­ser trau­ri­ge Un­glücks­fall er­eig­ne­te.«

Er sprach mit pein­li­cher Kor­rekt­heit, aber mit ei­gen­ar­ti­gem Ton­fall, so dass ich gut ver­stand, warum der Ser­geant am Te­le­fon so merk­wür­dig von die­ser Stim­me be­rührt wor­den war.

Van­ce be­trach­te­te ihn kri­tisch. »Woh­nen Sie in In­wood, Mr. Le­land?«, frag­te er schein­bar gleich­gül­tig.

Der an­de­re nick­te leicht. »Ja. In ei­nem Haus des al­ten In­dianer­dor­fes auf der Hü­gel­sei­te, von wo man den Spuy­ten Duyvil Creek1 über­schau­en kann.«

»Ken­nen Sie Mr. Stamm schon lan­ge?«

»Seit fünf­zehn Jah­ren«, ent­geg­ne­te Le­land zö­gernd. »Ich habe ihn auf vie­len sei­ner Ex­pe­di­tio­nen be­glei­tet, wenn er Tro­pen­fi­sche sam­mel­te.«

Van­ce blick­te den selt­sa­men Mann un­ver­wandt an. »Vi­el­leicht ha­ben Sie Mr. Stamm auch in die Ka­ri­bik be­glei­tet, als er nach dem ver­lo­re­nen Schatz such­te?«, frag­te er kühl. »Ich mei­ne mich er­in­nern zu kön­nen, dass in der Pres­se Ihr Name in Zu­sam­men­hang mit die­sem ro­man­ti­schen Aben­teu­er er­wähnt wor­den ist.«