Der Erfindergeist der Tiere - Alice Auersperg - E-Book
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Der Erfindergeist der Tiere E-Book

Alice Auersperg

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Beschreibung

Tiere folgen nur ihren Instinkten und können höchstens ein paar angelernte Arbeitsschritte ausführen? Weit gefehlt! Sie können so viel mehr, als wir geahnt haben! Von Blaumeisen, die Milchflaschen knacken, bis zu Kakadus, die mehrstufige Werkzeuge herstellen: Die Kognitionsbiologin Alice Auersperg gibt uns einzigartige Einblicke in die faszinierende Welt der Kreativität und des Erfindergeists der Tierwelt. Denn wir Menschen sind nicht einzigartig in unserer Fähigkeit, Neues zu schaffen und Probleme zu lösen. Auerspergs überraschende, auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Entdeckungsreise schenkt uns ein tieferes Verständnis tierischer Intelligenz und einen neuen Blick auf die Entwicklung der menschlichen Kognition. Entdecken wir, wie nah uns Tiere wirklich sind, und lassen wir uns von ihren Werkzeugkisten inspirieren!

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Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alice Auersperg

Der Erfindergeist der Tiere

Werkzeuge, Ideen und Innovationen

Für meine Familie

Alice Auersperg

Der Erfindergeist der Tiere

Werkzeuge, Ideen und Innovationen

In Zusammenarbeit mit

Patricia McAllister-Käfer

Inhalt

Wo kommt das Neue her?

Wozu überhaupt Intelligenz?

Was es zum Erfinden braucht

Wenn der Funke überspringt

Was ist ein Werkzeug?

Biegen, Bauen und Brechen

Mehr als nur ein Werkzeug

Erfindergeist und intelligente Anwendung

Lachen und Nachdenken

Bildnachweis

Impressum

Wo kommt das neue her?

Haben Sie schon einmal von den Keas gehört? Die in Neuseeland beheimateten moosgrünen Bergpapageien verfügen über eine bemerkenswerte Eigenschaft. Papageienvögel gelten schon generell als herausragend intelligent und gelehrig, aber die Keas zeigen noch eine ganz eigene Charaktereigenschaft: Ihnen fehlt jegliche Angst vor neuen Objekten. Einheimische wie Urlaubsreisende haben immer wieder ihre liebe Mühe mit ihnen, weil sie Teile von Ski- oder Wanderausrüstungen stibitzen und Autoteile, etwa Fensterdichtungen und Scheibenwischer, mit ihren Schnäbeln bearbeiten.

Auch unser Wiener Feldforschungs-Team hat schon solche Erfahrungen am anderen Ende der Welt gemacht. Ein Kollege konnte sich beim Beringen eines ersten Keas nicht dagegen wehren, dass ihm währenddessen ein zweiter, der nur Minuten zuvor ebenfalls einen neuen Fußring erhielt, nun sorgfältig seine Schuhbänder aufknotet und entwendet. Bekannt sind Keas leider auch dafür, dass sie Schafe, von denen es in Neuseeland nicht wenige gibt, malträtieren: Hat ein Tier auf dem Rückenfell eine Wunde, so hacken die Papageien diese mit dem Schnabel weiter auf, um an das Körperfett ihres Opfers zu gelangen. Das brachte ihnen zeitweise zu Unrecht einen schlechten Ruf als „fliegende Wölfe der Berge“ ein, die entsprechend stark bejagt wurden. Dadurch stehen sie heute als „gefährdet“ auf der internationalen Roten Liste.

Am Haidlhof in Niederösterreich, einer Außenstelle der Veterinärmedizinischen Universität Wien, werden etwa 30 Keas in einer 50 Meter langen Voliere gehalten. Weil die Vögel so extrem verspielt, explorativ – also erkundungsfreudig – und erfinderisch sind, gelten sie heute als eine tierische Modellspezies für technische Intelligenz. Diese wird noch von einer zweiten Bedingung begünstigt: Die Keas haben eine Kindheit. In ihrem ersten Lebensjahr genießen die Jungvögel praktisch Narrenfreiheit bei ihren älteren Artgenossen. In ihrem natürlichen Lebensraum dürfen alle jungen Keas jegliche Futterquelle in Anspruch nehmen, die vorher von erwachsenen Tieren besetzt war. Und mehr noch: Die älteren, zum Teil nicht einmal verwandten Männchen der Gruppe müssen sie auch noch aktiv füttern, indem sie ihnen ihren Kropfinhalt direkt in den Schnabel leeren.

Hat etwa eine Gruppe von Keas eine Wurzel ausgegraben, tolerieren sie es, wenn die Jungtiere zuerst davon fressen. Diese plustern sich dann wie eine kleine Eule auf beeindruckende Größe auf und wackeln mit drohend erhobenen Flügelansätzen und einem knarrenden, langgezogenen „Ehhhhhhh“ auf die Futterquelle zu. Diese Vorstellung, ein Display, wie das Verhalten im Fachjargon heißt, mag für Menschen fast herzig wirken. Doch sorgt es dafür, dass erwachsene Tiere sofort das Weite suchen und ihre Futterquelle aufgeben. Der Nachwuchs genießt in dieser Hinsicht eine Extremform von „Welpenschutz“.

Keas müssen mit der unvorhersehbaren, kargen und zeitweise eisbedeckten Umwelt, in der sie leben – in Neuseelands Bergen können die Temperaturen extrem schwanken –, umgehen und ständig dahinterher sein, immer wieder neue Futterquellen aufzutun und auszunutzen. Eine gehörige Portion Opportunismus hilft dabei. Sie bauen sich laufend Strategien auf, indem sie ihre Umgebung erforschen. Insbesondere im ersten Lebensjahr, ihrer Kindheit, tun sie das ganz intensiv. Als ich vor vielen Jahren für meine Doktorarbeit mit Keas arbeitete, konnte ich in der Praxis feststellen, was ich in der Theorie schon wusste: Der erfinderische Erfolg der Tiere rührt daher, dass sie Umweltbedingungen erproben, wahrnehmen und nutzen lernen. Und zwar mit einem spielerischen Ansatz, denn sie gehen forsch auf neue Objekte zu und probieren allerhand unterschiedliche Dinge aus, die sich damit anstellen lassen.

In der Tierwelt gibt es eine Menge Erfindergeist. Noch vor ein paar Jahrzehnten ist er uns kaum aufgefallen – unser Blick hat sich verändert, wir sind aufmerksamer dafür geworden. Die noch recht junge Disziplin der Kognitionsbiologie erforscht unter anderem diese Phänomene. Während die Sicht von Tieren als „Automaten“ weltweit noch nicht ganz überwunden zu sein scheint, schauen wir uns heute doch so einiges von ihnen ab. Die Bionik wendet Problemlösungen aus der Natur auf menschliches Design, Technik oder Medizin an.

Wir wollen in diesem Buch aber auch einen Blick auf das Gesamtbild werfen. Was lässt sich jenseits einzelner wissenschaftlicher Disziplinen von Tieren für den Prozess des Entstehens von Neuem, von Innovationen, von Erfindungen lernen? Wie erfinden Tiere und welche Voraussetzungen müssen sie dafür aufweisen? Wie hängt das Erfinden der Tiere mit ihrem Spiel- und Explorationsverhalten zusammen? Und warum hat es häufig mit Essen zu tun? In diesem Buch werden Sie erfahren, was es mit dem Einweichen von Zwieback unter Zuhilfenahme einer Stoppuhr auf sich hat, wie die Krähe Betty mit einer spontanen Testreaktion den Spieß zwischen Mensch und Tier umdrehte, in welchen Aufgaben Vögel Menschenkindern haushoch überlegen sind und warum Kakadus manchmal mit Besteck essen.

Waschbären und eine galapagos-reise

Auch meine Geschichte als Kognitionsbiologin beginnt in meiner Kindheit, in der ich – auch dank meiner tierlieben Eltern – viel ausprobieren durfte. Ich glaube, man bekommt selbstverständlicher eine besondere Verbindung zur Biologie, also zur Wissenschaft vom Leben, wenn man als Kind in Wäldern herumkriechen, in Bächen und Teichen spielen und Insekten beobachten darf. So ein Kind war ich auch. Meine Schwester – sie ist ebenfalls Verhaltensforscherin geworden – und ich haben uns sehr für die Welt draußen interessiert.

Immer wieder haben wir Tiere aufgenommen und aufgepäppelt. Wie erfinderisch speziell opportunistische Tiere sein können, lernte ich bei diesen Erfahrungen besonders, als ich während meines Studiums helfen konnte, zwei junge Waschbären aufzuziehen, deren Mutter ums Leben gekommen war. Gefüttert wurden die Welpen mit Milchpulver, dem am Anfang ein wenig Honig beigefügt war, damit es angenommen wurde. Da ich leider nur eine Flasche halten konnte, gab es jedes Mal ein großes Gerangel, was zwangsläufig in einer ziemlich klebrigen Sauerei endete. Junge Waschbären, so musste ich feststellen, sind unglaublich geschickt mit ihren kleinen Händen – sie haben fünf „Finger“ wie wir –, und eben auch darin, dem Bruder den Sauger wegzureißen und ihn sich selbst laut schmatzend in den Mund zu stopfen.

Dass dabei sowohl meine Kleider als auch das Bärenfell und die gesamte Umgebung mit klebriger Milch bespritzt wurde, schien die beiden nicht zu stören. Auch im Stehen zu füttern half nicht, da der zweite Waschbär sofort lernte, mein Hosenbein wie einen Baumstumpf hinaufzukraxeln, um seinen Bruder unwirsch an der Schnauze zu packen und die Flasche wieder an sich zu reißen. Am Ende musste ich selbst erfinderisch werden und mich zur einzelnen, gesitteteren Fütterung in eine leere Badewanne legen – ihr Rand war rutschig genug, um nicht von dem anderen Waschbärkind gekapert zu werden.

Als sie größer wurden, wussten die Kerlchen nicht nur genau, welche Nahrungsmittel wo in der Küche gelagert wurden, sondern auch, mit welchen Handgriffen sich die jeweiligen Schränke in Sekundenschnelle öffnen lassen, wenn unsereiner gerade nicht hinsieht. Auf jeden Fall waren für einen erfolgreichen Beutezug viele Dinge zugleich zu beachten! Einer der Waschbären hatte zudem gelernt, wie sich eine Saftflasche mit einer reibenden Bewegung zwischen zwei Händen aufschrauben lässt und wie man auf drei Beinen davonlaufen kann, sodass das eroberte Ei, das man sich sorgsam unter die Achsel geklemmt hat, dabei nicht kaputtgeht. Den beiden war selbstverständlich alles verziehen, wenn sie sich mit nach oben gestreckten Händchen und laut schnurrend erschöpft auf dem Schoß ausruhten.

Die Waschbärenjungen spielten auch gerne mit den um einige Wochen jüngeren Hundewelpen.

Geprägt haben mich nicht nur diese und andere tierische Erfahrungen, sondern auch die Bücher von Verhaltensforschern wie Jane Goodall, Karl von Frisch, Konrad Lorenz oder auch Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der in unserer Nähe wohnte und immer wieder einmal zu Besuch kam. Dabei wurden ihm diverse tierische Mitbewohner wie gerettete Amseln oder zahme Gänse vorgestellt, an denen er ein geradezu kindliches Interesse zeigte und zu denen er Fragen stellte, die in mir ein gewisses wissenschaftliches Denken weckten. Nicht zu zu vergessen die zusammen mit meinen Eltern unternommene Reise auf die Galapagos-Inseln, deren Tier- und Pflanzenwelt mich enorm beeindruckte. Noch heute nehme ich manchmal das Notizbuch zur Hand, das ich damals als 15-Jährige dabeihatte.

Und da gab es noch, last but not least, meinen Biologielehrer, Dr. Johannes Schmidt, den am Rhabanus-Maurus-Gymnasium St. Ottilien in Oberbayern alle nur den „Doc“ nannten. Lange bevor man ihn im Schulgang sehen konnte, hörte man ihn bereits mit seinem Schlüsselbund klimpern. Seinen Doktor hatte er bei Karl von Frisch gemacht, der für seine Entdeckung des Bienen-Schwänzeltanzes 1973 gemeinsam mit Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis erhalten hatte.

Unser Doc baute in eines der Klassenzimmer ein Fenster ein, durch das wir einen Bienenstock beobachten konnten. Die Bienen hatte er so markiert, dass auch wir die Tanzsprache der Tiere erkennen konnten. Der Tanz ist kein Selbstzweck: Bienen können durch ihre Tanzrichtung und Bewegungen ihren Artgenossen die genaue Lage einer Honigquelle mitteilen. Der Doc war einer von diesen Lehrpersonen, die zwar keine Autorität, dafür aber ungespielte wissenschaftliche Begeisterung für ihr Feld ausstrahlten. Ergebnis war, dass in seinem Unterricht etwa ein Drittel der Klasse wie gebannt an seinen Lippen hing, während der Rest unbekümmert Karten spielte oder Sticker tauschte (damals groß in Mode). Er zog gemeinsam mit uns zwei kleine Drosseln auf, die er im Schulhof fütterte, und hatte eine Laufente namens Kasperle, die ihm eine Zeit lang hinterherwatschelte, selbstverständlich auch in der Schule. Dort hatte er auch ein Labor, in dem jene Kinder, die sich magisch von dem Thema Biologie angezogen fühlten, jede Pause verbrachten, um ihm zuzusehen. Viele von uns haben die Biologie später selbst zum Beruf gemacht.

Vom kea zum kakadu

Es ist nach dieser Vorgeschichte wahrscheinlich nicht allzu verwunderlich, dass ich in weiterer Folge Biologie studierte, und zwar in Wien und Edinburgh. In Wien hörte ich unter anderem Vorlesungen des Rabenforschers Thomas Bugnyar und des Vergleichenden Kognitionsforschers Ludwig Huber und begann, mich für Kognitionsbiologie zu interessieren. In Edinburgh absolvierte ich ein Projekt unter der Leitung der Verhaltensforscherin Sue Healy, und mein Interesse verfestigte sich. Nach meiner Rückkehr begann ich in Wien mit meiner Doktorarbeit mit Ludwig Huber als Doktorvater. Als Forschungsobjekte wählte ich die Keas, die in dieser Zeit vom Konrad-Lorenz-Institut am Willhelminenberg an die Forschungsstation Gut Haidlhof nahe Bad Vöslau umgesiedelt wurden.

An beiden Orten gab es großzügige Freiflugvolieren mit Experiment-Kompartments, wo wir die Vögel getrennt testen konnten. Dies ist nötig, um zu verhindern, dass sie nur durch Zusehen voneinander lernen, wie eine Aufgabe funktioniert. Jedoch waren die neugierigen Tiere immer ausgesprochen motiviert, bei so vielen Tests wie möglich mitzumachen. Testete man sie stets in derselben Reihenfolge, wartete der richtige Vogel schon vor der Tür des Kompartments, bevor man sie öffnete, und man konnte einen Kea nach dem anderen problemlos für Kognitionsexperimente hineinschleusen.

In einem der ersten Experimente, die ich mit den Keas für meine Doktorarbeit durchführte, spielten Spaghetti eine Rolle. Ich hatte beobachtet, dass die Keas im Spiel oft ein Ding in ein anderes hineinstecken, etwa unterschiedlich große Sandspielzeuge kombinieren und damit herumspielen, als scheinen sie auszuprobieren, was für einen Effekt die beiden Objekte aufeinander haben. Ich versuchte, den Explorationsdrang noch anzustacheln: Zuerst legte ich ein Stück Reiswaffel für sie unerreichbar in die Mitte eines transparenten Rohres. Das Problem hatten die Vögel schnell gelöst: Sie hoben das Rohr einfach an einer Seite hoch, die Belohnung rutschte heraus. Wenn ich eine Öffnung des Rohres mit einem Stopper verschloss, hoben sie das Rohr dort an und gelangten trotzdem an das Futter.

Zwei Keas am Haidlhof beim Spiel mit einem Seil.

Im nächsten Schritt legte ich die Reiswaffel nicht nur einfach in die Röhre, sondern spießte sie mit einer Spaghetti-Nudel auf, welche durch zwei kleine Löcher passte, die ich oben und unten in das Rohr gebohrt hatte. Damit verkeilte ich die Waffel in der Mitte der Röhre und schon war sie nicht mehr einfach nur durch die Schwerkraft verfügbar. Die Keas mussten sich etwas Neues einfallen lassen. Ich stellte ihnen verschiedene Spielzeuge, unter anderem auch schwere Kugeln zur Verfügung.

Und siehe da: Sie hatten rasch entdeckt, dass sie eine der Kugeln auf das Waffel-Nudel-Konstrukt draufkrachen lassen mussten, damit die Belohnung auf der anderen Seite herauskam. Das konnte ich bereits als Instrumentalisierung, also eine Art von einfachem „Werkzeuggebrauch“ werten. Unter einem Werkzeug verstehen wir in der Kognitionswissenschaft ein Mittel zum Zweck – das Tier darf damit aber nicht einfach zufällig sein Ziel erreichen, sondern es muss, in diesem Fall vom Kea, zielgerichtet eingesetzt werden. Auf die verschiedenen Arten von Werkzeuggebrauch und sogar -herstellung werde ich später noch eingehen.

Aufnahmen aus dem „Spaghetti-Experiment“: In der Mitte des Rohres liegt das begehrte Stück Reiswaffel, festgehalten von einem Stück Spaghetti. Wenn die Keas eine schwere Kugel durch das Rohr fallen lassen, bricht die Nudel, die Reiswaffel rutscht heraus.

Ich war fasziniert von der Spezies der Keas und überzeugt von ihrer Besonderheit, die sich durch die Abgeschlossenheit der neuseeländischen Südinsel und die Kargheit ihres Lebensraumes entwickelt haben mochte. Doch dann hörte ich einen Vortrag über die sogenannte „Trap Tube“, eine andere Kognitionstest-Apparatur. Es handelt sich dabei um eine Röhre (engl. tube), die an ihrer Oberseite einen Schlitz und innen mittig eine Vertiefung aufweist, die Falle (engl. trap). Wird eine Belohnung in dieser Röhre positioniert, muss das getestete Tier mit der Schnabelspitze sie über den Schlitz durch die Röhre in die richtige Richtung hinausschieben. Wenn sie in die falsche Richtung geschoben wird, landet sie in der Falle auf der Unterseite der Röhre und ist damit unerreichbar.

Unter den getesteten Arten, die in dem Vortrag vorgestellt wurden, war auch ein Kakadu, und der hatte einen auffällig anderen und innovativen Zugang zum Futter gefunden: In den Schlitz, in den er eigentlich seinen Schnabel hätte stecken sollen, um damit die Belohnung hinauszubugsieren, steckte er seinen Fuß, schnappte sich damit wie ein Greifautomat das Stück Futter und hob es elegant den Schlitz entlang über die Falle drüber. Das begeisterte mich außerordentlich und ich begann darüber nachzudenken, ob vielleicht bestimmte Kakadu-Arten, ähnlich dem Kea, weitere gute Modellspezies für technische Intelligenz sein könnten. Im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends war Kognitionsforschung an Vögeln noch relativ dünn gesät, und in Europa wurden trotz der ähnlichen Gehirngröße eher Krähen als Papageien untersucht.

Über mehrere Jahre machte ich mich in etlichen Gesprächen mit Fachleuten und Zoos darüber schlau, welche Kakadu-Art als besonders verspielt gilt. Aufgrund der Ergebnisse meiner Doktorarbeit war ich davon überzeugt, dass die Natur des Spielverhaltens einen der besten Schlüssel zu technischer Intelligenz darstellt. Am Ende kamen wir auf den kleinen Goffin-Kakadu, der auf den indonesischen Tanimbarinseln beheimatet ist, die zu den Molukken gehören. Obwohl damals noch nicht viel über das Freilandverhalten dieser Tiere bekannt war, zeigte sich bald, dass ihr Spielverhalten derartig vielfältig ist, dass man bei ihrer Beobachtung eher an ein Kleinkind denken muss als an einen Vogel.

Inzwischen haben uns die Tiere allen Grund gegeben anzunehmen, dass das Werkzeugverhalten der Goffins sowohl im Freiland als auch bei Volierenvögeln eines der aufwendigsten der bisher im Tierreich beobachteten ist. Sie kommen in Sachen Erfindungsreichtum in manchen Dingen an die Großen Menschenaffen heran.

Mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds in der Tasche war ich nach meiner Doktorarbeit für zwei Jahre Postdoktorandin an der Universität Oxford. In dieser Zeit führte ich Vergleichsstudien zwischen Kakadus und Neukaledonischen Krähen durch. Diese Krähen, die auf der südpazifischen Inselgruppe Neukaledonien leben, sind ganz besonders für ihren aufwendigen Werkzeuggebrauch bekannt. Geradezu Berühmtheit erlangte ein Weibchen namens Betty, das in einem Experiment aus einem Stück Draht einen Haken bog, um sich eine Belohnung angeln zu können.

Die Datenaufnahme in der Voliere am Goffin-Lab läuft nicht immer ganz ungestört ab.

Nach meiner Rückkehr baute ich sukzessive das auf, was heute das Goffin-Lab ist, eine auf die namensgebenden Kakadus spezialisierte Forschungsstelle im niederösterreichischen Goldegg. Das Goffin-Lab fungiert inzwischen als Außenstelle des Messerli Forschungsinstitutes für Mensch-Tier-Beziehung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, welches meine permanente Forschungsheimat geworden ist. Dennoch arbeite ich bis heute auch mit anderen Arten weiter, immer wieder etwa mit verschiedenen Krähen, Kapuzineraffen und den Großen Menschenaffen, besonders mit Orang-Utans. Unter anderem entwickelten wir eine Multi-Access-Box, um Tieren verschiedene Möglichkeiten für das Problemlösen anzubieten. Mehr dazu später.

Das Team des Goffin-Labs im Außenbereich der Voliere.

Ein neuer Experimentansatz ist eine Art Innovation. Denn bei uns läuft es ähnlich ab: Wir beobachten die Tiere und plötzlich fällt uns dabei eine Hypothese zu ihrem Verhalten ein. Eine Gelegenheit ergibt sich, die einen Benefit hat: Für die Tiere heißt das beispielsweise, sie gelangen an Futter, für uns, dass wir eine Idee haben für ein experimentelles Design, um an Daten zu gelangen. Relevant, um als Innovation durchzugehen, ist, dass sich der Vorgang wiederholen lässt. Einige dieser Erfindungen, also Designs für Experimente, werden auch von anderen Forschenden übernommen – dadurch werden sowohl die Designs als auch die Forschungsergebnisse freilich noch valider.

Die Interaktion mit den Tieren regt nicht nur in der Forschung zu Innovationen an: Gelegentlich dürfen auch meine Kinder mit zu den Goffin-Kakadus, an denen ich bis heute häufig forsche. Sie kennen die Vögel nun ihr ganzes Leben und haben einige Spiele mit ihnen erfunden. Zum Beispiel stellen sie sich an eine Wand der großen Außenvoliere und warten, bis alle Kakadus auf ihre Seite geflogen sind. Dann ruft eines meiner Kinder: „Auf die Plätze, fertig, los!“, und alle spurten um das Haus, das den Innenbereich darstellt, herum zur gegenüberliegenden Wand der Voliere. Die Kakadus fliegen auf Kommando mit – und warten auf der anderen Site schon wieder auf die nächste Runde. Ich schaue dem Treiben auch deshalb mit Freude zu, weil nach ein paarmal Hin- und Herlaufen bei Kindern wie Kakadus der gröbste Bewegungsdrang gestillt ist und sie bereit sind, sich auf neue Aufgaben zu konzentrieren.

Ein Goffin-Kakadu in Singapur vertieft sich in das Objektspiel mit einer alten Seemandel.

Bei solchen Mitmach-Spielen beweisen die Goffins ihre soziale Innovationsfähigkeit. Darum wird es in diesem Buch allerdings weniger gehen, mich interessieren in meiner Forschung vor allem ihre technischen Fähigkeiten – was nicht bedeutet, dass sie die nicht ebenfalls spielerisch unter Beweis stellen können. Mit Studierenden, die immer wieder mit den Tieren arbeiten, haben sie eine Aktivität „erfunden“, die ein Objekt involviert. Zufällig hat sich einmal ein Kakadu mit dem Schnabel an einer Schnur festgehalten, der Student hob ihn damit auf und ließ ihn – wie auf einer Schaukel – hin- und herschwingen. Mittlerweile stellen sich die Vögel, sobald wir in ihrer Gegenwart mit Schnüren oder Bändern hantieren, in einer Reihe an, um auch mal schaukeln zu dürfen. Kaum ist der eine richtig am Schwingen, hat der nächste schon das Köpfchen in Erwartung des Schnürchens mit gespannt geöffnetem Schnabel nach oben gestreckt, um es zu fassen.

Um an einer Schnur zu schaukeln, hier mit Mark O‘Hara, stellen sich die Goffins in Goldegg mittlerweile sogar an.

Die studentischen Mitarbeitenden bereite ich auf ihre Arbeit mit den Kakadus gerne mit dem Hinweis vor, dass sie es mit einer Kindergartengruppe mit Propellern am Rücken und Zangen an den Händen zu tun kriegen. Das meine ich nur halb im Spaß: Wer zum ersten Mal in die Voliere zu den Goffins mitkommt, mag von deren Aufdringlichkeit schnell irritiert sein. Es braucht eine gewisse Milde, aber auch Strenge in der Arbeit mit diesen neugierigen Vögeln, um ihnen klarzumachen, dass man nicht an den Haaren gezogen werden will oder sie sich den mitgebrachten Bleistift nicht stibitzen sollen.

Zwar kann man sich im Umgang mit ihnen nicht auf einen Machtkampf einlassen, der nicht zu gewinnen ist. Aber wenn keine Grenzen gesetzt sind, wird das unweigerlich zum Problem. Denn die Goffins sind gewieft. Haben wir etwa einen lauen Abend in Goldegg und die Tiere möchten deshalb noch in der Außenvoliere bleiben und nicht für die Nacht in ihr Haus hereingelockt werden, nehmen sie die Einladung, auf die Schulter zu kommen, selten an, obwohl sie sich sonst ständig und am liebsten auf Menschen setzen. Stattdessen fliegen sie nur gelegentlich auf und klammern sich ganz kurz an die Stelle genau zwischen unseren Schulterblättern, die wir mit unseren Händen besonders schlecht erreichen können. Dann fliegen sie wieder auf einen Ast in fünf Meter Höhe und schauen einen schräg an, bevor dasselbe Spiel wiederholt wird. Das könnte man fast schon in Richtung Necken, im verhaltensbiologischen Fachjargon auf Englisch auch teasing genannt, interpretieren, wobei wir dieses Verhalten natürlich erst noch genauer untersuchen müssen.

Wann ist etwas neues „innovativ“?

Es ist ein elf Sekunden langes Video, das auch auf YouTube zu sehen ist: Hauptdarsteller ist ein Puffin, ein nordatlantischer Meeresvogel mit buntem Schnabel und auffälliger, weiß-schwarzer Gesichtszeichnung. Der Papageientaucher, wie er auch genannt wird, hat soeben ein Stöckchen gefunden, nimmt es in seinen Schnabel, macht ein paar fast rituelle Schrittchen – und tut dann etwas, das aussieht, als würde der Vogel sich mit diesem Stöckchen für etwa eine Sekunde an der Brust kratzen. Britische und isländische Forschende folgerten aus dieser Aufnahme, die in einer (unter ihrer wissenschaftlichen Beobachtung stehenden) Kolonie auf Island gemacht wurde, dass Puffins Werkzeuge verwenden.

Sie publizierten ihre Erkenntnis 2019 in der angesehenen Fachzeitschrift PNAS. Die Veröffentlichung rief einen regelrechten Presserummel hervor. Zahlreiche Schlussfolgerungen, mitunter gewichtige Aussagen, machten die Runde, wie zum Beispiel, dass die Intelligenz von Seevögeln generell unterschätzt werde und wohl vergleichbar mit der von Krähen und Papageien sein könnte. Gegenteilige Deutungen hingegen meinten, dass das spontane Erfinden von Werkzeugen im Tierreich keinen hohen geistigen Aufwand erfordern dürfte.

Doch Vorsicht: Bei Anekdoten wie dieser handelt es sich in unserem Feld um eine oder wenige Beobachtungen von tierischem Verhalten, die noch nicht durch regelmäßige Wiederholung bestätigt oder experimentell untersucht werden konnten. Solche Fälle sind zwar ausgesprochen wichtig, um testbare Ideen zu bilden, sie sind aber trotzdem mit einem gewissen Maß an Vorsicht zu genießen. Gerade die Wiederholbarkeit (oder: das Wieder-Hervorrufen) einer Aktivität ist – wie insgesamt im seriösen wissenschaftlichen Betrieb – eine unbedingte Voraussetzung, um ein Verhalten als „innovativ“ einstufen zu können.

Im Fall des Puffins zeigt das Tier bei der Aufnahme des Stöckchens stereotype, das heißt für dieses Nistverhalten typische Schreitbewegungen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass das Stöckchen als mögliches Nistmaterial aufgenommen wurde; es könnte sein, dass das Tier sich einfach kratzen wollte – wie üblich, mit dem Schnabel – und kurz darauf vergessen hat, dass im Schnabel noch das Stöckchen steckt. Es gibt also mehrere andere Erklärungsmöglichkeiten für den vermeintlichen Werkzeuggebrauch.

Damit sind wir bei der Frage: Was ist eigentlich Innovation? Wo ziehen wir zu anderen „kreativen“ oder erfinderisch wirkenden Verhaltensweisen die Grenze?

Im Prinzip handelt es sich bei Innovation um ein neues Verhalten. Dieses kann zum Lösen von Problemen sowohl im sozialen als auch im technischen Bereich dienen. Man muss also nicht immer etwas Technisches erfinden, man kann auch zum Beispiel eine andere Person auf eine neue Art manipulieren oder durch einen neuen Gesang beeindrucken. Jedenfalls gilt für eine Innovation: Entweder wird ein neues Problem gelöst oder aber ein altes Problem wird auf eine neue Art gelöst. Um erkennen zu können, ob dieses Verhalten wirklich innovativ ist, sind ein paar Kriterien zu beachten.

Erstens muss man als Forschende natürlich das Verhaltensrepertoire einer Tierart kennen – vielleicht gehen die Tiere schon lange so vor, bloß mir ist diese Verhaltensweise neu? Für jede Tierart gibt es in der Verhaltensbiologie sogenannte „Ethogramme“, einen jeweiligen Katalog für die typischen Verhaltensweisen einer Art, mit denen man vertraut sein sollte. Zweitens besteht, wie bei dem Puffin-Beispiel, die Gefahr, anekdotisch-zufälliges Verhalten mit echten Innovationen zu verwechseln. Innovation passiert, wenn ein Tier eine Gelegenheit in der Umwelt entdeckt, die ihm etwas nützt. Dass das Tier diesen Nutzen oder „Benefit“ erkannt hat, lässt sich nur durch die regelmäßige Wiederholung des Verhaltens beweisen.

Dieser wichtige Schritt fehlt aus meiner Sicht bei unserem jetzigen Wissen über Werkzeuggebrauch beim Puffin. Welchen Nutzen sollte er daraus ziehen, sich mit dem Stöckchen an der Brust zu kratzen, wo er an diese auch mit dem Schnabel hinkommt? Wenn dieser Puffin im Speziellen oder Puffins insgesamt in der Zukunft ähnliches Verhalten zeigen und sie dabei zum Beispiel gezielt Stellen am Körper anvisieren, die sie sonst mit dem Schnabel nicht erreichen können, wenn es sich um Körperstellen handelt, die beispielsweise aufgrund einer abheilenden Verletzung besonders jucken, oder wenn sie dieses Verhalten nachweislich öfter zeigen, wären das für mich Beobachtungen, die in die richtige Richtung weisen, um eine ernsthafte Diskussion zu diesem Thema zu führen.

Genau das beschreibt das dritte Kriterium neben der Neuheit und dem Nutzen des Verhaltens, um etwas als Innovation bezeichnen zu können. Und das ist das kniffligste Kriterium für uns als Forschende: Wir müssen es schaffen, das innovative Verhalten vom existierenden Verhalten zu unterscheiden und es entsprechend dokumentieren.

Beinahe live miterleben lässt sich das derzeit in Australien, genauer gesagt in Sydney. Dort gibt es eine große freilebende Population von großen Gelbhaubenkakadus. Die Verhaltensökologinnen Lucy Aplin und Barbara Klump (mittlerweile eine Kollegin in der selben Stadt, an der Universität Wien) haben die Tiere über Jahre beobachtet und markiert. Dabei kamen sie durch Zufall darauf, dass einige Tiere begonnen hatten, die Mülltonnen in der australischen Metropole zu plündern.

Bei all dem Abfall, den sie dabei auf der Straße verteilen: Aus Sicht der Wissenschaft ist das eine beachtliche kognitive Leistung. Denn die Kakadus müssen kapieren, dass sie nicht auf dem Deckel der Tonne stehen dürfen, wenn sie die Mülltonne aufkriegen wollen – dieses Verständnis ist übrigens auch in einem anderen Kontext ein Test dafür, ob Tiere ein eigenes Körperbewusstsein haben. Wenn sie es schaffen, den Deckel zu öffnen, müssen sie außerdem daraufkommen, dass dieser sofort wieder zuklappt, wenn man ihn beim Anblick des köstlichen Inhalts loslässt. Manche Kakadus stehen deshalb im Spagat zwischen Tonnenrand und Deckel; andere stecken den Schnabel unter den Rand des geschlossenen Deckels und fädeln ihn durch, während sie selbst am Rand entlanglaufen, um den Deckel dann, am Ende angelangt, ganz nach hinten aufzuklappen.

Ähnliches „schädliches“ Verhalten von Vögeln kennen wir übrigens aus Großbritannien in den frühen 1900-er Jahren. Damals kam dort noch täglich der Milchmann und stellte die mit Alufolie verschlossenen Flaschen morgens vor die Haustür. Findige Blaumeisen entdeckten, dass die Folie sich leicht mit dem Schnabel aufhacken lässt und der Rahm, der sich unter dem Flaschenrand angesammelt hat, sehr gut schmeckt. In den 1950-er Jahren schien die gesamte britische Blaumeisenpopulation voneinander gelernt zu haben, wie man Milchflaschen öffnet. Interessanterweise wurde dasselbe Verhalten auch immer wieder bei Rotkehlchen beobachtet. Da Rotkehlchen allerdings territorialer sind als Blaumeisen und nicht immer zulassen, dass ihnen Artgenossen zusehen, breitete es sich in diesem Fall nicht weiter aus. Die nützliche Anpassung konnte also nicht an die gesamte Artgemeinschaft weitergegeben werden.

Wie aber kann man nun feststellen, ob ein Verhalten neu und demnach innovativ ist? Eine Möglichkeit ist, nach Verhalten zu suchen, das nur von einzelnen Tieren gezeigt wird und noch nicht in der gesamten Population vorhanden, sondern gerade im Prozess der Ausbreitung ist. Andere Tiere beobachten die Innovation und geben sie innerhalb ihrer jeweiligen Populationen an andere Gruppenmitglieder (horizontal) oder an ihren Nachwuchs (vertikal) weiter. Das Vorgehen kann gänzlich von anderen Individuen übernommen werden, dann sprechen wir von „Imitation“, oder der Beobachter kopiert die Handlungen nicht, lernt jedoch etwas über den Effekt, welches das Verhalten eines andern Tieres auf seine Umgebung hat, das nennen wir „Emulation“. In welche Richtung, in welchem Grad und in welcher Reichweite das passiert, das sehen sich im Moment die Verhaltensökologinnen Klump und Aplin an.

In Sydney haben sie dazu auf die sogenannte „Bürgerwissenschaft“ oder „Bürgerforschung“ (Citizen Science) zurückgegriffen, das heißt, sie haben die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Durch breit angelegte Online-Umfragen der Einwohnerschaft mit Fragen wie „Haben Sie dieses Verhalten schon einmal gesehen und wenn ja,