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Im Neuen Testament finden sich zahlreiche Worte Jesu, die ihm erst später in den Mund gelegt wurden und die dennoch in den christlichen Kirchen bis heute als Gottes Wort gelten. Von der Jesusforschung wurden diese erfundenen Worte schnell ad acta gelegt, die Konzentration sollte auf vermeintlich echte Sprüche gelenkt werden. Mit seiner Sammlung erfundener Jesusworte thematisiert Gerd Lüdemann »unechte« Jesus-Sprüche und vermittelt zugleich einen Eindruck von der Mentalität früher Christen, die diese Worte ersonnen haben. Die Vielfalt der unechten Jesusworte zeigt deutlich, dass Jesus nach dem Kreuzestod schnell zum Mittelpunkt eines neuen Glaubens wurde. Christen haben von Beginn an von Jesus Antwort auf ihre Fragen erwartet und, wo kein geeignetes Jesuswort vorhanden war oder ein Ausspruch nicht mehr passte, Aussagen verändert oder gar erfunden.
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Der erfundene Jesus
Unechte Jesusworte im Neuen Testament
Ein Lesebuch
von Gerd Lüdemann
Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Er dankt seinem langjährigen Mitarbeiter Dr.Frank Schleritt für Hilfe und Kritik.
2. Auflage 2009
© 2008 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe
[email protected] · www.zuklampen.de
Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover,
Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover
(Gesetzt aus der Linotype Life und der Neuen Helvetica)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86674-458-5
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.
Cover
Titel
Impressum
1. Erfundene Jesusworte im Neuen Testament
2. Unechte Jesusworte in den Evangelien
2.1. Stationen des Weges Jesu
2.1.1 Im Tempel von Jerusalem. Das erste Jesuswort
2.1.2 Am Jordan. Wort zu Johannes dem Täufer
2.1.3 In der Wüste. Worte an den Teufel
2.1.4 In der Synagoge von Nazareth. Antrittspredigt
2.1.5 In Galiläa. Sendung der Jünger in Israel
2.1.6 Auf dem Weg nach Jerusalem. Voraussagen von Tod und Auferstehung
2.1.7 In Jerusalem. Voraussage der Tempelzerstörung
2.1.8 In Jerusalem. Voraussage der Auslieferung durch Judas
2.1.9 In Jerusalem. Voraussagen über das Verhalten der Jünger
2.1.10 In Jerusalem. Antwort an den Hohenpriester
2.1.11 In Jerusalem. Gespräch mit Pilatus
2.1.12 In Jerusalem. Worte am Kreuz
2.1.13 In Jerusalem. Worte am leeren Grab
2.1.14 In Galiläa. Beauftragung des Petrus
2.2. Themen der Verkündigung Jesu
2.2.1 Äußere Gegner – Israel und seine Führer
2.2.2 Innere Gegner – liberale und gnostische Christen
2.2.3 Gerichtsprophezeiungen
2.2.4 Weltende und Weltgericht
2.2.5 Frömmigkeitsregeln
2.2.6 Lasterkatalog
2.2.7 Trost für die Christen in der Verfolgung
2.2.8 Gemeindedisziplin und die Autorität der Gemeindeleiter
2.2.9 Sendung der Jünger unter alle Völker
2.2.10 Gleichnisse zu verschiedenen Themen
2.2.11 Umbiegung echter Jesusworte
2.2.12 Eigene göttliche Würde
2.2.13 Ich-bin-Reden
2.2.14 Gebete
3. Erfundene Jesusworte und die Suche nach Wahrheit
Beigabe: Jesusworte in den Briefen an die sieben Gemeinden in der Offenbarung des Johannes
Wir vermögen nichts gegen die Wahrheit, sondern nur für die Wahrheit.
Paulus, Zweiter Brief an die Korinther, Kapitel 13, Vers 8
Die biblische Wissenschaft ist sich seit langem einig: Im Neuen Testament finden sich zahlreiche Worte Jesu, die ihm Christen in den Mund gelegt haben. Bei der Rückfrage nach dem historischen Jesus legte die Forschung diese Worte daher bald zur Seite und konzentrierte sich auf die vermutlich echten Sprüche. Man bearbeitete sie ausgiebig, fragte, was sie miteinander verbindet, in welche Situation des Lebens Jesu sie gehören, und fügte dann die Einzelheiten zu einem möglichst geschlossenen Ganzen zusammen.
Mit der vorliegenden Sammlung drehe ich den Spieß um und thematisiere unechte Jesussprüche – zum einen frei erfundene Logien, zum anderen solche, die aus der Umbiegung echter Jesusworte resultieren. Das Buch, das die Ergebnisse meines auf dem kritischen Konsens beruhenden Opus »Jesus nach 2000 Jahren« (Springe: Verlag zu Klampen, 2. Aufl., 2004) voraussetzt, vermittelt einen Eindruck von der Mentalität früher Christen, die diese Worte produziert haben, und lässt so die Entstehung der ältesten Kirche besser begreifen.
Die unechten Worte gehen auf verschiedene Urheber zurück: persönliche Jünger Jesu, Propheten, Evangelisten. Der Glaube an den auferstandenen Jesus ließ sie quasi zu seinem Sprachrohr werden. Vom Geist erfasst, hörten sie – davon waren sie überzeugt – seine Stimme und gaben das Gehörte mündlich oder schriftlich weiter, nachdem sie es oftmals selbständig ausgestaltet hatten. Eine Entsprechung für diese Vorgänge findet sich in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, wo der »Auferstandene« dem Seher Johannes sieben Briefe an verschiedene Gemeinden diktiert und dieser sie dann – stark stilisiert – niederschreibt. Diese Briefe habe ich dem vorliegenden Buch als Anhang beigegeben.
Die wirklichen Verfasser der vier Evangelien des Neuen Testaments kennen wir nicht. Zur Vereinfachung gebrauche ich im Folgenden die Verfassernamen, die kirchliche Tradition für sie im zweiten Jahrhundert erfunden hat: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Keiner von ihnen war Augenzeuge. Doch jeder einzelne vernahm auch noch ein halbes Jahrhundert nach Jesu Tod seine Stimme und schrieb Worte von ihm auf, die andere Mitchristen noch nie gehört hatten. Zugleich haben die Evangelisten Einzelüberlieferungen und Quellen verarbeitet. Nach allgemeinem Konsens verwenden Matthäus und Lukas unabhängig voneinander das Markusevangelium und ein nicht mehr vorhandenes Spruchevangelium »Q« (von »Quelle«), während Johannes als der zeitlich jüngste Evangelist die anderen drei Evangelien wohl voraussetzt, aber nicht direkt benutzt hat.
Wichtig bleibt die Einsicht, dass die Evangelien des Neuen Testaments überwiegend erfundene Jesussprüche enthalten. Diese sind direkt zugänglich und jedenfalls eher erreichbar als alle eventuell echten Jesusworte. Ich gebe sie so wieder, dass eine rasche Übersicht möglich wird. Diesem Zweck dienen auch die verschiedenen Textmarkierungen, die Aufbau und Absicht der jeweiligen Passagen verdeutlichen. Wo nötig, habe ich Reden anderer Personen und Handlungsnotizen mit abgedruckt.
Die Worte ordne ich zum einen nach geographisch-chronologischen und zum anderen nach thematischen Gesichtspunkten. Die sich an den Stationen des Weges Jesu orientierende Zusammenstellung bringt zum Ausdruck, dass die unechten Jesusworte in eine fiktive dramatische Heilsgeschichte eingebettet sind. Die Zusammenstellung nach Themen der Verkündigung Jesu weist auf, wie vielfältig die Anwendungsgebiete der erfundenen Worte waren.
Die Fülle der unechten Jesusworte zeigt deutlich, dass Jesus nach seinem gewaltsamen Tod schnell zum Mittelpunkt eines neuen Glaubens wurde. Christen suchten von Beginn an nach Antworten auf ihre Fragen; und wenn kein geeignetes Jesuswort vorhanden war oder wenn ein Ausspruch nicht mehr passte, erhielten sie auch Auskünfte von ihrem »Herrn«. Dies aber heißt nichts anderes, als dass sie neue Jesusworte erfanden oder authentische veränderten.
Hinter den falschen Jesusworten steht zum einen der Expansionsdrang einer Bewegung, deren Mitglieder sich beauftragt fühlen, die Botschaft von Jesus in die ganze Welt zu tragen, zum anderen der Selbstbehauptungswille einer Gemeinschaft gegenüber äußeren und inneren Gegnern. Zugleich ist jedes einzelne der erfundenen Worte Jesu von einer religiösen Gewissheit getragen, die keinen Widerspruch zulässt. Der Eifer ihrer Urheber speist sich aus dem Eifer des alttestamentlichen Gottes, der Gehorsam verlangt und auch nach antiken Maßstäben intolerant ist. An ihn glaubten die ältesten Christen, und von ihm, der Jesus angeblich von den Toten erweckt hatte, fühlten sie sich erwählt.
Den Abschluss meines Buches bilden Überlegungen darüber, wie Menschen der Gegenwart, die ihre fünf Sinne beisammenhaben, mit den unechten Jesusworten umgehen sollten. Immerhin entstammen diese Worte einer Bewegung, deren Mitglieder sich der Wahrheit verpflichtet fühlten.