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Mit diesem Buch verabschiedet sich der evangelische Theologe Gerd Lüdemann endgültig vom Christentum. In einem an Jesus gerichteten Brief begründet er diesen Schritt: »Das Allermeiste, was Du der Bibel zufolge gesagt, bzw. getan hast, hast Du gar nicht getan.« In allgemeinverständlicher Weise stellt Lüdemann unechte Jesusworte und -taten vor und vergleicht sie mit den zwar wenigen, aber dafür umso eindrucksvolleren echten Worten und Taten Jesu. Was auf diese Weise von Jesus und seiner Lehre übrigbleibt, reicht freilich nicht länger aus, um damit ein Christentum zu begründen. Deutlich wird, daß Christen sich Jesus zu allen Zeiten so zurechtgemacht haben, wie es ihren Wünschen und Interessen entsprach. Dieses bestürzende Urteil trifft nicht erst auf die Interpreten Jesu in der neuesten Zeit zu, sondern bereits auf die Verfasser der biblischen Schriften. Person und Verkündigung Jesu haben zwar die tiefe Sympathie des Autors, doch kann ihnen nicht mehr die einzigartige Bedeutung zukommen, die sie dem kirchlichen Dogma zufolge nach wie vor besitzen. Es wird deutlich, daß die drei wesentlichen Fundamente des Christentums nicht länger aufrechtzuerhalten sind: Der Gedanke der Schöpfung aus dem nichts, der Glaube an eine Auferstehung sowie die Begründung einer Ethik auf der Grundlage der Verkündigung Jesu. Präzise wird gezeigt, daß die historische Person Jesus über weite Strecken des Neuen Testaments bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Nur an wenigen Stellen läßt sich noch ein schhattenhafter Umriß seiner Person erahnen. Lüdemanns Ziel ist es, in verständlicher Sprache über den eigentlichen Ursprung der abendländischen Kultur aufzuklären. Das vorliegende Buch ist eine populäre Zusammenfassung einer Analyse sämtlicher überlieferter Jesusworte und -taten, die unter dem Titel »Jesus nach 2000 Jahren« im zu Klampen Verlag erschienen sind.
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Seitenzahl: 124
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Gerd Lüdemann
Der große Betrug
Und was Jesus wirklich sagte und tat
zu Klampen
Gerd Lüdemann, Jahrgang 1946, ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Georg-August-Universität Göttingen. Er leitet die Abteilung »Frühchristliche Studien« am Institut für Spezialforschungen sowie das Archiv »Religionsgeschichtliche Schule« der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.
Unzählige Christen haben sich auf Jesus berufen und dabei doch nur ihre eigenen Wünsche in Jesus hineingelegt. Dieses bestürzende Urteil trifft nicht erst auf die Interpreten Jesu in der neuesten Zeit zu, sondern bereits auf die Verfasser der biblischen Schriften.
Das vorliegende Buch stellt in allgemeinverständlicher Weise unechte Jesusworte und -taten vor und vergleicht sie mit den zwar wenigen, aber dafür um so eindrucksvolleren echten Worten und Taten Jesu.
In einem an Jesus gerichteten Brief nimmt Gerd Lüdemann Abschied von Jesus als dem Begründer des christlichen Glaubens. Person und Verkündigung Jesu haben zwar seine tiefe Sympathie, doch komme ihnen nicht mehr die einzigartige Bedeutung zu, die sie dem kirchlichen Dogma zufolge nach wie vor besitzen.
Fünfte Auflage 2011
© zu Klampen Verlag GbR, Röse 21, 31832 Springe
www.zuklampen.de | [email protected]
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Umschlag: Johannes Nawrath
ISBN 978-3-866744-76-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
Cover
Titel
Der Autor
Impressum
Vorwort
I Brief an Jesus
II Wie Echtheit und Unechtheit von Worten und Taten Jesu zu unterscheiden sind: Beispiele und Kriterien
III Unechte Worte Jesu
1. Jesus verdammt Israel und seine Führer
2. Jesus beobachtet das Gesetz vollständig und fordert seine Jünger zur rechten Beobachtung auf
3. Jesus sagt sein Leiden und Sterben voraus
4. Jesus verleiht der Kirche Binde- und Lösegewalt
5. Jesus beauftragt seine Jünger zur Mission
6. Jesus sagt einigen seiner Jünger das Überleben bis zur Ankunft des Gottesreiches voraus
7. Die Worte Jesu am Kreuz
IV Unechte Taten Jesu
1. Jesus setzt das Abendmahl ein
2. Jesus vollbringt Naturwunder
V Echte Worte Jesu
1. Seligpreisungen
2. Eschatologisches Abendmahlswort
3. Die Bitte um das Kommen der Gottesherrschaft in der Zukunft
4. Die Gegenwart des Gottesreiches in der Erfahrung und Kraft Jesu
5. Gegenwart und Zukunft des Gottesreiches in den Gleichnissen Jesu
6. Jesus verschärft das Gesetz
7. Jesus richtet das Gesetz am Menschen aus
8. Jesus ruft radikal in die Nachfolge und kommt mit dem Gesetz in Konflikt
9. Unmoralische Helden in der Verkündigung Jesu
VI Echte Taten Jesu
1. Jesus unterzieht sich der Taufe durch Johannes den Täufer
2. Jesus beruft die Zwölf und andere Jünger
3. Jesus treibt Dämonen aus
4. Jesus hat Kontakt mit zwielichtigen Personen
5. Jesus reinigt den Tempel
Nachwort
Verzeichnis der behandelten Texte
Unzählige Christen haben sich seit den Anfängen der Kirche bis heute auf Jesus berufen und dabei nur ihre eigenen Wünsche in Jesus hineingelegt. Dieses bestürzende Urteil trifft nicht erst auf die Interpreten Jesu in der neuesten Zeit zu, sondern bereits auf die Verfasser der biblischen Schriften. Wenn aber schon im Neuen Testament der überwiegende Teil der Jesusworte und -taten Jesus nachträglich in den Mund gelegt bzw. zugeschrieben wurde, so ist es an der Zeit, in allgemeinverständlicher Form die wichtigsten dieser unstreitig unechten Jesusworte und -taten zu benennen und gleichzeitig eine Auswahl aus dem wenigen erhaltenen Echten von Jesus, das konsensfähig ist, anzuführen. Diesen Zweck erfüllt das vorliegende Buch. Gleichzeitig dient es als populäre Zusammenfassung und Ankündigung eines großen Werkes zu Jesus, das Analysen sämtlicher überlieferter Jesusworte und -taten enthält und für jeden einzelnen Vers der vier neutestamentlichen Evangelien und des neugefundenen alten Thomasevangeliums ein begründetes Urteil über Echtheit und Unechtheit abgibt. Es wird unter dem Titel »Jesus nach 2000 Jahren. Was er wirklich sagte und tat« im nächsten Jahr im zu Klampen Verlag erscheinen.
Zugleich legt das vorliegende Buch Rechenschaft darüber ab, warum ich selbst fortan einen Rückgang auf die Verkündigung Jesu als Begründung des christlichen Glaubens für illegitim halten muß. Ich bedauere aufrichtig die ganz und gar unzureichenden Versuche, die ich in der Vergangenheit in dieser Richtung unternommen habe, stehe aber uneingeschränkt zu den in meinen bisherigen Büchern vorgelegten historischen Analysen bzw. Rekonstruktionen. Ich bitte jetzt darum, diese ausschließlich im Sinne des Zieles der Aufklärung zu lesen, wie es am Ende des ersten Kapitels entfaltet wird. Legt man aber dieses zugrunde, trifft entsprechend auf das in diesem Buch behandelte biblische Phänomen, Jesus – fromm, aber skrupellos – eigene Meinungen in den Mund zu legen, nur der Ausdruck »Betrug« zu, wie ihn auch schon die jüdischen Zeitgenossen Jesu und der Apostel gebraucht haben (vgl. Mt 27,64).
Ohne die Hilfe von Frank Schleritt hätte die Arbeit nicht abgeschlossen werden können. Meiner langjährigen Sekretärin Silke Röthke danke ich für die Erstellung des Manuskripts.
Gerd Lüdemann
Lieber Herr Jesus, so habe ich Dich seit meiner Kindheit angeredet und es beim Tischgebet (»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne uns und was du uns aus Gnaden bescheret hast!«) jahrelang gesagt. Ein anderes Gebet (»Herr Jesus, du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!«) habe ich am Abend wie eine magische Formel immer wieder gesprochen, obwohl ich gar nicht mehr wußte, was ich da eigentlich tat. Aber gerade deswegen hat sich mir Deine Anrede als »Herr Jesus« so tief eingeprägt. Dieses Beten zu Dir als dem Herrn Jesus hat sich aus Gründen der Gewohnheit, Gedankenlosigkeit und Angst auch noch in späteren Zeiten fortgesetzt, obwohl ich schon seit langem wußte, daß Du ganz anders warst, als es mir von meinen Eltern, meinen Lehrern und meinem Pastor nahegebracht wurde. Du bist mir als Person, die ich anreden kann, nämlich ganz fremd geworden. Denn das allermeiste, was Du der Bibel zufolge gesagt bzw. getan hast, hast Du gar nicht gesagt und getan. Außerdem bist Du gar nicht der, als den Dich Bibel und kirchliche Tradition darstellen. Du warst nicht ohne Sünde und bist nicht Gottes Sohn. Du wolltest überhaupt nicht für die Sünden der Welt sterben. Und was mir besonders schmerzlich war: Du hast das Abendmahl, das ich jahrelang allsonntäglich zu Deinem Gedächtnis beging, nicht eingesetzt. Das Brot, das ich aß, war nicht Dein Leib, und der Wein, den ich trank, war nicht Dein Blut. Es war nur meine Sehnsucht, die das alles erhoffte. Sie hat sich vollständig auf die Diener Deiner Kirche verlassen. Aber statt meinen Zweifel daran ernstzunehmen, ob ich, fast wie ein Kannibale, wirklich Dein Fleisch essen und wirklich Dein Blut trinken soll – als Juden war Dir selbst immerhin Blutgenuß strengstens verboten –, haben sie mich auf Martin Luthers Erklärung verwiesen: Das Heilige Abendmahl »ist der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt«.
Doch sie haben Dich zu Unrecht in Anspruch genommen. Denn Du warst ganz anders. Du hast wie ein Magier Dämonen ausgetrieben und darin die Ankunft des Reiches Gottes geschaut. Du hast intimen Kontakt zum Teufel gehabt und ihn schließlich wie einen Blitz vom Himmel fallen sehen. Du erwartetest in naher Zukunft den Zusammenbruch der ganzen Welt, die dem neuen Reich Gottes endgültig Platz machen sollte. Einstweilen führtest Du mit Deinen Anhängern ein unstetes Wanderleben im Dienste des Gottesreiches und lehrtest einen grandiosen Verhaltenskodex, der das mosaische Gesetz im Lichte der Liebe interpretiert und damit die besten Traditionen Israels verkörpert. Dazu gehören Deine ethischen Maximen, die auch den Feind in die Liebe einschließen, und Deine tollkühnen Gleichnisse, die – echt menschlich – Helden auf krummen Wegen zeigen.
Aber es hilft alles nichts: Auch Du bist gestorben, und zwar im besten Mannesalter. Auch Du hast den Kelch des Todes getrunken, ja, trinken müssen – unvorhergesehen. Trotz tiefer Erfahrungen mit Deinem Gott, den Du vertrauensvoll Vater nanntest und von dem Du praktisch alles erwartet hast, sind auch Deine Zukunftshoffnungen zerstoben. Sie sind mit der brutalen Realität zusammengeprallt. Spätestens am Kreuz hast Du lernen müssen, was es heißt, ein gottverlassenes Opfer zu werden. Und hätten Deine Anhänger, die verständlicherweise von Dir begeistert waren, nicht den Glauben an Deine Auferstehung verkündet, so wären all Deine Worte und Taten wie Blätter vom Wind verweht worden. Hätten sie ferner nicht Deine baldige Wiederkunft zum Gericht und ewigen Heil gepredigt, so wäre das christliche Gedankengebäude bald in sich zusammengefallen.
Aber Deine Wiederkunft fällt aus, da Deine Auferstehung gar nicht stattfand, sondern nur ein frommer Wunsch war. Das ist deswegen sicher, weil Dein Leib im Grab verwest ist, wenn er überhaupt ins Grab gelegt und nicht von Geiern und Schakalen aufgefressen wurde. Gewiß, Deine Anhänger haben den Glauben an die Auferstehung und Deine Wiederkunft gebraucht, um nach dem Schock von Karfreitag nicht zu verzweifeln, aber heute? Noch immer – oder heute wieder – klammern sich die Christen an Deine Auferstehung, wobei viele längst die ursprüngliche Bedeutung von Auferstehung hinter sich gelassen haben. Man gibt zu, daß Dein Leichnam gar nicht wiederbelebt wurde, und spricht lieber von Deinem Sein bei Gott. Gleichzeitig legen Bischöfe, gebildete Kirchenfunktionäre und christliche Intellektuelle, zu denen manchmal auch Theologieprofessoren gehören, Wert darauf, das Bekenntnis zur Auferstehung festzuhalten, egal, was darunter zu verstehen sei. Aber dieses intellektuelle Verwirrspiel kann auf die Dauer nicht gutgehen und verlangt nach rücksichtsloser Aufklärung. Auf Projektionen, Wünschen und Visionen kann keine echte Religion aufgebaut werden, auch dann nicht, wenn sie so gewaltig auftritt wie die christliche Kirche, die Dich sogar zum Weltenherrn und kommenden Richter erhoben hat. Du aber bist nicht der Weltenherr, als den Dich Deine Anhänger infolge Deiner Auferstehung erklärt haben, und Du wolltest es auch nicht sein. Du hast das zukünftige Reich Gottes verkündigt, gekommen aber ist die Kirche. Du hast Dich getäuscht, und Deine Botschaft ist von Deinen Anhängern zu ihren eigenen Gunsten gegen die historische Wahrheit verfälscht worden. Deine Lehre war ein Irrtum, denn das messianische Reich ist ausgeblieben.
Bitte, schau Dir an, was seit Deinem Tod bis heute alles in Deinem Namen verbrochen worden ist! Es beginnt schon im Neuen Testament, wo man Deine Landsleute als Söhne des Teufels bezeichnet, nur weil sie nicht an Dich glauben. Das Infame daran ist, daß Dir diese Worte der Verdammung in den Mund gelegt werden, als ob Du sie gesprochen hättest. Dieser Antisemitismus setzt sich dann in der gesamten Kirchengeschichte fort, und zwar nicht als Abweichung von den ursprünglichen Lehren der Kirche, nein: er mußte sich ausbilden, weil Du zum Weltenherrscher erhoben worden warst. Fortan bestraftest Du vom Himmel aus und im Auftrag Deines allmächtigen Vaters die ungläubigen Juden für ihren Unglauben, für ihren Ungehorsam und für ihre Untaten, die sie gegen Dich und Deine Gemeinden begangen haben sollen. Sage nicht, das alles sei eine Verirrung und Verfälschung Deiner Botschaft gewesen! Vielmehr ist die christliche Kirche, wie aus ihrer zweitausendjährigen Geschichte hervorgeht, notwendig so; sonst hätte sie sich gar nicht gebildet, und ihre pure Existenz wäre unmöglich und überhaupt überflüssig gewesen. Daher können wir wirklich nicht mehr zur Tagesordnung übergehen und fortan Deine wahre Botschaft verkündigen, als ob es die letzten 2000 Jahre nicht gegeben hätte.
Ich empfinde eine große Sympathie für Deine Landsleute, die Dich in unserer Zeit durch die Ergebnisse der historischen Forschung als eigenen Bruder haben neu entdecken können, ohne die kirchliche Lehre von Deiner Auferstehung und Deiner Wiederkunft zu übernehmen. Aber gleichzeitig sehe ich selbst keinen Grund, nun zur jüdischen Religion überzutreten. Ich bin selbst noch zu entsetzt über den eifernden Gott Jahwe des Alten Testaments, der überhaupt keine Toleranz kennt und dessen sich die Christen dann bedient haben, um die Juden aus dem Weinberg Gottes zu verjagen. Dieser Jahwe kennt keine Gleichheit aller Völker und ebenso keine Rechte, die allen Menschen auf der Welt in derselben Weise zukommen. Daher bin ich der festen Überzeugung, daß unser Grundgesetz mit den Artikeln von dem Schutz der Menschenwürde, von den Freiheitsrechten, von der Gleichheit vor dem Gesetz, von der Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit das Leben aller Menschen mehr schützt als die Bibel der Juden (das Alte Testament), aber auch die Bibel der Christen (das Alte und das Neue Testament). Zwar betonen heutzutage Kirchenführer und Theologen, daß die gerade genannten Grundrechte unseres Grundgesetzes biblischen Ursprungs seien, doch frage ich mich, warum Kirche und Theologie bis zum 18. Jahrhundert keine dem Grundgesetz entsprechenden Grundrechte, die für alle gelten, ausgebildet haben und warum diese zusammen mit dem Toleranzgedanken von der Aufklärung erst in zum Teil erbittertem Kampf gegen die Kirche haben durchgesetzt werden müssen.
Du hast zwar meine tiefe Sympathie, Herr Jesus, aber Du kannst mich gar nicht verstehen und wir Dich nicht, weil die Zeit, in der Du lebtest, und die, in der wir heute leben, so verschieden sind. Du wärest vielleicht nachdenklich geworden, hättest Du erfahren, daß der Himmel sich gar nicht über Dir befindet, daß die Erde eine Kugel und nicht der Mittelpunkt des ganzen Universums ist. Und wahrscheinlich hättest Du Dich sehr gewundert zu lernen, daß Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben, ja, daß alle existierenden Arten von Lebewesen in einer Entwicklung begriffen sind, an deren Anfang primitive Einzeller standen. Sicher aber wärest Du in Panik geraten, wenn Du gewußt hättest, daß Dein Gott auch 2000 Jahre nach Dir noch kein Ende der Zeiten herbeigeführt hat.
Und nicht nur dies: Dein Gott hat die Welt gar nicht geschaffen, wie Du als frommer Jude Deiner Tage annehmen mußtest. Vielmehr ist das Universum durch eine Evolution entstanden, an deren Anfang nach heutigem Wissen ein Urknall lag. Dein und Deiner Zeitgenossen Bild vom Schöpfergott war viel zu sehr von menschlicher Perspektive aus gebildet, und das gilt in verstärktem Maße von den Dienern Deiner Kirche heute, die es besser wissen müßten, aber trotzdem allsonntäglich Deinen Gott als den Schöpfer Himmels und der Erden bekennen. Ich würde dagegen lieber sagen: Das, was unseren Kosmos zusammenhält und begrenzt, ist ein großes Geheimnis, das wir nicht lüften werden, das sich aber zu erforschen lohnt. Eine solche offene Sicht der Dinge halte ich für unvereinbar mit der Annahme eines biblischen Schöpfergottes, der alles aus dem Nichts erschaffen hat. Und da Du jetzt vielleicht erschrocken fragen wirst, wie ich mit der Wirklichkeit, die Du und Deine Diener Gott genannt haben und weiter nennen, umgehe, so will ich Dir dazu einen Traum erzählen, der mich von diesem Übervater, um nicht zu sagen: Überbleibsel, freigemacht hat:
Ich rang mit Gott. Er war stark und wollte mich in eine Schlucht hinunterreißen, wo Lähmung, Schuld und Angst auf mich warteten. Als ich die Schlucht sah, erinnerte ich mich blitzartig daran, wie sehr mein Leben einmal von Lähmung, Schuld und Angst bestimmt war. Ich sagte mir: nie wieder – und wurde bärenstark. Mit letzter Kraft stieß ich Gott selbst in den Pfuhl hinab und wurde endlich frei.