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Ein Roman aus der orientalischen Phase Klingers und eine Fortsetzung zu den "Reisen vor der Sündfluth." Sein Drama Sturm und Drang wurde namensgebend für eine ganze literarische Strömung und gehört zu seinen bekanntesten Werken.
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Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Der Faust der Morgenländer
Friedrich Maximilian Klinger
Inhalt:
Friedrich Maximilian von Klinger – Biografie und Bibliografie
Der Faust der Morgenländer
Einleitung
Erster Abend
Zweiter Abend.
Dritter Abend.
Vierter Abend.
Fünfter Abend.
Sechster Abend.
Siebenter Abend.
Achter Abend.
Neunter Abend.
Zehnter Abend.
Elfter Abend.
Zwölfter Abend.
Der Faust der Morgenländer, F. M. Klinger
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849629571
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Deutscher Dichter, geb. 17. Febr. 1752 (nicht 1753) in Frankfurt a. M. als Sohn eines Stadtartilleristen, gest. 25. Febr. 1831 in Dorpat, verlor früh seinen Vater, der die Seinigen in den dürftigsten Umständen zurückließ, half sich durch eignen Fleiß und Energie weiter, besuchte bis 1772 das Frankfurter Gymnasium und trat in Beziehung zu Goethe und dessen Freundeskreise. 1774 ging er nach Gießen, um die Rechte zu studieren. Viel eifriger als mit diesen beschäftigte er sich indes mit schöner Literatur. Im Sommer 1776 ging er zu Goethe nach Weimar, im Oktober nach Leipzig als Theaterdichter der Seilerschen Truppe, mit der er bis Februar 1778 umherreiste. Alsdann lebte er einige Zeit auf Reisen durch Deutschland, machte als österreichischer Leutnant den Bayrischen Erbfolgekrieg mit und ging 1780 in russische Dienste nach Petersburg. Er erhielt 1780 eine Offizierstelle und zugleich den Adelsrang, ward bald darauf Hofmeister bei dem damaligen Großfürsten Paul und begleitete denselben auf einer Reise durch fast ganz Europa. Er stieg unter den Kaisern Paul und Alexander I. in militärischen Würden rasch empor, verheiratete sich 1790 mit einer natürlichen Tochter der Kaiserin Katharina und wurde 1798 Generalmajor, 1811 Generalleutnant. 1803 wurde er zum Kurator der Universität Dorpat ernannt, welche Stelle er bis 1817 bekleidete. 1820 suchte er um Enthebung von allen seinen Ämtern nach, zog sich aber erst 1830 ganz zurück. Von Klingers zahlreichen dramatischen Werken, die meist in die erste Hälfte seines Lebens fallen, heben wir hervor das Trauerspiel: »Die Zwillinge« (verfasst 1775), in dem, wie in so vielen Dramen der Geniezeit, ein feindliches Brüderpaar im Mittelpunkte der Handlung steht, und das 1776 bei dem sogen. Schröderschen Preisausschreiben den Vorzug vor Leisewitzens »Julius von Tarent« erhielt. Von dem wild verworrenen renommistischen Schauspiel »Sturm und Drang« empfing die ganze Epoche, in der es entstand, den Namen (s. Deutsche Literatur, S. 703 f.). Außer den Dramen (gesammelt als »Theater«, Riga 1786–87, 4 Bde., und »Neues Theater«, Leipz. 1790, 2 Bde.) veröffentlichte K. eine Anzahl meist derb-realistischer Romane, in deren ausgedehnten Reflexionen seine Verehrung für Rousseau stark zur Geltung kommt: »Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt« (Petersb. 1791), »Geschichte Giafars, des Barmeciden« (das. 1792), »Geschichte Raphaels de Aquilas« (das. 1793), »Reisen vor der Sündflut« (Riga 1795), »Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit« (Leipz. 1798), »Der Faust der Morgenländer« (Riga 1797), »Der Weltmann und der Dichter«, sein bestes Werk, eine Leistung voll Kraft und psychologischer Feinheit (Leipz. 1798), und »Sahir, Evas Erstgeborner im Paradies« (das. 1798). Die Summe seiner Welt- und Lebenserfahrung hat er in aphoristischer Form niedergelegt in den inhaltschweren »Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und Literatur« (1803–05). Eine Sammlung des Besten seiner Werke hat K. selbst veranstaltet (Königsb. 1809–15, lu Bde.; neue Ausg., Stuttg. 1842, 12 Bde.); eine andre Auswahl erschien in 8 Bänden (Stuttg. 1878–80). Vgl. Erdmann, Über F. M. Klingers dramatische Dichtungen (Königsberg 1877); E. Schmidt, Lenz und K., zwei Dichter der Geniezeit (Berl. 1878); M. Rieger, Friedr. Maxim. K. Leben und Werke (Darmst. 1880–97, 2 Bde.); L. Jacobowski, K. und Shakespeare (Dissertation, Freiburg 1891).
Der Herausgeber dieses Buches setzt voraus, daß der Leser desselben die Reisen vor der Sündfluth entweder schon gelesen hat, oder vorher noch lesen wird.
Die Ursache des Kontrastes dieser morgenländischen Behandlung mit der abendländischen desselben Gegenstandes wird dem Leser ohne Erinnern auffallen, da er schneidend genug ist.
Auch schmeichelt sich der Herausgeber, man werde leicht den Faden wahrnehmen, welcher dieses Werk mit Faust, Giafar, Raphael und Mahals Reisen u. s. w. zu einem Ganzen und zu einem Zweck verbindet.
Mohammed Ebn Fadhul sagt: die Reinheit der Absicht macht, daß gleichgültige Handlungen gut sind, denn ohne sie werden selbst die guten schlecht.
Im November 1793.
nach Ben Hafi's Handschrift und der Tradition.
Der Großvizir berührte alle Saiten des Herzens des Khalifen, versuchte alle Schleichwege zu seinem Geiste, um den armen, weisen Narren Ben Hafi zu stürzen. Da er nun diese Saiten gestimmt und alle die Schleichwege selbst gegraben hatte, so glaubte er das sicherste Spiel zu spielen; gleichwohl betrog er sich. Ein Beweis, daß Erhabenheit des Geistes und Güte des Herzens solche himmlische und unzerstörbare Geschenke sind, daß selbst die abgefeimtesten Hofleute sie zwar niederdrücken und irre leiten, aber nie ganz ersticken können. Darum glaube ich, der Herausgeber dieses Buchs, daß der Sieg eines Monarchen über die listigen Verführungen, die gefährlichen Anfechtungen, die blendenden Vorspieglungen, die leidenschaftlichen Reizungen zum Mißbrauch der Gewalt, zur Befriedigung der Begierden, womit ihn seine Großen und Höflinge von der Wiege an empfangen und durch das ganze Leben bis zum Grabe begleiten, wenn auch nur halb, wenn auch nur zum Theil erfochten, doch immer noch der schönste Triumph der Menschheit über das Böse ist. Rasche Tadler, gutmeinende Träumer, kühne Vernünftler, anmaßende Weisen sollten bedenken, daß der Khalife hier mehr gethan hat, als vielleicht Mancher von ihnen in seiner Lage würde gethan haben, oder zu thun fähig sein.
Er antwortete gutmüthig: »Was hat dir der Mann gethan? Wem an meinem Hofe, in meinem Lande hat er geschadet?«
Der Großvizir meinte: »Der Mann sei einmal gefährlich, dies erkenne Jedermann, und wenn er bisher nichts Böses gethan hätte, so geschehe es bloß darum, um das Böse in Zukunft mit größerer Sicherheit zu thun. Seine Pflicht sei, dem Bösen, das dieser Gefährliche gewiß thun würde, zuvorzukommen, den Khalifen davor zu warnen, und sollte er sich auch der Gefahr aussetzen, seinem erhabenen und großmüthigen Herrn zu mißfallen.«
Der Khalife erwiderte: »Gott weiß es allein, was er thun wird, was er thun soll und muß; er kennt Ben Hafi's, dein und mein Herz, und der Engel, der unsere Gedanken und Thaten aufzeichnet, zeichnet sie auf, wie wir sie denken und thun, nicht wie wir sie aussprechen und mit dem Schleier der Heuchelei verhüllen.
»Ein gewisser Tag wird kommen, und Gott wird Alle zum Leben auferwecken und ihnen Alles erklären, was sie gethan und gedacht haben. Er hält genaue Rechnung darüber; aber sie haben es vergessen. Gott ist Zeuge über alle Dinge. Weißt du nicht, daß ihm Alles bekannt ist, in dem Himmel und auf der Erde? Es gibt keine geheime Unterredung zwischen Drei, oder er ist der Vierte; keine zwischen Vieren, oder er ist der Fünfte; keine zwischen mehreren oder wenigern als diese, oder er ist mit ihnen, wo sie auch immer sein mögen.« Aus dem Koran, wie alle die folgenden, auf diese Weise gedruckten Stellen
»So richtet ihn nun Gott, wie mich und dich, nach seinem Wirken und Denken, nicht nach seinem Urtheil. Mir scheint Ben Hafi ein ganz guter Mensch zu sein, und ich lese in seinen Blicken, auf seiner Stirne, daß er es ehrlich mit mir meint, und glaube darum seinen Blicken, seiner Stirne, weil er so wenig von seiner Treue spricht. Auch hat er mir bisher noch nicht geschmeichelt, er muß also mir und sich doch trauen. Und sage mir, Vizir, warum sollte es Ben Hafi nicht ehrlich mit mir meinen? Könnte er durch Falschheit wohl mehr gewinnen? Ich begreife wenig: aber von allen den dunkeln und geheimnißvollen Dingen ist mir das allerunbegreiflichste, daß der Mensch treulos und falsch sein mag, da er durch Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit viel leichter zu seinen Zwecken kommen müßte und mit seinen Zwecken der Menschen Herzen zugleich gewänne.«
Großvizir. Aber wenn nun seine Zwecke selbst nicht ehrlich sind?
Khalife. Mißgönnst du ihm dann den Gewinnst desselben, Vizir?
Großvizir. Nicht ich! doch die Erfahrung lehrt uns leider, daß der Böse ohne Reue verschlingt, was er durch Trug erwirbt, der von ihm Betrognen lacht und auf neue Ränke sinnt.
Khalife. Bis er sich selbst in dem Netze seiner Ränke fängt. Vizir! Wenn die Erde durch Erbeben erschüttert werden wird, und sie ihre Lasten auswerfen wird und ein Mann rufen wird: was schmerzt sie doch? An diesem Tage soll die Erde Neuigkeiten verkündigen, denn der Herr wird sie begeistern. An diesem Tage werden die Menschen hervorgehen nach verschiedner Ordnung: und wer Gutes gethan hat, nach dem Gewichte einer Ameise, der soll dasselbe wieder sehen: und wer Böses gethan hat, nach dem Gewichte einer Ameise, der soll dasselbe wieder sehen.«
»Ben Hafi gleicht dem letztern nicht. Mein treuer, tauber Masul liebt ihn, und Derjenige, den mein treuer Masul liebt, der muß, beim erhabenen Propheten, ein ehrlicher Mann sein; denn meinem treuen Masul sitzet der Geist der Wahrheit in dem Herzen und der Geist der Erfahrung in den Augen, und darum kann er des Gehörs entbehren. Gott nahm ihm hier und legte ihm dort zu. Er erräth den Menschen an den Blicken, den uns unsichtbaren Bewegungen der Lippen, dem leisen Spiele der Gedanken um den Mund, entziffert jedes Fältchen der Stirne, jedes Senken und Erheben der Augenbraunen und sieht mit seiner Seele des Menschen Seele durch das Fleisch, so weit es Gott dem Sterblichen erlaubt. Hast du nicht selbst bemerkt, wie richtig und genau er Ben Hafi's Märchen verstanden hat?
Hätte ich nur immer dem Rathe meines treuen Masuls gefolgt, so wäre nun Vieles anders! Der edle Abdallah, mein Bruder, lebte an meinem Hofe, und ich hätte einen Freund in ihm. Nur Masul sprach für ihn; aber ich hörte die Stimme des Treuen nicht; der Glanz, die Sorge der neuen Würde, das Geräusche der lärmenden Feste und, mehr als Dieses alles, die glatten, gesprächigen Zungen seiner listigen Feinde hatten mein Gehör betäubt und mein Herz durch Furcht verhärtet.«
Großvizir. Der edle Abdallah! Er, der nach dem Thron und Leben seines Herrn und großmüthigen Bruders strebte!
Khalife. So sagtet ihr: vielleicht that er's auch, wenigstens gebiete ich oft dadurch der Rührung meines Herzens für ihn; aber wenn ich wiederum gedenke, welch ein liebender Bruder, welch ein muntrer, aufrichtiger, geistreicher Gefährte er mir während des Lebens unsers Vaters war, und wie ich ihn, von dem Augenblick, da ich den Thron bestieg, durch allzu viele Kälte, die ihr Klugheit nanntet, von mir entfernte, ihn endlich gar verdammte, ohne ihn zu hören, so wünsche ich, er wäre an meiner Stelle auf den Thron der Khalifen gestiegen. Ich hätte dabei gewonnen, für diese und jene Welt, und, Großvizir, bei dem Glanze des Ewigen! Abdallah hätte seinen Bruder nicht ungehört verdammt, denn er war so stark, als er weise und gut war.
Großvizir. Herr, wer verdammte ihn? Sprach er sich nicht selbst das Urtheil durch seine Flucht?
Khalife. Du hast Balsam für jede meiner Wunden, Linderung für jeden Stich durch mein Herz, dies habe ich längst erfahren; doch deine Heilart gelingt nicht ganz, die Narben bleiben, und jede kleine Erschütterung reißt die Wunde wieder auf.
Großvizir. Deine allzu große Güte, deine zu sanfte Milde waren immer die Plagen deines Herzens, und selbst die traurige Erfahrung, welche du täglich machst, wie wenig ihrer die Menschen werth sind, wie selten sie ihnen entsprechen –
Khalife. Und wenn sie die Menschen so ganz verdienten, was thäte ich wohl, das des Redens werth wäre? Der Thron der Khalifen wäre mir ein ganz bequemer Sitz, wenn ich nur so gut sein dürfte, als ich es gerne wäre; doch ihr polstert ihn mir mit Dornen, denn ihr beweist mir ohne Unterlaß, man müßte hart und streng sein, und da ihr mir die Härte und Strenge immer zur Pflicht zu machen wißt, was bleibt mir übrig, als es eurem eigenen Gewissen zu überlassen? So dachte ich auch, da mein Bruder fliehen mußte!
Großvizir. Leider ist es nun nicht anders, und Alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter regieren und zum Guten peitschen.
Dein Bruder floh, weil er kein Zutrauen mehr in sich fühlte, vor dich zu treten!
Khalife. Er hatte keins zu mir, und darum floh er. Er mußte fliehen, vor seinem Bruder fliehen, um sein Leben zu erretten, um seinem Bruder vielleicht ein Verbrechen zu ersparen. Wo mag er sein? In welcher elenden Hütte dürftig schmachten, während ich im Ueberfluß hier sitze und Asiens Schätze ausspende? Vielleicht steht er längst als Ankläger gegen mich vor Gott und mein Vater zu seiner Seite. Er ist gerecht! Besser, ich hätte erlitten, was er erlitten hat; denn dem unschuldig Verfolgten öffnen sich vor allen die blühenden Gärten des Propheten, und der höchste Sitz ist sein ewiges Lager.
Der Großvizir hatte dieses so oft gehört und umsonst bestritten, daß er endlich die weise Regel wählte, den Khalifen über diesen Gegenstand so lange ohne allen Widerspruch reden zu lassen, als er es für gut hielt. Das Aeußerste, was er sich hierbei merken ließ, war ein kaltes, bedauerndes Mienenspiel, ein stiller Seufzer, von einem frommen Blick zum Himmel begleitet, wodurch er dem Khalifen bedeuten wollte, es sei traurig, daß Abdallah so vieler Zärtlichkeit nicht würdiger gewesen sei, und daß man Alles, was er und seine Gehülfen dabei gethan hätten, als ein Opfer der Nothwendigkeit ansehen müßte.
Der Khalife fuhr fort: »Nun muß ich einen Freund in Jedem suchen, zu dem mein Herz mich hinzieht; warum ich keinen Freund an meinem Hofe suchen kann und soll, dies weißt du am besten. Du hast mir erwiesen, und meine Erfahrung hat mich davon überzeugt, daß Jeder den Khalifen nur um der Macht und der Vortheile willen liebt, die er ertheilen kann. Ich kann es nicht ändern und muß es geschehen lassen; Alles, was ich dabei denke, ist: mögen sie diese Macht zum Besten meines Volks gebrauchen und nicht vergessen, daß der Diener, dem der Herr vertraut, der gleich ihm doch nur ein Mensch ist, zwiefach strafbar vor Gott und Menschen wird, wenn er diese Macht mißbraucht.«
Auch dieses war dem Großvizir nichts Neues; er wußte ja wohl, daß, wenn er dem Khalifen eine Sache durch öfteres Anliegen und Wiederholen recht schwer und lästig machte, er es am Ende noch für Gewinn halten mußte, sich der Bürde durch Bewilligung Dessen, was man ihm so gewaltsam abdrang, zu entledigen. Dabei schonte ihn freilich der Großvizir in so weit, daß der Herr der Gläubigen entweder glauben mußte, er habe ohne allen Zwang aus eignem Willen gehandelt, oder der Tugend und Güte seines Herzens ein Opfer dargebracht. In diesem Sinne fuhr er einige Tage fort, an dem Khalifen zu nagen und zu quälen; aber trotz aller seiner List, seiner feinen Wendungen und versteckten Drohungen, scheiterte er hier zum erstenmal. Selbst die Langeweile, die er ihm damit verursachte (das fürchterlichste Uebel für den Khalifen), beförderte diesmal seine Absicht nicht. Er fragte ihn mit ganz ungewöhnlichem Ernste:
»Fürchtest du den armen, guten Narren?«
Der Großvizir lächelte verächtlich.
Khalife. Nun, wenn du ihn nicht fürchtest, was macht dich zu seinem Feinde?
Großvizir. Muß ich darum der Feind eines Mannes sein, weil ich ihn erkenne, wie er ist, und mich seine listigen Absichten nicht verblenden. Mir kann er nicht gefährlich werden; wodurch vermöchte er's?
Gib ihm Gold, so schwer er selber ist, ich wünsche es ihm; aber in dem Augenblick, da ich dieses wünsche, muß ich dir sagen, der Mann taugt an dem Hofe des Khalifen zu nichts, taugt in Bagdad zu nichts, taugt in deinem ganzen Lande zu nichts. Er hält nichts von der Ordnung, nichts von meinem durch die Erfahrung bewährten Spruche. Seine nur ihm eigne Verwegenheit, dir gewisse Dinge ins Angesicht zu sagen, die nie einer deiner Unterthanen zu denken wagte – Gedanken laut werden zu lassen, die, wenn sie in den Köpfen deiner treuen Unterthanen erwachten, deinen festen Thron, dein und ihr Glück erschüttern könnten. –
Khalife. Davon weiß ich nichts, und was kümmert es mich, was er von den Bösen und von den Thoren spricht? In mir erweckt er Gedanken, mit denen ich ganz zufrieden bin, die ich wohl in jüngern kräftigem Jahren und zu bessern Zeiten selbst gedacht habe. Du weißt, warum diese Gedanken nicht zu Thaten reiften. Auch fürchte ich für mich und für mein Volk gar nichts von diesem Manne; denn der Khalife, der so fürchtete, wie du zu fürchten scheinst, müßte des Bösen viel gethan haben, oder zu thun noch Willens sein, und das Volk müßte noch thörichter und böser sein, als du es mir zu malen ohne Unterlaß beflissen bist.
Ben Hafi soll heute anfangen, seine mir versprochenen Wanderungen zu erzählen, und ich lade dich dazu ein.
Großvizir. Verzeih mir, Herr, die einzig kühne Frage: Was hast du an dem Menschen? Was glaubst du an ihm zu haben?
Khalife. Was ich an ihm habe? Wenn ich Alles wüßte, was ich an ihm hätte, so könnte es mich vielleicht der Freude des Suchens, vielleicht gar des Gewinnstes des Funds verlustig machen. Der Taucher muß nicht wissen, auf welcher Stelle die edelste Perle in dem Grunde des Meers verborgen liegt, sonst läßt er die minder edlen liegen, und dies wäre doch Verlust für ihn, da viele minder edlen selbst den Werth der reinsten und größten aufwiegen können. So sagt ein weiser Ausleger des Korans, indem er von der Menschenliebe spricht und uns damit eine kluge Warnung gibt.
Ich will nicht wissen, was ich Alles an Ben Hafi habe, damit ich länger etwas an ihm haben mag.
Großvizir. Nachfolger des Propheten, dein Gleichniß ist schön; aber ich verstehe es nicht.
Khalife. Du verstehst es nicht, weil du in dem Menschen keine Schätze suchst.
Großvizir. Und das darum, Herr, weil keiner deiner Diener die Zeit erübrigen kann, sich vergebens zu bemühen.
Ben Hafi erschien mit dem Glockenschlag, die kleine Gesellschaft hatte sich versammelt und Jeder derselben den ihm angewiesenen Platz eingenommen.
Der Großvizir, ergrimmt, daß es ihm nicht gelungen war, den ihm verhaßten Menschen zu entfernen, und nun noch ergrimmter, daß er seinen Erzählungen von Neuem beiwohnen mußte, sah Ben Hafi sehr liebreich an, wandte sich darauf demüthig gegen den Khalifen und schien mit seinen Blicken um das Wort zu bitten. Der Khalife winkte ihm gütig zu.
Großvizir. Ich schmeichle mir, Nachfolger des Propheten, unser guter Ben Hafi wird die weisen Lehren, welche wir alle hier aus »Mahals Reisen vor der Sündfluth« gezogen haben, durch die Erzählung seiner eigenen Wanderungen, die nach seiner Versicherung weit unterhaltender für den Herrn der Gläubigen sein soll, noch weit mehr ins Licht setzen.
Khalife. Unterhaltend wünsche ich sie; aber was die weisen Lehren betrifft, von welchen du sprichst, da weißt du wahrlich mehr davon als ich. Doch laß nur immer hören; es soll mir lieb sein, wenn du etwas zu deinem Besten daraus genommen hast.
Großvizir. Ich nahm für mich daraus, daß der Mann, welcher über Menschen herrscht, durch und auf Menschen wirken will, Alles mit kaltem Sinne, ohne den mindesten gefährlichen Einfluß des blendenden und verführerischen Enthusiasmus thun müsse, weil nur Das gelingt und dem Ganzen nützt – dem Ganzen, Beherrscher der Kinder des Propheten – was man mit kluger Berechnung der Erfahrung auf die Bosheit, Schlechtigkeit, Selbstigkeit, Unzulänglichkeit der Menschen unternimmt, und alles Das verzerrt und verschoben herauskommt, was man in Begeisterung hoher, eingebildeter Tugend und warmer trüglicher Hoffnung auf die Billigkeit, Gerechtigkeit und Einsicht unserer Zwecke von den Menschen thut.
Daß man demnach den Menschen bloß als ein Thier betrachten muß, das man durch seinen angebornen Instinkt zu Dem zwingt, was ihm nützt, und von dem abhält, was diesen durch Erkünstelung verdorbnen Instinkt irre führen könnte. Zu dem ersten gehören: Arbeit, Fraß, Hervorbringung seines Gleichen, der ganze sinnliche Genuß des Lebens, welcher, man sage und heuchele, was und wie man will, doch immer noch das einzige wirkliche ist, was der Mensch in diesem Leben davon trägt, und wodurch er sich und, so fern er gut und großmüthig sein will, auch Andern gütlich thut. Zum zweiten gehören: Zuschärfen der Vernunft, Aufklärung des Geistes, Zuspitzen des Verstandes und das allzu gefährliche Spiel mit dem Gifte der Wissenschaften, welches Langeweile, Kitzel, Stolz und Vermessenheit erzeugt und erfunden haben.
Dieses nun alles lehrt uns Ben Hafi recht anschaulich und beweiset damit, daß ein Herrscher der Menschen nichts aus warmem täuschendem Gefühl des Herzens, sondern Alles bloß nach kalten Regeln der Vernunft thun müsse, weil er alsdann seines Vortheils immer sicher ist.
Khalife. Und wozu, Vizir, hätte denn Gott dem Herrscher ein Herz gegeben, wie dem Bettler, und die Liebe und das Mitleiden, nach den Worten des Propheten, wie zwei erhaltende schützende Engel zwischen das Menschengeschlecht gestellt?
Großvizir. Der Herrscher hat andere Pflichten, als der Mensch.
Khalife. Dies ist mir leid um Beider willen.
Großvizir. Dieses alles fließt aus unsers ehrlichen Ben Hafis Lehren, wie daraus fließt, daß mein Spruch: man muß die Menschen, wegen des in ihnen eingewurzelten Bösen mit einem eisernen Scepter beherrschen, und zum Guten, das heißt zum Gehorsam peitschen – die erprobteste Wahrheit vor und nach der Sündfluth sei, welches gewiß seine eignen Wanderungen nach der Sündfluth, wie Mahals Reisen vor der Sündfluth, beweisen werden.
Dieses eingewurzelte Böse ist nun der schwarze Flecken oder das berühmte schwarze Korn, welches jeder Sohn Adams, von diesem seinem Urvater her ererbt, in der Mitte des Herzens trägt.
Khalife. Und das der Engel Gabriel aus dem Herzen des Propheten riß, damit er nicht mehr sündigte.
Ben Hafi. Schade, daß wir dieses schwarze Korn nicht auf der Stirne tragen, wenigstens würdest du auf der meinigen, ich auf der deinigen sehen können, wer von uns beiden das größte geerbt hat.
Doch sage mir, wie liegen alle diese Lehren in des starrsinnigen Mahals Reisen?
Großvizir. Nach deines Mahals Berichten waren alle Sultane vor der Sündfluth gar erbärmliche Wichte, nur zum Bösen und Unterdrücken geneigt, das selbst auszuüben sie nicht einmal die Kraft hatten; und die Menschen, mit denen sie dieses schöne Spiel trieben oder treiben ließen, verdienten gar kein beßres Schicksal, weil sie selbst ihre Sultane zu Dem machten, was sie waren, und wenn sie dieselben dazu gemacht hatten, in aller Geduld ertrugen.
Nach Mahals Berichten dienen die Wissenschaften, welche doch die Menschen aufklären sollten, nur dazu, sie schlechter, üppiger, kühner, Gottes und des Glücks der Menschen vergeßner zu machen.
Khalife. Aber, Vizir, was in aller Welt kann doch der arme Ben Hafi dafür, daß er nichts Besseres von diesen Sultanen in seiner Handschrift zu erzählen vorfand? Ist es doch nicht seine Schuld, wenn sie nur böse und thöricht waren? So viel ich ihn kenne, wünscht er sie so gut und weise, als ich sie nebst allen Menschen gerne sehen möchte. Gesetzt nun, ich gliche einem von jenen, und Einer sagte es laut, so würde ich vielleicht darüber ungehalten werden, vielleicht auf eure Vorstellung gar ihn strafen; doch was thäte ich wohl hierbei, als eine bös That mehr, da es doch im Grunde dieser Mensch nicht schlimmer mit mir meinte, als mein eigenes Gewissen, das mir immer zuruft: ich sollte nicht thöricht und böse, sondern weise, klug und gerecht handeln.
Ben Hafi. Goldne Worte! merke sie doch, Großvizir!
Khalife. Was eure Wissenschaften betrifft, so ist der um so strafbarer, wenn er Das zu Gift für sich und Andere macht, was ihm als Gabe zur Weisheit für ihn und Andere gegeben ward. Und wozu braucht sie der Mensch? Vor Gott ist der Gelehrteste und der Unwissendste einer wie der andere; und nur die Erfüllung der Pflichten macht Einen größer als den Andern.
»Der Barmherzige hat seinen Diener den Koran gelehrt. Er hat Menschen geschaffen und sie verschiedne Sprachen gelehrt. Die Sonne und der Mond verrichten ihren Lauf nach fester Ordnung, und die Pflanzen, welche an der Erde kriechen, und die Bäume, welche ihre Wipfel gen Himmel erheben, sind seiner Ordnung unterworfen. Er erhub die Himmel und stellte eine Wage auf der Gerechtigkeit und Billigkeit!«
»Wahrlich, die Muselmanen beiderlei Geschlechts und die wahren Gläubigen beiderlei Geschlechts und die frommen Männer und die frommen Weiber, und die wahrhaften Männer und die wahrhaften Weiber, und die geduldigen Männer und die geduldigen Weiber, und die demüthigen Männer und die demüthigen Weiber, und die Almosen spendenden Männer, und die Almosen spendenden Weiber, und die Männer, welche fasten, und die Weiber, welche fasten, und die keuschen Männer und die keuschen Weiber, und die beiderlei Geschlechts, welche Gottes immer eingedenk sind, für diese hat er Vergebung und Belohnung vorbereitet.«
Ben Hafi. Erlaube mir nun, Herr, deinem Großvizir noch eine Frage zu thun! – Und alles Dieses hörtest du aus Mahals Reisen heraus?
Großvizir. Ich bin zufrieden damit, weil es meinen Spruch beweist und den Herrn der Gläubigen dadurch von meinen Regierungsgrundsätzen immer mehr überzeugt.
Ben Hafi. Das thut es bei dem Glanze seines Thrones und noch mehr bei der menschenfreundlichen Güte seines Herzens nicht! Daß du Dieses alles darin finden konntest, begreife ich gar wohl; du hörtest Mahals Reisen mit deinem Geiste und Herzen, nicht mit dem Geiste und Herzen des Khalifen an. So sieht der Gelbsüchtige selbst die Rose gelb. Du hörtest Mahals Reisen als Großvizir an, als ein Mann von Grundsätzen, die aus deinem Spruche fließen; denn hättest du sie als Mensch gehört, so würdest du höchstens daraus geschlossen haben: der Mensch mißbrauche leider oft, was ihm zu seinem Glück gegeben ist, Religion, Regierung und die Wissenschaften.
Großvizir. Ich hörte es recht gerne.
Ben Hafi. Daß sie die Großen und Hofleute, die Priester und die Denklinge mehr zu diesem Mißbrauch verleiten, als ihre Herrscher, weil ihre Herrscher dabei gewinnen, wenn Religion, Regierung und Wissenschaften den hohen Zweck erfüllen, wozu sie Gott gegeben hat. Du würdest ferner aus Mahals Reisen geschlossen haben, daß die Sultane vor der Sündfluth, ohne genannte Herren, ganz gute Leute gewesen sein würden (es nach der Sündfluth wohl alle wären), weil sie ihren Vortheil dabei gefunden haben würden und noch jetzo fänden; denn der Mensch ist von Natur lieber billig, gut und ruhig, als grausam, hart und unruhig, und der Herrscher erlangt durch Gerechtigkeit und Milde seinen Zweck viel sichrer. Du würdest gesehen haben, daß dies Böse nicht in der Natur der Sultane liegt, denen doch beim erhabenen Propheten das härteste Loos zufiel, welches das Schicksal über einen Sterblichen werfen konnte. –
Großvizir. Und in wem läge es?
Ben Hafi. In Denen, die sie umgeben, in ihren Hofleuten, Großen und Dienern, die ihnen ihren Verstand verdächtig machen und dann beweisen, Das, was ihnen ihr Herz zum Besten der Menschen sagt, sei Thorheit; die Begeisterung fürs Gute und die daraus entspringenden Tugenden seien für den Herrscher gefährlicher Wahnsinn, fruchtloses Bemühen; die Menschen seien sammt und sonders eine bösartige Heerde, nur immer tückisch gegen ihren Hirten gesinnt, er meine es auch noch so gut mit ihr, und darum müsse man sie, nach deinem Spruche, mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten, das heißt zum Gehorsam, peitschen.
Sieh, dieses lehren Mahals Reisen. Warum nun die Hofleute, Großen und Staatsbeamten den Sultanen so viel Böses von den Menschen sagen, brauche ich einem Manne nicht vorzuerzählen, der so lange Großvizir gewesen ist.
Khalife. Beim Propheten, Das, was du da sagst, ist wahr, und ich erfuhr es von dem Augenblick, da sie mir sagten, ein Thron erwarte mich. Noch toller ward es, da ich mich endlich darauf setzte. Immer war nur Der der ehrliche Mann, der den Andern bei mir verläumdete, und da diesem Schicksal Keiner von ihnen entging, so magst du leicht erachten, wie mir zu Muthe gewesen ist.
Doch wenn nun einmal die Herrscher selber Menschen sind und ohne Hofleute und Diener weder leben noch bestehen können? –
Soll es mir genügen, daß sie täglich meine Schwelle in Demuth mit ihrer Stirne begrüßen? Werde ich dadurch, was ich sein soll? Bin ich darum ein Riese, weil das Volk das aus meinem Fenster, zur Verehrung der Hofleute, herunterhängende zwanzig Ellen lange Stück schwarzen Sammet den Aermel des Khalifen nennt?
Ach, wohl ist Alles eitel: der Mensch ist böse, dies habe ich erfahren, und hängt es der Rolle an, die wir spielen, daß er es wird, so bald er sich uns naht, so ist es wahrlich das schrecklichste Loos, auf einem Thron zu sitzen. Keinem zu trauen, seine warmen Empfindungen, sein Wohlwollen, seine Liebe und Freundschaft in der Brust zu verschließen und immer zu drohen, immer zu strafen und zu schrecken, für alles Böse angeklagt zu werden, alles Gute sich von fremden Händen entreißen zu lassen, das Gute herzlich zu wollen und es fremden Händen anvertrauen zu müssen –
(Feierlich). Herr, wenn du uns den guten Willen nicht anrechnest, wie soll einst dein Knecht vor dir bestehen!
Ben Hafi. Zum Verdienst rechnet er nur den Willen an, der That geworden ist, sagt ein Ausleger des Buchs. Dieses muß geschehen, oder das noch schwerere – die Besserung Derer, welche die Sultane zur Ausführung ihres Willens brauchen; doch leider rechnet man dieses unter die unmöglichen Dinge.
Khalife. Ben Hafi, Gott ist nichts unmöglich, und wenn er will, so kann er sogar die Hofleute zu ehrlichen aufrichtigen Leuten und die Vizire und Kadi zu gerechten Männern machen.
»Bei dem Gebirge Sinai, bei dem Buche geschrieben auf einer ausgedehnten Rolle, und bei dem besuchten Hause und bei dem erhabenen Dache des Himmels und dem schwellenden Weltmeer, die Strafe des Herrn wird gewiß herunter kommen. An diesem Tage soll der Himmel zusammengefaltet werden wie ein Segel nach der Reise, und die Gebirge vorübergehen.«
Ben Hafi. Wer zweifelt hieran? doch indessen thue jeder Sultan sein Bestes.
Sieh, Großvizir, dieses fließt ungefähr aus Mahals Reisen, es sei dann, daß du die darin versteckte Lehre noch merken wolltest: Derjenige sei der glücklichste, der in stiller unschuldiger Ruhe, fern von den Höfen und der rauschenden Thätigkeit der Menschen, seine Tage hinlebt, ohne zu wissen, wie die Menschen regiert werden, und ohne nachzuforschen, warum Gott vor unsern Augen Dinge geschehen läßt, wie wir täglich geschehen sehen.
Khalife. Da aber die Menschen nun einmal regiert werden müssen, was bleibt uns übrig, als auf dem Posten zu bleiben, auf den das Schicksal uns gestellt hat, und Das zu thun, was wir vermögen? Darin hast du übrigens ganz recht, daß die Sultane der Erde gute Leute sein würden, wenn nur andre Leute nicht ihren Vortheil dabei fänden, daß sie böse wären. Wenn ich über Das, was ich erfahren, gehört und gesehen habe, nur einen Augenblick nachsinne, so begreife ich nicht, wie es zuging, daß ich so gut geblieben bin, da man sich alle Mühe gab, mich mißtrauisch, feig und bös zu machen, und, Ben Hafi, was das Allerschlimmste des Schlimmen ist, da die Menschen unser Einem so viele Ursache geben, über sie böse zu werden. Gewiß muß mir Gott etwas in das Herz gelegt haben, das diesem gefährlichen Gifte immer widerstand; was es ist, das weiß ich nicht; aber mitten im Zorn und Mißmuth regt es sich warm und lebendig in meiner Brust. Bin ich nun nicht besser, so ist es meine Schuld nicht. Uebrigens glaube ich gerne, daß du die Hofleute und die Menschen kennst; aber um sie recht zu kennen, guter Ben Hafi, muß man eine Zeitlang selbst auf einem Thron gesessen haben; da sieht man erst, wie schwer es hält, gut zu bleiben und sie zu lieben. Freilich bin ich nun wohl zufrieden, daß ein Thron mein Sitz ist; ob ich gleich begreife, daß man vor den Augen Gottes und der Menschen eben so würdig, glücklich und gut in einer Hütte sein kann, doch will ich auch damit nicht gesagt haben, daß ich meinen Thron mit einer Hütte vertauschen möchte. Weißt du warum?
Ben Hafi. Ich bin begierig, es zu vernehmen.
Khalife. Weil der Thron der Khalifen doch ein ganz bequemer Sitz ist, wenn man ein gutes Gewissen hat, und weil es vor Gott und den Menschen mehr Verdienst erwirbt, auf dem Throne, als in der Hütte gut, mild und gerecht zu sein. Gewiß wird Gott die Rechtschaffenheit und Tugend nach dem Maße der Schwierigkeiten belohnen, die ihre Ausübung erfordert. Wären wir sonst nicht zu beklagen?
Du weißt nicht, guter Ben Hafi, was die Menschen von uns verlangen und fordern, und glaube mir nur, es ist nichts weniger als Das, was kein Sterblicher erfüllen kann; denn um so zu sein, wie sie von uns wollen, müßten wir eigentlich keine Menschen von ihrer Gattung sein. Nur wir sollen keine Leidenschaften haben, damit sie desto ungehinderter dem Zuge der ihrigen folgen können. Frei sollen wir von Begierden sein, damit sie desto ungestörter ihre Habsucht und Wollust befriedigen mögen. Wir sollen wachen, denken und sorgen, damit sie ruhig und sorgenlos bei ihren Weibern liegen können. Und alles Dieses fordern sie von Männern, die von den Reizen der Wollust, der Macht und Gewalt bei dem Eintritt in das Leben begrüßt werden. Wir sollen kalt und weise an dem reichen Mahl der Genüsse der Erde sitzen und entweder gar nicht zugreifen, oder uns doch mit einem Maße zumessen, das sie für sich selbst zerschlagen.
Gott, gib mir Stärke, Weisheit und Geduld!
Man sage von mir, was man will. Keiner kann mir den Geist der Ordnung, die Güte des Herzens und das unbestechliche Gefühl der Gerechtigkeit absprechen. Ich thue Keinem mit Willen weh, mein Thun und meine Tagezeit ist regelmäßig abgetheilt und geht so sicher und gewiß wie der Lauf der Sonne.
Ben Hafi. Vortrefflich, Herr, wenn deine Bestimmung wäre, um dein Reich herumzulaufen, wie sie um die Erde läuft, und sich die menschlichen Dinge eben so in eine gewisse Ordnung fügen ließen, wie sie Gott der Sonne vorgeschrieben hat.
Khalife. Davon ein ander Mal. Nun sage mir, ohne Rücksicht auf mich und deinen Widersprecher hier: ob es heilsamer für den Menschen ist – du siehst, Ben Hafi, ich sage Mensch und nicht Regent, weil ich denke, es sei doch im Grunde einerlei – ob es besser für den Menschen ist, will ich sagen, den warmen (versteht sich und auch guten) Eingebungen des Herzens im Leben und Wirken zu folgen; oder bloß dem kalten Verstande, der, wie der Vizir sagt, immer weislich den Nutzen voraus berechnet. Auf welcher Seite liegt wohl der größte Gewinn für den Menschen und die Menschen, und durch welches wird er glücklicher?
Antworte mir nicht: durch den rechten Gebrauch der beiden; wer weiß dies nicht? Ich will wissen, was ich nicht weiß, und was mir zu wissen noth thut, weil man immer widerspricht, wenn ich etwas warm und feurig unternehmen will.
Großvizir. Beherrscher der Gläubigen, du hast, mit deiner hohen Erlaubniß, die Frage nicht so gestellt, wie sie der Herr Asiens stellen müßte.
Ben Hafi. Mit der deinigen, Großvizir, der Herr der Gläubigen hat sie menschlich schön gestellt.
Er dachte einen Augenblick nach. Sanfte Begeisterung schwebte auf seiner Stirne, spielte in seinen Augen, und er sprach:
Herr der Gläubigen, ich beginne nun meine Wanderungen, vielleicht, daß im Lauf derselben etwas vorkommt, das auf deine Fragen Bezug hat. Ben Hafi würde zu viel wagen, durch sich selbst zu reden, und das Beispiel eines Mannes mag es jetzt für ihn thun.
Khalife. Wie du willst: doch lieb wär mir's, wenn Genien und Geister in deinen Wanderungen erschienen, vorausgesetzt, es seien keine Lügen.
Ben Hafi. Ueber dem Kaukasus, Beherrscher der Kinder des Apostels, erhebt sich auf Wolkensäulen ein Gezelt, gewebt aus Aether, den Strahlen der Sonne und des Monds, dem Ausfluß der Gestirne, den Düften der Blumen und den Wohlgerüchen der Pflanzen unsrer Erde.
Dieses Gezelt schwebt außer dem dicken Dunstkreis unsrer Erde und ist die Wohnung reiner Genien! die Wohnung der Geister der Edeln, welche einst diese Erde durch ihre Tugend erleuchteten und sich unter den reinen Genien durch schöne Thaten, Aufopferungen für ihre Brüder, selige Sitze erwarben.
Ein Obergenius, mit dem Lichte und der Wahrheit zugleich erschaffen, ist der glückliche Beherrscher dieser Genien und Geister.
Seliges, ruhiges Beschauen ist ihr Genuß. An den ätherischen Wänden des Gezelts (um sinnlich auszudrücken, was die Einbildungskraft geistig sieht) spiegeln sich in Gemälden die schöne Erde, ihre schattigten Haine, ihre wallenden Meere, nebst ihren Gärten, den Inseln, und Das, was die Menschen Schönes mit ihren Händen erschufen und erschaffen. Aber höheres Entzücken gewährt den Geistern Das, was die Menschen durch die moralische Kraft ihres Geistes und Herzens hervorbringen und schaffen; denn an den ätherischen Wänden malen sich die Thaten guter, edler Menschen, von dem Augenblicke an, da sie in ihrer Brust aufkeimen, bis zur Vollendung, in sanft schimmernden Bildern, und verlöschen nur, wenn Schwäche, Furcht, Selbstsucht, Eigennutz und Zweifel über den Werth der Handlungen und Derer, für die sie unternommen wurden, die schöne Begeisterung verfinstern.