3,99 €
Eine Liebesgeschichte zwischen Mittelalter und Gegenwart - Für alle Leser von Diana Gabaldon Schottland, zu Beginn des 14. Jahrhunderts: Der junge Sean wird von der Seherin Morag für die Gräueltaten, die sein Onkel ihrer Familie angetan hat, verflucht. Jahre später verliebt sich Sean ausgerechnet in Morags Tochter Iseabail. Als er um ihre Hand anhält, ist Iseabail überglücklich. Doch dann geschieht das Unfassbare: Ein Blitz trifft Sean. Zurück bleibt nur verbrannte Erde. Wenig später erwacht Sean in Köln im Jahre 1999. Verzweifelt versucht er, wieder zurück in seine Zeit und zu seiner Geliebten zu gelangen. Aber die Lage scheint aussichtslos, denn der Fluch, den Iseabails Mutter ihm damals auferlegt hat, hält ihn gefangen. Nur Iseabail kann ihn zurück in sein Jahrhundert holen, doch die Zeit ist knapp. "Ein netter Zeitreiseroman für zwischendurch, der eine tolle Liebesgeschichte beinhaltet. Ideal für einen gemütlichen Leseabend". – Susi Aly, Amazon.de "Es macht Spaß die Geschichte erzählt zu bekommen. Obwohl immer wieder zwischen den beiden Jahrhunderten geswitscht wird verliert man nie den Faden und kommt gut mit. Mir persönlich hat das Buch gut gefallen." Nehalina, vorablesen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Die Autorin Gabriele Breuer, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann und Sohn in Köln. Sie arbeitet in einem Seniorenheim und schreibt nur in ihrer Freizeit.
Das Buch Schottland, zu Beginn des 14. Jahrhunderts: Der junge Sean wird von der Seherin Morag für die Gräueltaten, die sein Onkel James Lemandt ihrer Familie angetan hat, verflucht. Jahre später verliebt sich Sean ausgerechnet in Morags Tochter Iseabail. Als er um ihre Hand anhält, ist Iseabail überglücklich. Doch dann geschieht das Unfassbare: Ein Blitz trifft Sean. Zurück bleibt nur verbrannte Erde. Wenig später erwacht Sean in Köln im Jahre 1999. Verzweifelt versucht er wieder zurück in seine Zeit zu gelangen. Aber die Lage scheint aussichtslos, denn der Fluch, den Iseabails Mutter ihm damals auferlegt hat, hält ihn gefangen. Nur Iseabail kann ihn zurück in sein Jahrhundert holen, doch die Zeit ist knapp.
Gabriele Breuer
Roman
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin November 2014 (2) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © Finepic® Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-016-1
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,
Verbissen kramte der Junge in der schweren Eichentruhe. An einem Fuß trug er einen Stiefel, mit dem anderen stand er barfuß auf den Holzdielen seiner Schlafkammer. Dann endlich zog er das Holzschwert aus der Truhe und hielt es ehrfürchtig mit zwei Händen in den Sonnenstrahl, der durch das Fenster fiel.
»Nun zieh dir endlich deine Stiefel an«, ermahnte der Vater ihn.
»Ja, gleich. Nur noch den Helm.« Hastig schaute sich der Junge in dem Zimmer um. »Ah, da ist er ja.« Er nahm ihn von seiner Schlafstätte und setzte ihn auf. Dabei rutschte ihm die Kopfbedeckung über die Augen, so dass er nichts mehr sehen konnte. Blind tastete er nach dem Stiefel.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Vaters. Er kniete nieder, rückte den Helm wieder in die rechte Position und half seinem Sohn in den Schaft. Dann sah er ihn ernst an. »Komm, Sean. Wir wollen Onkel James doch nicht warten lassen.«
Wenig später saß der Junge auf seinem braun gescheckten Pony und zupfte nervös an den Zügeln. James Lemandt, der Onkel seines Vaters, Befehlshaber unter Robert Bruce, würde ihm endlich den Schwerthieb lehren und wie er eine Schlacht zu führen hatte, wenn er um die Unabhängigkeit kämpfte. Bewundernd schaute Sean zu seinem Großonkel auf. Ein hagerer, hochgewachsener Enddreißiger, der erhaben und machtvoll, in feinstes Leder gekleidet auf einem riesigen Schimmel saß. Sein Bart, der von silbrigen Fäden durchzogen war, kräuselte sich in seinem Gesicht. Auf dem Haupt trug er, wie auch die anderen Männer, einen silbernen Helm. Der Vater des Jungen hatte ihm so oft berichtet, wie wichtig James für das Schicksal dieses Landes war, und er, sein junger Großneffe, durfte an den Vorbereitungen der Kämpfe teilhaben. Sean war stolz darauf, hier zu sein, mit dem Tross reiten zu dürfen und von den Besten zu lernen.
Im Alter von zehn Jahren hatte er nicht die geringste Ahnung, wie viel Blut in einem Krieg floss. Er sah nur die Krieger vor sich, die erhobenen Hauptes aus der Schlacht heimkehrten. Das Volk würde ihnen vom Wegesrand aus zujubeln, sie mit Blumen und Geschenken überhäufen, bevor die Krieger im Schloss des Königs namentlich geehrt würden. Sean fühlte sich so stark, als könnte er selbst jede Schlacht gewinnen. Er strich eine Locke seines wirren, dunkelbraunen Haares zurück unter den eisernen Helm. Später wollte er auch auf einem richtigen Pferd reiten. Auf einem Schimmel aus der Zucht seines Vaters. In Gedanken sah er sich ein glänzendes Schwert aus Eisen in den Händen halten. Neugierig verfolgten seine rehbraunen Augen jede Bewegung in der Umgebung. Hinter jedem Fels vermutete Sean einen Feind. Die Hand an sein Holzschwert gelegt, war er allzeit bereit, es zu ziehen.
James beabsichtigte, noch mehr Männer und kriegsfähige Burschen für eine mögliche Schlacht ausfindig zu machen. Zu diesem Zweck suchte er persönlich die entlegensten Dörfer der Highlands auf. Mit aller Gewalt wollte er die Unabhängigkeit der Schotten von den Engländern erkämpfen, und dazu brauchte er jede gottverdammte Seele in diesem Land.
Nach einer Weile näherte sich die Gruppe einer Hütte, die zwischen hohen Kiefern versteckt lag. Eine Rauchwolke stieg aus dem Kamin, und die Männer atmeten den Duft von warmem Haferbrei ein. Obwohl der Junge am frühen Morgen ein Frühstück zu sich genommen hatte, weckte dieser Geruch in ihm das Verlangen nach Wärme und Behaglichkeit. Sean war noch nie so lange seinem Elternhaus ferngeblieben, und es stieg das Gefühl von Heimweh in ihm auf. Seit Tagen ritten sie schon durch die Highlands, ohne dass etwas Außergewöhnliches geschehen war.
Als Morag die Stimmen der Reiter vernahm, fasste sie all ihren Mut zusammen. Die Angst ließ sich jedoch nur schwer vertreiben. Trotz der winterlichen Kälte bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn. Um der Schar von Männern ihre Stärke zu demonstrieren, stemmte sie die Hände in die Hüften und blickte ihnen fest entgegen. Ungefähr zehn Krieger ritten auf die Hütte zu – unter ihnen ein kleiner Junge auf einem Pony. Ihr Anführer trug das Wappen von Robert Bruce, doch das beruhigte sie nicht. Sie wusste, er war hier, um ihren Mann und ihren Sohn zu holen.
»Weib, wie viele Männer beherbergst du in deiner Hütte?« Der raue Klang sowie der herrische Ton seiner Stimme verrieten, dass der Anführer nicht mit sich verhandeln ließ. Sein Schimmel scharrte mit den Hufen im Schnee, während aus den Nüstern der Atem in der Kälte verdampfte.
»Nicht einen.« Morags Beine zitterten, doch das sollte dieser Tyrann nicht merken.
»Davon werden wir uns selbst überzeugen, du elende Krähe!« Seine kalten grauen Augen verengten sich. Ohne Vorwarnung sprang der Anführer von seinem Schimmel. Er stellte sich breitbeinig vor Morag und ballte die Hand. In Sekundenschnelle schleuderte er seine Faust in ihr Gesicht. Die Wucht seines Schlages ließ sie benommen zu Boden sinken.
Obwohl die Schwärze vor ihren Augen sie nichts sehen ließ, versuchte Morag, sofort wieder auf die Beine zu kommen. Sie taumelte, und ihr Kopf dröhnte. Nur langsam kehrte das Licht in ihre Augen zurück. Verzerrt nahm sie wahr, was um sie herum geschah. Ihre Knie begannen unwillkürlich zu zittern, als sie sah, wie zwei Männer Alasdair und Iain die Arme auf den Rücken fesselten und die beiden aus der Hütte drängten. Die kleine Iseabail stand im Nachthemd vor ihrem Heim. Das Mädchen weinte erbärmlich, als der Befehlshaber ihren Vater und den Bruder an ein Pferd seiner Truppe band. Morag hob ihren Kopf und blickte zu dem Jungen, der mit weit aufgerissenen Augen auf seinem Pony saß. Eine unbändige Hilflosigkeit breitete sich in ihr aus und vereinte sich mit Wut und Angst zu einem Sturm, der schmerzhaft durch ihren Leib wütete. Den Blick fest auf den Jungen gerichtet, sprach sie einen Fluch aus: »Feumaidh fànas ‘is ùine do roinne bhon do ghaoil mhòr!« Damit würde sie dem Befehlshaber eine Last auf seine Seele legen. Der Tag würde kommen, an dem der Fluch den Befehlshaber daran erinnerte, wie er ihr das Liebste in ihrem Leben genommen hatte. Auch das Herz des Befehlshabers sollte vor Schmerz in seiner Brust verbrennen! Er, dieser kleine Junge, war die nächste Generation unbarmherziger Krieger. Kein Vater sollte durch seine Hand von der Familie getrennt werden, und keine Frau sollte ihren Sohn betrauern, den er ihr entreißen würde. Morag wollte nicht nur den Befehlshaber strafen – nein, auch seine Brut sollte unschädlich gemacht werden.
Ihre Wut steigerte sich ins Unermessliche. Erneut wandte sie den mächtigen Fluch und Zauber an, den sie von ihrer gälischen Ziehmutter erlernt hatte. »Feumaidh fànas ‘is ùine do roinne bhon do ghaoil mhòr!«, rief sie abermals, so laut es ihre Stimme zuließ.
Sie spürte ihre Augen vor Kraft sprühen. Doch dann wurde ihr Blick finster. Finster wie ein gelöschtes loderndes Feuer. Morag brach zusammen, und ihr Körper bebte unter Tränen. Die Hitze in ihrem Leib hatte die Schneedecke unter ihr zum Schmelzen gebracht, und ihre Seele war von der Schwärze der dunklen Mächte umgeben. Wie sehr hatte sie sich vor dem Tag gefürchtet, der sie dazu nötigen würde, einen Fluch auszusprechen. Fionghal, ihre Lehrmeisterin, hatte sie gewarnt: Es sei kein Segen für sie, den Zauber der schwarzen Mächte zu beherrschen.
Das schallende Lachen des Befehlshabers dröhnte ihr in den Ohren. Es verwandelte sich in das Geräusch des Gemetzels auf den Schlachtfeldern. Morags Kopf drohte zu zerbersten.
Der Junge hielt die Zügel so fest umschlungen, dass sie ihm ins Fleisch schnitten. Blut lief in kleinen Rinnsalen an seinen Fingern herunter und färbte die Mähne des Ponys. Doch das spürte er nicht. In seinen Ohren klang das Weinen des Mädchens nach, das nach dem Vater und dem Bruder rief. In diesem Augenblick ließ er das Holzschwert fallen und schwor sich, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen.
Zwei Monde später schaffte die kleine Iseabail Morags toten Leib aus der Hütte und beerdigte ihn unter Tränen. Von allen verlassen, blieb sie alleine mit ihrer Trauer in der Hütte zurück.
Fröstelnd zog Sarah den Wollumhang fester um ihre Schultern und betrachtete den Sternenhimmel über Köln. Auf der Dachterrasse frischte der Wind zu einer Bö auf. Sarah fuhr mit der Hand durch ihr grau meliertes Haar, um es zu glätten. Die lauen Sommernächte waren vorbei und langsam hielt der Herbst Einzug. Sarahs blaue Augen folgten wehmütig dem Schweif einer Sternschnuppe. Eine arme Seele mehr, die Zeit und Raum durchquerte, ohne das Ziel zu kennen. Egal, aus welchem Grund sie über den Nachthimmel schwebte, es gab keine Wiederkehr. Eine Reise ohne Rückfahrschein.
Im Hier und Jetzt verfielen die Menschen in Panik vor dem nahenden Jahrtausendwechsel. Viele waren der Meinung, die Welt ginge mit dem zwölften Glockenschlag unter. Aber die Welt würde nicht untergehen, denn dies war auch nur ein Jahreswechsel wie jeder andere.
Was wussten diese Menschen schon von einem Sprung in eine andere Zeit? Wenn man alles verlor, was man liebte. Es gab kein Zurück, nur ein Vorwärts, das die Vergangenheit immer unbedeutender werden ließ.
Das Läuten des Telefons riss Sarah aus ihren Gedanken. Sie eilte zurück ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung hörte sie die Stimme ihrer Freundin Miriam.
»Du glaubst es nicht, aber ich habe es getan!«
»Was hast du getan, meine Liebe?« Sarah setzte sich in den Sessel vor den Kamin und ließ sich von der Wärme des Feuers einhüllen.
»Ich hab mir eine Woche freigenommen, und stell dir vor, ich war im Reisebüro.«
Sarah schloss die Augen und befürchtete das Schlimmste.
»Und jetzt hör gut zu!« Ihre Freundin kicherte wie ein Teenager. Sarah konnte sich gut vorstellen, wie sie sich vor Aufregung die dunklen Locken zerzauste. »Wir zwei fliegen nach Schottland. Schon nächsten Montag.«
»Aber Miriam. Wie kannst du eine Reise für uns zwei buchen, ohne mich zu fragen?« Es gab Tage, an denen brachte sie Miriams Impulsivität schier um den Verstand. Und heute war wohl genau ein solcher.
»Hätte ich dich gefragt, hättest du ewig in deinem Kalender gestöbert, um den passenden Zeitpunkt für die Reise zu finden.«
»Und das hat auch seinen Grund. Wie du weißt, möchte die Lektorin in vier Wochen mein Manuskript auf dem Schreibtisch haben.«
»Sarah, du bist so gut wie fertig mit der Überarbeitung. Gönn dir eine kleine Pause. Du wirst doch jetzt nicht etwa absagen wollen. Schottland! Wie lange träumst du schon von der Reise? Nun komm, mach nicht so ein Gesicht.«
Auf ihrer Unterlippe knabbernd, fragte Sarah sich, wie Miriam ihren Gesichtsausdruck erraten konnte. »Mir bleibt wohl keine andere Wahl, als mitzufahren, oder?«
Auch wenn sie schon so lange von dieser Reise träumte, überfiel Sarah mit einem Mal Furcht, nach Schottland zu fliegen. Was würde sie empfinden, wenn sie an den Ort ihrer Jugend zurückkehrte?
»Nein, hast du nicht. Morgen früh komme ich vorbei und schaue mir deine Garderobe an. Ich denke, wir werden vor der Reise noch shoppen gehen müssen. Bis dann, Süße.« Ein Klicken folgte. Miriam hatte ihr noch nicht einmal gesagt, wohin genau in Schottland die Reise gehen würde.
Kopfschüttelnd legte Sarah das Telefon auf den Beistelltisch. Sie war zehn Jahre älter als ihre Freundin, die bald ihren vierzigsten Geburtstag feierte. Doch im Augenblick fühlte sie sich, als lägen über zwanzig Jahre zwischen ihr und Miriam. Dennoch hatte ihre Freundin den Urlaub mehr als verdient. Der Stress in der Klinik, die Doppelschichten. Dazu war gerade ihre Tochter ausgezogen, und die Einsamkeit in der Wohnung raubte Miriam den Verstand, auch wenn sie dies nicht gerne zugab. Sarah schloss die Augen und dachte an die Highlands, erinnerte sich an den Duft der Wälder und die Kühle der Seen. Tränen der Sehnsucht brannten unter ihren Lidern.
4 Tage später …
Gerade hatte Miriam sich einigermaßen an den Linksverkehr gewöhnt, da kam der Wagen auch schon wieder zum Stehen. »Na, das kann dauern.« Sie nahm den Gang heraus und blickte auf die Schafherde, die laut blökend die Straße nach Drumnadrochit passierte.
»Was soll´s? Wir haben doch Zeit, meine Liebe.« Sarah schmiegte sich eng in den Sitz, lehnte den Kopf gegen die Stütze des Leihwagens und zupfte sich einen Fussel von der Hose.
»Dich kann wirklich nichts aus der Ruhe bringen. Also, ich für meinen Teil kann es kaum erwarten, in der Pension anzukommen.« Miriams neue Schuhe hatten sich wahrlich nicht als tauglich erwiesen, längere Zeit getragen zu werden. Zudem forderte ihr Magen sein Recht. Er knurrte Furcht einflößend.
»Warum? Genieß doch einfach die Landschaft.« Verträumt blickte Sarah aus dem Beifahrerfenster. Die Sonne schälte sich aus den Wolken und warf zaghaft ihre Strahlen auf die Highlands. Neben der Fahrbahn erhoben sich die bewaldeten Berge, aus deren Grün eine Burgruine herausstach. Ein wenig erinnerte Miriam die Gegend an die Eifel, aber diesen Gedanken behielt sie besser für sich. Ihre Freundin würde sie als Banausin beschimpfen. Obwohl … wenn sie genauer hinsah, gab es schon beträchtliche Unterschiede. Alles schien weitläufiger und größer. Und Schafe mit schwarzen Gesichtern gab es wohl kaum in Deutschland. Auf jeden Fall behielt Miriam ihren ersten Eindruck für sich.
Gegen Abend erreichten die beiden Frauen endlich Drumnadrochit, und Miriam zog ihren Vergleich mit der Eifel in Gedanken ganz schnell wieder zurück. Schottland war mehr als atemberaubend. Ihr Hotel glich einem Schloss in Miniaturausgabe und lag unmittelbar am Loch Ness, umgeben von saftigen Wiesen und einer unglaublichen Bergkulisse. Miriam lenkte den Wagen auf den Parkplatz und rieb sich den Bauch. »Mensch, hab ich einen Kohldampf.« Sie blickte zu Sarah, die ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter machte. »Was ist los? Hätte ich etwas anderes buchen sollen?«
»Nein, nein, ist schon in Ordnung. Es ist sehr schön hier am Loch Ness.« Sarah öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen.
Miriam stieg ebenfalls aus und hievte die Koffer aus dem Wagen. Die Arme um ihren Leib geschlungen, betrachtete Sarah versonnen die Hotelfassade, während Miriam sich mit dem Gepäck abmühte.
»Du könntest ruhig mit anfassen, Süße. Zwei Koffer sind doch etwas schwer für mich.«
Sarah wirbelte herum und nahm ihr eins der Gepäckstücke ab. »Oh, entschuldige. Ich war in Gedanken.«
»Das bist du schon die ganze Zeit. Ich frage mich, was dich beschäftigt. Außerdem habe ich gedacht, du würdest dich mehr über diese Reise freuen. Schließlich sind wir doch ganz in der Nähe deiner ehemaligen Heimat. Culloden? Richtig? Du könntest deine Verwandten besuchen.«
»Ich habe keine Verwandten, das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Ach ja, stimmt. Aber Freunde, oder?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Nein, auch nicht.«
»Komisch. Aber lass uns erst einmal einchecken.« Miriam wurde bewusst, wie wenig sie doch über Sarahs Vergangenheit wusste, obwohl sie ihre Freundin schon seit zwei Jahren kannte.
Am nächsten Tag brachen die zwei Frauen zu einer Bootsfahrt auf dem Loch auf. Das Wetter hielt sich gut, und ab und an brach die Sonne zwischen den Wolken hervor. Bewaldete Berge zogen an ihnen vorbei, und die Luft schmeckte nach rauer Wildnis.
»Hach, wenn Engelchen reisen. Haben wir ein Glück mit dem Wetter.« Miriam zog sich ihre Strickjacke aus und blickte über das Wasser. »Also ich sehe noch nichts von Nessi. Du?«
»Die wirst du auch nicht sehen, weil es sie nämlich nicht gibt.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Plötzlich weiteten sich Miriams Augen, und sie starrte auf die Wogen, die das Boot umspielten. »Da! Da ist etwas!«
Die anderen Ausflügler reckten die Hälse und folgten ihrem Fingerzeig. Auch Sarah drehte sich herum und blickte über den Rand des Bootes. »Was? Wo?«
»Reingefallen«, kicherte Miriam.
Die anderen Ausflügler schüttelten enttäuscht die Köpfe.
»Hör auf damit, Miriam. Du wirst nie etwas von Nessie sehen.«
»Wäre ich hier der Verantwortliche, hätte ich schon längst ein Ungeheuer aus Gummi in dem Loch ausgesetzt. So ein ferngesteuertes. Das wäre ein Spaß.« Miriam lachte.
Nach der Bootsfahrt schlenderten Sarah und Miriam durch das Besucherzentrum von Loch Ness. Miriam zog es in einen der Souvenirshops. Unzählige Plüsch-Nessis in allen Farben und Größen stapelten sich in den Regalen. Es gab nichts, was nicht mit dem liebenswürdigen Ungeheuer versehen war. Bleistifte, Handtücher, sogar Bier mit dem Namen Nessie gab es zu kaufen. Miriam entschied sich für ein Keramikungeheuer, das aus vier Teilen bestand, so dass es aussah, als würde Nessi halb aus dem Wasser ragen.
Sarah schüttelte nur den Kopf über ihre Errungenschaft. »Womit die hier Geld machen, ist unglaublich.«
»Mir gefällt es«, konterte Miriam.
Gleich am nächsten Tag fuhren die beiden Frauen nach Culloden, obwohl Sarah gar nicht darauf gedrängt hatte. Aber Miriam glaubte, mit dem Trip ihre Stimmung aufhellen zu können. Doch sie täuschte sich, denn als sie die Ortschaft mit den flachen Häusern durchfuhren, wurde Sarah von Minute zu Minute stiller. Miriam stellte den Wagen an einem Waldstück ab, um mit ihr einen Spaziergang zu unternehmen.
»Ist dir hier irgendetwas Schreckliches geschehen?«
Sarah zuckte mit den Schultern. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich an nichts erinnere. Ich weiß es nicht. Es ist diese Amnesie. Aber lass uns nicht weiter darüber reden und einfach nur die Landschaft genießen.«
Miriam sah Tränen in den Augen der Freundin glitzern. Langsam begann sie daran zu zweifeln, ob diese Reise wirklich so eine gute Idee gewesen war. »Weißt du was, Sarah. Morgen fahren wir nach Inverness und gehen dort ausgiebig shoppen.«
Nun lächelte ihre Freundin wieder. »Ich sehe uns schon mit Übergepäck nach Hause fliegen.«
Im weiteren Verlauf der Reise besserte sich Sarahs Laune. Sie ließ sich sogar zu einem Folkloreabend mit Dudelsackspiel überreden. Und als sie am nächsten Tag zu einem Picknick tiefer in die Highlands fuhren, lachte sie sogar wieder. Die Natur wirkte unberührt, so als wären die beiden die einzigen Menschen in diesem Tal, das von schroffen Bergen umrahmt wurde.
»Was meinst du, sollen wir uns hier ausbreiten?« Miriam zeigte mit den Fingern auf einen Steinkreis. »Komm, wir setzen uns in die Mitte. Vielleicht werden wir ja in eine andere Zeit katapultiert.« Fröhlich lachte sie auf.
Sarah verzog die Lippen zu einem schmalen Strich. »Mit Sicherheit nicht. Das ist alles Humbug.«
»Ach, Sarah. Nun nimm mir doch nicht schon wieder den Spaß.« Miriam lief voraus und strich ehrfürchtig über die ovalen Steine. Richtig seltsam wurde ihr zumute, als sie an die Zeit der Kelten dachte. Zu gerne wäre sie in die Vergangenheit gereist, um zu sehen, wie sie hier ihre Rituale abhielten. Die Mystik des Ortes berauschte Miriam auf unerklärliche Art und Weise.
Sarah dagegen benahm sich, als sei dies ein Ort wie jeder andere. Seelenruhig breitete sie die Decke aus und ließ sich darauf nieder, um die belegten Brote aus dem Korb zu packen. »Was meinst du, sollen wir an unserem letzten Tag die Destillerie in Moray anschauen?«
Miriam hatte nichts dagegen, auch wenn sie mit Whiskey nicht viel am Hut hatte. Aber schließlich war sie es die ganze Zeit gewesen, die ihre Touren vorgeschlagen hatte. Da stand es Sarah durchaus zu, auch einmal einen Wunsch zu äußern. Miriam legte sich zurück und schaute in den Himmel, um weiterhin die Mystik auf sich wirken zu lassen. Alles war so weit weg: Die Klinik, Dr. Teubinger, die Patienten, die Doppelschichten. Schade nur, dass die Reise schon fast vorüber war. Miriam hätte noch Wochen in Schottland bleiben können. Wenn sie wieder zu Hause wäre, müsste sie unbedingt noch einmal die Highland-Saga lesen. Ein sehnsüchtiges Kribbeln fuhr ihr durch den Leib, als sie an die Liebe zwischen Jamie und Claire dachte. In diesem Augenblick graute es Miriam vor der Einsamkeit in ihrer Wohnung.
Mit den Flickarbeiten in der Hand setzte sich Iseabail auf die Bank vor der Hütte und beobachtete Adam, wie er große Brocken aus dem nahe gelegenen Felsen schlug, um sie kurze Zeit später zu gleichmäßigen Quadern zu behauen. Da sie ihre Neugierde kaum noch zügeln konnte, legte sie die Handarbeit zur Seite und ging zu Adam. »Was soll das werden? Ein neues Haus?«
Adam wischte sich mit einem Tuch über die Stirn und grinste wie ein Schelm. Zwischen den Haaren auf seiner Brust glitzerten die Schweißperlen in der Sonne. »Verrat ich nicht.« Seine Augen strahlten die Freude aus, die er empfand.
Iseabail wollte ihm seinen Spaß nicht verderben. Deshalb nickte sie nur und zog sich wieder zurück. Während der Näharbeit warf sie jedoch immer wieder einen neugierigen Blick auf das Stück Land, das Adam mit einem Seil absteckte. Der Umriss war für ein neues Haus zu klein. Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, was er vorhatte. Iseabail fand ihre Hütte auch geräumig genug für sie beide.
Hohe Fichten umrahmten ihr Heim. Wenn man unmittelbar unter ihnen stand, erweckten sie den Eindruck, bis in den Himmel zu ragen. Das Land, das sie ihr Eigen nannten, grenzte an das Ufer des Loch Fyne, dessen klares Wasser bis auf den Grund sehen ließ. Iseabail dachte an ihren leiblichen Vater und wie sie früher oft hinaus gerudert waren, um Lachse zu fischen. Sie erinnerte sich genau, wie sie jeden Tag aufs Neue die steilen Felswände bewundert hatte, die ihr so unbezwingbar erschienen. Die Berge weckten den Eindruck, das Wasser davon abzuhalten, sich weiter in das Land auszubreiten.
Nun nannte sie Adam ihren Vater und liebte ihn nicht weniger als Alasdair damals. Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht, um sich um sie zu kümmern, nachdem sie ihre Mutter beerdigt hatte. Rasch hatte er Iseabails grenzenloses Vertrauen gewonnen.
Zu ihrer kleinen Familie gehörten zwei Highland-Rinder, ein Schaf, zwei Ziegen und drei Hühner. Um sie vor Wölfen und Füchsen zu schützen, hatte Adam einen Pferch gezogen, der kurz vor dem Schuppen endete. Ihr Tal bildete die Pforte zu den Highlands, denn hier begann die raue Wildnis Schottlands.
Sean blickte gelangweilt zu den jungen Frauen, die sich auf der anderen Seite des Ballsaals wie Perlen auf einer Schnur aneinanderreihten. Mutter hatte zu einem Fest eingeladen, und Sean war nicht entgangen, dass sie dabei nur eines im Kopf hatte: eine Braut für ihn zu finden. In einer Ecke des Saals spielte eine Gruppe junger Männer auf Sackpfeifen. Nachdem es ein üppiges Mahl gegeben hatte, waren die Tische zur Seite gerückt worden, und die freie Fläche lud zum Tanz ein. Sean spürte die verstohlenen Blicke der jungen Frauen auf sich, die sich in schönste Seide gehüllt hatten. Ihre Kleider bauschten sich um ihre Beine, und hier und da blitzte die bleiche Haut über den Brüsten im Schein der Fackeln auf. Ein brünettes Mädchen warf ihm mit ihren blauen Augen besonders eindringliche Blicke zu, die er jedoch nicht erwiderte. Die Frau, in deren Blick er sich verlieren würde, hatte smaragdfarbene Augen. Nichts anderes erschien ihm denkbar. Mittlerweile war er des Festes überdrüssig. Da trat seine Mutter zu ihm. Auch sie war in rauschende Seide gehüllt, die in der Farbe der Sonne erstrahlte und ihr rotblondes Haar betonte. In der Hand hielt sie einen Becher Wein und reichte ihn Sean.
»Was meinst du, mein Sohn? Die Nichte des Bruce himmelt dich förmlich an. Soll ich sie dir vorstellen?«
Sean schüttelte den Kopf. In seiner Brust spürte er eine Enge, die ihm fast die Luft zum Atmen raubte. Rasch trank er einen Schluck. »Nein Mutter, lass gut sein. Mir steht nicht der Sinn danach, mir eine Braut zu suchen.«
»Ihm wird nie der Sinn danach stehen, eine Braut zu suchen«, grollte Vaters Stimme hinter ihm. »Du siehst doch, Mary. Er lebt in seiner eigenen Welt, aus der wir ihn nicht befreien können.«
Mary warf ihrem Gemahl einen bösen Blick zu. »Kannst du nicht einmal vergessen, was geschehen ist?«
Sean hasste es, wenn seine Eltern sich seinetwegen stritten. Und das kam sehr häufig vor. Immer wieder tischte Vater die alte Geschichte auf, als Onkel James ihn spöttisch lächelnd wieder zurück ins Elternhaus gebracht hatte. Zehn Jahre ging das nun schon so. Mittlerweile hatte er die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder in Vaters Gunst zu stehen. Sean wandte sich ab und verließ den Ballsaal. Ohne Umwege begab er sich auf seine Kammer im zweiten Obergeschoss von Calindhore Castle und zog sich die Stiefel aus. Er würde schon eine Braut finden – seine Braut. Die Sehnsucht nach den smaragdfarbenen Augen ergriff abermals sein Herz. Er lehnte sich mit der Schulter gegen einen Bettpfosten und schloss die Lider.
Die Tage wurden wärmer und sonniger. Genau zwei Monde hatte Adam gebraucht, um die kleine Hütte zu errichten, von der Iseabail immer noch nicht wusste, wozu sie dienen sollte. Gestern hatte er dann das Dach mit Stroh abgedeckt. Iseabail schaute zu dem schlafenden Adam, rieb sich die Müdigkeit aus den Augen und verließ ihr Lager, um das Feuer unter dem Kessel zu entfachen. Verblüfft sah sie zu der Ablage aus Kiefernholz hin, auf der gähnende Leere herrschte. Am Abend zuvor hatte sich diese noch unter unzähligen Tiegeln und Tontöpfchen gebogen, in denen sie ihre Kräuter und Salben aufbewahrte. Iseabail blickte zu Adam, der mittlerweile aufgerichtet auf seinem Lager saß. Sein schwarzes Haar, das wie von silbrigen Fäden durchzogen war, stand wirr von seinem Kopf.
»Du warst nicht in der Hütte?«, fragte er vorsichtig, als er sich an den Bohlentisch in der Mitte des Raumes setzte.
Iseabail, die gerade die Holzscheite unter dem Kessel auftürmte, sah ihn erstaunt an. »Wieso sollte ich? Ich hab dir doch versprochen, dass ich sie nicht betreten werde. Ich vermisse hier nur einige Tiegel und Töpfe. Kannst du mir sagen, was das zu bedeuten hat?«
Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich Adams Kehle. »Das ist gut. Das ist sehr gut.«
»Adam, dein Gesichtsausdruck macht mir Sorgen. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.«
»Komm, ich muss dir etwas zeigen.« Er nahm ihre Hand, schob sie nach draußen und führte sie zu der neuen Hütte. Langsam zog er das Fell zur Seite, das den Eingang verhüllte. Dann gewährte er ihr mit einer feierlichen Handbewegung Einlass in das neue kleine Bauwerk.
Iseabail schlug sich die Hände vor das Gesicht. Mit dem, was sie hier sah, hätte sie niemals gerechnet. Sie brauchte eine Weile, um die Worte zu finden, die ihre Dankbarkeit ausdrücken konnten. »Adam, das ist wunderschön. Eine eigene Kräuterküche für mich.« Tränen der Rührung sammelten sich in ihren Augen, als sie ihn ansah. Ehrfürchtig strich sie mit der Hand über den Schrank, in dem sich ihre Tiegel aneinanderreihten. Auf dem Tisch lag neben einer Kerze das Buch mit den Aufzeichnungen ihrer Mutter, aus denen sie die Heilkräfte der Kräuter lernte.
»Gefällt es dir?«
»Und wie!« Iseabail flog auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und küsste ihm das Gesicht ab. »Du bist der beste Mensch im ganzen Land.«
Seit diesem Tag vergaß Iseabail mehr als einmal die Zeit. Mit voller Hingabe bereitete sie immer weitere Salben, Aufgüsse und Tinkturen zu. Abends musste Adam sie des Öfteren daran erinnern, dass er gerne das Essen mit ihr zusammen einnehmen wollte. Dennoch war er ihr nie böse, wenn sie nun an manchen Tagen mehr in ihrer Kräuterküche saß, als sich um das Essen zu kümmern.
Sean wand sich in seinen Kissen. Als die smaragdgrünen Augen ihn anschauten, durchflutete zunächst eine wohlige Wärme seinen Körper. Doch dann wurden die Augen immer größer und blendeten ihn wie die tief stehende Sonne über einer Schneedecke. Plötzlich erlosch das Licht in ihnen. Leere, dunkle Augenhöhlen starrten ihn an. Er vernahm wieder das Weinen des Mädchens und seine Worte: »Nehmt sie mir nicht weg! Bitte!« Auch ihre Augen waren Smaragde, die jedoch Wärme ausstrahlten. Wärme und eine Traurigkeit, die nur er zu trösten vermochte. Was hatte dies bloß zu bedeuten?
Als Sean aus seinem Traum aufschreckte, wusste er, dass er auch an diesem Tag weder bei seiner Mutter noch bei seinem Vater auf eine Antwort hoffen konnte. Vor Wut schnaubend verließ Sean das Arbeitszimmer und eilte in den Regen, der in dünnen Fäden vom Himmel fiel. Auch sein Großonkel James wollte ihm seine Frage nach dem Fluch einfach nicht beantworten – ob aus Sturheit oder Boshaftigkeit. Als sich sein Kopf wieder abgekühlt hatte, besann er sich. Sean wusste, er sollte sich lieber der Pferdezucht widmen, doch dieser verdammte Traum versetzte ihn regelmäßig zurück in seine Kindheit. Wie sollte er mit seinen einundzwanzig Jahren erwachsen sein, wenn er Nacht für Nacht in den Leib eines kleinen Jungen schlüpfte? Warum war er bloß den Augen des Mädchens so verfallen? Und was hatte es mit dem Fluch ihrer Mutter auf sich? Die ihm bekannte Furcht kroch wieder in sein Herz, gepaart mit der Sehnsucht, das Mädchen in den Arm zu nehmen und es zu trösten.
Iseabail schob den leeren Teller von sich und wischte mit einem Tuch über ihren Mund. So gut hatte sie lange nicht mehr gegessen. Zur Feier des Tages hatte Adam einen Hirsch erlegt und die besten Teile gebraten. Dazu gab es ein köstliches Mus aus Äpfeln. »Warum musste ich erst achtzehn Jahre alt werden, um so etwas Wundervolles auf den Teller zu bekommen?« Sie stöhnte auf.
Adam zeigte mit dem Finger auf Iseabails leeren Teller. »Möchtest du noch etwas?«
»Du liebe Güte! Willst du, dass ich platze?«
»Ach, du könntest ruhig etwas zunehmen. Das hält im Winter schön warm.« Adam grinste und rieb sich dabei seinen vorstehenden Bauch.
Hunger hatten sie in den letzten Jahren wahrlich nicht leiden müssen, denn Adam verstand sich prächtig auf Jagd und Viehzucht. Iseabail durfte gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn er nicht eines Tages vor ihr gestanden hätte. In der Zeit, in der sie nach ihrem Bruder und dem Vater auch die Mutter verloren hatte, hatte es nur einen Trost für sie gegeben: Den Jungen, der sie des Nachts im Schlaf begleitete. Wenn er sie dunklen Augen ansah, war die Einsamkeit wie verflogen gewesen. Hoffnung und Mut hatten sie dann den nächsten Tag überstehen lassen. Auch in diesem Moment spürte sie wieder das warme Gefühl in ihrem Herzen, das sie stets in ihren Träumen einhüllte.
Adam räumte die Teller fort und nahm ihre Hand. »Was möchtest du heute unternehmen, Isea? Schlag vor, wie wir den Nachmittag verbringen können.«
Iseabail brauchte nicht lange zu überlegen. Ihre Miene erhellte sich bei der Idee, die ihr in den Sinn kam. »Wir beobachten die Wolken. Man kann viele Dinge in ihnen entdecken.« Sie erhob sich, um Adam zu der Wiese unter den hohen Kiefern zu führen.
Hand in Hand ließen sie sich lachend in das Gras fallen, das nach Sommer roch. Im Schatten der Nadelbäume überdeckte ein Teppich aus purpurfarbenen Kleeblumen das Grün. In den Baumwipfeln zankten sich die Elstern mit den Spatzen, wobei sie kreischend und schnatternd durch die Äste jagten. Iseabail ließ ihrer Fantasie freien Lauf, als sie ihren Blick auf die weißen Wolken richtete, die gemächlich über sie hinweg zogen. Mit den Fingern zeigte sie in den Himmel. »Das könnte ein Hase sein, meinst du nicht?« Adam gab ihr keine Antwort. Als Iseabail sich zu ihm drehte, sah sie, dass er seine Augen geschlossen hatte und leise schnarchte. Plötzlich überfiel Iseabail eine tiefe Traurigkeit. Sie dachte daran, wie oft sie mit ihrem Vater hier im Gras gelegen hatte. Ganze Nachmittage hatten sie den Himmel beobachtet und die Wolken gedeutet. Sie erinnerte sich, wie herzhaft er gelacht hatte, wenn sie in den Wolken etwas sah, das er ganz und gar nicht so erkannte. Dann alberten sie herum, und ihr Vater kitzelte ihren Bauch, bis ihr vor Lachen die Tränen kamen. Diese Erinnerung ließ Iseabail lächeln. Ein Lächeln, das mit Wehmut gemischt war. Sie erhob sich, um Trost an dem Grab ihrer Mutter zu suchen.
Neben den Steinen ließ sie sich nieder, verschränkte die Arme auf den Knien und legte das Gesicht in die Dunkelheit, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Nach einer Weile hörte sie Adams Schritte und hob den verweinten Blick. Endlich fühlte sie sich bereit, das zu hören, wovor sie all die Jahre die Ohren verschlossen hatte. »Erzähl mir, wie mein Vater gestorben ist.«
Adam ließ sich neben ihr nieder und nahm sie in den Arm. »Wie du weißt, habe ich deinen Vater kennengelernt, als er zu uns ins Lager kam. Da war er schon sehr krank, nach dem langen Marsch litt er an einem schrecklichen Husten.«
»Ich weiß, den hatte er schon, als er noch daheim war. Einen Tag, ehe man ihn holte, hatte ich mit Mutter im Schnee vergeblich nach Kräutern gesucht.« Iseabail wischte sich mit dem Ärmel über die Wange.
»Er war wirklich in schlechter Verfassung und konnte nur noch liegen. Ich selbst hatte damals im Lager die Aufgabe, mich um die kranken Männer zu kümmern.« Adam nahm ihren Zopf in die Hand und betrachtete das rote Haar, bevor er weiter sprach. »Doch wie sollte ich ihn versorgen? Es gab keine Heilmittel. Sein Zustand wurde von Tag zu Tag schlechter.« Auch nach all der Zeit schimmerten Adams Augen in diesem Augenblick vor Sorge. »Eines Nachts hatte er sehr hohes Fieber. Er wollte mir unbedingt etwas sagen, doch das meiste konnte ich nicht verstehen, da seine Stimme zu schwach war. Ich versuchte, das verdammte Fieber zu senken, indem ich ihm kalte Tücher auf die Stirn legte, aber es nutzte nichts. Die Temperatur stieg und stieg. Immer wieder rief er deinen Namen und den deiner Mutter.« Adam atmete tief durch. »Voller Angst, seine Familie alleine zu wissen, flehte er mich an, ich solle mich um euch kümmern. Es tat so weh, ihn sterben zu sehen, dass ich ihm in dieser Nacht alles versprochen hätte. Damit wenigstens seine Seele ihren Frieden finden konnte.«
Iseabail schaute ihn mit großen Augen an, als er sich von ihr löste. Adam erhob sich und schritt vor ihr auf und ab.
»Nachdem ich ihm mein Wort gegeben hatte, wurde er ganz ruhig und schlief ein. Am frühen Morgen verstummte sein Herzschlag. Er starb ganz friedlich, weil er sich auf meine Fürsorge verließ.«
»Du hast dein Versprechen wunderbar eingelöst, Adam.« Dankbar griff Iseabail nach seiner Hand. Aber eine Frage brannte ihr noch auf dem Herzen. »Hat er denn ein Grab?«
»Selbstverständlich hat er ein Grab bekommen. Er war, auch wenn er nicht gekämpft hatte, ein Krieger, der seinem Vaterland gedient hatte.«
Diese Worte beruhigten Iseabail. Aber dann dachte sie an ihren Bruder, von dessen Tod sie ebenfalls bis heute nichts Genaues wusste. »Erzähl mir von Iain. Was ist mit ihm passiert? Warum lebt er nicht mehr?«
Adam nickte leicht mit dem Kopf. »Ich selbst zog nicht in die Schlacht, einige Leute mussten im Lager bleiben und sich um die Verletzten kümmern. Da so viele junge Männer gezwungen wurden, für den Sieg zu kämpfen, brauchten sie einen alten Mann wie mich nicht mehr auf dem Schlachtfeld. Doch von den anderen Kriegern erfuhr ich, dass dein Bruder einer der Mutigsten gewesen war. Trotz seines jungen Alters kannte er keine Angst.«
Iseabail lauschte gebannt seinen Worten.
»Mit hoch erhobenem Kopf rannte er gegen den Feind an, und nur, weil er kein erfahrener Krieger war, musste er mit seinem Leben bezahlen. Doch er hat mit seinem Mut ein Stück Unabhängigkeit von Schottland erkämpft.« Adam legte seine Hand auf Iseabails Schulter. »Du kannst stolz auf deinen Bruder sein. Er hat gekämpft wie die anderen Krieger, die das Schicksal Schottlands gegen die Engländer besiegelt haben. Sie alle sind Helden.« Aufmunternd lächelte er Iseabail an.
»Dann hat er bestimmt auch ein Grab.«
Adam sah ihr voller Liebe in die Augen »Aber sicher. Die Soldaten, die so tapfer wie dein Bruder gekämpft haben, bekamen die schönsten Gräber. Die Beerdigung war eine würdevolle Zeremonie, in der von den mächtigen Befehlshabern Dank für die mutigsten Männer Schottlands ausgesprochen wurde.«
»Ich würde gerne die Gräber besuchen«, sagte Iseabail und spürte, wie Stolz ihr Herz ausfüllte.
»Das werden wir«, erwiderte Adam, legte den Arm um ihre Schultern und schaute zu den Bergen hinter dem Loch Fyne.
»Adam?« Iseabail kuschelte sich an seine Brust.
»Ja, meine Kleine?«
»Vermisst du nicht deine Frau?« Iseabail spürte, wie schwer er schluckte und bereute sogleich ihre Frage.
»Natürlich vermisse ich sie. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an sie denke.« Adams Stimme zitterte leicht. »Aber ich kann sie nicht aus dem Reich der Toten zurückholen, weißt du.«
»Ja, das kann niemand.« Iseabail drückte sich fester an ihn. Adam hatte nie viel über seine Frau erzählt. Nur dass sie wohl im Fluss umgekommen war.
Sean wusste, es war unbedingt notwendig, diesen Schritt zu gehen. Wie sollte sein Leben in geregelten Bahnen verlaufen, wenn er ewig auf Kriegsfuß mit seinem Vater stand? Oder besser gesagt, jeden Tag dessen Verachtung genießen durfte. Rastlos durchmaß er mit seinen Schritten das Schlafgemach. Doch dann fasste er sich endlich ein Herz und suchte die Ställe auf, um mit seinem Vater zu reden.
Als Sean den Stall betrat, kontrollierte sein Vater gerade die Hufe eines Rappen. »Den musst du zum Schmied bringen«, sagte er, ohne aufzusehen.
»Das werde ich, doch vorher muss ich mit dir reden«, entgegnete Sean.
Nun sah sein Vater ihn an. »Ach, ich dachte du seist Alan.« Wohl auf der Suche nach dem Stallknecht blickte er sich um, ohne Sean weiter zu beachten.
»So kann das nicht weitergehen, Vater. Seit über zehn Jahren behandelst du mich wie Luft. Ich war damals ein kleiner Junge, verstehst du das nicht?«
Robin winkte nur ab. »Alle bedeutenden Krieger haben schon von Kindesbeinen an dem König gedient.«
Sean spürte die Mauer, die zwischen ihnen stand. Dennoch war er bereit, diese einzureißen. Und wenn es das Letzte war, was er hier auf Calindhore Castle unternehmen sollte. Würde sein Vater nicht einlenken, würde er fortgehen – auch wenn dies seiner Mutter das Herz zerriss. »Willst du mich ein Leben lang dafür strafen, dass ich es nicht gutheiße, was James Lemandt den Familien angetan hat?«
Robin zuckte mit den Schultern. »Hätte er die Männer nicht mit Gewalt zum Kampf gezwungen, wären die Engländer über die wenigen Freiwilligen hergefallen. Die Schlacht wäre anders verlaufen, glaube mir.«
Zum ersten Mal seit langer Zeit bemerkte Sean, dass der Tonfall der Stimme des Vaters weicher wurde, und schöpfte Hoffnung. »Heute weiß ich auch, wie notwendig es war. Aber dennoch, da war diese Frau und die Worte, die sie mir an den Kopf schleuderte. Dazu weinte das kleine Mädchen. Nie werde ich die Augen des Mädchens und der Mutter vergessen. Du glaubst nicht, wie oft sie mich in meinen Träumen heimsuchen.«
Robin strich über die Mähne des Rappen. »Junge, das glaube ich dir ja. Aber denk an die Männer, die in der Schlacht von Bannockburn gekämpft haben. Glaubst du, sie würden je vergessen können? Die Schreie, die Toten, die zu ihren Füßen lagen. Der Gestank von Blut. Von all dem werden sie wohl heute noch in ihren Träumen verfolgt. Dennoch, ich hätte gerne an ihrer Seite gekämpft. Aber …« Er klopfte mit der flachen Hand auf sein Bein.
Allmählich begann Sean zu begreifen. Er selbst hätte anstelle des Vaters die Anerkennung von Lemandt erhalten sollen. »In den Augen deines Onkels bist du genauso ein Versager wie ich es bin.« Ungewollt kamen die Worte über seine Lippen.
Robins Blick verdunkelte sich. Tief sog er die Luft ein. »Möglich, ja«, stieß er aus. »Aber ich kann nichts dafür. Ich bin nun einmal mit diesem verdammten Bein auf die Welt gekommen. Aber du …«
»Ich bin mit einem Gewissen auf die Welt gekommen. Und wenn du noch eins hättest, würdest du das verstehen.«
Robin kniff die Augen zusammen. »Ich habe ein Gewissen. Gerade deswegen.«
»Aber nicht deinem Sohn gegenüber.« Sean wusste, er wagte nun alles. Aber er hatte keine andere Wahl. Wenn Vater ihn von hier verjagte, machte es keinen Unterschied, denn gehen würde er in jedem Fall, wenn sich zwischen ihnen nichts änderte.
»Seit der Geburt meines Sohnes habe ich auf seinen Kampfgeist gehofft«, schnaubte Robin.
Sean wusste, er sprach von ihm, als wäre er nicht im Stall, um weiterhin den Abstand zwischen ihnen zu wahren. Also tat er es ihm gleich. »Mein ganzes Leben versuche ich, meinem Vater gerecht zu werden. Doch ich bin nicht als Krieger geboren. Das versteht er nicht. Stattdessen buhlt er um die Anerkennung seines Onkels, der ein erfolgreicher Befehlshaber des Königs ist. Und vergisst dabei die Liebe zu seinem Sohn.«
»Das ist nicht wahr«, raunte Robin. »Ich liebe meinen einzigen Sohn.«
»Vielleicht, aber nicht mehr als die Anerkennung deines Onkels.« Sean wusste, er spielte mit dem Feuer, doch er fühlte sich gut dabei.