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Verdammt, verstoßen, verachtet – eine junge Heilerin kämpft für Liebe und Freiheit Köln, 1471: Jenna, eine junge Heilerin, wird der Hexerei bezichtigt und aus ihrem Dorf gejagt. Der Gaukler Amando nimmt sich ihrer an, doch die zarte Liebe steht unter keinem guten Stern: Auf einem Streifzug durch die Gassen Kölns wird Jenna des Diebstahls beschuldigt. Sie soll im Haus der gefallenen Töchter auf den rechten Weg zurückgeführt werden. Unter den verstoßenen Frauen der Stadt, schuldig wie unschuldig, trifft Jenna auf die Dirne Ursula. Während Amando versucht, die beiden Frauen aus den Fängen des Hausherrn zu befreien, kämpfen Jenna und Ursula um Gerechtigkeit in einer Zeit, in der es dafür keinen Platz zu geben scheint.
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Seitenzahl: 483
Das Haus der gefallenen Töchter
Gabriele Breuer, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann und Sohn in Köln. Sie arbeitet in einem Seniorenheim und schreibt nur in ihrer Freizeit.Von Gabriele Breuer sind in unserem Hause bereits erschienen: Die Bernsteinbraut · Die Bierbrauerin · Die Magd und das Teufelskind · Die Schicksalswächterin · Luzifers Töchter
Die junge Heilerin Jenna hat mit ihren würzig duftenden Kräutertinkturen und Salben vielen Menschen geholfen. Doch als ein Unwetter die Felder der Bauern verwüstet und ein Schwein tote Ferkel gebiert, wird sie der Hexerei beschuldigt und unter üblen Beschimpfungen aus ihrem Dorf gejagt. Eine Gruppe von Gauklern nimmt sie bei sich auf, vor allem der hübsche Amando schließt sie gleich ins Herz. Als Jenna jedoch eines Abends allein durch die Gassen Kölns streift, um die Zutaten für ihre Heiltränke zu besorgen, bezichtigt man sie des Diebstahls. Sie wird ins Haus der gefallenen Töchter gesperrt, das von dem skrupellosen Patrizier Hermann Quattermart errichtet wurde, um die verdorbenen Frauen der Stadt auf den rechten Weg zurückzuführen. Dort freundet sich Jenna mit der Dirne Ursula an, der heimlichen Geliebten von Hermann Quattermart. Während Amando verzweifelt nach Jenna sucht, schmieden die beiden Frauen einen waghalsigen Plan, um ihrem Gefängnis zu entkommen …
Gabriele Breuer
Historischer Roman
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Dezember 2018© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © Christie's Images Ltd / ARTOTHEKE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-8437-1804-2
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Die Autorin / Das Buch
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Impressum
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Nachwort
Danke
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Titelseite
Inhalt
1
Für meinen Mann Josef,mein Bohdan
Gernot, der Schmied des Weilers Buckelmeunt, fegte zornig mit der Hand über das Regal. »So ein überflüssiges Zeug! Ich werde dir zeigen, was deine Bestimmung ist!«
Die sorgfältig aneinandergereihten Tiegel flogen zu Boden und verströmten den herben Duft der Natur. Jenna ballte die Hände hinter dem Rücken und schwieg, um Gernot nicht weiter zu reizen.
»Und nun ab mit dir an die Kochstelle!« Ruppig stieß er seine Frau aus dem Schuppen. Sein Gesicht leuchtete rot vor Zorn. Anstatt den Kiesweg zu benutzen, trampelte er quer durch Jennas Kräutergarten zu dem Eingang ihrer Hütte.
Während Jenna ihm folgte, krampfte sich vor Wut ihr Magen zusammen. Was wusste er schon von der Heilkraft der Pflanzen? Und davon, was sie ihm Gutes tat, wenn sie mit den Kräutern die Mahlzeiten würzte?
Vor dem Eingang griff Gernot nach ihrem Arm und zog sie durch die Tür zu dem Kessel, der sauber und erkaltet an einer Kette über der Feuerstelle hing. Der Blick ihres Mannes war finster. »Kochen, Weib, das ist deine Bestimmung, und mich des Nachts wärmen, sonst nichts.« Er schnaubte wie ein Ochse. »Nach getaner Arbeit hat gefälligst das Essen auf dem Tisch zu stehen.«
Jenna berührte den Stein, den sie an einem Lederband um ihren Hals trug, und konnte nicht länger stumm bleiben. »Himmel, ich hab doch nur die Zeit vergessen! Was ist so schlimm daran?« Die warme glatte Oberfläche des Ligurs zu spüren, beruhigte sie ein wenig. Sanft umfasste sie den Stein mit den Fingern und rieb daran.
Gernot presste die Lippen zusammen. Er war nicht riesig, aber da Jenna ziemlich klein und zierlich war, musste sie dennoch den Kopf in den Nacken legen, wenn sie zu ihm aufsah. Die kräftigen Arme in der ärmellosen Lederweste waren vom Ruß des Schmiedeofens bedeckt, und auf Gernots Kopf wucherte das dunkelblonde Haar in alle Richtungen. »Ich sag dir, was passiert, wenn du noch einmal die Zeit vergisst.« Er hob eine Braue und fasste nach ihrem Kinn, damit sie ihm genau in die Augen sah. »Dann fackele ich deine verdammte Kräuterküche ab.« Gernot stieß seine Frau von sich.
Jenna taumelte gegen den Kessel, der sich daraufhin an der Kette drehte. Nun breitete sich doch Angst in ihrem Bauch aus. »Es … es wird nicht wieder vorkommen.« Hastig nahm sie den Holzeimer auf und eilte aus der Küche, um am Keilershof Wasser zu holen.
Die späte Sonne berührte mit ihren goldenen Strahlen bereits das Dach der Scheune, und die Luft roch nach der Gerste, die in voller Ähre auf den umliegenden Feldern stand. Der Keilershof befand sich unweit ihrer Schmiede im Weiler Buckelmeunt vor den Mauern der freien Reichsstadt Köln. Da Gernot dem Bauern hin und wieder Gerätschaften für den Ackerbau schmiedete, durften sie sich im Gegenzug am Brunnen bedienen. Hannes, der Bauer, war ein freundlicher Mann und vor nicht allzu langer Zeit in der Bauerbank vor der Ehrenpforte zum Gebuirmeister berufen worden. Er sorgte auf den Äckern und Höfen vor Köln dafür, dass unter den Bauern alles mit rechten Dingen zuging, hielt den Feldfrevel im Auge und die Wege passierbar.
Jenna holte tief Luft und schluckte ihren Ärger hinunter. Als sie vor dem Brunnen stand und sich mal wieder sehr einsam fühlte, musste sie an ihren Vater denken. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte er versucht, auch seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Strick war jedoch nicht fest genug gewesen, und ihr Vater war zu Boden gestürzt. Den Tod hatte er nicht gefunden, litt seitdem jedoch unter Irrsinn. Inzwischen erkannte er selbst seine Tochter nicht mehr und war einmal sogar mit der Axt auf Jenna losgegangen, weil er sie für eine Diebin gehalten hatte. Seitdem saß er im Hospital des Klosters Revilien und wartete dort auf sein Ende. Alles war in so kurzer Zeit geschehen, dass Jenna kaum um die Mutter hatte trauern können. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken an den Tod der Mutter zusammen. Aus einem Husten war rasch eine Lungenentzündung geworden, und Jenna verzieh sich bis heute nicht, dass sie der Mutter nicht mit ihrer Heilkunst hatte helfen können. Immer wieder hatte der Onkel ihr versichert, dass sie den Tod nicht hätte aufhalten können, doch bis heute wollte Jenna das nicht wahrhaben. Sie seufzte. An die Zeit, als die Mutter ihr ein Häschen unter der Schürze hervorgezaubert hatte, erinnerte sich Jenna jedoch mit einem Lächeln auf den Lippen. Vor Jahren hatte Mutter ihr dann ebenfalls das Zaubern beigebracht. Dabei hatte sie aber nie den Schadenszauber angewendet, sondern den Liebeszauber und den Wiederbringzauber. Doch Jenna wusste längst, wie wenig Wirkung solch ein Ritual oder ein Trank hatten. Daher verließ sie sich eher auf die Kraft der Kräuter und stellte Tinkturen, Salben und Aufgüsse nach den Heilmethoden der Hildegard von Bingen her.
Jenna holte tief Luft und hob den Eimer auf den Rand des Brunnens. Etliche Jahre hatte sie regelmäßig ihren Onkel in seinem Kräutergarten der Abtei Brauweiler besucht, um von ihm die Heilkunst der Hildegard zu lernen. Mutters Zaubersprüche hatte sie dabei rasch vergessen. Dann war der Onkel kurz nach dem Tod der Mutter ebenfalls gestorben. Da Jenna ohne Geschwister aufgewachsen war, hatte sie anschließend ganz allein dagestanden. Bald darauf hatte der Abt von Brauweiler ihr den Schmied Gernot vorgestellt und sie mit ihm verheiratet. Seither stand Jenna frei von Sorgen unter dem Schutz eines Mannes, der ihr ein warmes Heim bot. Und sie hatte ihre Heilpflanzen und die Kräuterküche. Was brauchte sie mehr? Seufzend band sie den Eimer an die Kette und ließ ihn den Brunnen hinab.
Der Keilershof bestand aus dem Wohnhaus, der Scheune und den Pferchen, die jeweils im rechten Winkel zueinander gebaut waren, und den angrenzenden Weiden. Schweine wühlten mit ihren Rüsseln den trockenen Boden auf. Zwischen ihnen staksten Hühner umher, pickten hier und da nach einem Korn. Und inmitten von alldem thronte ein Gockel auf einem dampfenden Misthaufen.
Die Bäuerin trat aus dem Wohnhaus und grüßte Jenna mit erhobener Hand. Traudi war eine beleibte Frau und zählte mehr als 30 Lenze. Sie hatte bereits eine Schar Söhne zur Welt gebracht, eine Tochter war ihr bisher jedoch verwehrt geblieben. »Ich muss unbedingt mit dir reden!«, rief sie und eilte auf Jenna zu.
Jenna nickte und zog den Eimer wieder aus dem Brunnen. »Was gibt es denn?«
»Mein Peterchen wird von heftigen Albträumen geplagt. Jede Nacht wacht er schreiend auf und behauptet, er würde von Wölfen gejagt. Beruhigen tut er sich erst wieder, wenn fast schon der Morgen graut. Du kannst mir glauben, ich fühle mich, als wäre ich aufs Rad geflochten worden.«
»Ach herrje. Der arme Junge.« Jenna dachte kurz nach, wie sie dem Knaben helfen könnte. Dann hatte sie eine Idee. »Weißt du was? Ich mache dir morgen ein Säckchen mit getrocknetem Betonikakraut fertig. Lege es in der Nacht neben Peters Gesicht, und er wird bald ruhiger werden.«
Traudi stemmte die Hände in die Hüften und nickte. Einen Augenblick lang schwieg sie, dann grinste sie verschwörerisch. »Ach übrigens, was ich dich immer schon fragen wollte: Die Leute sagen, deine Mutter sei eine Zaubersche gewesen. Stimmt das?«
Jenna sah sie argwöhnisch an. »Weshalb fragst du?« Sie wusste zu gut, dass sich bald alle Bewohner des Schweids vor der Ehrenpforte darüber das Maul zerreißen würden. Es wunderte sie jedoch nicht, dass der Tratsch den Weg von Brauweiler bis hierher gefunden hatte.
»Dann kannst du bestimmt auch zaubern, oder?«, fragte Traudi.
»Nein … Also, ein wenig vielleicht«, druckste Jenna herum. »Aber keinen Schadenszauber, den kann ich nicht und den würde ich auch niemals anwenden.« Sie löste die Kette vom Griff des Eimers. »Außerdem ist mir die Heilkunst lieber.«
Traudi strich sich sichtlich verlegen das Haar aus der Stirn. »Was ist mit dem Liebeszauber? Kennst du dich damit aus?«
Jenna zuckte mit den Schultern. »Mehr oder weniger. Mal hilft er, mal nicht. Warum willst du das wissen?«
Traudis Wangen röteten sich. »Ach, der Hannes macht mir ebenfalls Kummer. Nach der Geburt unseres Jüngsten will er einfach nicht mehr bei mir liegen. Dabei wünsche ich mir doch nichts sehnlicher als ein Töchterchen. Kannst du da nicht ein wenig …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Du weißt schon … ein wenig zaubern?
Jenna neigte den Kopf zur Seite. Was war verwerflich daran, wenn sie Traudi zum Glück verhalf? Außerdem konnte sie nie gut etwas abschlagen. »In Ordnung, ich werde es versuchen. Brauche dazu aber ein Büschel von deinem Haar und ein Büschel vom Hannes. Bring mir beides morgen, und dann sehen wir weiter.« Jenna nahm den Eimer auf und wünschte Traudi einen geruhsamen Abend. Insgeheim hoffte sie, die Bäuerin würde es nicht schaffen, unbemerkt ein Büschel vom spärlichen Haar des Bauern abzuschneiden.
Auf dem Weg zur Schmiede war Jenna in Gedanken wieder bei ihren Kräutern und hoffte, dass Gernot mit seinen großen Füßen nicht allzu viele Pflanzen platt getrampelt hatte. Wenn ihr Mann den Bauch voll hatte, würde sie sich um ihre Kräuter kümmern.
Gernot saß auf einem Baumstumpf vor ihrer Hütte und stierte in den Krug, den er in den Händen hielt. Als Jenna an ihm vorbeischlich, sah er auf. »Hast du das Wasser in Köln geholt, oder was?«
Ohne etwas zu erwidern, begab sich Jenna in die Hütte zur Kochstelle und schüttete das Wasser in den Kessel.
»Hab schon das Feuer geschürt!«, rief Gernot in die Hütte. Offensichtlich war er nun etwas friedlicher gestimmt.
Jenna hörte seine Schritte hinter sich. »Übrigens hat der Hannes mir heute erzählt, dass deine Mutter eine Zaubersche gewesen sei. Stimmt das?« Jenna seufzte. Traudi hatte also bereits das Gerede angestachelt. Sie winkte mit dem Holzlöffel in ihrer Hand ab. »Was heißt eine Zaubersche? Hier und da hat sie sich am Wiederbringzauber versucht. Hat aber nur in den seltensten Fällen geklappt.«
Gernot kratzte sich am Kopf und wirkte ein wenig eingeschüchtert. »Und du? Zauberst du auch?«
»Ich? Ach was. Das ist nichts für mich.«
»Das will ich dir auch geraten haben«, murmelte er in seinen Bart und verließ die Hütte wieder.
Als Jenna den Brei aus Dinkelmehl mit einem Eidotter angerührt hatte, dämmerte es bereits. Sie rief nach Gernot, und kurz darauf nahmen sie schweigend das Mahl ein. Dabei musterte Jenna verstohlen ihren Mann. Er schob sich schmatzend einen Löffel nach dem anderen in den Mund. Was war ihr anderes übrig geblieben, als ihn zum Mann zu nehmen und den kleinen Hof ihrer Eltern zu verkaufen? Gernot hatte ihre Mitgift gern genommen und seine Schmiede damit ausgebaut. Ob er sie jedoch auch gern zur Frau genommen hatte, wagte Jenna an solchen Tagen wie heute zu bezweifeln.
Sie erhob sich und räumte die Schalen fort. Dann schaute sie hinaus zu ihrem Kräutergarten, der schon im Dunkeln lag. Es ergab keinen Sinn mehr, nach den Heilpflanzen zu sehen, also begab sie sich mit ihrem Mann bald darauf auf die Strohsäcke. Wie fast jeden Abend streichelte Gernot kurz ihre Oberschenkel unter dem Nachtgewand, schob ihr den Saum über die Hüften und legte sich auf sie.
Am nächsten Morgen stand Jenna vor Gernot auf und wärmte den restlichen Dinkelbrei vom Vorabend auf. Mittlerweile wusste sie zu gut, dass ihr Mann nur mit einem vollen Bauch umgänglich war. Nach dem Frühmahl zog sich Gernot pfeifend die Lederweste über, versetzte Jenna einen Klaps auf den Hintern und begab sich in die Schmiede unweit der Hütte.
Jenna machte sich auf in ihre Kräuterküche und sah sich um. Die Tiegel, die Gernot am Vortag zu Boden gefegt hatte, waren nur mit getrockneten Kräutern aus ihrem Garten gefüllt gewesen. Und der Sommer war noch lang genug, um neue zu ernten. Die seltenen Kräuter, die hierzulande nicht wuchsen, bewahrte Jenna in einer verschlossenen Truhe auf, sodass diese keinen Schaden genommen hatten. Neben einigen Tränken und Salben gehörten sie zu dem Erbe, das der Onkel ihr hinterlassen hatte. Bald wollte sie jedoch unbedingt nach Köln gehen, um dort auf den Märkten nach Heilpflanzen aus aller Herren Länder Ausschau zu halten. Und natürlich um ihren Vater zu besuchen.
Jenna hob die Tiegel auf, stellte sie wieder ins Regal und versuchte, so viel wie möglich von den auf dem Boden verstreuten Kräutern und Blüten zu retten. Später im Kräutergarten zupfte sie den platt getretenen Liebstöckel aus dem Boden. In der Hütte band sie das Kraut dann zusammen und hängte es zum Trocknen am Dachbalken auf. Gerade als sie sich die Hände an ihren Röcken abwischte, betrat Traudi mit einem Weidenkorb die Kräuterküche und wünschte Jenna einen guten Tag. Sie stellte den Korb auf den Tisch und holte zwei kleine, zusammengefaltete Leinentücher hervor.
»Hier sind die Haarbüschel. Eins vom Hannes und eins von mir.« Sie grinste. Dann griff sie wieder in den Korb und holte einige Eier heraus. »Und die sind als Bezahlung für das Betonikakraut gedacht.«
»Vielen Dank, Traudi.« Jenna reichte ihr das Leinensäckchen, das sie kurz zuvor mit dem getrockneten Kraut gefüllt hatte. »Bald werden deine Nächte wieder ruhiger sein.«
»Bis ich dann endlich mein Töchterchen habe.« Traudi sah sich verstohlen um. »Was machst du denn nun mit den Haaren?«
»Das ist ein Geheimnis.« Verschwörerisch spitzte Jenna die Lippen und legte den Zeigefinger darauf.
»Na ja. Hauptsache, es hilft. Muss ich sonst noch etwas beachten?«
Jenna sah zu dem Liebstöckel, den sie gerade aufgehängt hatte. Die Pflanzen hatten reichlich gelitten und würden ihr vielleicht nicht mehr nützlich sein. Jenna nahm sie wieder vom Dachbalken und reichte sie Traudi. »Hier, gib sie zu dem Wasser in deinem Badezuber und wasche dich damit. Der Duft wird deinen Hannes liebestoll machen.«
Traudi nahm die Pflanzen, roch daran und rümpfte die Nase. »Baden, sagst du? Ich? Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal gebadet habe. Hannes würde Verdacht schöpfen. Reicht denn nicht der Zauber, den du machst?«
Bei den Ausdünstungen, die Traudi verströmte, wagte Jenna dies zu bezweifeln. »Dann gib die Pflanzen halt dem Hannes ins Badewasser.«
»Wenn wir mal einen Badezuber hätten.«
»Dann lass es eben und koch einfach eine Suppe daraus.« Allmählich wurde Jenna ungeduldig, denn Traudi raubte ihr wertvolle Zeit.
»Wunderbar. Mit etwas Speck darin haben wir heute Mittag eine schmackhafte Mahlzeit.« Traudi legte das Kraut in den Korb.
»Lass den Speck weg und nimm lieber Hühnerfleisch, das schadet euch wenigstens nicht. Dazu solltet ihr viel Gemüse essen, das fördert eine gute Verdauung.«
Sichtlich angewidert verzog Traudi das Gesicht. »Ach, lass mal. Speck passt schon. Der Hannes braucht Fett auf die Rippen.«
Jenna zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst. Aber wenn du willst, erzähle ich dir mehr von der Wirkung der Speisen auf die Säfte des Menschen.« Sie wusste, dass nicht alle Menschen einsehen wollten, was die Speisen in ihrem Leib bewirken konnten. Im Guten wie im Schlechten. Zu fette und zu blutreiche Speisen machten krank. Sie waren zu glitschig, und der Magen konnte sie nicht bis zur gesunden Verdauung in sich halten. So bekam der Mensch davon oft Bauchbeschwerden und am Ende womöglich die Gicht. Hingegen bestanden zum Beispiel die Saubohnen aus erwärmenden Stoffen und besaßen heilsame Kräfte, die gegen Nieren- und Darmleiden halfen.
Aber Traudi wollte davon wohl ebenfalls nichts wissen, denn sie reckte nur das Kinn vor. »Wann wirst du Hannes den Liebeszauber auferlegt haben?«
»Wenn alles gut klappt, legt sich Hannes heute Abend zu dir.«
Grinsend fuhr sich Traudi mit der Hand über die Hüfte. »Wunderbar! Bald bin ich endlich wieder in froher Erwartung. Du musst dann nur noch mal nachhelfen, damit es auch ein Mädchen wird.« Sie legte die Hand auf die Brust und neigte den Kopf zur Seite. »Ach, was bin ich froh, dass wir dich in unserem Weiler haben.« Sie schenkte Jenna ein ehrliches Lächeln. »Gehab dich wohl, meine Liebe.«
Jenna sah ihr nach, bis sie an der nächsten Weggabelung aus ihrem Blick verschwand, und schüttelte den Kopf. Wunder konnte und wollte sie gewiss keine vollbringen.
Nach dem Mittag begab sich Jenna erneut in ihre Kräuterküche und widmete sich dem Liebeszauber, den Traudi in Auftrag gegeben hatte. Dabei warf sie hin und wieder einen Blick aus dem Fenster, um nach dem Stand der Sonne zu sehen. Alles durfte Gernot ihr nehmen, nur nicht diese winzige Holzhütte, die einst als Schuppen gedient hatte. Jenna mochte sich nicht ausdenken, was wäre, wenn Gernot sie in Brand stecken und fast all ihre Schätze verloren gehen würden. Sie gab die Haarbüschel in den Topf mit dem kochenden Wasser über der Feuerstelle, warf einige Kaninchenknochen dazu und murmelte einen Zauberspruch. So recht wollten ihr die Worte nicht mehr einfallen, die ihre Mutter immer gesprochen hatte, deshalb erfand sie einfach noch welche dazu. Jeweils dreimal sprach sie diese aus, schloss den Zauber mit den Worten »Kreuz Teufel« ab und zuckte mit den Schultern. Dabei konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dieser Trank hatte so wenig Zauberkraft wie ein Eimer Wasser. Aber so wäre das Gerede über ihre Zauberkünste wenigstens rasch wieder vorbei.
Jenna wischte sich gerade die Hände an einem Tuch ab, als ein rothaariger Junge in die Kräuterküche stürmte. Das Kind, das sie noch nie zuvor gesehen hatte, schnappte nach Luft, ehe es rief: »Du musst zum Pfarrer nach Ossendorf kommen. Schnell!«
Jenna legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. »Was ist denn mit dem Pfarrer?«
»Die Beine tun ihm ganz doll weh und dick sind sie auch. Und sogar die Füße sind geschwollen. Er kann nicht mehr seine Sandalen anziehen. Und gehen kann er auch nicht richtig.«
Jenna dachte nach und wägte ab. An dem Wasser in den Beinen würde der Pfarrer nicht gleich sterben. Wohl aber würde ihre Kräuterküche brennen, sollte Gernot nach getaner Arbeit abermals eine kalte Kochstelle vorfinden. Außerdem musste sie erst den Nelkensud ansetzen, der das Wasser aus den Beinen des Pfarrers treiben würde.
»Richte ihm aus, dass ich ihm morgen einen Heiltrank bringe«, sagte sie.
Der Junge riss die Augen auf. »Nein! Du musst sofort mitkommen, sonst zieht er mir die Ohren lang.«
Das konnte sich Jenna bildhaft vorstellen. Der Pfarrer war nicht zimperlich und dafür bekannt, dass ihm gern die Hand ausrutschte. Ihr Blick fiel auf die Ohren des Jungen, die aus seinem roten Schopf herausragten. Der Gedanke, dass der Pfarrer sie wegen ihr noch länger ziehen könnte, stach ihr ins Herz. Außerdem stand die Sonne noch recht hoch am Himmel. Wenn sie schnell ging, war sie gewiss vor dem Abend wieder daheim.
»Also gut«, stimmte sie zu. »Warte nur einen Augenblick.« Jenna öffnete die Deckel der Tiegel auf dem Regal und spähte nacheinander hinein, bis sie die getrockneten Nelkenknospen gefunden hatte. Gerade als sie einige davon in ein Tuch einschlagen wollte, trat Gernot in die Kräuterküche.
»Was will der Bengel hier?«, polterte er sofort los.
»Der Pfarrer aus Ossendorf ist krank. Ich soll zu ihm kommen.«
Gernot kniff die Augen zusammen. »Wie? Heute noch?«
»Er kann kaum gehen, es ist dringend.«
»Was hast du damit zu schaffen? Es ist bald an der Zeit, das Abendessen zu kochen. Soll der Pfarrer doch einen Medicus rufen, wenn es ihm schlecht geht.«
Verzweifelt sah Jenna zu Gernot auf. »Bitte, ich muss ihm helfen.«
Ihr Mann verdrehte die Augen. »An die Kochstelle musst du. Oder willst du, dass ich vor Hunger umfalle?« Er biss sich auf die Unterlippe und sah sie eindringlich an. »Gehorche besser, Weib.« Mit schweren Schritten verließ er die Hütte.
Der Junge hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt und sah zur Tür. Seine roten Haare zitterten wie Grashalme im Wind. »Ich gehe wohl besser wieder.«
Rasch drückte Jenna ihm das Tuch mit den Nelkenknospen in die kleine Hand. »Hier, gib das dem Pfarrer. Er soll zwei Stück über Nacht einweichen und den Sud morgen früh trinken. Weitere zwei kann er sofort kauen. Und die Beine soll er hochlegen. Sobald es mir möglich ist, werde ich morgen zu ihm kommen.«
Der Junge schloss die Finger um das Tuch und eilte aus der Hütte. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und in der Kräuter-küche schwand das Licht. Jenna blinzelte die aufsteigenden Tränen fort, verschloss den Tiegel mit den getrockneten Nelkenknospen und stellte ihn zurück auf das Regal.
Schweren Herzens begab sie sich dann in den Gemüsegarten hinter ihrer Wohnhütte und zog einige Rüben aus der Erde. Ihr Blick fiel auf den Holunderbusch am Rand der Beete. Sie legte ihre Ernte in einen Weidenkorb, trat zu dem Busch und schob die Zweige auseinander. Da lag er – der wertvollste Schatz, den sie je in ihrem Leben besessen hatte. Als sie die Holzkiste betrachtete, ging Jenna das Herz auf. Sie bückte sich, hob den Deckel an und schob die Schafshaut zur Seite, die ihren Schatz vor Nässe schützte. Sanft fuhr sie mit dem Zeigefinger über das feine Leder, in das die Abschriften aus den Büchern der Hildegard von Bingen eingeschlagen waren. Ein Erbe ihres Onkels, der diese bis kurz vor seinem Tod verfasst und abgezeichnet hatte. Es waren längst nicht alle Schriften, doch es waren die wichtigsten. Vor allem die, welche die Heilkräuter abbildeten und ihre Zubereitungen und Kräfte beschrieben. Wenn auch mühselig, konnte Jenna dennoch einige Wörter lesen, denn der Onkel hatte ihr nicht nur die Heilkünste beigebracht, sondern auch die Schrift, in der sie verfasst worden waren.
Eine Elster keckerte in den Baumwipfeln und holte Jenna aus ihren Gedanken. Rasch schob sie den Deckel auf die Kiste und bedeckte sie wieder mit den Zweigen des Holunders. Die Wolken waren verschwunden, und die Sonne brannte erneut heiß auf sie herab. Aus der Schmiede klang das gleichmäßige Schlagen des Hammers auf Metall. Jenna wischte sich den Schweiß von der Stirn, brachte den Korb mit den Rüben in die Hütte und eilte zum Keilershof, um Wasser zu holen.
Traudi schöpfte ebenfalls gerade am Brunnen Wasser und stöhnte. »Die feuchte Luft bringt mich noch um.« Sie tauchte die Hände in den Eimer und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht.
»Sicher wird es bald ein Gewitter geben«, sagte Jenna.
Traudi sah hinauf in den stahlblauen Himmel. »Niemals. Außerdem muss es ja nicht gleich ein Gewitter sein. Ein kräftiger Regenguss würde schon ausreichen. Die Felder könnten ihn brauchen.«
»Das ist wohl wahr. Meine Kräuter liegen auch schon fast am Boden.« Eilig ließ Jenna den Eimer in den Brunnen hinab. Sie befürchtete, Traudi würde sie um einen Regenzauber bitten. Doch die Bäuerin verabschiedete sich von ihr und ging zurück zu ihrem Haus. Jenna tat es ihr gleich und begab sich an ihre Kochstelle.
An diesem Abend hatte Gernot keinen Grund, sie zu rügen. Obwohl er wegen der Hitze den Schmiedehammer früher aus der Hand gelegt hatte, dampfte bereits der Eintopf im Kochkessel.
Auch am nächsten Morgen schien die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Nachdem Gernot sich in seine Schmiede begeben hatte, brach Jenna nach Ossendorf auf. Bereits auf halbem Weg vorbei an den Höfen spürte sie, wie ihr der Schweiß in Rinnsalen den Rücken hinablief. Sie dachte an Gernot, der in dieser Hitze am heißen Ofen arbeiten musste. Wen wunderte es, wenn er da missgelaunt und müde war? Irgendwie musste sie es schaffen, ihm gerecht zu werden. Andere Frauen bekamen es schließlich auch hin, neben dem Haushalt noch einer anderen Arbeit nachzugehen. Und das, obwohl sie Kinder hatten.
Die kleine Kirche von Ossendorf tauchte zwischen den mit Stroh gedeckten Dächern der Häuser auf, und Jenna beschleunigte ihren Schritt. Die Hitze flirrte bereits über den Feldern, und sie mochte nicht darüber nachdenken, wie unerträglich heiß der Tag noch werden würde. Am Wegesrand leuchtete der Mohn in der Sonne, und Jenna nahm sich vor, auf dem Nachhauseweg nach weiteren Pflanzen Ausschau zu halten.
Das kleine Haus des Pfarrers war aus Holzlatten gezimmert und lehnte sich gegen den Westflügel des Kirchenchors. Jenna klopfte gegen die windschiefe Tür, und als ein wehleidiges »Herein« ertönte, schob sie diese auf. Der Pfarrer ruhte rücklings auf seiner Bettstatt. Die geschwollenen Beine hatte er auf einem Strohsack hochgelagert.
»Wie ich sehe, geht es Euch noch nicht besser.« Jenna stellte einen Stuhl an die Schlafstätte und setzte sich.
Der Pfarrer schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf so heftig, dass seine feisten Wangen erzitterten. Er erinnerte Jenna an ein Kleinkind, das gleich zu weinen beginnen würde. »Das Wasser will nicht weichen. Dabei muss ich doch heute Abend die Messe lesen!«
»Habt Ihr den Sud aus den Nelken angesetzt?« Sie sah zu der Kochstelle. Auf dem Tisch daneben lag unangerührt das Tuch mit den Blüten.
»Wie denn, wenn ich nicht aufstehen darf? Warum bist du gestern nicht gekommen, um mir zu helfen?« Der Bauch des Pfarrers hob und senkte sich unter seinem schweren Atem.
»Mein Mann hat mich nicht gehen lassen«, erwiderte Jenna knapp. »Aber wer hat denn gesagt, dass Ihr nicht aufstehen dürft?«
»Du hast es dem Jungen gesagt. Du hast gesagt, ich solle die Beine hochlegen.«
»Ja, das stimmt. Aber damit meinte ich nicht, dass Ihr Euch ans Bett fesseln sollt.« Jenna erhob sich, ging zu dem Kessel und sah hinein. Es befand sich noch etwas Wasser darin, das sie benutzte, um den Nelkensud aufzusetzen.
Der Pfarrer beobachtete sie. »Ist das mein Heiltrunk?«
»Ja, aber er muss leider bis zum Abend ziehen, damit er wirkt.«
»Ach herrje. Und nun? Kannst du nichts anderes tun?«
Sie gab ihm zwei Nelken in die Hand. »Zerkaut diese und schluckt sie hinunter. Ich mache Euch noch kalte Umschläge. Das müsste die Schwellung lindern.«
Der Pfarrer nickte und zeigte auf den Eimer. »Das Wasser ist frisch, und Tücher sind dort drüben in der Truhe.«
Kurz darauf wickelte Jenna nasse Tücher um die Beine des Pfarrers. »Ich befürchte, das Wasser wird sich wohl immer wieder in Euren Beinen festsetzen.«
Der Pfarrer sah sie entsetzt an. »Aber weshalb denn?«
»Die Säfte Eures Leibs sind durcheinandergeraten. Ich empfehle Euch eine Fastenkur.«
Angewidert verzog er das Gesicht. »Aber faste ich denn nicht schon genug?«
Der füllige Leib des Pfarrers überzeugte Jenna eher vom Gegenteil. »Anscheinend nicht richtig. Ihr solltet Eure Magd anweisen, Euch eine Fastensuppe zu kochen. Sie braucht dazu Dinkelkörner, Gemüse und …«
Der Pfarrer winkte ab. »Dazu ist meine Magd viel zu tumb. Das kann sie nie und nimmer.« Er seufzte und sah Jenna flehend an. »Kannst du mir nicht die Suppe kochen?«
Die Kochstelle im Haus des Pfarrers war mehr als dürftig ausgestattet. Zudem konnte sich Jenna nicht erlauben, noch länger von ihrer eigenen fernzubleiben. »Ich komme morgen wieder und bringe Euch einen Kessel mit der Suppe. Bis dahin nehmt einen Löffel von dem Ingwerpulver ein. Aber seid nicht bang, wenn Ihr Euch danach öfter entleeren müsst. Das Pulver treibt nur die schlechten Säfte aus dem Leib. Die guten bleiben Euch erhalten.«
»Oje. Das auch noch.« Der Pfarrer legte die Hand auf die Brust und sah gegen die Holzbalken an der Decke.
»Grämt Euch nicht. Ihr werdet schon wieder gesund.« Jenna griff nach ihrem Korb. »Ich muss jetzt gehen.«
Gleich am nächsten Morgen setzte Jenna das Gemüse und die Dinkelkörner auf und würzte die Suppe für den Pfarrer sparsam mit Galgant, Quendel und Bertram. Als sie sie köcheln ließ, dachte sie darüber nach, wie wertvoll doch der Galgant war. Sie hatte das Pulver ebenfalls von ihrem Onkel geerbt, und bald würde es zur Neige gehen. Wovon sollte sie neue Gewürze kaufen können, wenn ihr Vorrat aufgebraucht war? Jenna nahm sich vor, gleich nach Mittag zum Pfarrer zu gehen.
Sie fegte gerade die Kräuterküche aus, als Traudi zur Tür hereinkam. Strahlend stemmte die Bäuerin die Hände in die Hüften. »Jenna, du bist eine wahre Zauberin! Stell dir vor, der Hannes hat wirklich wieder bei mir gelegen. Nun musst du mir helfen, dass es ein Töchterchen wird und nicht wieder ein Bub.«
Jenna wurde es flau im Magen. Das konnte nur Zufall gewesen sein, da sie doch die meisten Wörter des Zauberspruchs erfunden hatte! Doch Traudi würde tratschen, sodass die Leute von weit her kämen, wenn sie von der Zauberschen erfuhren. Das durfte nicht sein. Jenna wollte nur die Heilmethoden der Hildegard anwenden und sonst nichts. Wie konnte sie nur so leichtsinnig gewesen sein?
»Hör zu, Traudi. Es war gewiss nicht der Zauber schuld, dass Hannes sich zu dir gelegt hat.«
»Aber sicher!« Traudi nickte heftig mit dem Kopf. »Wenn die Leute erst erfahren, wozu du fähig bist, wirst du eine gefragte Frau sein. Das kannst du mir glauben.«
Jenna riss die Augen auf und hob die Hände. »Nein, Traudi! Das will ich nicht. Ich bin keine Zaubersche. Erzähl das bitte nicht herum. Oder willst du, dass ich in Teufels Küche komme?«
»Wie? In Teufels Küche? Das verstehe ich nicht. Du schadest doch niemandem. Aber gut, wenn du es nicht willst, lasse ich es eben.« Sichtlich beleidigt senkte sie den Blick.
Jenna hoffte, dass sich Traudi auch daran hielt, glaubte jedoch nicht daran. »Wie hat dein Peterchen denn geschlafen?«, fragte sie, um das Gespräch auf die Heilkunst zu bringen.
»Na ja, als der Hannes auf mir gekeucht hat, ist er natürlich wieder wach geworden.«
»Vielleicht schläft er ja in der nächsten Nacht durch. Wenn nicht, lass es mich wissen. Dann koche ich ihm einen Aufguss, der ihn zusätzlich beruhigen wird.«
Traudi kicherte. »Den kannst du ruhig schon mal ansetzen. Wer weiß, wie lange dein Zauber noch anhält.«
Jenna hoffte abermals, der Schwindel würde bald in Vergessenheit geraten sein. »Wann hattest du deinen letzten Monatsfluss?«
»Ich glaube, letzten Vollmond.«
»Dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass du empfangen hast. Ich glaube, es hat dann auch eher an dem Geruch deiner Fruchtbarkeit gelegen als an meinem Zauber. Männer haben eine Nase für so etwas.«
Traudi glotzte sie an. »Du meinst, wie bei den Hunden?« Sie schüttelte den Kopf. »Nee du, das ist mir aber noch nie aufgefallen.«
»Ich glaube fest daran.« Jenna begab sich zum Kessel und rührte die Fastensuppe um. »Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?«
»Danke, nein. Im Augenblick sind bei uns alle gesund. Bis auf unsere Sau, die tut sich schwer, weil sie bald wirft.« Traudi klopfte dreimal auf den Tisch. »Aber das wird schon werden«, sagte sie und verabschiedete sich.
Als Jenna nach dem Mittag wieder die vertrauten Schläge des Schmiedehammers vernahm, packte sie den Kessel mit der Suppe in den Korb und machte sich abermals auf den Weg nach Ossendorf. Auch an diesem Tag flirrte die Hitze über den Feldern, deren Erde mittlerweile staubtrocken war. Die Blätter der Gerste verfärbten sich bereits braun und hingen traurig an den Stängeln. Wenn es wirklich nicht bald regnete, würde ihnen eine Dürre drohen.
Als Jenna endlich vor dem Haus des Pfarrers stand, war ihr Mieder nass geschwitzt. Sie hob gerade die Hand, um an die Tür zu klopfen, da hörte sie von innen ein entsetzliches Keuchen. Sie erstarrte. Ob es dem Pfarrer so schlecht ging? Hatte sie die Schwellung seiner Beine etwa nicht ernst genug genommen? Jenna drückte eilig die Klinke hinab und betrat das Haus. Als sie sah, was sich dort auf der Schlafstätte zutrug, fiel ihr vor Schreck der Korb aus der Hand. Der Pfarrer lag immer noch rücklings auf dem Bett, doch auf seinem Schoß saß die Magd mit hochgeschobenen Röcken und entblößten Brüsten. Das Scheppern des Kessels auf dem Boden ließ die beiden in ihrem Treiben erstarren. Sie wandten die Köpfe und starrten Jenna aus großen Augen an.
Dann griff der Pfarrer nach dem Holzkreuz, das er an einem Band um den Hals trug, und richtete es mit zittriger Hand auf Jenna. »Gott steh mir bei!«, stieß er heiser aus.
Jenna nahm ihren Korb und den Kessel auf, zog schnell die Tür hinter sich zu und eilte zurück nach Buckelmeunt.
Die Schatten der Häuser wurden länger, und die ersten Marktschreier verließen Köln durch die Eigelsteinpforte. Elisabeth sah hinab auf die Gasse vor ihrem Haus. Auch an diesem Sommertag wehte kein Lüftchen, und die Stadt brodelte in ihrem Gestank. Alles roch noch eindringlicher als ohnehin schon. Der Unrat, die Herdfeuer, die Misthaufen und die Rinnsale der Kloaken, die sich durch die Gassen zogen, vermischten sich zu einem unerträglichen Dunst. Elisabeth wandte sich vom Fenster ab, beträufelte ein Tuch mit Rosenwasser und steckte ihre Nase hinein. Obwohl sie bereits seit acht Sommern in der Stadt wohnte, würde sie sich nie an diesen Gestank gewöhnen. Bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte sie auf Burg Liebenstein gelebt – ebenfalls am Rhein gelegen, aber umgeben von Wäldern, die im Sommer nach Erde, Harz und sattem Grün dufteten. Doch als sie zwanzig wurde, hatte ihr Vater ihrer Verbindung mit Hermann Quattermart zugestimmt. Der Nutzen, der sich aus dieser Ehe ergeben sollte, war Elisabeth nie ganz klar gewesen. Was hatte der Patrizier davon, wenn er eine verarmte Adelige heiratete? Und was hatte sie davon, außer dass sie ihren Namen verlor? Elisabeth von Liebenstein war nun Elisabeth Quattermart, wohnhaft in einem dreigeschossigen seelenlosen Patrizierhaus auf dem Eigelstein. Sie atmete tief den Duft des Rosenwassers ein. Anderseits hatte sie doch auf eine Weise von der Ehe mit Hermann profitiert, denn etwas Wunderbares war daraus hervorgegangen. Etwas, was ihr wichtiger war als alles andere im Leben – Steffan.
Elisabeth hielt sich das Tuch weiterhin vor die Nase und blickte wieder aus dem Fenster. Da sah sie die beiden auch schon den Eigelstein heraufkommen. Hermann zerrte den kleinen Steffan an der Hand hinter sich her. Weinte der Junge etwa? Elisabeth zerknüllte das Tuch in ihrer Hand. Dann stürmte sie die Stiege hinab, lief vorbei am Lagerraum des Hauses und riss die schwere Holztür auf. Mit drei langen Schritten war sie bei ihrem Sohn und schloss ihn in die Arme.
»Was ist denn geschehen?« Beruhigend strich sie Steffan über das dichte braune Haar.
»Ein Rotzlöffel ist er, sonst nichts«, brummte Hermann.
»Komm, wir gehen erst einmal ins Haus.« Obwohl Steffan bereits sechs Winter zählte, hob Elisabeth ihn mühelos auf ihren Arm. Er war schmächtig, und ihm fehlten die Pausbacken, die andere Knaben in seinem Alter mit Stolz im Gesicht trugen.
Hermann folgte ihr mit grimmigem Gesichtsausdruck ins obere Stockwerk des Hauses. In der Wohnküche setzte Elisabeth ihren Sohn auf die Bank hinter dem wuchtigen Bohlentisch und drückte ihm einen Wecken in die Hand.
Dann wandte sie sich an Hermann. »Was ist geschehen?«
Ihr Gatte nahm sich das Barett vom Kopf. Erschrocken sah Elisabeth ihn an. Der Barbier, den er am Nachmittag aufgesucht hatte, hatte ihm den Hinterkopf bis über die Ohren kahl geschoren. Das verbliebene Haar hatte er schwarz gefärbt und zu einer Kappe geschnitten. Ölig glänzte es nun in der einfallenden Abendsonne.
Steffan schluchzte auf. »Der Lehrer ist so böse.«
Schnaubend drohte Hermann dem Jungen mit dem Finger. »Recht hat er, wenn er dir die Hammelbeine langzieht.«
»Hat er ja gar nicht. Er hat ganz andere Sachen mit mir gemacht.« Ein weiterer Schluchzer erfasste den Jungen.
Elisabeths Brustkorb zog sich zusammen. Niemand durfte Hand an ihrem Sohn anlegen, selbst der Lehrer nicht. Steffan war ein liebes Kind, und es hatte nie einen Grund gegeben, ihn zu schlagen. Sie sah zu Hermann und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Was hat er getan? Sag es mir.«
»Der Lehrer meinte, er sei ein kleiner Teufel, der glaubt, alles besser zu wissen. Und das würde er ihm schon austreiben.«
Auf der anderen Straßenseite schlugen die Glocken des Makkabäerklosters zur Vesper. Als ihr Getöse wieder verstummte, straffte Steffan den Rücken. Er wollte etwas sagen, doch Hermann verbot ihm mit abermals drohendem Finger das Wort.
In Elisabeth brodelte der Zorn. Wollte er seinen Sohn etwa zu einem Duckmäuser erziehen? Nein, so ging das nicht. Sie baute sich vor ihrem Mann auf. »Wir müssen etwas besprechen!«
Verächtlich sah Hermann auf sie hinab. »Besprechen? Was ist denn in dich gefahren? Wenn der Lehrer den Jungen straft, dann hat das schon seine Richtigkeit.« Er rückte die Schamkapsel an seinem Hosenlatz zurecht, strich sich das ohnehin platte Haar noch glatter und setzte sich das Barett wieder auf den Kopf. »Es wird spät heute Abend. Eine Sitzung mit dem Rat. Warte nicht auf mich.«
Als im unteren Stockwerk die Tür ins Schloss fiel, schüttelte Elisabeth den Kopf. Als ob sie auf Hermann auch nur einen Herzschlag lang warten würde. Wonach sollte sie sich denn sehnen? Nach seinem Schweigen? Danach, dass er sie nicht besser behandelte als die Katze, die im Lager die Mäuse jagte? Oder nach dem säuerlichen Geruch, der ihm spät in der Nacht anhaftete, wenn er irgendwann doch heimfand? Elisabeths Zorn wurde übermächtig. Die Zähne fest aufeinandergebissen, ballte sie die Faust vor ihrem Schoß.
»Seid Ihr auch wütend auf mich?« Steffans dünne Stimme befreite sie aus den schmerzenden Gedanken.
»Auf dich? Ach, mein Engel. Natürlich nicht.« Sie beugte sich zu ihm hinab und drückte die Nase in das seidige Kinderhaar. Es hatte dieselbe rostbraune Farbe und die Wellen wie das ihre. Nachdem sie Steffans Stirn geküsst hatte, sah sie ihm in die kugelrunden Augen. »Und nun sagst du mir, was geschehen ist.«
Der Junge biss sich auf die Unterlippe. Dann holte er tief Luft und begann zu erzählen. »Also, erst hat der Lehrer mir mit der Rute auf den nackten Hintern gehauen. So oft.« Er hielt drei Finger hoch. »Und dann hat er Erbsen auf den Boden geschüttet. Ganz viele. Auf die musste ich mich knien und dann beten. Bis zum Ende des Unterrichts. Nicht einmal in die Pause durfte ich.« Abermals stiegen ihm Tränen in die Augen.
Elisabeth rieb sich mit den flachen Händen über die Beine, als spürte sie selbst die Schmerzen in den Knien. Sie nahm ihren Sohn in den Arm und drückte das kleine Gesicht an ihre Brust. »Ach, mein armer Junge. Aber warum hat der Lehrer dich denn gestraft?«
Steffan wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Ich hab reingeredet, ohne gefragt worden zu sein. Und ohne aufgezeigt zu haben. Ich wusste doch nicht, dass man das nicht darf. Die Rutenschläge haben nicht so wehgetan, aber meine Knie …« Er schluchzte auf.
Elisabeth schüttelte den Kopf und rollte den Strumpf an einem von Steffans Beinen hinab. Das Knie war feuerrot und die Haut gedellt. Sie stand auf und tauchte ein Tuch in den Wassereimer, um es ihrem Sohn um das Knie zu binden. »Du musst nicht mehr in die Schule. Ab sofort wirst du hier zu Hause unterrichtet.«
Steffan sah sie aus großen Augen an. »Aber Vater wird schimpfen, wenn ich nicht zur Schule gehe.«
»Lass das mal meine Sorge sein.« Elisabeth holte ein weiteres Tuch, um ihm auch das zweite Knie zu kühlen. Dann schöpfte sie etwas Linseneintopf in eine Schale und gab sie dem Jungen.
Während er aß, beobachtete sie ihn nachdenklich. Wenn der Lehrer der Kaufmannsschule schon am ersten Tag auf die Kinder einschlug, konnte es im Laufe der Jahre nur schlimmer werden. Der Mann musste ein Folterknecht sein. Wie sie dies allerdings Hermann erklären sollte, war ihr schleierhaft.
Nach dem Mahl brachte Elisabeth ihren Sohn zu Bett und sprach mit ihm ein Gebet. Da die Tage lange hell waren, nahm sie sich vor, doch auf Hermann zu warten. Ihre Seele brannte viel zu sehr, als dass sie hätte schlafen können. Um die Stunden bis zur Dunkelheit zu vertreiben, setzte sie sich an das Fenster ihrer Schlafkammer und nähte weiter an dem Kleid, das sie selbst entworfen hatte. Die lichtgelbe Seide mit den zartrosa Blütenblättern war ihr sofort ins Auge gefallen, als Hermann einige Ballen Stoff ins Lager des Hauses hatte liefern lassen. Erst nach langem Betteln hatte er ihr einige Ellen davon abgeschnitten. Elisabeth liebte es, sich selbst Kleider zu schneidern, auch wenn sie sich diese Kunst mehr oder weniger selbst beigebracht hatte.
Allmählich verdunkelte sich die Kammer. Elisabeth merkte dies jedoch erst, als sie sich mit der Nadel in den Finger stach. Rasch steckte sie ihn sich in den Mund, um den Stoff nicht mit Blut zu besudeln. Als die kleine Wunde geschlossen war, legte Elisabeth das Kleid zusammen und verstaute es in der Truhe neben dem Bett. Dann sah sie auf die Gasse, die im Zwielicht des Abends lag. Die letzten Bauern verließen die Stadt und wirbelten mit ihren Karren den Staub auf. Die Holzkäfige waren leer, und die Gänse, die am Morgen noch aufgeregt darin geschnattert hatten, hatten wohl ihren Weg in die Kochtöpfe der Kölner gefunden. Der Tag verneigte sich vor der Nacht, und Hermann war immer noch nicht daheim. Wie so oft in der letzten Zeit würde er sich wohl wieder vom Nachtwächter den Weg leuchten lassen. Elisabeth zog sich bis auf ihr Unterkleid aus und kühlte ihr Gesicht mit dem Wasser in der Waschschüssel. Die Luft war immer noch stickig und geschwängert von dem Gestank der Stadt. Sie befürchtete schon, diese Nacht keinen Schlaf zu finden, doch als sie sich auf das Bett legte, wurden ihr rasch die Lider schwer.
Der Pfarrer aus Ossendorf wollte Jenna auch am nächsten Morgen nicht aus dem Kopf gehen. Sicher war es nicht ungewöhnlich, dass sich ein Geistlicher der Fleischeslust hingab. Das erzählten sich die Leute überall im Land. Aber sie konnte seinen Blick nicht vergessen, mit dem er ihr das Holzkreuz entgegengestreckt hatte. So, als hätte der Leibhaftige persönlich vor ihm gestanden. Bei der Erinnerung daran fuhr ihr immer noch ein Schauer über den Rücken.
Jenna band gerade einige Thymianzweige mit Garn zusammen, als sich die Tür öffnete.
Gundi, die Bäuerin vom Wilhelmshof, schob ihre jüngste Tochter in die Kräuterküche. »Gott zum Gruße, Jenna. Kannst du dir mal das Triefauge meiner Agnes ansehen?«
Jenna beugte sich zu dem Kind hinab und musterte das Gesicht. Das linke Auge des Mädchens war mit getrocknetem Schleim verklebt. Jenna führte Agnes zu dem Tisch, damit sie sich dort auf einen Stuhl setzen konnte. »Wartet einen Augenblick.« Sie ging in den Garten, um etwas Raute zu ernten. Jenna hatte das Kraut erst letzten Monat aus den Samen gezogen, die der Onkel ihr gegeben hatte. Wieder zurück in der Kräuterküche, zerstieß sie die Raute mit einem Mörser, um ihren Saft zu gewinnen. Diesen vermischte sie in einem kleinen Gefäß mit der doppelten Menge Honig und gab etwas Wein dazu.
Die Bäuerin war aufgestanden und sah Jenna über die Schulter. »Meinst du, das hilft?«
»Das sollte es.« Jenna gab ihr das Gefäß. »Tauche heute Abend ein Stück Weißbrot darin ein und lege es der Kleinen auf die Augen. Falls es nicht helfen sollte, müssen wir es mit Rebtropfen versuchen.«
»Wird schon werden«, gab sich nun auch Gundi zuversichtlich.
Jenna schenkte der Bäuerin ein Lächeln. »Das glaube ich auch. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
»Ach, nein. Sonst ist alles in Ordnung. Bis auf die Raupen, die über unseren Kohl herfallen. Wenn es noch mehr werden, ist die Ernte wohl hinüber. Aber gegen die hast du sicher kein Mittelchen.«
»Nein, tatsächlich nicht.« Jenna wischte den Mörser mit einem Tuch ab.
»Einen klitzekleinen Zauber vielleicht?«
»Ich bin des Zauberns nicht mächtig«, sagte Jenna schroff.
Gundi hob eine ihrer buschigen Augenbrauen. »Da hat mir die Traudi aber etwas anderes erzählt.«
»Dann hat dir die Traudi was Falsches erzählt. Ich kann nicht zaubern!« Jenna gab den Weg zur Tür der Hütte frei.
Die Bäuerin verstand wohl den Wink, denn sie nahm ihr Töchterchen bei der Hand und verabschiedete sich. Als sie die Kräuterküche verlassen hatte, schüttelte Jenna den Kopf. Sie hätte es wissen müssen, Traudi war ein Tratschmaul vor dem Herrn. Jenna nahm die kleine Harke, die an der Wand hing, und begab sich in den Kräutergarten, um die Erde aufzulockern. Später, wenn die Sonne sich neigte, würde sie die Pflanzen wässern. Auch wenn sie dafür mehrere Male zum Brunnen laufen müsste. Jenna zog zwei Knollen Fenchel aus dem Boden, den sie heute kochen wollte. Gemächlich schlenderte sie durch die Hitze zu ihrer Hütte, um das Kochfeuer zu schüren. Drei Hammerschläge waren aus der Schmiede zu hören, dann wurde es still. Jenna sah zur Sonne und stellte erschrocken fest, dass sie bereits im Zenit stand. Fast hätte sie vergessen, Gernot eine Mittagsmahlzeit zu bringen. Sie eilte in die Küche, packte etwas Brot, getrocknetes Ziegenfleisch und einen Krug Bier in den Weidenkorb und trug ihn in die Schmiede. Ihr Mann war mürrisch wie fast jeden Tag vor der Mahlzeit und beachtete sie kaum. Nicht einmal einen Dank brachte er über die Lippen, als sie den Korb neben ihn auf die Bank vor der Schmiede setzte. Manchmal sehnte sich Jenna nach einem lieben Wort von ihm, oder auch nach einer zärtlichen Berührung.
Sie setzte sich neben ihn und legte die Hand auf seinen geschwärzten Unterarm. »Woran arbeitest du denn gerade?«
»An einer Sense. Aber was interessiert es dich?« Gernot wandte den Blick ab und sah in den Korb.
Rasch holte Jenna den Krug Bier heraus und drückte ihn Gernot in die Hand. Sie wusste kaum etwas von ihm. Nur, dass seine erste Frau vor mehr als zwei Wintern verstorben war. Woran, hatte er ihr jedoch nie verraten, und Jenna traute sich nicht, danach zu fragen.
»Geht es dir gut?«, fragte sie und nahm Brot und Ziegenfleisch aus dem Korb.
Gernot wischte sich mit dem Handrücken das Bier von den Lippen. »Siehst du doch, oder?«
Jenna zwang sich ein Lächeln ab. »Ja, ich glaube schon.« Sie reichte ihm den Kanten Brot. »Heute Abend gibt es Fenchel mit Erbsen.«
Gernot riss ihr das getrocknete Fleisch aus der Hand. »Weib, was willst du von mir? Sag es freiheraus. Brauchst du ein neues Kleid? Oder eine neue Haube?«
»Nein, nichts dergleichen.« Jenna winkte ab. »Ich wollte mich nur etwas zu dir gesellen. Ein wenig mit dir reden. Wissen, wie es dir geht. Mehr nicht.«
Gernot glotzte sie an, als wäre ihr ein Bart gewachsen. »Hast du nichts zu tun? Feg die Hütte aus, oder noch besser, brat mir endlich mal ein ordentliches Stück Schweinefleisch.«
»Das sollten wir nicht essen. Es macht uns nur krank.«
Gernot schüttelte den Kopf. »Ich wusste es, du bist übergeschnappt. Weißt du was? Troll dich und lass mir meine Ruhe.« Er wandte den Blick in die Ferne, als hätte sie sich augenblicklich in Rauch aufgelöst.
Jenna erhob sich. Sie hätte wissen müssen, dass Gernot nichts von den Lehren der großen Heilerin Hildegard hielt. Wie sollte er auch? Er wusste ja nichts darüber. »Einen gottgefälligen Tag wünsche ich dir noch«, sagte Jenna, wandte ihm den Rücken zu und ging zurück in ihren Kräutergarten. Dort lag nun auch die Petersilie traurig am Boden. Jenna erntete die gekräuselten Blätter, um sie zu trocknen. Anschließend machte sie sich auf zum Keilershof, um Wasser zu holen.
Gerade als sie den Eimer in den Brunnen hinabließ, hörte sie einen verzweifelten Aufschrei. Mit hoch erhobenen Armen kam Traudi aus dem Stall gerannt. Ihr Gesicht war weiß wie Milch. »Alle tot! Alle tot!«, kreischte die Bäuerin.
Jenna ließ vor Schreck den Eimer fallen und eilte zu Traudi. »Tot? Wer?«
Traudi presste sich die Hände auf die Brust. »Die Ferkel. Alle acht! Totgeburten. Der Teufel muss seine Hand im Spiel haben«, keuchte sie.
Ungläubig sah Jenna sie an. »Bist du dir sicher?«
Traudis Blick verfinsterte sich. »Natürlich bin ich das! Wie vertrocknet sind die Viecher.«
»Dann muss eure Sau krank sein.«
»Der hat doch bis jetzt nichts gefehlt. Ich glaub, da steckt mehr dahinter. Vom Herrgott gestraft sind wir.« Traudi warf den Kopf in den Nacken und heulte auf. »Oder vom Leibhaftigen! Oder von allen zusammen.« Verzweifelt sah sie Jenna an. »Du hättest den Zauber nicht auf den Hof bringen dürfen!«
»Ach, Traudi, nun rede doch nicht solchen Unsinn. Schweine werden krank. So wie wir Menschen auch. Das liegt in der Natur.«
Traudi verzog den Mund zu einem Strich. »Dahinter stecken andere Kräfte, ich bin mir sicher. Du hast mit deinem Liebeszauber die Dämonen auf den Hof gerufen.«
Jenna griff nach der Kette, um den Eimer aus dem Brunnen zu ziehen. »Glaub doch nicht so etwas. Ich kann doch gar nicht zaubern. Ich hab doch nur so getan, damit du Ruhe gibst.«
Traudi schien Jennas Worten kein Gehör zu schenken und sah zum Himmel. »Sicher wird noch mehr Unheil auf uns zukommen.«
»Gewiss nicht.« Jenna legte ihr die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich von ihr.