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Die Welt scheint vergessen zu haben, dass sie aus dem Blut von Drachen geboren wurde. Die Drachen jedoch haben niemals vergessen. Eine rätselhafte Mission führt Samanta in die Reihen ihrer Feinde. Sie schleicht sich mit ihren engsten Freunden bei einer Mission ein, die den undurchdringlichen Wald erforschen soll. Ihr Auftrag: Eine mysteriöse Macht aufspüren und unschädlich machen. Die junge Verbrecherin ahnt jedoch nicht, dass viel mehr dahinter steckt. Als sie zusammen mit Hauptmann Gerrit Southlake die Existenz von Drachen enthüllt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Das ungleiche Paar muss zusammenarbeiten, um die Bedrohung durch den Feuerdrachen abzuwenden. Doch nicht nur ihre eigenen Prinzipien stehen auf dem Spiel. Ein uralter Fluch zwingt Samanta zu einer Entscheidung zwischen der Rettung ihres Heimatlandes und den Leben der Menschen, die sie liebt.
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Seitenzahl: 1175
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… und den Mut haben, selbst in den dunkelsten Stunden weiterzukämpfen. Möge diese Geschichte euch inspirieren, eure eigenen Abenteuer zu bestehen und das Unbekannte zu erforschen.
Königreich Calisira
Prolog
Buch 1 – Verrat
Ein ungewöhnlicher Auftrag
Vom Mädchen zum Mann
Gefährliche Höhe
Der Tod im Unterholz
Stimmen im Wind
Geheimnisse alter Tage
Auf des Messers Schneide
Abtrünnige Helden
Der Turm fällt
Buch 2 – Vertrauen
Der Fluch der Drachen
Anders als früher
Der Sohn des Generals
Qualvolle Erinnerungen
In der Falle
Gefährliche Träume
Des Glücks Ende
Kontrollverlust
Die Befreiungszeremonie
Buch 3 – Verlust
Ein Leben ohne Liebe
Die junge Baroness
An der Front
Zum Ursprung der Macht
Königreich der Sterne
Der Weg nachhause
Feuer und Magie
Ende einer Ära
Lang lebe die Königin
Danksagung
Legenden und Sagen ranken sich um das Ende unserer Zeit.
Manch eine besagt, die Welt werde in Rauch und Flammen aufgehen, andere behaupten, sie werde den Kältetod erleiden und ein paar zuversichtliche sind der Meinung, sie werde ewig währen. Aber die Wahrheit kennt niemand.
Oder etwa doch?
Das Ende unseres Zeitalters wurde bereits vor Jahrhunderten zum Zeitpunkt seiner Geburt besiegelt. Kaum zu glauben, dass die damals geweckte, vernichtende Macht all die Jahre unbemerkt blieb. Und die Zeit heilt so manche Wunde – selbst jene, die besser nicht geheilt worden wären. Heute erinnert sich kaum noch jemand daran, was sich damals ereignete. An die Opfer, die unser heutiges Leben einst ermöglichten.
Selbst die jüngsten Vorboten des nahenden Endes brachten weder die Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht, noch blieben sie den Menschen in Erinnerung: Vor fünfzehn Jahren wütete ein vernichtendes Feuer im Westen meines Heimatlandes. Nicht wenige Dörfer fielen ihm zum Opfer. Die Bedrohung war selten so nahe. Trotzdem spricht niemand mehr davon. Doch schon bald sollte jene zerstörerische Macht neue Opfer fordern. Schon bald sollte sie das Ende unseres Zeitalters herbeiführen. Und schon bald sollten weitere unschuldige Menschen leiden.
Auch mich holten die Ereignisse der Vergangenheit eines Tages ein. Ich war damals noch ein Kind.
Eines Nachts rissen mich ungewohnte Geräusche aus dem Schlaf. Außer dem Vollmond, dessen fahler Schein in mein Zimmer fiel, gab es keine Lichtquelle.Trotzdem fand ich den Weg zur Tür problemlos. Ich hörte Schritte. Sie schlichen auf und ab, ließen den Holzboden jedoch nicht wie üblich knarren. Vorsichtig schob ich die Tür auf. Der Flur war dunkel, doch im Wohnbereich flackerte eine Kerze. Ich schlich näher heran und sah kurz darauf den Schatten meines Mentors. Er war vollständig gekleidet, trug sogar Schuhe, einen Mantel und – sein Schwert baumelte an seinem Gürtel.
„Gehst du auf eine Mission?“, fragte ich verschlafen.
„Sammy!“, rief der Mann erschrocken.
Ich überlegte, ob er nur nicht mit meinem Erscheinen gerechnet hatte – denn um diese Zeit schlief ich normalerweise – oder sich ertappt fühlte. Er setzte jedoch prompt ein Lächeln auf.
„Ich wollte dich nicht wecken“, behauptete er.
„Du hast gar nicht gesagt, dass du gehst“, bemerkte ich vorwurfsvoll. „Wie lange wirst du denn diesmal unterwegs sein?“
Seufzend hockte mein Mentor sich vor mich, sodass er mit mir auf Augenhöhe war, und legte seine Hände auf meine Schultern.
„Hör mir zu, Sammy!“, sagte er ernst. „Ich habe dir doch erzählt, dass die Welt voller Geheimnisse ist und dass es Dinge gibt, die du noch nicht verstehst, richtig?“
Ich nickte.
„Das Schicksal ist oft grausam“, fuhr mein Mentor fort. „Und es zu bezwingen, bedarf so viel Kraft, wie kaum ein Mensch sie aufbringen kann. Aber manchmal haben wir die Chance, etwas mehr Zeit zu gewinnen, indem wir ein großes Opfer bringen.“
„Das verstehe ich nicht.“ Ich legte meinen Kopf schief und blinzelte ihn an.
„Ich weiß, Liebes“, antwortete der Mann. „Ich wollte es dir eigentlich noch nicht sagen. Es werden schlimme Dinge passieren, vor denen ich dich nicht beschützen kann. Aber heute kann ich dir etwas mehr Zeit verschaffen.“
Offenbar merkte er, dass seine Worte mich verwirrten. Er führte das Thema nicht weiter aus, sondern sah mir tief in die Augen.
„Sammy, du musst mir etwas versprechen. Versprich mir, dass du stark genug wirst, um dein Schicksal eines Tages abzuwenden – dass du stärker wirst als ich.“
„Ich verspreche es“, sagte ich verunsichert.
„Das ist mein Mädchen!“ Etwas blitzte in seinen Augen auf. „Ich bin mir sicher, dass Philip weiterhin für dich da ist – und die beiden Jungs, mit denen du immer unterwegs bist. Wie heißen sie doch gleich?“
„Smith und Eolariell“, antwortete ich.
Der Mann nickte zufrieden.
„Es gibt nichts Wichtigeres auf dieser Welt als Freunde“, sagte er. „Vergiss das nicht, ja?“
Ich verstand nicht, was mein Mentor mir sagen wollte, erkannte jedoch, dass dies ein Abschied war. Tränen stiegen in meine Augen, woraufhin er mich in die Arme nahm und an sich drückte.
„Alles wird gut werden, Sammy“, sagte er. „Ich glaube fest daran.“
Es ist meine letzte Erinnerung an ihn. Er verschwand und kehrte nie wieder zurück – und niemand schien sich wirklich daran zu stören. Bis heute weiß ich nicht, was sich damals ereignete. Er hinterließ keine Hinweise auf sein Schicksal, sondern löste sich einfach in Luft auf.
Und so geriet er in Vergessenheit – wie so vieles andere.
Die Innenstadt stand in Flammen. Qualm versperrte die Sicht in den Straßen und die Rauchfahne war kilometerweit zu sehen. Die wenigen in Countryside stationierten Gardisten waren mit der Lage der Stadt restlos überfordert. Nichts hatte sie auf diesen Tag vorbereitet. Schwertkämpfer duellierten sich auf offener Straße, Bogenschützen hatten auf den Dächern rund um den Marktplatz Stellung bezogen und Gebäude wurden von den Flammen nieder gezwungen. Durch den Rauch der Feuer sah man kaum, wohin man lief. An ein Eingreifen war nicht zu denken. Hier tobte die entscheidende Schlacht zweier verfeindeter Verbrechergilden um die Vorherrschaft in Freeland. Jedem, der zwischen die Fronten geriet, blühte ein schneller Tod. Die Garde evakuierte die Einwohner. Alles Weitere lag nicht in ihrer Hand.
Meine Freunde und ich waren mitten im Geschehen. Wir hatten klare Anweisungen erhalten, dem Kampf fern zu bleiben. Aber wann hielten wir uns schon an Befehle der Gildenführung?
Wir näherten uns dem Stadtkern und somit dem Hauptschauplatz des Gefechts. Das Aufeinandertreffen von Schwertern erzeugte einen metallischen Klang. Ich hörte Schreie, Explosionen und das Knistern von Feuer. Nichts davon vermochte jedoch den Lärm zu übertönen, als unmittelbar vor uns ein Gebäude zusammenbrach. Er schmerzte in den Ohren. Ich schützte meine Augen vor dem aufgewirbelten Staub und ging in Deckung. Der Untergrund bebte. Eolariell hechtete hinter eine Hausecke, Smith und ich brachten uns durch einen beherzten Sprung in eine Seitengasse in Sicherheit. Nur Pferd blieb einfach stehen. Der Schimmelhengst kam auf dem Kopfsteinpflaster ohnehin nur mühsam voran. Er hatte genug Abstand.
„Seid ihr in Ordnung?“, rief der Magier Eolariell gegen den Lärm an.
Smith antwortete mit einem Husten und ich sah die Silhouette von Pferd, welcher sich den Schmutz aus dem Fell schüttelte. Qualm und Staub brannten in der Kehle.
„Uns ist nichts passiert!“, rief ich in Eolariells Richtung.
Ich wartete, bis der Dunst sich lichtete. Trümmer versperrten jetzt den Weg zum Marktplatz.
„Schaut, was wir gefunden haben!“, sagte Smith, kaum dass sein Atem sich beruhigt hatte. „Das ist doch der Wagen, den Goldstaub uns gestohlen hat.“
„Toll“, antwortete Eolariell. „Und was sollen wir jetzt damit? Du willst den Krempel sicher nicht mitschleppen, oder?“
Während er zu uns trat, klopfte er den Staub von seiner Kutte.
„Sei ein bisschen kreativ, Junge!“ Smith zog ein großes, zusammengerolltes Stück Stoff aus dem Wagen.
Ein Grinsen schlich sich auf die Lippen des Rotschopfs, während er es ausbreitete und mich vielsagend ansah.
„Denkst du dasselbe wie ich?“
Jetzt erkannte ich, dass Smith die Flagge mit dem Erkennungszeichen unserer Gilde gefunden hatten. Ein silberner Kreis hob sich vom schwarzen Stoff ab. Dieser wiederum beinhaltete eine Aussparung in Form eines Edelsteins. Ich folgte dem Blick meines Freundes zwischen den Häusern hindurch nach oben und blieb an der Spitze eines Turmes hängen.
„Packen wir es an!“ Ich grinste und schon waren wir nicht mehr zu halten.
Der angesteuerte Turm – oder vielmehr das Gebäude, zu dem dieser gehörte – säumte den Marktplatz. Der Hintereingang wurde nicht bewacht. Unser Eindringen blieb deshalb unbemerkt. Der Schimmelhengst wartete auf der Straße. Nur wenig Lärm des Kampfes drang zu uns hinein und doch war die Nähe zum Schlachtfeld deutlich spürbar. Das Mauerwerk erzitterte bei jeder Explosion und die Fensterscheiben klirrten. Wenigstens stand das Gebäude nicht in Flammen. Über die umstehenden Fachwerkhäuser ließ sich das nicht behaupten.
„Smith!“, flüsterte ich. „Da ist jemand.“
Nachdem mein Freund stehengeblieben war und sich zu mir umgedreht hatte, deutete ich auf eine halb geöffnete Tür. Ich hörte Stimmen von der anderen Seite. Vorsichtig schielte ich in den dahinterliegenden Raum.
„Da ist auch eine Treppe!“
Sofort war Smith zur Stelle und wagte ebenfalls einen Blick an der Tür vorbei.
„Die können wir erledigen“, sagte er. „Gar kein Problem.“
Die Männer, die den Weg zur Treppe versperrten, hatten uns nicht bemerkt. Sie waren zu dritt und in die Farben Goldstaubs gekleidet: Rot und Gold.
„Wartet kurz!“, meldete sich Eolariell zu Wort. „Ihr könnt da nicht einfach hineinstürmen und einen Kampf anzetteln.“
„Wieso nicht?“, fragte Smith. „Bis auf den Großen dort sehen die nicht nach den stärksten Gegnern aus – und sie können sich hier ja nicht ewig verstecken.“
„Ein außergewöhnlicher Kämpfer ist aber schon einer zu viel“, entgegnete der Magier.
„Komm schon!“, sagte ich. „Wir sind immerhin auch ziemlich schlagkräftig, oder?“
„Meine Rede“, bemerkte Smith grinsend. „Ich den Großen, du die Anderen?“
„Bin dabei!“
Eolariell holte Luft, um etwas zu erwidern. Smith drückte ihm schnell die Flagge in die Hände und zog sein Schwert. Ich folgte seinem Beispiel und gemeinsam stürmten wir den Raum. Das Seufzen des Magiers blieb unbeachtet.
Die drei Mitglieder Goldstaubs wirkten wenig überrascht über das plötzliche Eintreffen ihrer Feinde. Es war bloß eine Frage der Zeit gewesen, bis sie entdeckt wurden. Dementsprechend schnell zogen sie ihre Waffen und stellten sich uns entgegen. Die Klingen der Schwerter krachten aufeinander. Im Funkenflug wich ich einem meiner Feinde aus und attackierte den anderen von der Seite. Es war nicht das erste Mal, dass ich es mit zwei Gegnern gleichzeitig aufnahm. Es kam dabei vor allem auf Geschwindigkeit an. Einmal zu lange an einer Stelle verharrt, hätten die Feinde Zeit, sich zu organisieren und mich zeitgleich anzugreifen. Dazu durfte ich es nicht kommen lassen.
Ich wirbelte herum und es gelang mir, einem der Männer das Standbein unter dem Körper wegzuziehen. Während dieser zu Boden stürzte, parierte ich den Schwerthieb des Anderen. In einer geschickten Drehung verpasste ich ihm einen Kinnhaken. Er taumelte rückwärts, stolperte dabei über seinen Kameraden und riss diesen erneut zu Boden. Erschrocken ließ er sein Schwert fallen. Der Aufprall sah schmerzhaft aus. Schnell vergewisserte ich mich, dass sie liegen blieben. Eine Zauberformel des Magiers bewirkte ihr Übriges. Die beiden Mitglieder Goldstaubs waren somit für einige Zeit bewegungsunfähig.
Eo hatte schon immer darauf bestanden. Wenn möglich verursachten wir im Kampf keine ernsthaften Verletzungen. Auch diesmal hatte er seine Magie vorbereitet, nachdem Smith und ich den Raum gestürmt hatten.
„Das ging schnell.“ In seiner Stimme klang ein Hauch von Anerkennung mit.
Er sah zu Smith herüber, der seinen Gegner noch nicht überwältigt hatte. Ich wartete nicht, dass er mich dazu aufforderte, sondern stürzte mich direkt in den Kampf. Zwei Gegnern war das Muskelpaket nicht gewachsen. Wir brachten ihn in Bedrängnis. Er wich zurück, vergaß dabei die Wand, die er im Rücken hatte, verlor den Halt und fiel aus dem Fenster.
„Autsch!“, rief Smith. „Nichts geht über einen stilvollen Abgang.“
„Wir sollten auch verschwinden“, warf Eolariell ein. „Ich befürchte, sein Sturz könnte Goldstaubs Aufmerksamkeit auf uns lenken.“
„Der Weg nach oben ist frei.“ Ich grinste meine Freunde an.
Das war sicher nicht, was Eolariell gemeint hatte. Er hielt uns aber nicht zurück.
Smith spurtete voran. Mit großen Schritten lief er die Treppe hinauf. Ich blieb ihm dicht auf den Fersen. Vier Stockwerke führte sie uns nach oben, auf denen keine weiteren Feinde anzutreffen waren. Die meisten beteiligten sich an der Schlacht direkt auf dem Marktplatz. Ein beherzter Tritt öffnete die Tür der Dachkammer. Von dieser aus galt es bloß noch einer Leiter nach oben zu folgen.
Wir traten ins Freie. Warme Luft schlug uns entgegen. Der Turm war der höchste Punkt der Stadt, doch Feuer und Qualm schränkten die Sicht ein. Der Himmel färbte sich rot. Nur das Treiben auf dem Marktplatz war zu erkennen. Die Kämpfe neigten sich langsam einem Ende zu – und Kristallmond dominierte.
Ich warf bloß einen kurzen Blick hinunter, bevor ich mich zu Smith umdrehte. Er werkelte am Fahnenmast herum. Die Flagge Freelands mit ihren drei silbernen Sternen auf dunkelblauem Grund hatte er längst eingeholt. Jetzt grade zog er die Fahne unserer Gilde hinauf.
„Sieht doch gleich viel besser aus!“, stellte er fest.
Ein zufriedenes Grinsen zeichnete sein Gesicht.
„Nur wird das gewaltig Ärger geben“, bemerkte Eolariell. „Immerhin sollten wir uns dem Schlachtfeld nicht einmal nähern.“
„Ärger oder nicht“, sagte ich. „Das hier war es wert!“
„Ich wollte es auch nur fürs Protokoll einmal anmerken.“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
Als hätte Smith darauf gewartet, drehte dieser sich in Richtung des Schlachtfeldes und brüllte: „Mit uns nimmt es niemand auf!“
Eolariell und ich stimmten mit ein. „Lang lebe Kristallmond!“
An diesem Tag siegte unsere Gilde in der entscheidenden Schlacht gegen Goldstaub. Viele Jahre der Feindschaft mit immer wiederkehrenden Kämpfen fanden somit ein Ende. Doch es blieb ein bitterer Nachgeschmack. Hatte es nach all den Jahren wirklich so kommen müssen? Niemand in der Gilde schien den Hintergrund des Krieges zwischen Kristallmond und Goldstaub zu kennen. Irgendwann hatte ich aufgegeben zu fragen und jetzt, da es vorbei war, würde ich nicht nachhaken. Es war beendet, alles andere zählte nicht mehr. Wie hätte ich auch ahnen können, dass die Zahnräder des Schicksals sich bereits viel früher in Bewegung gesetzt hatten?
Der Gardist ließ uns nicht aus den Augen.
Er hatte uns nicht geglaubt, dass wir auf Bitte der Baroness hin in deren Schloss gekommen waren und von uns nichts zu befürchten war. Mit Sicherheit wusste er, dass wir zu Kristallmond gehörten. Sie waren dazu ausgebildet, ein Gildenmitglied zu erkennen, wenn sie eines sahen. So viel stand fest.
Wir hatten Freeland und der Garde in der Vergangenheit jede Menge Ärger bereitet. Jedoch waren wir bislang nie zur Rechenschaft gezogen worden. Es wunderte mich deshalb kaum, dass sie es offenbar für pure Provokation hielte, dass wir Einlass ins Schloss erbeten hatten.
Zudem gaben wir sicher ein merkwürdiges Bild ab. Eolariell, ein stiller Charakter mit langem, schwarzem Haar, der in eine dunkle Kutte gehüllt war, passte noch am besten an diesen Ort. Seine ganze Haltung war würdevoll und seine Aura funkelte mit den Kronleuchtern um die Wette. Dem Rotschopf Smith und mir stand hingegen „Fremdkörper“ auf die Stirn geschrieben. Der Kontrast zwischen der feinen Ausstattung des Foyers und unseres Auftretens konnte nicht größer sein. Ich würde uns nicht als ungepflegt beschreiben, aber im Vergleich zu allem anderen an diesem Ort – na ja, lassen wir das. Wir waren uns in jedem Fall darüber bewusst, dass dies nicht unsere Welt war. Wir waren Ausgestoßene, Verbrecher, zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Wohlwollen der Baroness abhängig. Aber genau so sollte es sein. Wir hatten uns dieses Leben ausgesucht.
Der Gardist atmete auf, als sein älterer Kollege zurückkehrte. Zielstrebig näherte er sich mir und meinen Freunden. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern der Garde trug er silberne Stickereien auf seiner Uniform. Er musste eine besondere Stellung in dieser innehaben. Vielleicht war er sogar der Chef der Garde. Wann immer wir mit dieser zusammenstießen, war er nicht weit. Auch jetzt baute er sich vor uns auf und hielt Blickkontakt. Der Gardist wollte zweifellos die Oberhand behalten.
„Waffen ablegen!“
„Hab ich es nicht gleich gesagt?“, fragte Eolariell. „Die Baroness hat uns tatsächlich nicht zum Kaffeetrinken eingeladen.“
„Mach dich nicht lächerlich, Eo“, entgegnete ich und schnallte bereitwillig den Gürtel, an dem mein Schwert baumelte, von meiner Hüfte. „Wenn mir eine Gelegenheit einfällt, zu der man unbewaffnet geht, dann ja wohl zum Nachmittagskaffee mit der Baroness.“
Nachdem ich dem Gardisten mein Schwert übergeben hatte, zog ich den Dolch hervor, den ich immer gut versteckt bei mir trug.
„Da spricht ganz klar die jahrelange Erfahrung aus dir.“ Smith grinste und gab ebenfalls sein Schwert ab.
„Natürlich“, antwortete ich schmunzelnd. „Du weißt doch: Kaffeekränzchen in edlen Schlössern gehören ganz klar zu meinen liebsten Beschäftigungen. Solltest du auch mal versuchen, Eo. Tut der Seele ausgesprochen gut.“
Der Rotschopf lachte.
„Reden Sie nicht so viel!“, knurrte der ältere Gardist.
Er reichte die Waffen an seinen jüngeren Kollegen weiter.
„Seien Sie nicht so verklemmt!“, erwiderte ich.
„Samanta!“, zischte Eolariell. „Zeig etwas mehr Anstand!“
„Wieso?“, fragte ich. „Bist du etwa auf seiner Seite?“
„Sie täten gut daran, auf ihren Freund zu hören“, sagte der Gardist. „Ich würde nicht so weit gehen, Sie als Gäste zu bezeichnen – aber verhalten Sie sich besser so!“
Ich funkelte ihn herausfordernd an, verkniff mir jedoch eine weitere Bemerkung.
Der Gardist musterte uns erneut, bevor er sagte: „Baroness Katharina wird Sie nun empfangen. Lassen Sie sich jedoch gewarnt sein: Eine falsche Bewegung und Sie werden es bereuen, geboren worden zu sein.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte voraus in den linken Flügel des Schlosses.
„Ob sie hier jeden so freundlich begrüßen?“, fragte Smith, während wir dem älteren Gardisten folgten.
„Wahrscheinlich nur diejenigen“, mutmaßte ich, „über deren Anwesenheit sie sich am meisten freuen.“
Der Gardist lief so schnell, dass wir kaum eine Gelegenheit hatten, uns umzusehen. Ob er glaubte, wir könnten etwas mitgehen lassen? Völlig unbegründet wäre seine Sorge gewiss nicht. Aber selbst wir hatten unsere Prinzipien. Solange wir nicht wussten, weshalb wir hier waren, würde alles an seinem Platz bleiben. Er führte uns in eine Bibliothek, die sich über drei Stockwerke erstreckte. Helles Sonnenlicht fiel durch die großzügigen Fenster auf die lückenlos gefüllten Bücherregale. Ich hatte nie zuvor eine größere Anzahl Bücher an einem einzigen Ort gesehen. Wie viel Wissen in diesem Raum steckte! Staunend sahen wir uns um und hätten dabei um ein Haar die Baroness übersehen. Sie saß an einem Tisch, eine Menge Bücher vor sich verteilt, und hatte offenbar zuvor in einem davon geblättert.
Als wir eintraten, erhob sie sich. Das Alter der Baroness war schwer einzuschätzen. Zwar entdeckte ich einige grauen Haare zwischen den anderen blonden, doch trug sie keine Falten im Gesicht und strahlte etwas Jugendliches aus. Ihr Kleid schien dagegen einem vergangenen Jahrhundert zu entspringen. Es passte zu den Geschichten, die man sich erzählte. Angeblich war die Baroness von Freeland schon beachtenswert alt. Wenn ich sie so sah, konnte ich das kaum glauben.
„Ich habe euch erwartet“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wollt ihr euch nicht setzen?“
Die Baroness wies auf eine gemütliche Sitzecke mit Kamin. Ein Feuer loderte darin.
„Äh, gerne“, antwortete Eolariell etwas irritiert und schob Smith und mich dorthin.
Wir hatten zuvor Mutmaßungen angestellt, weshalb man uns ins Schloss eingeladen hatte und was uns erwartete. Mit einem so herzlichen Empfang hatten wir allerdings nicht gerechnet.
„Ich danke Ihnen, Kaaden“, sagte die Baroness zu dem Gardisten. „Sie können uns alleine lassen.“
„Sind Sie sicher?“, erkundigte sich dieser.
„Sie machen sich zu viele Sorgen, mein Lieber“, sagte sie. „Ich bin durchaus in der Lage, böse Absichten zu erkennen. Und diese drei Herrschaften führen nichts im Schilde. Das kann ich Ihnen garantieren.“
Nur widerwillig verließ der Gardist die Bibliothek. Ich warf ihm noch einen schadenfrohen Blick hinterher. Kaum dass er verschwunden war, wandte die Baroness sich meinen Freunden und mir zu. Eolariell hatte sich auf eines der Sofas gesetzt, ich schaute das am nächsten stehende Bücherregal durch und Smith stand mit verschränkten Armen daneben. Die meisten Bücher wirkten alt und ihr Einband verriet nicht, was sie beinhalteten. Ich war nicht unbedingt ein Bücherwurm, aber diese Bibliothek ließ mich nicht unbeeindruckt.
„Eolariell, Samanta und Smith, richtig?“ Die Baroness lächelte.
„Sie kennen unsere Namen?“, fragte Eo überrascht.
„Nicht nur das,“, antwortete die Baroness. „Ich weiß zum Beispiel auch, dass du Magier bist, Eolariell – und noch dazu ein sehr talentierter, wie man hört.“
„Das würde er nur niemals zugeben“, sagte ich. „Dafür ist er viel zu bescheiden.“
Ich ließ von den Büchern ab und setzte mich auf die Lehne der Couch.
„Und du, Samanta“, sagte die Baroness, „du bist eine fähige Schwertkämpferin, nicht wahr? Soweit ich weiß, spricht man innerhalb der Gilde in höchsten Tönen von deinen Fähigkeiten.“
„Das wiederum ist wohl etwas übertrieben“, warf der Rotschopf grinsend ein. „Sammy kämpft höchstens durchschnittlich.“
„Suchst du etwa Streit, Smith?“ Ich funkelte meinen Freund herausfordernd an.
„Du weißt, dass ich Recht habe“, sagte Smith unbeeindruckt und wandte sich der Baroness zu. „Haben Sie über mich auch etwas gehört?“
„Du sollst mit Pferden reden können.“
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Der war gut!“
Man glaubt es kaum, aber die Baroness hatte nicht einmal Unrecht. Wir zählten Pferd – das war sein Name – fest zu unserem Team. Vor allem Smith verbrachte nahezu seine gesamte Zeit mit dem Schimmelhengst, welcher nicht nur über die Gabe verfügte, seine Gestalt zu verändern. Pferd verstand jedes Wort und auf irgendeine Art schaffte Smith es, ihn ebenfalls zu verstehe. Dabei war Pferd selbst nicht der menschlichen Sprache mächtig.
„Ganz toll“, brummelte Smith auf die Bemerkung der Baroness hin. „Sammy und Eo sprechen genauso mit Pferd.“
„Ich finde, sie hat es auf den Punkt gebracht“, sagte ich grinsend. „Ausgezeichnet herausgefunden, Frau – wie sagt man – Baroness?“
„Oh, nennt mich gerne Katharina“, antwortete eben diese.
„Sie haben uns noch nicht verraten, woher Sie das alles wissen und weshalb wir hier sind“, warf Eolariell ein.
„Die erste Frage ist leicht zu beantworten“, sagte die Baroness. „Nur weil ich hier im Schloss sitze, heißt das noch lange nicht, dass ich nichts von dem mitbekomme, was in Freeland vor sich geht. Der Krieg der Gilden Kristallmond und Goldstaub beschäftigt mich schon so lange, dass die Strafakten sämtlicher Mitglieder ellenlang sind. Ich kenne meine Feinde. Glaubt bloß nicht, dass ihr davon ausgenommen seid.“
„Aber wenn Sie so gut Bescheid wissen“, warf ich ein. „Weshalb reagieren Sie dann nicht darauf? Die Garde ist uns schließlich zahlenmäßig überlegen.“
„Weil das Flachzangen sind“, antwortete Smith.
Ich schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Die Garde ist besser ausgebildet und organisiert, als wir es sind. Wenn sie es ernsthaft darauf anlegen würden, hätten wir keine Chance.“
„Das kann ich nur bestätigen“, stellte die Baroness fest. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich allen Grund dazu, euch und die anderen Mitglieder Kristallmonds festzunehmen und für den Rest eurer Tage wegzusperren. Dass ich es bis jetzt nicht getan habe, liegt einzig und alleine daran, dass Freeland seit je her von den Gilden profitiert hat. Meine Garde wäre niemals schlagkräftig genug, um es mit ernsthaften Gegnern von außerhalb aufzunehmen. Die Gilden dagegen habe eine abschreckende Wirkung, weil sie unabhängig sind und sich keinen Regeln verpflichtet fühlen.
Es ist folglich alleine strategischer Natur, dass ich die Gilden dulde – zumindest solange Kristallmond und Goldstaub sich durch ihren Krieg gegenseitig im Zaum gehalten haben. Wie es in Zukunft weitergehen wird, jetzt wo Goldstaub ausgelöscht ist, wird sich erst noch zeigen müssen.“
„Aber deshalb sind wir nicht hier“, sagte Eolariell. „Hab ich Recht?“
„Das stimmt“, antwortete die Baroness. „Für den Augenblick sehe ich darüber hinweg, dass ich euch eigentlich als Staatsfeinde betrachten müsste. Ich habe einen Auftrag für euch.“
„Einen Auftrag?“ Ich sah sie mit großen Augen an. „Sie meinen eine offizielle Mission?“
Baroness Katharina nickte.
„Was wisst ihr über das unüberwindbare Gebirge und den undurchdringlichen Wald?“, fragte sie.
„Einige Sagen und Legenden ranken sich darum“, antwortete Eolariell. „Niemand, der sie bezwingen wollte, ist je zurückgekehrt. Deshalb kann auch keiner sagen, was an den Legenden dran ist. Angeblich schlummert im undurchdringlichen Wald jedoch eine Macht, die das ganze Land zu zerstören vermag. Doch nicht einmal die Existenz des Waldes ist gewiss, da man erst das Gebirge überqueren müsste, um ihn zu erreichen.“
„So ist es“, sagte die Baroness. „Allerdings nicht mehr lange.“
„Wollen Sie damit sagen, unsere Mission besteht darin, über das unüberwindbare Gebirge und in den undurchdringlichen Wald zu reisen?“ Smith starrte sie mit großen Augen an.
„Das ist absurd“, stellte ich fest. „Warum sollte das gerade uns gelingen?“
„Weil wir das beste Team Calisiras sind?“, fragte Smith.
Seine braunen Augen blitzten abenteuerlustig auf.
„Ja, das steht außer Frage“, sagte ich. „Trotzdem wäre es das reinste Himmelfahrtskommando.“
„Ihr könntet die Baroness einfach aussprechen lassen“, schlug Eolariell vor.
„Wenigstens einer von euch ist vernünftig“, stellte diese fest. „Um genau zu sein, habe ich vor ein paar Tagen eine Nachricht aus Lavinia erhalten. König Richard hat einige seiner Soldaten damit betraut, eine neue Handelsroute nach Phirleonis im Norden zu erschließen – eben genau über das Gebirge und durch den Wald. Er scheint fest entschlossen zu sein. Anderenfalls hätte er sicher nicht Hauptmann Gerrit Southlake als Kopf der Expedition ausgewählt. Er gilt fast schon als Garantie für erfolgreiche Einsätze.“
„Und wir sollen das verhindern, damit die Händler weiterhin durch Freeland ziehen?“
Die Aufregung des Rotschopfes war kaum zu bremsen.
„Lass die Frau ausreden, Smith!“, schimpfte Eolariell augenblicklich.
„Ach, komm schon!“, rief unser Freund. „Wäre es nicht unheimlich lustig, die Armee etwas aufzumischen?“
„Es wäre jedenfalls naheliegend“, bemerkte die Baroness. „Sollte das Vorhaben des Königs gelingen, so könnte der Handel in Freeland tatsächlich etwas zurückgehen. Doch das bereitet mir keine Sorgen. Wir haben genug loyale Handelspartner, die weiterhin die Häfen Freelands ansteuern würden. Mir geht es vielmehr um diese mysteriöse Macht, die im undurchdringlichen Wald verborgen liegen soll.“
„Wieso sollten Sie ein ganzes Land zerstören wollen?“, fragte Smith und bekam dafür meinen Ellbogen in die Seite.
„Hey!“, protestierte er. „Als hättest du dir die Frage nicht auch gestellt!“
„Schon“, antwortete ich, „aber deine Zwischenfragen nerven.“
„Es tut mir leid“, entschuldigte Eolariell sich. „Ich fürchte, die Konzentrationsspanne der beiden ist winzig.“
„Ist schon in Ordnung“, sagte die Baroness. „Ich komme einfach gleich auf den Punkt: Niemand sollte über eine solche Macht verfügen. Deshalb möchte ich, dass ihr an der Expedition teilnehmt, sie aufspürt und neutralisiert.“
„Das verstehe ich nicht“, gab ich zu. „Wieso schicken Sie denn nicht Ihrer Gardisten? Und haben Sie keine Angst, dass diese Macht in den Händen ihrer Feinde – wie Sie uns genannt haben – noch gefährlicher ist, als in denen des Königs?“
„Berechtigte Frage“, pflichtete Smith mir bei und sogar Eolariell nickte kaum sichtbar.
„Jetzt stellt ihr endlich die richtigen Fragen“, sagte die Baroness. „Aber sie sind leicht zu beantworten: Meine Gardisten haben einen Eid geschworen, nach dem sie sich nur gegen den König stellen dürfen, wenn er oder die Armee mir persönlich Schaden zufügen wollen. Demzufolge können sie auf der Expedition nichts ausrichten, um die Ergreifung der mysteriösen Macht zu verhindern. Ihr dagegen dürftet keine Skrupel haben, euch gegen die Befehle eines Offiziers zu stellen, falls es nötig ist. Was die zweite Frage angeht, mache ich mir offen gesagt keine Sorgen. Solltet ihr diese Macht – was auch immer sie sein mag – an euch reißen wollen, so stünde euch die gesamte Armee Calisiras im Weg. Ihr hättet keine Chance, den undurchdringlichen Wald wieder zu verlassen.“
„Ich bin noch nicht überzeugt“, gab Eolariell zu. „Ihre Antworten klingen plausibel, doch wie genau stellen Sie sich den Ablauf der Mission vor? Wie sollen wir uns als Abtrünnige einer Expedition der Armee anschließen und da jemals wieder lebend herauskommen?“
„Wenn alles nach meinem Plan verläuft, sollte es keine Schwierigkeiten geben“, antwortete die Baroness. „Wobei ein gewisses Restrisiko bleibt. Wir wissen viel zu wenig über das unüberwindbare Gebirge und den undurchdringlichen Wald.“
„Das macht das Ganze doch interessant“, stellte Smith grinsend fest.
„Unter Lebensgefahr laufen wir erst richtig warm“, stimmte ich zu. „Nicht wahr, Jungs?“
„Schaltet mal einen Gang zurück“, sagte Eolariell jedoch. „Ihr beide seid ja bekanntlich nicht gerade Experten darin, euch an Pläne zu halten. Ich will ihn erst hören und dann entscheiden, wie groß das Risiko tatsächlich ist, wenn man euch zwei Hitzköpfe mit einberechnet.“
Er wandte sich wieder an die Baroness. „Gewöhnlich meiden wir die Armee. Anders als Sie hat der König kein Interesse daran, uns zu verschonen. Wir spielen mit unseren Leben, wenn die herausfinden, wer wir sind.“
„Deshalb werden wir es so aussehen lassen, als gehörtet ihr zur Garde“, erklärte die Baroness. „Eure Daten tauchen in meinen Akten auf. Sollte also tatsächlich jemand nachprüfen, ob ihr seid, wer ihr vorgebt, wird man auf eure Namen stoßen.“
„Aber damit könnten Sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen“, warf Eolariell ein.
Die Baroness schüttelte den Kopf.
„Im Zweifelsfall“, sagte sie, „kann ich immer noch leugnen, euch zu kennen. Wenn ich behaupte, nicht zu wissen, wie eure Daten in meine Akten gelangt sind und dass ihr nicht nur die Armee, sondern auch mich getäuscht habt, dann wird man mir glauben. Um meine Aussage zu untermauern, könnte ich ihnen eure Strafakten vorlegen, welche ich anderenfalls natürlich unter Verschluss halten werde.“
„Das bedeutet, Sie schützen uns bloß, solange uns gegenüber kein ernster Verdacht besteht“, schlussfolgerte ich.
„Das ist richtig“, bestätigte die Baroness.
„Dürfen wir denn als angebliche Gardisten einfach so an der Expedition teilnehmen?“, fragte Eolariell.
„Davon gehe ich aus“, antwortete Baroness Katharina. „Die Armee hat einen Aufruf gestartet, nach dem Freiwillige an der Expedition teilnehmen dürfen. Allerdings wird deren Identität genau geprüft, weshalb das für euch nicht in Frage kommt. Da der Handelsweg, der erschlossen werden soll, jedoch auch Auswirkung auf Freeland haben wird, hat der König mir freigestellt, eigene Männer direkt zum Basislager am Fuß des Gebirges zu schicken. Dort fehlen die Möglichkeiten, euch zu überprüfen. Die Armee vertraut darauf, dass ich nur ehrliche Gardisten entsende.“
„In Ordnung“, sagte Eolariell. „Mal angenommen, wir erwecken tatsächlich keinen Verdacht und dürfen teilnehmen. Wie stellen Sie sich das vor? Wie sollen wir reagieren, wenn wir auf diese mysteriöse Macht stoßen? Wenn wir uns der Armee in den Weg stellen, gibt es kein Entkommen. Dann wissen sie, dass wir Feinde sind, und es wird unmöglich, aus dem Wald zu fliehen.“
„Das ist schwer zu beantworten, wo nicht einmal klar ist, ob diese Macht überhaupt existiert und wie sie aussieht“, gab die Baroness zu. „Aber falls sie da ist, müsst ihr sie in jedem Fall zuerst aufspüren und dafür sorgen, dass die Armee erst gar nichts davon mitbekommt. Falls möglich, solltet ihr sie zerstören – oder anderenfalls verstecken.“
„Also für mich klingt das nach einem guten Plan“, sagte Smith und sah Eolariell und mich erwartungsvoll an.
Ich schwieg. Die Aussicht auf dieses Abenteuer war verlockend, doch irgendetwas gefiel mir an der Sache nicht.
Auch Eolariell sagte: „Ich bin noch nicht überzeugt.“
„Ich würde euch selbstverständlich angemessen entlohnen“, versicherte die Baroness.
„Das ist es nicht“, sagte der Magier. „Wäre es wohl möglich, dass wir drei uns kurz beraten?“
„Natürlich“, antwortete die Baroness. „Lasst euch nur Zeit. Das will gewiss wohl überlegt sein. Ich bin nebenan, falls ihr Fragen habt oder mir eure Entscheidung mitteilen wollt.“
Sie erhob sich und schritt durch die Bibliothek zu einer unscheinbaren Tür zwischen zwei Regalen. Wenig später war sie verschwunden.
„Also gut, Eo“, sagte Smith daraufhin. „Was hält dich davon ab, so eine irre Mission anzunehmen?“
„Ich bin mir nicht sicher“, gab der Magier zu, „aber irgendetwas stört mich an ihrem Auftrag. Ich glaube, die Baroness verschweigt uns etwas. Es muss mehr dahinter stecken, dass sie gerade uns auf diese Expedition schicken will. Ich meine, für sie sind wir nicht nur Fremde, sondern sogar Verbrecher. Wie kann sie uns guten Gewissens das Schicksal des Landes in die Hände legen?“
„Das ist die große Frage“, bestätigte ich, „und wieso gerade uns? Mit fallen spontan mindestens fünf andere Gildenmitglieder ein, die mehr Erfahrung mit solchen Missionen haben.“
„So ist es“, sagte Eolariell. „Auf kurzen Kampfmissionen seid ihr unschlagbar. Aber für Wochen oder Monate in eine andere Rolle zu schlüpfen, ist nicht ohne. Da stoßen wir alle an unsere Grenzen.“
„Kommt schon, Leute!“, rief Smith. „Wir haben bereits rätselhaftere Aufträge angenommen. Wollt ihr denn nicht zu den ersten Menschen gehören, die das unüberwindbare Gebirge und den undurchdringlichen Wald bezwingen? Verspürt ihr nicht auch den Drang, die Armee aufzumischen? So eine Chance kommt nie wieder!“
„Ich bin da voll bei dir“, versicherte ich. „Das ist zweifellos eine einmalige Gelegenheit. Aber ich verstehe Eolariells Bedenken. Irgendetwas stimmt da nicht.“
„Wenn die Baroness uns schaden wollte, könnte sie das auf ganz andere Weise tun“, warf Smith daraufhin ein. „Sie hat selbst gesagt, dass sie genug weiß, um uns auf ewig wegzusperren. Und seien wir einmal ehrlich: Wir haben vor kurzem eine ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt. Sie könnte uns auf jede erdenkliche Art bestrafen. Ich sage euch, diese Frau will uns nichts Böses!“
„Da ist etwas Wahres dran“, stellte Eolariell fest. „Mir wäre nur wohler, zu wissen, wofür wir unsere Leben wirklich riskieren. Es geht dabei ums Prinzip.“
„Das sagst du vor beinahe jeder Mission“, sagte Smith.
„Das hier ist aber anders“, erwiderte der Magier. „Das Gebirge und der Wald sind auch ohne die Armee gefährlich genug. Wir haben keinerlei militärische Ausbildung und keinen Schimmer, wie man sich in Gegenwart von Offizieren verhält. Sie werden Verdacht schöpfen. Daran führt kein Weg vorbei.“
„Das dachten wir auch, als wir Sammy verkleidet als Prinzessin auf diesem Ball eingeschleust haben“, warf Smith ein. „Erinnerst du dich? Und im Endeffekt war es doch halb so schlimm.“
„Wir sind aufgeflogen.“ Eolariell warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Aber wir haben die Mission zu Ende gebracht“, sagte der Rotschopf, „und Sammy ist deutlich länger unbemerkt geblieben, als wir gewettet hatten. Wenn sie es schafft, eine Prinzessin zu imitieren, dann können wir uns genauso gut als Gardisten tarnen.“
„Ein Streit bringt uns hier auch nicht weiter, Jungs!“, fuhr ich dazwischen.
„Wir müssen aber eine Entscheidung treffen“, antwortete Eolariell. „Ist die Erfahrung das Risiko wert oder ist diese Mission eine Nummer zu groß für uns?“
„Du kennst die Antwort.“ Ich lächelte. „Weil du tief in deinem Herzen genauso abenteuerlustig bist, wie Smith und ich es sind. Wenn wir das Risiko nicht eingehen, werden wir niemals erfahren, was wirklich dahinter steckt – und ich weiß genau, dass dich das wahnsinnig machen würde.“
Der Magier unterdrücke ein Lächeln.
„Gib dir einen Ruck, Eo“, sagte ich. „Als Team schaffen wir alles.“
„Deine Überzeugungskraft gehört verboten. Weißt du das?“, antwortete der Magier zähneknirschend.
„Dann ist es beschlossen!“ Smiths Mundwinkel schnellten nach oben. „Großartig!“
„Wir werden herausfinden, was die Baroness uns verschweigt“, sagte ich. „Versprochen, Eo.“
Letzten Endes waren es nicht meine Worte, sondern Smiths Argumente, die den Magier überzeugt hatten. Der Auftrag der Baroness blieb rätselhaft, doch schaden wollte sie uns gewiss nicht. Er hatte das ebenso erkannt, da war ich mir sicher.
Die Baroness freute sich über unsere Entscheidung. Sofort begann sie, die Einzelheiten der Mission zu erörtern – und sie ließ dabei kein Detail aus. Zuerst rutschte Smith ungeduldig hin und her. Bald fiel es mir ebenfalls schwerer, konzentriert zuzuhören. An diesem Punkt schritt Eolariell ein. Er schlug vor, den Plan alleine mit Baroness Katharina durchzusprechen. Er würde uns später alles erklären, was wir wissen mussten.
Die Gardisten händigten uns die Waffen nur widerwillig aus. Sie wirkten jedoch erleichtert, dass zumindest zwei von uns das Schloss der Baroness wieder verließen. Den Dritten bekamen sie im Zweifel leicht in den Griff – zumindest glaubten sie das bestimmt.
Draußen hatte der Himmel sich zugezogen und leichter Nieselregen fiel auf uns hinab. Wir schritten über den Vorhof des Schlosses. Auf dem Kiesweg hatten sich Pfützen gebildet. An seinem Ende wartete Pferd auf uns. Das Fell des Schimmelhengstes war nass vom Regen und die Mähne klebte an seinem Hals. Er sah uns mit gespitzten Ohren entgegen.
„Mach dich bereit für ein neues Abenteuer, Kumpel!“, rief Smith.
Pferd stieß ein helles Wiehern aus und trat auf der Stelle. Er war genau so ein Kindskopf wie Smith. Vielleicht sogar noch etwas mehr.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum nahegelegenen Dorf. Dieses war in Sichtweite zu Freeland City und doch weit genug entfernt, um als Mitglied von Kristallmond nicht allzu oft der Garde über den Weg zu laufen. Um dorthin zu gelangen, folgten wir vom Schloss aus dem Waldrand. Der Weg war nicht ausgebaut. Wahrscheinlich konnte man ihn eher als Trampelpfad bezeichnen. Doch nicht einmal Pferd hatte Schwierigkeiten, voranzukommen.
„Wir waren so lange nicht mehr unterwegs“, fiel Smith auf. „Es wird wirklich wieder Zeit für eine Mission.“
„Stimmt“, sagte ich. „Die Letzte war, bevor die Schlacht mit Goldstaub losgebrochen ist. Ich fand es schön, dass die ganze Gilde mal wieder zusammen war. Aber irgendwann reicht es dann doch.“
„Solange du das nicht über Eo, Pferd und mich sagst“, rief Smith lachend.
„Euch werde ich doch sowieso nicht los“, konterte ich, „deshalb beschwere ich mich erst gar nicht.“
„Ja ja“, sagte Smith. „Du willst ja nur nicht zugeben, dass du ohne uns aufgeschmissen wärst.“
„Bilde dir das nur ein“, antwortete ich grinsend.
Wir erreichten eine Stelle, an welcher der Weg sich gabelte. Ein Weg führte ins Dorf, ein anderer in den Wald hinein. Smith blieb stehen, als ich meinen Gang verlangsamte.
„Du gehst nach Hause?“, fragte er.
Ich nickte.
„Eolariell kommt sicher erst spät zurück“, antwortete ich. „Vorher können wir uns sowieso nicht auf die Mission vorbereiten.“
„Alles klar“, sagte Smith. „Wir sehen uns dann morgen.“
„Bis dann!“, sagte ich und sah meinen Freunden zu, wie sie ihren Weg ins Dorf fortsetzten.
Der Regen hatte nicht nachgelassen, doch die Baumkronen schützen etwas vor der Nässe. Allmählich stieg mir die Kälte in die Glieder. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ein unscheinbares Holzhaus in Sicht kam. Es wirkte nicht bewohnt. Unkraut überwucherte die Blumenkästen vor den Fenstern. Wilder Efeu wuchs die Wände empor und das Dach war selbst jetzt im Frühling von Laub bedeckt. Aus dem Schornstein stieg jedoch Qualm auf. Mit der Aussicht auf ein warmes Kaminfeuer öffnete ich die Eingangstür.
„Ich bin wieder zuhause!“, rief ich.
Statt Philip entdeckte ich den dunkelhaarigen Johnny auf der Couch vor dem Kamin sitzen. Mit ihm hatte ich nicht gerechnet.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich, während ich meine Jacke an den Haken hing. „Und wo ist Phil?“
Ich setzte mich zu ihm auf die Couch, vor das Kaminfeuer. Sofort fror ich etwas weniger.
„Ich wollte dich nicht ahnungslos lassen“, gab Johnny zu.
„Es ist doch nichts passiert?“, fragte ich besorgt.
Er schüttelte den Kopf. „Nichts schlimmes“, antwortete er. „Dein Bruder ist auf eine Mission nach Riverview aufgebrochen.“
„Davon hat er gar nichts gesagt“, stellte ich überrascht fest. „Er hätte sich zumindest verabschieden können. Was ist das denn für ein Auftrag, dass er kein Wort darüber verloren hat?“
„Das weiß ich nicht“, antwortete Johnny. „Die Mission selbst ist aber für Philip sowieso bloß ein Vorwand, um nach Riverview zu gelangen. Du weißt doch, dass er nach eurem Vater sucht.“
Das Wort „Vater“ fühlte sich eigenartig an. Ich war noch so jung gewesen, als er verschwunden war, und es bestand keinerlei Verwandtschaft zwischen uns. Ich hatte ihn immer nur „Mentor“ genannt. Wahrscheinlich war das einfach zu lange her.
„Wenn er wieder nur einem Hinweis seines Vaters folgt, dann hätte er es doch sagen können“, warf ich ein.
Johnny nickte.
„Diesmal ist es anders“, erklärte er. „Er hat den Hinweis nicht unter den Sachen eures Vaters gefunden, sondern er kam von einer dritten Person. Philip will denjenigen treffen, da er – oder sie – viel zu wissen scheint. Es könnte aber genauso eine Falle sein. Deshalb hat er nichts gesagt und mich darum gebeten, ein Auge auf dich zu haben, während er fort ist. Du weißt schon. Zu viele unbekannte Variablen. Das macht ihn nervös.“
„Das ist typisch“, stellte ich zähneknirschend fest. „Und eine ganz tolle Leistung von dir als seinem besten Freund, mir alles zu erzählen, kaum dass Phil weg ist.“
Ein Lächeln schlich sich auf Johnnys Lippen.
„Ich dachte, mit Ehrlichkeit erreiche ich bei dir am meisten“, sagte er.
„Da ist etwas dran“, bemerkte ich, „aber ich habe sowieso nicht vor, mich da jetzt reinzuhängen – auch wenn ich selbst gerne wissen würde, was mit seinem Vater geschehen ist. Die Jungs und ich haben gerade erst eine Mission angenommen.“
„Ach ja?“, fragte Johnny. „Wo geht es denn hin?“
„Das darf ich nicht sagen“, antwortete ich. „Tut mir leid. Anweisung des Auftraggebers.“
„Lass mich raten“, sagte der Freund meines Bruders. „Auch den Auftraggeber darfst du nicht verraten.“
„Korrekt“, antwortete ich.
„Na schön“, sagte Johnny und erhob sich. „Dann hoffe ich einfach, dass du ebenso ehrlich zu mir bist, wie ich es zu dir war, und du das nicht erfunden hast, um Philip verfolgen zu können.“
„Du hast mein Wort“, versicherte ich, „und Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast. Ich weiß das zu schätzen.“
„Keine Ursache“, sagte Johnny. „Viel Erfolg bei deiner Mission!“
Wenig später verabschiedete er sich und verließ das Haus. Ich stieß ein tiefes Seufzen aus. So weit war es also mit mir und Philip gekommen. Neuerdings traute er mir nicht einmal mehr. Wie gerne hätte ich in diesem Moment mit ihm gesprochen. Ihm gesagt, dass es für mich in Ordnung war, wenn er alleine nach Antworten suchte, solange er mich bloß später einweihte.
Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich ihn frühestens nach dem Ende unserer Mission wiedersehen würde.
„Vielleicht hattest du nicht das Bedürfnis, dich zu verabschieden“, sagte ich leise. „Ich hätte es aber gerne getan.“
Ich sog die frische Luft tief in mich auf. Es war der perfekte Tag für den Beginn unseres nächsten Abenteuers. Die Sonne stand hoch am Himmel und nach einigen regnerischen Tagen stiegen endlich die Temperaturen. Voller Vorfreude sah ich dem Gebirge entgegen. Welche neuen Erfahrungen und Herausforderungen die Expedition wohl bereit hielt? Die Aufregung überwog in jedem Fall die Ungewissheit und Gefahr.
Ich liebte es, mit meinen Freunden unterwegs zu sein. Es gab kaum etwas Schöneres, als Tag für Tag vor neuen Aufgaben zu stehen. Daran vermochte auch die Geheimniskrämerei einer Baroness nichts zu ändern.
Ich strich eine meiner blonden Strähnen aus dem Gesicht und wandte den Blick gen Norden. Dort türmte sich ein mächtiges Gebirge auf, welches ich aus so vielen Geschichten und Sagen kannte. Es war auch von Freeland City aus deutlich sichtbar.
„Das unüberwindbare Gebirge“, sagte ich. „Die nördliche Landesgrenze und Schrecken aller Abenteurer. Wir kommen, dich zu bezwingen.“
Mein Lächeln wandelte sich zu einem breiten Grinsen. Am liebsten wäre ich die Steinwände sofort hinaufgeklettert. Noch trennte meine Freunde und mich jedoch einige Kilometer vom Gebirge – außerdem gab es da ein weiteres Hindernis.
„Sammy!“, hallte eine wohlbekannte Stimme auf dem Hügel wider. „Eolariell hat sich mit der Natur verbunden – oder was auch immer er da tut. Er kann den Zauber jetzt jedenfalls wirken!“
Als ich mich umdrehte, hatte Smith den halben Weg zu mir den Hügel hinauf zurückgelegt. Der Rotschopf sprühte vor Energie. Seine Schritte federten. Ihn weckte die Abenteuerlust ebenso auf wie mich. Smith trug wie gewöhnlich sein Schwert bei sich. Er legte es bloß selten ab. Sogar wenn er schlief, lag es neben ihm. Jetzt hatte er es wie üblich mit einem Gürtel um die Taille geschnallt. Außerdem trug er eine abgewetzte Hose, ein schwarzes Hemd, welches von der Sonne gebleicht und an einigen Stellen geflickt war, eine dunkelbraune Weste und Stiefel, die ihre besten Tage ebenfalls lange hinter sich hatten. Man sah dem jungen Mann an, dass er ein bewegtes Leben führte. Dabei hatte er das abenteuerlustige Funkeln in seinen rotbraunen Augen und seine kindliche Begeisterung niemals verloren.
Um mich selbst stand es wohl ähnlich. Man sah mir auf den ersten Blick an, dass ich nicht unbedingt das typische Mädchen war. Wie sollte es auch anders sein? Wenn man bei Kristallmond respektiert werden wollte, musste man sich eine harte Schale zulegen. Meine Haare band ich gewöhnlich notdürftig nach hinten, wobei selten alle Strähnen im Zopf blieben. Mein Kleidungsstil war einfach, praktisch und niemals zu schick.
„Funktioniert der Zaubertrank denn auch?“, fragte ich.
„Keine Ahnung.“ Smith zuckte mit den Schultern. „Eolariell konnte ihn ja schlecht ausprobieren. Obwohl es wohl ziemlich lustig wäre, ihn als Frau zu sehen.“
„Wir müssen unbedingt etwas davon aufheben und ihm nach der Mission ins Trinken mischen“, schlug ich grinsend vor.
„Eo wird uns dafür einen Kopf kürzer machen“, stellte mein Freund fest. „Aber das wäre es wert!“
Die Baroness von Freeland hatte uns bei dem Angebot der Mission ein wichtiges Detail verschwiegen: Bloß Männer durften an der Expedition teilnehmen. Ich habe keinen Schimmer, wie man auf eine so idiotische Idee kommt! Glücklicherweise hatte die Baroness eine Lösung parat. Sie hatte einen Zaubertrank gefunden, der sich in alle Fasern des Körpers verteilte und es einem Magier möglich machte, die Gestalt einer Person zu verändern. Seine Wirkungszeit betrug eine Woche, weshalb wir genügend Portionen des Tranks mit ins Lager schmuggeln mussten. Die Baroness hatte genau berechnet, bis wann unser Vorrat des Zaubertranks ausreichen würde und sollte die Expedition länger dauern, wollte sie versuchen, uns weitere Portionen zu schicken. Eolariell hätte die Aktion deshalb am liebsten abgeblasen, doch Smith und ich hatten ihn überzeugen können, das Wagnis einzugehen – letztlich war es mein Risiko, nicht seines. Es machte die gesamte Situation noch rätselhafter. Unser Team war offensichtlich nicht die Idealbesetzung für diese Mission. Wieso also hatte die Baroness gerade uns ausgewählt?
Gemeinsam stiegen Smith und ich den grasbewachsenen Hang des Hügels hinunter.
„Aber mal im Ernst“, sagte der Rotschopf. „Es wird schräg sein, wenn du plötzlich ein Kerl bist. Ich meine, dein weiblicher Charme ist das einzige, wogegen ich nicht anstinken kann.“
„Glaubst du das, ja?“ Ich hob eine Augenbraue.
„Sicher“, antwortete Smith, „oder fällt dir sonst noch etwas ein, worin du mir überlegen bist?“
„Lass mal nachdenken“, sagte ich. „Warst du es nicht, den ich damals aus der Gefangenschaft von Goldstaub retten musste? Ah ja, ich erinnere mich. Sie haben dich nach nur fünf Minuten in ihrem Hauptquartier geschnappt. Du hattest weder die Informationen erhalten, für die du dort eingebrochen warst, noch hättest du es alleine raus geschafft.“
„Ich hatte die Lage im Griff“, behauptete Smith. „Außerdem ist das schon endlos lange her.“
„Ja ja“, antwortete ich. „Ich hatte dich gewarnt, dass ich dir das ewig vorhalten werden.“
„Als ob du noch nie in Schwierigkeiten gesteckt hast“, knurrte Smith.
„Das behaupte ich gar nicht“, entgegnete ich. „Ich will damit nur sagen, dass ich es mit den Wachen aufnehmen konnte, während du kläglich gescheitert bist.“
Ich grinste. Smith hasste diese Geschichte und er wusste, dass ich weitere von der Sorte parat hatte.
„Das sagt gar nichts“, behauptete er.
„Nein?“, fragte ich. „Wir können hier und jetzt austesten, wer von uns der bessere Kämpfer ist.“
Ich funkelte ihn herausfordernd an, aber Smith sagte bloß: „Bitte! Ich prügel mich doch mit keinem Mädchen.“
„Hast du etwa Angst?“
Ich stellte mich ihm in den Weg. Smith war gut einen halben Kopf größer als ich. Es hatte einmal Zeiten gegeben, da war er der Kleinste von uns gewesen. Zumindest damit konnte ich ihn wohl nicht mehr aufziehen.
„Angst?“, fragte Smith. „Komm schon! Du bist kein Gegner für mich. Immerhin kenne ich deine Schwäche.“
Ein verdächtiges Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
„Meine Schwäche?“, wiederholte ich irritiert.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, kniff Smith mir in die Seite und kitzelte mich heftig. Ich krümmte mich vor Lachen, versuchte, seinem Griff zu entkommen, doch er gab nicht nach.
„Siehst du?“, sagte Smith siegessicher. „Du bist kitzelig! Das ist deine Schwäche.“
„Du spielst unfair!“, rief ich lachend, woraufhin Smith kräftiger kitzelte.
Bald lag ich nach Luft schnappend am Boden, lachte und versuchte, Smiths Händen zu entkommen.
„Ich höre erst auf“, sagte er, „wenn du zugibst, dass ich stärker bin als du.“
„Niemals!“, prustete ich.
Der Konkurrenzkampf zwischen ihm und mir tobte schon, seit wir uns kannten – natürlich nur auf freundschaftlicher Basis. Wir hatten uns immer wieder gegenseitig dazu angespornt, härter zu arbeiten und stärker zu werden. Keiner von uns wollte hinter dem anderen zurückstehen.
Ein weiteres Teammitglied eilte mir zur Hilfe. Pferd hatte sich unbemerkt genähert, packte Smith mit den Zähnen am Kragen und zog ihn von mir weg. Einen Moment blieb ich noch liegen, atmete durch. Dann rappelte ich mich auf.
„Komm schon, Pferd!“, schimpfte Smith gespielt beleidigt. „Solltest du nicht auf meiner Seite stehen?“
„Er erkennt eben, wenn jemand unfair spielt“, stichelte ich grinsend.
Ich zupfte mein Hemd zurecht.
„Halte du dich da raus!“, sagte Smith. „Das ist eine Angelegenheit zwischen Pferd und mir.“
„Wirst du ihn jetzt auch durchkitzeln?“, fragte ich.
„Ich könnte es versuchen“, antwortete mein Freund schmunzelnd. „Aber ich glaube, Eolariell hat ihn geschickt.“
„Spielverderber!“, rief ich. „Na schön, dann lass uns gehen. Ist wohl besser, wir verärgern ihn nicht, solange er noch etwas Unappetitliches in den Trank mischen kann.“
Pferd vergewisserte sich, dass Smith und ich uns nicht weiterhin unnötig aufhielten. Normalerweise war er für jeden Spaß zu haben. Das konnte nur bedeuten, dass Eolariell bereits ungeduldig wurde.
„Du kannst dich auf jeden Fall schon mal auf meine Rache vorbereiten“, kündigte ich an.
„Ja ja“, antwortete Smith. „Du warst es doch, die mich herausgefordert hat.“
„Nur weil du dir deine Schwäche nicht eingestehen willst.“
„Wie schon gesagt“, erwiderte Smith, „ich schlage mich nicht mit Mädchen.“
„Dann passt es ja perfekt, dass ich bald keins mehr bin.“
Wenig später erreichten wir unseren Lagerplatz. Dieser lag abseits des Weges und wurde von einer Hand voll Bäumen eingerahmt. Sie schützen das Lager vor neugierigen Blicken. Das war äußerst wichtig, da sich einige Leute der Armee und eine Menge Freiwilliger dem unüberwindlichen Gebirge näherten. Das Lager war nicht wirklich sehenswert. Unsere bescheidenen Schlafstätten umringten ein kleines Lagerfeuer. Wir hatten nie mehr Gepäck dabei, als wir über einen längeren Zeitraum hinweg tragen konnten, brauchten wir doch ohnehin nicht viel.
„Da seid ihr ja endlich“, stellte Eolariell fest.
Der Magier hatte die Ärmel seiner blauen Kutte hochgekrempelt und die langen, dunkelbraunen Haare zurückgebunden. So sah er immer aus, wenn er meditierte oder einer anderen seiner Magiertätigkeiten nachging.
„Ich habe Sammy noch eine Lektion erteilt“, behauptete Smith grinsend. „Aber jetzt sind wir bereit.“
Eolariell zog eine Augenbraue hoch, ging jedoch nicht weiter auf seine Bemerkung ein.
„Es wird Zeit, in unsere Rollen zu schlüpfen“, sagte er. „Am besten zieht ihr schon mal die Hemden der Garde an. Danach kannst du zusammenpacken, was wir nicht mehr brauchen, Smith. Für dich, Samanta, gibt es noch weitere Kleidung. Deine Gestalt wird sich so sehr verändern, dass dir deine Sachen nicht mehr passen werden. Du findest sie in der Tasche dort drüben, die Smith vorbereitet hat.“
„Ich sollte Klamotten für sie einpacken?“, fragte der Rotschopf daraufhin erschrocken.
„Sag bloß nicht, du hast das vergessen!“, rief ich bissig. „Wenn unsere Mission jetzt schon an deiner Schusseligkeit scheitert, dann bringe ich dich um!“
„Stell dich nicht so an!“, sagte Smith grinsend. „Die fehlt doch nur eine passende Hose. Halb so wild.“
Ich funkelte meinen Freund an, woraufhin Eolariell dazwischen ging. „
Er veralbert dich nur“, sagte er. „Natürlich hat er die Sachen eingepackt. Glaubst du ernsthaft, ich hätte das nicht kontrolliert? Aber wie immer kommt ihr nicht in die Gänge. Ihr alle beide! Wenn ihr so weiter macht, erreichen wir nie im Leben vor Sonnenuntergang den Treffpunkt.“
„Tut mir leid, Eo“, sagte ich. „Gib mir eine Minute. Ich ziehe mich schon um.“
Seit Eolariell Smith und mich kannte, bewies er Tag für Tag eine Engelsgeduld. Irgendwie hielt er das Team zusammen und sorgte dafür, dass unsere Abenteuer nicht in einer Katastrophe endeten. Ich hatte keine Ahnung, wie er das anstellte.
Smith hatte einige abgewetzte Hosen und ein Paar Schuhe eingepackt – zweifellos abgelegte Kleidung von ihm. Darauf ließ jedenfalls ihr Zustand schließen. Sie waren von genähten Rissen und Flicken übersät. Darin fühlte ich mich aber immer noch wohler als in dem Hemd der Garde. Die silbergrauen Nähte hoben sich sichtbar vom dunkelblauen Stoff ab. Am Kragen und den Ärmeln bildeten sie jeweils drei Sterne. Zähneknirschend zog ich mich um.
„Nichtskönner-Modus aktiviert!“, rief Smith, der sich nun ebenfalls umgezogen hatte.
Ich lachte, als er die steifen Bewegungen eines Gardisten immitierte. Vollkommen übertrieben natürlich. Aber trotzdem irgendwie passend. Erstaunlicherweise sah mein Freund in den Klamotten der Garde gar nicht schlecht aus. Die Sachen waren mir hingegen deutlich zu groß. Ich bezweifelte, dass sich meine Gestalt stark genug verändern würde, um sie auszufüllen.
„Bereit?“, fragte Eolariell.
„Denke schon“, brummte ich. „Erinnere mich nur daran, demjenigen eine zu scheuern, der sich das ausgedacht hat. Keine Frauen zu der Expedition zulassen – das muss ja wohl ein Witz sein.“
„Warte damit bitte, bis unsere Mission abgeschlossen ist“, sagte der Magier schmunzelnd. „Hier, trink das!“
Er reichte mir einen Becher, in den er etwas von dem Zaubertrank gefüllt hatte. Dieser roch grauenhaft. Auch seine dickflüssige Konsistenz und die grünbraune Farbe ließen nicht darauf schließen, dass er dem Gaumen schmeicheln würde. Ich beschloss, nicht darüber nachzudenken, und trank ihn in einem Zug aus. Das Gebräu schmeckte tatsächlich noch scheußlicher, als er roch. Ich unterdrückte den Brechreiz.
„Willst du mich vergiften?“, fluchte ich.
Schmerzlich wurde mir bewusst, dass ich dieses Zeug von nun an einmal wöchentlich herunterwürgen musste. Eolariell ging nicht darauf ein, sondern murmelte unbeirrt seine Zauberformeln. Seine Augen waren halb geschlossen und ein Schweißtropfen perlte von seiner Stirn. Meine Haut brannte und die Muskeln versagten mir ihren Dienst. Es bedurfte einer Menge Konzentration, mich weiterhin auf den Beinen zu halten. Ein unangenehmes Kribbeln durchzog meinen gesamten Körper und hielt knapp eine Minute an.
Als es nachließ, hatte der Zauber seine Wirkung entfaltet.
„Abgefahren!“, brachte Smith bloß über die Lippen, als er mich ansah.
Auch Eolariell wirkte höchst zufrieden. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Hat es geklappt?“, fragte ich, woraufhin meine beiden Freude nickten.
Ich sah an mir herunter. Das Ergebnis war überwältigend. Ich füllte die Klamotten, die Smith eingepackt hatte, um ein Haar aus. Ich war gewachsen, mein Körper sah muskulöser aus und nichts ließ mehr darauf schließen, dass ich eigentlich eine Frau war. Bloß meine Haare waren so lang wie vorher – aber immer noch kürzer als jene des Magiers. Sicher würde sich niemand daran stören.
„Du bist ein Genie, Eo!“, stellte ich anerkennend fest.
Sogar meine Stimme klang tiefer.
„Das Lob gebührt der Baroness“, sagte Eolariell. „Wo auch immer sie diesen Zauber aufgetan hat – das ist höhere Magie. Ich wusste nicht einmal, dass so ein Zaubertrank existiert.“
Als ich jedoch versuchte, mich zu bewegen, verflog die Euphorie mit einem Schlag. Mein Körper reagierte zwar, aber ganz anders, als ich es gewöhnt war. Schon beim ersten Schritt geriet ich aus dem Gleichgewicht und hielt mich nur mit Schwierigkeiten auf den Beinen.
„Oh, scheiße!“, fluchte ich. „Was hast du mit mir gemacht?“
„Das hatte ich befürchtet“, sagte Eolariell kühl. „Deine Gestalt hat sich zwar verändert, aber dein Gehirn ist noch auf deinen weiblichen Körper eingestellt. Du musst alle Bewegungen neu lernen.“
„Und das fällt dir erst jetzt ein?“, schimpfte ich. „Ich habe doch gar nicht die Zeit, mich daran zu gewöhnen. Wir stoßen schon heute Nachmittag zu den Leuten der Armee!“
„Wir hätten auf dem Weg Gildenmitgliedern begegnen können“, antwortete der Magier. „Es wäre zu riskant gewesen, dich früher zu verwandeln. Niemand darf etwas wissen – nicht einmal die Gilde. Das weißt du. Außerdem müssen wir uns den Trank, den wir dabei haben, einteilen. Stell dich einfach nicht so an. Du hast noch ein paar Stunden Zeit. Bis dahin lernst du wenigstens, zu laufen.“
„Großartig“, brummte ich. „Sag doch auch mal was, Smith!“
„Lass mich da raus!“, rief der Rotschopf. „Das habe ausnahmsweise nicht ich verbockt. Aber lustig ist es trotzdem.“
„Sieh es als Herausforderung!“, sagte Eolariell. „Ändern können wir es jetzt sowieso nicht mehr.“
„Wie du meinst“, sagte ich.
Ich hatte mir die Verwandlung irgendwie anders vorgestellt. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich bisher kaum darüber nachgedacht, was mich erwartete. Letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit diesem Zustand abzufinden. Eo hatte Recht. Es war jetzt eben so. Ich konnte die Herausforderung entweder annehmen oder nachhause zurückkehren. Zweites kam nicht in Frage.
Eolariell und Smith brachen das Lager ab. Ich versuchte, sie bestmöglich zu unterstützen, doch meine Bewegungen waren unkoordiniert und plump. Umso erleichterter war ich, als wir endlich den Fußmarsch zum Lager der Armee antrat.
Normalerweise mieden die Mitglieder Kristallmonds die Armee sowie die Hauptstadt Lavinia, in der diese stationiert war. Zwar kannte man unser kleines Team dort nicht persönlich, doch hatten wir uns im Namen der Gilde schon einiges zu Schulden kommen lassen. So zogen wir es vor, uns nicht nahe der Hauptstadt zu zeigen. Aus diesem Grund wussten wir kaum etwas über die Armee. Sicher war sie größer und besser organisiert als die Garde von Freeland. Es kursierten Gerüchte, dass sie deutlich strikter mit der Durchsetzung ihrer Regeln umging. Sollte man uns enttarnen, würden wir nach den Gesetzen Calisiras bestraft. Das konnte sogar ein Todesurteil bedeuten – ein Zustand, der uns nicht wirklich neu war. Oft setzten wir unsere Leben für Missionen verschiedenster Art aufs Spiel. Da bildete die Expedition keine Ausnahme.
„Lasst uns ein letztes Mal die Strategie durchsprechen“, sagte Eolariell, während wir gen Norden wanderten.
„Schon wieder?“, fragte Smith verständnislos. „Haben wir den Plan nicht inzwischen oft genug durchgekaut?“
„Ich will nur sichergehen, dass du Holzkopf dich daran hältst“, konterte der Magier.
„Ich denke auch, dass wir den Plan verstanden haben, Eo“, sagte ich. „Wir nehmen im Auftrag der Baroness teil und behalten unsere Namen, weil – wie sagtest du so schön – die beste Lüge sich nahe an der Wahrheit befindet. Ihr nennt mich Sam, Pferd verwandelt sich in einen Esel, weil Pferden genauso wie Frauen die Teilnahme verboten ist. Falls wir auf eine komische Macht stoßen, zerstören wir sie, und alles andere überlassen wir dem Schicksal. Hab ich irgendetwas vergessen?“
„Wir verhalten uns unauffällig, verursachen keinen Ärger und sind alle so todernst wie Eo“, fügte Smith hinzu.
„Sehr witzig“, brummte der Magier. „Wir haben uns noch nie so lange in der Nähe der Armee aufgehalten. Ihr solltet das nicht auf die leichte Schulter nehmen.“
„Wen verdächtigen sie wohl eher?“, fragte Smith. „Einen verkrampften, ernsten Magier oder zwei Schwertkämpfer, die sich völlig entspannt verhalten?“
„Du weißt, was ich meine“, sagte Eolariell. „Wir müssen uns so gut wie möglich anpassen, wenn unsere Mission erfolgreich sein soll – und bei der Armee geht es eben disziplinierter zu, als ihr es euch wünschen würdet.“
„Nicht streiten, Jungs!“, sagte ich. „Das bringt doch nichts.“
Es waren die einzigen Worte, die ich nach meiner vorherigen Ansprache noch zustande brachte. Die Wanderung verlangte mir eine Menge Konzentration und Anstrengung ab.
„Stimmt“, stellte Smith grinsend fest. „Wenn unsere Tarnung auffliegt, dann wegen dir.“
„Das wollte ich damit nicht sagen“, knurrte ich.
„Aber schau dich doch mal an!“, stichelte Smith weiter. „Die müssen dich für einen kompletten Versager halten.“
„Der einzige Unterschied zwischen euch beiden ist, dass du laufen kannst“, bemerkte Eolariell kühl. „Warten wir mal ab, ob sie zwei wie euch überhaupt an der Expedition teilnehmen lassen.“
„Sagen wir es mal so“, sagte ich. „Wenn sie es tun, hast du keinen Grund zur Sorge.“
Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen des Magiers.
„Damit könnte ich wohl leben“, sagte er.
Wir streiften durch eine unberührte Landschaft, das unüberwindbare Gebirge im Blick. Die grünen Wiesen wichen einem steinigen Untergrund und immer weniger Bäume und Sträucher säumten unseren Weg.
„Wir befinden uns am östlichen Rand der ewigen Wüste“, sagte Eolariell. „Verfluchtes Land. Ich spüre seine Bedrohung bis hierhin.“
„Keine Sorge, Angsthase“, antwortete Smith grinsend. „Wir müssen immerhin nicht die Wüste durchqueren. Nur seinen steinernen Freund dort vorne.“
Er wies auf das Gebirge.
„Du hast Recht. Das wird nicht einladender sein“, sagte der Magier, bevor er seinen Blick wieder geradeaus richtete.
Der lange Fußmarsch machte mir zu schaffen. Meine Beine brannten und der neue, männliche Körper wollte einfach nicht gehorchen. Ich war ausgelaugt. Pferd, der sich mittlerweile in einen Esel verwandelt hatte, ging ein paar Schritte hinter mir. Er trug einen Teil meines Gepäcks, um mich ein wenig zu entlasten. Ihm machten seine Verwandlungen schon lange nichts mehr aus – vielleicht hätte ich ihn vorher um Tipps bitten sollen. Trotz der Umstände freute ich mich nach wie vor auf die Expedition. Jedes Abenteuer brachte neue Erfahrungen mit sich, stellte uns vor ungeahnte Aufgaben und war es demzufolge wert, erlebt zu werden.