Der Fluch des Goldes - Die Abenteuer des Thor Garson - Dritter Roman - Wolfgang Hohlbein - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Fluch des Goldes - Die Abenteuer des Thor Garson - Dritter Roman E-Book

Wolfgang Hohlbein

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine dunkle Legende bringt das Verderben: Der Mystery-Abenteuerroman „Der Fluch des Goldes“ von Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein jetzt als eBook bei dotbooks. Als das Flugzeug des bekannten Archäologen Professor Corda über dem südamerikanischen Dschungel abstürzt, gibt es kaum Hoffnung auf Überlebende. Doch seine letzte Nachricht schlägt ein wie eine Bombe: Tief in einer Schlucht liege ein ganzes Land aus purem Gold versteckt! Hat der Professor das legendäre El Dorado entdeckt? Fieberhaft machen sich Forscher auf die Suche nach dem verschwundenen Professor. Immer dicht auf ihren Fersen: zwielichtige Gestalten und mysteriöse Agenten. Auch Thor Garson bricht auf, seinem alten Freund zu helfen. Denn er kennt die Prophezeiung: Wer nach El Dorado sucht, wird den Tod finden … Doch kann ein Mann allein das Schicksal aufhalten? Packend, spannend, mysteriös – die Kultserie für alle Fans von Indiana Jones und Lara Croft! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der dritte Roman der Thor Garson-Serie „Der Fluch des Goldes“ von Wolfgang Hohlbein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 490

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Als das Flugzeug des bekannten Archäologen Professor Corda über dem südamerikanischen Dschungel abstürzt, gibt es kaum Hoffnung auf Überlebende. Doch seine letzte Nachricht schlägt ein wie eine Bombe: Tief in einer Schlucht liege ein ganzes Land aus purem Gold versteckt! Hat der Professor das legendäre El Dorado entdeckt? Fieberhaft machen sich Forscher auf die Suche nach dem verschwundenen Professor. Immer dicht auf ihren Fersen: zwielichtige Gestalten und mysteriöse Agenten. Auch Thor Garson bricht auf, seinem alten Freund zu helfen. Denn er kennt die Prophezeiung: Wer nach El Dorado sucht, wird den Tod finden … Doch kann ein Mann allein das Schicksal aufhalten?

Packend, spannend, mysteriös – die Kultserie für alle Fans von Indiana Jones und Lara Croft!

Über den Autor:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Die Romane der Die Abenteuer des Thor Garson-Reihe

Dämonengott Das Totenschiff Der Fluch des Goldes Der Kristall des Todes Das Schwert der Finsternis erscheinen bei dotbooks.

Wolfgang Hohlbein veröffentlicht bei dotbooks auch die folgenden eBooks:

Azrael Azrael – Die Wiederkehr Almanach des Grauens (mit Dieter Winkler)Fluch – Schiff des Grauens Das Netz Im Netz der Spinnen sowie die ELEMENTIS-Trilogie mit den Einzelbänden Flut, Feuer und Sturm und die große ENWOR-Saga

Die Jugendromane Nach dem großen Feuer, Der weiße Ritter: Wolfsnebel, Der weiße Ritter: Schattentanz, Drachentöter, Ithaka

und Kinderbücher Teufelchen, Saint Nick – Der Tag, den dem der Weihnachtsmann durchdrehte, NORG: Im verbotenen Land und NORG: Im Tal des Ungeheuers erscheinen ebenfalls bei dotbooks.

Wolfgang Hohlbein im Internet: www.hohlbein.de

***

eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-216-0

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Der Fluch des Goldes an: [email protected]

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Wolfgang Hohlbein

Der Fluch des Goldes

Die Abenteuer des Thor Garson – Dritter Roman

dotbooks.

IRGENDWO IN SÜDAMERIKA 1943

Es war, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet, aber es war keine Hölle aus Feuer und Glut, sondern aus Wasser und tobendem Wind und Eis. Unsichtbare Fäuste griffen nach dem kleinen Flugzeug. Orkanböen wirbelten es hin und her. Wasser und Eis hämmerten mal abwechselnd und mal gleichzeitig gegen die Kanzel. Der Kompass spielte ebenso verrückt wie die elektronischen Instrumente, und manchmal zuckten die Blitze so rasch hintereinander um die winzige Maschine nieder, dass Corda das Gefühl hatte, er wäre in einem Käfig aus gleißendem blauweißem Licht gefangen.

Er hatte längst die Orientierung verloren. Er wusste nicht mehr, wo Norden oder Süden, Osten oder Westen war. Und der Höllensturm dort draußen musste auch die Sinnesorgane in seinem Körper durcheinandergebracht haben, denn er vermochte nicht einmal mehr zu sagen, wo oben und wo unten war. Dass er das Flugzeug noch nicht in den Boden gerammt hatte, war längst nicht mehr seinem fliegerischen Können zu verdanken. Seine Hände umklammerten den Steuerknüppel so fest, dass einige seiner Fingernägel abgebrochen waren und bluteten, aber er tat es im Grunde nur noch, um sich irgendwo festzuhalten. Die Maschine war vollständig zum Spielball der entfesselten Elemente geworden. Die Stöße, die sich manchmal über den Steuerknüppel bis in seine Schultern und den Rücken fortsetzten, ließen seine Zähne aufeinanderschlagen und ihn vor Schmerz aufstöhnen. Ein unheimliches Knirschen und Mahlen hatte sich in das Heulen des Sturmes gemischt, als stöhne das Flugzeug wie ein lebendes Wesen im Todeskampf, und Corda rechnete seit Minuten damit, dass die Maschine einfach auseinanderbrechen würde. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er sich überschlagen hatte, wie oft das Flugzeug wie ein Stein in die Tiefe gestürzt und von brüllenden Orkanböen wieder in die Höhe geschleudert worden war, wie oft zwischen den kochenden Wolken das Blau des Himmels oder das grünbraune Fleckenmuster des Dschungels sichtbar geworden war.

In den letzten Minuten hatte sich Corda an den Gedanken gewöhnt, sterblich zu sein. Er hatte in der Vergangenheit oft über den Tod nachgedacht. Über ihn geredet. Sogar einmal ein kleines Essay verfasst, das aber niemals veröffentlicht worden war und sich mit der Situation von Menschen befasste, die dem Tod ins Auge blickten. Trotzdem hatte er bisher zur großen Mehrheit der Menschen gehört, die den Tod als Möglichkeit für sich selbst leugnen; so lange, bis er dann kommt.

Aber vielleicht war dieser Augenblick jetzt da. Professor Stanley Corda war sicher, dass er die nächsten Minuten nicht überleben würde. Er hatte sich immer für einen guten Flieger gehalten, aber kein Pilot der Welt, ganz gleich, wie gut er war, kein von Menschen gebautes Flugzeug, ganz gleich, wie stabil es war, konnte das hier überstehen. Früher oder später würde ihn eine dieser ungeheuren Sturmböen gegen den Boden oder einen Berg schmettern oder die Maschine einfach in der Luft zermalmen wie die Faust eines Riesen, die sich um ein Spielzeug schloss und es zerdrückte.

Und wahrscheinlich eher früher als später.

Wieder traf ein ungeheurer Schlag das kleine zweisitzige Sportflugzeug und diesmal spürte Corda, wie etwas in dessen Rumpf zerbrach. Die Maschine kippte über den Propeller nach vorn, schien einen Moment völlig reglos in der Luft zu stehen und begann dann wie ein Stein zu stürzen. Eines der Seitenfenster zerbrach. Mit Eis und Glassplittern vermischtes Regenwasser überschüttete Corda, und ein Heulen wie das Geräusch eines angreifenden Kampfbombers mischte sich in das Brüllen des Orkans. Ganz instinktiv zerrte Corda mit aller Kraft am Steuer, die Maschine begann zu bocken und sich wie ein Kreisel um die Längsachse zu drehen, stürzte aber weiter senkrecht dem Boden entgegen.

Also ist jetzt der Moment gekommen, dachte Corda. Bei allen Irrtümern, die ihm bei seinen früheren Gedanken an den Tod und das Sterben unterlaufen sein mochten, war doch eines wahr: Er hatte nicht die Spur von Angst. Ganz im Gegenteil. Auf einmal breitete sich eine fast heitere Gelassenheit in ihm aus, während das Flugzeug immer schneller und schneller dem Boden entgegenraste, und er verspürte allenfalls eine leise Trauer, als er an Marian dachte. Nicht weil er sie nun nie wiedersehen würde, sondern weil ihr letztes Treffen so hässlich enden musste. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie sich geliebt. Bei all den hässlichen Dingen, die in den letzten Jahren geschehen waren, hatte er geglaubt, dass dieses Gefühl erloschen wäre, aber das stimmte nicht ganz. Etwas davon war immer noch in ihm verborgen, ganz tief in ihm, zugedeckt unter Erinnerungen an Streit und Auseinandersetzungen, an ausgeteilten und eingesteckten Verletzungen, aber es war noch da. Er hätte viel darum gegeben, hätte er noch einmal mit ihr reden und ihr das sagen können.

Plötzlich traf ein fürchterlicher Schlag das Flugzeug. Die Maschine wurde wie ein Fußball vom Kick eines Soccer-Spielers im rechten Winkel aus ihrer Bahn geschleudert, überschlug sich ein Dutzend Mal und wirbelte dabei um vier oder auch acht verschiedene Achsen gleichzeitig. Das Glas vor Cordas Gesicht zerbarst, zerfetzte die Polster neben ihm und hinterließ tiefe blutige Schnitte in seinem Gesicht, und der Sturm hämmerte mit solcher Gewalt in die Kabine, dass er nicht mehr atmen konnte. Er sah, wie eine der Tragflächen abbrach und mit einer Bewegung wie ein spöttisches Winken im grauen Chaos des Orkans verschwand, dann riss die Wolkendecke unter ihm für den Bruchteil einer Sekunde auf. Es ging zu schnell, als dass er wirklich etwas hätte sehen können, aber was er wie eine vorüberhuschende Impression aus einem Albtraum wahrnahm, war ein metallisches Aufblitzen von gelber Farbe; als rase er über einen riesigen Spiegel dahin, der nicht mit Silber, sondern mit Gold beschichtet war.

Die Lücke in der Wolkendecke schloss sich so schnell wieder, wie sie entstanden war, und rings um Corda und das auseinanderbrechende Flugzeug war nur noch ein graues, brüllendes Chaos, aus dem aus allen Richtungen zugleich unsichtbare Fäuste auf das Flugzeug einzuschlagen und es in Stücke zu hauen schienen. Corda warf sich zurück und zerrte mit aller Gewalt am Steuerknüppel, doch plötzlich war kein Widerstand mehr da. Er wusste, dass die Maschine nach ihrer Tragfläche nun auch das Leitwerk verloren hatte.

Als der Aufprall dann kam, ging alles so schnell, dass er nicht einmal wirklich Zeit fand, noch zu erschrecken. Kantige graue Schatten stachen plötzlich wie riesige Speere aus dem wirbelnden Chaos heraus und schlitzten den Rumpf der Maschine unter Corda auf. Er hörte das Splittern von Holz, und sein Gehör wurde vom Kreischen zerberstenden Metalls gemartert, wieder schlug die Welt vor seinen Augen einen doppelten oder auch dreifachen Salto, dann traf ein erneuter Schlag den Rumpf des Flugzeugs und zermalmte ihn endgültig. Corda wurde nach vorne und aus dem zerbrochenen Fenster der Maschine geschleudert, sah das wirbelnde Messer des Propellers auf sich zurasen und im letzten Moment in die Tiefe sacken und begriff gerade noch, dass ihm eine weitere, kostbare Sekunde Lebenszeit geschenkt worden war, ehe er auf den Boden aufprallen und zerschmettern musste.

Dann nichts mehr.

Aber der Aufprall tötete ihn nicht. Er raubte ihm nicht einmal das Bewusstsein. Für eine Zeitspanne, deren Länge er unmöglich abschätzen konnte, schien ein Teil seines Fühlens und Denkens abgeschaltet zu sein. Er nahm alles, was mit ihm und um ihn herum geschah, weiterhin mit fast übernatürlicher Klarheit wahr, aber er registrierte nur noch, ohne zu verstehen. Irgendetwas fing seinen Sturz auf; mit einer entsetzlichen Wucht, die ihn vor Schmerz hätte aufbrüllen lassen müssen, die er aber einfach nur teilnahmslos zur Kenntnis nahm. Er fiel weiter, brach durch einen zweiten, nicht mehr ganz so unerbittlichen Widerstand, dann durch einen dritten – und landete auf etwas Hartem und zugleich Nachgiebigem, das den zahllosen Prellungen und Schnitten an seinem Körper weitere hinzufügte, seinem Fall aber gleichzeitig die tödliche Wucht nahm.

Er näherte sich der Bewusstlosigkeit – vielleicht dem Tod – so sehr, wie es gerade noch möglich war, ohne einem von beiden zu erliegen. Die pochenden Schmerzen und das Gefühl der feuchten Wärme seines eigenen Blutes, das über sein Gesicht und über seine Hände lief, verblassten. Das Licht schien schwächer zu werden und erlosch dann ganz. Auch das Heulen des Sturmes sank zu einem kaum mehr wahrnehmbaren Flüstern herab, wie das Singen ferner, trauriger Kinderstimmen, die in einen nie endenden Kanon eingestimmt hatten.

Wie lange er so dalag, wusste er nicht. Die Zeit verstrich. Irgendetwas berührte sein Gesicht und zog sich wieder zurück und der strömende Regen durchnässte ihn. Er spürte die Feuchtigkeit, aber nicht die Kälte. Irgendwann nach Minuten, die ihm wie Jahre vorkamen, zogen sich die Bewusstlosigkeit und ihr größerer dunkler Bruder von ihm zurück, als hätten sie ihn geprüft und noch nicht für würdig befunden, in ihr Reich aufgenommen zu werden, und Corda öffnete langsam die Augen. Er fühlte, dass er auf dem Rücken lag, aber über ihm war kein Himmel, sondern nur ein schwarzes, konturloses Nichts. Doch auch dieser letzte Schatten einer finsteren Welt, die er für Bruchteile von Sekunden berührt hatte, verschwand und plötzlich sah er das Schimmern von Blau und Gold und schwarzer Lava. Die wirbelnden Schemen, die er jetzt noch wahrnahm, waren die kochenden Wolken des Sturmes, der noch immer über ihm tobte.

Das erste wirklich reale Gefühl, dessen er sich bewusst wurde, war Erleichterung. Nicht Erleichterung, noch am Leben zu sein, sondern sehen zu können, denn als er die Augen geöffnet hatte und nichts sah, hatte er angenommen, blind zu sein. Aber er war weder blind noch lebensgefährlich verletzt, und als er es versuchte, konnte er sich sogar aufrichten. Natürlich fiel er sofort wieder zurück. Übelkeit und Schwindel wechselten minutenlang miteinander ab, sodass er wieder mit geschlossenen Augen und leise stöhnend stillhielt. Bis auch das verging und er vorsichtig ein zweites Mal die Lider hob.

Als wäre der Sturm nur geschickt worden, um ihn und sein Flugzeug zu vernichten, und zöge sich nun nach getaner Arbeit zurück, war der Himmel bereits wieder überwiegend blau. Hier und da war noch eine Wolke zu sehen und es roch nach Regen und nassem Fels und noch etwas anderem, was Corda im ersten Moment nicht benennen konnte, aber über ihm schien bereits wieder die Sonne. Das Brüllen des Sturmes und das Krachen der Donnerschläge waren zu einem fernen Raunen geworden. Vorsichtig hob er die Hand, tastete mit spitzen Fingern sein Gesicht ab und fühlte sein eigenes Blut, aufgeschürfte Haut – und einen kleinen dreieckigen Glassplitter, der sein linkes Auge nur um einen Zentimeter verfehlt hatte und wie eine Pfeilspitze in seiner Schläfe steckte. Corda biss die Zähne zusammen, ergriff ihn mit spitzen Fingern und zog ihn vorsichtig aus seinem Fleisch. Es tat sehr weh, viel mehr als alles, was er vorher je erlitten hatte, und aus der Wunde lief ein Strom hellroten Blutes über sein Gesicht und seine Hände. Stöhnend verbarg Corda das Gesicht in den Händen, blieb so einige Augenblicke reglos sitzen und richtete sich dann wieder auf. Einen Moment lang betrachtete er die winzige Glasscherbe, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt und die sich von seinem eigenen Blut hellrot gefärbt hatte, und erschauderte bei dem Gedanken, wie knapp sie sein Auge verfehlt hatte. Einen Zentimeter weiter und sie hätte ihn geblendet oder sich in sein Gehirn gebohrt und ihn umgebracht. Dann begriff er, wie lächerlich dieser Gedanke war. Bei allem, was er überlebt hatte, war dieser kleine Schnitt an seiner Schläfe weniger als nichts. Er lachte, hob die Hand und schleuderte den Glassplitter in hohem Bogen von sich.

Ein goldener Schimmer brach sich auf dem wirbelnden Glas und Corda blickte der kleinen Scherbe verwirrt nach, bis sie zwischen den Felsen verschwand. Der Lichtblitz erinnerte ihn an etwas anderes, das er gesehen hatte, Sekunden bevor das Flugzeug auseinandergebrochen war und ihn abgeschüttelt hatte. Danach noch einmal, ebenso flüchtig und ohne dass er dem Ganzen irgendeine Bedeutung hätte zumessen können.

Zum ersten Mal sah er sich wirklich aufmerksam um. Er war zwischen scharfkantigen Graten aus Lava und verwittertem Granit aufgeschlagen, und was seinen Sturz aufgefangen hatte, war ein verkrüppelter Baum ohne Blätter, der seine Wurzeln in winzige Spalten und Risse des Bodens krallte. Ein Zufall mit einer Chance von eins zu mehr als einer Million, dachte Corda schaudernd. So weit er sehen konnte, erblickte er nur nackten Fels und rasiermesserscharfe Kanten. Dieser Baum war der einzige Abgesandte der Vegetation, der in diese kahle Welt aus Stein und Härte vorgedrungen war.

Er sah sich weiter um. Die Felsen, gegen die sein Flugzeug geprallt war, gehörten zum Rand eines gewaltigen Kraterwalles, der sich unendlich weit über die grünen Wipfel des bolivianischen Dschungels erhob. Corda schätzte, dass er für den Abstieg Stunden brauchen würde; wenn er ihn überhaupt schaffte. Langsam drehte er sich in die entgegengesetzte Richtung und versuchte einen Blick ins Innere des erloschenen Vulkans zu werfen. Dort sah er aber nichts als grauen Dunst und Nebel, die wie eine Decke über dem Krater lagen und alles, was weiter als dreißig oder vierzig Schritte von ihm entfernt war, seinen Blicken entzogen. Aber er hatte etwas golden aufblitzen sehen, nicht nur gerade, als er den Glassplitter fortwarf, sondern schon vorher aus der Kanzel seines abstürzenden Flugzeugs heraus.

Seine Vernunft sagte ihm, dass er sein bisschen Kraft lieber dafür aufheben sollte, sich umzudrehen und den langen und wahrscheinlich gefährlichen Abstieg in den Dschungel hinab zu beginnen. Aber da war noch eine andere Stimme in ihm, die nichts mit Vernunft zu tun hatte und im Moment stärker war als alles andere. Er spürte einfach, dass sich hinter diesem wallenden Vorhang aus Nebel und Dunst etwas verbarg – etwas Großes und Geheimnisvolles.

Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte Corda an dem Baum vorbei, dessen Äste ihm das Leben gerettet hatten und dabei zerborsten waren. Mit jedem Schritt wurde ihm qualvoll bewusst, dass zwischen den Begriffen »nicht schwer verletzt« und »unverletzt« Welten lagen; ein weiß glühender Pfeil bohrte sich von innen genüsslich langsam durch sein Knie und in den Oberschenkel hinauf. An seinem ganzen Körper schien es plötzlich keine Stelle mehr zu geben, die nicht brannte, pochte, stach oder auf irgendeine andere vorstellbare (und auch unvorstellbare) Weise wehtat. Zitternd hielt er inne, streckte die Hand nach dem Baumstamm aus – und zog sie überrascht wieder zurück.

Der Baum sah aus wie ein Baum und er war ein Baum – aber seine Rinde fühlte sich an wie Stein. Corda griff ein zweites Mal zu, kratzte vorsichtig mit dem Fingernagel über die Baumrinde und sah, wie sich die dünne Asche- und Rußschicht löste, die die Jahrhunderte darauf abgeladen hatten. Aber darunter kam kein versteinertes Holz zum Vorschein, sondern – Gold!

Sekundenlang stand Professor Stanley Corda einfach da und starrte fassungslos auf das kleine Loch in der Rinde, dann begann er plötzlich mit beiden Händen hektisch an der Baumrinde zu scharren und zu kratzen, schließlich nahm er einen von seinem Hemd abgerissenen Stoffstreifen zu Hilfe, um die Ablagerungen der Jahrhunderte zu entfernen. Es gelang ihm nicht überall, aber dort, wo es ihm gelang, bot sich ihm überall der gleiche Anblick: blind gewordenes, zerschrammtes Gold. Aber eindeutig Gold! Corda hatte in seinem Leben als Archäologe (und nebenberuflicher Grabräuber) zu viel dieses kostbaren Metalls in der Hand gehalten, um auch nur eine Sekunde lang unsicher zu sein. Es war Gold. Er fühlte die charakteristische samtene Härte und die Weichheit des Metalls.

Aber das war unmöglich!

Verblüfft drehte sich Corda wieder herum und blickte zum ersten Mal bewusst auf die zerbrochenen Äste hinab, die er bei seinem Sturz vom Baum abgerissen hatte. Sie waren schwarz und mit einer zentimeterdicken Schicht aus Ruß und Asche bedeckt, aber hier und da blitzte es auch an ihnen golden auf, und als er einen davon aufhob und die Bruchstelle genauer betrachtete, blendete ein hellgelber Schimmer seine Augen.

Verblüfft ließ Corda den Ast fallen und wandte sich wieder dem Baum zu. Minutenlang stand er einfach da und starrte ihn an. Er erwog und verwarf in dieser Zeit Dutzende von Erklärungen für das, was er sah. Keine war wirklich überzeugend. Ein Zufall? Eine Goldader, die von einer Laune der Natur aus dem Berg herausgewaschen worden war? Unmöglich. Selbst wenn es in dieser Lava Gold gegeben hätte, wäre es weicher gewesen als der Stein und von der Erosion fortgespült worden.

Ein Kultgegenstand, ein jahrtausendealtes Kunstwerk, das die Indios, die diesen Dschungel einst bewohnt hatten, zu Ehren ihrer Götter errichtet hatten? Ebenso unmöglich. Die Inkas und Mayas waren nie in diesen Teil Boliviens vorgedrungen, und selbst wenn – Corda kannte ihre Kunstwerke zur Genüge. Er hatte mehr als eines davon geborgen und ins Museum gebracht, und mehr als eines war auch auf dem Weg zwischen dem Fundort und besagtem Museum auf unerklärliche Weise verschwunden, und jedes Mal hatte sich Cordas Guthaben bei seiner Bank auf unerklärliche Weise beträchtlich erhöht.

So fantastisch es klang – es schien nur eine einzige Erklärung zu geben.

Aber die war noch schwerer zu akzeptieren.

Widerstrebend wandte er sich von dem fantastischen Baum ab und blickte wieder auf die Decke aus Nebel und brodelnden grauen Schwaden hinab, die das Innere des Vulkankraters verbarg. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es sie eigentlich gar nicht geben konnte. Der Sturm war zwar vorüber, aber selbst wenn dort unten ein Sumpf gewesen wäre, hätte sich der Nebel nicht so schnell erneuern können.

Er sah sich unsicher nach allen Seiten um, entdeckte nach kurzem Suchen nur wenige Meter entfernt eine Stelle, die ihm günstig schien, ins Innere des Kraters hinabzugelangen, und machte sich mit zusammengebissenen Zähnen und wankend auf den Weg.

Es ging leichter, als er gedacht hatte. Aber es war auch unheimlicher, als er erwartet hatte. Der Nebel hüllte ihn ein wie feuchte Watte und durchtränkte seine Kleider und sein Haar mit kalter Nässe; dabei ließ er den Boden unter seinen Füßen schlüpfrig werden, sodass er aufpassen musste, wohin er seine Schritte setzte. Die Gefahr, auszurutschen und sich auf den scharfen Lavagraten noch mehr zu verletzen, war groß. Außerdem war es der seltsamste Nebel, den Corda je erlebt hatte. Er war so dicht, dass er glaubte, ihn anfassen zu können, und ein sonderbarer Geruch ging von ihm aus: scharf und fremdartig, nicht einmal unbedingt unangenehm, doch so präsent, dass er alle anderen Sinneseindrücke zu überlagern schien.

Nicht dass es sehr viele andere Eindrücke gegeben hätte. Vor ihm war nichts als eine graue Wand, in die er sich hineintasten musste, und manchmal sah er nicht einmal, was unter seinen Füßen war. Er kam nur sehr langsam voran und es war ihm völlig unmöglich, die Entfernung zu schätzen, die er zurücklegte. Dann und wann glaubte er, einen Umriss in den grauen Schwaden vor sich zu erkennen, fand aber nie etwas, wenn er in diese Richtung ging. Manchmal glaubte er, Geräusche zu hören: unheimliche, bizarre Laute, die der allgegenwärtige Nebel dumpf und irgendwie feucht klingen ließ.

Er war jetzt nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, in diesen Vulkankrater hinabzusteigen. Er hatte mehr Glück gehabt, als er sich auch nur hätte träumen lassen, und vielleicht war das Schicksal der Meinung, dass er seinen Kredit bei ihm bis an den Rest seiner Tage ausgeschöpft hatte. Corda gestand sich ein, dass er sich offensichtlich verirrt hatte. Seine Chancen, den Weg aus diesem Nebel wieder herauszufinden, waren gleich null.

Er blieb stehen, drehte sich einmal im Kreis und begriff mitten in der Bewegung voller Schrecken, dass er auf dem besten Wege war, auch sein letztes bisschen Orientierung zu verlieren. Hastig drehte er sich wieder in die gleiche Richtung zurück, machte einen weiteren, unsicheren Schritt – und blieb abermals stehen.

Vor ihm war etwas. Im allerersten Moment hielt er es wieder für eine der Täuschungen, die ihn auf dem Weg hier herunter schon mehrmals genarrt hatten, aber diesmal verschwand der Schatten nicht, als er genauer hinsah. Im Gegenteil, er schien deutlicher zu werden, ohne dabei an Form zu gewinnen. Corda sah, dass vor ihm etwas war, aber er wusste nicht, was das sein mochte.

Sein Herz schlug schneller. Er war niemals abergläubisch gewesen. Geschichten von Geistern und Gespenstern hatten ihm stets nur ein müdes Lächeln abgerungen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – er sich so oft damit beschäftigte, wenn er auf den Spuren versunkener Kulturen war oder jahrtausendealte Gräber öffnete. Aber in diesem Moment hätte es ihn nicht besonders überrascht, wenn der Nebel einen brüllenden Dämon ausgespien hätte, der gekommen war, um den Frevel zu rächen, den er begangen hatte, als er diesen verbotenen Ort betrat.

Doch der Schatten rührte sich nicht. Corda lauschte. Er hörte nichts außer dem Rauschen seines eigenen Blutes und den unheimlichen dumpfen Lauten des Nebels, von denen er mittlerweile nicht mehr sicher war, ob sie nicht nur seiner eigenen Fantasie entsprangen.

Unendlich vorsichtig ging er weiter. Der Schatten wuchs ganz langsam an, blieb aber immer noch formlos. Doch je näher Corda ihm kam, desto deutlicher sah er, dass vor ihm kein schwarzer Fels aus dem Boden ragte. Was er sah, war ein metallisches Schimmern; ein Schimmern von gelber Farbe.

Dann, ganz plötzlich, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten, erkannte Corda, was vor ihm stand.

Mit einem gellenden Schrei prallte er zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer zu Boden. Seine Wange streifte etwas Kaltes, das hart war, aber nicht so hart wie der Stein, auf den er gestürzt war, und er drehte automatisch den Kopf und schrie abermals auf, diesmal voller Ekel, als er sah, was seine Wange gestreift hatte.

Dann wurden seine Augen groß und rund vor Staunen und aus dem Schrei wurde ein ungläubiges Keuchen.

Direkt neben seinem Gesicht hockte eine Spinne. Es war die größte Spinne, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte – ein Körper wie zwei nebeneinandergelegte Männerfäuste, weit gespreizte Beine, die eine Spannweite von gut vierzig oder fünfzig Zentimetern haben mussten, und Augen von der Größe polierter Heftzwecken, die ihn mit kalter Wut anstarrten.

Aber es war nicht die Größe oder die unbeschreibliche Hässlichkeit dieses Wesens, die Corda wie erstarrt daliegen und es einfach anstarren ließen. Die Spinne lebte nicht. Und sie war genauso wenig eine Spinne, wie der Baum dort oben am Kraterrand ein Baum gewesen war.

Sie bestand aus purem Gold.

Trotzdem verspürte Corda ein heftiges Ekelgefühl, das ihn dazu brachte, sich aufzurichten und hastig ein Stück weit von dem künstlichen Tier fortzukriechen. Abgesehen von seiner Farbe wirkte es so lebensecht, dass es ihn nicht erstaunt hätte, wäre es plötzlich auf ihn losgeschossen. Die großen Augen blickten ihn mit einem Ausdruck erstarrter Wut an, die hässlichen, haarigen Beine waren bis ins Feinste nachgebildet, sodass man jedes Härchen, jedes Gelenk, selbst die winzigen gebogenen Krallen an ihren Enden erkennen konnte. Auf dem aufgedunsenen Leib klebte etwas wie goldener Schaum; ein Eierpaket, wie es viele Spinnen mit sich herumschleppen und das der unbekannte Künstler, der dieses Tier erschaffen hatte, perfekt nachgebildet hatte.

Aber Corda war mit einem Male auch nicht mehr sicher, ob dieses Tier wirklich nachgebildet worden war.

Mühsam riss er seinen Blick von der riesigen Kreatur los, wandte den Kopf und starrte wieder den größeren, golden schimmernden Schatten an, bei dessen Anblick er zurückgeprallt war.

Er konnte ihn jetzt deutlich erkennen. Es war kein Schatten mehr. Es war ein Koloss von mehr als drei Metern Höhe und einer Länge, die er nicht bestimmen konnte, denn der hintere Teil des Körpers verschwand im Nebel. Der Schädel, groß und hässlich und dreieckig und mit einem klaffenden Maul, in dem fingerlange Haifischzähne blitzten, war bis ins kleinste Detail ausgearbeitet! Corda konnte jede einzelne Schuppe erkennen. Er sah die riesigen geblähten Nüstern, die faustgroßen Reptilienaugen, die ihn mit der gleichen Wut (oder war es Schmerz?) anstarrten wie die der Spinne, und darunter die gewaltigen Krallen des Ungeheuers, die unheimlich an menschliche Hände erinnerten und in einer zupackenden Bewegung ausgestreckt waren.

Schaudernd richtete sich Corda auf, trat einen Schritt auf das bizarre Wesen zu und blieb abrupt stehen. Er wagte es einfach nicht, ihm näher zu kommen. Er versuchte nicht mehr zu begreifen, was hier vorging. Aber er wusste jetzt zweifelsfrei, dass er nicht dem Werk eines Inka- oder Maya-Künstlers gegenüberstand. Es konnten nicht menschliche Hände gewesen sein, die diese Statue erschaffen hatten.

Corda war kein Paläontologe, aber er kannte sich in der Frühgeschichte der Erde gut genug aus, um zu wissen, dass das, was da vor ihm stand – völlig aus Gold und in Lebensgröße! –, ein Allosaurus war. So etwas wie ein kleinerer, aber kaum weniger gefährlicher Bruder des größten Raubtieres, das jemals auf diesem Planeten gelebt hatte, des Tyrannosaurus Rex. Und abgesehen von seiner Gefräßigkeit hatte er noch etwas anderes mit jenem Urbild eines Sauriers gemein: Er war ebenfalls vor gut fünfundsechzig Millionen Jahren ausgestorben.

Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, überwand Corda seine Angst und trat nun doch näher an die Statue heran. Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte und über die Schuppen des gewaltigen Körpers tastete, an denen jede Einzelheit exakt herausgearbeitet war. Sie waren kalt und feucht von der Nässe, die der Nebel auf ihnen abgeladen hatte, und er spürte nicht nur das Gold, sondern jede noch so winzige Unebenheit der gepanzerten Echsenhaut. Schaudernd trat er zurück und starrte aus weit aufgerissenen Augen in den Nebel. Ein unwirkliches Gefühl überkam ihn, als er sich vorzustellen versuchte, was noch in diesem unheimlichen Nebel lauern mochte. Fast grenzte es an Panik.

Doch er würde es herausfinden.

NEW YORK

Thor Garson wartete sehnsüchtig darauf, dass das Schrillen der Glocke das Ende der Vorlesung verkündete.

Er fühlte sich, vorsichtig ausgedrückt, nicht besonders gut, und das nicht, weil er diesmal hinter dem großen Pult an der Stirnseite des Raumes saß, statt wie während seiner Zeit als Student davor. Daran hatte er sich in den vergangenen drei Tagen bereits gewöhnt. Aber am vergangenen Abend hatte er noch ein Glas mit Dale Anderson getrunken, seinem früheren Professor, und war mit ihm den Unterrichtsstoff des heutigen Tages durchgegangen. Es war nicht bei diesem einen Glas geblieben, denn sie hatten viel über alte Zeiten gesprochen und waren ins Schwärmen gekommen.

Entsprechend schlecht war er an diesem Morgen aus dem Bett gekommen und der Tag hatte bisher auch keine Lichtblicke gebracht – im Gegenteil: Als er in die Universität gekommen war, hatte er einen Zettel vorgefunden, er solle sich nach seiner zweiten Vorlesung bei Grissam melden, dem Dekan der Universität. Die Nachricht war in Grissams eigener Handschrift hingekritzelt, die so kantig und unangenehm war wie der Mann selbst. Thor Garson und ihn konnte man nicht gerade Freunde nennen. Schon während seines Studiums war Thor des Öfteren mit ihm aneinandergeraten und die vergangenen Tage hatten diese alte Ablehnung nicht nur neu entfacht, sondern auch auf einer ganz anderen Ebene als früher vertieft.

Thor war sich ganz und gar nicht sicher, ob es wirklich klug gewesen war, Andersons Angebot anzunehmen, für knapp zwei Wochen als Gastdozent für Archäologie an seine alte Uni zurückzukehren, die er vor rund zwei Jahren ohne Abschluss – nicht zuletzt wegen Leuten wie Grissam – verlassen hatte. Aber Dale hatte für ihn gekämpft und die Studenten hatten begeistert hinter ihm gestanden. Immerhin war Thor durch seine sehr erfolgreichen Reportagen über die Abenteuer und Expeditionen, an denen er in den vergangenen Monaten teilgenommen hatte, zu so etwas wie einer lokalen Berühmtheit geworden. Und obwohl er sein Studium nicht beendet hatte und keinen akademischen Grad besaß, konnte es an seiner fachlichen Qualifikation keinen Zweifel geben. Schließlich war er der Sohn eines anerkannten Archäologen und Paul Garson hatte ihm von Kindheit an all sein Wissen über das Altertum und versunkene Kulturen vermittelt. Oft hatte Thor ihn auf Expeditionen begleitet und viele der Wunder, über die andere Dozenten nur aus zweiter oder dritter Hand zu berichten vermochten, mit eigenen Augen gesehen. Als er noch selbst die Studentenbank gedrückt hatte, hatte er seine Professoren – Dale Anderson eingeschlossen – mit seinem überlegenen praktischen Fachwissen oft geradezu zur Verzweiflung getrieben.

Anfangs hatte sich Grissam mit Händen und Füßen gegen eine Rückkehr Thors gewehrt, wie Anderson ihm berichtet hatte, und dabei vor allem auf Formalitäten wie den fehlenden akademischen Titel gepocht. Fast war Thor erleichtert gewesen, denn er war sich selbst nicht sicher, was er von der ganzen Idee halten sollte. Staubige Hörsäle und Klassenzimmer waren nie seine Welt gewesen, deshalb hatte er sein Studium ja auch an den Nagel gehängt. Der Gedanke, jetzt an die Uni zurückzukehren, wenn auch nur für ein paar Tage, hatte ihn nicht gerade mit Begeisterung erfüllt.

Zu seiner eigenen Überraschung aber hatte Grissam schließlich doch eingelenkt, aber von der ersten Sekunde an keinen Hehl daraus gemacht, was er von den Exkursionen und dem Ruf seines prominenten Gastdozenten hielt: nämlich gar nichts. Thor hatte sich einen langen Vortrag über Sinn und Zweck der hehren Wissenschaft anhören müssen und über die Rolle als Vorbild, die er als Lehrer den jungen Menschen gegenüber habe. Er hatte sich weiter anhören müssen, dass man lebensgefährliche Abenteuer in verlassenen Winkeln der Welt, Kämpfe mit eingeborenen Wilden, Expeditionen an die Grenzen des Vorstellbaren und (mit einem vorwurfsvollen Blick) Erlaubten doch lieber denen überlassen solle, die dafür geschaffen seien: hirnlosen Abenteurern eben, die – so wie Thor – wohl nur auf dem Papier der Zeitungen, die über sie berichteten, schillernde Gestalten seien.

Seine ablehnende Haltung Grissam gegenüber hatte sich seit jenem denkwürdigen Gespräch noch vertieft. Sehr vertieft, um genau zu sein.

Pünktlich mit dem Ende der Unterrichtsstunde sprang er als Erster auf, stopfte die Unterlagen auf seinem Pult in eine abgewetzte braune Aktentasche und hastete aus dem Hörsaal, noch bevor einer der Studenten auf ihn zukommen und ihn mit Fragen löchern konnte, die er normalerweise gerne beantwortete, wozu ihm jetzt aber die Zeit und die Nerven fehlten. Er erwog in Gedanken ein paar Ausreden, die es ihm ermöglichen würden, das Treffen mit Grissam sausen zu lassen, verwarf sie aber alle wieder.

Als er den Hörsaal verlassen hatte, wandte er sich nach rechts, um nun ohne sonderliche Hast die Treppe hinaufzusteigen, die ihn zu Grissams Refugium führte. Er war so sehr mit Gedanken darüber beschäftigt, welche Vorwürfe ihm Grissam wohl heute wieder machen würde, dass er um ein Haar mit einer schlanken Frau zusammengeprallt wäre, die die Treppe herunterkam. Im letzten Moment stoppte er, griff automatisch zu, als auch sein blondes Gegenüber erschrocken zurückprallte und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte, und ließ dabei seine Mappe fallen. Sie ging auf und verstreute ihren Inhalt über das untere Drittel der Treppe. Erst jetzt erkannte Thor, wen er vor sich hatte.

»Marian!«, rief er überrascht und erfreut zugleich. Doch schnell erlosch sein Lächeln, als er den Ausdruck auf Marian Cordas Gesicht sah. Sie lächelte zwar ebenfalls, aber sie hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um ihre wirklichen Gefühle zu verbergen. Ganz kurz hatte Thor einen Ausdruck von Schmerz, ja, fast Furcht, auf ihren Zügen gesehen.

»Was hast du?«, fragte er besorgt.

»Nichts«, antwortete Marian hastig. Sie lächelte wieder, aber Thor sah Tränen in ihren Augen schimmern. Bevor er dazu kam, irgendetwas zu sagen, löste sich Marian mit einer raschen Bewegung aus seinem Griff und blickte schuldbewusst auf das Durcheinander von Papieren hinab, das auf der Treppe lag.

»Oh«, sagte sie. »Das tut mir leid. Warte – ich helfe dir das aufzuheben.«

Sie ging an Thor vorbei und wollte sich nach der Aktentasche bücken, aber er griff rasch erneut nach ihren Schultern und zog sie mit sanfter Gewalt in die Höhe. Er kannte Marian Corda seit mehreren Jahren; seit er zum ersten Mal seinen Fuß in diese Universität gesetzt und zunächst bei ihrem Mann sein Studium begonnen hatte. Schon damals hatte sie oft in der Universitätsbibliothek gearbeitet. Wohl in erster Linie als Zeitvertreib, denn auf das bisschen zusätzliche Geld waren die Cordas sicherlich nicht angewiesen. Dort hatte Thor sie auch kennengelernt und zum Missfallen ihres Mannes hatten sie sich miteinander angefreundet. Der Unterschied zwischen Stanley und Marian Corda war der, dass er sie mochte; ihren Mann nicht. Das war auch der Grund gewesen, weshalb er bereits nach einem halben Semester in die Kurse Andersons gewechselt war, mit dem er wesentlich besser zurechtgekommen war und mit dem ihn seither eine Freundschaft verband.

»Was ist los?«, fragte er.

Marian versuchte abermals seine Hand abzustreifen, doch diesmal hielt er sie fest.

»Nichts«, sagte sie. »Ich war in Gedanken – das ist alles. Es tut mir leid.«

Sie wollte sich wieder aus seinem Griff winden und er spürte, dass er schon etwas mehr als leichten Druck würde anwenden müssen, um sie festzuhalten. Widerwillig ließ er sie los und sah einen Moment lang schweigend zu, wie sie mit kleinen, hastigen Bewegungen die Blätter von der Treppe auflas und in seine Aktenmappe zurückstopfte.

»Ist es wegen Stanley?«, fragte er.

Marian sah nicht auf, aber sie hielt für einen Moment mitten in der Bewegung inne und er konnte sehen, wie ihre Schultern zu zittern begannen.

Behutsam ließ er sich neben ihr in die Hocke nieder, nahm ihr die Aktentasche aus der Hand, legte sie auf den Boden und berührte ihre Schultern. Marian Corda war zehn Jahre älter als er, sah aber jünger aus, als sie tatsächlich war. Sie war eine Schönheit, um die viele ihren Mann beneideten. Aber das Leben an der Seite eines harten, manchmal grausamen Mannes hatte sie bitter gemacht. Thor stimmte das traurig, sooft er sie sah. Eine Frau wie Marian hätte einen anderen Mann verdient gehabt.

»Ja«, sagte sie schließlich. Sie wandte den Kopf ab, aber Thor sah trotzdem, dass sie mit den Tränen kämpfte.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er.

»Nein«, antwortete sie. »Es ist nichts Besonderes. Wir hatten Streit, das ist alles.« Sie griff erneut nach seiner Aktenmappe, ließ sie dann aber los, richtete sich auf und machte zwei schnelle Schritte an Thor vorbei die Treppe hinunter, blieb jedoch plötzlich noch einmal stehen. »Weißt du, wo er ist?«

»Stanley?« Thor schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Eigentlich fängt seine Vorlesung in zehn Minuten an. Er müsste schon im Hörsaal sein. Warst du dort?«

Marian nickte und schüttelte fast im selben Moment den Kopf. »Ja, vor einer halben Stunde. Er kommt sonst immer sehr früh, um alles vorzubereiten. Aber vielleicht gehe ich noch einmal hin.«

»Und du bist sicher, dass ich dir nicht helfen kann?«, fragte Thor.

Einen Moment lang sah sie ihn traurig an und er rechnete fast damit, dass sie sein Angebot annehmen und ihm erzählen würde, was passiert war. Aber dann schüttelte sie wieder den Kopf und zwang sich zu einem unsicheren Lächeln. »Nein. Es war ... nur das Übliche.« Mit einem Ruck drehte sie sich um und lief mit raschen Schritten die Treppe hinunter.

Thor blieb stehen und blickte ihr nach, bis sie am Ende des Korridors verschwunden war. Danach setzte er seinen Weg zu Grissam fort.

Das Gespräch mit Grissam wurde genauso unerfreulich, wie er erwartet hatte. Wie sich herausstellte, hatte der Dekan ihn natürlich aus keinem anderen Grund zu sich zitiert, als an seinen Unterrichtsmethoden herumzumäkeln und ihm Vorwürfe zu machen. »So geht das nicht weiter, Mister Garson«, sagte er, wobei seine makellos manikürten Finger mit einem daumennagelgroßen Anhänger spielten, der vor ihm auf der Tischplatte seines ebenso makellos aufgeräumten Schreibtisches lag.

Thor zog die linke Augenbraue hoch. »Und was genau geht so nicht weiter?«

Grissam nickte und bedachte ihn dabei mit einem Blick, mit dem der Direktor eines Heimes für schwer erziehbare Kinder den schlimmsten seiner Zöglinge mustern mochte. »Sie wissen, dass ich von Anfang an dagegen war, Sie als Gastdozenten zu beschäftigen, und was ich mittlerweile über Ihren Unterricht höre, bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen. Sie vermitteln den Studenten Wissen, und das sehr anschaulich, wie man mir sagte, daran gibt es offenbar nichts auszusetzen. Doch Sie vermitteln Ihnen auch ein völlig falsches Bild von der Archäologie. Es handelt sich immer noch um eine ernsthafte und angesehene Wissenschaft, aber Ihren Ausführungen zufolge könnte man eher glauben, dass sie nur aus irrwitzigen Abenteuern, gefährlichen Expeditionen und dergleichen Unfug bestünde. Sie setzen den Studenten Flausen in den Kopf, Mister Garson. In den Schmierblättern, für die Sie schreiben, können Sie das machen, aber in meinen Hörsälen werde ich das nicht dulden.«

»Ich habe nur am Rande berichtet, was ich selbst erlebt habe«, verteidigte sich Thor. »Und an meiner bislang letzten Expedition habe ich immerhin im Auftrag und auf ausdrückliches Drängen der Regierung teilgenommen.«

Grissam seufzte. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, ich kenne Ihre Akte, Mister Garson. Sie haben wichtige Dinge für unser Land getan. Und Sie haben eine Menge für diese Universität getan. Ich weiß, dass wir einige kostbare Stücke unserer archäologischen Sammlung, die Sie von Ihren Reisen mitgebracht haben, Ihren großzügigen Spenden zu verdanken haben. Trotzdem ...« Er schüttelte abermals den Kopf und seufzte noch tiefer. »Sie müssen das verstehen. Auch ich muss mein Amt ordnungsgemäß versehen und das besteht nun einmal darin, für einen reibungslosen Ablauf des Universitätsbetriebes zu sorgen. Das geht nicht gegen Sie persönlich. Ich weiß, es gab Missverständnisse zwischen uns, aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich würde hier sitzen und dasselbe zu Ihnen sagen, wenn wir alte Freunde wären.«

Thor bezweifelte, dass Grissam Freunde hatte, und schon gar alte Freunde, aber er zog es vor, diesen Einwand für sich zu behalten. »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte er. »Wenn Sie mich feuern wollen, dann sagen Sie es ruhig.«

»Aber nein«, antwortete Grissam fast erschrocken. »Ich fürchte, wenn ich das täte, hätte ich eine Studentenrevolte am Hals.« Er lächelte schmerzlich. »Ob es mir gefällt oder nicht, ich werde Ihr Engagement hier für die vereinbarte Zeit dulden müssen. Es sind ja nur noch ein paar Tage. Ich möchte Sie nur bitten, sich bei Ihren Vorlesungen auf den reinen Lehrstoff und die Vermittlung von Wissen zu beschränken, statt irgendwelche Räuberpistolen zu erzählen, die mit ernsthafter Archäologie nichts zu tun haben.«

Thor starrte ihn sekundenlang wütend an, sagte aber nichts mehr, sondern drehte sich mit einem Ruck um und stampfte auf die Tür zu. Kurz bevor er sie erreichte, rief ihn Grissam noch einmal zurück: »Mister Garson!«

Eine halbe Sekunde lang war Thor geneigt, einfach weiterzugehen und die Tür hinter sich ins Schloss zu knallen, aber dann blieb er doch stehen und drehte sich noch einmal zu Grissam um. »Ja?«

»Da ist noch etwas«, sagte Grissam.

Thor sah ihn fragend an, bekam aber keine Antwort, und so trat er schließlich widerwillig an den Tisch zurück. Grissam schob ihm das kleine goldene Schmuckstück, mit dem er bisher gespielt hatte, über die Platte hinweg zu. »Haben Sie das schon einmal gesehen?«

Thor griff danach und drehte es mit wachsender Verwunderung in den Fingern. Was er bisher für einen goldenen Anhänger gehalten hatte, war gar keiner. Es war ein winziger Käfer, der ganz aus Gold bestand. Und es war die mit Abstand perfekteste Nachahmung eines Lebewesens, die Thor jemals gesehen hatte.

»Nein«, sagte er verwirrt. »Wieso? Was ist das überhaupt?«

Grissam beugte sich vor und nahm ihm den Käfer aus den Fingern. »Das möchte ich auch gern wissen«, sagte er. »Ich hatte gehofft, von Ihnen eine Antwort auf diese Frage zu bekommen.«

»Wieso?«, wunderte sich Thor. »Woher stammt das?«

»Auch das weiß ich nicht«, antwortete Grissam. »Ich hatte heute Morgen schon sehr früh Besuch, Mister Garson. Sehr unangenehmen Besuch, wie ich hinzufügen möchte.«

Thor sah ihn fragend an.

»Es handelte sich um dieses Schmuckstück«, fuhr Grissam nach einer langen unangenehmen Pause fort. »Um dieses und andere. Sie wurden gestohlen.«

»Gestohlen?«

»Nun«, Grissam zuckte mit den Schultern, »ich nehme es jedenfalls an. Welchen anderen Grund sollte es geben, wenn die Polizei bei mir auftaucht und mich fragt, was ich über die Herkunft dieser Stücke weiß?«

Thor verstand nun gar nichts mehr. Unaufgefordert zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen. Grissam blickte zuerst den Stuhl, dann ihn selbst und dann wieder den Stuhl sehr tadelnd an, überging Thors Eigenmächtigkeit aber und beließ es bei dem strafenden Blick und fuhr fort: »Leider haben mir die Beamten auch nichts Konkretes gesagt. Aber in den letzten Wochen sind eine ganze Reihe solcher Kleinodien in der Stadt zum Verkauf angeboten worden. Sie konnten oder wollten mir nicht sagen, wer sie verkauft hat, aber es muss sich um ein Mitglied des Lehrkörpers handeln.«

»Es ist nicht verboten, Gold zu verkaufen«, sagte Thor.

»Nicht, wenn man es auf legalem Wege erworben hat«, stimmte ihm Grissam zu. »Aber wäre das so, wäre wohl kaum die Polizei bei mir erschienen, um sich zu erkundigen, welcher meiner Mitarbeiter wohl als Verkäufer dieser Schmuckstücke infrage käme, nicht wahr?«

Es dauerte noch eine Sekunde, bis Thor begriff. Dann verdüsterte sich sein Gesicht. »Ich verstehe«, sagte er gepresst. »Irgendjemand an unserer Universität steht im Verdacht, Fundstücke unterschlagen oder gestohlen zu haben. Und ganz selbstverständlich denken Sie dabei an mich.«

Grissam antwortete nicht darauf.

»Ich muss Sie enttäuschen, Mister Grissam«, fuhr Thor aufgebracht fort. »Ich verdiene mittlerweile zum Glück mit meinen Räuberpistolen genug, um nicht stehlen zu müssen. Und selbst wenn ich es täte«, fügte er in noch schärferem Tonfall hinzu, als Grissam ihn unterbrechen wollte, »wäre ich kaum so dämlich, meine Beute gerade hier an den Mann bringen zu wollen, wo ich für zwei Wochen als Gastdozent arbeite.«

»So war das nicht gemeint, Mister Garson«, begann Grissam. Aber Thor hörte ihm gar nicht mehr zu. So heftig, dass sein Stuhl scharrend zurückflog und umfiel, sprang er auf, drehte sich herum und stürmte aus dem Büro.

Und diesmal knallte er die Tür so heftig hinter sich zu, dass es noch drei Stockwerke tiefer zu hören sein musste.

Thor kochte innerlich noch immer vor Zorn, als er zehn Minuten später den Campus verließ und mit weit ausgreifenden Schritten die Straße überquerte. Hätten sich mit dieser Universität neben einer Menge Enttäuschungen nicht auch so viele schöne Erinnerungen verbunden und hätte er hier nicht so viele Freunde, dann hätte er nicht nur die Tür zu Grissams Büro zu-, sondern auch gleich dessen Schreibtisch umgeworfen und ihm endlich einmal gesagt, was er wirklich von ihm hielt. Welchen rachsüchtigen Gott mochte er bei irgendeinem seiner Abenteuer so erzürnt haben, dass er ihm einen Widerling wie Grissam schickte, um ihm das Leben zu vergällen?

Als er die andere Straßenseite erreicht hatte, wandte er sich erst nach rechts und fast in der gleichen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Nein – er konnte jetzt nicht nach Hause gehen. Er brauchte einen Kaffee oder besser noch einen kräftigen Schluck Whiskey, um sich zu beruhigen. So steuerte er ein kleines Café wenige Schritte entfernt an, das den Studenten als Treffpunkt diente und selbst zu dieser frühen Stunde bereits gut besucht war. Schon früher war er oft hier gewesen. Die meisten Tische waren besetzt und auch an der Theke fand er keinen Platz mehr. Aber er musste nicht lange suchen, bis einer der Kellner erschien und ihn an einen kleinen Tisch am Fenster führte. Thor setzte sich, bestellte einen Kaffee und einen Bourbon und wandte demonstrativ den Blick ab, als ihn einige der Studenten an den Tischen erkannten und ihm zulächelten.

Ein sonderbares, fast melancholisches Gefühl überkam ihn, als er zum Universitätsgebäude auf der anderen Straßenseite hinübersah. Noch vor kaum zwei Jahren war er selbst nur ein einfacher Student unter vielen gewesen. Wie viel hatte sich in dieser kurzen Zeit verändert. Allein in diesen zwei Jahren hatte er mehr erlebt, als die meisten anderen in ihrem ganzen Leben. Und nun war er als eine Art Berühmtheit zurückgekehrt und hielt sogar selbst Vorlesungen. Obwohl er es selbst nicht erwartet hatte – es gefiel ihm sogar und er würde dieses Experiment gerne wiederholen. Der Gedanke, dass es einem Kriecher wie Grissam gelingen könnte, ihm all dies zu nehmen, machte ihn wütend. Aber er war inzwischen fast sicher, dass Grissam am Ende siegen würde. Die Grissams dieser Welt würden es immer irgendwie schaffen, die Sieger zu bleiben.

Der Kellner kam und brachte den Kaffee und den Bourbon. Thor stürzte den Inhalt seines Glases mit einem Zug hinunter und begann dann lustlos in seiner Tasse zu rühren. Der Whiskey brannte in seiner Kehle und hinterließ eine warme Spur in seiner Speiseröhre bis in seinen Magen hinab, aber seine Hände zitterten eher noch stärker. Statt ihn zu beruhigen, bewirkte der Alkohol eher das Gegenteil. Sein Zorn auf Grissam wuchs ins Unermessliche. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, aufzustehen und zurückzugehen, um das unterbrochene Gespräch mit dem Dekan zu Ende zu bringen, und zwar zu dem, das es verdiente.

Im selben Moment sah er, wie Marian Corda aus dem Gebäude trat und die Straße überquerte, ohne nach rechts und links zu blicken. Sie ging sehr schnell, und obwohl sie zu weit entfernt war, als dass er ihr Gesicht erkennen konnte, spürte er ihre Erregung. Ihre Haltung war verkrampft und ihre Bewegungen ruckhaft und gezwungen. Offenbar war er nicht der Einzige, für den dieser Tag nicht besonders gut verlief.

Als Marian die andere Straßenseite erreicht hatte, hielt ein Auto direkt hinter ihr. Marian fuhr ganz leicht zusammen, warf einen Blick über die Schulter – dann wandte sie sich mit einem Ruck nach rechts und setzte sich entschlossen in Bewegung. Im selben Augenblick öffneten sich die beiden Türen des Wagens und zwei Männer in maßgeschneiderten Anzügen mit hellen Hüten stiegen aus und folgten ihr. Sie rannten nicht, aber sie schritten zu schnell aus, als dass Thor ihre Eile hätte übersehen können. Auch Marian beschleunigte ihre Schritte und die beiden Anzugträger wurden ebenfalls schneller. Thor sah erstaunt zu. Was ging dort vor?

Plötzlich machte seine Niedergeschlagenheit einem Gefühl heftiger Anspannung Platz. Er vergaß schlagartig Grissam und das unangenehme Gespräch, stand auf und verließ eilig das Café, nachdem er ein paar Münzen auf den Tisch gelegt hatte.

Als er auf die Straße hinaustrat, hatte Marian bereits die Ecke des Blocks erreicht und wandte sich nach rechts. Sie ging sehr schnell und warf den beiden Männern hinter sich dabei immer wieder rasche, fast ängstliche Blicke zu, und als sie in die Seitenstraße einbog, beschleunigte sie ihre Schritte noch einmal, sodass sie nun beinahe rannte.

Auch die beiden Anzugträger legten Tempo zu. Thor Garson aber rannte nicht nur beinahe, sondern tatsächlich, als auch sie um die Ecke bogen und ihn somit nicht mehr sehen konnten.

Erst als er in die schmale Seitenstraße einbog, fiel auch er wieder in ein normales Tempo zurück. Sein Abstand zu Maries Verfolgern war ebenso zusammengeschmolzen wie deren zu ihr.

»Mrs Corda!«

Marian wandte erschrocken im raschen Gehen den Blick, als einer der beiden ihren Namen rief, geriet ins Stolpern und stürzte nur deshalb nicht, weil sie im letzten Moment an der Wand neben sich Halt fand. Aber die Verzögerung durch ihr Straucheln reichte den beiden Männern, um sie einzuholen.

»Mrs Corda, bitte!«, sagte der Größere der beiden. »Das hat doch keinen Sinn. Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«

Marian sah sich mit dem Blick eines gehetzten Tieres um, das man in die Enge getrieben hat. Es gab tatsächlich keinen Ausweg mehr für sie. Einer der beiden Burschen stand direkt vor ihr, der andere war an ihr vorbeigegangen und blockierte den Fluchtweg die Straße hinab. Thor ging ein wenig langsamer und tat so, als betrachte er interessiert die Auslagen eines Geschäfts, spitzte aber aufmerksam die Ohren und verfolgte das Geschehen in der Spiegelung der Schaufensterscheibe.

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, sagte Marian. Ihre Stimme zitterte vor Angst. »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nichts weiß.«

»Davon möchten wir uns lieber persönlich überzeugen«, fuhr der Große fort. Er streckte die Hand aus, um Marian am Ellbogen zu ergreifen, aber sie zog ihren Arm hastig zurück und presste sich enger an die Wand.

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, sagte sie noch einmal.

Thor schlenderte fast gemächlich näher, steckte beide Hände in die Jackentaschen und blieb unmittelbar hinter dem größeren der beiden Burschen stehen.

»Sie werden jetzt mit uns kommen, Mrs Corda«, fuhr der Mann fort. »Es sei denn –«

»Haben Sie nicht gehört, was die Lady gesagt hat?«, unterbrach ihn Thor.

Der Mann drehte sich mit einem Ruck herum und blickte sein Gegenüber mit einer Mischung aus Zorn und Überraschung an. Er hatte ein schmales, markantes Gesicht mit einer kleinen Narbe auf der linken Wange. Seine Augen waren kalt und taxierten Thor mit einem raschen Blick, stuften ihn offenbar schnell als harmlos ein. »Verschwinden Sie!«, sagte er grob.

Thor verschwand nicht, sondern blickte ihn eine Sekunde lang lächelnd an, musterte dann den zweiten Mann – er war das genaue Gegenteil des Großen: klein, stämmig bis fett, mit einem teigigen Gesicht von ungesunder Farbe und kräftigen Händen mit kurzen Stummelfingern – und sagte dann: »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie verschwinden. Und nehmen Sie Ihren Freund mit. Bevor ich die Polizei rufe.«

Der Mann riss erstaunt die Augen auf, aber bevor er noch antworten konnte, trat sein Freund mit einem zornigen Schritt auf Thor zu und fuhr ihn an: »Halt dich da raus, Freundchen. Oder –«

»Oder?«, fragte Thor freundlich, als der Dicke nicht weitersprach, sondern den Rest des Satzes als unausgesprochene Drohung in der Luft hängen ließ.

»Jetzt reicht’s!«, sagte der Dicke. »Hau ab, Mann, oder ich mach dir Beine!« Seine Hand hob sich und verschwand unter der Jacke und Thor schlug ihm ohne jede Vorwarnung die Faust unter das Kinn.

Der Schlag war so hart, dass er selbst vor Schmerz aufstöhnen musste. Der Dicke verdrehte die Augen und fiel wie ein nasser Sack zu Boden. Währenddessen fuhr Thor blitzartig herum, packte den anderen an den Aufschlägen seiner maßgeschneiderten Anzugjacke, zerrte seinen Oberkörper mit einem plötzlichen harten Ruck nach vorn und unten und winkelte gleichzeitig das Bein an. Sein Knie grub sich knirschend in die Rippen des Mannes und er konnte hören, wie die Luft pfeifend aus dessen Lungen entwich.

Trotzdem war der andere keineswegs geschlagen. Obwohl er sich vor Schmerzen krümmte und kaum atmen konnte, schoss er einen Fausthieb nach Thors Gesicht ab, dem dieser nur um Haaresbreite entgehen konnte und der ihn zurück und auf Distanz zu seinem Gegner trieb. Sofort setzte ihm dieser nach, drosch wild und zu dem einzigen Zweck, ihn weiter vor sich herzutreiben, mit der linken Hand nach ihm und versenkte gleichzeitig die rechte in die Jackentasche. Es gehörte nicht besonders viel Fantasie dazu, zu erraten, was er darin trug.

Thor gab ihm jedoch keine Chance, seine Waffe zu ziehen. Er nahm ganz bewusst einen der wütend, aber nicht besonders zielsicher geführten Fausthiebe in Kauf, sprang den Kerl an und hämmerte ihm drei-, viermal hintereinander die Fäuste in den Leib; sehr hart und gezielt auf die gleiche Stelle, an der ihn sein Knie getroffen hatte. Und diese grobe Behandlung war selbst für diesen Riesen zu viel. Stöhnend taumelte er zurück, stieß Thor mit einer verzweifelten Bewegung von sich und kippte nach vorn, wobei er sich gleichzeitig drehte. Es gelang ihm zwar, seinen Sturz mit ausgestreckten Armen abzufangen, indem er sich kaum einen Meter neben Marian an der Wand abstützte, aber er stand in einer so grotesk nach vorn geneigten Haltung da, dass Thor der Versuchung einfach nicht widerstehen konnte, ihm die Beine unter dem Leib wegzutreten. Der Kerl schrie auf, prallte mit dem Gesicht gegen die raue Ziegelsteinmauer und schrammte an ihr entlang zu Boden.

Thor wartete nicht ab, ob er endlich aufgab oder auch diese Attacke einfach wegsteckte. Mit einem Satz sprang er über ihn hinweg, packte Marians Handgelenk und zerrte sie hinter sich her, während er die Straße hinabzurennen begann. Sie schrie vor Schreck auf und versuchte sich instinktiv loszureißen, aber Thor hielt ihren Arm mit eiserner Kraft fest, sodass sie hinter ihm herstolpern musste, ob sie wollte oder nicht.

Sie erreichten die nächste Straßenecke, wandten sich abermals nach rechts. Thor blieb auch jetzt nicht stehen, sondern lief im Gegenteil noch schneller, als er nur ein paar Schritte entfernt etwas entdeckte, was ihm die Glücksgöttin persönlich geschickt haben musste: ein Taxi, das mit laufendem Motor am Straßenrand stand und aus dem gerade ein Fahrgast ausstieg und den Chauffeur bezahlte.

Noch während dieser sein Wechselgeld in Empfang nahm, riss Thor hastig die hintere Tür auf, stieß Marian in den Wagen und folgte ihr mit einem Sprung. Während er die Tür hinter sich zuwarf, sah er zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Von ihren beiden Verfolgern war noch nichts zu sehen. Aber das würde nicht lange so bleiben. Dass er sie so leicht hatte ausschalten können, war pures Glück gewesen und dem Umstand zu verdanken, dass er sie überrascht hatte. Ganz offensichtlich hatten sie ihn unterschätzt. Ein zweites Mal würde ihnen dieser Fehler nicht unterlaufen.

Der Mann, der gerade aus dem Taxi gestiegen war, stand noch immer wie erstarrt da, den Oberkörper in den Wagen gebeugt und die Hand mit dem Wechselgeld vor sich ausgestreckt, und blickte Thor und Marian verblüfft an. Auch der Taxichauffeur schien im ersten Moment völlig perplex. Dann verdunkelten schwarze Gewitterwolken sein Gesicht. »He!«, sagte er. »Was soll das? Ich übernehme keine Fuhre mehr. Feierabend!«

Thor sah abermals zurück und fuhr erschrocken zusammen, als er die beiden so unterschiedlich großen Männer nebeneinander wie Pat und Patachon – wankend und trotzdem sehr schnell – am Ende der Straße auftauchen sah. »Fahren Sie los!«, sagte er.

Der Taxifahrer schüttelte stur den Kopf. »Haben Sie was an den Ohren, Mann? Ich hab Feierabend. Meine Schicht ist um!«

»Ich flehe Sie an!«, sagte Thor. Wieder sah er hastig über die Schulter zurück. Die beiden Burschen waren noch zwanzig oder dreißig Schritte entfernt; allerhöchstens. Und sie kamen sehr schnell näher. Das Gesicht des größeren hatte sich auf dramatische Weise verändert. Sein Blick auch. Er hatte die linke Hand gegen Mund und Nase gepresst und in der rechten hielt er einen Revolver, mit dem er wütend herumfuchtelte.

»Um Gottes willen – fahren Sie los!«, sagte Thor zum dritten Mal. Einer plötzlichen Eingebung folgend fügte er hinzu: »Das da ist ihr Mann und sein Bruder. Die beiden bringen uns um, wenn sie uns erwischen!«

Das wirkte. Der Fahrer starrte die beiden näher kommenden Killer noch eine halbe Sekunde lang aus aufgerissenen Augen im Spiegel an, dann gab er plötzlich Gas und fuhr so abrupt los, dass Thor und Marian in die Polster zurückgeschleudert wurden und sein voriger Fahrgast gerade noch rechtzeitig Kopf und Oberkörper aus dem Wagen reißen konnte, um nicht die Hand zu verlieren. Für das Wechselgeld, das darauf gelegen hatte, ging das zu schnell. Es regnete klimpernd auf den Beifahrersitz und zwischen die Füße des Fahrers nieder.

Thor stemmte sich ächzend aus dem Polster hoch und sah durch die Heckscheibe. Pat und Patachon waren stehen geblieben. Der Kleine gestikulierte wütend hinter dem Wagen her und schüttelte drohend die Faust, während der andere noch ein paar Schritte weiterlief und dabei unentwegt mit seiner Pistole herumfuchtelte. Aber er wagte nicht, auf den Wagen zu schießen. Nicht auf offener Straße und am helllichten Tag. Schließlich war das hier nicht der Wilde Westen.

Einige Sekunden später hatten sie die nächste Kreuzung erreicht und der Fahrer ließ den Wagen mit kreischenden Reifen um die Kurve schlingern. Thor wurde halbwegs auf Marian geschleudert, fing sich im allerletzten Moment wieder und stemmte sich mit einem entschuldigenden Lächeln hoch.

Sie schien es nicht einmal bemerkt zu haben. Ihr Gesicht war bleich wie das einer Toten und ihre Lippen zitterten. Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie beherrschte sich nur noch mit allerletzter Kraft.

»Sag jetzt nichts«, sagte Thor ganz leise. »Später.«

»Mann!«, ächzte der Taxifahrer. »Das war verdammt knapp. Die beiden sahen ja richtig gefährlich aus!«

Thor setzte sich auf und fuhr sich glättend mit den Händen übers Haar. »Das sind sie auch«, antwortete er. »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«

»Das scheint mir auch so«, antwortete der Taxifahrer. Er grinste anzüglich, war aber diskret genug, keine aufdringlichen Fragen zu stellen. »Wohin fahren wir überhaupt?«

Thor nannte seine Adresse.

Der Taxifahrer seufzte und enthielt sich jedes weiteren Kommentars, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Thor bezahlte ihn, ging mit raschen Schritten um den Wagen herum und half Marian beim Aussteigen. Sie schien immer noch wie betäubt zu sein. Ihr Blick war leer und sie folgte ihm wie ein willenloses Kind, das gar nicht begriff, was mit ihm geschah, ins Haus.

Er schloss die Tür seiner Wohnung hinter sich, legte – ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten – die Kette vor und führte Marian ins Wohnzimmer. Der Raum sah aus, wie das Wohnzimmer eines Junggesellen nach einer halb durchzechten Nacht nun einmal aussieht: reichlich chaotisch. Auf dem Tisch standen eine zu drei Vierteln geleerte Flasche Whiskey, zwei Gläser, ein ganzer Berg von Büchern, Zeitschriften, Pergamenten, Aktendeckeln, Fotografien und Zeichnungen. Das Durcheinander war Thor plötzlich peinlich. Aber Marian war nicht in der Verfassung, auf so etwas zu achten.

Er bugsierte sie zur Couch und drückte sie mit sanfter Gewalt darauf nieder. Sie ließ sich auch das widerstandslos gefallen, aber sie hatte jetzt nicht mehr die Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Sie weinte lautlos und heftig.

Thor kam sich plötzlich verlegen und hilflos vor wie ein Schuljunge. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.