Der Fluch von Gárbeth - René Bote - E-Book

Der Fluch von Gárbeth E-Book

René Bote

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Beschreibung

Von der Schlacht bleibt Kvanaghs Dorf verschont, doch als der Feind sich über die Grenze rettet, stürzt eine gewaltige Flutwelle zu Tal und reißt alles mit sich, was ihr im Weg steht. Es gibt nur eine Erklärung: Die fliehenden Soldaten haben den Staudamm am Pass von Gárbeth zerstört! Ein Teil der Ernte ist vernichtet, und es bleibt wenig Zeit, das Übrige zu retten und die Schäden zu beseitigen, ehe der Winter kommt. Doch so sehr sich die Menschen bemühen, immer wieder werfen plötzliche Unwetter sie zurück und machen die Arbeit von Stunden und Tagen wieder zunichte. Immer mehr wird zur Gewissheit: Hier wirkt eine Macht, die mit irdischen Maßstäben nicht zu fassen ist.

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Manchmal helfen nicht Wissen und Erfahrung, sondern nur der richtige Blick im richtigen Moment.

Ser-Aloi

Inhalt

Vorwort

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Vorwort

Irgendwas stimmte nicht, und das schon seit Tagen. Auf der Suche nach der Quelle seiner Unruhe ließ der Drache den Blick über den Horizont streifen. Dass die Menschen unten im Tal einmal mehr gegenseitig ihre Lebensgrundlage zerstörten, um Gebietsansprüche durchzusetzen oder Steuerquellen zu gewinnen, wie sie es nannten, konnte es allein nicht sein. Das taten sie schließlich ständig, Neid und Gedankenlosigkeit waren Worte, die der Drache für das fand, wofür Unzählige unnütz alles, was ihnen lieb war, und oft auch das Leben verloren.

Immerhin, ging es ihm durch den Kopf, gab es hoffnungsvolle Ausnahmen, auch im Dorf unter ihm lebten zwei noch junge Menschen, die früh verstanden hatte, dass nur Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung etwas bewegen konnten. Aus ihnen konnte wirklich etwas werden.

Unvermittelt spürte er eine Welle von Energie, unzweifelhaft das Ergebnis starker Magie. Zu starker Magie, denn kein Lebewesen, das hier seine Heimat hatte, nichts, was er je hier gesehen hatte, konnte so starke Magie wirken. Der Drache änderte seine Flugrichtung und schoss durch die Wolken dorthin, wo er den Ursprung der Energiequelle vermutete, doch alles, was er dort fand, waren die Überreste einer heftigen kriegerischen Auseinandersetzung, Leichen, zerstörtes Gerät und ein eingerissener Staudamm.

Die Art des gewirkten Zaubers ließ sich daraus nicht mehr ablesen, es gab nur die Energie, die dabei in die Umgebung abgestrahlt worden war und sich immer noch erhielt. Genau genommen musste der Zauber nicht einmal etwas mit der Schlacht unten zu tun gehabt haben, auch wenn der Verdacht sich natürlich aufdrängte. Der Drache forschte mehr als eine Stunde lang nach, auch in der Umgebung des Schlachtfelds hoch in den Bergen, fand aber nichts und niemandem, dem er eine Magie der gespürten Stärke zutrauen durfte. Entweder hatte sich derjenige in seinem Zauber aufgelöst, ein typischer Fehler für Menschen, die magisch begabt waren, ohne ihre Kraft ausreichend einschätzen zu können, oder aber der Zauber diente dem Transport desjenigen, der ihn gewirkt hatte, dann wäre alles nach Plan verlaufen, und der Wirkende konnte inzwischen überall sein.

Während die erste Möglichkeit jede weitere Gefahr zumindest von Seiten dieser Person ausschloss, war die zweite eher beunruhigend. Um die Sache auf sich beruhen zu lassen, war es auf jeden Fall noch zu früh, und der Drache wollte auch nicht abwarten, bis die Antwort auf den Zweck des unbekannten Zaubers über die Welt hereinbrach. Weil er wusste, dass es am Ende ein großer Vorteil sein konnte, wenn ihn niemand auf der Rechnung hatte, beschloss er jedoch, vorerst nicht selbst in Erscheinung zu treten, sondern die beiden jungen Menschen, an die er eben noch gedacht hatte, als Beobachter zu ensenden. Jore und Meira verfügten über Fähigkeiten, die anderen Menschen nicht hatten, ein überaus gutes Urteilsvermögen und eine Lebenserfahrung die weit über die manch alten Mannes hinausging. Ihnen konnte er vertrauen, und sie würden verhindern, dass die Menschen am Ende ihn für ihr selbstverursachtes Unglück verantwortlich machten; damit hatten sie schon einmal unvorstellbares Unglück über sich gebracht, und er hatte sich vrogenommen, so etwas auf keinen Fall noch einmal zuzulassen.

Jore wurde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt und hatte mit dem Öffnen der Augen schon den ersten Fuß aus dem Bett. Das Frühstück war schon vorbereitet, dafür hatte er am Abend schon gesorgt, um jetzt Zeit zu sparen. Er wollte sein Arbeitspensum in der Mine möglichst früh geschafft haben, um anschließend seiner Freundin Meira auf dem Hof helfen zu können. Normalerweise arbeiteten sie gemeinsam in der Mine, aber im Moment wurde auf dem Hof jede Hand gebraucht. Auch Jores Pensum in der Mine war verkürzt, seit sein Vater die Strafe für seine Untaten verbüßte, führte seine älteste Schwester zusammen mit ihrem Mann den elterlichen Hof, und Jore und Meira wechselten sich damit ab, auf den Hof der jeweils anderen Familie zu helfen. Sie waren harte Arbeit gewöhnt, aber wenn sie konnten, dann versuchten sie doch, sich Zeit freizumachen für sich selbst oder um sich mit den anderen Kindern des Dorfes zu treffen.

Auf dem Weg zur Mine kam Jore zwangsweise am Hof von Meira vorbei. Die Läden vor dem Fenster, hinter dem sie ihre Schlafstube hatte, waren noch geschlossen, aber durch die schmalen Ritzen konnte Jore einen Schatten erkennen, der sie bewegte. Meira war also auch schon wach.

Normalerweise wäre Jore trotzdem weitergegangen, für mehr als einen flüchtigen Gruß wäre ohnehin keine Zeit gewesen, wenn er nicht die erhoffte gemeinsame Zeit ohne Pflichten am Abend gefährden wollte, aber irgendwas störte das Gesamtbild, ohne dass er auf Anhieb sagen konnte, was. Erst als er genauer nachschaute, wurde ihm klar, dass es die Fußspuren neben Meiras Fenster waren, Abdrücke großer, krallenbewehrter Füße, deren Abstand zueinander von einer gigantischen Größe des Verursachers zeugten. Da brauchte Jore nicht lange zu überlegen, wer diese Abdrücke hinterlassen hatte, es gab nur ein Wesen, das dafür in Frage kam: Ser-Aloi.

Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte, dass der Herr des Berges ein Zeichen gab, oder ob es der Vorbote schlechter Nachrichten war. Ob Meira etwas wusste? Immerhin war es Meiras Fenster, vor dem die Abdrücke zu sehen waren, und es würde Ser-Aloi nicht schwer gefallen sein, sie zu wecken, ohne dass sonst jemand etwas merkte. Allerdings hätte Meira in diesem Fall darauf geachtet, ihn, Jore, nicht zu verpassen, wenn sie nicht gleich zu ihm gekommen wäre, deshalb nahm Jore an, dass sie noch ahnungslos war.

Der Gruß des Nachtwächters riss Jore aus seinen Überlegungen. „Mal wieder früh unterwegs, wie?“ „Sagt der, der ins Bett geht, wenn andere aufstehen“, scherzte Jore. „Hattest du eine ruhige Nacht?“ „Geht“, antwortete der Wächter. „Einmal hat eine Katze Radau gemacht, irgendwo in den Wiesen hinter eurem Hof, aber zu sehen war nichts, und sonst war Ruhe.“ „Vielleicht Revierkämpfe“, behauptete Jore. „Kennt man ja.“ Die Katze hatte vermutlich einen guten Grund gehabt, sich aufzuregen, und er hatte den Verdacht, dass Ser-Aloi eigentlich oder auch ihm einen Besuch hatte abstatten wollen, sich aber wegen des Nachtwächters anders entschieden hatte.

Durch die Arbeit bedingt hatte Jore erst am Abend Gelegenheit, unter vier Augen mit Meira zu sprechen. In die Mine ging sie derzeit ja nicht, und auf dem Feld waren immer auch andere in Hörweite gewesen, und was auch immer Ser-Aloi dazu getrieben hatte, ins Dorf zu kommen, es wäre sicher nicht in seinem Sinne gewesen, wenn sein nächtlicher Besuch publik wurde. Er erzählte Meira, was er gesehen hatte, und sie versicherte ihm, dass sie nichts von Ser-Alois Anwesenheit gemerkt hatte. Natürlich hätte sie Jore andernfalls gleich geweckt, das musste sie nicht eigens betonen, und dass sie auch die Spuren vor ihrem Fenster nicht bemerkt hatte, wunderte ihn nicht weiter. Man brauchte schon gute Augen, um sie zu sehen, möglicherweise war er der einzige, dessen Augen so beschaffen waren, dass er sie sehen konnte.

Sein scharfer Blick war es auch, der Ser-Alois Hinterlassenschaft entdeckte, eine ledrige, dunkelgrüne Drachenschuppe, aber selbst er musste eine Weile suchen, bis er sie zwischen den Leisten des rechten Fensterladens entdeckte. Der Laden bestand aus einem inneren und äußeren Rahmen, die gemeinsam die dünnen Querleisten hielten, und genau zwischen diese Rahmen hatte Ser-Aloi oben die Schuppe geschoben.

Rasch verbarg Meira den Fund unter ihrer Kleidung, denn es war klar, dass niemand sonst ihn sehen durfte. „Lass uns zum Fluss gehen!“, schlug sie vor. „Dort sind wir ungestört.“ Das wussten sie aus Erfahrung, sie kannten die Ecken, die außer ihnen niemanden interessierten, und Jores Gehör war in den Jahren, in dem es sein wichtigster Sinn gewesen war, so geschult worden, dass es schlichtweg unmöglich war, sich ihm durch das Unterholz bis auf Hörweite zu nähern, ohne dass er es hörte.

Doch auf den ersten Blick wirkte die Schuppe in keiner Weise ungewöhnlich, das Einzige, was Jore auffiel, war, dass Ser-Aloi sie nicht in Hektik ausgerissen oder in einem Kampf verloren hatte; dafür war die Abrissstelle zu gleichmäßig. War die Schuppe ein Hinweis, zu ihm zu kommen? Irgendeine Prüfung? Einfach ein Geschenk zwischendurch, damit sie ihn nicht vergaßen? „Nimm du sie!“, bat Jore seine Gefährtin. „Bei mir ist die Gefahr zu groß, dass jemand sie findet.“ Er teilte sich die Schlafstube jetzt, nachdem der Vater nicht mehr im Haus wohnte, mit drei Schwestern, weil der Mann seiner ältesten Schwester mit in die Stube gezogen war, die sich vorher Jores beiden älteren Schwestern geteilt hatten, da gab es einfach kein Versteck, dass die Mädchen nicht zufällig finden konnten.

Er wollte noch einmal kurz über die Schuppe streichen, während er sie Meira zurückgab, und es war dieser Moment, in beide die Schuppe mit beiden Händen berührten, als auf der Innenseite eine Inschrift erschien. Mit Tinte geschrieben war sie nicht, eher überaus präziese eingebrannt, und offenbar mit einem Zauber belegt, der dafür gesorgt hatte, dass sie erst sichtbar geworden war, als Jore und Meira allein gewesen waren.

Das Dorf am Fuß des Passes von Garbéth braucht dringend eure Hilfe. Es gab eine Schlacht, und irgendetwas, das sich nicht richtig greifen lässt. Geht dorthin, helft, wo ihr könnt, und haltet die Augen auf. Ich will versuchen, euch so gut wie möglich zu unterstützen, aber es scheint mir besser, mich zu diesem Zeitpunkt nicht zu zeigen.

Jore, der den Brief – denn nichts anderes war es – leise vorgelesen hatte, ließ die Hand mit der Schuppe sinken. „Wir brechen sofort auf, oder?“, sagte er, und Meira nickte schlicht.

I

Die Berge von Feyn lagen dort, wo das Reich Albeit im Westen endete. Schon vor hunderten von Jahren war die höchste Kette des Gebirges als Grenze festgelegt worden, doch nie hatte sie für mehr als ein paar Sommer und Winter Ruhe gefunden. Die fruchtbaren Täler auf der Seite Albeits weckten immer wieder das Begehren der Könige des benachbarten Reichs Onyl, denn die Dörfer dort hatten ihr Auskommen und standen für gute, verlässliche Steuereinnahmen. Die westliche Seite dagegen warf kaum etwas ab, die hohen Berge waren auch Wetterscheide, und die wenigen Menschen, die auf der Seite Onyls in den Bergen siedelten, konnten den kargen, trockenen Böden nur gerade eben abringen, was sie zum Leben brauchten.

Es gab nur wenige Wege, die über die Grenze führten, und der wichtigste war der Pass von Gárbeth, ein steiniger Pfad, der sich durch den tiefsten Einschnitt der Bergkette wand. Es war auch der einzige, der breit und fest genug war, um ihn mit vielen Männern und schweren Lasten zu gehen, deshalb hatte König Celtern von Onyl keine Wahl, als seine Soldaten dort entlang zu schicken, wenn er den Angriff auf Albeit wagte. Natürlich wusste König Archal von Albeit um die Gefahr, aber die Passhöhe war schwer zu sichern. Die Gegebenheiten machten es unmöglich, dort eine Festung zu errichten und so viele Soldaten zu versorgen, wie nötig gewesen wären, um den Überweg zu verteidigen. Um sein Land nicht völlig ungeschützt zu lassen, hatte König Archal im Tal eine Feste bauen lassen und eine Garnison aus bergerfahrenen Soldaten stationiert, die Angreifer aus dem Nachbarreich abfangen und zurück über die Grenze treiben sollte.

Wie oft König Celtern versuchte, sein Reich um die fruchtbaren Täler zu erweitern, konnte man erahnen, wenn man die Jugend der Dörfer fragte, welche kriegerischen Ereignisse sie in ihrem Leben schon gesehen hatten. Kvanagh, Sohn des Dorfvorstehers im letzten Dorf vor dem Anstieg, erlebte seinen siebzehnten Sommer, und er konnte sich an drei große Schlachten erinnern, die in der Nähe getobt hatten. Einmal hatte es einen Überfall in den ersten Frühlingstagen gegeben, und die Soldaten König Archals hatten die Eindringlinge erst zur Mitte des Sommers wieder vertreiben können.

Jeder dieser Überfälle hatte schwerwiegende Folgen für die Dörfer am Passweg. Überall wurden waffenfähige Männer zur Unterstützung der Garnison verpflichtet, Frauen, Kinder und Alte mussten die Feldarbeit allein bewältigen. Die Soldaten forderten Lebensmittel und Pferde, die Schmiede hatten Waffen zu fertigen, Gerber und Sattler Rüstungsteile, die Heiler behandelten die Verwundeten. Das Dorf, in dem Kvanagh lebte, war immer am schlimmsten betroffen, denn es lag ganz am Ende des Tals unterhalb des Passes von Gárbeth, noch näher am Anfang des Gebirgssteiges als die Feste der Garnison. Es war immer wieder diese Stelle, an der die Soldaten die Eindringlinge aus Onyl stellten, die Stelle, an der die Angreifer noch zusammengedrängt den Steig herabkamen, die Männer König Archals aber genügend Bewegungsfreiheit besaßen, um sie in die Zange zu nehmen. Jede Schlacht hinterließ dem Dorf verwüstete Felder, von denen allenfalls noch wenig Ernte zu erwarten war, und tote Soldaten, die schnellstmöglich bestattet werden mussten. Es kam immer wieder vor, dass spielende Kinder oder Frauen auf der Suche nach Pilzen, Kräutern und Beeren auf halb verweste Leichen oder Skelette stießen.

Auch in Kvanaghs siebzehntem Sommer schickte König Celtern seine Soldaten wieder über die Passhöhe. Es war eine kleinere Gruppe als noch ein Jahr zuvor, als er das Tal zuletzt überfallen hatte, aber sie war gut gerüstet und kam mit einer neuen Taktik. Es schien so, als hätte König Celtern schließlich eingesehen, dass es nicht gelingen konnte, die Garnison, die unten im Tal die Grenze sicherte, mit großer Macht zu überrennen, weil sich zu wenige seiner Soldaten gleichzeitig auf dem Steig bewegen konnten. Stattdessen hatte er die klügsten Köpfe seines Reiches beauftragt, etwas zu erfinden, das es seiner Armee ermöglichte, bis ins Tal vorzudringen, ohne auf dem Weg schon entscheidende Verluste zu erleiden.

Nun drangen die Soldaten im Schutz einer tragbaren Deckung vor, eines Verhaus aus Holz, der mit Metallplatten beschlagen war. Er bestand aus einzelnen Elementen, die leicht, aber trotzdem fest waren und einfach miteinander verhakt werden konnten. Die ersten Reihen hielten die Platten vor sich, die anderen über sich, es war nahezu unmöglich, auch nur einen einzigen Angreifer mit dem Pfeil zu treffen, und die Metallbeschläge schützten das Holz vor Brandpfeilen. Mit zwei Stacheln in den Boden gerammt und mit einem dritten verkeilt, waren sie in wenigen Augenblicken so fest verankert, dass König Archals Männer den Sturmangriff, der eine Bresche schlagen und den Kampf Mann gegen Mann eröffnen sollte, erfolglos abbrechen mussten. Nur zwei der Männer, die es versucht hatten, behielten ihr Leben und kehrten zurück, die anderen blieben tot zu Füßen der Eindringlinge liegen.

König Archals Mannen mussten zurückweichen, und Kvanagh befürchtet das Schlimmste für sein Dorf. Er wusste nicht, wovor er mehr Angst haben sollte – davor, nicht länger als Knabe verschont zu werden, wenn die Männer zu den Waffen gerufen wurden, oder vor Brandschatzung und Vergewaltigungen, wenn König Celterns Soldaten durchzogen?

Doch der Kommandant der Eindringlinge schien ein kluger Taktiker zu sein. Er wusste, dass die letzte Schlacht noch nicht geschlagen war, dass er die Disziplin seiner Soldaten wahren musste, und dass er seine Truppe verwundbar machte, wenn er gestattete, die Deckung zu öffnen, um über das Dorf herzufallen. Die Soldaten der Garnison waren zurückgewichen, aber sie waren noch in der Nähe. Die Kampfkraft, die sie durch den Verlust der Sturmspitze eingebüßt hatten, war nicht gravierend, auch wenn es gute Leute gewesen waren, und Verstärkung würde vielleicht einige Zeit brauchen, aber der Kommandant der Garnison konnte jederzeit nach ihr schicken und würde sie bekommen. Bis dahin mussten der Passübergang und das Vorland gesichert sein, um weitere Truppen aus Onyl nachführen zu können.

II

Die Menschen in Kvanaghs Dorf wussten, dass das Schicksal nur kurz an ihnen vorübergegangen war. Aus taktischen Erwägungen waren sie zunächst verschont worden, aber sollten die Soldaten aus Onyl tatsächlich die Oberhand behalten, dann würden sie sich schadlos halten. Nachrückende Soldaten, die wussten, dass sie an dieser Stelle mit keinem Widerstand zu rechnen hatten, würden rauben, was immer sie fanden, und ihre niedrigsten Gelüste an allen ausleben, derer sie habhaft wurden. Vielleicht würden sie die Umgebung über Wochen belagern, denn König Archal würde nicht zulassen wollen, dass König Celterns Soldaten auch nur einen Fuß breit weiter ins Land vorrückten, und ihnen weitere Truppen entgegenwerfen, die sie aufhalten sollten.

Kvanaghs Vater und die anderen wichtigen Männer des Dorfes berieten, was zu tun war. Dabei gab es eigentlich nichts, was sie hätten tun können: Sie konnten das Dorf nicht einfach im Stich lassen, nicht nur, weil es auf den Feldern zu viel zu tun gab und die Menschen auf die Ernte angewiesen waren, sondern auch, weil der einzig denkbare Unterschlupf, eine Höhle weit oben in einem engen Seitental, nicht für alle Platz bot. Man hätte höchstens Alte, Frauen und Kinder dorthin schicken können, aber das hätte die Gefahr für sie kaum verringert. Sobald die Vorräte, die sie mitführen konnten, aufgebraucht gewesen wären, wären sie darauf angewiesen gewesen, dass ihnen Nachschub gebracht wurde, eine Versorgungsroute, die nur zu leicht gekappt oder dazu verwendet werden konnte, das Versteck aufzuspüren. Kamen die Männer nicht mehr mit den Nahrungsmitteln durch, dann war den Menschen im Versteck der Hungertod sicher, und einmal entdeckt, wären sie einem Überfall schutzlos ausgeliefert gewesen. Nein, es blieb wohl nur, auszuharren, alles von Wert zu verstecken und auf die Soldaten König Archals zu hoffen. Die waren auch nicht zimperlich, wenn sie Hindernisse aus dem Weg räumten, Männer in die Armee zwangen oder Lebensmittel, Kleidung und die Dienste des örtlichen Heilers verlangten, aber sie wussten, was ihnen blühte, wenn sie eine verlässliche Steuerquelle des Königs zum Versiegen brachten.

***

Über zwei Wochen schwankten die Dorfbewohner zwischen Hoffen und Bangen. Bis jetzt schien das Glück auf ihrer Seite zu sein, rund um das Dorf wurde nicht gekämpft. König Celtern schien sich seiner Sache noch nicht sicher genug zu sein, um weitere Soldaten zu schicken, und die gut gerüstete Armee, die über den Pass gekommen war, hatte die von König Archal gesandten Verteidiger weiter ins Innere des Königreich zurückdrängen können. Wie es dort stand, erfuhren die Dorfbewohner nicht, so wichtig, dass man ihnen einen Boten geschickt hätte, der sie unterrichtete, waren sie nun doch nicht, und selbst jemanden auszuschicken, der die neusten Nachrichten einholte, schien zu gefährlich. Irgendwo tobte die Schlacht zwischen den Eindringlingen aus Onyl und der Garnison, die inzwischen sicherlich Verstärkung bekommen hatte, und die ausgesandten Boten hätten jederzeit unversehens mittendrin stehen können. Noch ehe sie Schreie und den Lärm der Waffen hörten, konnten sie schon Soldaten der einen oder anderen Seite in die Hände gefallen oder von einem verirrten Pfeil getroffen worden sein.

***

Die Verlagerung des Geschehens zurück an die Grenze kündigten Soldaten Onyls an, die einzeln oder in kleinen Gruppen dem Weg zur Passhöhe zustrebten. Ihr Zustand war fast schon Mitleid erregend, und Kvanagh konnte kaum Zorn empfinden auf die Männer, die gekommen waren, um sein Dorf und viele andere ihrem von Gier getriebenen König untertan zu machen. Die Soldaten waren abgekämpft und erschöpft, viele verwundet, die meisten nur gerade noch so in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Von der einst so starken Rüstung, den großen, verstärkten Schilden, die verkettet eine fast uneinnehmbare und doch bewegliche Festung gebildet hatten, und von den weit reichenden Langbögen war ihnen nichts mehr geblieben. Viele waren völlig unbewaffnet, entweder im Kampf ihrer Schwerter beraubt, oder sie hatten sie weggeworfen, weil sie wussten, dass sie, geschwächt wie sie waren, keinen Kampf gegen die Wache irgendeines Dorfes gewinnen konnten, und klug genug waren, frühzeitig zu zeigen, dass sie nicht kämpfen wollten.

In Kvanaghs Dorf ließ man sie unbehelligt, selbst die, die mitten durchs Dorf zogen, weil ihnen der Mut fehlte, es in schwierigerem Gelände zu umgehen. Sie stellten keine Gefahr mehr da, wozu also sich mit ihnen belasten? Man hätte sie nur bewachen und versorgen müssen, vielleicht über Wochen, ehe ein Gesandter des Königs entschied, was mit ihnen geschehen sollte. Kvanaghs Vater ließ lediglich die Wachen verstärken, die des Nachts patrouillierten, um zu verhindern, dass jemand im Schutz der Dunkelheit im Dorf zu stehlen versuchte, und gab Anweisung, alle Soldaten Onyls wegzuschicken, die um Quartier baten.

Alles andere war Aufgabe der Garnison. Offenbar war es ihr gelungen, eine Taktik zu entwickeln, die dichte Phalanx aus Schilden zu durchbrechen oder zu umgehen, möglicherweise hatte sie sich bewusst zurückgezogen, um den Feind an einen Ort zu locken, der für ihr Vorgehen besser geeignet war. Die Armee, die König Celtern geschickt hatte, schien vollständig aufgerieben worden zu sein, und sicherlich hatte der Anführer der Garnison für diesen Fall Anweisungen von seinem König, ob er sich damit zufrieden geben sollte, dass der Feind sich zurückzog. Kvanagh wusste, dass er es bald erfahren würde: Wenn die Garnison nachsetzte, dann musste sie in nächster Zeit das Dorf erreichen, und wenn sie nicht kam, dann war auch klar, dass sie den geschlagenen Feind ziehen ließ.

III

Die Garnison kam, als Kvanagh schon fast nicht mehr daran glaubte. Er hatte weder die Soldaten gezählt, die König Celtern über die Grenze geschickt hatte, noch die, die sich auf der Flucht vor König Archals Garnison in die Berge schleppten, aber es konnte nur ein Bruchteil sein, der es geschafft hatte, dem Schlachtfeld zu entkommen und sich bis zu den Bergen durchzuschlagen. Noch weniger würden tatsächlich die Heimat wiedersehen, der Weg zum Pass war steil, steinig und den Unbill der Witterung ausgesetzt. Die Natur würde gnadenlos die Schwachen und Unerfahrenen aussieben, nur die, die noch ein bisschen Kraft hatten und wussten, wie sie der unwirtlichen Umgebung zu begegnen hatten, hatten Aussichten, es bis zu den ersten Dörfern auf der anderen Seite der Grenze zu schaffen.

Die Schwäche des fliehenden Feindes spiegelte sich im Nachsetzen der Garnison wider. König Archals Männer folgten zwar den Resten von König Celterns Armee, aber sie gingen langsam vor und begnügten sich damit, die Soldaten aus Onyl auf den Pass zuzutreiben. Die Handvoll geschwächter Männer, die es vielleicht nach Hause schaffen würden, zu stellen und ihnen einen letzten Kampf aufzuzwingen, den sie nicht überleben konnten, war schlicht unnötig. Mit ihnen würde König Celtern keine Schlacht mehr schlagen, warum also die eigenen Soldaten unnütz der Gefahr aussetzen, in einem letzten Scharmützel verwundet oder getötet zu werden? Soldaten, die vielleicht bald wieder gebraucht würden, wenn König Celtern eine neue Armee aufstellte und nach Albeit in Marsch setzte?

Trotzdem wollte der Anführer der Garnison den Pass gesichert wissen, und schickte seine Soldaten den Mannen Onyls hinterher in die Berge. Kvanagh sah, dass der Anführer kleine Gruppen bilden ließ, die in Abständen vordrangen, und dass er zu ihrer Sicherung einige Männer auswählte, die aufgrund ihrer Erfahrung geeignet waren, mit leichter Bewaffnung abseits des Weges zwischen den Felsen aufzusteigen.

Alles in allem schien die Garnison Herr der Lage zu sein, und dem, was von der feindlichen Armee übrig geblieben war, war sie an Mannstärke und Frische in jedem Falle um ein Vielfaches überlegen. Kvanagh fühlte Erleichterung, denn sein Dorf, das sonst von den Angriffen aus Onyl am schlimmsten betroffen gewesen war, war diesmal fast völlig verschont geblieben. Tatsächlich gab es diesmal keinen Toten zu beklagen, niemand war verletzt, keine Frau von den durchziehenden Soldaten vergewaltigt worden. Selbst die materiellen Schäden waren kaum der Rede wert; mit ihrer Taktik, eng zusammengedrängt im Schutz der tragbaren Palisaden vorzudringen, hatten die Soldaten von König Celtern das Dorf passiert, ohne zu plündern, zu brandschatzen oder die Felder zu verwüsten. Zwei schmale Striche Acker waren zertrampelt worden, das Korn niedergetreten und nicht mehr zu retten, aber das waren Verluste, die kaum den Rahmen dessen sprengten, was die Bauern ohnehin in schwankendem Maße durch Unwetter und Tiere verloren. Auch auf dem Rückzug hatten die Soldaten aus Onyl sich nicht damit aufgehalten, die Dorfbewohner zu behelligen, und die Männer der Garnison hatten so wenig Mühe, ihnen nachzugehen, dass sie es sich leisten konnten, Rücksicht zu nehmen auf die Bauern.

***

In der Nacht nach dem Durchzug von König Celterns geschlagenen Soldaten wurde Kvanagh von einem unbeschreiblichen Lärm geweckt. Es war eine Kakophonie, wie er sie noch nie gehört hatte, Poltern, Gurgeln, Rauschen und Prasseln, alles zusammen, dazwischen Schreie, in denen Panik und Schmerzen lagen. Etwas schlug mit Wucht gegen die Mauer des Hauses, in dem Kvanagh mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern lebte, und die Balken erzitterten. Was ging da vor sich?

Mit einem Satz war Kvanagh aus dem Bett. Er sprang in seine Stiefel, schob sein Messer in den Gürtel und griff nach dem Speer, der neben der Tür lehnte. Wie jeder Junge im Dorf war er an Waffen ausgebildet worden, und wenn das Dorf angegriffen wurde, wenn Verstärkung aus Onyl gekommen war, um die Garnison zu überrennen, dann wurde jede Hand gebraucht. Nicht zu kämpfen würde den sicheren Tod bedeuten, denn eine Armee, die mit aller Gewalt über ein Dorf herfiel, ließ selten Überlebende zurück, und schon gar keine Männer im wehrfähigen Alter.