Der Fluch von Sherborne Hall - Selina Wilhelm - E-Book
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Der Fluch von Sherborne Hall E-Book

Selina Wilhelm

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Beschreibung

Ein Fluch, den nur der Tod zu überwinden scheint 1823 Dreizehn Jahre sind seit dem Ereignis vergangen, das Eowyn für ihr Leben gezeichnet hat. Um endlich Antworten zu erhalten, reist sie nach Antony House. Ethan, der Nachbarsjunge von damals kennt die Wahrheit. Er weigert sich Eowyn zu erzählen, was in dieser Nacht geschehen ist, und würde sie am liebsten in die nächste Kutsche zurück nach Hause setzen. Wären da nicht seine Schwester Hazel, die er unter allen Umständen von der Außenwelt abzuschotten versucht, und sein eigenes Herz, die ihm beide dabei einen Strich durch die Rechnung machen. Es ist jedoch nicht nur das Geheimnis jener Nacht, das Eowyn und Ethan miteinander verbindet. Ein vor über hundert Jahren ausgesprochener Fluch stellt ihre aufkeimende Liebe zueinander auf eine harte Probe und führt die beiden schließlich nach Sherborne Hall. -Grace wird in jedem Band eine Rolle spielen. Du kannst dieses Buch jedoch unabhängig von Band 1 lesen oder auch in verkehrter Reihenfolge. -Band 3 "Das Monster von Bleak Castle" erscheint voraussichtlich Mai/Juni 2023

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Das Buch
Über die Autorin
Zitat aus dem Buch
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Der Fluch
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Lieber Leser, liebe Leserin
Bisher veröffentlichte Romane der Autorin

S e l i n a W i l h e l m

 

 

 

Der Fluch von

Sherborne Hall

 

Historischer Liebesroman

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

Impressum

Selina Wilhelm, Soudronstr. 4, 76275 Ettlingen

© 2022 Selina Wilhelm

www.selina-wilhelm.de

[email protected]

Korrektorat:

Svenja Fieting | Lektorat, Korrektorat, Texte

E-Mail: [email protected]

Website: www.lektorat-fieting.de

Coverdesign und Umschlaggestaltung:

Florin Sayer-Gabor -www.100covers4you.com

 

Die Personen und die Handlung der Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

 

 

Das Buch

 

 

 

Ein Fluch, den nur der Tod zu überwinden scheint

 

1823

Dreizehn Jahre sind seit dem Ereignis vergangen, das Eowyn für ihr Leben gezeichnet hat.

Um endlich Antworten zu erhalten, reist sie nach Antony House. Ethan, der Nachbarsjunge von damals kennt die Wahrheit. Er weigert sich Eowyn zu erzählen, was in dieser Nacht geschehen ist, und würde sie am liebsten in die nächste Kutsche zurück nach Hause setzen.

Wären da nicht seine Schwester Hazel, die er unter allen Umständen von der Außenwelt abzuschotten versucht, und sein eigenes Herz, die ihm beide dabei einen Strich durch die Rechnung machen.

Es ist jedoch nicht nur das Geheimnis jener Nacht, das Eowyn und Ethan miteinander verbindet. Ein vor über hundert Jahren ausgesprochener Fluch stellt ihre aufkeimende Liebe zueinander auf eine harte Probe und führt die beiden schließlich nach Sherborne Hall.

 

 

 

 

 

Über die Autorin

 

Selina Wilhelm, geboren im April 1989, lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in der Nähe von Karlsruhe. Vor einigen Jahren entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben. Als Autorin schlägt ihre romantische Ader für historische Liebesromane. Ihre abenteuerliche Seite ist dem Genre Fantasy verfallen.

 

 

 

 

Zitat aus dem Buch

 

 

»Manchmal kommen uns vergangene Ereignisse vor wie Träume. Zunächst liegen sie klar und deutlich vor uns. Doch umso mehr wir sie festhalten wollen, je weiter entfernen wir uns von ihnen, bis die Konturen an Schärfe verlieren und sie schließlich nur noch einem Hauch gleichen, einer vagen Erinnerung.

Und dann, eines Tages, kommen sie zurück, präsenter denn je, werfen uns aus dem Gleichgewicht und lassen uns erkennen, dass wir uns nicht daran erinnern wollten.«

 

(Miss Grace Brown)

Prolog

 

Ethan wartete, bis die Uhr Mitternacht schlug, dann schlich er sich auf den Flur hinaus und lief zu dem Zimmer seiner Mutter.

Er drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür.

Bis auf das Knistern des Feuers im Kamin war es still.

Das Bett war leer. Enttäuschung machte sich in ihm breit. Er hatte sie seit Monaten nicht gesehen.

Seine Aufmerksamkeit fiel auf die Wiege, die neben dem Bett stand.

Auf Zehenspitzen schritt er über die Schwelle und schloss leise die Tür.

Neugierig, aber auch angsterfüllt, näherte er sich dem Bettchen. Der Gemütszustand seines Vaters hatte nichts Gutes zu bedeuten und er machte sich auf das Eintreten seiner schlimmsten Befürchtungen gefasst.

Schmerzhaft klopfte ihm vor Aufregung das Herz gegen die Brust.

Er musste an das Mädchen aus London denken. Ihr strahlendes Lachen, das ihn an die Sonnenblumen erinnerte, die hier auf den Feldern wuchsen und deren Anblick seine Mutter so sehr liebte.

»Ich werde nicht mit ihm gehen«, hatte er ihr mit durchgestrecktem Rücken gesagt. »Er kann mich nicht zwingen, dich zu verlassen.«

Eine Träne war die Wange seiner Mutter hinuntergelaufen. »Bald wirst du ein junger Mann sein und deinen eigenen Weg gehen. Du wirst ihm die Stirn bieten können, da bin ich mir sicher. Aber jetzt wird er dir und mir keine andere Wahl lassen.« Mit zitternden Händen hatte sie ihn an den Schultern gepackt. »Versprich mir, dass du ihn nicht zornig machen wirst.«

Um sie nicht zu enttäuschen, hatte er es ihr versprochen.

Wenige Tage später, als er mit seinem Vater in London angekommen war, hatte er sein Versprechen nicht länger halten können. Damals hatte er zum ersten Mal erfahren, was es bedeutete, wenn man den Zorn des Herzogs auf sich zog.

Er bemerkte nicht, dass er den Atem angehalten hatte, als er sich über die Wiege beugte.

Es war nur ein Moment, in dem er einen Blick auf sein Geschwisterchen werfen konnte. Von draußen ertönte ein Schrei. Ein Poltern. Dann Stille. Das Baby öffnete seine Augen.

Die Tür flog auf. Der Herzog stürmte ins Zimmer. Die Ader über seinem rechten Auge pochte und sein Gesicht war zu einer wutentbrannten Fratze verzogen. Instinktiv stellte sich Ethan vor die Wiege, doch der Herzog beachtete diese nicht. Seine Hand schloss sich schmerzhaft um Ethans Oberarm.

»Wir fahren nach London zurück«, ließ der Herzog verlauten und zog ihn mit sich.

»Aber …« Verzweifelt sah er zu seiner Schwester zurück, während er aus dem Zimmer gezogen wurde. In dem Moment erfüllte ein weiterer Schrei die Luft.

Kapitel 1

 

London, Stadthaus der Grahams, 1810

 

Geduld war nicht Eowyns Stärke.

Unruhig rutschte sie mit ihrem Po auf dem Stuhl hin und her und warf ihrer Zofe Henrietta einen unleidlichen Blick zu. Diese war dabei, Eowyns seitliches Haar mit Nadeln zu bändigen, die mit jeweils einer weißen Blüte verziert waren.

Eowyn seufzte laut und zupfte an dem hellblauen Band, dass ihr cremeweißes Kleid oberhalb der Taille zusammenhielt. Ihr mochte kein plausibler Grund dafür einfallen, warum man sich derart Mühe mit ihrem Haar machen musste. Sie war erst zehn Jahre alt, ging weder auf Bälle, um potenzielle Verehrer zu beeindrucken, noch waren sie heute zu einer Gesellschaft eingeladen.

»Es ist immer besser, sich früh genug in Geduld zu üben, mein Spatz«, pflegte ihre Mutter Amelia stets zu sagen, wenn ihre Tochter mal wieder mit halbfertiger Frisur vor ihr stand.

Da sie Amelia nicht wieder enttäuschen wollte, beschloss Eowyn, sich zusammenzureißen. Sie warf sich durch den Spiegel eine Grimasse zu, woraufhin Henrietta milde lächelnd den Kopf schüttelte.

Das unbeschwerte Lachen ihrer Schwestern drang durch die Tür, gefolgt von dem Trampeln ihrer Schritte.

Mit Eowyns hart erkämpfter Geduld war es endgültig vorüber und ihr Vorhaben, still sitzen zu bleiben, dahin. Sie sprang vom Stuhl, obwohl Henrietta gerade dabei war, ihr die nächste Nadel in das kastanienbraune Haar zu stecken.

»Fräulein Graham«, schimpfte diese mit einem Unterton, der nach Resignation klang. Da hatte Eowyn die Tür geöffnet und war bereits hinausgerannt.

Sie sah, wie ihre jüngeren Schwestern um die Ecke bogen und sich auf stürmische Art den Weg nach unten zum Salon ebneten.

Eowyn galt als Wirbelwind der Familie, aber Lara, Sara und Clara waren wie tosende Orkane. Selbst ihr gelang es zeitweilig kaum, mit ihnen mitzuhalten.

Als sie mit ihrem halbfertig zurecht gemachten Haar im Speisesalon ankam, hatten sich die drei schon auf ihre Stühle gesetzt und griffen gleichzeitig nach den Toastscheiben.

Eowyn empfand es immer von Neuem als faszinierend, ihre Schwestern nebeneinander zu sehen. Hier musste erwähnt werden, dass sie Drillinge waren – eineiige Drillinge, wohlgemerkt. Eine sah der anderen wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Die gleiche, ovale Gesichtsform, die übereinstimmende, neckische Nase und die identischen feinen Sommersprossen auf den Wangen. Dieselben blauen, aufgeweckten Augen, die Spaß und eine Menge Aufregung versprachen. Das Auffälligste an ihnen war ihr rot gelocktes Haar, das unter Kontrolle zu bringen ihre Zofen in regelmäßigen Abständen an den Rand der Verzweiflung brachte.

Ihr Vater Percy, Marquess of Norbury, war die Gelassenheit in Person. Zumindest, wenn es um das Verhalten seiner Töchter ging. Er blickte kurz von seiner Zeitung auf, zwinkerte seinen Kindern zu, ehe er wieder in die Welt der Neuigkeiten versank, die London zu bieten hatte. Er hatte Eowyn nicht bemerkt, die hinter ihm in der Tür stehen geblieben war.

Im Gegensatz zu ihrer Mutter Amelia. Diese drehte sich auf ihrem Stuhl zu ihr herum. Ein tadelnder, aber sanftmütiger Ausdruck legte sich über ihre blauen Augen.

Rasch versuchte Eowyn, eine Strähne mit einer losen Spange zu befestigen und warf Amelia dabei einen reuevollen Blick zu. Während ihr Vater helles, nahezu weißes Haar besaß, erstrahlte das ihrer Mutter in dem gleichen Rotton wie das der Drillinge.

Wenn sie alle zusammen unterwegs waren, fiel Eowyn mit ihren dunkelbraunen Haaren auf. Sie war wie die Nacht, denn ihre Haut war blass wie der Mond. Während der Rest der Familie, insbesondere die Drillinge, der Sonne gleichkamen.

Man hätte wohl über sie getuschelt, womöglich hätte man sie ein Kuckuckskind genannt und Amelia einer Affäre beschuldigt. Doch ihre Eltern hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Eowyn adoptiert hatten.

Tragischerweise war ihre leibliche Mutter Alice bei der Geburt gestorben und ihre Tante Heather hatte sich nicht in der Lage gefühlt, Eowyn allein großzuziehen.

Trotz Lara, Sara und Clara liebten Amelia und Percy Eowyn wie ihr eigenes Kind und sie war ihnen dafür im höchsten Maße dankbar.

Amelia konnte nicht oft genug betonen, wie sehr sie sich darauf freute, Eowyn in die Gesellschaft einzuführen. Ihr das strahlende Leben Londons zu zeigen und ihr bei der Suche nach einem geeigneten und liebenswürdigen Ehemann behilflich zu sein.

Eowyn selbst hatte es damit nicht eilig. Sie genoss die Zeit mit ihren wilden Schwestern. Die Vorstellung, wie die drei später einmal die Ballsäle aufmischen und die Gentlemen mit Verwechslungsspielen auf Trab halten würden, belustigte sie. Amelia hingegen wurde bei dem Gedanken daran, die Drillinge eines Tages im wahrsten Sinne des Wortes »an den Mann zu bringen«, eher schaurig zumute.

Percy indes äußerte stets gelassen: »Da mach dir keine Sorgen, mein Liebling. Es werden sich drei anständige Kerle finden, die ihrem Charme erliegen; außerdem –«, fügte er dann häufig mit einem Zwinkern in Eowyns Richtung hinzu, »– fällt ihre Mitgift so reichlich aus, dass die Herren kaum darüber nachgrübeln, ob sie sich vor ihrem Charakter in Acht nehmen müssen.«

Nicht selten erntete er dafür einen Seitenhieb mit Amelias Ellenbogen. »Sie sollen von ihren Männern um ihretwillen geliebt werden, nicht des Vermögens wegen, das sie mit in die Ehe bringen.«

Eowyn wusste, dass ihr Vater scherzte, aber das war so eine Art neckisches Herumalbern, wie ihre Eltern es gerne nannten.

Eowyn setzte sich an den freien Platz neben Sara und griff nach einer Scheibe Toast, als Amelia ein Seufzen von sich gab, das deutlich in ihre Richtung wies.

Zerknirscht blickte Eowyn zu ihr auf.

»Da muss Henrietta aber noch mal ran.«

Jetzt lag es an Eowyn, einen Seufzer auszustoßen, bevor sie an der Toastscheibe zu knabbern begann. »Mama. Ich möchte nach dem Essen gleich raus und mit den Katzenjungen spielen.« Ihre Katze Bibli hatte vor zwei Wochen Junge bekommen und sie war ganz und gar vernarrt in die Kleinen. Am liebsten würde sie die putzigen Fellknäule den ganzen Tag über betrachten und ihr weiches Fell streicheln.

»Das geht nicht, mein Spatz. Wir sind heute Vormittag mit der Schneiderin verabredet.«

Entsetzt ließ Eowyn die Scheibe Toast auf ihren Teller fallen. Die Drillinge hörten auf zu quasseln und ihr Vater ließ die Zeitung sinken. Er warf Eowyn einen mitleidigen Blick zu, ehe er nach seiner Tasse Kaffee griff.

Eowyn waren die Termine bei der Schneiderin ein wahrgewordener Graus. Es bedeutete stundenlanges Herumstehen, an sich herumfingern lassen und das Geplapper dieser Frau zu ertragen, die ihre Mutter auf den neuesten Stand der Stadtgespräche brachte.

»Aber Mama.« Sie zog einen Schmollmund. »Können wir das nicht verschieben?«

»Nichts, aber’! Es ist höchste Zeit, dass wir deine Garderobe nachrüsten. Du bist ordentlich gewachsen in den letzten Monaten und deine Kleider passen dir nicht mehr. Sieh dir deine Ärmel an.« Ihre Mutter deutete auf Eowyns Arme.

Eowyn betrachte die feine Spitze, die kaum mehr zu ihrem Handgelenk reichte. Es stimmte: Sie waren kurz geworden und unter den Achseln zwickte es ein wenig.

»Das stört doch niemanden«, seufzte sie, wohl wissend, dass sie nichts unternehmen konnte, was Amelia von dieser Folter würde abbringen können.

Amelias Augen funkelten vor Aufregung, was für Eowyn nichts Gutes bedeuten konnte.

Es war das Schlimmste zu befürchten.

»In wenigen Wochen findet das Gartenfest von Lady Totterby statt. Ich möchte dich gerne dorthin mitnehmen«, sagte sie, ohne Eowyns vorherigen Worten Beachtung zu schenken.

Die Drillinge neben ihr kicherten und widmeten sich dann wieder ihrer Mahlzeit. Eowyn verzog das Gesicht.

Amelia warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »Es wird nett für dich werden, du wirst sehen.«

 

Keine zwei Stunden später befand sich Eowyn inmitten ihres persönlichen Albtraumes. Während sie auf einem kleinen Podest stand und ihr eine Mitarbeiterin von Madame Bordeaux den Rocksaum mit Nadeln absteckte, unterhielt sich Amelia mit eben dieser.

Ihre Zofe Henrietta hatte ihr notdürftig die Haare gekämmt und die seitlichen Strähnen mit einer blauen Schleife nach hinten gebunden. Mehr war nicht machbar gewesen, bevor die Kutsche sie abgeholt hatte. Der Terminkalender von Madame Bordeaux war immer voll. Die feinen Herrschaften mussten nahezu ein Jahr im Voraus ihre Termine buchen. Nur gute Kontakte, die ein freundschaftliches Verhältnis zu der Inhaberin pflegten, bekamen kurzfristig einen Termin.

Amelia war einer dieser Kontakte.

Ganz zu Eowyns Missfallen.

Nach vier Stunden war diese Tortur dann endlich vorbei. Erschöpft von dem langen Beine-in-den-Bauch-stehen ließ sich Eowyn in die Polster der Kutsche sinken.

Amelia, die auf der anderen Seite Platz nahm, strahlte sie über beide Ohren an.

Mit einem Rucken setzte sich die Kutsche in Bewegung und brachte sie über Kopfsteinpflaster fahrend zurück zu ihrem Stadthaus.

»Die Kleider werden entzückend an dir aussehen, mein Spatz.« Amelia bemerkte, dass ihre Tochter sie mit einem anklagenden Schmollen ansah. »Jetzt schau mich nicht so vorwurfsvoll an. Du hast es überstanden und den Rest des Jahres verschone ich dich mit Madame Bordeaux«, versprach sie mit einem Schmunzeln.

»Ich denke, ich möchte nicht erwachsen werden.« Eowyn schob den Vorhang beiseite und schaute auf die Häuser, an denen sie vorbeifuhren. »Das ist ziemlich anstrengend.«

Amelia lachte leise.

»Glaube mir, mein Spatz. Das Erwachsensein hat auch seine Vorteile. Einen lieben Ehemann zum Beispiel, und Kinder.«

Als Eowyn zu Amelia sah, blickte diese sie voller Liebe an.

»Kinder ja, aber auf einen Ehemann kann ich verzichten«, sagte sie.

»Nun, den wirst du aber brauchen, um Kinder haben zu können.«

Eowyn schnaubte. »Muss ich ihn denn küssen?« Die Vorstellung war ihr noch mehr ein Graus als die Stunden bei Madame Bordeaux.

»Du wirst ihn küssen wollen.«

Eowyn schüttelte sich. »Nein, ich denke nicht, dass ich das will.«

»Du wirst sehen, in ein paar Jahren wirst du dich in einen Gentleman verlieben und es nicht erwarten können, bis er dir den ersten Kuss stiehlt.« Amelia beugte sich vor und legte ihre Hand auf Eowyns Knie. »Aber jetzt brauchst du dir darüber noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Es liegen acht Jahre vor dir, ehe du in die Gesellschaft eingeführt wirst. Genügend Zeit, in der du dich um junge Kätzchen kümmern und vor deiner Zofe davonrennen kannst.« Sie ließ sich zurück in ihr Polster sinken. »Die arme Henrietta ist erst fünfundzwanzig Jahre alt, aber ich muss fürchten, dass sie bis dahin graue Haare haben wird.«

Eowyns Laune hob sich. Acht Jahre – das klang nach einer langen Zeit.

»Darf ich noch ein wenig draußen bleiben, wenn wir nach Hause kommen? Die Kätzchen haben sich bestimmt schon gefragt, wo ich heute geblieben bin.«

Amelia betrachtete sie nachsichtig. »Aber natürlich. Bis zum Dinner.«

Die Kutsche kam vor ihrem Stadthaus zum Stehen. Seit drei Jahren wohnten sie, bis auf wenige Wochen im Winter, ausschließlich in London. Ihre Eltern liebten die Stadt und fühlten sich nicht auf das Land hinausgezogen. Ihr Vater Percy überließ die Verwaltung der ländlichen Anwesen seinen Pächtern, zu denen er größtes Vertrauen hegte.

Was wunderbar für Eowyn und die Drillinge war. Auch ihre Mutter war nicht abgeneigt, Percy das ganze Jahr über um sich zu haben. Die beiden hatten aus Liebe geheiratet und das sah und spürte man, immer wenn sie zusammen in einem Raum waren.

Der Marquess war ein herzlicher Mensch und er liebte seine wilden Sprösslinge. Manchmal, im Sommer, holte er sie früh am Morgen aus ihren Zimmern, schlich sich mit ihnen in den Garten und spielte mit ihnen barfuß Ball. Er benahm sich nicht wie andere feine Herren seines Standes, zumindest nicht, wenn er mit seiner Familie allein war. Er tobte mit seinen Töchtern durch die Gänge, wirbelte sie in der Luft herum – obwohl das zu Eowyns Bedauern bei ihr langsam nicht mehr möglich war – und spielte mit ihnen Verstecken.

Das helle Licht der Nachmittagssonne blendete Eowyn, als der Kutscher die Tür öffnete und erst Amelia und dann ihr beim Aussteigen behilflich war.

Sie war in ihren Gedanken schon hinten im Garten bei den Katzen, als sie gegen Amelias Rücken prallte, die unerwartet stehen geblieben war.

»Sieh mal.« Sie packte Eowyns Hand und zog sie sachte, aber bestimmend neben sich. »Der Herzog ist zurück«, flüsterte sie aufgeregt.

Eowyn brauchte einen Moment, um zu begreifen, wie Amelia zu diesem Schluss gelangt war.

Dann sah sie das pompöse Gefährt, das vor dem Nachbaranwesen gehalten hatte.

Der Kutscher band die Zügel fest und sprang herunter. Er setzte sich seinen Hut auf und öffnete den Verschlag. Zwei schwarze Lederstiefel, die glänzten wie eine übertrieben polierte Kricketkugel, erschienen auf der ausgeklappten Leiter, dann ein Gehstock, der mit goldenen Fragmenten verziert war.

Ein Gentleman stieg aus. Er musste älter sein als ihr Vater. An den Seiten war sein Haar ergraut. Eowyn konnte einen Blick auf eine kahle Stelle am Hinterkopf erhaschen, ehe er sich einen Zylinder aufsetzte.

Der Herzog blickte zu ihnen hinüber. Ein leichtes Nicken. Amelia durchfuhr ein Zucken, was Eowyn nur bemerkte, weil diese sie so dicht an sich gezogen hatte, als bestünde die Gefahr eines Ohnmachtsanfalls.

Der Herzog machte keine Anstalten, für einen Plausch zu den beiden herüberzukommen. Er marschierte mit seinem Stock durch den steinernen Torbogen, der zu seinem Anwesen führte und verschwand aus ihrem Sichtfeld.

Amelia zog Eowyn in Richtung ihres Hauses, blieb dann wieder stehen und Eowyn konnte eben noch verhindern, ein weiteres Mal in sie hineinzulaufen.

»Mama«, schimpfte sie.

»Ist das …?« Ihre Mutter schien überrascht. Da stieg noch jemand aus der Kutsche. Ein Junge mit schwarzem, kurzgeschnittenem Haar. Er musste älter sein als Eowyn.

Ihre Blicke trafen sich. Für einen kurzen Moment sah Eowyn in diese dunkelgrünen Augen, die sie an die Farbe des Mooses erinnerten, das auf den Rinden der Bäume wuchs.

Er sah traurig aus, schoss es ihr durch den Kopf, da war er auch schon durch den Steinbogen gegangen, durch den zuvor der Herzog verschwunden war.

Amelia zog sie am Ärmel. »Komm, wir müssen hinein.« Plötzlich schien sie es eilig zu haben.

 

»So eine unangenehme Person. Ein Schauer ist mir den Rücken hinuntergelaufen, sag ich dir.«

Mit diesen Worten hatte Amelia Percy überhäuft, sobald sie ihn eilig auf seinem Arbeitszimmer aufgesucht hatte. Eowyn war ihr gefolgt, weil sie unbedingt wissen wollte, wer dieser Junge war, den sie heute zum ersten Mal gesehen hatte.

»Er hat seinen Sohn mitgebracht. Ich habe den Jungen nicht mehr gesehen, seit der Herzog ihn mit seiner Mutter aufs Land verfrachtet hat.« Empört hatte Amelia den Kopf geschüttelt und Percy alles über die flüchtige Begegnung erzählt. »Er ist groß geworden. Wie alt wird er sein? Fünfzehn, sechzehn?«

Eowyn dachte noch immer an diese moosgrünen Augen, als sie kurze Zeit später durch den Garten schlenderte, eines der Kätzchen in den Armen. Genüsslich schmiegte sich das schwarz-weiß gefleckte Tierchen an ihre Hände.

Sie lief die Hecke entlang, die als Grenze zu dem Grundstück des Herzogs verlief. Durch die Gespräche ihrer Eltern wusste sie, wann dieser in seinem Stadthaus weilte. Gesehen hatte sie ihn erst wenige Male. Das letzte Mal war Jahre her, sodass sie ihn heute nicht einmal erkannt hatte.

Sie gelangte an die Stelle, an der eine schmale Lücke in der Hecke klaffte.

»Keine gute Idee, oder?«, fragte sie das Kätzchen leise. Doch es interessierte sich nicht für Eowyns Zerrissenheit. »Der Herzog macht einen grimmigen Eindruck. Er verspeist zum Frühstück bestimmt kleine Fellknäule wie dich.« Das Kätzchen gähnte und schmiegte sich dann wieder in Eowyns Armkuhle.

»Du bist aber keine große Hilfe.« Eowyn haderte. In den vergangenen Wochen hatte sie sich oft heimlich hinübergewagt. Dieser Teil des Gartens auf der anderen Seite war ein gutes Stück vom Haus des Herzogs entfernt. Trotzdem beschlich sie kurzweilig Unsicherheit. Außerdem wollte sie keinen Ärger riskieren. Ihre Eltern hatten ihr untersagt, hinüberzugehen. Schließlich schlich man sich nicht uneingeladen in fremde Gärten. Man schlich sich generell nirgendwo hinein oder hinaus.

Eowyn tat es leid, ungehorsam gegenüber ihren Eltern zu sein. Dieses Fleckchen aber, das sie dort gefunden hatte, war wunderschön und ließ in ihrer Vorstellungskraft wundervolle Geschichten entstehen.

Unmittelbar hinter der Lücke in der Hecke stand ein alter Kastanienbaum. Der Stamm war so dick, dass sie gut dreimal hätte darum fassen können. Sie liebte es, sich auf die aus der Erde emporgewachsenen Wurzeln der Baumdame zu setzen und zur Krone emporzublicken. Oder die wild wachsenden Blumen zu betrachten, die um den Stamm herumwuchsen. Das perfekte Plätzchen für das Zuhause von winzigen Gestalten mit glitzernden Flügeln, die von einer Blüte zur nächsten sprangen und sich ein Wettfliegen mit den Schmetterlingen lieferten.

Ein herrlicher Ort, um seinen Träumen nachzuhängen.

Immer noch unentschlossen, lugte sie durch den Spalt hindurch. Sie war verwundert, aber keinesfalls erschrocken, als sie den Jungen unter dem Baum sitzen sah.

Ihre Unsicherheit darüber, ob sie es wagen könnte, war dahin. Neugierig trat sie auf die alte Kastaniendame und den Jungen zu. Er saß auf der Wurzel, die sich weit aus der Erde erhob und eine hervorragende Sitzgelegenheit bot. Mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, blickte er zu der Baumkrone, durch die die Nachmittagssonne blinzelte.

Eowyns Aufmerksamkeit fiel auf das Stück Holz und dass Messer, das er in den Händen hielt. Vor seinen Füßen im Gras lagen winzige Holzspäne verstreut.

Das Knacken eines Astes unter ihren Schuhen verriet ihre Anwesenheit.

Der Junge unterbrach seine Tätigkeit und sah sie an.

Einen kurzen Moment erschrak Eowyn, dann lächelte sie schief und brachte ein unsicheres »Hallo« hervor.

Aus dem Gesichtsausdruck des Jungen konnte sie nicht schließen, ob ihm ihr Auftauchen missfiel oder ob er einfach nur überrascht war.

Er zögerte, erwiderte dann die Begrüßung mit einem tonlosen: »Hallo.«

»Ich bin Eowyn, ich wohne da drüben.« Sie zeigte mit einer Hand auf die Hecke, während sie mit der anderen das Katzenjunge an ihre Brust hielt. »Du bist der Sohn des Herzogs, richtig?«

Die Lippen des Jungen verzogen sich verdrießlich. »Ja«, antwortete er knapp.

»Wie heißt du denn?«

»Ethan.«

»Das ist ein hübscher Name«, stellte sie fest.

Ein vages Lächeln huschte über Ethans Gesicht. »Du hast auch einen hübschen Namen.«

»Danke.« Sie wagte es, ein Stück näher heranzutreten. Sie sah seine aufgeplatzte Augenbraue über dem linken Auge. »Du bist verletzt.« Instinktiv streckte sie ihre freie Hand nach seiner Wunde aus.

Sofort drehte sich Ethan von ihr fort. »Das ist halb so schlimm«, murmelte er.

Eowyn hielt inne. »Tut es denn sehr weh?«, fragte sie besorgt.

»Es geht. Ich habe mir vorhin den Kopf an einem Türrahmen gestoßen, das ist alles.«

Sie dachte daran, dass ihr das auch schon häufiger passiert war, wenn sie mit ihren Schwestern zu ausgelassen durch die Flure gerannt war. Aber nie hatte sie danach so schlimm ausgesehen.

Ethans Blick fiel auf das Fellknäuel in ihren Armen.

»Möchtest du sie streicheln?« Eowyn wollte den Jungen aufmuntern, der offensichtlich niedergeschlagen war. Das wäre sie bei einem so heftigen Sturz, wie er einen erlebt haben musste, wohl auch gewesen. »Das ist Hoheit.« Sie hob ihm das Katzenjunge hin. »Sie mag es, hinter den Ohren gekrault zu werden.«

»Hoheit?« Der amüsierte Ausdruck in Ethans Augen bereitete ihr Freude. Sie nickte. »Ja, sie hat es sich zur Angewohnheit gemacht, immer so –«, sie reckte lachend ihr Kinn nach oben, »– durch die Gegend zu stolzieren.« Sie sah wieder zu Ethan. »Aber ich habe ihr gesagt, dass sie das bei den anderen Katzen nicht sonderlich beliebt machen wird, und bin dabei, es ihr abzugewöhnen. Du kannst sie gerne halten; sie ist nicht schüchtern, nur verwöhnt. Außerdem hat sie ganz weiches Fell, weil sie noch so jung ist.«

Zögernd legte Ethan seine Schnitzerei neben sich auf den Stamm und nahm Eowyn Hoheit aus den Armen. Er begann, das Kätzchen hinter den Ohren zu kraulen. »Du hast recht«, sagte er. »Das Fell ist ganz weich.«

Für einen Moment schien Ethan ganz vertieft darin zu sein, für Hoheits Wohlergehen zu sorgen, dann blickte er Eowyn unerwartet an. Seine Stirn zog sich in Falten.

»Was machst du hier?«

»I-Ich …« Verlegen kratze sich Eowyn am Handgelenk und beschloss dann, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. »Ich mag diesen Ort hier. Da vorne ist ein Loch in der Hecke, es will nicht zuwachsen.« Für Eowyn war das ein klares Zeichen des Schicksals, dass dieser Teil nicht mehr zusammenwachsen wollte, nachdem vergangenes Jahr bei einem Sturm ein Baum darauf gestürzt war. Ihre Eltern allerdings waren nicht begeistert gewesen, als sie von ihren Ausflügen in den Nachbarsgarten erfahren hatten.

»Findest du nicht, dass dieser Ort hier etwas Magisches hat?«

Ethan sah sich um, als versuchte er, Ebensolches zu erkennen.

Eowyn wusste, dass ihre Vorstellungskraft recht ausgeprägt war. Da Ethan ein ganzes Stück älter war als sie, war sie nicht enttäuscht, dass er ihre Fantasie nicht teilte. Sie wusste zu gut, dass sie eines Tages – zu ihrem größten Bedauern – diesen Teil ebenfalls verlieren würde. Das brachte das Erwachsenwerden mit sich.

Stattdessen machte sie sich mehr Sorgen, er könne ihr Geheimnis ausplaudern. »Bitte sag es nicht deinem Vater oder meinen Eltern, sonst sind sie böse auf mich«, bat sie ihn vorsichtig. Ethan machte einen netten Eindruck, doch nach fünf Minuten war es ihr unmöglich, ein abschließendes Urteil über seinen Charakter zu bilden.

»Ich verspreche es dir.« Wieder sah er zu den Blättern empor. »Es ist tatsächlich sehr schön hier. Ich kann verstehen, dass du gerne hier bist.«

Eowyn war zutiefst erleichtert, dass er sie nicht verpetzen wollte. Neugierig beugte sie sich vor. »Was machst du da?« Sie deutete auf das Stück Holz.

»Das wird ein Pferd. Ein Geschenk für meinen Bruder oder meine Schwester. Meine Mutter erwartet ein Kind.«

»Das sind ja wundervolle Neuigkeiten. Zeigst du es mir, wenn es fertig ist?«

Er schmunzelte. »Klar.« Ethan schien sich über ihr ehrliches Interesse zu freuen. »Der Stalljunge, der bei uns auf Antony House lebt, hat es mir beigebracht. Ich bin nicht so gut wie er, aber es macht Spaß und ich übe.«

Für Eowyn sahen die Umrisse des Pferdekopfes schon ziemlich gut aus. »Mir gefällt es. Dein Papa ist sicherlich stolz auf dich.« Eowyn zumindest kannte nicht viele Jungen seines Gesellschaftsranges – eigentlich keinen – dem derlei Tätigkeiten Vergnügen bereiteten.

Das Lächeln auf Ethans Lippen erlosch. Nach einem kurzen Blick auf sein Schnitzwerk sah er auf Hoheit, die sich wohlig auf seinem Schoß zusammengerollt hatte und die Aufmerksamkeit genoss.

»Der Herzog erlaubt es mir nicht. Er sagt, es sei der Zeitvertreib der niederen Angestellten und nicht der seines Sohnes.«

»Kommst du deshalb hierher, weil er es hier nicht sehen kann?«

»Der Herzog würde niemals in diesen Teil des Gartens kommen. Es gibt keinen Weg hierhin und über den Rasen laufen kommt für ihn nicht infrage. Ich habe den Baum entdeckt, als ich aus dem Fenster in meinem Zimmer geschaut habe.«

Aufregung erfasst Eowyn. »Dann ist das jetzt unser Geheimtreffpunkt, ja?« Sie mochte Ethan und was war spannender als ein wohlbehütetes Geheimnis?

Ethan streckte seine Hand aus und wartete, bis Eowyn ihre hineinlegte.

Er lächelte wieder. »Abgemacht.«

Kapitel 2

 

»Bist du wieder hingefallen?«

Eowyn grübelte, ob dieser Ethan womöglich mit reichlich Tollpatschigkeit ausgestattet worden war. Dabei machte er auf sie nicht den Eindruck, dass er übermäßig ungeschickt wäre.

Seit ihrer ersten Begegnung war eine Woche vergangen. Seitdem hatte sie ihn ein Mal unter der alten Kastanie angetroffen. Bei ihrer letzten Begegnung war sein Auge fast verheilt gewesen.

Das Messer, mit dem er eifrig an seiner Holzfigur arbeitete, kam zum Ruhen.

Statt ihr auf ihre Frage zu antworteten, stellte er fest: »Du bist gut darin, dich anzuschleichen.«

Eowyn bückte sich und setzte Hoheit auf dem Rasen ab. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und betrachtete zugleich mit Sorge Ethans neue Errungenschaft. Dieses Mal war es die andere Seite, die eine blutige Kruste auf der Augenbraue aufwies.

»Ich habe mich nicht angeschlichen«, verteidigte sie sich.

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über Ethans Lippen.

Er legte das Messer und das Stück Holz beiseite, an dem eindeutig der Rumpf des Pferdes zu erkennen war, und sah sie an. Er war um einiges größer als Eowyn. Deshalb waren sie auf Augenhöhe, obwohl er auf der Kastanienwurzel saß und sie vor ihm stand.

»Du solltest nicht hierherkommen, wenn der Herzog hier ist.«

Da war sie wieder, diese Niedergeschlagenheit, die sie in seinen Augen wahrzunehmen glaubte, die sie aber nicht einzuordnen vermochte. Für sie hatte der Junge keinen Grund, traurig zu sein.

»Ich bin vorsichtig. Meine Eltern dürfen mich nicht erwischen, das wäre schlimmer.«

Ethan wurde blass um die Nase und Eowyn fürchtete, er würde ihr gleich von der Wurzel rutschen.

»Schlimmer?«, fragte er ungläubig. »Hast du denn keine Angst vor dem Herzog wie all die anderen?«

Eowyn dachte darüber nach. Ja, der Anblick seines Vaters hatte ihr eine Gänsehaut beschert, aber Angst? Nein, Angst hatte sie keine vor ihm.

»Was meinst du mit, all den anderen’?« Sie erinnerte sich daran, dass ihre Eltern nicht angetan von seiner Person waren, aber dass sie sich vor ihm fürchteten, hatte sie bisher nicht aus ihren Worten heraushören können.

Ethan zuckte mit den Achseln. »Alle anderen eben. Die Leute, mit denen er zu tun hat. Keiner traut sich, einen Einwand gegen seine Meinung zu erheben, und erst recht nicht gegen seine Person.«

»Warum nicht?«

Ethans Stirn legte sich in Falten, als verstünde er ihre Frage nicht. »Na, weil er ein Herzog ist. Einer, der es versteht, jeden zu ruinieren, der ihm in die Quere kommt.«

Das war eine furchtbare Vorstellung. Ihr wollte aber nicht einfallen, warum der Herzog so etwas Gemeines tun sollte, bloß weil man anderer Meinung war als er.

»Ist er mit dem Königshaus verwandt?«, fragte sie daher.

Ethan lachte laut auf. »Nein. Trotzdem kann er jedem das Leben zur Hölle machen.«

Eowyn dachte darüber nach.

»Das ist nicht in Ordnung, oder?« Sie hatte keine Ahnung von den Machenschaften und der Politik der Erwachsenen und das Gespräch mit Ethan erinnerte sie wieder einmal daran, dass sie es bevorzugen würde, für immer ein Kind zu bleiben.

»Nein«, gab er ihr recht. »Das ist nicht richtig, aber eben auch nicht zu ändern.«

»Fürchtest du dich denn vor deinem Vater?«

Sie konnte sehen, wie die Farbe daraufhin aus seinem Gesicht wich, seine Augen jeglichen Glanz verloren.

Er antwortete nicht darauf und sie beschloss, nicht weiter neugierige Fragen zu stellen. Sie mochte Ethan und wollte nicht, dass er sie für lästig hielt.

Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Ich komme auch gerne her, wenn mich meine Schwestern nerven. Sie würden mich hier nie suchen. Ich glaube, sie wissen nicht einmal, dass es den Baum gibt. Was gut ist, denn eine von ihnen würde sich sicherlich bei unseren Eltern verplappern und das eher früher als später. Natürlich nicht mit Absicht, aber sie quasseln immer so fiel und …«

Sie musste kichern. »Ja, ja, ich plappere auch. Warum bist du gerne hier? Ich meine, außer weil dein Vater dich hier nicht sehen kann, wenn du diese wunderschönen Schnitzereien anfertigst?

Ein wenig Farbe kehrte in Ethans Gesicht zurück.

»Wunderschön? Findest du das nicht übertrieben?« Skeptisch betrachtete er die Holzfigur, die neben ihm lag.

»Also ich finde …«

»Ethan!«

Der einschneidende Laut ließ ihn zusammenzucken. Eowyn durchfuhr eine Gänsehaut.

Ethan sprang auf, wobei er sie beinahe umrempelte.

»Verschwinde von hier«, zischte er leise und schnappte sich sein Schnitzwerkzeug.

»Ethan!«, polterte es erneut.

Eowyn, die seine Reaktion übertrieben fand, lehnte sich stattdessen so zur Seite, dass sie an Ethan vorbei um den mächtigen Baumstamm lugen konnte. Der Herzog stand vor einem der französischen Fenster, die zum Garten hinauszeigten. Das war ein ganzes Stück entfernt, doch nah genug, dass sie erkennen konnte, dass er einen Arm angewinkelt hatte. In der Hand hielt er eine Zigarre, aus der Qualm in die Luft stieg.

Eowyn erschrak, als sich Ethans Hände um ihre Oberarme legten.

»Verschwinde hier.« Seine Worte kamen einem Flehen gleich.

Eowyn hatte kaum Gelegenheit, daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen, da drehte er sie von sich fort in die entgegengesetzte Richtung und gab ihr einen unsanften Schubser.

Plötzlich von der Panik erfasst, die sie in seinen Augen gesehen hatte, schnappte sie sich Hoheit und rannte, ohne sich umzudrehen, auf den Spalt zu.

Schwer atmend kam sie auf der anderen Seite an und setzte Hoheit auf dem Boden ab. Sie hielt sich die Hand an die pochende Brust und ließ sich gegen die Hecke sinken. Die Spitzen der feinen Ästchen bohrten sich in ihren Rücken.

»Du ungezogener Nichtsnutz!«

Die harschen Worte, die gedämpft zu ihr drangen, ließen sie zusammenzucken.

»Sagte ich dir nicht, du sollst das Haus nicht verlassen?«

Von Neugierde und Angst getrieben, drehte sich Eowyn herum. Sie grub ihre Hände in das Geäst der Hecke und schob die Blätter beiseite, bis sie einen Blick in den Nachbargarten werfen konnte.

Was sich dort abspielte, brachte sie zum Weinen. Die heißen Tränen ergossen sich über ihre Wange, als sie sah, wie der Herzog seinen Sohn derart heftig eine Ohrfeige verpasste, dass Ethan daraufhin zu Boden stürzte. Ein Tritt folgte.

Ethan krümmte sich. Er war zu weit fort, als dass Eowyn erkennen konnte, wohin er sah, doch sie hätte schwören können, dass er direkt in ihre Richtung blickte.

Ein Moment, in dem die Welt um sie herum stillstand.

Doch so schnell war er auch wieder vorbei. Der Herzog packte seinen Sohn am Oberarm, zog ihn auf die Füße und ins Haus hinein.

Die Stimmen ihrer Eltern durchdrangen die Schockstarre, in die Eowyn verfallen war.

Sie wischte sich die Tränen fort und rannte die Hecke entlang zum Eingang, durch den Amelia und Percy gerade hereinkamen.

Statt, wie von Eowyn erwartet, in erholte und strahlende Gesichter zu blicken, waren die Lippen von Percy mit einem schmalen Strich versiegelt und Amelia hatte ganz glasige Augen.

Atemlos kam Eowyn vor ihnen zum Stehen. Sie streckte ihren Arm aus.

»Mama, Papa. Ihr müsst ihm helfen. E-Er hat ihn ganz schlimm geschlagen und nach ihm getreten. Bitte –« Weiter kam sie nicht. Amelia jappste auf und schlang sie in die Arme.

»Du hast das mitangesehen?«, wisperte sie entrüstet.

Unter Tränen nickte Eowyn und stieß sich dann von ihr fort. »Ihr habt das auch gesehen?«

Zur Straße hinaus waren das Anwesen des Herzogs und ihrer Eltern nicht durch eine Mauer, sondern einen hohen Eisenzaun umgeben, durch den man einen guten Blick in die Gärten erhaschen konnte.

»Das haben wir.« Mit einem zornigen Funkeln in den Augen sah Percy zu dem Nachbaranwesen hinüber.

»Ihr müsst ihm helfen.«

Sanft packte Amelia sie bei den Schultern. »Komm, wir gehen erst einmal hinein.«

»Aber …«

»Bitte, lass uns im Haus darüber sprechen.« Widerstandslos ließ sich Eowyn von ihren Eltern hinein begleiten.

 

»Aber wieso nicht?« Wieder war Eowyn den Tränen nahe. Kaum auszudenken, was Ethan ertragen musste. Sie stellte sich vor, wie der Herzog ihn im Haus, dort, wo es niemand sehen konnte, weiter schlug.

»Der Herzog ist ein mächtiger Mann.« Amelia ergriff Eowyns Hand, die zitternd auf ihrem Schoss lag. Sie hatten sich in den Salon zurückgezogen und die Drillinge zum Spielen hinausgeschickt.

Percy stand vor dem Fenster. Er ließ den Vorhang wieder an seinen Platz gleiten und drehte sich zu den beiden herum.

»Was der Herzog da tut, ist Unrecht, oder? Du und Papa habt uns nie geschlagen.«

»Und das würden wir auch niemals.« Percy ballte die Fäuste und lief dann vor dem Kamin auf und ab. »Wenn ich dem Jungen helfen könnte, dann würde ich das tun.«

»Warum kannst du es denn nicht?« Für Eowyn war das einfach. Percy müsste zu dem Herzog hinüber gehen. Er war größer und stärker gebaut. Das sollte doch ausreichen.

»Weil deine Mutter recht hat. Der Herzog ist ein mächtiger Mann. Er würde uns mit einem Schlag alle ruinieren, wenn wir uns in seine Familienangelegenheiten einmischen.«

»Du meinst, wir müssten dann aus London fort?« Für Eowyn war das in diesem Moment ein leicht hinzunehmendes Schicksal.

Bedauernd schüttelte Percy den Kopf. »Es geht hierbei nicht um meinen Ruf und den deiner Mutter. Das Leben von dir und deinen Schwestern wäre ebenfalls ruiniert und das kann ich nicht riskieren.«

»Aber er leidet furchtbar.« Eowyn grub das Gesicht in ihre Hände und schluchzte.

»Es tut mir leid, meine Kleine.« Sie spürte die Hand ihres Vaters, die sich sanft auf ihre Schulter legte. »Ethan ist fast ein junger Mann. Er wird nicht mehr lange unter … er wird sich das nicht mehr lange gefallen lassen müssen.«

Eowyn war schockiert, traurig und entsetzt zugleich. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Dass ein einzelner Mann derart viel Macht besaß, ihre liebe Familie in den Ruin zu stürzen, war für sie kaum vorstellbar.

Als Ethan ihr kurz zuvor gesagt hatte, dass jeder in London den Herzog fürchtete, hatte sie gedacht: »Meine Eltern bestimmt nicht.«

An diesem Abend weinte sie sich leise in den Schlaf und als sie endlich ins Land der Träume glitt, war es Ethans Gesicht, das sie vor sich sah.

Und seine traurigen, moosgrünen Augen.

Kapitel 3

 

Ein Regentropfen fiel auf ihre Nasenspitze. Ein Zweiter landete auf ihrer Stirn. Sie beschleunigte ihre Schritte und lief die Hecke entlang.

Nach dem, was sie vor drei Tagen hatte mitansehen müssen, und was ihre Eltern ihr erzählt hatten, war sie nicht imstande gewesen, Ethan gegenüberzutreten. Sie hatte schlichtweg nicht gewusst, wie sie sich ihm gegenüber hätte verhalten sollen.

Das wusste sie noch immer nicht. Eines aber war für sie klar: Sie wollte für Ethan da sein, ihm eine Freundin sein. Sie hatte sich vorgenommen, ihn zum Lächeln zu bringen. Vielleicht gelang es ihr ja, ihn in ihr Reich der Elfen und Feen zu entführen, damit er seine Welt für einige Zeit vergessen konnte.

Sie wusste, dass diese Geschöpfe ein Konstrukt ihrer Fantasie waren. Warum aber sollte sie nicht zulassen, dass sie sich hin und wieder in der aus ihrer Vorstellungskraft erbauten Welt verlor?

Sie kannte Ethan nicht lange, doch er hatte bereits einen großen Platz in ihrem Herzen eingenommen und Eowyn gehörte nicht zu den Personen, die allzu leicht einem anderen Menschen Zutritt hinein gewährte.

Diesen Ludwig zum Beispiel, der in ihrem Alter war und wenige Häuser entfernt wohnte, konnte sie nicht ausstehen. Er streckte ihr immerzu die Zunge heraus und seine Mutter war die größte Klatschbase Londons, wie wiederum Amelia zu sagen pflegte.

Eowyn spähte um die Ecke, dort, wo man in den Garten des Herzogs gelangte. Sie hoffte inständig, Ethan säße unter der Kastanie. Am Vormittag hatte sie ihn nicht angetroffen und war enttäuscht wieder ins Haus zurückgekehrt. Sie hatte nicht einmal Lust gehabt, mit den Katzen zu spielen.

Jetzt am Nachmittag hatte sie Glück. Er saß auf der Wurzel des Baumes und war in seine Schnitzerei vertieft. Feine Späne rieselten zu Boden vor seinen Füßen. Er hielt mit seiner Arbeit inne und hob den Kopf.

Erneut war ihr zum Weinen zumute, als sie seine aufgeplatzte Oberlippe sah.

Doch wider Erwarten huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

Er freute sich darüber, sie zu sehen.

Diese Erkenntnis machte ihr Mut.

»Dieses Mal kein Kätzchen dabei?«, fragte er.

»Sie mögen den Regen nicht.« Eowyn hielt eine Handfläche hoch und fing ein paar Tropfen ein. Dann trat sie zu ihm unter die Krone des Baumes, wo sie vor dem stetig stärker werdenden Spätfrühlingsregen geschützt waren.

Sie zögerte, bevor sie all ihren Mut zusammennahm und sich neben ihm auf der Wurzel niederließ. Die Wurzel war groß genug, dass zwei Kinder darauf Platz hatten.

Für einen Moment saßen sie einfach da, blickten geradeaus in Richtung der Hecke und lauschten dem Regen, der auf den Blättern über ihnen Musik spielte.

»Tut es noch weh?«, wagte Eowyn schließlich zu fragen.

Ethan fuhr sich mit dem Finger über die Lippe. »Nein. Nicht allzu sehr.«

Aufgeregt nestelte Eowyn an dem Stoff ihres hellblauen Kleides. Hübsche, winzige weiße Gänseblümchen waren darauf gestickt. Es passte perfekt zu der Schleife, die ihre Haare zusammenhielt.

»Warum tut dein Vater das?« Sie hatte Sorge, dass Ethan gehen würde, weil sie zu neugierig war. Stattdessen stieß er einen Seufzer aus, legte das Schnitzwerkzeug auf seinen Schoß und lehnte sich gegen den Stamm.

»Du hast es also gesehen? Ich bin nicht sicher gewesen.«

Ein Tropfen fand seinen Weg durch das Blättergeäst und kullerte seine Wange hinunter.

Ein trauriger Prinz, dachte Eowyn bekümmert. Es sah aus, als wäre es eine einsame Träne, die er vergoss.

Rasch blickte sie auf ihre Füße, die eine Handbreit über dem Boden baumelten. »Ja, habe ich.«

»Es tut mir leid.«

Sie sah ihn an. »Das muss dir nicht leidtun«, rief sie. »Ihm sollte es leidtun. Ich verstehe nicht … Warum tut er dir weh?«

Sie betrachtete den älteren Jungen, der bald erwachsen sein würde, genauer. Die Farbe in seinem Gesicht war blasser, als gut zu sein schien. Leicht gräulich, als wäre er längere Zeit krank gewesen.

Ein trauriger und gefangener Prinz, der gerettet werden musste.

Nun sah er sie an, auf eine liebevolle Weise, die ihr das kleine Herz zu brechen drohte.

»Weil er wütend ist«, sagte er.

»Auf dich?«

»Auf mich und auf alle anderen, schätze ich. Aber vor allem …« Er stockte. »… wegen dieses Fluchs.«

»Ein Fluch?« Eowyn wollte sicher sein, dass sie ihn richtig verstanden hatte.

Ethan nickte. »Es ist knapp hundert Jahre her, da hat eine Frau unsere Familie verflucht. Seitdem …« Jetzt runzelte er die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen sollte. Am Ende bekommst du davon Albträume.«

»Keine Albträume«, beteuerte Eowyn rasch. »Bitte erzähl mir von dem Fluch.«

Ihre Neugierde war geweckt. Das versprach eine spannende Geschichte zu werden. Sie vergaß für einen Moment den Herzog und sein verabscheuungswürdiges Verhalten gegenüber seinem Sohn.

»Ich verrate es dir, aber du musst mir versprechen, dass du niemandem davon erzählst. Niemandem!«

Hastig nickte sie. »Versprochen.«

»Nun gut. Aus Eifersucht, weil ihre Liebe zu meinem Ururgroßvater nicht erwidert wurde, hat eine Frau einen grausamen Fluch über meine Familie verhängt. Seither kommen alle weiblichen Nachfahren entstellt auf die Welt. Ihre Gesichter sind rau und schuppig oder vernarbt, als hätten sie Verbrennungen erlitten.«

Eowyn verzog das Gesicht und versuchte, sich diese Art von Entstellung vorzustellen. »Das klingt grauenvoll.«

»Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich war in deinem Alter, als ich meine Cousine Isabelle zum ersten Mal sah. Ich habe einen riesigen Schrecken bekommen. Soweit ich weiß, geht sie mittlerweile kaum aus dem Haus und wenn, trägt sie immer einen Schleier. Meine einzige Tante – Lisbeth, ich habe sie nie kennengelernt – brachte sich wegen dieser Entstellung sogar um. Sie war damals keine fünfzehn Jahre alt gewesen, als sie sich die Adern aufgeschnitten hat. Der Herzog hat sie damals gefunden. Ich glaube, dieser Verlust veränderte ihn, machte ihn zu dem Mann, der er heute ist. Mir hat er nie von seiner Schwester erzählt, aber meiner Mutter vor einiger Zeit. Sie sagte mir, dass sie in seinen Augen habe sehen können, dass er sie sehr geliebt haben musste. Die Augenblicke, in denen er von Lisbeth sprach, waren die einzigen, in denen sie so etwas wie eine Gefühlsregung in ihm erkennen konnte.“

Eowyn stellte sich den Herzog vor, dessen Herz durch den Tod seiner geliebten Schwester für immer gebrochen war. In diesem Moment empfand sie Mitleid für den Mann, der seinen Sohn auf so eine grausame Art und Weise behandelte.

Dann, von unbekanntem Zorn und auch Verzweiflung erfüllt, sprang sie auf. »Fluch hin oder her. Dein Vater hat nicht das Recht, seine Wut an dir auszulassen. Du hast verdient, dass er dich liebt. Er darf dir nicht wehtun.«

Die Art, wie Ethan sie nach ihrem Ausbruch ansah, ließ sie erschaudern. Verlegen setzte sie sich wieder neben ihn.

»Bitte entschuldige«, murmelte sie. Sie erstarrte, als sie seinen Handrücken auf ihrer Wange spürte.

»Ich bin froh, dass deine Eltern gut zu dir sind. Ich würde es ihnen nicht verzeihen, wenn sie dir deine Fröhlichkeit nehmen würden.«

»Aber ich bin gerade nicht fröhlich. Ich bin sehr traurig.«

Er lächelte. »Du musst dir um mich keine Sorgen machen.«

Sie sah seine aufgeplatzte Lippe und dachte, dass das nicht stimmte. Aber ihr war auch bewusst, dass sie das lieber für sich behalten sollte.

»Du vermisst deine Mutter sehr, oder?«, fragte sie ihn stattdessen.

Die unerwartete Kälte, die seine Finger auf ihrer Wange zurückließen, überraschte sie.

Mit zusammengekniffenen Lippen starrte Ethan nach vorne. »Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen. Sie braucht mich. Sie fürchtet sich vor der Reaktion des Herzogs, wenn das Kind ein Mädchen werden sollte.«

»Diesen Fluch muss man doch rückgängig machen können; und dann wäre dein Vater auch wieder lieb zu dir, oder?«

Ethan schwieg einen Moment. »Ich denke, der Herzog ist, wer er ist, und selbst, wenn der Fluch gebrochen wird, wird das nichts an seinem Verhalten ändern.«

»Lass uns die Nachfahren dieser Frau suchen, ja? Wenn wir sie nett darum bitten, erlösen sie deine Familie von dem Fluch.«

»Glaube mir, wenn wir wüssten, wo diese Nachfahren stecken, hätte der Herzog sie längst aufgesucht und …«

»Und?«

»Wenn die Blutlinie der Frau, die unsere Familie verflucht hat, ausgelöscht wird, existiert auch der Fluch nicht länger. Der Herzog und mein Onkel suchen sie seit Jahren.«

»Um sie zu töten, wenn sie sie finden?« Eowyn war geschockt.

Ethan nickt ernst. »Das würden sie tun, ohne zu zögern. Aus diesem Grund hat der Herzog mich zu sich geholt. Ich soll ihnen dabei helfen, sie zu finden.«

Diese Informationen würden ihr nun vielleicht doch Alpträume bescheren, dachte Eowyn mit klopfendem Herzen.

---ENDE DER LESEPROBE---