Der Frauenmörder - Hugo Bettauer - E-Book

Der Frauenmörder E-Book

Hugo Bettauer

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Beschreibung

In dieser Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 1920er Jahre verschwinden fünf heiratswillige Frauen auf rätselhafte Weise aus ihren Pensionen und werden nie mehr gesehen. Allein ein blonder Herr scheint das Bindeglied zwischen den Fällen zu sein: Unter der Chiffre "Idylle an der Havel" hat er in einer Zeitung annonciert und so seine Opfer gefunden. Detektiv Krause wird auf den Fall angesetzt und alsbald fündig: Thomas Hartwig, ein erfolgloser Schriftsteller mit Geldsorgen, ist der tatverdächtige Blonde. Er wird als Mörder angeklagt, doch Krause, dessen Bauchgefühl vor voreiligen Schlüssen warnt, ermittelt weiter … Hugo Bettauer, heute beinahe vergessen, war Anfang des 20. Jahrhunderts ein ebenso unbequemer wie idealistischer Schriftsteller und Journalist. Er schrieb eine Reihe von Romanen, in denen es ihm gelang, brisante gesellschaftliche Themen in Trivialliteratur zu verpacken und so ein breites Publikum zu erreichen. Hugo Bettauer wurde 1925 von einem fanatischen Nationalsozialisten ermordet. Null Papier Verlag

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Hugo Bettauer

Der Frauenmörder

Hugo Bettauer

Der Frauenmörder

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 3. Auflage, ISBN 978-3-943466-75-1

null-papier.de/55

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Die Mül­ler, Möl­ler, Jen­sen und Pfeif­fer

Joa­chim von Den­gern, ali­as Krau­se

Vier Mäd­chen ohne An­hang

Sel­ma Co­hen als Fünf­te

»Idyl­le an der Ha­vel«

Der blon­de Herr mit dem Knei­fer

Tho­mas Hart­wig

Im Li­te­ra­ten-Café

Lot­te Fröh­lich

»Über­führt!«

Un­ter­hal­tung mit ei­nem Mör­der

Kämp­fen­de See­len

»Drei Men­schen«

Das große Rät­sel

Der große Pro­zess

Die Sen­sa­ti­ons­pre­mie­re

Die Bom­be platzt!

Aus dem Dun­kel em­por!

Dan­ke

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Autor

Hugo Bet­tau­er (✳ 18. Au­gust 1872 in Ba­den bei Wien; † 26. März 1925 in Wien; ei­gent­lich Ma­xi­mi­li­an Hugo Bett­hau­er ), war ein ös­ter­rei­chi­scher Schrift­stel­ler.

Ma­xi­mi­li­an Hugo Bet­tau­er wur­de als Sohn des Bör­sen­mak­lers Ar­nold (Sa­mu­el Aron) Bet­tau­er aus Lem­berg1 und des­sen Ehe­frau Anna geb. We­cker ge­bo­ren. Sein Mit­schü­ler Karl Kraus galt Zeit sei­nes Le­bens auch als sein schärfs­ter Kri­ti­ker.

1890 kon­ver­tier­te Bet­tau­er vom jü­di­schen zum evan­ge­li­schen Glau­ben und än­der­te sei­nen Na­men von Bett­hau­er in Bet­tau­er.Im sel­ben Jahr ging er als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger zu den Kai­ser­jä­gern. Der Re­li­gi­ons­wech­sel hängt ver­mut­lich da­mit zu­sam­men, dass es für jü­di­sche Sol­da­ten ohne Adel kaum mög­lich war, Kar­rie­re zu ma­chen.

Un­mit­tel­bar nach dem Krieg ar­bei­te­te Bet­tau­er als Kor­re­spon­dent für New Yor­ker Zei­tun­gen und star­te­te ein Hilfs­pro­gramm in den USA für die Wie­ner Be­völ­ke­rung.

Hugo Bet­tau­er, heu­te bei­na­he ver­ges­sen, war ein eben­so un­be­que­mer wie idea­lis­ti­scher Schrift­stel­ler und Jour­na­list. Er schrieb eine Rei­he von Ro­ma­nen, in de­nen es ihm ge­lang, bri­san­te ge­sell­schaft­li­che The­men in Tri­vi­al­li­te­ra­tur zu ver­pa­cken und so ein brei­tes Pub­li­kum zu er­rei­chen. 1924 grün­de­te Hugo Bet­tau­er die Zeit­schrift »Er und Sie«, in der er die so­zia­len Be­din­gun­gen und die Un­ter­drückung von Frau­en an­pran­ger­te und ver­such­te, ein Forum für al­ter­na­ti­ve Le­bens­for­men zu schaf­fen. Schon nach der fünf­ten Num­mer wur­de die Zeit­schrift als sit­ten­ge­fähr­dend be­schlag­nahmt.

Hugo Bet­tau­er wur­de 1925 von ei­nem fa­na­ti­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­det.

Lem­berg, pol­nisch: Lwów ist eine Stadt in der west­li­chen Ukrai­ne, Haupt­stadt des gleich­na­mi­gen Be­zirks Oblast Lwiw und mit rund 735.000 Ein­woh­nern die siebt­größ­te Stadt der Ukrai­ne.  <<<

Die Müller, Möller, Jensen und Pfeiffer

»Lie­ber Krau­se, Sie müs­sen Klar­heit in die Sa­che brin­gen! Nur läp­pi­scher Zu­fall? Ne, das glau­be ich nicht und Sie glau­ben es auch nicht, so­weit ich aus Ihrem wie­der ein­mal to­tal ver­stei­ner­ten Ge­sicht le­sen kann! In­ner­halb von sechs Wo­chen ver­schwin­den un­ter Hin­ter­las­sung ih­rer Hab­se­lig­kei­ten vier Mäd­chen, alle zwi­schen zwei­und­zwan­zig und sechs­und­zwan­zig Jah­ren, alle vier hei­rats­toll und mit je ei­nem frag­wür­di­gen Bräu­ti­gam be­haf­tet — ne, lie­ber Krau­se, da liegt kein däm­li­cher Zu­fall vor, son­dern ein Ver­bre­chen!

Und dem müs­sen wir auf die Spur kom­men.«

Krau­se sah den Chef der Ber­li­ner Kri­mi­nal­po­li­zei, Dr. Clu­si­us, aus was­ser­hel­len, ver­schla­fe­nen, mü­den und leb­lo­sen Au­gen be­we­gungs­los an und sag­te, wäh­rend es ner­vös um sei­ne dün­nen, blut­lee­ren, bart­lo­sen Lip­pen zuck­te:

»Herr Dok­tor sind sehr auf­ge­regt! Und das ist nicht gut, denn wenn Herr Dok­tor auf­ge­regt sind, ge­lingt es Ih­nen nicht, mir ein kla­res Bild zu ge­ben. Darf ich also bit­ten, mir nun in al­ler Ruhe zu sa­gen, was Herrn Dok­tor zu der An­nah­me ge­bracht hat, dass ein grau­en­haf­ter Un­hold sein We­sen treibt und Mäd­chen ver­schleppt?«

Die Schmis­se im run­den Ge­sicht des ho­hen Kri­mi­nal­be­am­ten färb­ten sich rot, weil er aus den Wor­ten des Krau­se eine lei­se Iro­nie her­aus­zu­hö­ren glaub­te. Er strich sich has­tig durch die schüt­teren, ein we­nig an­ge­grau­ten Haa­re und blät­ter­te in den Pa­pie­ren, die vor ihm la­gen.

»Sie sind heu­te wie­der un­aus­steh­lich, Krau­se! Aber mei­net­hal­ben! Ma­chen Sie sich Ihre No­ti­zen und ich wer­de al­les ge­nau er­zäh­len.«

Krau­se rühr­te sich nicht.

»Herr Dok­tor be­lie­ben zu ver­ges­sen, dass ich mir nie­mals No­ti­zen ma­chen muss, weil ich Ge­le­gen­heit ge­nug hat­te, mein Ge­dächt­nis zu schär­fen.«

Dr. Clu­si­us er­hob sei­ne Stim­me.

»Ja­wohl, Herr von Krau­se, ich ge­stat­te­te mir, einen Au­gen­blick Ihre Bio­gra­fie zu ne­gli­gie­ren. Also gut, schrei­ben Sie nicht auf, aber set­zen Sie sich und brin­gen Sie mich nicht zur Verzweif­lung.

Ich habe Ih­nen ge­sagt, dass dem Po­li­zei­prä­si­di­um in­ner­halb ei­ni­ger Wo­chen vier Ver­mis­st­an­zei­gen zu­ge­gan­gen sind. Es han­delt sich um fol­gen­de Fäl­le: Ein Mäd­chen, laut Mel­de­schein Tru­de Mül­ler aus Ber­lin, drei­und­zwan­zig Jah­re alt, hat am ers­ten Juli bei der Wit­we Wend­ler, Wa­ter­loo-Ufer sechs, ein Zim­mer ge­mie­tet. Die jun­ge Dame mach­te einen gu­ten, ver­trau­ens­wür­di­gen Ein­druck, gab an, Leh­re­rin zu sein und dem­nächst hei­ra­ten zu wol­len. Die Mie­te für das Zim­mer zahl­te Tru­de Möl­ler für einen Mo­nat im vor­hin­ein. Am sechs­ten Juli er­zähl­te sie ih­rer Wirts­frau, dass sie mit ih­rem Bräu­ti­gam eine klei­ne Rei­se un­ter­neh­men müs­se. Er wol­le ein Be­sitz­tum an der Ha­vel un­weit von Ket­zin er­wer­ben und es vor Kau­fab­schluss mit ihr be­sich­ti­gen. Sie wer­de in Ket­zin bei ei­ner Tan­te ih­res Bräu­ti­gams über­nach­ten und mor­gen, spä­tes­tens über­mor­gen wie­der zu­rück sein. Das Mäd­chen mach­te rasch eine Hand­ta­sche zu­recht und stell­te ih­ren Bräu­ti­gam, der gleich dar­auf mit ei­nem Au­to­ta­xi vor­ge­fah­ren kam, der Frau Wend­ler vor. Die­ser Bräu­ti­gam dürf­te an­geb­lich Schol­lern oder Schul­lern ge­hei­ßen ha­ben, trug einen Knei­fer und wird als ha­ge­rer, blon­der Mann in den Drei­ßi­gern ge­schil­dert. Die Mül­ler kam nicht mehr zu­rück und am sech­zehn­ten Juli er­stat­te­te Frau Wend­ler die Ab­gän­gig­keits­an­zei­ge, der das Re­vier­amt kei­ne son­der­li­che Auf­merk­sam­keit schenk­te. Der von Fräu­lein Mül­ler hin­ter­las­se­ne Holz­kof­fer ist noch un­er­öff­net und hin­ter­liegt jetzt hier im Auf­be­wah­rungs­raum des Prä­si­di­ums.

Zwei­ter Fall: Am fünf­ten Juli er­schi­en in der Pen­si­on der Frau Zin­ken­bach in der Nürn­ber­ger­stra­ße ein Mäd­chen und mie­te­te ein Zim­mer mit vol­ler Ver­pfle­gung. Die Dame zog am zehn­ten Juli ein und füll­te den An­mel­de­schein höchst flüch­tig mit Gre­te Möl­ler, ge­bo­ren in Ham­burg, fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, Pri­va­te, aus. Schon zwei Tage spä­ter teil­te sie dem Stu­ben­mäd­chen früh­mor­gens mit, dass sie auf etwa zwei Tage ver­rei­sen wer­de, um mit ih­rem Bräu­ti­gam ein Haus in der Ha­vel­ge­gend zu be­sich­ti­gen. Den Bräu­ti­gam, der mit ei­nem Ta­xi­cab vor­fuhr, hat nie­mand als der Por­tier ge­se­hen, und die­ser kann sich nur an einen blon­den Herrn mit Knei­fer er­in­nern. Auch Fräu­lein Möl­ler ist nicht mehr zu­rück­ge­kehrt.

Drit­ter Fall: Am fünf­zehn­ten Juli mie­te­te ein Fräu­lein An­ne­ma­rie Jen­sen, eben­falls in Ham­burg ge­bo­ren, vier­und­zwan­zig Jah­re alt, ein be­schei­de­nes Zim­mer in der Frem­den­pen­si­on der Frau Les­ti­kow in der Motz­stra­ße. Sie er­zähl­te, sie sei eben aus Nord­ame­ri­ka zu­rück­ge­kehrt und su­che in Ber­lin eine Stel­le als Haus­da­me. Ei­ni­ge Tage spä­ter aber ver­trau­te sie der Frau Les­ti­kow an, einen Herrn ken­nen ge­lernt zu ha­ben, der sie zu ver­eh­ren schei­ne. Er sei sehr wohl­ha­bend, in den bes­ten Jah­ren, ein hoch­ge­bil­de­ter Mann, Na­tur­for­scher und be­ab­sich­ti­ge, sich un­weit von Ber­lin an­zu­kau­fen, um in Ruhe sei­nen For­schun­gen le­ben zu kön­nen. Am ein­und­zwan­zigs­ten Juli kam Fräu­lein Jen­sen spätabends nach Hau­se und teil­te der Frau Les­ti­kow, die noch wach war sehr er­regt mit, dass sie sich mit dem Na­tur­for­scher ver­lobt habe und am an­de­ren Tag mit ihm nach dem Ha­vel­städt­chen Ket­zin rei­sen wol­le, um dort ein in der Nähe be­find­li­ches Haus mit Gar­ten zu be­sich­ti­gen. Der Bräu­ti­gam, der an­de­ren Ta­ges ge­gen zehn Uhr vor­mit­tags Fräu­lein Jen­sen ab­hol­te, wur­de von Frau Les­ti­kow ge­se­hen und ihr als Dok­tor Schind­ler vor­ge­stellt. Er war sehr wort­karg, trieb zur Eile an, trug einen Knei­fer, war schlank und blond. Fräu­lein Jen­sen kam, ob­wohl auch sie vor­aus­ge­zahlt und ihr Ge­päck hin­ter­las­sen hat­te, nicht mehr zu­rück.

Vier­ter und letz­ter Fall: Kä­the Pfeif­fer, ge­bo­ren in Bay­ern, ohne An­ga­be des Or­tes, fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, Kon­to­ris­tin, mie­te­te am zwan­zigs­ten Juli ein mö­blier­tes Zim­mer bei der Wit­we Klapp­holz in der Krum­men­stra­ße in Char­lot­ten­burg. Frau Klapp­holz sah ihre Mie­te­rin, die den gan­zen Tag au­ßer Haus war, nur sel­ten. Am fünf­und­zwan­zigs­ten Juli ver­ließ Kä­the Pfeif­fer um sechs Uhr mor­gens das Haus und hin­ter­ließ fol­gen­des Schrei­ben:

Wer­te Frau Klapp­holz!

Ich ver­rei­se auf zwei Tage, da mein Bräu­ti­gam eine Vil­la an der Ha­vel kau­fen soll, die ich na­tür­lich vor­her auch be­sich­ti­gen möch­te. Bin spä­tes­tens über­mor­gen wie­der hier. Bit­te auf­zu­pas­sen, dass nichts aus mei­nem Zim­mer fort­kommt. Bes­tens grü­ßend

Kä­the Pfeif­fer.

Den Bräu­ti­gam hat nie­mand ge­se­hen, Fräu­lein Pfeif­fer ist nicht mehr zu­rück­ge­kehrt und Frau Klapp­holz hat am fünf­ten Au­gust, also ge­nau vor ei­ner Wo­che, die An­zei­ge er­stat­tet.«

Dr. Clu­si­us blies vor sich hin, streck­te die Bei­ne weit aus, schob Krau­se die Zi­gar­ren zu, zün­de­te sich selbst eine an und sag­te:

»Ich bin fer­tig und wer­de wirk­lich stau­nen, wenn Sie sich al­les ge­merkt ha­ben. Und nun, lie­ber Krau­se, was hal­ten Sie da­von?«

In Krau­se kam jetzt end­lich Be­we­gung. Er stand auf, ging zum Fens­ter, warf einen Blick auf den Alex­an­der­platz, lach­te kurz und tro­cken auf, weil ihm zwei di­cke Frau­en, die ihm Ver­lauf ei­nes Trat­sches ihre Markt­kor­be ge­gen­ein­an­der schwenk­ten, ko­misch er­schie­nen, dreh­te sich dann um und sprach, wäh­rend sein ma­ge­res, ver­wit­ter­tes Ge­sicht, das mit der schar­fen Ha­ken­na­se ei­nem Schau­spie­ler, ei­nem Jock­ei, aber auch ei­nem ein we­nig de­ge­ne­rier­ten Ari­sto­kra­ten ge­hö­ren konn­te, sich in tau­send Fal­ten und Fält­chen leg­te, ton­los, ohne Er­re­gung, gleich­gül­tig, als wür­de es sich um eine Wet­ter­fra­ge han­deln:

»Ich habe mir je­des De­tail ge­merkt, und das war nicht schwer, weil die­sen aus den Po­li­zei­re­vie­ren stam­men­den Be­rich­ten eben je­des De­tail fehlt. Was ich da­von hal­te? Nun, dem An­schein nach könn­te es sich al­ler­dings um vier ganz gleich­ar­ti­ge Ver­bre­chen, be­gan­gen von ein und der­sel­ben Per­son, han­deln.«

Der obers­te Kri­mi­nal­be­am­te von Ber­lin sah den ha­ge­ren, ir­gend­wie grau er­schei­nen­den und ganz in Grau ge­klei­de­ten Mann in­ter­es­siert an.

»Sie drücken sich sehr vor­sich­tig aus, Krau­se! Dem An­schein nach und könn­te sich — — — Wol­len Sie also den Fall über­neh­men?«

»Si­cher, er ist ernst ge­nug, um mich an­zu­re­gen.«

Dr. Clu­si­us lä­chel­te und nick­te be­frie­digt.

»Was wol­len wir also zu­nächst un­ter­neh­men?«

»Ganz klar, Herr Dok­tor! Mor­gen Vor­mit­tag müs­sen hier in die­sem Zim­mer die zu­rück­ge­las­se­nen Ge­gen­stän­de der ver­schwun­de­nen Frau­en, ihre An­mel­de­schei­ne und die vier Ver­mie­te­rin­nen, bei de­nen sie ge­wohnt hat­ten, so­wie der Por­tier aus der Motz­stra­ße zur Stel­le sein. Na, vor dem Ge­quatsch der vier Wei­ber graut mir jetzt schon! Aber es muss über­stan­den wer­den und dann gehe ich los!«

Die Wor­te: »Dann gehe ich los« ge­fie­len dem Chef so au­ßer­or­dent­lich, dass er sich ver­gnügt die Hän­de rieb. Ich gehe los — das hat­te bei Krau­se zu be­deu­ten, dass er sich aus ei­nem apa­thi­schen Nörg­ler in eine Dy­na­mo­ma­schi­ne ver­wan­del­te und wirk­lich los­ging, wie ein Auto mit acht­zig Pfer­de­kräf­ten. Krau­se ging nicht im­mer los, aber wenn er los­ging, dann ar­bei­te­te er mit hun­dert Sin­nen und Ge­hir­n­en.

Joachim von Dengern, alias Krause

Wäh­rend sich Dr. Wil­helm Clu­si­us in sei­ner gan­zen Art nicht son­der­lich von an­de­ren lei­ten­den Po­li­zei­be­am­ten der Groß­städ­te un­ter­schied und sei­ne er­folg­rei­che Lauf­bahn we­ni­ger ir­gend­wel­chen her­vor­ste­chen­den Ei­gen­schaf­ten, als mus­ter­gül­ti­ger Pf­licht­treue, ta­del­lo­ser Le­bens­füh­rung und au­ßer­or­dent­li­chem Takt­ge­fühl, be­wie­sen in pein­li­chen, in den vor­nehms­ten Krei­sen spie­len­den Af­fä­ren, ver­dank­te, glich Krau­se in kei­ner Wei­se den üb­li­chen Kri­mi­nal­un­ter­be­am­ten, die man De­tek­ti­ve zu nen­nen pflegt. Und sei­ne Kar­rie­re, sei­ne Le­bens­ge­schich­te, sein Wer­de­gang wa­ren wohl ganz au­ßer­or­dent­li­cher Art. Aber so­gar die we­ni­gen Ein­ge­weih­ten wuss­ten von ihm nicht viel mehr, als dass Krau­se gar nicht Krau­se hieß, son­dern dies nur ein von ihm an­ge­nom­me­ner Name sei, und dass es ihm nicht an der Wie­ge ge­sun­gen wor­den war, der­einst höchst­per­sön­lich, nicht vom grü­nen Tisch aus, son­dern mit­telst Ein­set­zung al­ler Kräf­te Ver­bre­chern nach­ja­gen zu müs­sen. Ge­nau­es wuss­te im Ro­ten Haus am Alex­an­der­platz ei­gent­lich nur Dr. Clu­si­us, und weil er es wuss­te, so schätz­te er die­sen mit­un­ter höchst wi­der­wär­ti­gen Krau­se so sehr, ja ganz tief im In­ne­ren brach­te er ihm eine Hochach­tung und Be­wun­de­rung ent­ge­gen wie kei­nem an­de­ren Men­schen aus sei­nem Wir­kungs- und Be­kann­ten­kreis.

Krau­se war ein un­glück­li­cher Mensch und hat­te einen Knacks weg, von dem er sich nicht er­ho­len konn­te. Er hieß in Wirk­lich­keit Joa­chim von Den­gern, ent­stamm­te ei­ner we­nig be­gü­ter­ten, aber umso vor­neh­me­ren Fa­mi­lie, hat­te sein Ein­jäh­ri­gen­jahr bei den Gar­de­küras­sie­ren ab­ge­dient, war Re­ser­ve­leut­nant ge­wor­den und nach Er­lan­gung des Ju­ris­ti­schen Dok­tor­di­ploms und spä­ter des Re­fe­ren­dar­ex­amens in die Kanz­lei ei­nes der be­rühm­tes­ten Ber­li­ner Rechts­an­wäl­te, des Jus­tiz­ra­tes Ro­den­bach, ein­ge­tre­ten. Man war jung, hat­te in Pom­mern einen Bru­der Guts­be­sit­zer, der durch Hei­rat klot­zig reich ge­wor­den war, man jeu­te also ein biss­chen, gab für net­te klei­ne Mäd­chen mehr Geld aus, als man ei­gent­lich durf­te, pump­te von Zeit zu Zeit den um zehn Jah­re äl­te­ren Bru­der kräf­tig an, kam oft et­was ver­ka­tert und zu spät in das Büro oder zu Ge­richt — kurz­um, man leb­te so und nicht schlech­ter als tau­send an­de­re jun­ge Re­fe­ren­da­re, die »von« sind, als net­te, lus­ti­ge Ker­le gel­ten und gut dar­an tun, sich die Hör­ner ab­zu­sto­ßen, be­vor es un­ter das Joch der Ehe und Wür­den geht.

Bis sich ei­nes Ta­ges Furcht­ba­res und Uner­war­te­tes er­eig­ne­te. Jus­tiz­rat Ro­den­bach hat­te in ei­ner Pro­zessan­ge­le­gen­heit von ei­nem Kli­en­ten ein De­pot von et­li­chen Mil­lio­nen Mark in ba­rem Geld er­hal­ten. Die­sen Be­trag leg­te er in Ge­gen­wart sei­nes jun­gen Ge­hil­fen, Dr. Joa­chim von Den­gern, in den ei­ser­nen Kas­sen­schrank, wo­bei er sag­te, dass es ei­gent­lich recht un­vor­sich­tig sei, sol­che Sum­men zu be­hal­ten, umso mehr als der Kas­sen­schrank ver­al­tet sei und ei­nem halb­wegs ge­wieg­ten Ein­bre­cher we­nig Wi­der­stand ent­ge­gen­set­zen wur­de. Ei­ner Be­mer­kung, der Joa­chim von Den­gern pflicht­schul­dig bei­stimm­te, nicht ohne zu den­ken, dass es ge­ra­de jetzt, da der Dal­les wie­der ein­mal er­heb­lich war, sehr schön wäre, einen Teil des Gel­des zu be­sit­zen. An die­sem Tag gab es vie­ler­lei Ar­beit, man­che, die nach An­sicht des Re­fe­ren­dars hät­te lie­gen blei­ben kön­nen, nach der An­sicht des Jus­tiz­ra­tes aber un­be­dingt er­le­digt wer­den soll­te. Joa­chim von Den­gern muss­te tüch­tig Über­stun­den ma­chen und be­fand sich, nach­dem der Jus­tiz­rat sich ins kö­nig­li­che Opern­haus be­ge­ben und auch die an­de­ren, we­ni­ger in­ten­siv be­schäf­tig­ten Her­ren fort­ge­gan­gen wa­ren, noch eine Stun­de oder mehr al­lein im Büro. Er nahm da­her, wie im­mer in sol­chen Fäl­len, die zwei­ten Bü­roschlüs­sel mit sich, nach­dem er alle Tü­ren or­dent­lich ver­sperrt hat­te, wäh­rend der alte Bü­ro­die­ner Au­gust, der schon früh­mor­gens zu kom­men pfleg­te, die an­de­re Gar­ni­tur be­saß. Auch der Jus­tiz­rat hat­te na­tür­lich Schlüs­sel bei sich.

Am an­de­ren Tag fand Joa­chim von Den­gern, als er nach durch­zech­ter Nacht et­was bleich und zit­te­rig den Dienst an­trat, das Büro in chao­ti­schem Zu­stand an. Furcht­ba­res hat­te sich er­eig­net! Der Kas­sen­schrank war mit­telst pri­mi­ti­ver In­stru­men­te er­bro­chen und sei­nes kost­ba­ren In­hal­tes be­raubt wor­den. Dr. Clu­si­us, da­mals noch ge­wöhn­li­cher Kri­mi­nal­kom­mis­sär, führ­te die Un­ter­su­chung und wuss­te nach knapp ei­ner Stun­de ge­nau Be­scheid. Nur der Re­fe­ren­dar Joa­chim von Den­gern konn­te der Tä­ter sein! Er al­lein hat­te von den Mil­lio­nen im Kas­sen­schrank ge­wusst, er war al­lein im Büro zu­rück­ge­blie­ben, er wuss­te ge­nau, wo im Vor­zim­mer auf ei­nem ver­staub­ten Ak­ten­schrank ein Werk­zeug­kas­ten stand, mit­telst des­sen In­halt, wie ein­wand­frei nach­ge­wie­sen wer­den konn­te, die Heraus­stem­mung der Schloss­zun­ge er­folgt war. Au­ßer­dem: Den­gern war ver­schul­det, hat­te auf einen neu­en Pump­ver­such von sei­nem Bru­der einen deut­lich ab­win­ken­den Briet er­hal­ten, er führ­te über­haupt einen so­ge­nann­ten lie­der­li­chen Le­bens­wan­del — kurz­um, sei­ne Ver­haf­tung war ge­recht­fer­tigt. Wie sehr ge­recht­fer­tigt, er­wies sich, als man ihn ei­ner Lei­bes­un­ter­su­chung un­ter­zog und in der In­nen­ta­sche sei­nes Stadt­pel­zes ein Bün­del von Hun­dert­tau­send­mark­schei­nen fand. Un­schwer wur­de denn auch fest­ge­stellt, dass die­se Tau­send­mark­schei­ne mit je­nen über­ein­stimm­ten, die Jus­tiz­rat Ro­den­bach am Tage vor­her als De­pot er­hal­ten hat­te.

Ver­ge­bens be­teu­er­te Joa­chim von Den­gern vor dem Un­ter­su­chungs­rich­ter und spä­ter vor den Ge­schwor­nen, dass er kei­ne Ah­nung habe, wie die Tau­sen­der in sei­nen Pelz ge­kom­men sei­en, ver­ge­bens schrie er im­mer wie­der: »Ich bin un­schul­dig!« Das von Dr. Clu­si­us er­brach­te Be­weis­ma­te­ri­al war zu stark und Den­gern wur­de zu vier Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Ein we­nig hart, aber ei­nes auf­rech­ten, cha­rak­ter­fes­ten Man­nes durch­aus wür­dig, hat­te sich in die­ser Zeit der äl­te­re Bru­der Joa­chims be­nom­men, der auf einen jam­mer­vol­len Brief, in dem Joa­chim bei dem An­ge­den­ken an sei­ne ver­stor­be­nen El­tern und bei sei­ner Man­nes­eh­re sei­ne Un­schuld be­schwor, nur die ker­ni­gen, la­pi­da­ren Wor­te zu er­wi­dern wuss­te: