Der geheimnisvolle Fund - Petra Breuer - E-Book

Der geheimnisvolle Fund E-Book

Petra Breuer

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Jahr 1665 wird in einer Vollmondnacht im Mittelkanal von Schloss Nymphenburg ein rätselhafter Gegenstand beseitigt. Kurz vorher stand ein Teil der Wittelsbacher Residenz in Flammen und bei einem Fest auf dem Würmsee gerät das fürstliche Prunkschiff Bucintoro in Seenot. Große Aufgaben warten diesmal auf die Zwillinge Anna und Ben, die sie jedoch gemeinsam meisterhaft bewältigen. In der Gegenwart erkunden Anna und Opa die Residenz, den Hof- und Finanzgarten sowie den Nymphenburger Park samt Parkburgen – wie immer mit einem Augenzwinkern und viel Humor.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Weitere Bücher von Petra Breuer aus der Reihe

»Abenteuer in München«

Band1: Der Angriff des Löwen

Band2: Vor den Toren lauert die Gefahr

Band3: Tumult auf der Dult

Band4: Rätsel um die Morisken

Alle Titel sind auch als eBook erhältlich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, der auszugsweisen Wiedergabe sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Medien verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Petra Breuer

Abenteuer in München

Band 5

Der geheimnisvolle Fund

Mit Illustrationen von Nicole Teusler

Dieses Buch handelt im Jahr 1665. Der Kanal im Nymphenburger Park sowie einige andere der im Buch erwähnten Gebäude wurden erst zu einer späteren Zeit erbaut. Die zeitliche Ungenauigkeit dient hier einzig dem Zweck, die Geschichte kurzweilig zu gestalten. Die Darstellung der Gegebenheiten und Persönlichkeiten hält sich ansonsten aber, soweit es die Grenzen der Fiktion erlauben, an die historischen Fakten.

1.Auflage ©2017

©2017Phantasiereich Kinder- und Jugendbuchverlag, Aschheim

Inh. Petra Breuer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-943814-27-9

Illustrationen: Nicole Teusler,

www.pai-nt.de

Print-Layout: Achim Schmidt,

www.graphische-konzepte.de

E-Book: Corinna Rindlisbacher,

www.ebokks.de

Sie finden uns im Internet unter

www.phantasiereich.com

Inhalt

1. Der Spion aus Turin

2. Das neue Sommerhaus

3. Wo ist das Gepäck?

4. Die Perücke in der Soße

5. Der geheimnisvolle Gegenstand

6. Hexen und Goldmacher

7. Der Bucintoro

8. Das Fest auf dem See

9. Das Geständnis

10. Das Gutenachthupferl

11. Die Residenz

12. Der Hof- und Finanzgarten

13. Die Theatinerkirche

14. Der Schlosspark Nymphenburg

15. Die Gondelfahrt

Anhang

Begriffserklärung

Zeittafel

Wir werden Bildhauer

Quellennachweis

1. Der Spion aus Turin

In einer sternlosen und stockdunklen Nacht ritt eine voll­kommen schwarz gekleidete Person in rasantem Tempo auf die abgeriegelte Stadt an der Isar zu. Alle Bürger schliefen friedlich in ihren Betten, denn sie wussten, dass die aufmerksamen Nachtwachen an den Einlasstoren, auf der Wehrmauer und in den über 50 Aussichtstürmen sie bei Gefahr rechtzeitig warnen und beschützen würden. Die Aufpasser erblickten selbst die kleinste Regung vor dem Schutzwall der Stadt und im Falle eines Angriffs hätten sie unverzüglich ihre Trompeten zur Warnung erschallen lassen, damit sich jeder sofort in Sicherheit bringen konnte. Nur heute, in dieser pechfinsteren Nacht des fünften Monats im Jahr 1650, war es gespenstisch neblig und die Sichtweite außerhalb des Mauerrings lag unter hundert Fuß. Deswegen bemerkten die Wächter den in wildem Galopp heraneilenden Reiter erst sehr spät. Willibald, der oberste Aufpasser am Sendlinger Tor, legte seine Handfeuerwaffe zwischen die Zinnen des Wehrturms und versuchte, den Fremden im Visier zu halten. Das war jedoch schwierig, da sich die dunkle Gestalt in der Finsternis kaum vom kohl­rabenschwarzen Nachthimmel abhob. Als der Unbekannte nur noch etwa 100 Schritte entfernt war, änderte sich die bedrohliche Situation jedoch schlagartig, denn er zügelte sein Pferd und legte beide Hände wie einen Trichter an seinen Mund. Sodann rief er laut ein Geheimwort in die finstere Nacht hinein:

»Rizzi!«

Willibald, der Nachtwächter, erkannte das Geheimwort und wusste, wen er hier vor sich hatte. Er gab den Knechten den Befehl, das Einlasstor einen Spalt breit zu öffnen, um dem nächtlichen Reiter Einlass zu gewähren. Der Fremde ritt durch das halb geöffnete Tor in die Stadt hinein. Er bahnte sich seinen Weg zielsicher durch stille Gassen, über den Marktplatz im Zentrum der Stadt und weiter zum Wohnsitz der Wittelsbacher, der Herrscher in München. Dort, an der Residenz, wartete man bereits ungeduldig auf die Ankunft des geheimnisvollen Reiters, der vor Tagen im Norden Italiens losgeritten und nun endlich an seinem Ziel angekommen war. Als er in die Sichtweite der Residenzwachen kam, wurden auf ein vereinbartes Zeichen hin die schweren Flügel des Eingangsportals geöffnet und der Spion des Kurfürsten ritt ein.

Anna legte ihr Buch zur Seite. Puh, war das spannend! Wer wohl dieser pechschwarz gekleidete Mann sein könnte? Im letzten Satz stand, dass er ein Spion des Kurfürsten war. Anna griff zum Telefon und rief ihren Großvater an.

»Du, Opi, hatten die Wittelsbacher damals Spione? Und was ist ein Kurfürst?«

Als Antwort bekam sie erst mal ein schallendes Lachen.

»Ja, was glaubst denn du? Die haben spioniert und ausge­kund­schaftet, was das Zeug hält. Von kopierter Architektur bis hin zu ausgespitzelten Familiengeheimnissen – alles war für die feinen Herrscherhäuser interessant.«

»Aha – und was ist ein Kurfürst?«

»Das ist ein Titel für einen Adeligen, in unserem Fall aus dem Hause Wittelsbach. Der alte Begriff ›Kur‹ bedeutet ›Wahl‹ und ›Fürst‹ steht für ›Erster‹ oder ›Vorderster‹. Erinnerst du dich doch noch an meine Erklärung zum Wort ›Herzog‹?«

»Ja, das ist einer, der vor seinem Heer herzog. Und der Kurfürst ist dann wohl der Oberhäuptling, der den Kaiser wählen durfte, oder?«

»Ja, so passt deine Umschreibung gut. Sag mal, was liest du denn gerade, dass du mir solche Fragen stellst?«

»Mei Opa, frag’ doch nicht so scheinheilig. Das fünffach-geniale und rot verpackte Geschenk von gestern.«

Als Antwort hörte sie ein Glucksen und Kichern am Telefon. Sie verabschiedete sich genervt von ihrem Großvater, schmiss sich schwungvoll in ihren riesigen Lesesack und las weiter, denn der fünfte Band der »Abenteuer in München« begann sehr spannend. Opa Leander meldete sich bestimmt bald wieder bei ihr. Sicherlich war er ganz neugierig und wollte wissen, ob sie die nächsten Tage zusammen munichen würden. Munichen war ein Geheimwort der beiden. Als Anna für den Heimat- und Sachkundeunterricht vor ein paar Wochen ein Referat über die Gründung Münchens halten sollte, half ihr der Großvater aus der Patsche, indem er geduldig alles erklärte und mit ihr die Innenstadt erkundete. Da ihre Mama nichts von alledem erfahren sollte, schworen sich beide, niemandem etwas über ihre Erkundungen zu erzählen. Annas Referat war jedoch so gut vorgetragen und inhaltlich interessant aufbereitet, dass sie dafür die doppelte Note Eins bekam. Seitdem eroberten die beiden Münchendetektive nach jedem Band aus Annas Lieblingsbuchserie die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und erlebten so allerlei Interessantes miteinander. Soeben hatten die Sommerferien begonnen, und damit auch keine Langeweile aufkam, hatte Opa Leander tags zuvor seiner Enkelin den druckfrischen Band 5 aus ihrer heißgeliebten Buchreihe geschenkt. Es standen somit wieder einmal ein paar erlebnisreiche Tage bevor, denn die historischen Gebäude in jedem Abenteuerroman wurden von den zwei München-Entdeckern auch sofort selbst erkundet. Anna freute sich schon auf die gemeinsame Zeit mit ihrem herzallerliebsten Opa. Nun musste sie aber erst mal das Buch lesen.

Der geheimnisvolle Reiter stieg steif und müde von seinem Pferd ab. Sogleich eilte ein verschlafener Stallknecht herbei und führte das schwarze Tier in einen hinteren Teil der Residenz, um es zu versorgen. Der Spion hingegen wurde vom Kammerdiener des Kurfürsten empfangen und in einen warmen Raum begleitet. Dort setzte er sich an einen gedeckten Tisch und nahm hungrig eine Kleinigkeit zu sich. Kurze Zeit später erschien Kurfürst Maximilian I. im prunkvoll bestickten Schlafrock. Der Spion schluckte seinen Bissen eiligst hinunter, stand auf, verneigte sich tief und begrüßte Maximilian I. mit ehrfürchtiger Stimme:

»Guten Abend, Euer Durchlaucht. Ich habe interessante Neuigkeiten aus Italien.«

»Was hat Er mir zu überbringen?«, fragte der Kurfürst streng und streckte seine Hand fordernd aus.

Der Spion griff unter sein schwarzes Gewand und zog eine versiegelte Schriftrolle hervor, die er dem Herrscher feierlich aushändigte.

»Auftrag ausgeführt, Euer Durchlaucht«, sagte der Fremde und verneigte sich nochmals vor dem Wittelsbacher.

Dieser nickte kurz dankend, drehte sich schweigend um und ging mit dem geheimen Dokument in der Hand zurück in seine Gemächer.

»Nun lass mich doch auch lesen, was dieser Spion am Hof in Turin herausgefunden hat«, bettelte Maria Anna ihren Mann an. »Hier geht es schließlich um Weltpolitik und unseren Sohn Kurprinz Ferdinand Maria, den künftigen Thronfolger im Hause Wittelsbach.«

»Gleich, Weib, gedulde dich«, bekam sie zur Antwort.

Als der Kurfürst ihr endlich den Geheimbericht überreichte, lächelte er zufrieden.

»Wie ich sehe, stimmt dich der Inhalt fröhlich, mein Gemahl.«

Sie nahm das Schreiben an sich und nach ein paar Zeilen lächelte auch sie.

»Er wird sich freuen, so eine Schönheit zur Gemahlin zu bekommen. Zudem spricht sie Deutsch und ist katholisch. Was für ein Glücksfall. Ich leite gleich morgen alles für eine Hochzeit in die Wege.«

Durch die Unterzeichnung eines Ehepaktes wurden Henriette Adelaide von Savoyen und der Wittels­bacher Ferdinand Maria miteinander verhei­ratet. Beide waren 14 Jahre jung und hatten sich noch nie in ihrem bisherigen Leben gesehen. Es sollten etwa 19 Monate vergehen, bis die wunderschöne Prinzessin aus Italien endlich nach München zu ihrem Ehemann angereist kam und sie sich schließlich gegenüberstanden. Ihr gesamter Brautzug bestand aus über 300 Packwagen. Die Stadt empfing sie feierlich mit Salutschüssen und Glockengeläut und die Bürger Münchens jubelten der neuen Kurfürstin zu. Hätte der Spion Ferdinando Egarnter nicht gut zwei Jahre vorher am Hofe in Turin unter seinem Decknamen Aloise Rizzi das Leben der Prinzessin Henriette Adelaide ausgespitzelt, wäre diese Hochzeit wohl nie zustande gekommen und das Abenteuer, das nun, dreizehn Jahre später beginnt, hätte nie stattgefunden.

2. Das neue Sommerhaus

»Anna, Ben, ich muss leider schon wieder in die Veste zu unserer Kurfürstin Henriette Adelaide. Die persönliche Schneiderin Ihrer Hoheit ist immer noch krank und ich muss weiterhin aushelfen. Ihr wisst Bescheid, Papa ist bereits auf dem neuen Landgut der Kurfürsten und kümmert sich in seiner Funktion als Hofgartenmeister um die prunkvolle Gestaltung und Bepflanzung des Gartens und ich reise mit den edlen Herrschaften ebenfalls in die neue Schwaige. Meine Schwester Sarah und ihr Mann Lucas sind dort auch unentbehrlich und ihr kommt bitte mit eurer Cousine Luisa und mit Cousin Nicolas auf einem der Packwägen zum neuen Landhaus«, verabschiedete sich Josefine gehetzt von ihren Zwillingen und eilte in Richtung der Wittelsbacher Burg am Rande der Stadtmauer davon.

»Nun beeil dich doch, Josefine, die Kutschen werden bereits angespannt und fahren in Kürze in die neue Sommerresidenz ab«, drängte der Hofdiener die persönliche Kammerfrau von Kurfürstin Henriette Adelaide.

»Ich kann nicht hexen und die neu genähten Ballkleider müssen vorsichtig in die vielen Koffer gepackt werden. Das dauert eben seine Zeit. Nach der zweiten Schwangerschaft passt Ihre Kurfürstliche Durchlaucht eben nicht mehr in jedes Gewand hinein. Und ich muss nun dafür Sorge tragen, dass wieder alles passt – und zwar rundum. Bitte geh jetzt zu den Lohnkutschern in den Innenhof und schicke mir kräftige Träger in das Ankleidezimmer, um die Koffer nach unten zu befördern, ich komme gleich nach. Eingebrockt haben uns diese Hetze die Tuchhändler aus Florenz, die mit ihrer exklusiven Ware vollkommen verspätet in München ankamen. Seit Wochen sind die Tuchscherer, Zuschneiderinnen, Nähe­rinnen und Stickerinnen mit nichts anderem mehr beschäftigt, als pünktlich die neue Garderobe unserer jungen Kurfürstin Henriette Adelaide zu nähen. Seit gestern schuften die Arbeiterinnen ohne Pause und sie waren erst heute in den frühen Morgenstunden fertig, als die Amseln bereits ihr Morgenlied anstimmten. Nachdem in dieser Hektik niemand den Bügelofen erhitzt hat, konnte nicht rechtzeitig mit dem Glätten der Tanzkleider begonnen werden. Soeben haben die Wäscherinnen alles fertig geplättet und ich werde das wunderschöne neue Gewand nun eigenhändig in die Koffer verpacken.«

Sie schwärmte weiter über die neuen Ballkleider der Wittelsbacher Kurfürstin.

»So eine feine Garderobe, alles nach neuester italienischer Mode gefertigt, und die herrlichen Seidentuche wurden alle­samt mit edler Florentiner Stickerei bestickt. Kurfürst Ferdinand Maria hatte angeordnet, nur das beste Tuch für unsere italienische Schönheit zu erwerben, schließlich hat sie ihm den seit zehn Jahren heiß ersehnten Thronfolger geboren.«

»Ja, Josefine, ich weiß, dass du alles perfekt für deine Herrin erledigst. Hat denn der Schuhmacher die zierlichen Lederschuhe bereits geliefert? Die junge Durchlaucht möchte sicherlich auf ihrem Fest in neuem Schuhwerk tanzen. Und die Mieder? Hat der Korsettmacher diese bereits abgegeben?«

»Ach, herrje, lauf und schau, ob die kleinen ledernen Koffer am Ende des Flurs an der Treppe bereits aufgestapelt sind. Die prachtvollen Kopfbedeckungen befinden sich in den runden Hutschachteln.«

Knapp eine Stunde später lenkte der oberste Hofkutscher das Pferdegespann der Wittelsbacher Herrscher in die Richtung des zwei Wegstunden entfernten Landguts, das zwischen den Dörfern Menzing und Neuhausen lag. Dieses westlich der Residenzstadt gelege­­ne Sommerhaus, das ursprünglich als Schwaige Kemnat be­zeich­­net wurde, hatte Kur­fürst Ferdinand Maria seiner geliebten Ehefrau Henriette Adelaide als Dank für die Geburt seines zweiten Kindes – des lang ersehnten Sohnes – geschenkt. Die Kurfürstin hatte der neuen Residenz auf dem Land den Namen »borgo delle ninfe«, Nymphenburg, gegeben. Der herrschaftlichen Karosse ritten 38 Vorreiter zur Sicherung der Wege voraus. Es folgte eine lange Kolonne weiterer Kutschen mit den Leibwächtern, den Hofmedici, dem Hofkapellmeister samt allen Hofmusikanten und Musik­instrumenten, den Sängerinnen, dem Küchenmeister Lucas mit seinem gesamten Küchenpersonal und Kisten voller Pfannen, Töpfen und sonstigem Küchengeschirr, drei Ober­silberkämmerern, dem Hofstallmeister samt Stall­burschen, dem Hofgeistlichen, den Jägermeistern, nahezu allen Kammer­dienern und Kammerfrauen. Die neu genähten Gewänder der Kurfürstin waren allesamt in Koffern auf den Packwägen verstaut. Auf einem der Gespanne saßen vier Kinder, denen die Fahrt über das Land sehr viel Spaß bereitete. Durften sie doch erstmalig in das neue Sommerschloss Nymphenburg fahren. Das konnte nur ein großes Abenteuer bedeuten!

Anna legte ihr Buch auf die Seite und grübelte. Unglaublich, dass die Geburt eines Sohnes als Glücksfall galt, die einer Tochter dagegen als nicht erwähnenswert. Anna ging in das Wohnzimmer zu ihrer Mutter.

»Du Mama, sag mal, wie lieb hast du mich eigentlich?«

»Was ist das denn für eine Frage? Anna, was ist los mit dir? Ich liebe dich unendlich – das weißt du doch.«

»Na ja, ich habe gerade gelesen, dass nur ein Sohn gefeiert und geliebt wird. Das finde ich fies und mies und total unfair. Ehrlich gesagt sogar zum Kotz...«

»Psst. Nicht aussprechen, ich verstehe dich gut. Diese Denkweise ist leider auch heute noch in manchen Köpfen verankert. Früher war aber die Regel der Erbfolge so, dass nur die männlichen Nachkommen den Thron besteigen durften. Deswegen war ein Sohn so wichtig. Aber mach dir keine trüben Gedanken, mein Schatz. In der heutigen Zeit hat sich vieles geändert und schließlich sind es immer noch wir Frauen, die alles am Laufen halten und ohne die nichts geht. Kopf hoch, du bist ein absolut wertvolles Geschöpf und nicht einmal mit kistenweise Gold aufzuwiegen. Wir alle lieben dich, süße Maus, unendlich.«

Anna lächelte, schnappte sich eine Handvoll Nüsse aus der Schale und hüpfte vergnügt in ihr Zimmer zurück. Es ist schön, geliebt zu werden, dachte sie und schlug ihr Buch auf, um die spannende Geschichte weiterzulesen.

Anna, Ben, Luisa und Nicolas hatten große Freude auf dem Packwagen, der über und über mit Koffern beladen war. Irgendwo im langen Tross der Wägen waren auch ihre Eltern, Josefine, die Kammerfrau, und Sarah, die Kinderfrau, sowie Lucas, der Küchenmeister. Gabriel, der Hofgartenmeister, hingegen war bereits seit einiger Zeit auf dem Landgut und ärgerte sich mit den ungeschickten Tagelöhnern herum, die nicht einmal eine Blume von einem Baum unterscheiden konnten.

»Ich wusste gar nicht, wie arm die Leute hier auf dem Land sind«, staunte Anna, als sie im Vorbeifahren die kargen Holzbehausungen und die spärlichen Gemüsebeete sah.

»Ja, dieser 30 Jahre dauernde Krieg und die schreckliche Seuche haben die Menschen sterben lassen wie die Fliegen. Viele sind verhungert, an der Beulenpest gestorben oder im Kugel- und Kanonenhagel auf dem Schlachtfeld erschossen worden. Einfach schrecklich. Glücklicherweise hat unsere kleine Familie alles gut überstanden«, antwortete Ben.

»Ja, wir hatten wirklich Glück«, sagte Luisa. »Mama erzählt mir immer, dass unsere Wurzeln bis in das Jahr 1158 zurückgehen, als eine Anna und ein Benedictus heirateten und viele Kinder bekamen, die wiederum auch Kinder bekamen und …«

»Psst, sei bitte still, Luisa, ich habe seltsame Geräusche gehört«, unterbrach Nicolas seine Schwester.

»Was denn?«, fragte Anna ängstlich.

»Dreimal einen leisen Knall«, erwiderte ihr Cousin.

Ben überlegte: »Vielleicht hat jemand auf einen Hasen oder ein paar Rebhühner hier drüben im nahen Wald geschossen?«

»Das traut sich doch keiner, solange die kurfürstliche Wagenkolonne hier den Weg entlang reist. Der Wildschütze würde wegen unbefugter Wilderei gleich am nächsten Galgen aufgehängt werden, oder?«, meinte Nicolas.

»Was war es dann?«, wollte Luisa wissen.

»Ich habe keine Ahnung, komisch war es aber schon«, grübelte Nicolas.

Die Reisegesellschaft kam nach gut zwei Stunden im neu erbauten Sommerhaus der Wittelsbacher an. Als die Bediensteten des fürstlichen Hofs zum ersten Mal das Landgut mit eigenen Augen sahen, ging ein bewunderndes »Aah« und »Ooh« durch die Reihen des Hofpersonals. Vier neugierige Kinder hingegen hüpften von ihrem Packwagen hinunter auf den gepflegten Weg und liefen in den angrenzenden Gartenpark, um unter einer schattenspendenden Eiche Fangen zu spielen.

3. Wo ist das Gepäck?

Annas Mutter brachte den Telefonhörer ins Zimmer ihrer Tochter: »Der Opa ist für dich dran.«

Anna nahm das Telefon entgegen und ahnte bereits, was nun kommen würde.

»Du, Schnuckilein, wollen wir bald mal wieder munichen?«

»Opa, ist dir langweilig?«

»Neiiiin, ganz und gar nicht. Indianerehrenwort. Ich dachte halt nur, weil das Wetter so schön ist und du Sommerferien hast, könnten wir gemeinsam etwas unternehmen.«

Anna grinste und ließ den Großvater noch etwas zappeln: »So, so, und an was hast du als Ausflugsziel gedacht?«

»Hm, vielleicht ein Schloss … oder einen Park … oder einen Schlosspark. Was immer du willst, mein Herzilein«, flötete Opa Leander ins Telefon.

»Coole Idee, dann will ich mit dir baden gehen, in den Tierpark und ganz viele unterschiedliche Pflanzen erkunden.«

Es folgte eine kleine Pause und Anna kicherte leise in sich hinein. Sie wusste genau, was er wollte, und hatte ihren Opa absichtlich ausgetrickst. Jetzt war er wohl sprachlos. Doch seine fröhliche Antwort ließ sie etwas an ihrer Taktik zweifeln.

»Gute Idee, ich schlage vor, wir gehen gleich, wenn du dein Buch ausgelesen hast, ganz viel Flora und Fauna ansehen und unsere Beine hängen wir in herrlich kühles Nass. Abgemacht?«

»Abgemacht«, mehr brachte Anna vor Erstaunen nicht heraus.

Sie war baff. Hatte sie sich gerade selbst eine Falle gestellt? Sie sollte bald erfahren, was ihn zu solcher Heiterkeit veranlasst hatte.

»Nein, die Blumenzwiebeln müssen in der Erde bleiben, die Blumen blühen nächstes Jahr wieder«, schimpfte Gärtnermeister Gabriel seine Gartenarbeiter. »Bitte setzt die Buchsbäume in einer geraden Linie am Weg entlang und bitte nicht kreuz und quer. Danach gießt alle Bäume, die letzten Tage war es sehr trocken.«

Die Aushilfsgärtner nickten und machten sich an die Arbeit.

»Papa!«, riefen Anna und Ben gleichzeitig und liefen auf ihren Vater zu, der in die Hocke ging und seine Arme weit ausbreitete, um die Zwillinge einzufangen und sie fest an sich zu drücken.

»Schön, dass ihr da seid. Wie war denn eure Reise? Und wo ist Josefine, meine liebe Frau?«

»Papi, so viel Fragen auf einmal«, lachte Anna. »Mama kümmert sich um das Gepäck der Kurfürstin und die Reise war bis auf drei komische Geräusche sehr interessant.«

»Was waren das denn für komische Geräusche«?

»Wissen wir nicht, Onkel Gabriel«, erwiderte Nicolas.

»Na, dann war es wohl nicht so schlimm, oder? Wollt ihr mir bei der Gartenarbeit helfen? Es gibt noch so viel zu tun bis heute Abend. Die Herrschaften wollen sicherlich nach dem Festmahl durch den Garten spazieren.«

»Ja! Was können wir denn machen?«, riefen alle vier durcheinander.

»Schaut mal bitte, ob abgeknickte Blumen in den Beeten stehen und welche Blumen dringend gegossen werden müssen. Dann prüft bitte noch den Wasserstand in den Wasserbecken der Fontänen. Irgendwie funktioniert die neue Wasserleitung nicht so, wie sie soll. Und sollte euch noch etwas auffallen, sagt es mir einfach. Jetzt aber los, ihr vier Rabauken«, scheuchte Gabriel die Kinder auf.

»Ich habe aber Hunger«, jammerte Luisa.

»Dann geht vorher bei Lucas in der Schlossküche vorbei, der hat sicherlich ein paar Leckerbissen für euch«, schlug der Gärtnermeister vor.

Gesagt – getan. Schnell liefen die hungrigen Kinder an das Fenster der Küche und Lucas, der sie bereits kommen sah, reichte einen randvoll gefüllten Korb nach unten.

»Das hat gutgetan, jetzt bin ich gestärkt«, sagte Ben und rieb mit der flachen Hand über seinen vollen Bauch.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Petra Breuer Ueberreiterstr. 7 85609 Aschheim [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Petra Breuer

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-0034-1