HARMLOS ist nur sein Name - Petra Breuer - E-Book

HARMLOS ist nur sein Name E-Book

Petra Breuer

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Beschreibung

Die 13-jährige Elly wird in der Schule gehänselt. Sie wünscht sich sehnsüchtig eine echte und innige Freundschaft und hofft, diese in einem anonymen Chatroom zu finden. Nach anfänglichen Bedenken knüpft sie Kontakt zu einem 16-jährigen Jungen, der sich Mr_harmlos nennt. Er ist ehrlich, charmant und hat genauso Makel wie sie. Beide verbringen viel Zeit vor dem Computer, um miteinander zu chatten. Als Elly eines Tages von ihm zu einer Reise nach Venedig eingeladen wird, fahren ihre Gefühle Achterbahn. Sie weiß, sie sollte das Angebot nicht annehmen. Doch was kann schon passieren? Elly verabredet sich heimlich mit Mr_harmlos am Bahnhof. Dort erwartet sie allerdings eine Überraschung und eine Reise mit unbestimmtem Ausgang.

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1. Auflage

© 2013 Phantasiereich Kinder- und Jugendbuchverlag, Aschheim

Inh. Petra Breuer

Alle Rechte vorbehalten

Titelfoto: © Kameel, iStockphoto.com

Layout: Nicoletta Edwards, www.nicoletta-edwards.com

978-3-943814-16-3

www.phantasiereich.com

Inhaltsverzeichnis

Akronyme

1. Das habe ich nun davon

2. Englische Vokabeln

3. Love – ein verhängnisvolles Wort

4. Endlich im Netz

5. Tiger, scharf wie Chili

6. Heidi und der Almöhi

7. Verbündete

8. Coole Sprüche

9. Eine Schachtel Pralinen

10. Sendepause

11. Der Traum

12. Kabelsalat

13. Stracciatella- und Krokanteis

14. Tante Gundi und die Gartenzwerge

15. Rote Rosen

16. Die Entscheidung

17. Ab in den Süden

18. Die Maske fällt

19. Albtraum, bitte habe ein Ende

20. Leise Hoffnung

21. Keine Gnade

22. Das Ende der Reise

Akronyme

4U

For you

ADS

Alles deine Schuld

AMT

Ahnungslose Menschen tyrannisieren

BAB

Bussi auf’s Bauchi

BB

Bis bald oder bye bye

BBB

Bis bald, Baby

BD

Bis dann

BDPEW

Bei dir piept es wohl

BIDUNODA

Bist du noch da?

BM

Blödmann

BTW

By the way

BVID

Bin verliebt in dich

CUT

See you tomorrow

DAU

Dümmster anzunehmender User

DN

Du nervst

F2F

Face to face – unter vier Augen

FIB

Flugzeuge im Bauch

GN8

Gute Nacht oder good night

HTH

Hope this helps

HAND

Have a nice day

HUND

Habe unten nichts drunter

IBIFLILA

Ich bin in Flirtlaune

IHA

Ich hasse Abkürzungen

ILD

Ich liebe dich

J4F

Just for fun – nur zum Spaß

KV

Kannste vergessen

LMAA

Leck mich am Arsch

MEMIWI

Melde mich wieder

MÖDIUNSE

Möchte dich unbedingt sehen

MS

Muttersöhnchen

PP

Persönliches Pech

QK

Quatschkopf

QMS

Quatsch mit Soße

SDEDG

Schön, dass es dich gibt

SFH

Schluss für heute

SG

Schlaf gut

SGUTWS

Schlaf gut und träume was Schönes

SP

Sendepause

SZ

Schreibe zurück

TADA

Tausend Dank

TM

Total mies

VEGIMINI

Vergiss mich nicht

VV

Viel Vergnügen

WE

Wochenende

WTFDYTYA

Who the fuck do you think you are?

1. Das habe ich nun davon

Nebelschwaden.

Stimmengewirr.

„Das wird ein Wettlauf mit der Zeit, beeilen Sie sich.“

Stich in die Vene.

Lautes Martinshorn, rasante Autofahrt.

Blaulicht.

Sanfte Stimmen, zärtliche Streicheleinheiten am Arm.

Lautes Martinshorn, rasante Autofahrt.

Blaulicht.

Ruckartige Bewegungen. Wind um die Nase.

„Schnell, hier entlang, es ist bereits alles vorbereitet.“

Langer Flur.

Fahrt mit dem Aufzug.

Eilige Schritte.

Grelles Licht.

Gedämpfte Stimmen.

Erneuter Stich in die Vene.

Brennendes Gefühl im Unterarm.

Stille.

Tiefer Schlaf.

Ein paar Wochen später:

Elly stand vor dem Spiegel und begutachtete traurig ihr Gesicht. Vereinzelt waren Narben sichtbar, die Zeugen ihres bescheuerten und pubertären Aussetzers. Wie konnte sie nur so etwas machen? Sich zu so einem Schwachsinn hinreißen lassen? Sie kannte sich selbst nicht mehr, denn sie war eigentlich klug und das Mädchen mit dem besten Notendurchschnitt an der Schule. Aber in manchen Situationen hilft einem selbst ein pfiffiges Köpfchen nichts, sondern viel eher sein Bauchgefühl. Und das hatte bei ihr total versagt.

Mit Schönheit war Elly noch nie gesegnet, weswegen auch bisher überhaupt kein Junge Notiz von ihr nahm. Klar, da wurde man automatisch wie eine Aussätzige behandelt. Ein Cocktail aus einem mäßigen Durchschnittsgesicht, einem Körper, so elegant geformt wie ein Sack Kartoffeln, und einem Kopf voll von Vokabeln und Rechenformeln steigerte keinesfalls ihren Platz auf der Beliebtheitsskala bei den Mitschülern. „Hässlicher Streberbatzen“ oder „Professorin Kotzgesicht“ waren zwei unschöne Beschreibungen, die ihr immer wieder nachgerufen wurden. Sie schämte sich zutiefst. Und jetzt auch noch diese hässlichen Narben, die hämischen Blicke und das Getuschel hinter ihrem Rücken. Immer wieder schreckte sie nachts auf, stellte mit Erleichterung fest, dass sie einen Albtraum hatte, versuchte sich zu beruhigen und wieder einzuschlafen. Nicht immer gelang ihr das. Selbst die Therapie hatte nicht viel geholfen. Die Narben, innerlich wie äußerlich, waren zu schlimm.

Eine Träne rann Elly die Wange hinunter. Sie wischte diese mit dem Handrücken weg und dabei fiel ihr Blick auf den rotbraunen Brandfleck oberhalb des Mittelfingers. Ihr wurde schlecht und es würgte sie leicht, denn sofort drängten sich die Gedanken der letzten Wochen in ihr Bewusstsein – den bisher schlimmsten Wochen in ihrem Leben. Sie senkte verschämt den Blick und fragte sich wieder und wieder, wie sie nur so dumm sein konnte. So absolut dumm, dass es schon wehtat. Das war natürlich gefundenes Fressen für die Lästermäuler an der Schule gewesen. Seitdem sie wieder in der Lage war, den Unterricht aufzusuchen, wurde sie täglich lauthals verspottet und ausgelacht.

„Ich kann bald nicht mehr“, murmelte sie tonlos vor sich hin. Sie kauerte wie ein Häufchen Elend auf dem Boden vor dem Waschbecken. Ihre Arme umschlangen zitternd die angewinkelten Beine. Immer und immer wieder stieß sie kraftvoll mit der Stirn gegen ihre Knie. Ein heftiges Wimmern und Schluchzen, unterbrochen von krampfhaftem Zucken, ließen ihren Körper erbeben. Elly brauchte lange, um sich zu beruhigen. Als sie sich schließlich kraftlos aufrappelte und ihr Gesicht durch die verquollenen Augen im Spiegel betrachtete, schwang tiefste Traurigkeit in Ihren Gedanken mit, die sie noch unglücklicher werden ließen. Elly hatte Angst, nun vollkommen durchzudrehen. Es war einfach alles zu viel gewesen – und zu schmerzhaft.

Kann es wirklich sein, dass ich so unmöglich aussehe?, fragte sie sich.

Sie trat etwas näher an ihr Spiegelbild heran und kontrollierte prüfend ihr Gesicht. Die bleibenden Zeugnisse ihrer maßlosen Leichtgläubigkeit würden bestimmt mit der Zeit verheilen. Sie betrachtete den dicken, fetten Pickel direkt auf der Nasenspitze, den sie gestern ausgequetscht hatte. Das hatte höllisch wehgetan, als sie mit beiden Zeigefingern und Unterstützung der Fingernägel drückte. Die Erleichterung jedoch, als das hässliche Ding sich explosionsartig entlud, war dafür umso schöner gewesen. Jetzt war der Pickel zwar besiegt, hatte aber aus Rache eine fette Kruste hinterlassen, die Elly als reine Provokation empfand. Hatte sie nicht schon genügend Spuren von Gewalt an ihrem Körper?

Du willst mir nur heimzahlen, dass ich dich einfach ausgelöscht habe, was?, grübelte sie vor sich hin und ein trauriges Lächeln umspielte ihren Mund.

Ihr Blick glitt weiter zu den verweinten Augen, die müde und traurig durch 4,5 Dioptrien blinzelten. Die Mädchen in ihrer Klasse schminkten sich schon fast alle. Knalliger Lippenstift und getuschte Wimpern hatte mittlerweile nahezu jede, mit Ausnahme der doofen Johanna und natürlich ihr – Elly dem Aschenputtel.

Vielleicht sollte ich mich auch einmal mit etwas Farbe im Gesicht aufhübschen, überlegte sie. Die Narben könnte ich mit Make-up übertünchen.

Ihre Eltern hatten es zwar verboten, aber so ein bisschen Rot oder Schwarz könnte doch nicht schaden, überlegte sie. Vielleicht würden ein oder zwei Jungs recht interessiert schauen und die Mädchen wären für kurze Zeit wohl sprachlos. Niemand würde „Elly Brillenschlange“ rufen. Wenigstens vielleicht für zwei Minuten.

Ihr Blick wanderte weiter zu den Ohren. Sie trug winzige Stecker, aber die Tatsache, dass ihre Ohren klein waren, konnte selbst ein funkelnder Edelstein nicht wettmachen. Sie fand ihre Ohren einfach grässlich.

Warum kann ich nicht normal aussehen? So wie die anderen aus meiner Klasse?, fragte sie sich verzweifelt. Und dann noch diese festsitzende Zahnspange.

Ärgerlich und zornig rüttelte sie heftig mit den Fingerspitzen an dem Drahtgestell, das sich natürlich auf diese plumpe Weise niemals entfernen ließ.

Mit beiden Händen fuhr Elly durch ihr blondes glattes Haar. Beim Friseur wurde sie letzte Woche beraten. Jetzt hatte sie einen knapp schulterlangen Schnitt, am Hinterkopf etwas kürzer und vorne dafür frech angestuft und länger als im Nacken. Das gab ihrem Aussehen wenigstens eine etwas pfiffigere Note, war aber das Einzige, was sie derzeit Positives an sich selbst finden konnte.

Nun gut, die Zahnspange kommt irgendwann mal wieder raus und die Narben verheilen mit der Zeit, versuchte Elly sich zu trösten.

„Elly, nun beeile dich bitte“, hörte sie ihre Mutter rufen. „Du musst doch in die Schule. Es ist schon 20 Minuten vor acht und wenn du nicht völlig schweißnass und schnaufend wie eine Dampflok im Unterricht ankommen möchtest, solltest du nun wirklich los.“

„Ja, ist schon gut. Ich bin gleich so weit. Heute fahre ich mit dem Rad. Das schaffe ich in zehn Minuten.“

Elly streifte sich die ausgewaschene Jeansjacke über, schlüpfte in ihre weißen Ballerinas und schnappte sich den Schulrucksack. Schnell radelte sie Richtung Schule. Was sie dort wohl heute wieder alles erwarten würde?

2. Englische Vokabeln

Die erste Unterrichtsstunde wurde vom Schulgong beendet und Elly steckte ihr Matheheft weg. Lehrerwechsel. Das nächste Fach war Englisch. Sie hatte gestern noch intensiv die Vokabeln der Lektion fünf gepaukt, denn sie erwartete eine Stegreifaufgabe. Herr Liebl kam federnd mit einem Stapel dünner Hefte unter dem Arm in die Klasse geschritten, legte diese auf das Pult und lächelte in 30 wartende Gesichter.

„Good morning“, begrüßte er die Schüler und ein 30-faches Echo kam an ihn zurück.

„Good morning, Mr. Liebl.“

„Heute werde ich eure Vokabeln mal etwas anders abfragen. Was haltet ihr davon? Ein bisschen Spaß im Unterricht kann doch nicht schaden. Freiwillige vor!“

Er bekam keine Antwort, denn jeder wollte erstmal abwarten, wie denn die neue Methode der Befragung aussehen sollte.

„Gut, wenn sich niemand freiwillig mit mir auf ein lustiges Abenteuer einlassen möchte, dann schaue ich in meine Liste, wer denn schon lange nicht mehr mündlich an der Reihe war.“

Er studierte die Namen der aufgelisteten Schüler einige Zeit, bis sich sein Gesicht erhellte.

„Elly! Ja, die liebe Elly“, hörte die Betroffene zu ihrem Bestürzen Herrn Liebl rufen.

Oh nein, was wird das denn nun schon wieder?, fragte sich Elly, während sie feuerrot anlief. Die Situation war ihr so peinlich, dass sie zudem auch noch feuchte Handinnenflächen bekam. Hoffentlich überstand sie die kommenden Minuten einigermaßen cool. Von hinten hörte sie bereits ein paar Mädchen kichern und einen doofen Witz über sie ziehen.

„Wir werden heute die Vokabeln anhand von Fragen beantworten. Ein Beispiel. Ich befrage euch nach dem Gegenteil von ‚yes‘ und ihr antwortet …?“

„No“, riefen einige Kinder in die Klasse hinein.

„Ja, so soll das sein, aber bitte nicht durcheinander und immer schön brav melden. Wir beginnen als erstes wie gesagt mit Elly. Stehe bitte mal auf.“

Elly erhob sich zögernd und spürte die bohrenden Blicke ihrer Mitschüler im Rücken. Sie fühlte sich scheußlich. Hasste sie doch Momente, in denen sie im Mittelpunkt stand.

„Gut, dann beginnen wir einmal, bitte Ruhe. Elly, nenne mir bitte auf Englisch ein Wort für folgende Umschreibung: ein Unterschlupf für sättigende Pausenbrote.“

Elly riss ungläubig ihre Augen auf und schaute völlig verzweifelt und ratlos ihren Lehrer an.

Hat der sie noch alle?, schoss es ihr durch den Kopf. Sie trat von einem Bein auf das andere und nestelte mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Shirt herum. Blitzschnell schossen ihr die Vokabeln des Vortags ins Gedächtnis. Elly blieb bei einem Wort hängen.

„Lunchbox“, hörte sie sich sagen.

Im Klassenzimmer war es mucksmäuschenstill.

„Yes, very good“, lobte sie zu ihrer Erleichterung Herr Liebl. „Ist doch mal was anderes als diese stereotype Abfrage von Vokabeln, oder?“ Sein Blick schweifte fragende über die Köpfe der Kinder.

Er bekam keine Rückmeldung. Vielen konnte man die Antwort von den Augen ablesen. Elly verhielt sich still. Sie wischte die nassen Handflächen an der Jeans ab, fühlte sich elend und hatte keine Lust auf ein heiteres Vokabelraten.

„Gut, dann fahren wir weiter im Text. Wenn es in England Hunde und Katzen regnet, was kommt dann in Deutschland vom Himmel?“

Elly war am Verzweifeln. Hunde und Katzen am Himmel. So ein Quatsch, dachte sie vor sich hin und grübelte fieberhaft, wie denn die Antwort heißen könnte. Von hinten hörte sie ein Tuscheln, gefolgt von einem Kichern.

„Na, Elly, kennst du den Ausdruck im Deutschen? Wie sagen wir denn dazu?“

Angestrengt dachte Elly über die letzte Englischstunde nach. Hatte Herr Liebl zu dieser Umschreibung vielleicht etwas erwähnt? Da hörte sie von hinten einen Wortfetzen und dieser half ihr auf die Sprünge.

„Es regnet in Strömen“, antwortete sie erleichtert und erntete ein wohlwollendes Nicken des Lehrers.

„‚It’s raining cats and dogs‘ heißt bei uns im Deutschen, dass es in Strömen regnet. Keine süßen Haustiere, sondern Wassertropfen.“

Die Klasse lachte begeistert über den Witz und Ellys Nervosität fiel etwas von ihr ab.

„Apropos Wasser. Da habe ich noch eine knifflige Frage für dich. Welche Pferde reiten nicht an Land sondern im Nassen und wie nennt man sie im Englischen?“

Elly überlegte. Mit dem Wort „Wasser“ war ihr bereits ein wichtiger Hinweis gegeben. Pferde, die im Wasser reiten. Da lächelte sie.

„Sea horse?“, stotterte sie fragend und legte die Stirn in Falten.

Herr Liebl schüttelte leicht bedauernd den Kopf.

„Nein, ich gebe zu, es ist wirklich schwierig. Meine Frage bezog sich auf die Schaumkronen im Meer, die wir auf den sich brechenden Wellen sehen können. White horses wäre die Antwort gewesen, was so viel bedeutet wie weiße Schaumkronen.“

Es folgten noch weitere Umschreibungen und Gegenteile, die sie übersetzen sollte. Bis auf eine Vokabel konnte sie immer antworten.

„So, jetzt noch zwei Lernwörter, Elly, und dann bist du für heute erlöst.“

Herr Liebl studierte die Liste der Vokabeln und grinste dann leicht vor sich hin. Er richtete den Blick auf sie.

„Nenne mir zwei Wörter im Englischen, die fast gleich ausgesprochen werden. Wäre Romeo das damals nicht gewesen, hätte er wohl nie den Balkon zu Julia hoch erklommen, und wir hätten nichts zu – Punkt, Punkt, Punkt.“

Elly überlegte fieberhaft. Sie war etwas sauer, derart ungewöhnlich abgefragt zu werden.

Punkt, Punkt, Punkt, so was Dämliches, aber eigentlich ganz logisch. „Lachen natürlich. Wir hätten nichts zu lachen“, kam prompt ihre erste Antwort.

Herr Liebl nickte wohlwollend und bat Elly dann um das zweite gesuchte Wort.

Also, Romeo und Julia, das war eine Liebesgeschichte, ging es ihr durch den Kopf. Das englische Wort dafür ist ‚love‘, jedoch kein Adjektiv, überlegte sie und grübelte weiter. Die Rettung kam von ihrer Banknachbarin, die mit dem Zeigefinger das Wort „in“ auf die Bank malte.

„In love, verliebt“, rief Elly aus. Sie freute sich, denn die zweite Vokabel war somit wohl gefunden. Das war das zweite Adjektiv, das fast gleich ausgesprochen wurde, jedoch eine ganz andere Bedeutung hatte.

„‚In love‘ heißt verliebt und ‚to laugh‘ bedeutet übersetzt lachen.“ Elly sah ihren Lehrer erwartungsvoll an.

„Gut, du kannst dich wieder setzten. Das war eine Note Eins für dich.“

„Streberbatzen“, kam es prompt von hinten gerufen.

„Unser Aschenputtel weiß doch gar nicht, was Liebe ist“, kicherte Annabella leise vor sich hin.

„Ruhe, das war wirklich eine gute Leistung und ich möchte nicht wissen, wie so manch anderer aus dieser Klasse auf meine außergewöhnlichen Fragen geantwortet hätte. Ich verteile jetzt die mitgebrachten Hefte und dann lesen wir Shakespeares ‚Romeo und Julia‘ auf Englisch.“

Die Doppelstunde wurde vom Schulgong beendet. Elly erhob sich und ging mit ihrer Pausenbrotbehausung in der Hand auf den Schulhof ins Freie.

3. Love – ein verhängnisvolles Wort

Schnell bildeten sich im Pausenhof Grüppchen. Elly gehörte nirgendwo richtig dazu. Sie hatte zwar eine Freundin, die war jedoch schon den zweiten Tag krank, und so stand sie alleine an einen Baum gelehnt und aß ihr Käsebrot, beobachtete die Mädels aus ihrer Klasse und verhielt sich still. Vielsagende Blicke wurden von den Klassenkameradinnen in Richtung Jungs geworfen, unterbrochen von hysterischem Gekicher. Elly war neidisch. Sie wollte auch bei den Mädchen stehen und einfach dabei sein. Annabella drehte sich zu Elly hin.

„Laaaaaf“, rief sie quer über den Schulhof und alle bogen sich vor Lachen.

„Du weißt doch noch nicht einmal, was Liebe ist, und willst uns dann die Vokabel dazu erklären.“

Die Clique brauchte diesmal einige Zeit, um sich von ihrem Lachanfall zu erholen. Elly schämte sich. Ein paar Jungs schauten in ihre Richtung und grinsten hämisch. Sie lief rot an und ein dicker Kloß saß im Hals. Tränen stiegen langsam auf und so drehte sie sich schnell von den Spöttern weg. Elly fühlte sich alleine und bloßgestellt. Wäre doch nur ihre Freundin Charlotte heute in der Schule. Mit der könnte sie dann so tun, als ob nichts wäre. Charly war auch nicht besonders beliebt und beide Mädchen trösteten sich gegenseitig mit ihrer Freundschaft, die bereits seit dem Kindergarten bestand.

Nach Schulschluss ging Elly hinter den lachenden Mädchen die Treppen hinab. Sie spitzte leicht die Ohren, als sie wieder das Wort „Liebe“ hörte.

Geht das wieder gegen mich?, fuhr es ihr blitzschnell durch den Kopf.

Doch die drei Grazien vor ihr hatten ein völlig anderes Thema.

„Ja, gestern bin ich wieder im Chatroom gewesen. Das war so cool, glaubt mir, da müsst ihr euch heute unbedingt auch einklinken. Dann können wir nachmittags oder abends weiterquatschen.“

„Das ist eine wirklich klasse Idee, das machen wir“, verabredeten sich die Mädchen, bevor jede in eine andere Richtung verschwand.

Elly wurde es wieder übel, denn unweigerlich schossen ihr die grausamen Geschehnisse der letzten Wochen durch den Kopf. Schnell radelte sie nach Hause, warf sich auf ihr Bett und überlegte, wie es eigentlich begonnen hatte …

Das Drama nahm vor knapp vier Monaten seinen Lauf. Die drei Zicken aus ihrer Klasse hatten Elly wieder einmal verspottet. Sie machten sich über sie lustig, dass sie wohl nie einen Jungen abkriegen würde, und das läge ja wohl an ihrer grenzenlosen Naivität, gepaart mit einer unbeschreiblichen Hässlichkeit. Elly würde nicht einmal wissen, wie sie locker mit einem Jungen im Chatroom online quatschen könnte.

So wurde sie neugierig …

Was ist überhaupt ein Chatroom?, grübelte Elly. Sie beschloss, im Internet nach der Lösung zu surfen.

„Chatroom“, gab sie in die Suchleiste ein und klickte auf die Lupe. Sogleich erschien eine Erklärung auf dem Bildschirm.

„Ein Chatroom ist ein Raum zum Plaudern. Er bietet dir die Möglichkeit, mit Leuten aus aller Welt in Kontakt zu treten. In einem Chatroom kannst du chatten – das heißt, dich per Computer mit anderen unterhalten. Allerdings sprichst du nicht mit ihnen, sondern schreibst Texte. Vorher musst du dich allerdings registrieren. Das bedeutet, dass du dich über einen ausgedachten Benutzernamen und ein Geheimwort bei der entsprechenden Seite anmeldest.“

Elly war begeistert. Das ist genau das, was ich gerne möchte. Mit anderen quatschen und Freunde finden.

Sie suchte nach weiteren Erklärungen und wurde in ihrer ersten Annahme bestätigt, als sie las:

„Unter chatten versteht man die zeitgleiche Unterhaltung verschiedener Teilnehmer im Internet. Chatten bedeutet so viel wie plaudern. Im Internet steht ein breites Angebot für jede Altersgruppe zur Verfügung. Die Zielgruppen nutzen dieses Kommunikationsmedium, um Informationen auszutauschen und Kontakte zu pflegen.“

Wow, das klingt ja fantastisch, dachte Elly.

In ihrem Suchportal gab sie das Wort „Chat“ in die Suchleiste ein und erhielt eine riesige Auswahl von unzähligen Sites, Links, Files und diversen Chatrooms. Elly staunte. Da gab es Flirt-Chats nur für Erwachsene und Singles, einen kostenlosen Seniorenchat sowie Chatrooms für Studenten, Kinder und Jugendliche. Überall wurde das Einzigartige jedes Portals beworben. Bei einem war es möglich, seine eigene 3D-Welt zu gestalten und seinen 3D-Avatar auszusuchen. Elly war verwirrt, gleichzeitig aber auch neugierig und klickte auf den Link. Es öffnete sich ein Fenster, Musik erklang und etwa 15 grafisch dargestellte Personen luden sie ein, durch einen Mausklick genau sie auszuwählen und sich anzumelden. Elly fand das affig und konnte damit nichts anfangen. Sie begab sich zurück auf die Suchmaschine, um einen für sie passenden Chatroom zu finden, und fütterte den Computer erneut mit diesem Suchwort. Wieder durchforstete sie das Angebot und klickte nach längerer Suche den Link zu einem Portal für Teens mit der Bezeichnung „Teenietalk“ an. Der Name hörte sich vielversprechend an.

Dort finde ich bestimmt jemanden zum Quatschen, war ihre Hoffnung.

Wieder öffnete sich ein Fenster und Elly klickte auf den Button „Anmelden“. Augenblicklich öffnete sich ein kleines Fenster. Elly wurde aufgefordert, eine Mailadresse und ein Geheimwort einzugeben. Sie überlegte, was wohl passieren könnte, wenn sie ihren Kontakt dort eintrug.

Bekomme ich dann von anderen Kids etwas geschrieben?, zweifelte sie leicht verunsichert. Die Neugierde siegte jedoch über die Bedenken und Elly tippte ihre Anmeldedaten ein. Der erste Schritt war gemacht.

Hat gar nicht wehgetan, dachte sie und musste über den alten Zahnarztwitz lächeln.

Etwas schwieriger tat sie sich beim Auswählen des Nicknamens. Sie hatte vorher nochmals im Internet nach der Bedeutung gesucht und wusste nun, dass es ein erfundener Name war, den sie sich selber aussuchte und der somit ihre wahre Identität verheimlichte.

Das ist genau das, was ich will. Vorerst soll niemand wissen, dass ich Elly Ritter bin, schmunzelte sie vor sich hin und überlegte, wie denn ein geeigneter Nickname lauten könnte.

---ENDE DER LESEPROBE---