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Geister gehörten bisher für Angie ins Reich der Sagen. Dann kommt sie nach Ruthardthaus, um dort wertvolle alte Bücher zu restaurieren. Besitzer des geheimnisumwitterten Hauses ist Dr. Oliver Ruthardt, ein junger Tierarzt. Er verheimlicht Angie, dass es in dem Haus spukt. Doch der Geist seines Urahns, Caspar zu Ruthardt, bittet sie um Hilfe bei der Aufklärung seines Todes. Gemeinsam kommen sie einer alten Intrige auf die Spur, in der es um den verschollenen Familienschatz geht. Doch auch Tobias, Olivers Halbbruder, ist hinter dem Schatz her. Und ihm ist jedes Mittel recht, ihn in seine Hände zu bekommen.
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Seitenzahl: 373
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Prolog
Kapitel 1: Ein interessanter Job
Kapitel 2: Gespenstergeschichten
Kapitel 3: Der Geist der Vergangenheit
Kapitel 4: Ausritt mit Oliver
Kapitel 5: Ein nerviges Wochenende
Kapitel 6: Nächtlicher Besuch
Kapitel 7: Erklärungen
Kapitel 8: Weitere Enthüllungen
Kapitel 9: Feindliche Brüder
Kapitel 10: Was plant Tobias?
Kapitel 11: Traumreise
Kapitel 12: Angie findet das Versteck
Kapitel 13: Caspars Schicksal
Kapitel 14: Endlich Gewissheit
Kapitel 15: Der Schlüssel zum Schatz
Kapitel 16: Endlich Hoffnung
Kapitel 17: Oliver in Not
Kapitel 18: In tödlicher Gefahr
Kapitel 19: Caspar greift ein
Kapitel 20: Die Rettung
Kapitel 21: Abschied
Wo befand er sich und was war geschehen? Um ihn herum nur Finsternis, kein Laut drang an seine Ohren. Nichts, außer seinem eigenen keuchenden Atem. Es fiel ihm schwer, genügend Luft in seine Lungen zu bekommen. Ein dicker Knebel in seinem Mund verhinderte es.
Als er ihn bewusst wahrnahm, versuchte er, ihn auszustoßen, doch erfolglos. Man hatte ihm zusätzlich ein breites Tuch über das gesamte Gesicht gebunden, das seine verzweifelten Versuche zum Scheitern verurteilte.
Ich werde sterben, kam ihm in den Sinn. Hier, aus diesem engen, dunklen Gefängnis würde er sich nicht befreien können. Mit der Erkenntnis kam die Panik. Nein, er wollte noch nicht sterben, nicht so... unwürdig.
Mit letzter Kraft bäumte er sich auf, zerrte an den Fesseln, die seine Hände auf seinem Rücken hielten. Auch seine Beine waren an den Knöcheln zusammengebunden. Seine Bezwinger wollten wohl ganz sicher sein, dass er sich nicht selbst befreite.
Die Anstrengung bewirkte nichts, außer, dass das wütende Stechen in seinem Kopf noch schlimmer wurde. Sein Hinterkopf tat entsetzlich weh, der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Trotz der undurchdringlichen Dunkelheit, die ihn umgab, sah er blutrote Kreise vor seinen Augen tanzen.
Jemand hatte ihm von hinten auf den Kopf geschlagen. Daran konnte er sich noch erinnern. Er hatte die schleichenden Schritte vernommen, die sich ihm genähert hatten und wollte sich umdrehen, doch seine Reaktion kam zu spät. Ein brutaler Hieb setzte seinem Bewusstsein ein abruptes Ende. Was danach geschah, wieviel Zeit inzwischen vergangen war, er wusste es nicht.
Eine Last auf seiner Brust wurde ihm erst jetzt bewusst. Etwas großes schweres lag auf ihm. Er konzentrierte sich darauf und erkannte einen Körper, leblos und steif.
Kein Mensch, dafür war der Körper zu klein. Sein Hund, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie hatten seinen Hund getötet und seinen Körper einfach auf ihn geworfen. Sie sollten hier gemeinsam verrotten.
In ohnmächtiger Verzweiflung krampfte er die gebundenen Hände zu Fäusten, wand sich in seinem Gefängnis. Unter ihm knirschte es wie morsches Holz. Er meinte, dürre Äste zu fühlen, die unter seinem Gewicht knackten. Hatte man ihn auf einen Scheiterhaufen gelegt? Wollte man ihn verbrennen, sobald er tot war? Oder vielleicht sogar bei lebendigem Leibe?
Die Gedanken an seinen bevorstehenden Tod peinigten ihn. Sein Herz raste in seiner Brust und sein Kopf drohte zu zerspringen. Er bekam kaum noch Luft. War das schon das Ende?
Seine Gedanken begannen sich zu verwirren, eine erneute Ohnmacht drohte ihn mit sich zu reißen. Verzweifelt kämpfte er dagegen an. Er musste wach bleiben, eine Möglichkeit zu seiner Befreiung ersinnen. Doch die dunklen Wogen überschwemmten erneut sein Gehirn.
Plötzlich war es gleißend hell um ihn. Der Schmerz und die Angst wichen von ihm. Erstaunt riss er die Augen auf. Ein Gesicht beugte sich über ihn, lächelte ihm zu. Ein vertrautes, geliebtes Gesicht. Christina.
Wo kam sie her? Sie war doch tot. Er hatte sich so nach ihr gesehnt, gedacht, er sähe sie nie wieder. Jetzt reichte sie ihm ihre Hand, forderte ihn stumm auf, mit ihr zu kommen. Der Gedanke, ihr zu folgen war verlockend. Er wusste, an ihrer Seite würde er glücklich sein. Kein Schmerz mehr, kein Leid, nur Friede.
Aber nein. Wenn er ihr folgte, so würde ihrer beider Tod auf ewig ungesühnt bleiben. Sein Widersacher, der alles so sorgfältig geplant hatte, würde den Sieg davontragen. Das durfte nicht sein, er konnte es nicht zulassen. Er musste hierbleiben, musste versuchen, den wahren Mörder zu entlarven.
Entschieden schüttelte er den Kopf und sah, wie Christinas Lächeln traurig wurde. Es zerriss ihm fast das Herz.
„Ich werde nachkommen. Wenn ich deinen und meinen Mörder gefunden habe. Erst dann bin ich frei.“
Sie schaute ihn traurig an und ihr Gesicht begann sich aufzulösen wie ein Nebel. Mit ihrem Verschwinden kam die Dunkelheit zurück und hüllte ihn ein.
Die Fahrt durch den Spessart hätte ein Genuss sein können. Im strahlenden Frühlingssonnenschein ragten rechts und links der Straße dunkle, hohe Tannen über Laubbäumen auf, deren junge Blätter zartgrün leuchteten. Die Wegstrecke führte über einen Bergkamm und vor ihnen erstreckte sich die idyllische Landschaft. Vogelgezwitscher drang durch die offenen Seitenscheiben ins Wageninnere.
Wie gesagt, die Fahrt wäre herrlich gewesen, würde ihr Begleiter nicht ständig auf sie einreden. Angela schickte einen entnervten Blick zu ihrem Verlobten hin, bevor sie sich wieder auf die gewundene Straße konzentrierte.
„Bitte Thomas. Ich dachte, wir wären uns einig. Du weißt, wie wichtig mir meine Arbeit ist. Sie macht mir Spaß, füllt mich aus. Ich denke nicht daran, sie aufzugeben, nur weil du möchtest, dass ich nach unserer Heirat zu Hause bleibe. Heim und Herd sind nichts für mich, da langweile ich mich zu Tode. Ja, wenn wir irgendwann Kinder hätten, aber die willst du ja auch nicht.“
Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es nicht ein großer Fehler gewesen war, Thomas‘ Antrag anzunehmen. Sie hatten so wenige Gemeinsamkeiten, ihre Ehe würde wahrscheinlich in öder Langeweile ersticken. Thomas war ein kühler Geschäftsmann, den nur seine Karriere interessierte. Sie hingegen war naturverbunden und liebte es, unter netten Menschen zu sein. Und sie liebte ihre Arbeit als Restauratorin. Alte Bücher waren ihr Spezialgebiet und sie befand sich auf dem Weg zu einem Kunden, dessen Bibliothek wahre Schätze beherbergte. Den einmaligen Kunstwerken drohte jedoch Verfall, weshalb er sie um einen Termin gebeten hatte.
Thomas war mitgekommen, weil er ihr schon lange einen freien Tag versprochen hatte. Es fiel ihm immer sehr schwer, sich von seiner Arbeit loszureißen. An einen gemeinsamen Urlaub war gar nicht zu denken, niemals könnte er sein Büro für längere Zeit verlassen. So hatte er ihr versprochen, wenigstens hin und wieder einen Ausflug mit ihr zu unternehmen.
Angela wünschte sich mittlerweile, er wäre zu Hause geblieben. Schon seit sie losgefahren waren, nervte er sie mit seinem Lieblingsthema. Da sie es satt hatte, machte sie das Radio an und stellte es so laut, dass seine Antwort in der Musik unterging. Beleidigt hielt er endlich den Mund und schaute aus dem Seitenfenster.
Schweigend fuhren sie weiter, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Langsam lichtete sich der Wald, machte Wiesen und Feldern Platz. Die Straße führte nun am Main entlang. Sie passierten mehrere große und kleine Ortschaften bis endlich der Ortsname Rothenfels auf einem Straßenschild anzeigte, dass sie bald da waren.
Ihr Ziel, das Ruthardthaus lag abseits des kleinen Städtchens hinter alten Bäumen versteckt auf einem Hügel hoch über dem Main. Ein gepflasterter Weg, der dringend ausgebessert gehörte, führte darauf zu.
„Bist du dir sicher, der Hausherr kann deine Arbeit überhaupt bezahlen?“ knurrte Thomas mit einem skeptischen Blick auf das alte Gebäude. „Vielleicht sollte er mit dem Geld lieber den alten Kasten modernisieren, als wurmstichige Bücher restaurieren zu lassen, die sowieso keinen Menschen interessieren.“
Angela ignorierte seine bissige Bemerkung, mit der er ihr sagen wollte, wie wenig er von ihrer Arbeit hielt. Ihr Bedarf an Streit war für heute gedeckt. Sie hielt ihr Auto vor der hohen, schmiedeeisernen Einfahrt an und stieg aus, um nach einer Klingel zu suchen. In einen Pfeiler eingelassen, fand sie eine moderne Sprechanlage. Dr. Oliver Ruthardt stand auf dem Namensschild und darunter Tierarzt/Pferdeklinik. Sie drückte den Schalter und wartete.
Schon nach wenigen Sekunden fragte eine Männerstimme, was sie wolle.
„Mein Name ist Angela Berger, Dr. Ruthardt erwartet mich.“
Das Tor schwang auf und sie fuhr über den gepflasterten Weg bis zum Parkplatz vor dem Haus. Sie stiegen beide aus und musterten kurz das Anwesen, das inmitten eines großen, parkähnlichen Geländes lag.
Angela gefiel das Ruthardthaus, das schon einige hundert Jahre alt sein musste, auf Anhieb. Es wirkte etwas düster, wie es so im Schatten uralter Eichen stand. Aber es strahlte Würde und Stärke aus. Ein wuchtiger Vorbau überragte das hintere Hausteil um ein Stockwerk, verlieh ihm fast das Aussehen eines mächtigen Turmes. Seine obere Fassade wurde durch kunstvolles Fachwerk besonders hervorgehoben. Seine vier Ecken, ebenso wie die Ecken des mit Schiefer gedeckten Daches waren mit Wasserspeiern besetzt, die wie grimmige Wächter in die Tiefe starrten.
„Ein grässlicher alter Kasten“, murmelte Thomas neben ihr. „Hoffentlich bekommst du keine Alpträume, solange du hier wohnen wirst. Sicher ist es innen noch gruseliger als von außen. Willst du dir nicht lieber ein Zimmer in Rothenfels nehmen? Dort gibt es bestimmt ein Gasthaus.“
„Also mir gefällt das Haus“, erwiderte sie, verwundert über seine Meinung. „Ich finde es strahlt ...Seele aus. Es muss eine Freude sein, hier zu wohnen.“
Thomas wollte etwas Abfälliges sagen, unterließ es aber, da jetzt die schwere Holztür geöffnet wurde und ein Mann heraustrat. Er musterte die Besucher kurz und bat sie dann herein.
„Dr. Ruthardt ist leider momentan nicht abkömmlich, ein Notfall in der Klinik... Er hat mich gebeten, Ihnen die Bibliothek zu zeigen. Mein Name ist Peter Steinau, ich bin der Verwalter von Haus und Hof. Man kann auch sagen, das Mädchen für alles, wenn Sie so wollen.“ Er lachte über seinen Scherz und ging vor ihnen die Treppe hinauf.
Angela schaute sich neugierig um, während sie die breite Treppe emporstiegen. Das Innere des Hauses passte genau zu seinem Äußeren. Alles schien so belassen worden zu sein, wie es von Anfang an war.
Die Treppenstufen und das massive, kunstvoll geschnitzte Geländer bestanden aus dunkel gebeiztem Holz. An der Wand hingen alte Gemälde, die Jagdszenen oder Stillleben darstellten. Die Treppe führte zu einer Galerie, die rund um das obere Stockwerk lief. Etliche Türen gingen davon ab, die alle offen standen.
„Das ist der öffentliche Teil von Ruthardthaus“, erklärte Peter Steinau. „Er kann besichtigt werden. Nach Voranmeldung führe ich hier Schulklassen oder Touristengruppen hindurch. Hier oben befindet sich auch die Bibliothek.“
Er steuerte eine der Türen an und lud sie mit einer Handbewegung ein, einzutreten. Angela war sofort begeistert von dem Raum. Er roch intensiv nach alten Büchern, was Thomas zum angewiderten Kräuseln der Nase veranlasste. Angela hingegen sog tief den vertrauten Geruch ein. Sie fühlte sich hier auf Anhieb wohl.
In Bücherregalen, die bis zur Decke reichten, standen hunderte von uralten Büchern. Dazwischen lockerten Skulpturen die strengen Reihen ein wenig auf. Eine Wand war Gemälden aller Größen und Stilrichtungen vorbehalten. Das einzige, was sie verband, war, dass sie allesamt schön anzusehen waren und in wertvollen Rahmen steckten. Derjenige, der sie zusammengetragen hatte, hatte anscheinend nur Wert auf ihr Aussehen und ihre Wirkung auf den Betrachter gelegt. Er muss ein Genussmensch gewesen sein, ging es Angela durch den Kopf.
Vor einem hohen Fenster mit vielen kleinen Butzenscheiben stand ein Globus. Er war ebenfalls sehr alt und sorgfältig mit der Hand bemalt und beschriftet. Er ruhte in einem hölzernen Drehgestell, das mit Schnitzereien verziert war.
„Hier in diesem Schrank befinden sich die Bücher, um die es geht. Sie sind sehr alt und wertvoll, allesamt mit der Hand geschrieben und illustriert. Sie stammen aus der hiesigen Klosterkirche und wurden dem Ruthardthaus vermacht, ...wahrscheinlich, weil es den Nonnen zu kostspielig war, sie restaurieren zu lassen.“
Den letzten Satz murmelte der Verwalter nur leise vor sich hin. Angela konnte ihn trotzdem hören und lächelte.
„Na, so teuer ist meine Arbeit nun auch wieder nicht. Und solch wertvolle Bücher sind eine Bereicherung für jede Sammlung. Manches Museum würde sie mit Kusshand annehmen.“
Sie vertiefte sich in die Prüfung der Bücher, während Thomas sich mit einem Glas Wein, das ihm der Verwalter anbot in einen Lesesessel setzte.
Die edlen Werke waren nicht so sehr beschädigt, wie sie angenommen hatte. In zwei, höchstens drei Wochen wäre sie vermutlich mit der Restauration fertig. Das erklärte sie nun Peter Steinau und der nickte. „Das wird den Doktor freuen, er hatte befürchtet, die Bücher wären stärker beschädigt und die Arbeit daran würde mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Wann werden sie beginnen?“
„Falls es dem Doktor passt, werde ich gleich am Montag anfangen. Ich bringe meine benötigten Utensilien mit und werde einzig einen Arbeitstisch von Ihnen brauchen. Der günstigste Platz dafür wird am Fenster sein, dort habe ich das beste Licht.“
Der Verwalter versprach, dafür zu sorgen und meinte, seine Frau würde das Gästezimmer herrichten. Dann begleitete er die Besucher wieder hinunter.
Im Vorbeigehen fiel Angela ein Bildnis ins Auge, das wohl einen Urahn des jetzigen Hausherrn darstellte. Es war fast lebensgroß und zeigte einen stolz blickenden jungen Mann mit schwarzen, schulterlangen Haaren und ausdrucksvollen, dunklen Augen. Neben ihm stand ein großer, weißer Hund mit kräftigem Körperbau. Das Bild wirkte so lebensecht, dass Angela meinte, Mann und Hund würden sie mit ihren Blicken verfolgen. Ja, sie glaubte sogar zu sehen, dass die dunklen Augen ihr kurz zublinzelten.
Kopfschüttelnd lief sie hinter Thomas und Steinau die Treppe hinab und verabschiedete sich kurz darauf von dem Verwalter. Doch auf der Heimfahrt gingen ihr die dunklen Augen einfach nicht aus dem Sinn. Sie hatten etwas faszinierendes, fast magisches an sich gehabt.
Pünktlich um neun am Montagmorgen stand Angela wieder vorm Ruthardthaus. Das Tor stand offen, da vor ihr ein Auto mit Pferdeanhänger das Grundstück befahren hatte. Pferdeklinik, fiel ihr wieder ein. Dr. Ruthardt betrieb ja eine Pferdeklinik auf dem Gelände. Wie sie erfahren hatte, war er auf die Behandlung von Pferden spezialisiert.
Als sie dem Pferdetransporter nachblickte, entdeckte sie ein flaches, langgestrecktes Gebäude, das ziemlich nüchtern wirkte. Das war sicher die Klinik. Zwei Männer standen davor, die anscheinend das Pferd ausladen wollten. Da sie in einem von ihnen den Verwalter Peter Steinau erkannte, stellte sie ihr Auto auf dem Parkplatz ab und schlenderte in Richtung der Klinik.
Aus dem Hänger wurde ein Pferd geführt, das stark humpelte. Ein Hinterbein zog es hoch, sorgsam darauf bedacht, nicht damit aufzutreten. Kein Wunder, dachte Angela voller Mitleid. Vom Huf bis zur Beuge war das Bein fast aufs doppelte seines normalen Umfanges angeschwollen. Das arme Tier musste große Schmerzen haben. Peter Steinau führte das Pferd jetzt zu dem anderen wartenden Mann, der es intensiv begutachtete. Das musste der Tierarzt, Dr. Ruthardt sein. Angela kannte ihn nicht persönlich, sie hatte nur einmal kurz mit ihm telefoniert.
Interessiert trat sie ein wenig näher zu den drei Männern. Der Tierarzt erklärte dem Besitzer gerade etwas und der nickte bekümmert. Dann reichte er den anderen Männern die Hand, klopfte seinem Pferd nochmals den Hals, stieg ins Auto und fuhr davon. Angela erschrak, als etwas Feuchtes ihre Hand streifte. Sie blickte herab und sah einen weißen Hund neben sich stehen, der hechelnd und wild mit dem Schwanz wedelnd zu ihr aufblickte. Kleine braune und schwarze Flecke im Gesicht, sowie ein braun geschecktes linkes Ohr gaben dem Tier ein lustiges Aussehen.
„Lara, verschreck die Dame nicht, sie wird noch gebraucht“, rief der Tierarzt und kam auf Angela zu. „Keine Angst, sie tut nichts, muss nur immer jeden beschnüffeln, der ihr fremd ist“, beruhigte der Tierarzt und reichte ihr die Hand.
„Sie sind Frau Berger nehme ich an. Leider hatte ich neulich keine Zeit, sie zu begrüßen. Kranke Tiere halten sich selten an reguläre Sprechzeiten. Aber heute habe ich ein wenig Zeit für Sie.“
„Müssen Sie nicht sofort das arme Pferd behandeln? Es scheint zu leiden...“
Er lächelte ihr beruhigend zu. „Keine Sorge, für das Pferd wird alles getan. Ich habe bereits die notwendigen Untersuchungen angeordnet. Danach bekommt es eine Spritze, die seine Schmerzen mindert. Ich werde in der nächsten halben Stunde nicht gebraucht und kann ihnen ihren neuen Wirkungskreis und ihr Zimmer zeigen. Ich hoffe, sie fühlen sich wohl bei uns. Manchen erscheint das Haus sehr düster oder sogar bedrohlich.“
„Oh nein“, versicherte sie ihm, während er ihre Reisetasche und den Koffer mit ihren Utensilien aus dem Kofferraum ihres Autos hob. „Mir hat es sofort gefallen. Ich mag so alte Häuser. Sie strahlen etwas aus, was man nur schwer beschreiben kann. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass ich mich hier wohl fühlen werde.“
Er schaute sie ein wenig skeptisch an, sagte jedoch nichts, sondern ging vor ihr her zum Haus. Eine Frau öffnete ihnen und er stellte sie gegenseitig vor. „Das ist Frau Berger, Inge. Sie wird in den nächsten Tagen hier wohnen. Aber du weißt ja Bescheid. Und das ist Inge Steinau, die gute Fee von Ruthardthaus. Ohne sie ginge es hier drunter und drüber.
Die Frau lachte geschmeichelt, dann sagte sie, das Gästezimmer wäre hergerichtet. Wenn noch etwas benötigt würde, solle man ihr Bescheid geben.
„Mittagessen ist um zwölf hier in der Küche!“ rief sie ihnen noch hinterher.
„Inge und Peter sind für alles rund ums Haus zuständig“, erklärte Dr. Ruthardt, während sie die beiden Treppen meisterten, die ins Dachgeschoß führten. „Wenn ich die beiden nicht hätte, könnte ich das Haus nicht in diesem Zustand halten. Sie sorgen dafür, dass es hier an nichts fehlt.“ „Wohnen die Beiden ebenfalls hier im Haus?“ wollte Angela wissen, doch er schüttelte den Kopf.
„Sie haben eine kleine Wohnung neben der Tierklinik. Peter ist auch für die Ställe zuständig. Außerdem hilft er mir in der Klinik. Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn täte. Er ist sozusagen der Mann für alle Fälle.“
Sie lachte. „Ja, so ähnlich hat er es mir auch erklärt.“
Im ersten Stock angelangt, kamen sie an dem Bild vorbei, dass ihr so ins Auge gefallen war. Jetzt sah sie, es war das erste von mindestens fünf Bildern, die den ganzen Gang entlang aufgehängt waren.
„Die Ahnengalerie“, erklärte der Doktor als er ihren interessierten Blick bemerkte. „Hier hängen all meine Vorfahren einträchtig vereint. Das war früher nicht so gewesen, glaubt man der Familienchronik. Manche waren sich spinnefeind. Wenn sie es hören möchten, erzähle ich ihnen am Abend ein paar der wilden Geschichten.“
Das wollte Angela unbedingt und sie nickte erfreut. Besonders über den Mann mit dem Hund wollte sie mehr wissen. Als sie nun vor dem Bild stehenblieb, um es näher zu betrachten, fiel ihr plötzlich die große Ähnlichkeit des Mannes auf dem Bild mit ihrem Gastgeber auf. Die beiden hätten Zwillinge sein können.
„Die Familienähnlichkeit hat sich anscheinend über die Jahrhunderte erhalten“, bemerkte sie verblüfft. „Wenn man von den langen Haaren und den altmodischen Kleidern absieht, meint man, es wäre Ihr Gesicht, das da von der Leinwand schaut. Sogar die weißen Hunde sind fast identisch.“
Er lachte, aber es klang ein wenig gequält. „Ja, leider ist die Ähnlichkeit zwischen uns wirklich nicht zu leugnen. Dabei bin ich gar nicht stolz darauf. Das ist Caspar, Mathias von Ruthardt der zweite. Und der Hund war Meta, eine weiße Bullenbeißer Hündin. Caspar ist ein Vorfahr väterlicherseits, mein Ur- Urgroßvater um genau zu sein. Er war jedoch auch das schwarze Schaf der Familie. Seine Geschichte ist besonders interessant und keinesfalls rühmlich. Sie wird Ihnen gefallen.“
Er nahm die Tasche wieder auf, die er abgesetzt hatte, während sie das Bild betrachteten. Den Koffer ließ er stehen, er wollte ihn später in die Bibliothek tragen. Dann ging er voraus ins nächste Stockwerk, in dem sich die bewohnten Zimmer befanden.
Das Gästezimmer lag etwas abseits der Räume, die der Hausherr sein eigen nannte. Er öffnete ihr die Türe und ließ sie eintreten.
„Ich fürchte, es ist sehr altmodisch eingerichtet. In ganz Ruthardthaus sind noch überwiegend die Originalmöbel zu finden. Das ganze Gebäude steht unter Denkmalschutz, auch die Einrichtung der meisten Zimmer. Mir gefällt es, - vielleicht, weil ich es nicht anders gewohnt bin. Aber viele Gäste bleiben hier nicht über Nacht. Die meisten finden das Haus zu gruselig.“
Er schaute sie offen an. „Falls es Ihnen nicht zusagt, so quartiere ich Sie im Gasthof ein. Ich möchte nicht, dass sie hier des Nachts Alpträume bekommen.“
Angela schaute sich kurz in dem Zimmer um und war entzückt. Die Einrichtung war tatsächlich uralt, aber wunderschön. Es schien das Zimmer einer Frau gewesen zu sein. Um das Himmelbett waren helle Seidenvorhänge drapiert und überall lagen Spitzendeckchen auf den zierlichen Möbeln. Das ganze Zimmer blitzte vor Sauberkeit und es roch dezent nach Veilchen und Lavendel.
„Oh, es ist wunderschön“, sagte sie ehrlich. „Hier werde ich ganz bestimmt sehr gut schlafen.“
Der Doktor lächelte erfreut und stellte die Reisetasche ab. Dann ging er auf eine fast unsichtbare Tapetentüre zu und öffnete sie. „Hier befindet sich das Bad. Keine Angst, es ist nicht so antiquiert wie es aussieht.
Die sanitären Einrichtungen im Haus sind ziemlich modern. Ich habe auch eine Heizung legen lassen, damit es warm ist. Ein bisschen Bequemlichkeit ist schließlich unerlässlich, auch in einem denkmalgeschützten Haus.“
Er deute auf eine Türe, die in einen weiteren Raum führte. „Hier befindet sich das Herrenzimmer. Früher hatten Eheleute getrennte Schlafzimmer, wenn es der Platz zuließ. Das heutige Bad war einstmals das Ankleidezimmer der Herrschaften. Es ist zwar niemand hier, außer Ihnen, aber Sie können die Badezimmertüre verriegeln.“
„Ach, ich bin nicht ängstlich. Wer soll schon hier hereinkommen? Höchstens ein Geist.“
Sein Gesicht verfinsterte sich für einen Moment, oder kam es ihr nur so vor? Dann lachte er leise und meinte: „Gegen einen Geist gibt es leider keine Schlösser. Er kann durch sämtliche Wände gehen, wenn er das möchte.“
Mit knappem Kopfnicken verabschiedete er sich. „Meine Arbeit ruft. Und Sie wollen sich sicher häuslich einrichten. Ich trage Ihren Koffer in die Bibliothek. Wir sehen uns später beim Mittagessen. Punkt zwölf, denken Sie daran. Inge wird ungehalten, wenn das Essen kalt wird.“
Mit schnellen Schritten verließ er das Gästezimmer und sie hörte ihn die Stufen hinabpoltern. Es hatte fast den Anschein, als wolle er flüchten. Sie runzelte die Stirn, als sie ihre Reistasche öffnete, um die mitgebrachten Kleidungsstücke im Schrank zu verstauen. Hatte seine Stimme nicht seltsam abweisend geklungen, als er von einem Geist sprach?
„Angie, du bildest dir da etwas ein“, schalt sie sich selbst. „Du wirst doch nicht ernsthaft beginnen, an Geister zu glauben“.
Wenig später hatte sie alles verstaut und ging die Treppe hinab, um die benötigten Utensilien für ihre Arbeit in der Bibliothek vorzubereiten. Wieder kam sie an dem Bildnis vorbei und blieb abermals stehen um es zu betrachten. Caspar, dachte sie und lächelte leise in sich hinein. Der kleine Zeichentrickgeist aus dem gleichnamigen Film fiel ihr ein. Sie hatte die anrührende Geschichte einmal im Fernsehen gesehen.
Ganz sicher war dieser Caspar von dem Bild kein Geist, er war ja auch kein kleiner Junge mehr. So geheimnisvoll, wie der Hausherr getan hatte, war er wahrscheinlich ein böser Junge, - oder Mann gewesen. Das schwarze Schaf der Familie...
Dabei sah er sehr gut aus. Groß, schlank, mit langen, schwarzen Haaren und dunklen Augen. Auf dem Bild blickte er gar nicht böse, eher freundlich, sogar glücklich, - oder auch unbeschwert. Kaum zu glauben, dass er zu einer Missetat fähig gewesen sein sollte. Sie war schon richtig neugierig auf seine Geschichte. Was mochte er bloß angestellt haben? Wieder fiel ihr die große Ähnlichkeit mit seinem Nachfahr auf. Wirklich unglaublich...
Sie gestand sich ein, dass dieser Dr. Ruthardt, Oliver, sie ebenfalls sehr beeindruckte. Ein ausgesprochen attraktiver Mann. Und er schien sehr nett zu sein. Irgendwie ein bisschen altmodisch in seiner galanten Art, - oder machte das nur das alte Haus, in dem er lebte?
Auf jeden Fall war er ganz anders als der nüchtern denkende Thomas. Sie seufzte unbewusst auf, als sie an ihren Verlobten dachte. Erst gestern hatten sie sich wieder stundenlang gezankt, dann war er verärgert heimgefahren. Erneut überlegte sie, ob die Verlobung nicht ein großer Fehler gewesen war. Nun, vielleicht konnte sie während ihrer Zeit hier in Ruhe darüber nachdenken.
Die Bibliothekstür stand einladend offen, energischen Schrittes ging sie hinein, um mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Das zuschlagen der Haustür, das gedämpft zu ihr klang, ließ sie aufblicken. Mein Gott, schon gleich zwölf. Die Zeit war wie im Flug verronnen. Sie legte das Federmesser weg, mit dem sie gerade vorsichtig eine Buchseite bearbeitet hatte und erhob sich um nach unten zu eilen. Stimmengemurmel wies ihr den Weg und als sie die große, geräumige Küche betrat, schauten ihr fünf Augenpaare entgegen. Anscheinend war es hier üblich, dass alle zusammen zu Mittag aßen. Dr. Ruthardt erhob sich und deutete einladend auf einen Stuhl. Dann stellte er ihr die beiden jungen Männer vor, die sie noch nicht gesehen hatte. Jochen und Uwe, die beiden Pferdepfleger, die in der Klinik arbeiteten. Peter Steinau saß ebenfalls am Tisch, seine Frau erhob sich jetzt um das Essen zu servieren. Sie winkte ab, als Angela ihr behilflich sein wollte.
Das Essen schmeckte ausgezeichnet und bald waren sie in ein angeregtes Gespräch vertieft. Alle seine Mitarbeiter nannten Dr. Ruthardt beim Vornamen und er sie ebenso.
„Wir sind hier fast wie eine kleine Familie“, erklärte er ihr lächelnd, als sie ein wenig erstaunt blickte. „Ich mag nicht gerne Förmlichkeiten. Nennen Sie mich bitte auch einfach Oliver. Dr. Ruthardt klingt so distanziert.“
„Dann müssen sie mich Angela nennen, oder Angie, das ist kürzer.“ Kurz dachte sie daran, wie Thomas diese Abkürzung ihres Namens hasste. Er verwendete sie nie. Dr. Ruthardt, nein, Oliver schien er jedoch zu gefallen.
„Angie gefällt mir sehr gut“, bestätigte er lächelnd. „Der Name passt zu Ihnen.“
Nach dem Essen wollte sie sich gleich wieder an die Arbeit machen, doch er hielt sie auf. „Machen Sie einen Verdauungsspaziergang mit mir. Es ist ein wundervoller Tag und ich könnte ihnen das Gelände zeigen, das zum Haus gehört. Ihre Arbeit läuft Ihnen nicht weg.“
Sie war einverstanden und folgte ihm hinaus. Er hatte Recht, es war wirklich ein wunderschöner Tag. Die Sonne strahlte fast sommerlich warm und die Luft roch herrlich nach Blüten und Bäumen. Tief sog sie die Luft ein.
Er lächelte, als er es sah. „Solch eine gute Luft gibt es in Frankfurt sicher nicht, nicht wahr. Wie können Sie es in solch einer großen Stadt bloß aushalten? Ich hasse es, dort hinzufahren und bin jedes Mal froh, wenn ich wieder zu Hause bin.“
„Mir gefällt es dort auch nicht besonders“, meinte sie achselzuckend. „Aber im Laufe der Jahre habe ich mich daran gewöhnt.“
Sie deutete auf den weißen Hund, der nicht von Olivers Seite wich. „Welche Rasse ist das? Ich kenne mich mit Hunden nicht besonders gut aus, aber sie kommt mir irgendwie bekannt vor.“
„Lara ist ein weißer Boxer. Bis vor einigen Jahren sah man sie nur sehr selten, aber nicht etwa, weil nicht genügend davon geboren wurden. Ich schätze, in jedem zweiten oder dritten Wurf ist mindestens ein weißer Welpe. Aber da es eine sogenannte Fehlfarbe ist, wurden sie gleich nach der Geburt umgebracht.“
„Wie schrecklich!“ meinte sie ehrlich entsetzt. „Warum tut man so etwas? Es sind doch ganz entzückende Tiere.“
„Ja, das finde ich auch, deshalb habe ich sie mir ausgesucht. Ein Züchter aus dem Ort brachte mir seine Boxerhündin, da sie einen Kaiserschnitt benötigte. Als ich ihm den Wurf präsentierte, verlangte er, ich solle diese weiße Hündin töten. Ich habe ihm angeboten, sie statt einer Bezahlung für meine Dienste zu nehmen. Er war einverstanden und hat sie großgezogen. Lara ist ein prächtiges Boxermädchen geworden, sie steht ihren farbigen Artgenossen in nichts nach.“
„Ich finde sie ganz entzückend. Mit dem braunen Ohr und den vielen Punkten ist sie eine richtige Schönheit.“
Fast konnte man meinen, Lara wüsste, das von ihr gesprochen wurde. Sie kam heran und stupste Angies Hand mit der Schnauze an. Dann machte sie ein paar übermütige Sprünge und jagte in Richtung der Pferdeklinik davon. Die beiden Menschen folgten ihr lachend.
Das ist mein Wirkungskreis“, erläuterte Oliver, als sie eingetreten waren. Hier behandle ich hauptsächlich Großtiere, meist Pferde. In Rothenfels betreibe ich noch eine Kleintierpraxis.“
„Dann sind Sie ja mehr als ausgelastet.“ Angela war beeindruckt. „Sicher haben Sie nur wenig Freizeit.“
Er zuckte lächelnd die Schulter. „Ach, das ist Gewohnheitssache. Meine Arbeit ist gleichzeitig mein Hobby. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber für mich gibt es nichts schöneres, als kranken Tieren zu helfen.“
Sie fand das gar nicht abgedroschen und sagte es ihm auch. Dann fügte sie verschmitzt hinzu. „Wenn Sie so viel arbeiten, verdienen Sie bestimmt auch eine Menge Geld.“
„Schön wär‘s“, brummte er gutmütig. „Aber auf dem Land verdient ein Tierarzt nicht halb so viel, wie in der Stadt. Und der alte Kasten“, er deutete zurück nach Ruthardthaus, „verschlingt Unsummen. Dauernd ist was zu reparieren. Wenn nicht Peter so geschickt wäre, und ich jedes Mal einen Handwerker bezahlen müsste, wäre ich schon ruiniert.“
Er führte sie durch die Klinik und die anschließenden Ställe, plaudernd und erklärend. An die Ställe schlossen sich Koppeln an, auf denen Pferde weideten. Nach den Koppeln kam ein kleiner Park, der einen etwas verwilderten Eindruck machte.
„Ich komme einfach nicht dazu, hier gründlich durchzuforsten“, meinte er mit entschuldigender Miene. „Und eine Gärtnerkolonne ist mir momentan zu teuer. Aber irgendwann in nächster Zeit soll der Park hergerichtet werden. Ich stehe mit allen möglichen Ämtern in Verbindung, in der Hoffnung auf einen Zuschuss.“
„Das Grundstück ist wirklich riesig. Das hätte ich gar nicht gedacht. Und es scheint noch weiterzugehen. Was ist das für ein kleines Gebäude da hinten? Es sieht wie eine Kapelle aus.“ Angela deutete auf zwei spitze Türmchen, die über dichten Zweigen hervorlugten.
„Die Familienkapelle“, bestätigte ihr Begleiter. „Darunter befindet sich eine Gruft und dahinter ein kleiner Friedhof. Es ist ein wenig düster und unheimlich dort. Wollen Sie es trotzdem sehen? Wenn nicht, gehen wir wieder zurück.“
Ein seltsames Frösteln zog über Angies Haut als sie die Kapelle betrachtete und eine innere Stimme riet ihr, umzukehren. Aber dann siegte ihre Neugier. Und schließlich war Oliver ja bei ihr. Sie wollte sich nicht vor ihm lächerlich machen mit ihrem plötzlichen Anflug von Angst. Deshalb schüttelte sie tapfer den Kopf, griff aber spontan nach seinem Arm.
„Ich würde es sehr gerne sehen.“ Neckend fügte sie hinzu: „Falls Sie nicht selbst Angst haben.“
„Es sind doch meine Vorfahren, die dort ruhen“, meinte er und tätschelte ihre Hand. „Die werden mir schon nichts tun. Und Ihnen auch nicht, also kommen Sie.“
Wie beruhigend warm seine Hand auf ihrer lag. Der Schauer, der sie jetzt durchfuhr, war ein wohliger. Nein, in seiner Begleitung hatte sie keine Angst. Vertrauensvoll folgte sie ihm den schmalen Weg entlang.
Die Kapelle besaß eine so ehrwürdige, geheimnisvolle Ausstrahlung, dass Angie bei ihrem Anblick erschauerte. Unwillkürlich drückte sie Olivers Arm fester, an den sie sich noch immer klammerte. Er spürte ihre plötzliche Unsicherheit und schaute auf sie herab. „Möchten Sie doch lieber umkehren?“ fragte er sie noch einmal.
Sie schüttelte den Kopf und lenkte ihre Schritte entschlossen zu dem, von Unkraut überwucherten Pfad, der zu der kleinen Kirche führte. Die schwere Holztür mit den eingelassenen Eisenstäben in einer rautenförmigen Fensterluke war abgeschlossen. Olivers Hand tastete einen Spalt im Mauerwerk über der Türe ab, dann hielt er einen großen, rostigen Schlüssel in der Hand.
„Eigentlich ist es nicht nötig, abzuschließen. Bisher ist noch niemand in unser Gelände eingedrungen. Aber Peter, der ab und zu hier nach dem Rechten sieht meint, sicher ist sicher. Es gibt ja immer wieder Verrückte oder Spinner, die in Kapellen oder Grüfte einbrechen.“
Es gab ein knarrendes Geräusch, als sich der Schlüssel im Schloss drehte, dann schwang die Tür nach innen. Eine Staubwolke wirbelte in dem Lichtstrahl auf, der ins Innere der Kapelle fiel. Oliver trat vor ihr ein und langte nach einer batteriebetriebenen Lampe, die griffbereit neben der Türe hing. Ein milchiger Lichtstrahl erhellte den Raum notdürftig. „Es ist hier ziemlich staubig, fürchte ich. Wird Zeit, dass mal wieder gründlich saubergemacht wird. Inge weigert sich jedoch, hier alleine herzugehen und von den anderen hat kaum einer Zeit, sie zu begleiten. Da es nicht wichtig ist, wird die Reinigung der Kapelle immer wieder verschoben.“ Angela schaute sich interessiert in dem kleinen Raum um. Es war eine sehr schöne kleine Kirche, fand sie. Der Altar aus weißem Marmor war mit einem schweren Tuch aus Brokat bedeckt. Darauf standen Kerzen und eine Vase mit längst vertrockneten Blumen. Ein großes Kreuz, das unter seiner Staubschicht golden schimmerte, stand auf einem Sockel.
Wände und Decke waren mit christlichen Motiven bemalt und mit Fresken verziert. Rechts des Hauptaltares gab es einen kleineren, auf dem eine Marienstatue stand. In der linken Ecke befanden sich ein Beichtstuhl und daneben ein Taufbecken. Je drei Bankreihen säumten den Mittelgang.
„Wunderschön“, flüsterte Angie leise, trotzdem hallte ihre Stimme wie ein wisperndes Raunen nach.
„Die Kapelle wurde früher hauptsächlich von meinen weiblichen Vorfahren täglich besucht. Und jeden Sonntag kam der Kaplan aus dem Dorf um die heilige Messe zu lesen und den Leuten die Beichte abzunehmen. Es fanden sogar Hochzeiten und Taufen hier statt. Und natürlich wurden auch Messen für die Toten der Familie gelesen. Der Eingang zur Gruft befindet sich übrigens hinter dem Altar. Eine Treppe führt dort in die Tiefe. Wollen wir hinuntersteigen?“
Zuerst zauderte Angela, doch dann gab sie sich einen Ruck. Was war schon dabei? Schließlich war sie noch nie besonders ängstlich gewesen. Und Oliver war ja bei ihr. Ihr kam kurz in den Sinn, wie sehr sie diesem Mann schon vertraute. Dabei kannte sie ihn doch erst seit ein paar Stunden.
„Als Kinder sind Peter und ich oft hier gewesen“, erzählte ihr Begleiter im Plauderstil, während sie den Altar umrundeten und im Schein der Lampe die düstere Treppe hinab stiegen. „Dabei versuchten wir, uns mit gruseligen Geschichten gegenseitig Angst einzujagen. Wer zuerst hinaus rannte, hatte verloren. Meist wetteten wir um ein Eis oder eine Tafel Schokolade.“
„Und wer gewann öfter?“ fragte sie und spürte, wie eine Gänsehaut ihren Rücken herunter lief.
Er lachte. „Meist Peter, er war einfach der bessere Geschichtenerzähler. Ich fürchtete mich oft halb zu Tode und konnte danach noch nächtelang nicht schlafen.“ „Na, hoffentlich erzählen Sie mir jetzt keine dieser Geschichten. Es sei denn, sie wollen, dass ich ihnen kreischend in die Arme hüpfe.“
„Das wäre einen Versuch wert“, meinte er und lachte abermals leise, wurde aber schnell wieder ernst. „Keine Angst, ich werde kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Am Ende bekomme ich es ebenfalls mit der Angst und springe Ihnen in die Arme.“
Auch keine schlechte Idee, fuhr es Angie durch den Kopf und sie wunderte sich über sich selbst. Dieser junge Tierarzt brachte es tatsächlich fertig, sie zu verwirren. Sie war froh, dass er in dem diffusen Lampenschein die Röte nicht sehen konnte, die ihr ins Gesicht stieg.
„Hier liegen sie, meine blaublütigen Vorfahren“, sagte er, nun wieder ernst und hob die Lampe etwas an. Sie beleuchtete zwei Sarkophage aus dunklem, polierten Stein, die nebeneinander standen. Auf den Deckeln waren die Körper der beiden Menschen nachgebildet, die darin ruhten. Es handelte sich um einen Mann und eine Frau. Sicher die Erbauer von Ruthardthaus, vermutete Angela.
In den Wänden ringsum waren Grabnischen eingelassen. Sie schienen alle belegt, die Namen und Daten waren in die Platten eingraviert, mit denen sie verschlossen waren. Angie zählte sechs Kammern.
„Wer hier keinen Platz mehr bekommen hatte, liegt draußen auf dem angrenzenden Friedhof. Allerdings wurde dort schon seit fast hundert Jahren niemand mehr beerdigt. Beerdigungen auf Privatgelände sind heutzutage nicht mehr zugelassen.“
Angela fühlte Beklommenheit in sich aufsteigen, angesichts der vielen Grabstätten. Lag er auch hier? kam ihr plötzlich in den Sinn und sie sah sich suchend um. Aber sie konnte den Namen Caspar Matthias, Graf zu Ruthardt nirgendwo entdecken.
„Ihre Vorfahren waren alle adelig“, stellte sie fest. „Aber Sie tragen keinen Titel. Wie kommt das?“
Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Ich finde, es klingt sehr hochtrabend, mich Dr. Oliver, Graf zu Ruthardt nennen. Nein, im Ernst, welcher Bauer ruft nach einem Tierarzt mit Adelstitel, damit der seiner Kuh in den Hintern langt um den verstopften Darm auszuräumen? Und reiche Damen mit neurotischen Königspudeln gibt es in der Umgebung nicht so viele dass ich von deren Behandlung leben könnte. Heutzutage ist ein Adelstitel nichts mehr wert, und das zu Recht finde ich. Ich verdiene mein Geld wie jeder andere auch. Deshalb unterschreibe ich auch nur auf behördlichen Schriftstücken mit meinem kompletten Namen.“
Angie musste über seine humorvolle Erklärung lachen. Doch insgeheim imponierte ihr seine Bescheidenheit. Wieder einmal fiel ihr Thomas ein. Besäße er solch einen Titel, er würde überall den Grafen heraushängen lassen.
„Dieser Caspar, - das schwarze Schaf der Familie, wie sie sagten, er ist nicht hier begraben. Hat er so etwas Schlimmes angestellt, dass er sogar aus der Familiengruft verbannt wurde? Oder liegt er auf dem Friedhof draußen?“
Er schüttelte lächelnd den Kopf über ihr offensichtliches Interesse an Caspar. „Unser Familienschurke scheint Sie ja ganz besonders beeindruckt zu haben. Nein, er liegt weder hier in der Gruft, noch oben auf dem Friedhof. Vielleicht wäre er wegen seiner Missetat sowieso nicht hier beerdigt worden, aber das werden wir wohl nie erfahren. Er ist spurlos verschwunden, nur wenige Tage nachdem er seine schwangere Frau erdrosselt hat.“
„Er ist ein Mörder?“ Angela musste zugeben, dass sie das aus der Fassung brachte. Solch eine gemeine Tat hätte sie ihm nicht zugetraut, sie hätte eher gedacht, er wäre vielleicht mit dem Familienvermögen durchgebrannt, - oder hätte die Dienstmädchen geschwängert. Aber ein Mord an seiner Frau und seinem ungeborenen Kind...
„Ganz geklärt wurde die Geschichte nie“, lenkte Oliver ein. „Er hat die Tat bis zu seinem Verschwinden auch vehement abgestritten, sich zum Zeichen seiner Unschuld sogar freiwillig in den Kerker werfen lassen. Aber daraus ist er in der Nacht entflohen und nie mehr aufgetaucht. Aber kommen Sie, wir sollten wieder nach oben gehen. Die Batterie der Lampe ist nicht mehr allzu zuverlässig. Ich möchte nur ungern plötzlich hier unten im Dunkeln stehen.“ Wie zur Bestätigung seiner Worte, wurde der Schein der Lampe merklich trüber.
Angela bekam einen Schreck und wandte sich sofort zur Treppe um. Nicht um alles in der Welt, wollte sie sich im Finstern zum Aufgang tasten müssen. Sie rannte fast die Treppe hinauf und blieb erst stehen, als sie vor der Kapelle in die wärmenden Sonnenstrahlen trat. Sie drehte sich um und hielt nach dem Tierarzt Ausschau. Er kam wesentlich gemächlicher durch die Bankreihen geschritten und machte die Lampe aus um sie wieder an den Haken zu hängen.
Er schien ein wenig amüsiert über ihre plötzliche Eile. „Na, so schnell hätten Sie nun auch nicht rennen brauchen. Meines Wissens gibt es keine Geister in der Gruft. Sie sind ja ganz außer Atem. Kommen Sie, wir gehen zurück. Mir scheint, Ihr Bedarf an Grusel ist für heute gedeckt.“
Nachdem sie wieder auf dem Hauptweg waren, entschuldigte er sich: „Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, das war keineswegs meine Absicht. Ich denke oft nicht daran, wie ...ungewöhnlich Haus und Gelände auf Besucher wirken. Da ich hier aufgewachsen bin, kommt es mir wie das Normalste der Welt vor.“
Sie sah ihn ihrerseits entschuldigend an. „Eigentlich gibt es auch nichts, was erschreckend ist. Ich mag alte Häuser und war auch schon hin und wieder in einer Gruft. Doch der Gedanke, dort unten im Dunkeln zu stehen, hat mir Angst gemacht.“
„Wo ist eigentlich Ihr Hund?“ fragte sie, nachdem sie einige Minuten schweigend nebeneinander hergegangen waren. „Er ist doch vorhin noch bei uns gewesen.“
„Lara betritt nie die Kapelle. Ich habe keine Ahnung warum, aber sobald wir hier in die Nähe kommen, dreht sie um. Sicher ist sie bei den Pferden oder in der Klinik. Sie wird uns hören und zu uns kommen.“
So war es auch. Wie ein weißer Blitz kam die Boxerhündin aus dem Stall gerast, als sie den kurzen Pfiff ihres Herrn vernahm. Schwanzwedelnd sprang sie an ihnen hoch und begleitete sie dann zum Haus zurück.
„Wir sehen uns beim Abendessen“, verabschiedete sich Oliver vor der Türe. „Falls Sie danach nichts Besseres vorhaben, erzähle ich Ihnen gerne die Geschichte von Caspar.“ Sie nickte erfreut und machte sich auf den Weg nach oben, während er zur Klinik zurückging. Vor der Bibliothek blieb sie abermals vor dem Bildnis stehen, betrachtete das Gesicht, das freundlich auf sie hernieder sah. Konnte es wirklich sein, das dieser Mann ein elender Meuchelmörder war? Sie wollte es einfach nicht glauben.
Die dunklen Augen schienen sich in ihre eigenen zu bohren und fast meinte sie, das Gesicht des Mannes nähme einen traurigen Ausdruck an. Schnell wandte sie den Blick ab und ging in die Bibliothek. Das fehlte noch, dass sie Halluzinationen bekam oder begann, Gespenster zu sehen. Sie stürzte sich in ihre Arbeit und war bald so darin vertieft, dass sie Caspar darüber vergaß.
Das Abendessen verlief ähnlich wie das Mittagessen, nur waren Uwe und Jochen nicht dabei, sie hatten Feierabend und waren bereits gegangen. Oliver erzählte Peter und seiner Frau von ihrem Besuch der Familienkapelle. Danach schwelgten die beiden Männer eine Weile in Kindheits- und Jugenderinnerungen. Sie waren zusammen aufgewachsen und fast gleichaltrig. Peters Eltern oblag damals ebenfalls die Verwaltung des Hauses und er war wie selbstverständlich in ihre Fußstapfen getreten.
Allerdings konnten er und seine Frau von dem geringen Gehalt, das ihnen der Hausherr zahlen konnte nicht besonders gut leben. Deshalb durften sie mietfrei in dem kleinen Haus neben der Tierklinik wohnen und Peter züchtete nebenher Schafe, Hühner und Kaninchen, deren Produkte er verkaufte. Zum Ruthardthaus gehörten noch einige Hektar Wiesen, die ihm als Weide und zum Heumachen diente.
Nachdem sie eine Weile erzählt hatten, gingen die Steinaus zu ihrer Wohnung hinüber. Oliver bat Angela mit hinauf in seine eigene Wohnung und führte sie in sein Wohnzimmer. Es war überraschend modern eingerichtet, stellte sie leicht verwundert fest. Er bemerkte ihren erstaunten Gesichtsausdruck und lachte: „Nachdem das restliche Haus ein wahres Museum ist, wollte ich in meinen eigenen Räumen nicht auch noch antiquierte Möbel. Irgendwo hört die Nostalgie auf.“
Angela konnte ihm gut nachfühlen und versicherte, dass sie seine Wohnung sehr gemütlich fände, was auch der Wahrheit entsprach. Nachdem sie beide in bequeme Sessel gesunken waren, mit einem Glas Wein und Knabbereien versorgt, begann er ihr die Geschichte Caspars zu erzählen.
Caspar Matthias der II. Graf zu Ruthardt wurde Anno 1847 geboren. Er sollte nicht der einzige Nachkomme der Familie bleiben, hatte noch fünf jüngere Brüder. Als Kind und junger Mann war er bei seiner Familie und im Bekanntenkreis wegen seiner freundlichen, hilfsbereiten Art geschätzt und beliebt gewesen.
Im Alter von einundzwanzig Jahren heiratete er Christina, eine junge Adelige aus bestem Hause. Die beiden waren sich von ihren Vätern schon im zarten Kindesalter versprochen worden, was damals in diesen Kreisen durchaus üblich war. Christina, eine zarte Schönheit von gerade einmal sechzehn Jahren fand schnell Gefallen an dem großen, gutaussehenden Caspar. Und er war bald hingerissen von seiner wunderschönen Frau und liebte sie abgöttisch, wie man erzählte.
Ein knappes Jahr nach der Hochzeit gebar Christina eine Tochter. Clara war der ganze Stolz ihrer Eltern.
Doch dann gab es Zwietracht zwischen den Eheleuten. Der Grund waren anonyme Liebesbriefe und Berge von roten Rosen, die fast täglich vor der Tür von Ruthardthaus lagen. Von wem sie stammten, wer sie dort abgelegt hatte, blieb ein Rätsel.
Christina beteuerte, niemanden zu kennen, und schon gar keinen anderen Mann zu lieben, als ihren eigenen Gatten. Und Caspar glaubte ihr schließlich. Er ließ fortan sein Haus Tag und Nacht bewachen. Wie erwartet, hörte die Flut der Briefe und Rosen auf.
Dann wurde Christina erneut schwanger. Wie Caspar hoffte sie auf einen Erben und beide konnten die Geburt des Kindes kaum erwarten.
Eines Tages brachte ein Bote einen Brief, der an Caspar adressiert war. In ihm gestand ein Unbekannter, der wahre Vater des ungeborenen Kindes zu sein. Christina, bereits im siebenten Monat, beschwor immer wieder ihre Unschuld. Die Verdächtigung setzte ihr so zu, dass sie vorzeitig Wehen bekam und fortan das Bett nicht mehr verlassen durfte.
Caspar versicherte seinerseits, ihr zu glauben und kümmerte sich rührend um seine Frau. Sein Vertrauen führte dazu, dass sie ruhiger wurde und die Wehen nachließen, das Kind wurde nicht vorzeitig geboren. Doch Christina musste nach wie vor das Bett hüten.
Dann brachte ein Bote eine neue Nachricht, über deren Inhalt Caspar jedoch Stillschweigen bewahrte. Die Bediensteten des Hauses sagten später jedoch aus, dass er darüber sehr erzürnt gewesen sei. Ja, er wäre so wütend gewesen, wie sie ihn noch niemals zuvor gesehen hätten. Und am nächsten Morgen fand man Christina tot in ihrem Bett. Sie war mit bloßen Händen erwürgt worden.
Caspar zeigte sich untröstlich über den Verlust und betrauerte Christina sehr. Doch seine im Haus lebenden Verwandten beobachteten ihn misstrauisch. Es war ganz offensichtlich, sie hielten ihn für den Mörder.
Auch der Kriminalinspektor, der extra aus Würzburg angereist kam, um den Mordfall zu untersuchen, war von seiner Schuld überzeugt. Er nahm Caspar fest und warf ihn erst einmal in das Verlies im Keller von Ruthardthaus. Der ließ es willenlos geschehen. Der Wächter erzählte am nächsten Tag, er hätte die halbe Nacht das untröstliche Schluchzen des Gefangenen gehört.
Doch am nächsten Morgen, als Caspar zum erneuten Verhör vorgeführt werden sollte, war er aus seiner Zelle verschwunden. Niemand konnte sich erklären, wie das geschehen konnte. Jeder Zentimeter der Kerkerzelle wurde abgesucht, doch es gab keine geheime Türe. Und der Wächter, ein Polizist, der mit dem Inspektor aus Würzburg gekommen war, versicherte glaubhaft, den Gefangenen nicht freigelassen zu haben.