Mein Name ist Huth, Robin Huth - Gerdi M. Büttner - E-Book

Mein Name ist Huth, Robin Huth E-Book

Gerdi M. Büttner

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Beschreibung

In Robins Arche sorgen schwarze Kampfstiere aus Andalusien für viel Aufregung. Kaum vor dem Tod in der Arena gerettet, werden sie entführt. Doch Robin und Basko sind den Stierdieben auf den Fersen Danach müssen Robin und Felix schnell eingreifen, um einen Hund vor seinem brutalen Besitzer zu schützen. Doch der hält auf seinem Bauernhof noch mehr Tiere, die dringend gerettet werden müssen. Eigentlich will Robin mal so richtig ausspannen, während Felix und Michael in die Ukraine reisen um Hunde aus dem Kriegsgebiet zu evakuieren. Zuvor will er bloß mal schnell den neuen Transporter inspizieren. Doch dann fällt die Hecktür hinter ihm zu und für ihn beginnt eine Reise ins Ungewisse.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Grausiger Fund in Robins Arche

Kapitel 2: Ein Tritt und seine Folgen

Kapitel 3: Rettungsaktionen

Kapitel 4: Auf dem Weg zu einem neuen Abenteuer

Kapitel 5: Ukraine - ja oder nein?

Kapitel 6: Eine unvorhergesehene Wende

Kapitel 7: Unschuldige Kriegsopfer

Kapitel 8: Ein Kind in Not

Kapitel 9: Panja und Jury

Kapitel 10: Eine unvermutete Erbschaft

Kapitel 11: Anstrengende Rückreisevorbereitungen

Kapitel 12: Endlich wieder zu Hause

Kapitel 13: Bobby

Kapitel 14: Kikis Start ins Glück

Kapitel 15: Ankunft der Zurückgebliebenen

Nachgedanken

Mein Name ist Huth, Robin Huth

Teil 1: Geschichten aus dem Leben einer Bulldogge

Teil 2: Die abenteuerliche Odyssee einer Bulldogge

Teil 3: Die unglaublichen Reiseerlebnisse einer Bulldogge

Teil 4: Super-Dog

Kapitel 1:

Grausiger Fund in Robins Arche

Felix macht eine kleine Pause bevor er weiterliest.

„Gestern Morgen fand ein Tierpfleger des Gnadenhofs Robins Arche die zertrampelte Leiche eines Mannes als er das Gehege der Stiere betrat, um die Tiere zu füttern. Der unbekannte Tote lag direkt am Zaun, den er vermutlich überklettern wollte, um sich vor den Stieren in Sicherheit zu bringen. Die Stiere, die erst vor einigen Tagen aus Spanien im Gnadenhof ankamen, sind es gewohnt ganzjährig im Freien zu leben. Sie wurden von spanischen Tierschützern aus dem Stall einer Arena befreit, in der sie am nächsten Tag bei Stierkämpfen getötet werden sollten. Der Gnadenhof Robins Arche hatte sich bereiterklärt die Tiere aufzunehmen. Sie gelten als zahm und sind Menschen gewohnt, deshalb ist nicht klar warum sie den Mann angegriffen haben. Was der Getötete, vermutlich ein Spanier, nachts in dem Gehege wollte ist nicht bekannt.“

Felix schaut zu Michael hin, der in einem Bürosessel sitzt und mich die ganze Zeit am Ohr krault, während er zuhört.

„Warum steht das in der Zeitung? Ich habe die Leute von der Polizei extra gebeten es nicht sofort der Presse mitzuteilen. Hoffentlich müssen wir den Gnadenhof nicht schließen, bis der Fall geklärt ist. Oder die Stiere müssen weg. Beides wäre ein Problem für uns.“

„Dachtest du wirklich die Zeitungsleute erfahren nichts davon? Die haben überall ihre Informanten und stürzen sich mit Feuereifer auf so eine Nachricht. In unserem beschaulichen Städtchen ist doch das ganze Jahr nichts los. Für die Presse ist der Fund einer zertrampelten Leiche eine Sensation. Wahrscheinlich stehen auch bald die Leute vom Fernsehen vor dem Eingang.“

Er hört mit dem Kraulen auf, was ich mit einem unwilligen Brummen kommentiere. Da es aber um eine wichtige Sache geht, bestehe ich nicht auf weitere Streicheleinheiten. Schließlich geht es um den guten Ruf meines Gnadenhofs, da passt es mir natürlich gar nicht, dass ausgerechnet hier so eine schreckliche Sache passiert ist. Zudem es auch etwas anders abgelaufen ist, als es in der Zeitung steht.

Denn eigentlich hat nicht der Tierpfleger die Leiche entdeckt, so wie es geschrieben wurde, sondern ich habe sie bei meinem morgendlichen Rundgang durch die Stallungen und Gehege gefunden und den Pfleger zu ihr hingeführt. Der wurde ganz grün im Gesicht beim Anblick des Toten und ich musste ihn durch mahnendes Bellen erst darauf hinweisen, dass er sein Handy nimmt und wen auch immer anruft.

Zugegeben war es kein schöner Anblick, den der Tote bot. Aber mich macht es nur betroffen, wenn ich einen leblosen Körper finde, ekeln tut mich das nicht. Ich habe durch meinen Beruf als Tierschutzhund bedingt leider schon oft tote Tiere gefunden. Besonders der Geruch sagt mir sehr viel darüber aus, wie sie gelebt haben und wie sie gestorben sind.

Deshalb blieb ich bei dem Toten stehen, während der Pfleger sich eilig und würgend entfernte um die Ankunft der Polizei abzuwarten. Allein war ich allerdings nicht, denn die Stiere standen in einiger Entfernung und kamen dann langsam näher heran. Ich kannte sie noch nicht sehr gut, da sie erst seit wenigen Tagen bei uns waren. Doch wurde mir gesagt, dass sie nicht böse waren und weder mir noch Menschen etwas tun würden. Deshalb bezweifele ich auch, dass sie etwas mit dem Tod des Mannes zu tun haben.

Ich ging näher an den Leichnam heran um den Geruch aufzunehmen, den er ausströmte. Der sagte mir sofort, dass er schon länger als einen Tag tot war und somit nicht von den Stieren getötet worden war. Mindestens zwei Männer hatte den leblosen Körper hergebracht, unter dem Gatterzaun durchgeschoben und ihn dann so drapiert, dass es aussah als wäre er auf der Flucht von den Stieren niedergetrampelt worden. Aber mich konnte man damit nicht hinters Licht führen. Die Spuren, die diese Kerle hinterlassen haben, waren nicht zu übersehen.

Die Wunden des Toten sahen zwar aus als sei er von Stierhufen und -hörnern massakriert worden, aber nicht von denen unserer Stiere. Eigentlich überhaupt nicht von Stieren, zumindest von keinen lebenden. Ich kombinierte also haarscharf, dass es Attrappen aus Hörnern und Hufen waren, mit denen der Mann bearbeitet wurde.

Er stammte nicht von hier, auch das sagte mir sein Geruch. Zudem war er recht klein und schmal, seine Haut unter der Totenblässe war einmal gebräunt gewesen. Außerdem erkannte ich in seinem Gesicht tiefe Falten. Die ihn vermutlich älter aussehen ließen als er überhaupt geworden war.

Gerne hätte ich ihn noch eingehender untersucht, doch als ich hörte, dass Autos näherkamen, rückte ich etwas von der Leiche ab und legte mich ins Gras. Fürs Erste wusste ich genug.

Kurz darauf liefen jede Menge Leute in seltsamen weißen Overalls herum, die alle sehr Wichtig taten. Sie wollten, dass die Stiere auf eine andere Weide gebracht werden und ich sollte auch verschwinden. Felix gab mir ein Zeichen und so trollte ich mich und ging zum Stall, in dem die Pferde gerade ihr Frühstück bekommen hatten. Das erinnerte mich daran, dass ich auch noch nichts gegessen hatte. Vielleicht bekomme ich ja etwas von den Tierpflegern angeboten, so hoffe ich. Die haben meist was einstecken, was mir schmeckt.

Gemächlich schlenderte ich zu dem Stallteil, in dem Zorro und seine Ponyschar untergebracht ist. Er wieherte mir erfreut entgegen, er und ich sind seit unserem gemeinsamen gefahrvollen Abenteuer beste Kumpels.

„Du siehst hungrig aus“, sagte er und kaute dabei auf einer Möhre. „Da im Eimer liegen ein paar erstklassige Müsliriegel. Nimm dir einen, ich kann sie nur empfehlen.“

Nun zählen trockene Müsliriegel nicht gerade zu meiner Leibspeise aber zur Not gehen sie, vor allem werde ich davon schnell satt. Also steckte ich meinen Kopf in den Eimer und zog einen heraus.

„Mmmh, schmecken nicht schlecht“, sagte ich und schluckte mehrmals, damit ich die trockenen Brocken den Schlund hinunterwürgen konnte. „Könnte ich mich dran gewöhnen. Kann ich einen Schluck Wasser bekommen?“

Ich weiß nicht mehr genau wie viele Kekse ich gegessen habe bis endlich Felix gekommen ist und mich zum Büro mitgenommen hatte. Er wunderte sich ein bisschen, weil ich das Trockenfutter verschmähte, das er mir hingestellt hatte. Ich trank nur eine Schüssel Wasser aus und legte mich dann in meinen Korb, um ein ausgiebiges Verdauungsschläfchen zu machen.

Das war gestern. Heute geht es mir schon wieder ganz gut, ein Bulldoggen Magen verträgt auch einmal etwas gröbere Kost. Allerdings nehme ich mir vor das nächste Mal nicht mehr so viele von den Müsliriegeln zu essen.

Felix und Michael reden noch eine Weile über den Mordfall. Aber um genaueres zu erfahren müssen sie abwarten was die Polizei herausfindet. Das kann eine Weile dauern. Zumindest ist Robins Arche heute wieder für Besucher geöffnet, es sollen sogar ziemlich viele Leute gekommen sein.

Ach ja, Menschen, denke ich und seufze schwer. Wenn irgendwo etwas passiert, sind sofort viele Neugierige da. Aber solange sie Eintritt bezahlen soll es mir recht sein. Kommt schließlich alles den Tieren zugute. Aber eigentlich wäre es mir viel lieber, der Mord wäre nicht passiert, besonders nicht hier. Ich kann es in meinem Stummelschwanz spüren, dass uns diese Tat Ärger einbringt, viel Ärger.

„Die Angelegenheit wird uns noch Ärger bereiten“, sagt jetzt auch Michael und ich brumme zustimmend. Auch Felix ist der gleichen Meinung. Er schaut Michael besorgt an und fragt:

„Meinst du, einer der Angestellten hat etwas damit zu tun? Vorstellen kann ich es mir nicht, aber man weiß ja nie...“

„Nee, glaub ich nicht. Für die Leute leg ich meine Hand ins Feuer. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es etwas mit den Stieren zu tun hat. Der Tote sah sehr nach einem Spanier aus, ich könnte mir vorstellen, dass er ein Stierkämpfer oder ähnliches war. Ich kenne mich mit deren genauen Bezeichnungen nicht sonderlich gut aus. Für mich sind das alles widerliche Schlächter. Mit den Übergabepapieren der Stiere war doch alles in Ordnung, oder?“

Er schaut Felix an, ich ebenfalls. Doch der nickt überzeugt.

„Natürlich, die habe ich alle genau nachgesehen! Die Stiere wurden uns von den spanischen Tierschützern überschrieben. Das lief alles über einen Notar, du kennst das Prozedere. Was zuvor in Spanien abgelaufen ist, darüber habe ich keine Kenntnis. Wir haben allerdings schon seit Jahren Kontakt zu diesem Tierschutzverein, jedes Jahr zum Ende der Jagdzeit übernehmen wir die ausgedienten Jagdhunde, die sie retten, und vermitteln sie. Das lief immer alles sauber ab. Deshalb machte ich mir keine auch Gedanken als sie wegen der Kampfstiere anriefen.“

„Hmm“, vielleicht setzt du dich trotzdem nochmal mit ihnen in Verbindung und fragst, ob sie die Besitzrechte an den Stieren belegen können. So ein Kampfstier ist sicher sehr viel mehr wert als ein gewöhnlicher Bulle. Die Betreiber der Arena waren bestimmt nicht glücklich darüber acht Kampfstiere zu verlieren, die ihnen vermutlich jede Menge Eintrittsgeld eingebracht hätten. Und deren Fleisch sie nach dem Kampf teuer an Restaurants verkauft hätte. Da kommt schon ein größeres Sümmchen zusammen, das ihnen entgeht.“

Sie diskutierten noch eine Weile darüber, dann geht Michael und Felix setzt sich ans Telefon um Nachforschungen anzustellen. Wie ich aus Erfahrung weiß, kann das sehr lange dauern. Deshalb überlege ich wie ich mir am besten die Zeit vertreiben kann. Bis zum Mittagessen ist es noch lange hin, das sagt mir meine innere Uhr. Ich stehe auf und dehne mich erst einmal kräftig, dann schüttle ich mein Fell zurecht. Dabei fällt mir meist ein, was ich tun könnte.

So auch jetzt, ich beschließe einfach einen Spaziergang zum Gnadenhof zu machen. Muss ja schließlich nach dem Rechten sehen. Außerdem treffe ich dort garantiert jemanden, mit dem ich einen kleinen Plausch halten kann. Also mache ich mich auf den Weg, nachdem ich Felix mit einem „Wuff“ angezeigt habe, dass ich mal weg gehe. Er nickt mir nur zu, ohne sein Gespräch zu unterbrechen.

Gemächlich schlendere ich den Weg entlang, der mich am Wäldchen vorbeiführt. Er ist nun geteert und breiter als zuvor, was mir eigentlich nicht gefällt. Ich liebe es über sandige Wege zu laufen und Unebenheiten wie Wurzeln oder Steine unter meinen Pfoten zu spüren. Das hält meine Füße elastisch und meine Krallen kurz. Asphalt wird im Sommer heiß, was sehr unangenehm ist, besonders, da der Weg ziemlich lang ist. Felix hat mir aber erklärt, dass es notwendig sei, den Weg zu asphaltieren und zu verbreitern, denn er ist die kürzeste Verbindung zwischen der Auffangstation und dem Gnadenhof. Falls ein Notfall passiert oder wenn Anlieferungen von Futtermitteln oder Großtieren anstehen, ist man per Auto schnell vor Ort.

Das leuchtete mir ein, deshalb gab ich mein ok. Ich nutze diese Straße aber nur noch, wenn ich es eilig habe oder an kühleren Tagen, wie heute. Auch einmal, wenn ich über etwas nachgrübele und deshalb nicht so auf meinen Weg achten kann.

An der Kasse herrscht Hochbetrieb, da ein paar Busse mit Schulklassen angekommen sind. Deshalb verzichte ich darauf den beiden netten Kassiererinnen einen Besuch abzustatten. Obwohl dort immer ein paar Leckerli für mich bereitliegen. Die hole ich ein andermal ab, dafür stelle ich mich nicht in die Schlange aufgeregter Schulkinder. Zum Glück passe ich gerade noch unter dem Drehkreuz durch. Dazu muss ich mich allerdings ein bisschen verbiegen, was von den Kindern mit Grölen und Lachen quittiert wird. Einige versuchen mich anzulocken.

Ich ignoriere das, heute ist mir nicht nach tatschenden Händen auf meinem Rücken zumute. Deshalb sehe ich zu, dass ich wegkomme. Mein Weg führt mich wie immer zuerst zu den Pferdeställen, wo Zorro mich meist mit allen Neuigkeiten bekannt macht, die er aufgeschnappt hat. Das sind oft überraschend viele, der Ponyhengst hat seine schwarzen Ohren scheinbar überall.

Heute muss Zorro mit seinen Neuigkeiten jedoch etwas warten, denn im Vorbeigehen sehe ich die Stiere auf einer der hinteren Weiden stehen. Dorthin dürfen keine Besucher. Das wurde von der Polizei so angeordnet, da ja einer der Stiere angeblich den Mann getötet haben soll. Bis zur Klärung der Angelegenheit müssen sie besonders gesichert werden.

Zu meinem Glück komme ich aber ohne Probleme an die Tiere heran, indem ich einfach unter den dicken Holmen durchlaufe. Manchmal ist es ganz praktisch, wenn man nicht so lange Beine hat.

Vor dem Pferch bleibe ich erst mal stehen und melde mich mit einem halblauten Bellen an, ich weiß nicht, wie die Stiere auf mich reagieren und ob sie überhaupt Hunde kennen. Dann fällt mir wieder ein, dass ich ja gestern schon auf ihrer Weide war um den Toten zu begutachten. Wenn sie mich da nicht angegriffen haben, werden sie es heute auch nicht tun. Also nehme ich auch die letzte Hürde oder besser gesagt, laufe ich drunter durch.

Sie schauen zwar alle zu mir her, rühren sich aber nicht vom Fleck. Stoisch kauen sie auf ihren Grasbüscheln herum, dann neigt einer nach dem anderen wieder den riesigen schwarzen Kopf um weiter Gras zu fressen.

Nun kenne ich ja Rindvieh schon lange und habe auch schon so manche gerettet oder aus schlechter Haltung befreit. Deshalb weiß ich, dass sie manchmal unberechenbar sind. Doch diese Truppe ist harmlos, das erkenne ich auf den ersten Blick. Wären sie nicht so groß und hätten sie nicht so gefährlich aussehende Hörner, wären sie für den Streichelzoo geeignet.

„Ähh, Jungs, kann ich mal mit euch reden?“ frage ich und setze mich in einiger Entfernung zu ihnen ins Gras. So habe ich sie alle in meinem Blickfeld. Erneut heben alle die Köpfe um mich anzuschauen.

Schließlich sagt einer: „Was willst du wissen, Hund?“

Ich atme auf, zumindest einer versteht mich. Es gestaltet sich oft etwas schwierig, wenn ich mit artfremden Tieren kommuniziere. Am leichtesten ist es, wenn sie schon von klein auf an Hunde gewöhnt sind, das scheint bei diesem Stier der Fall zu sein. Ich frage ihn ob er zu dem Mann etwas sagen kann, der tot auf ihrer Weide lag. Er denkt einen Moment nach, dann brummt er, was sich bedrohlich anhört.

„Ich habe ihn schon einige Male gesehen, zu Hause auf dem Gelände auf dem ich aufgewachsen bin. Da kam er einige Male mit noch anderen Männern vorbei, die uns immer lange angestarrt haben. Auch als wir von dort abgeholt und verladen wurden, war er dabei. Aber hier habe ich ihn nicht gesehen, nicht lebend meine ich, erst als er tot dort hingelegt wurde.“

Aha, hat mich meine Spürnase also nicht getäuscht, denke ich zufrieden.

„Kanntest du einen oder mehrere von denen, die ihn da hingelegt haben?“

Er denkt nach, dann schüttelt er den mächtigen Kopf.

„Glaube nicht“, sagt er kurz, dann senkt er seine Nase wieder zu dem saftigen Gras hinunter. Das Gespräch war damit beendet. Ich bleibe noch einen Moment sitzen und überlege was es mir gebracht hat. Immerhin, die Gewissheit, dass mich mein Riecher nicht getäuscht hat. Der Mann war schon tot als er auf die Weide gelegt wurde.

Ich will gerade wieder unter dem Holm durchschlüpfen, da spüre ich warmen Atem im Genick. Erschrocken schaue ich über meine Schulter und sehe einen riesigen schwarzen Stierkopf neben mir.

„He, Kleiner, ich weiß auch etwas“, höre ich, während mich ein großes, dunkles Auge mit langen geschwungenen Wimpern anblinzelt. Der Schreck sitzt mir in sämtlichen Gliedern, doch ich versuche ihn zu unterdrücken. Langsam drehe ich mich um, damit ich den Stier richtig sehen kann. Sein gespaltener Huf steht direkt neben mir, ein kurzer Kick würde mich in den Boden stampfen.

„W..., was weißt du denn?“ presse ich heraus.

Es kostet mich große Überwindung, einfach stehenzubleiben. Alles in mir schreit nach Flucht.

„Ich kenne einen der Männer, die den toten Mann gebracht haben. Er arbeitet auf dem Gut, auf dem ich geboren und aufgewachsen bin. Er ist kein guter Mann, hat uns immer heimlich gequält, wenn er alleine war. Er schlug mich und die anderen Stierkälber mit einem Riemen. Später, als wir auf eine entfernte Weide gebracht wurden, kam er immer mal auf einem Pferd vorbei und stach mit Eisenstangen auf uns ein. Dann jagte er uns über das Gelände, bis wir nicht mehr konnten.“

Das ist ja sehr interessant, ich vergesse völlig meinen Schreck. „Dann würdest du ihn mir sicher zeigen können, wenn er wieder auftaucht“ meine ich aufgeregt.

Er nickt knapp.

„Klar könnte ich das. Mein Name ist übrigens Fernando. Du kannst mich auch Ferdi nennen. Und wie heißt du?“

„Robin“, antworte ich etwas verblüfft. Ich wusste nicht, dass Kampfstiere Namen haben.

Die Stiere sind gar nicht so kämpferisch wie sie dargestellt werden, denke ich als ich weggehe. Wie meist sind es die Menschen die sie wild machen, damit sie überhaupt zum Kämpfen bereit sind. Wie genau man sie zum Kämpfen bringt weiß ich nicht. Nur, dass es für die Kolosse schmerzhaft und blutig ist und kaum einmal einer diesen Kampf überlebt. Zum Glück bleibt das den schwarzen Burschen erspart, bei uns sind sie in Sicherheit. An die vielen Stiere, die in Spanien bei solchen blutigen Spektakeln gequält und getötet werden, will ich lieber nicht denken, das verdirbt mir nur den Tag.

Ich bleibe stehen um zu überlegen wen von meinen Freunden ich besuche. Michael ist um diese Zeit zu beschäftigt, da brauche ich also gar nicht hinzugehen. Zu den Ponys kommt heute der Hufschmied, da störe ich bloß. Ich überlege gerade, ob ich bei den Kamelen vorbeischaue, da höre ich ein lautes Krächzen über mir.

Kurz darauf ruft es fröhlich:

„Hallo Robin, hallo Robin!“

Dann kommt er im Sturzflug auf mich zu, so dass ich mich schnell platt auf den Boden werfe. Gerade noch rechtzeitig, so dass mich nur ein schwarzer Flügel streift, bevor er neben mir landet. Es ist Jonas, ein Rabe. Aber was für ein Rabe, er ist die größte Nervensäge, die man sich vorstellen kann. Er wohnt hier auf dem Gnadenhof und er fühlt sich so wohl bei uns, dass er sich entschlossen hat, für immer hier zu bleiben.

Das ist alles schön und gut, kein Tier muss Robins Arche wieder verlassen, wenn es nicht möchte. Aber Jonas lebt nicht gemeinsam mit den wilden Raben, von denen es hier auch einige gibt. Nein, er hat sich einen alten Apfelbaum als Bleibe ausgesucht, den er als seine alleinige Wohnstätte ansieht und gegen jeden anderen Raben vehement verteidigt.

Ich muss zugeben, dass ich nicht ganz unschuldig bin, dass Jonas hier ist, denn ich habe ihn persönlich hergebracht. Und das kam so:

Letzten Winter hatten wir mal wieder richtig hohen Schnee, ganz im Gegensatz zu den vorherigen, in denen es meist regnete. Weil ich mich so über den Schnee freute lief ich schon am frühen Morgen durch unseren Gnadenhof. Besucher waren noch nicht da und vom Personal hatte noch keiner Zeit gefunden, den hohen Schnee von den Wegen zu räumen. Meine Pfotenabdrücke waren die Einzigen weit und breit. Hin und wieder ließ ich mich in die weiße Pracht fallen, rollte mich auf den Rücken und ruderte mit den Pfoten. Das gab seltsame Abdrücke und machte riesigen Spaß.

Doch dann war der Schnee neben dem Weg plötzlich nicht mehr glatt und unberührt, es sah eher aus, als hätte da ein Kampf stattgefunden. Große und kleine schwarze Federn lagen herum, dazwischen konnte ich ein paar Blutstropfen erkennen.

Das alarmierte mich sofort und ich begann nach dem Opfer des Kampfes Ausschau zu halten. Viel Hoffnung hatte ich nicht es noch lebend vorzufinden, doch dann sah ich einen schwarzen Klumpen etwas entfernt neben einem schneebedeckten Busch liegen.

Als ich davorstand erkannte ich einen Raben. Er lebte noch, war aber sehr zerzaust, zudem hatte er mehrere blutende Wunden. Während ich noch überlegte wie ich ihn packen konnte ohne ihn noch mehr zu verletzen, hob er blitzschnell den Kopf und hackte mit seinem langen Schnabel nach meiner Nase.

„Aua!“ Das tat ganz schön weh, erschrocken sprang ich einen Schritt rückwärts.

„Ich wollte dir doch nur helfen“, sagte ich anklagend und fügte noch hinzu: „Ich kann dich aber auch da liegen lassen. Wenn du Glück hast findet dich einer der Tierpfleger bevor du erfroren bist, oder ein Fuchs vorbeikommt. Es leben einige wilde Füchse hier. Die freuen sich über frisches Fleisch.“

Beleidigt machte ich ein paar Schritte von ihm weg.

Ich mache es kurz. Natürlich wollte er nicht als Fuchsfrühstück enden und bat mich kleinlaut ihn mitzunehmen. Er wäre auch ganz brav und würde mich nicht mehr zwicken. Also drehte ich mich erneut um, packte ihn vorsichtig und trug ihn in Richtung der Pferdeställe. Um diese Zeit war Michael fast immer dort. Er kannte sich gut in erster Hilfe aus, der Rabe war also bei ihm in besten Händen.

Schon nach ein paar Schritten begann das Rabentier in meinem Maul zu plappern. Er erzählte mir mit krächzender Stimme, wie er zu den Blessuren gekommen war. Dazu muss ich sagen, dass ich bisher kaum einmal mit Raben geredet habe, deshalb verstand ich ihn nicht wirklich. Mit anderen Tierarten zu sprechen fällt mir anfangs immer schwer. Doch das gibt sich meist schnell. Außerdem fällt die Kommunikation immer lautlos aus. Ihr Menschen nennt das Telepathie.

Dieser Rabe sprach aber wirklich und zwar in der Menschensprache. Von der ich nur einzelne Worte verstehe. Nun, erwidern konnte ich ihm eh nichts, ich konzentriert mich deshalb darauf ihn nicht zwischen meinen Zähnen zu zerquetschen. Wir Bulldoggen haben einen kräftigen Biss und es fällt uns schwer, etwas locker zu halten. Besonders wenn es sich um einen zappelnden, quasselnden Raben handelt. So war ich froh als ich endlich die Stallungen erreicht hatte.

Als hätte er uns erwartet stand Michael in der Tür und nahm mir sogleich den Raben ab.

„Was bringst du denn da an, Robin? Oh je, der sieht aber arg zerrupft aus. Den muss ich mir gleich näher ansehen.“

Er eilte davon, ich ging etwas langsamer hinterher und spuckte ein paar Federn aus. Der Rabe war nicht so schwer verletzt, das war mir auf dem Weg hierher klargeworden. Sonst hätte er nicht so endlos gequasselt. Das bestätigte kurz darauf auch Michael. „Der wird wieder“, sagte er an mich gewandt. „Er hat zwar viele Federn lassen müssen und ein paar blutende Schrammen, aber ich kann sonst keine größeren Verletzungen feststellen. Ich lasse ihn hier im Büro. Da hat er es warm und es kommt ständig jemand herein, da fühlt er sich nicht so einsam. Er ist von Hand aufgezogen und kann sogar sprechen. Vermutlich hat ihn jemand hier im Gnadenhof ausgesetzt, in der Hoffnung, wir würden uns weiter um ihn kümmern. Ein junger Rabe ist sehr anstrengend, das hat sein Besitzer wohl unterschätzt. Aber wir werden schon mit dir einig, nicht wahr, Jonas.“

Er setzte Jonas in einen großen Vogelkäfig, den ein Pfleger aus dem Lager geholt hatte, und gab ihm erst einmal Wasser.

„Futter für ihn muss ich erst holen, am wichtigsten ist jetzt, dass er sich beruhigt und es warm hat. Es wird eine Weile dauern bis seine Federn nachgewachsen sind. Solange muss er im Warmen bleiben. Im Frühjahr können wir dann versuchen, ihn auszuwildern.“

Sagte ich eigentlich schon, dass Michael die Tierkommunikation perfekt beherrscht? Er verständigt sich mit uns Tieren ebenfalls über Telepathie, das klappt meist sehr gut. Außer ihm kenne ich nur noch Tanja, mein Frauchen, die so gut mit Tieren sprechen kann.

Es stellte sich im Frühjahr jedenfalls schnell heraus, dass Jonas kein Interesse an Kontakt zu seinen Artgenossen hatte. Ausgewildert wurde er trotzdem, wenn auch bloß auf dem alten Apfelbaum, der auf der Wiese neben den Stallungen steht. Von hier aus macht er kleine Rundflüge um sich seine Nahrung selbst zu suchen. Oder bei den Pflegern zu schnorren, denn er steht auf menschliches Essen. Seinen Apfelbaum sieht er als sein Reich an, dass er gegen jeden Eindringling verteidigt. Und von dem aus er jeden anquatscht, der des Weges kommt. Seither zählt er zu den Stars auf dem Gnadenhof, denn viele Leute kommen öfter her, nur um sich mit ihm zu unterhalten.

Missmutig schaue ich Jonas an. Zugegeben hat er sich zu einem wahren Prachtexemplar von einem Raben gemausert, im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Federkleid glänzt blauschwarz und sein langer Schnabel ist intensiv gelb. Aus den glänzend schwarzen Augen blitzt der Schalk. Einzig seine Stimme ist nicht schöner geworden, noch immer krächzt er wie eine rostige Maschine. Was ihn jedoch nicht daran hindert lauthals zu schreien, wenn ihm danach zumute ist. Was eigentlich immer der Fall ist.

Ich lege schon mal meine Ohren enger an, leider sind sie zu kurz um mein Trommelfell wirkungsvoll zu schützen, aber besser als nichts.

Jonas hüpft heran, bis er genau vor mir steht. Mit schief geneigtem Kopf schaut er mich aus seinen Knopfaugen an und ruft erneut:

„Hallo Robin, hallo Robin!“

„Ich weiß wie ich heiße, du brauchst meinen Namen nicht herausschreien.“

Das sage ich ihm auf telepathischem Weg, den der schlaue Vogel natürlich ebenfalls kennt. Etwas genervt fahre ich fort: „Können wir uns normal unterhalten oder hast du heute wieder einen Clown gefrühstückt? Falls ja, gehe ich gleich wieder.“

„Bist du heute aber schlecht gelaunt“, mault er und dehnt seine Flügel aus. Er schüttelt sich kräftig, dann spricht er normal mit mir:

„Was liegt dir denn so am Herzen, dass du keinen Spaß verstehst? Vielleicht kann ich dir ja helfen. Also spuck es schon aus.“

Eigentlich will ich von ihm nur in Ruhe gelassen werden. Dann fällt mir ein, dass er mir vielleicht tatsächlich helfen kann. Schließlich ist er Tag und Nacht hier und sein Apfelbaum steht nicht weit von der Stelle entfernt, an der die Leiche gefunden wurde. Zwar habe ich mir noch nie darüber Gedanken gemacht was Raben nachts so treiben, doch kann ich mir gut vorstellen, dass Jonas auch da ein offenes Auge oder Ohr für die Geschehnisse, die um ihn herum passieren hat. Also frage ich ihn.

„Du meinst sicher diese zwei seltsamen Männer, die sich auf der Stierweide herumgetrieben haben“, gibt er Antwort, wobei er sich ausgiebig mit einer seiner langen Krallen am Kopf kratzt. Eine schwarze Feder fällt zu Boden, der er nachdenklich hinterher schaut.

Ich bin sofort ganz Ohr und frage ihn gespannt:

„Du hat sie gesehen? Was haben sie gemacht? Erzähl mir alles, was du über sie weißt.“

Er reckt sich hoch auf.

„Natürlich habe ich sie gesehen, mir entgeht nichts in meinem Park.“

Ich sage nichts dazu, obwohl es mir auf der Zunge liegt, dass es mein Gnadenhof ist und er hier wohnen darf. Ungeduldig warte ich bis er weitererzählt.

„Ich habe mich schon gewundert, was die mitten in der Nacht da treiben. Sie schleppten einen schwarzen Plastiksack mit sich, der ganz schön schwer zu sein schien. Als sie ihn auf der Weide aufschnitten rollte ein weiterer Mann heraus. Er bewegte sich aber nicht und sie drehten ihn um, so dass er auf dem Gesicht lag. Danach lief einer der Kerle über die Weide in Richtung der Stiere. Er hatte eine lange Stange in der Hand, mit der er nach den Stieren stieß. Einen erwischte er damit am Hintern, der fuhr erst brüllend herum, dann überlegte er es sich anders und lief den anderen hinterher. Der Mann schimpfte hinter ihnen her, dann lief er wieder zu seinem Kumpel zurück.“

Jonas hält den Schnabel und schaut mich mit schief geneigtem Kopf an. Ich schaue zurück. War das alles, was er mir erzählen konnte? So recht kann ich nichts damit anfangen, deshalb frage ich:

„Äh, und wie geht es weiter? Was haben die Männer dann gemacht?“

„Etwas seltsames. Sie hüpften herum und wedelten mit einem Tuch. Der eine mit der Stange ging nochmals auf die Stiere zu. Doch die drehten sich schnell um und liefen dann in die entfernteste Ecke ihrer Weide. Der Kerl fluchte und fuchtelte mit der Stange herum. Dann ging er zu dem anderen zurück. Der Kerl am Boden regte sich immer noch nicht. Schließlich sind die Beiden gegangen und ließen ihn zurück.“

Es klingt immer noch nicht spektakulär, was Jonas gesehen hat.

Ich bin enttäuscht, will aber noch nicht aufgeben.

Nach kurzem Nachdenken sage ich:

„Der Mann, der am Boden lag war tot. Er wurde von den anderen vermutlich ermordet...“

„Tot? Ermordet?“ Jonas krächzte laut. „Deshalb ist er nicht aufgestanden. Ich habe noch nie einen toten Menschen gesehen. Ist das genauso wie bei einer toten Maus? Ich fresse die auf, wenn ich eine finde, sind ganz lecker. Kann man tote Menschen auch fressen?“

„Nein! Natürlich nicht!“

Entsetzt springe ich auf um mich zu schütteln. Auf was für Ideen dieser Rabe kommt. Da will ich nicht drauf eingehen, deshalb lenke ich ab.

„Sind die Männer nochmal zurückgekommen?“

„Ja, sind sie. Und sie haben irgendwelche Gegenstände mitgebracht, mit denen sie auf den am Boden liegenden Mann eingeschlagen haben. Warum sie das taten weiß ich nicht. Wenn er doch schon tot war...“

Ein paar leise Krächzer sollen wohl seine Ratlosigkeit ausdrücken.

Ich sage nichts dazu, das Thema ist mir nicht geheuer. Außerdem habe ich die erneute Bestätigung dafür, dass meine Nase mich nicht getäuscht hat. Im Weggehen drehe ich mich nochmal zu Jonas um.

„Würdest du die Männer erkennen, wenn sie nochmal herkommen?“

„Klar doch“, meint er überzeugt und plustert kurz sein Gefieder auf.

„Soll ich dir Bescheid sagen, falls ich sie sehe?“

„Das wäre nicht schlecht. Aber bitte unauffällig, nicht dass du mir den ganzen Gnadenhof zusammenschreist.“

Er krächzt laut, was immer er damit ausdrücken will, ich verstehe es nicht. Aber dann geht sein Krächzen in ein lautes, tiefes Lachen über, das hinter mir her schallt. Ich gebe es nicht gerne zu aber ich bin beeindruckt. Und ein bisschen neidisch auf die Stimme dieses Raben.

Kapitel 2:

Ein Tritt und seine Folgen

In den nächsten Tagen hören wir nichts Neues von dem Mordfall und der Alltag hat sich auf dem Gnadenhof wieder eingestellt. Ich laufe meine üblichen Kontrollwege ab und denke kaum noch an den Fall. Dann werde ich jedoch mit lautem Gekrächze daran erinnert, als ich am alten Apfelbaum vorbei gehe.

Jonas landet flügelschlagend neben mir und kreischt mir ins Ohr:

„Da bist du ja endlich, ich habe den Kerl gesehen! Er ist hier. Komm mit, ich zeig ihn dir.“

Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen und sprinte los, immer in die Luft guckend, da Jonas ein ganzes Stück über mir fliegt. Außerdem sehr schnell, so dass ich bald nicht mehr mithalten kann. Schließlich bin ich kein Windhund, sondern eine Bulldogge. Gerade will ich dem Raben zurufen er soll gefälligst langsamer fliegen, da renne ich in zwei Beine, die mir den Weg versperren.

„Aua!“ Meine Nase schrammt über raue Hosenbeine unter denen Stiefel mit spitzen Nieten hervorsehen. Warum trägt jemand solche gefährlichen Schuhe, das gehört doch verboten. Doch ich komme nicht dazu weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich schießt der Stiefel auf mich zu und trifft mich in die Rippen. Und das mit solcher Wucht, dass ich zur Seite fliege. Ich stoße einen Schrei aus und japse nach Luft. Da kommt der Stiefel erneut auf mich zu. Nur weil ich mich im letzten Moment auf den Rücken drehen kann verfehlt er mich.

Da der Kerl kräftig ausgeholt hat, wird er von seinem eigenen Schwung nach vorne katapultiert. Fast fällt er über mich drüber, erst im letzten Moment kann er sich fangen. Er schreit irgendwas, dass ich nicht verstehe. Seine Stimme klingt jedoch sehr wütend. Das veranlasst mich dazu Abstand zu nehmen um aus der Reichweite seiner Stiefel zu kommen.

Tatsächlich macht er Anstalten mir zu folgen. Doch da stürzt ein schwarzer Schatten auf ihn nieder. Jonas landet kreischend auf seinem Kopf und fegt ihm die Kappe herunter. Dann krallt er sich in den schwarzen, welligen Haaren des Kerls fest, gleichzeitig hackt sein langer Schnabel auf dessen Kopf ein.

Der Mann schreit auf und versucht den Raben zu packen. Doch Jonas hackt nach seinen Händen, so dass er sie eilig wieder herunternimmt. Hechelnd schaue ich den Beiden aus sicherer Entfernung zu. Vor Aufregung fange ich zu bellen an. Was auf dem noch ruhigen Gelände weit zu hören ist.

Rufe ertönen und man hört die Schritte mehrerer Leute, die in unsere Richtung laufen. Es sind die Tierpfleger, die ihre Frühschicht begonnen haben. Mir fällt ein Stein vom Herzen als die ersten den Weg entlangkommen.

Auch der Kerl sieht sie kommen und versucht verzweifelt den kreischenden und hackenden Raben von seinem Kopf zu bekommen. Blut läuft aus seinen Haaren über sein Gesicht, auch seine Hände zeigen deutliche Spuren von Jonas' Schnabel. Als der einen Moment von ihm ablässt, um den Leuten entgegenzuschauen, packt ihn der Mann und schleudert ihn von sich. In wilder Flucht läuft er davon und verschwindet hinter dem nächststehenden Gebäude.

Die ersten Angestellten bleiben bei mir und Jonas stehen um zu schauen ob wir unversehrt sind. Zwei große kräftige Pfleger rennen in die Richtung, in der der Kerl verschwunden ist. Ich will ihnen folgen, denn meine Nase wird erkennen, in welche Richtung er läuft. Doch nach zwei Sätzen jaule ich auf.

Mein Brustkorb tut plötzlich so weh, dass ich kaum noch atmen kann. Ich kauere mich zusammengekrümmt hin.

Sofort greift eine Pflegerin zum Telefon und ruft jemand an. Dann streicht sie mir beruhigend über den Kopf.

„Gleich kommt dein Herrchen mit der Tierärztin.“

Tatsächlich dauert es nur wenige Minuten, dann hält ein Auto neben uns auf dem Weg. Felix springt heraus und kniet sich neben mich. Besorgt schaut er mich an, sagt aber nichts, sondern macht der Tierärztin Platz, die gleich ihren Behandlungskoffer neben mir abstellt. Ich beginne ängstlich zu hecheln, bin ich etwa so schwer verletzt? Als sie mich anfasst beginne ich zu zittern.

„Hab keine Angst, Robin, ich will dich doch bloß untersuchen.

Du atmest etwas schwer, das muss ich abklären.“

Auch Felix murmelt irgendetwas was mich beruhigen soll. Also ergebe ich mich in mein Schicksal. Ich werde abgehört und beim folgenden Abtasten wird die Tierärztin fündig. Als sie meinen Brustkorb berührt jaule ich auf.

„Da scheint zumindest eine Rippe gebrochen zu sein“, meint sie an Felix gewandt. „Sieht aus als wurde er getreten. Das muss ich röntgen, nicht dass er innere Verletzungen davongetragen hat. In der Klinik schaue ich ihn mir dann nochmal genauer an.“

Sie erhebt sich und schaut sich um.

„War da nicht noch ein Rabe, den ich mir anschauen soll?“ Suchend schaut sie sich um.

„Das ist Jonas, er sitzt da auf dem Gatter. Aber ich denke er ist nicht verletzt, zumindest ist kein Blut an ihm zu sehen. Auf dem Boden sind allerdings ein paar Blutspritzer, vermutlich hat er den Eindringling attackiert.“

Es ist einer der Pfleger, der das sagt. Er hält Jonas seine Hand hin und der steigt mit leisem Krächzen darauf.

Während er untersucht wird plappert er munter vor sich hin und genießt es im Mittelpunkt zu stehen. Die Tierärztin gibt schnell Entwarnung, Jonas ist unverletzt.

In unserer Tierklinik werde ich gründlich untersucht, was ich ergeben über mich ergehen lasse. Ich bekomme eine Spritze gegen die Schmerzen und einen strammen Verband um die Rippen. Das Röntgenbild hat gezeigt, dass ich zwei gebrochene Rippen habe. Zum Glück sei es ein glatter Bruch, der keine Schäden an den inneren Organen verursacht hätte, informiert die Tierärztin Felix.

Für mich ist wieder mal nicht nachvollziehbar, was sie damit meint. Aber da Felix mir grinsend über den Schädel wuschelt scheint es was Gutes zu sein. Ich brumme zufrieden und entspanne mich etwas.

Allerdings bekomme ich dann von ihr zwei Wochen Schonung und Hausarrest verordnet. Was mir wiederum gar nicht passt. Jetzt, wo es hier so richtig spannend wird kann ich doch unmöglich zu Hause bleiben. Überhaupt weiß doch noch gar keiner was passiert ist. Dass dieser Kerl sich hier eingeschlichen und bei den Stieren herumgetrieben hat. Ich muss deshalb dringend mit Michael sprechen. Er kann es an Felix weitergeben.

Endlich bin ich medizinisch versorgt und werde von der Tierärztin entlassen. Sehr langsam trotte ich neben Felix in Richtung unseres Büros. Trotz der Schmerzspritze sticht meine Seite bei jedem Atemzug, so dass ich so flach wie möglich atme. Felix schaut besorgt zu mir herunter, ich sehe ihm an, dass er mich am liebsten auf den Arm genommen hätte. Die Ärztin hat ihm aber gesagt, das wäre nicht gut und dass sich meine Rippen dadurch doch noch in meine Lunge bohren könnten.

Zum Glück ist es bis zum Aufzug und von dort zum Büro nicht weit. Endlich dort angekommen lege ich mich sofort vorsichtig auf meine weiche Matratze. Der Schmerz lässt sofort merklich nach, was ich mit einem Seufzer quittiere.

„Sag mal, was machst du denn für Sachen, Robin? Hast du große Schmerzen?“

Michael kauert sich neben mich, ich habe beim Reinkommen gar nicht bemerkt, dass er hier ist. Er mustert mich kurz und ich kann spüren, dass er besorgt ist. Er zuppelt sachte an meinem Ohr.

„Sicher hast du uns etwas zu erzählen, oder?“

Und ob ich das habe, also lege ich sofort los. Da die Unterhaltung mit Michael über unsere Gedanken abläuft, verursacht mir das Gespräch keine Schmerzen. Außer, ich lege mich auf die Seite, damit ich ihn besser anschauen kann. So wie jetzt...

„Aua!“, ich jaule erschrocken auf, als mir ein schneidender Schmerz durch die Seite fährt. Sofort beginne ich zu hecheln, was sowohl Felix als auch Michael dazu bringt, sich erschrocken zu mir niederbeugen. Beide schauen mich mitfühlend an und streicheln mir sehr sanft über den Rücken.

„Wenn er so schmerzhaft ist, solltest du ihn lieber heimbringen,“ meint Michael. Da hat er etwas mehr Ruhe und bewegt sich nicht dauernd.“

Felix nickt, doch ich sage schnell zu Michael:

„Nein, ich will nicht schon nach Hause, ich muss euch doch berichten was passiert ist. Außerdem habe ich hier mehr Ruhe. Immerhin leben in meiner Familie zwei kleine Kinder, die nicht wissen, dass ich mich schonen soll. Ich liebe die Beiden zwar sehr aber Ruhe habe ich da nicht viel.“

Michael nickt wissend und übersetzt es für Felix. Der muss lachen, bestätigt aber dann:

„Da hat Robin wohl Recht, an die Kinder hab ich gar nicht gedacht. Die sind wirklich nicht sehr hilfreich, wenn man etwas Ruhe braucht. Lotta liebt ihren Robin ja sehr, aber vermutlich würde sie ihn ständig mit den Instrumenten aus ihrem Tierarztkoffer untersuchen wollen. Und Max ist mit seinen knapp zwei Jahren noch zu klein um zu verstehen, dass Robin Ruhe braucht. Er ist auch noch etwas grobmotorisch im Umgang mit den Hunden.“

Er fährt sich grübelnd mit der Hand durch die kurzen Haare. „Hmm, was machen wir denn da?“

„Wir lassen alles wie es ist, ich fahre morgens mit zur Arbeit und abends mit nach Hause.“ brumme ich etwas unwirsch. „Dieser ganze Durcheinander wegen zwei angeknacksten Rippen ist ja oberpeinlich. Ich bin doch nicht krank, nur ein wenig verletzt. Sowas wirft eine Bulldogge nicht um.“

Nachdem sich Felix und Michael noch eine Weile über mich ausgetauscht haben, kommen sie schließlich zu dem Ergebnis:

Es bleibt erst einmal alles beim Alten. So lange es mir nicht schlecht geht, komme ich weiter mit ins Büro. Ich atme vorsichtig auf, dann kann ich endlich erzählen, was passiert ist.

Nachdem Michael alles an Felix weitergegeben hat, wirkt der sehr nachdenklich.

„Wie ist dieser Kerl bloß in den Gnadenhof gekommen? Durch die Kasse sicher nicht, die hat erst später aufgemacht. Vielleicht war er ja schon die ganze Nacht hier und hat sich irgendwo versteckt. Möglichkeiten dazu gibt es zuhauf. Und den Nachtwächtern konnte er vermutlich auch aus dem Weg gehen.“

„Wie auch immer, wir sollten zuerst die Polizei verständigen. Vielleicht können die uns ja mehr sagen. Allerdings dürfte es schwierig werden ihnen zu erklären, wer den Kerl entdeckt hat. Ein Hund und ein Rabe. Die werden uns für verrückt halten.“

Sie beraten sich noch eine ganze Weile und ich höre ihnen kaum zu. Die Spritze macht mich schläfrig, vielleicht ist es auch die Aufregung der vergangenen Stunden. Als Felix zum Telefon greift um die Polizei zu informieren fallen mir endgültig die Augen zu.

Als ich aufwache bin ich allein im Büro. Es wird bereits dunkel, also ist es schon spät. Habe ich etwa den ganzen Nachmittag verschlafen? Direkt neben meiner Matratze steht mein Wassernapf und ein Teller mit kleinen saftigen Häppchen, die ich besonders mag. Sie duften verführerisch, was mir sagt, dass ich tatsächlich sehr lange und tief geschlafen habe. Denn normalerweise weckt mich der leckere Geruch sofort auf.

Ich brauche nur den Hals etwas lang machen um die Häppchen mit der Schnauze zu erreichen und greife zu. Mmmh, sehr lecker. Sorgfältig lecke ich zuerst den Teller, dann meine Lefzen gründlich ab. Um einen Schluck Wasser nachzutrinken muss ich mich allerdings erheben, im Liegen läuft mir das Wasser wieder aus der Schnauze. Ich will keine Überschwemmung auf dem Boden machen, dabei könnte sonst meine Matratze nass werden. Da mag ich überhaupt nicht. Also erhebe ich mich sehr vorsichtig, schon in Erwartung des kommenden Schmerzes. Aber ein Hund muss tun, was ein Hund eben tun muss. Und das ist jetzt erst einmal: Trinken.

Das Aufstehen tut gar nicht so weh, dafür aber das Senken meiner Schnauze in die Wasserschüssel umso mehr. Fast vergeht mir der Durst, so schneidend ist der Schmerz in meiner Seite. Da ich den Kopf aber schon unten habe, trinke ich auch. Dann lasse ich mich erschöpft zurück auf die Matratze sinken und lasse langsam die Luft aus meinen Lungen entweichen. Zum Glück schwindet auch der Schmerz schnell wieder.

Normalerweise bin ich ganz gerne einmal eine Weile allein. Aber nur wenn ich weiß, dass trotzdem jemand in der Nähe ist, sollte mir der Sinn wieder nach Gesellschaft stehen. Wenn ich aber nicht weiß wo Felix oder eine andere Person meines Vertrauens ist, steigen unerklärliche Ängste in mir auf. So wie jetzt, ich beginne zu zittern.

Zum Glück kommt Felix kurze Zeit später ins Büro zurück und tröstet mich. Er erzählt mir etwas von „Polizei war da und ich musste mit ihnen zum Gnadenhof. Aber jetzt fahren wir endlich nach Hause.“

Das verstehe ich sofort, ich versuche etwas zaghaft aufzustehen. Es geht besser als ich befürchtet habe, deshalb tappe ich los in Richtung Tür. Felix folgt mir, wobei er mich nicht aus den Augen lässt. Nachdem wir mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren sind meint er:

„Bleib du hier am Eingang stehen, ich hole das Auto, dann brauchst du nicht so weit zu laufen.“

Ich schaue ihm einen Moment nach, dann mache ich ein paar Schritte zu einem Busch in der Nähe. Meine Blase drückt und der Busch wird hoffentlich nicht gleich eingehen, wenn ich einmal dran pinkele. Das Bein zu heben fällt mir schwer, deshalb setze ich mich hin wie es Hündinnen tun. Zuvor habe ich aber geschaut, dass mich niemand beobachtet. Wäre doch etwas peinlich. Als Felix neben mir hält stehe ich schon an der Straße.

Er grinst mich an und meint:

„Ich hoffe, du hast die Zeit genutzt um zu strullen. Nicht dass du gleich wieder raus musst, wenn wir daheim sind.“

Ich antworte mit einem kurzen „Wuff“, was heißt: „Alles erledigt.“

Ganz vorsichtig werde ich ins Auto gehoben und angeschnallt. Hoffentlich muss Felix nicht stark bremsen, geht es mir durch den Kopf. Das Geschirr liegt eng um meinen Brustkorb, genau über den Rippen. Natürlich fährt Felix immer vorsichtig und ich mache mir sonst nie Gedanken darüber. Heute habe ich aber schon ein bisschen Angst. Die zeige ich ihm zwar nicht, trotzdem meint er beruhigend.

„Keine Sorge, Robin, ich bring dich gut heim.“