Blutschuld - Gerdi M. Büttner - E-Book

Blutschuld E-Book

Gerdi M. Büttner

4,7

Beschreibung

Daniel Kenneth hat sich in die junge Ärztin Theresa verliebt. Die jedoch ahnt nichts von seiner vampirischen Existenz. Auch Dr. Randall, Tessas Chef, ist an der attraktiven Frau sehr interessiert. Eifersüchtig beobachtet er Daniel heimlich und entdeckt so dessen dunkles Geheimnis. Dadurch bringt er Tessa in tödliche Gefahr. Um sie zu retten, verstößt Daniel gegen den vampirischen Kodex und lädt große Schuld auf sich. Die Situation für Tessa scheint aussichtslos. Aber Daniel gibt nicht auf und wagt das Unmögliche um seine große Liebe zu retten.

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Inhaltsverzeichnis

Blutschuld

Prolog

Kapitel 1: Warten auf Tessa

Kapitel 2: Ein lang ersehntes Wiedersehen

Kapitel 3: Der Nebenbuhler

Kapitel 4: Geheimnisse

Kapitel 5: Eine unbekömmliche Mahlzeit

Kapitel 6: Wie erkennt man einen Vampir?

Kapitel 7: Dr. Randalls wahres Gesicht

Kapitel 8: Ein folgenschweres Geständnis

Kapitel 9: Ausgeliefert

Kapitel 10: Blutige Experimente

Kapitel 11: Hoffnungslos

Kapitel 12: Rettung in letzter Sekunde

Kapitel 13: Sorge um Tessa

Kapitel 14: Lauter schlimme Nachrichten

Kapitel 15: Nachtritt mit Luke

Kapitel 16: Tessas Rückkehr

Kapitel 17: Tessas Entscheidung

Kapitel 18: Lukes Plan

Kapitel 19: Die Geburt

Kapitel 20: Inspektor Frasier gerät in Gefahr

Kapitel 21: Daniel wird entlarvt

Kapitel 22: Hilferuf am Morgen

Kapitel 23: Erneute Gefangenschaft

Kapitel 24: Die Geschehnisse überschlagen sich

Kapitel 25: Tessas Rache

Epilog

Impressum

Blutschuld

 Teil 3 der Vampirsaga Blutsfreunde

Prolog

Daniel Kenneth stand am Fenster des Hotels und starrte sinnend in die Nacht. Sein Blick streifte über die uralten Eichen, die den kleinen Park säumten. Ihre weit ausladenden Kronen bildeten ein natürliches Dach über dem Eingang. Der milde Mondschein versuchte vergeblich, das Blättergewirr zu durchdringen.

Er war hier im Castle House Stammgast, die kleine Suite im Dachgeschoß des schlossähnlichen Ge­bäudes stand ausschließlich für ihn bereit. Das Castle House lag ein wenig abseits der Landstraße zwischen Dunkeld und Dundee. Hierher verirrten sich nur wenige Touristen, das Hotel wurde haupt­sächlich von Geschäftsleuten frequentiert, die sich nicht unbedingt dem Stress und der Hektik der nahen Stadt aussetzen wollten. Dennoch war es nahe genug, um schnell in der Innenstadt Dundees zu sein.

Daniel liebte Castle House fast so sehr wie seine Burg Kenmore, die versteckt in den Hügeln über Loch Tay lag. Er bewohnte die Suite nun schon über dreißig Jahre. Sie war perfekt für einen Mann mit gewissen kleinen Eigenheiten. Bisher hatte noch niemand sein kleines Geheimnis entdeckt. Und das würde auch in Zukunft so bleiben. Denn Daniel Kenneth besaß nicht nur gewisse Eigenheiten, sondern auch besondere Fähigkeiten. Eine davon war, dass er alle Menschen in seiner Nähe mit einer Art Bann belegen konnte. Diesem Bann war es zu verdanken, dass seine Mitmenschen in sofort vergaßen, sobald er sie verließ. Niemand machte sich Gedanken über ihn, weder die alten Besitzer des Hotels, noch deren Angestellte. Keinem von ihnen war je aufgefallen, dass der stets freundliche und zurückhaltende Mann, der mehrmals im Monat hier wohnte, nicht alterte.

Er sah sehr gut aus, die meisten Frauen waren entzückt, seine Aufmerk­samkeit zu erregen. Mit seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt überragte er viele seiner Geschlechts­genossen. Das Gesicht wies männlich markante Züge auf. Die lange dünne Narbe auf seiner rechten Wange, die sich vom Jochbein bis fast zum Kinn zog, gab ihm das leicht verwegene Aussehen eines Abenteurers. Das auffälligste an ihm waren jedoch seine langen schwarzen Haare und der uner­gründliche Blick seiner jetschwarzen Augen.

Daniel sah aus wie ein erfolgreicher, dynamischer Geschäftsmann von zirka dreißig Jahren. Doch in Wahrheit währte sein Leben schon fast zweihundertfünfzig Jahre. Denn Daniel Kenneth war kein Mensch. Er war ein Vampir.

Leise seufzend wandte er sich vom Fenster ab und wanderte unruhig im Zimmer auf und ab. Er war nervös, ein Zustand, den er normalerweise nicht kannte. Nach einer solch langen Lebensspanne konnte einen Mann wie ihn kaum noch etwas erschüttern. Heute war jedoch eine ganz besondere Nacht. Denn heute würde er Theresa wiedersehen.

Theresa, die meist kurz Tessa gerufen wurde, befand sich endlich wieder in seiner Nähe. Jahrelang war sie fort gewesen, hatte an erstklassigen Universitäten Medizin und Biologie studiert. Nur ab und zu war sie in den Semesterferien für ein paar Tage heimgekehrt. Vor kurzem hatte sie ihren Abschluss mit Bravour gemeistert. Nun war sie als hoffnungsvolle, aufstrebende Ärztin nach Schottland zurückgekehrt. Und in spätestens einer Stunde würde sie ihm gegenüberstehen. Er konnte es kaum erwarten.

Daniel ging zu der kleinen Minibar, die in einem Fach des gediegenen Sideboards untergebracht war und goss sich einen Scotch ein. Mit dem Glas in der Hand schlenderte er zu dem massigen Ledersessel und ließ sich hinein sinken. Er lauschte der leisen Melodie, die aus verborgen angebrachten Lautsprechern ertönte. John Bon Jovi, Tessas Lieblingsinterpret.

Nicht schlecht, dachte er lächelnd, wenn auch nicht ganz seine Geschmacksrichtung. Mit dem heutigen Musikgeschmack konnte er sich nicht so recht anfreunden. Klassische Musik war ihm lieber. Aber als Unsterb­licher musste man sich dem Lauf der Zeit anpassen. Meist bereitete ihm das keine Schwierigkeiten. Jedes Jahr­hundert besaß seine Vorzüge, wie seine Tücken. Doch so enorme Fortschritte, wie in den letzten hundert Jahren hatte die Welt noch nie gemacht. Trotzdem, oder gerade deshalb gefiel ihm das noch junge einundzwanzigste Jahrhundert.

Er nippte an seinem Whisky und lehnte sich bequem zurück. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, dachte er an die Zeit zurück, in der Tessa in sein Leben kam. Und es gründlich umkrempelte.

Kapitel 1: Warten auf Tessa

Als Sandy Steward vor siebenundzwanzig Jahren an die Tore von Burg Kenmore klopfte, wurde sie gerne aufgenommen. Es spielte keine Rolle, dass sie kein Geld besaß und nicht wusste wo sie schlafen, oder wie sie ihre nächste Mahlzeit finanzieren sollte. Und es spielte auch keine Rolle, dass sie ganz offensichtlich schwanger war.

Sandy war Nancys jüngere Schwester. Und Nancy betreute gemeinsam mit ihrem Mann Howard West die Burg und das Gestüt Kenmore. Die Beiden zählten zu Daniels engsten Vertrauten. Sie wussten um seine wahre Natur und hatten keine Probleme damit. Bereits Howards Eltern waren für den Vampir tätig gewesen. Nachdem diese für die Arbeit zu alt wurden und sich auf ein kleines Anwesen im nahen Dorf zurückgezogen hatten, hatte er wie selbstverständlich ihren Platz eingenommen. Als er später Nancy heiratete, erfuhr sie ebenfalls was es mit ihrem unsterblichen Arbeitgeber auf sich hatte. Nach anfänglicher Scheu, die sie mit etwas hypnotischer Hilfe Daniels rasch überwand, gewöhnte sie sich überraschend schnell an die ungewöhnliche Tatsache mit einem Vampir unter einem Dach zu leben.

Daniel vertraute den Wests voll und ganz. Über alle anderen Angestellten, Stallburschen, Pferdepfleger oder Hausangestellte legte er seinen bewährten vampirischen Bann. Sie  kannten ihren wahren Arbeit­geber nicht. Für sie war Howard der Chef. Zwar trafen sie Daniel fast jeden Abend im Haus oder in den Ställen an, wunderten sich aber nie über seine Anwesenheit. Sie erwiderten seinen Gruß und taten willig, was er ihnen auftrug, danach vergaßen sie ihn einfach. Mit den Besuchern und Kunden des Gestüts verhielt es sich ähnlich.

Selbst Brendan, der Sohn der Wests, ahnte lange Jahre nichts davon, dass er in unmittelbarer Nähe eines Vampirs lebte. Solange er ein Kind war, war Daniel für ihn ein netter Bekannter, der im Turmzimmer der Burg wohnte, gerne mit ihm spielte und ihm zu seinem dritten Geburtstag ein eigenes Pony schenkte. Er vergötterte ihn und nannte ihn Onkel Daniel. Erst als er erwachsen wurde, erfuhr er die Wahrheit und akzeptierte sie überraschend schnell.

Sandy wusste natürlich nicht, bei wem sie um Aufnahme bat. Eines Tages stand sie weinend vor den Türen der Burg und bat ihre Schwester inständig, sie nicht wegzuschicken. Nancy, voller Liebe und Verständnis, nahm sie wie selbstverständlich auf. Daniel hatte nichts dagegen, dass die junge Frau fortan auf der Burg wohnte. Platz gab es in dem alten Gemäuer mehr als genug und auf einen Esser mehr kam es auch nicht an. Er hatte gerne interessante Menschen um sich und Sandy war eine recht ungewöhnliche junge Frau. Trotz ihrer momentanen Situation war sie voller Tatkraft und sie besaß sehr viel Humor. Da er auf ihre Geschichte neugierig war, setzte er sich am Abend zu der versammelten kleinen Familie, um Sandys Lebensbeichte anzuhören.

Es war keine ungewöhnliche Geschichte. Sandy war neunzehn und unsterblich verliebt. Der Mann schwor ihr ewige Treue und sie glaubte ihm bedingungslos. Als sie feststellte, dass sie schwanger war verschwand er spurlos aus ihrem Leben. Plötzlich stand sie mutterseelenalleine da. Ihre und Nancys Eltern waren schon lange tot. Da sie schon immer ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Schwester hatte, lag ihr nächster Schritt auf der Hand. Und nun war sie hier.

Sie gewöhnte sich schnell an den Alltag auf der Burg und arbeitete fleißig im Haushalt mit um für ihren Unterhalt aufzukommen. Sie wollte niemandem zur Last fallen. Oft musste sie sogar gebremst werden, damit sie sich schonte.

Daniel kam nicht umhin, sie zu bemerken. Ihr unkompliziertes, fröhliches  Wesen, war anziehend. Er setzte sich oft nach seinem Erwachen in die Küche, um ihrem fröhlichen Geplauder zuzuhören. Sandy gefiel ihm und fast verliebte er sich ein wenig in sie. Und wie alle anderen Familienmitglieder freute er sich auf das Baby. Er hoffte, sie würde nach der Geburt mit dem Kind auf der Burg bleiben. Der Gedanke an fröhliches Kinderlachen ließ sein Herz höher schlagen, er liebte Kinder sehr. Brendan war zwar erst drei Jahre alt, doch nach einer Erkrankung Nancys war es eher unwahrscheinlich, dass er noch ein Geschwisterchen bekommen würde.

Nur einige Tage vor ihrer erwarteten Niederkunft bestand Sandy darauf, nochmals nach Dundee zu fahren. Sie wollte noch ein paar Babysachen kaufen und nahm den Bus in die Stadt. Sie hatte schon alle Einkäufe erledigt und befand sich auf dem Weg zurück zum Busbahnhof, als das Unglück geschah.

Ein betrunkener Autofahrer überfuhr eine rote Ampel und erwischte die Hochschwangere. Sandy wurde auf den Gehweg geschleudert und blieb schwerverletzt und bewusstlos liegen. Ihre Fruchtblase war geplatzt und Blutungen setzten ein.

Im Krankenhaus entbanden die Ärzte sie per Notkaiserschnitt von einer gesunden Tochter. Doch sie sollte ihr Kind nicht mehr in den Armen halten können. Kurz nach der Geburt erlag sie ihren schweren inneren Verletzungen.

Es war schon später Nachmittag, als der Anruf kam. Nancy war alleine zu Hause. Howard befand sich auf einer Pferdeauktion und wurde frühestens am nächsten Tag zurück erwartet. Nancy in ihrer Trauer war zu geschockt, um selbst nach Dundee zu fahren. Hilflos und in Tränen aufgelöst lief sie die Treppen zu Daniels Turmzimmer hinauf.

Als Daniel aus seinem Todesschlaf erwachte, fand er die weinende Nancy in seinem Zim­mer vor. Sie konnte vor Kummer kein Wort herausbringen, doch er las aus ihren Gedanken was geschehen war. Ohne viele Worte zu machen führte er sie zu seinem Auto und fuhr mit ihr zum Krankenhaus.

Gemeinsam standen sie vor Sandys Totenbett. Obwohl der Vampir fast jede Nacht tötete und ein Leichnam etwas Alltägliches für ihn war, entsetzte ihn der Anblick der schmalen stillen Gestalt unter dem weißen Laken. Sandys Tod war so unsinnig, ihr Leben so kurz gewesen.

Später begleitete er Nancy zur Babystation. Eine gestresste Schwester drückte ihm, als vermeintlichem Vater, das kleine schreiende Bündel Mensch in die Arme. Er sah in die unglaublich blauen Babyaugen, des winzigen zornigen Wesens und es war um ihn geschehen. Vom ersten Moment an war er diesem winzigen Geschöpf verfallen.

Plötzlich fühlte er sich um über zweihundert Jahre zurückversetzt. Auch damals, in seinem menschlichen Leben hatte er solch ein kleines Bündel in den Armen gehalten. Doch das kleine Mädchen hatte keine Lebenschance gehabt, es war nach ein paar Atemzügen in seinen Händen gestorben. Und seine geliebte Frau Sarah hatte die Geburt ebenfalls nicht überlebt.

„Theresa“ flüsterte er leise den Namen, den er damals für sein eigenes Kind ausgesucht hatte und den es nie tragen durfte. Dieses Baby würde ihn tragen, es war kräftig und voller Lebensgier.

Theresa wuchs selbstverständlich auf der Burg auf, für Howard und Nancy war sie wie eine eigene Tochter und Brendan ließ sie kaum aus den Augen. Bald war sie der Liebling aller und wurde dementsprechend verwöhnt. Daniel war hingerissen von ihrem kindlichen Charme und las ihr buchstäblich jeden Wunsch von den Augen ab. Nancy musste ihn öfters energisch bremsen, damit er die Kleine nicht allzu sehr verwöhnte.

Wie auch den kleinen Brendan ließ Daniel Theresa in dem Glauben, dass er ein ganz normaler Mensch sei. Obwohl Kinder eher bereit waren, an das Unglaubliche zu glauben, so barg dieses Wissen zu viele Gefahren für ihn. Wie leicht konnte sich ein Kind verplappern und mit einem Onkel prahlen, der über seltsame Kräfte verfügte. Daniel hatte sich den Kindern seiner Vertrauten nie als Vampir zu erkennen gegeben. Damit wartete er stets, bis sie das Erwachsenenalter erreicht hatten. Bei manchen tat er es nie. Und auch Brendan und Theresa mussten sich dieses Wissens erst noch als würdig erweisen.

Als Theresa etwa fünfzehn Jahre alt war, begann sie sich für Horrorgestalten zu interessieren. Sie verschlang sämtliche Bücher, die von Monstern, Geistern und Werwölfen erzählten. Und zu Daniels heimlicher Belustigung war sie besonders fasziniert von Vampirromanen. Sie brachte ihn sogar dazu, mit ihr in Vampirfilme zu gehen. Meist saß sie auf dem Heimweg nach dem Kinobesuch ziemlich verstört bei ihm im Auto und schaute ständig über die Schulter, ob sie eventuell von einem dieser meist grausig dargestellten Vampirgestalten verfolgt würden. Manchmal ärgerte er sie ein wenig, drehte sich unvermutet zu ihr um und rief „buh!“ Dann kreischte sie hysterisch auf und schlug die Hände vors Gesicht.

„Wenn du solche Angst vor diesen Wesen hast, dann besuche ich mit dir keinen Vampirfilm mehr“, drohte er ihr scherzhaft, nachdem sie wieder einmal in einem solchen Machwerk gewesen waren. Sie saßen in einer Eisdiele und Tessa  wurde nicht müde, über die beängstigenden Gestalten aus dem Film zu reden.

„Gib es doch zu“, konterte sie, „Du hattest dich auch gegruselt. Ich habe dich heimlich beobachtet und du hast dich geschüttelt. Diese Vampire waren aber wirklich sehr blutrünstig. Ich hatte richtig Angst um das kleine Mädchen. Zum Glück kam der Vampirjäger gerade noch rechtzeitig um es zu retten. Glaubst du, dass es tatsächlich Vampire gibt? Manchmal denke ich, etwas Wahres muss doch dran sein. Sonst gäbe es nicht so viele Bü­cher und Filme darüber.“ Neugierig sah sie ihm in die Augen.

Er tat, als müsse er lange über ihre Frage nachdenken. Dann schüttelte er entschieden den Kopf. „Ach was, Vampire gibt es ebenso wenig wie Gespenster oder Werwölfe. Alles Hirngespinst. Du bist ein solch kluges Mädchen. Ich hätte nicht gedacht, dass du an so einen Humbug glaubst.“ Belustigt schaute er sie an.

Sie wurde verlegen. „Nein, natürlich nicht. Aber neulich hat mir eine Freundin einen tol­len, neuen Roman ausgeliehen. Und in dem wurden Vampire ganz anders beschrieben. Sie tranken zwar auch Blut, waren aber nicht wirklich böse. Und im Gegensatz zu den Wesen aus dem Film, wurden sie als richtig gut aussehende Männer beschrieben. Und weißt du was, sie haben mich an ...“

„Na, was haben sie? Du wirst ja auf einmal ganz rot.“

Theresa war tatsächlich bis unter die Wurzeln ihrer rotblonden Haare errötet. „Ach nichts, es war nur so ein blöder Gedanke“, murmelte sie und saugte heftig am Trinkhalm ihres Eistees.

„Nun sag schon. So schlimm kann‘s doch nicht sein“, stichelte Daniel, um sie ein wenig zu necken. Er lächelte sie aufmunternd an. „Ich verspreche auch, dich nicht deswegen auszulachen.“

Sie holte tief Luft, dann platzte sie kichernd heraus. „Sie haben mich an dich und Nicolas erinnert. Bist du jetzt beleidigt? Aber irgendwie könnte ich mir euch beide gut als Vampire vorstellen. Natürlich fehlt da einiges..., die Zähne und so. Trotzdem gefällt mir der Ge­danke, dass ihr Vampire sein könntet. Findest du es schlimm, wenn ich dich mit einer Romanfigur vergleiche?“

Jetzt war es an ihm, verlegen zu sein. Zum Glück konnte er nicht wie ein Mensch erröten, aber er verschluckte sich fast an seiner Cola und hustete. Er räusperte sich ein paar Mal vernehmlich und meinte dann verdattert. „Ich weiß nicht so recht, ob ich mich wegen dieses Vergleichs geschmeichelt fühlen soll. Nicolas täte es wahrscheinlich.“

Sie kicherte wieder und ihre Augen wurden groß und bewundernd. „Ja, das glaube ich auch. Er ist immer so witzig und so goldig, einfach süß. Aber das darfst du ihm nicht verraten. Sonst zieht er mich damit auf.“ Hastig fügte sie hinzu und errötete erneut. „Natürlich bist du auch süß. Aber du bist ja mein Verwandter oder so was ähnliches.“

Daniel lachte gutmütig, aber insgeheim überlegte er fieberhaft, ob er seinen vampirischen Bann zu sehr gelockert hatte. Um sich Klarheit zu verschaffen, blickte er lange in Tessas Augen. Heimlich checkte er ihre Gedanken ab. Was er darin sah, ließ ihn zufrieden auf­atmen. Nein, sie hatte ihn nicht entlarvt, ihre mädchenhafte Phantasie gaukelte ihr nur Bil­der von einem Märchenprinzen vor. Oder eher von einem Vampirprinzen. Er lächelte sie abermals liebevoll an. Das konnte er akzeptieren.

Ihre Gedanken waren schon wieder ganz woanders. „Warum holst du mich nicht einmal von der Schule ab? Ich würde dich sehr gerne meinen Freun­dinnen vorstellen. Ich habe ihnen schon viel von dir erzählt, wie toll du aussiehst. Alle beneiden mich um dich und sie würden dich gerne einmal sehen.“

Er tat entrüstet „Gibst du etwa mit mir an? Und was heißt, wie toll du aussiehst? Was ist denn so Besonderes an mir?“

„Ich finde, du siehst viel besser aus als die Jungs, für die meine Freundinnen schwärmen. Die sind doch alle viel zu kindisch. Diane hat gesagt, sie hat dich neulich auf der Hengstschau in Glasgow gesehen. Sie war mit ihren Eltern dort und hat gesehen, wie du Devil vorgeführt hast. Sie fand dich jedenfalls sehr süß und hat es den anderen in der Klasse erzählt. Und jetzt wollen dich gerne alle einmal sehen. Also was ist, holst du mich ab?“

„Über was sprecht ihr Mädchen bloß in der Schule? Du würdest mich tatsächlich deinen Freundinnen vorführen, als wäre ich ein Pferd? Ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde. Außerdem weißt du doch, dass ich tagsüber nur schwer meine Geschäfte im Stich lassen kann. Aber wenn du unbedingt auf meine Anwesenheit bestehst, auf die Weihnachtsfeier in drei Wochen könnte ich kommen, wenn du das magst. Dann kannst du mir ja dei­ne Freundinnen vorstellen.“

Theresa war begeistert und Daniel hielt Wort. Er besuchte die abendliche Weihnachtsfeier und ­ap­plau­dierte begeistert der Theateraufführung, in der Theresa einen Engel spielte. Danach verbrachte er noch einige Zeit mit ihr und ihren Freundinnen und ließ sich pflicht­schuldig von ihnen bewundern.

Er wusste sehr wohl um seine Anziehungskraft, denn sie war ein wichtiger Teil seiner vampirischen Natur. Aber die fast ehrfürchtigen Blicke von Tessas Klassenkameradinnen machten ihn doch ein wenig verlegen. Er beschloss, bei nächster Gelegenheit Nicolas mitzunehmen. Nicolas zeigte sich immer allen Situationen gewachsen und er liebte es, im Mittelpunkt zu stehen.

Die nächste Veranstaltung, bei der Tessa unbedingt auf seiner Anwesenheit bestand, war der Abschlussball ihrer Schule. Danach würde sie ein Internat in der Nähe von London besu­chen und anschließend weiß Gott wo studieren. Obwohl er selbst den Internatsbesuch angeregt hatte und auch großzügig für alle Kosten aufkam, war er insgeheim unglücklich über die bevorstehende Trennung. Theresa würde für lange Jahre aus seinem Le­ben ver­schwinden. Und höchstens in den Ferien zu Hause auf der Burg sein.

Eigentlich konnte er sich sein Leben ohne ihre fröhliche Gegenwart gar nicht mehr vor­stellen. Er liebte sie wie eine eigene Tochter.

Trotzdem bestand er darauf, dass sie das Beste aus ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz machte. Auch bei Brendan hatte er auf gute Bildung Wert gelegt. Brendan war von Anfang an den Pferden verfallen. Er machte nach der Schule eine Lehre auf einem großen Gestüt und Daniel konnte schon bald erkennen, welch ein her­vorragender Pferdewirt aus ihm werden würde. Vor einem halben Jahr war Brendan zurückgekommen und Daniel hatte ihm trotz seiner Jugend die Leitung seines Gestüts anvertraut. Er wusste, auf Brendan konnte er sich voll und ganz verlassen. Und inzwischen wusste und akzeptierte der junge Mann auch um die besonderen Eigenheiten seines Arbeitgebers.

Howard, Nancy und Brendan waren schon seit dem Nachmittag auf dem Abschlussball. Daniel hatte versprochen später mit Nicolas nachzukommen. Die langen Sommertage waren ein Übel für Vampire. Jetzt im Juli erwachten sie erst sehr spät und fielen schon früh wieder in ihren Todesschlaf. In den kurzen Nachtstunden blieb ihnen kaum Zeit für andere Aktivitäten als der Suche nach Nahrung. Um am Abschlussball teilnehmen zu können, würden sie heute Nacht hungrig blei­ben müssen.

Daniel nahm den Blick von der Straße und schaute kurz zu Nicolas, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. „Mach dich auf viele junge Mädchen gefasst, die alle mit dir tanzen wollen“, warnte er ihn scherzhaft. „Tessa hat ihren sämtlichen Freundinnen verraten, dass ich bis zum Tanz dort sein werde. Ich habe auf deine Begleitung  bestanden, damit ich etwas Ruhe habe.“

Nicolas grinste ihn spöttisch an. „Wenn ich dort auftauche, schaut sowieso keine mehr nach dir. Du wirst noch bereuen, mich mitgenommen zu haben.“ Er wurde schnell ernst. „Das wird ein harter Abend für uns werden. Kein Blut und so viele Menschen um uns herum. Schon beim bloßen Gedanken daran wachsen mein Zähne an.“

Er grinste breit und die Straßenbeleuchtung ließ seine prächtigen weißen Zähne aufleuchten. Natürlich waren sie nicht zu Vampirzähnen angewachsen, sondern sahen ganz normal aus. Nicolas war mit seinen fast sechshundert Jahren ein Musterbeispiel an Selbst­beherrschung. Eine Nacht ohne Blutmahlzeit machte ihm wesentlich weniger aus als Daniel. 

Nicolas war Daniels Vampirvater, er hatte ihn vor mehr als zweihundert Jahren zum Vampir gemacht. Seither waren sie unzertrennlich. Das Gestüt Kenmore gehörte ihnen zu gleichen Teilen, außerdem betrieben sie gemeinsam einen gutgehenden Handel mit Gold und Edelsteinen. Nicolas kümmerte sich meist um den geschäftlichen Teil, während Daniels Herz voll und ganz an seiner Pferdezucht hing.

Der ältere Vampir bewohnte nach wie vor seine alte Mühle, die zirka fünfzehn Kilometer von der Burg entfernt lag. In den Ställen der Mühle und auf dem dazugehörigen Land lebten die Zuchtstuten mit ihren Fohlen. Auf dem Gelände der Burg wurden die kraftstrotzenden Jungpferde dann zu erstklassigen Reit- oder Springpferden ausgebildet. Die edlen Tiere des Gestütes Kenmore waren unter Pferdefreunden weithin bekannt und sehr begehrt.

Daniel richtete seinen Blick wieder auf die Straße. Bis zur Schule war es nicht mehr weit. „Wirst du es ihr sagen, bevor sie weggeht?“ fragte Nicolas sanft. Daniel wunderte sich nicht, dass er über seine Gedanken Bescheid wusste. Der Blutsfreund war ein wahrer Meister im Gedankenlesen. Natürlich konnte er selbst auch mühelos in die Köpfe der Menschen eindringen, um zu sehen, was sie dachten. Das Erlernen des Gedankenlesens war die erste Lektion eines jeden Jungvampirs. Doch in das Gehirn eines anderen Vampirs einzudringen, war wesentlich schwieriger. Daniel hatte über hundert Jahre gebraucht, bis es ihm einigermaßen gelungen war. Inzwischen beherrschte er diese Disziplin jedoch recht gut. Aber wie gesagt, Nicolas war darin ein abso­luter Meis­ter.

Sinnend wiegte Daniel den Kopf, dann meinte er zweifelnd. „Ich weiß es nicht, aber ich denke, ich warte noch damit. Es würde sie zu sehr verwirren. Sie soll sich ganz auf die Schule und ihr späteres Studium konzentrieren. In ein paar Jah­ren ist immer noch Zeit dafür. Ehrlich gesagt habe ich ein wenig Angst davor. Was ist, wenn sie es nicht akzeptieren kann?“

„Meinst du, in ein paar Jahren wird es einfacher sein?“ Nicolas hob skeptisch eine Augen­braue. „Ich an deiner Stelle würde wenigstens einmal ausloten, inwieweit sie bereit ist, es zu akzeptieren. Wie du weißt, bin ich ein Mann, der klare Verhältnisse vorzieht. Nichts nervt mich so wie Ungewissheit, egal welcher Art. Aber du musst wissen was du tust.“

Sein Gesicht erhellte sich, als ein großes Gebäude in sein Blickfeld kam. „Ah, da vorne ist endlich die Schule. Ich bin froh, aus deiner stinkenden Karre herauszukommen.“

Daniel grinste nur milde. Nicolas hasste Autos abgrundtief, obwohl er sonst für allen modernen Schnickschnack aufgeschlossen war. In seiner Mühle gab es vom gewöhnlichen Fernseher bis zum modernsten Computer alles an Technik, was man sich denken konnte.

„Beleidige mein Auto nicht, sonst kannst du später nach Hause laufen. Ich weiß nicht, was dir daran so missfällt. Ist doch eine prima Erfindung. Stell dir mal vor wir müssten ohne Auto auf Beutesuche gehen. Um nicht zu verhungern wären wir gezwungen in eine große Stadt zu ziehen. In Glasgow oder Edinburgh kannst du deine Opfer notfalls zu Fuß suchen.“

„Gott bewahre.“ Nicolas verdrehte theatralisch die Augen und schnaubte indigniert. „Alles nur das nicht. Ich hasse Städte noch mehr als Autos. Da fahre ich lieber in einer stinkenden Benzinkutsche. Mein beschauliches, gemütliches Heim auf dem Lande ist mir lieb und teuer.“

Tessa erwartete Daniel und Nicolas schon sehnsüchtig und schleppte sie sogleich in den Pulk ihrer vielen Freundinnen. Die jungen Mädchen nahmen sie kichernd in ihre Mitte und führten sie bald wie zufällig in Richtung Tanzfläche. Pflichtschuldig luden sie abwechselnd die jungen Damen zum Tanz.

Trotz ihrer unterdrückten Blutgier amüsierten sich die beiden Vampire prächtig. Brendan, gesellte sich später ebenfalls zu ihnen. Tessa stellte ihn als ihren großen Bruder vor und er wurde ebenfalls begeistert in die fröhliche Runde aufgenommen und zum Tanz genötigt.

Daniel bemerkte Theresas innere Unruhe schon seit einigen Tage. Er wusste sehr gut, was in ihr vorging, tat aber so, als wäre er ahnungslos. Sie hätte am liebsten darauf bestanden, dass er jeden Tanz mit ihr tanzte. Und nach den ersten Pflichttänzen mit ihren Freundinnen tat er ihr gerne den Gefallen und forderte sie zu jedem weiteren Tanz auf.

Jetzt spielte die Kapelle ein langsames Stück und sie hängte sich förmlich an ihn. Die Worte, die sie sich schon so lange zurecht gelegt hatte, brachen aus ihr heraus. „Ich muss dir etwas sagen, Daniel“, flüsterte sie und ihre Lippen streiften heiß sein Ohr. „Ich möchte nicht in dieses Internat. Es ist so weit weg von zu Hause..., von dir. Ich glaube ich liebe dich und möchte bei dir bleiben. Dann brauchst du auch nicht das viele Geld auszugeben. Ich könnte weiterhin hier zur Schule gehen. Was hältst du davon?“ Ihre Wangen glühten vor Aufregung wie im Fieber, als sie atemlos zu ihm aufblickte.

Er seufzte insgeheim auf, blickte sie aber so beherrscht wie nur möglich an. „Ich mag dich ja auch sehr Tessa und würde dich gerne weiterhin in meiner Nähe wissen. Aber dieses Internat ist sehr wichtig für dich, für deine Zukunft. Du liebst mich ganz bestimmt nicht. Es ist nur eine jugendliche Schwärmerei. Was willst du mit einem alten Knaben wie mir? Du bist sechzehn, ich bin gut doppelt so alt wie du. Sicher wirst du auf dem Internat jede Menge Jungs kennenlernen, die dich bewundern werden und die blendend zu dir passen. In ein paar Wo­chen denkst du nicht mehr an mich.“

„Das ist nicht wahr, ich weiß es besser. Ich werde nie einen anderen so lieben wie dich. Ich gehe nicht fort von dir.“

Er ahnte, wie bitterernst es ihr war. Und er wusste, dass er sie ebenfalls liebte. Aber das würde er ihr nie gestehen. Sie war ein Teenager und er ein Vampir. Das konnte nicht gutgehen, so sehr er es auch wollte. Mit ihren zarten sechzehn Jahren war sie sowieso viel zu jung um eine ernsthafte Bindung einzugehen. Seine geliebte Sarah war zwar damals auch erst siebzehn gewesen, als er sie ge­hei­ratet hatte. Aber das waren andere Zeiten gewesen, heute war so etwas undenkbar. Außerdem, Howard würde ihn steinigen, und das sogar zu Recht.

Deshalb schaute er sie jetzt so ausdruckslos an, wie ihm in der gegebenen Situation nur möglich war. Mit kühler, ja abweisender Stimme meinte er. „Tut mir leid, Theresa, aber daraus kann nichts wer­­­den. Du bist ein Kind, ich liebe dich wie eine Tochter. Aber mehr nicht. Geh auf das Internat. In einiger Zeit denkst du anders darüber.“

Sie starrte ihn fassungslos an, ihre roten Wangen erbleichten zusehends. Er konnte kaum noch ihrem gekränkten Blick standhalten, tat es aber dennoch. Er sah die aufsteigenden Tränen in ihren Augen und es zerriss ihm beinahe das Herz. Abrupt stieß sie ihn von sich, drehte sie sich um und floh in die Nacht. Er hielt sie nicht zurück.

„Na, das hast du ja prima hingekriegt!“ Nicolas schaute ihn tadelnd an, als sie später auf dem Heimweg waren. „Du hast der Kleinen den ganzen Abend verdorben.“

Daniel blickte aus dem Augenwinkel unglücklich zu ihm hin. „Was hätte ich denn tun sollen? Soll sie sich wegen einer Schwärmerei ihr ganzes Leben verderben? Sie ist fast noch ein Kind. In dem Alter weiß man noch nichts von Liebe.“

„Bist du dir da so sicher? Und wie steht es mit deinen Gefühlen?“

„Meine Gefühle sind unwichtig wenn es um Tessas Wohl geht. In meinem Alter bin ich an Enthaltsamkeit durchaus gewöhnt. Beziehungen zu einem Menschen bringen Wesen wie uns nur Unglück. Das solltest gerade du wissen!“

„Höre ich da leise Kritik?“ Nicolas zog zwar streng eine Augenbraue hoch, war aber nicht wirklich böse. Er wusste, wie ernst der Freund Beziehungen nahm. Und er wusste, wie vehement er sich bisher dagegen gewehrt hatte, eine Liebesbeziehung einzugehen. Er selbst war in dieser Hinsicht anders. Er brauchte menschliche Lebensgefährten ebenso wie das Blut, das er jede Nacht trank. Auch wenn ihm das manchmal Verdruss einbrachte.

Daniel wusste, dass der Freund im Moment mit Brendan zusammenlebte. Für Nicolas war es nie wichtig welchem Geschlecht sein jeweiliger Partner angehörte. Er verliebte sich und wenn seine Liebe erwidert wurde blieb er diesem Menschen auf seine Art treu. Oft bis zum bitteren Ende. Daniel hatte nie verstanden, wie man einem geliebten Menschen ins Grab blicken konnte. Für ihn war schon der bloße Gedanke daran unerträglich. Da blieb er lieber alleine.

Nicolas beantwortete seine unausgesprochenen Gedanken. „Für mich ist das Alleinsein schlimmer. Und was Tessa angeht, du wirst von ihr nicht loskommen. Mir ist schon jetzt eine Tatsache sonnenklar, die du bisher in deiner Verblendung noch gar nicht bemerkt hast. Ich bin gespannt, wann es dir ebenfalls bewusst wird.“

„Und was soll das sein? Hilf mir Unwissendem auf die Sprünge.“

„Nein, nein. Irgendwann kommst du selbst darauf. Hoffentlich bin ich dann in der Nähe. Den Ausdruck der Erkenntnis in deinem Gesicht würde ich gerne sehen.“

Daniel kannte ihn gut genug um nicht weiter nachzuhaken. Wenn Nicolas nichts sagen wollte, so konnte ihn keine Macht der Welt dazu zwingen.

Theresa mied fortan Daniels Nähe. Die wenigen Wochen bis zu ihrem Umzug ins Internat verbrachte sie mit ihren Freundinnen in einem Ferienlager. Selbst am Abend vor ihrer Abreise such­te sie Daniel nicht in seinem Turmzimmer auf. Sie war immer noch tief gekränkt.

Und er war todunglücklich. Kaum etwas konnte ihn aufheitern.

In den Ferien kam sie weiterhin nach Hause. Und sie sprach wieder mit ihm oder ritt sogar manchmal mit ihm aus. Doch die alte Vertrautheit wollte sich nicht mehr zwischen ihnen einstellen. Dann begann sie ihr Studium und kam oftmals noch nicht einmal in den Semesterferien nach Hause. Stattdessen reiste sie mit Freunden umher und lernte die Welt kennen. Obwohl er sie schrecklich vermisste, gönnte er ihr diese Erfahrungen und schickte ihr unaufgefordert Schecks, damit sie nicht auf die Idee kam, zu trampen oder sich ihre Reisen mühsam erarbeiten musste.

Ab und zu schrieb sie ihm einen Brief oder rief auch mal an, bedankte sich artig für die großzügigen Überweisungen oder erzählte ihm wo sie noch gerne ein paar weitere Semester studieren wollte.

Er war immer einverstanden und finanzierte großzügig all die zusätzlichen Kurse. Ihr unermüdlicher Fleiß und ihre Erfolge machten ihn ein wenig glücklicher und er war stolz auf sie. Doch das nagende Gefühl unerfüllter Liebe blieb in ihm, er gewöhnte sich mit der Zeit daran.

Vor einigen Nächten hatte sie ihn überraschend angerufen. Sie war endlich mit ihren Studien fertig und wollte heimkehren. Wenigstens für kurze Zeit. Aufgeregt erzählte sie ihm von ihren Plänen für ihr weiteres Leben. Und dann sagte sie fast beiläufig, sie wolle ihn unbedingt sehen. Er war überglücklich.

Heute Abend war er früh jagen gegangen. Wenn Tessa kam sollten kein Blutdurst und keine Gier das lang ersehnte Wiedersehen mit ihr trüben. Seit einer halben Stunde tigerte er nun ungeduldig in seinem Hotelzimmer auf und ab. Er war aufgeregt wie ein Schuljunge.

Endlich pochte es leise an die Türe.

Kapitel 2: Ein lang ersehntes Wiedersehen

Daniel öffnete mit bangem Herzen die Türe. Und da stand sie endlich vor ihm. Sie lächelte etwas beklommen, er erkannte, sie war genauso aufgeregt wie er.

Als er sie so stehen sah, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste er, was Nicolas schon vor einigen Jahren erkannt hatte. Heute war es offensichtlich. Tessa sah aus wie Sarah. Seine geliebte Sarah, die schon vor zwei Jahrhunderten von ihm gegangen war. Über deren Tod er so erschüttert gewesen war, dass er trotz eines Unwetters ziellos durch die Landschaft geritten und tödlich verunglückt war.

Damals war sein Pferd beim Überspringen eines Baches gestürzt und hatte ihn unter sich begraben und ihm das Kreuz gebrochen. Nicolas war ihm des Nachts gefolgt und hatte ihn als sterbenden Mann vorgefunden. Und um ihn zu retten, hatte er ihn zum Vampir gemacht.

Nur einen kurzen Augenblick geisterte die Erinnerung an jene Schicksalsnacht durch seine verwirrten Gedanken. Dann riss er sich zusammen und bat Tessa herein. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden und starrte sie immer noch an.

„Hallo, ich bin‘s nur, Tessa“, rief sie lachend aus und wedelte ihm mit der Hand vor den Augen herum. „Erkennst du mich nicht mehr?“

„Fast hätte ich dich tatsächlich nicht mehr erkannt. Du bist noch viel schöner als ich dich in Erinnerung hatte. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich dich schon viel zu lange nicht mehr gesehen habe. Ein unverzeihlicher Fehler.“

Galant küsste er sie auf die Wange. Dabei musste er an sich halten, sie nicht ungestüm in die Arme zu reißen und leidenschaftlich zu küssen.

„Selber schuld“, meinte sie leichthin, musterte ihn aber ihrerseits intensiv. Erstaunt meinte sie. „Mir scheint jedenfalls, du hast dich kein bisschen verändert. Du siehst keinen Tag älter aus als vor meiner Abreise.“

„Du willst einem alten Mann nur schmeicheln“, erwiderte er locker. In Wahrheit war er erschrocken. Er hatte vergessen, seinen Bann über sie zu legen. Doch hatte er es wirklich einfach nur vergessen? Ein solcher Fehler war ihm bisher noch nie unterlaufen. Oder wollte er ihr insgeheim den wahren Daniel präsentieren? Nein, jetzt noch nicht beschloss er und wirkte unauffällig auf ihren Geist ein. Theresa vergaß, was sie eben noch so verwundert hatte und wechselte das Thema.

„Weshalb wolltest du mich hier im Hotel treffen und nicht zu Hause auf der Burg? Hast du geschäftlich in der Stadt zu tun?“

„Ja, ich werde noch ein paar Tage in Dundee zu tun haben. Danach fahre ich nach Glasgow und Edinburgh. Ich bin erst in zwei, drei Wochen wieder auf Kenmore. So lange konnte ich einfach nicht warten, ich wollte dich unbedingt sofort sehen. Was hältst du davon, heute Nacht groß mit mir auszugehen? Ich war noch nie mit einer jungen und vor allem so hübschen Ärztin aus. Ich war so frei und habe uns schon mal einen Tisch im Bonnie’s reservieren lassen. Es soll dort eine sehr gute Disco im Keller geben. Der In-Schuppen der Stadt, - habe ich mir zumindest sagen lassen. Oder magst du nicht tanzen? Wir können auch Essen gehen oder etwas ganz anderes machen, ich richte mich nach deinen Wünschen.“

„Nein, nein, tanzen ist schon ok. In letzter Zeit hatte ich durch die vielen Prüfungen so viel um die Ohren. Da ist das Vergnügen zu kurz gekommen.“

„Wir fahren lieber mit meinem Wagen“, sagte er, als Theresa kurz darauf  draußen auf dem Parkplatz ihr kleines Auto ansteuerte. „In so winzigen Autos bekomme ich leicht Platzangst. Außerdem weiß ich da nie, wohin mit meine langen Beinen.“

Er führte sie zu seinem Fahrzeug, einem imposanten Geländewagen. Theresa schürzte, beeindruckt die Lippen. „Arm bist du durch die Finanzierung meines Studiums anscheinend nicht geworden. Dabei habe ich mir oft Gedanken gemacht, ob dich die teuren Uni­versitäten, die ich besuchte, nicht finanziell zu stark belasten. Ganz zu schweigen von den Reisen. Meine lange Studienzeit muss dich doch ein kleines Vermögen gekostet haben.“

Lächelnd wehrte er ab. „Für deine Ausbildung, deine Zukunft war mir nichts zu teuer. Außerdem habe ich vor einigen Jahren auch Brendans Studium finanziert. Und es nicht bereut. Durch seine überragenden Fähigkeiten hat er das Gestüt weithin bekannt gemacht. Das investierte Geld hat sich also gelohnt.“

„Heißt das, du wolltest dir mit mir deine eigene Ärztin finanziert? Willst du jetzt schnell krank werden, um zu sehen, was ich gelernt habe? Eigentlich siehst du ja kerngesund aus. Aber erzähl mal der Frau Doktor. Wo tut’s denn weh?“ Mitfühlend legte sie ihm die Hand auf die Stirn.

„Eigentlich ist es mehr da“, meinte er ganz ernst, nahm ihre schmale Hand und legte sie  auf sein Herz. Sie zog sie schnell zurück. „Mit Herzen kenne ich mich nicht so gut aus“, murmelte sie verlegen und starrte an ihm vorbei.

Nachdem er ihr die Wagentüre aufgehalten hatte und danach selbst eingestiegen war, versuchte Daniel, sich auf die Straße zu konzentrieren. Was ihm nicht so recht gelingen wollte. Tessas frappierende Ähnlichkeit mit Sarah ging ihm nicht aus dem Sinn. Sie besaß die gleichen rotblonden Haare, dasselbe fein geschnittene Gesicht. Und dann diese türkis­farbenen Augen, die je nach Stimmungslage blau oder grün funkeln konnten, - die zweite Sarah. Er musste wirklich blind gewesen sein, dass er das bisher nicht erkannt hatte.

Mit der Er­innerung an Sarah kam auch die Erinnerung an Fedja zurück. Er war ihr vor etwa hundertfünfzig Jahren in Russland begegnet. Sie war eine junge Hexe gewesen und sie hatte Sarah ebenfalls aufs Haar geglichen. Nicolas hatte ihm damals berichtet, dass ihm  dieses Phänomen  schon manchmal begegnet wäre. Menschen die schon vor langer Zeit gestorben waren, tauchten, - natürlich mit völlig anderer Identität, -  irgendwann wieder auf. Er hatte damals vermutet, es handele sich wohl um eine Art Wie­der­­­­­geburt.

Daniel hatte sich schon damals darum bemüht, Fedjas Herz zu gewinnen, aber dramatische Umstände und ein anderer Mann hatten das vereitelt. Immerhin hatte ihm Fedja gestanden, dass sie ein Gefühl des Erkennens in sich gefühlt habe. Er konnte sich noch an ihre Abschiedsworte erinnern. Sie klangen wie ein Schwur. „Ich weiß, wir werden uns in einem späteren Leben wiedersehen. Und dann teilen wir die Ewigkeit miteinander.“

War Theresa Fedja? Oder Sarah? Oder alle beide? Würde sie dieses Mal bei ihm bleiben, mit ihm die Ewigkeit teilen, wie sie es versprochen hatte? Der Gedanke berauschte ihn.

„...du hörst mir ja gar nicht zu“, drang nun Tessas vorwurfsvolle Stimme an sein Ohr und riss ihn in die Gegenwart zurück. Schuldbewusst warf er einen zerknirschten Blick in ihre Richtung.

„Entschuldige bitte, ich war im Moment ein wenig mit den Gedanken in der Vergangenheit. Was hast du gesagt?“

„Ach, ich habe nur gefragt, ob du weißt, wo die Randall Laboratorien sind. Sie müssen hier irgendwo zwischen Dundee und Dunkeld liegen.“

„Ja, die kenne ich, das heißt ich bin ein- oder zweimal daran vorbeigekommen. Es ist ein alter kastenförmiger Steinbau, ziemlich hässlich würde ich meinen. Das Haus sieht aus wie eine Festung aus dem Mittelalter. Es liegt versteckt in einem Wäldchen, hier ganz in der Nähe und ist nur über eine kleine Privatstraße zu erreichen. Ich bin irgendwann einmal durch Zufall darauf gestoßen. Warum fragst du danach?“

„Ich habe einen Vorstellungstermin bei Dr. Randall. Er sucht eine Wissenschaftlerin für sein Labor und ich habe mich beworben. Es war hauptsächlich die Nähe  zu der Burg, die mich gereizt hat. Ich war so lange weg und würde gerne für einige Zeit wieder hier in Schottland leben. Ich habe meine Heimat und meine Familie sehr vermisst.“

„Heißt das, du willst gar nicht als Ärztin arbeiten? Nach all den Studien? Was wäre denn dort deine Aufgabe?“

„Natürlich würde ich dort ebenfalls als Ärztin arbeiten, nur eben in der Forschung. Ich weiß nicht genau, was die Randall Laboratorien erforschen. Dr. Randall wollte es mir am Telefon nicht verraten. Aber ich denke mir, es hat irgendetwas mit der Erforschung neuer Medikamente zu tun. Morgen erfahre ich mehr.“

„Dann kannst du ja wieder auf der Burg wohnen. Wenn du willst, kannst du den unte­ren Teil des Turmes haben. Die Zimmer stehen schon ewig leer.“

Der Gedanke, sie so nahe bei sich zu haben, gefiel Daniel. Aber er merkte schnell an ihrer Reaktion, dass ihr das nicht so behagte. Ihre Worte bestätigten seinen Verdacht.

„Eigentlich wäre mir eine kleine Wohnung in Dunkeld lieber. Mom und Dad sind zwar lieb und ich freue mich, endlich wieder bei ihnen zu sein. Aber auf Dauer möchte ich nicht so eng mit ihnen zusammen leben. Ich habe mich daran gewöhnt, selbständig zu sein und meine Angelegenheiten alleine zu entscheiden. Und du weißt ja, wie anstrengend meine Mutter manchmal sein kann. Sie ist zwar sehr lieb und ich mag sie wirklich sehr, aber sie mischt sich gerne in alles ein. Ich fürchte, daran kann ich mich nicht mehr gewöhnen.“

Das sah Daniel ein. Die gute Nancy konnte manchmal wirklich sehr nerven. Sie meinte es zwar immer nur gut mit allen, doch ihre Fürsorge war oft erdrückend.

„Wie hältst du das bloß auf die Dauer aus? Brendan ist ja inzwischen auch ausgezogen. Er wohnt jetzt bei Nicolas, habe ich gehört. Ist da etwas zwischen den beiden? Der Verdacht kam mir gestern, als ich die beiden miteinander sah.“ Neugierig wandte sie ihm das Gesicht zu.

„Nun, was deine erste Frage betrifft. Deine Eltern und ich haben schon lange ein Abkommen getroffen. Sie kümmern sich um die Burg und das Gestüt. Aber um meine persönlichen Belange nur dann, wenn ich sie ausdrücklich darum bitte. Das klappt ganz gut. Ich kann deine Mutter zwar nicht davon abhalten, meine Räume praktisch klinisch rein zu halten, aber ansonsten hält sie sich aus meinen Angelegenheiten heraus.

Was deine zweite Frage betrifft, so solltest du sie besser Brendan und Nicolas stellen. Ich möchte da nicht indiskret sein.“

„Oh, es macht mir nichts aus, wenn du das meinst. Ich habe diesbezüglich keine Vorurteile. Ich dachte nur jahrelang, Nicolas hätte ein Verhältnis mit dieser Theaterschauspielerin. Wie hieß sie doch gleich?“

„Du meinst Norma? Sie hat vor zwei Jahren ganz plötzlich einen Amerikaner geheiratet und sucht nun in Hollywood ihr Glück. Nicolas schien mir nicht allzu traurig über die Trennung. Norma konnte oft recht anstrengend sein. Außerdem hatten er und Brendan ganz offensichtlich Gefallen aneinander gefunden. Naja, Nicolas war schon immer,  - wie soll ich sagen..., vielseitig.“ Er deutete durch die Windschutzscheibe. „Da vorne ist das Bonnie’s. Scheint ganz schön was los zu sein.“

Der restliche Abend verlief äußerst angenehm. Sie tanzten viel und redeten dabei über alles Mögliche. Tessa plauderte fröhlich über ihre Studienzeit. Anscheinend hatte sie es sehr genossen, ungebunden und frei zu sein. Freimütig erzählte sie ihm von ihren Freunden und kleine Liebeleien. Sie war kein Kind von Traurigkeit gewesen stellte er leicht amüsiert fest. Aber es nagte auch ein klein wenig Eifersucht an seinem Herzen. Bezweckte sie etwa genau das mit ihren Worten? Wollte sie, dass er wusste, was ihm entgangen war als er sie damals zurückwies? Der provozierende Blick, den sie ihm ab und zu unter ihren dichten langen Wimpern hervor zuwarf ließ darauf schließen.

„Du scheinst deine Studienzeit ja sehr genossen zu haben“, meinte er nur und lächelte ihr ehrlich zu. „Das freut mich für dich.“

„Und was hast du während meiner Abwesenheit so alles getrieben? Sicher hast du das eine oder andere Frauenherz gebrochen.“ Sie sagte es leichthin, forschte aber intensiv in seinem Gesicht, ob es der Wahrheit entsprach.

„Oh ja, gleich scharenweise“, behauptete er. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe bis heute noch nicht die Richtige gefunden.“ Das heute betonte er besonders und sie schaute ihn erneut sinnend an.

„Vielleicht bin ich aber jetzt endlich fündig geworden“, meinte er mit dunkler Stimme und beugte den Kopf zu ihr hinunter. Ihre Lippen trafen sich zu einem langen leidenschaftlichen Kuss.

„Das hättest du schon viel früher haben können“, murmelte sie an seiner Wange. „Du hast mich ja nicht gewollt.“

„Da hast du Unrecht, Tessa. Aber du warst noch ein Kind, gerade mal sechzehn Jahre alt. Deine Eltern hätten mich ermordet, wenn ich dir nachgegeben hätte. Und außerdem, wer sagte mir, ob du nicht ganz wo anders dein Glück gefunden hättest. Mit sechzehn hat man sein ganzes Leben noch vor sich.“

„Sage mir wenigstens ehrlich, ob du dir tatsächlich nichts aus mir gemacht hast. Das habe ich mich all die langen Jahre gefragt.“

„Ich habe mich nach dir verzehrt“ gestand er.  „So sehr, dass ich es kaum erwarten konnte­ dich endlich wiederzusehen. Und ich hatte schreckliche Angst, du würdest mich jetzt, - aus Rache etwa, - ablehnen.“

„Ach du Dummer“, hauchte sie „küss mich noch mal.“ Was er bereitwillig tat.

Sehr viel später brachte er sie zum Parkplatz vor seinem Hotel zurück und geleitete sie zu  ihrem Auto. Gerne hätte er sie mit auf sein Zimmer genommen. Er spürte deutlich, sie wollte es ebenfalls. Aber der Morgen nahte unaufhaltsam, in etwas mehr als einer Stunde würde er in seinen Todesschlaf versinken. In diesem frühen Stadium ihrer neu erwachten Freundschaft konnte er sie unmöglich mit dieser, seiner dunkelsten Seite konfrontieren.

Deshalb ignorierte er ihre Enttäuschung und küsste sie nochmals zum Abschied. Mit seinen vampirischen Kräften half er nach, dass sie das unbefriedigende Ende dieser aufregenden Nacht akzeptierte. Schließlich stieg sie in ihren Mini und fuhr in Richtung ihres Hotels davon. Am Nachmittag wurde sie zu ihrem Vorstellungsgespräch erwartet. Bis dahin wollte sie sich richtig ausschlafen.

Sie winkte ihm nochmals von der Straße aus zu und beschleunigte ihren Wagen. Er starrte ihr so lange nach bis die Rücklichter des Minis in der Nacht verschwanden. Dann seufzte er tief auf und machte sich auf den Weg zu seiner Suite.

Im Schlafzimmer zog er seine Schuhe aus, ließ sich aufs Bett sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Solange er noch klar denken konnte, wollte er über die Zukunft nachdenken. Was sollte er tun? Er wollte Tessa, wollte sie so sehr wie sonst nichts in seinem langen, unsterblichen Leben. Gleichzeitig wusste er, dass es schwer werden würde, sie von eben dieser, seiner unsterblichen Existenz zu überzeugen.

Theresa war Wissenschaftlerin, sagte er sich immer wieder. Ihr Verstand war es gewohnt, kühl und präzise zu denken. Sie glaubte an Dinge, die sie sehen, anfassen und verstehen konnte. Keinesfalls glaubte sie an Vampire. Auch wenn sie früher fasziniert davon war, heute waren Wesen wie er und Nicolas reine Phantasiegestalten für sie.

Andererseits, wenn er mit ihr zusammen sein wollte musste er ihr sagen, wer er wirklich war. Zwar wäre es theoretisch möglich, sie ständig in einem Zustand der Unwissenheit zu halten, aber das kam auf lange Sicht nicht in Frage. Sie sollte wissen, wen sie liebte. Doch konnte sie, die Ärztin geworden war um Menschenleben zu retten, ein blutrünstiges, todbringendes Wesen wie ihn überhaupt lieben?

Unruhig warf er sich auf dem Bett hin und her. Er dachte an Nicolas und Brendan. Brendan wusste seit Jahren um Nicolas‘ wahre Natur Bescheid und hatte es voll und ganz akzeptiert. Daniel ahnte, dass er insgeheim sogar hoffte, selbst irgendwann zu einem Wesen der Nacht zu wer­den. Er war gespannt, wie sich Nicolas verhalten würde, sollte es diesbezüglich einer Entscheidung be­dürfen. Einen neuen Vampir zu erschaffen war eine heikle Angelegenheit. Es konnte durchaus schiefgehen. Und gerade Nicolas machte sich eine solche Entscheidung nicht leicht.

Leider ließ die Tatsache, dass Brendan blendend mit Nicolas‘ übernatürlicher Natur  zu­recht­kam, noch lange nicht den Schluss zu, Tessa würde das ebenfalls akzeptieren kön­nen. Sie war ganz anders als Brendan, hatte in vielen Dingen völlig andere moralische  Ansichten.

Daniel legte deprimiert einen Arm über die Augen. Heute Morgen würde ihm wohl keine befriedigende Lösung seines Problems mehr einfallen. Obwohl durch die hermetisch ver­schlossenen Fensterläden nicht der geringste Lichtschein ins Zimmer drang, spürte er den nahenden Morgen. Seine Gedanken zerfaserten, machten es ihm unmöglich weiter klar zu denken. Die Todeskrämpfe zogen seine Muskeln schmerzhaft zusammen und machten ihm das Atmen zur Qual. Mit stoischem Gleichmut ergab er sich endlich in sein allmorgendliches Schicksal und schloss die Augen.

Das Erwachen war jedes Mal ähnlich schmerzhaft wie das Sterben. Voller Gier schnappte er nach Luft, beruhigte sich aber schnell. Nach kurzer Zeit war er in der Lage, sich von seinem Bett zu erheben. Er reckte seine Glieder um die bleierne Schwere daraus zu vertreiben und tappte ins Badezimmer. Wohl zum tausendsten Mal lobte er im Geiste die Erfindung der Dusche. Wie mühselig war dagegen die Körperreinigung zu den Zeiten seines menschlichen Lebens gewesen. Etliche Dienstboten wurden benötigt, um Wasser aus dem Brunnen zu pumpen, es in großen kupfernen Kesseln zu er­hitzen und anschließend den hölzernen Zuber damit zu befüllen. Meist gönnte man sich damals den Luxus eines Bades höchstens ein­mal in der Woche. Und oft badete die ganze Familie nacheinander in derselben Brühe.

Während er das heiße Wasser über seinen Körper rinnen ließ, dachte er an die längst ver­gangenen Zeiten zurück. Sie waren eigentlich so schlecht nicht gewesen, wenngleich er sie sich nicht ge­rade zurückwünschte. Das Damals wie das Heute hatte seine guten und schlechten Seiten.

Nachdem er der Dusche entstiegen war, rieb er mit der Hand über den beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken und starrte selbstvergessen auf sein Konterfei. Da ein Vampir sich nach seiner Verwandlung nicht mehr verändern konnte, sah er noch immer aus wie zum Zeitpunkt seines Todes. Sein schulterlanges Haar war zwar nicht mehr ganz zeitgemäß doch zum Glück war es auch nie ganz und gar aus der Mode gekommen. Einmal hatte er sich einen modischen Kurzhaarschnitt schneiden lassen, doch leider wuchs sein Haar im Laufe der Nacht langsam aber stetig wieder zu seiner üblichen Länge heran. Seither ließ er es lieber bleiben. In Gesellschaft von Menschen erregten Haare, denen man beim Wachsen zuschauen konnte, nur unliebsames Aufsehen.

Mit einem leisen Seufzer bürstete er die wallende schwarze Haarfülle sorgfältig und band sie dann im Nacken zusammen. Derweil überlegte er, was er anziehen sollte. Er würde heute nach Dundee fahren und sich dort ein wenig im Hafengebiet am Firth of Tay um­schauen. Da war legere Kleidung angebracht, wollte er nicht über Gebühr auffallen. Er wählte ein dunkles Sweat-Shirt und Jeans, dazu schwarze Halbstiefel und eine schwarze Lederjacke.

Die Herzschläge der anderen Hotelgäste und der Angestellten drangen in seine empfindsamen Ohren und sorgten dafür, dass sein Blutdurst aufflackerte. Heute fiel es ihm schwer die drängende Blutgier zu unterdrücken, heute musste er gewaltsam töten. Schon allein der Gedanke an diesen blutigen Akt ließ seine Vampirzähne anwachsen. Er spürte den leich­ten Schmerz, mit denen sie sich ins weiche Fleisch seiner Unterlippe bohrten und strich sachte mit der Zunge darüber. Der Blutgeschmack verstärkte seine Gier.

Bis er an der Lobby dem Nachtportier begegnete war er wieder menschlich. Er lächelte dem alten Mann zu und wechselte ein paar belanglose Sätze mit ihm. Dann ging er mit raschen Schritten über den Parkplatz zu seinem Wagen.

Langsam fuhr er durch die Nacht. Im Moment war er nicht in der Lage, über sein Problem mit Tessa nachzudenken. Sein ganzes Trachten galt dem Aufspüren eines potentiellen Opfers. Dazu müsste er sich auf die Gedanken der Menschen konzentrieren, die seinen Weg kreuzten. Aus dem fahrenden Auto heraus war das kein allzu leichtes Unterfangen.

In den letzten Nächten hatte er sich hauptsächlich von Todkranken ernährt. Sie waren leicht zu finden und noch leichter zu töten. Dazu brauchte er bloß in eines der Krankenhäuser oder Altenheime zu gehen. Dort gab es immer Sterbende, denen es nichts mehr ausmachte, ob ihr Leben noch eine Stunde oder einen Tag währte. Er suchte die Unglücklichen in ihrem Sterbezimmer auf und legte seinen vampirischen Bann über Angehörige und Pflegepersonal. Sie fielen daraufhin in Schlaf, oder wurden durch den Bann daran gehindert, das Zimmer zu betreten solange er mit seiner blutigen Mahlzeit beschäftigt war. Danach verschloss er mit seinem heilenden Speichel die klei­nen Wunden am Hals des Opfers und verschwand unbemerkt in der Nacht. Erst nachdem die Wirkung des Bannes nachließ kamen die Angehörigen wieder zu sich und stellten fest, dass sie den Tod ihres Verwandten verschlafen hatten. Aber da mit dessen Ableben sowieso gerechnet werden musste, kam niemandem der Verdacht, etwas wäre dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Diese Art der Ernährung war für Daniel einfach und problemlos. Sie erfüllte ihren Zweck, ihn am Leben zu erhalten. Denn er konnte nur leben indem er das Leben der Menschen trank. Seinem Vampirkörper war es dabei gleichgültig, wie verbraucht dieses Leben war, er benötigte nur lebendiges Blut. Seine Vampirseele hingegen befriedigte diese Art der Ernährung nicht allzu sehr. Manchmal, so wie heute, gierte er förmlich nach Gewalt und Gefahr. Dann brach das Unmenschliche, das Raubtier in ihm durch, er wollte kämpfen und überwältigen. In solchen Nächten suchte er bevorzugt zwielichtige Gegenden auf, in der Hoffnung auf richtige Beute.

Früher war es einfach ein paar böse Jungs zu fangen. Entlang der vielbereisten Landstraßen wimmelte es oft von Horden von Wegelagerern und Diebesgesindel. Ein hungriger Vampir brauchte nur dazwischenzufahren und konnte sich bis zum Überdruss sättigen.

Heutzutage war das nicht mehr ganz so einfach. Große Verbrecherhorden gab es kaum noch, eine ordentliche Mahlzeit musste mühsam zusammengesucht werden.

Daniels übernatürliche Sinne orteten einige Menschen auf einem Rastplatz neben der Straße und verdrängten schlagartig seine müßigen Gedanken. Er fuhr langsamer und drang in die Köpfe der Männer ein, las ihre Gedanken und lauschte ihren leisen Worten.

Bingo, dachte er erfreut und bremste sachte das schwere Auto ab. Auf dem Parkplatz waren ein paar Dealer dabei, die Rauschgiftportionen zu verteilen, die sie in dieser Nacht verhökern wollten.

Dealer gehörten durchaus zu seinen potentiellen Opfern. Nach seiner Auffassung kamen viele von ihnen Mördern gleich, da sie billigend den Tod der Süchtigen in Kauf nahmen um ans große Geld zu kommen.

Voller Vorfreude und Hunger wendete er den Geländewagen und bog in die Einfahrt des Rastplatzes ein. Hinter den Autos der Männer hielt er an und schaltete die Scheinwerfer aus. Für sein Vorhaben brauchte er kein Licht. Seine Vampiraugen sahen selbst in der dunkelsten Nacht hervorragend.

Drei Augenpaare starrten ihm misstrauisch entgegen. Seinem scharfen Blick entging nicht, wie zwei der Männer heimlich Revolver aus der Tasche zogen. Verdammte Waffen, dachte er grimmig. Vorsicht war geboten, denn eine gut platzierte Kugel konnte ihn genau­so verwunden oder töten, wie jeden gewöhnlichen Menschen auch. Nicht für ewig, aber immerhin für den Rest der Nacht. Das konnte fatale Folgen haben, deshalb riskierte er es ungern, Waffen aller Art zu nahe zu kommen.

Ein solcher Unfall, der sich vor einigen Jahren abgespielt hatte, war ihm noch immer lebhaft im Gedächtnis. Damals war er unvorsichtig gewesen und von irgendeinem Kerl erschossen worden. Seine Leiche war gefunden und ins Leichenschauhaus gebracht wor­den. Am folgenden Abend war er fast steifgefroren und nackt in einer Kühlbox erwacht.

Er hatte mehrere Stunden gebraucht, bis er sich aus der engen, verschlossenen Kammer befreien konnte. Zu allem Übel war seine Kleidung unauffindbar gewesen, er musste sich mit ein paar Kleidungsstücken aus den Spinden der Angestellten behelfen.

Am nächsten Tag verkündeten alle Medien von der verschwundenen Leiche. Ein Bild, das der Polizeifotograf von seinem Leichnam geschossen hatte, prangte von allen Titelblättern der Zeitungen. Die Bevölkerung wurde zur Mithilfe bei der Aufklärung seines mysteriösen Verschwindens aufgerufen.

Damals war er gezwungen gewesen, schleunigst das Land verlassen und für einige Zeit in Paris bei seinem alten Freund Henry unterzutauchen. Erst nach mehreren Monaten, - als er sicher war, dass die Angelegenheit in Vergessenheit geraten war, - hatte er sich zurück getraut. Seitdem blieb er wachsam, so etwas durfte ihm nicht nochmals passieren.

Jetzt trat er mit verlegenem Grinsen auf die Männer zu und sprach sie an.

„Entschuldigung, Gentleman, ich befürchte, ich habe mich verfahren. Bin ich hier auf dem richtigen Weg nach Edinburgh?“ Sein harmloses Grinsen zeigte die erhoffte Wirkung, die Kerle entspannten sich zusehends. Er machte ein paar weitere Schritte auf sie zu.

„Wenn Sie nach Edinburgh wollen sind Sie hier falsch, Mister. Aber bleiben Sie doch einfach eine Weile hier. Ohne Ihr Auto kommen sie heute sowieso nicht mehr dorthin.“

Daniel tat so, als würde er nicht begreifen. Erstaunt fragte er den Anführer der Drei. „Wieso ohne Auto. Hinter mir steht doch mein Wagen. Ist fast neu, oder dachten Sie, er wäre kaputt?“

„Nein, nein, ich sehe dass er noch neu ist. Und er gefällt mir ausgesprochen gut. Ich denke, Sie werden uns das Prachtstück überlassen. Als Gegenleistung sozusagen.“

„Gegenleistung? Aber wofür denn? Für die kleine Auskunft?“ Er schaute wie begriffsstutzig  und ging unauffällig noch näher an die Scherzbolde heran.

„Zum Beispiel dafür, dass wir Sie am Leben lassen. Ist das nicht ein guter Tausch?“ Der Kerl lachte wiehernd, so als hätte er einen besonders guten Witz gemacht. Die anderen zwei lachten mit. Sie waren nun restlos von seiner Harmlosigkeit überzeugt. Sorglos ließen sie ihre Pistolen wieder unter den Jacken verschwinden.

Darauf hatte Daniel nur gewartet. Mit drei großen Schritten stand er mitten unter ihnen und rammt dem Anführer die Faust in den Magen. Der schwere Mann gab einen ächzenden Ton von sich und klappte wie ein Taschenmesser zusammen. Langsam sank er zu Boden.

Der Vampir kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er wusste um die verheerende Wirkung  seines Schlages. Ohne Federlesens packte er die anderen beiden am Genick und schlug sie mit den Köpfen zusammen. Ein knirschendes Geräusch sagte ihm, dass er dabei wenigstens einen Schädel gebrochen hatte. Es war egal. Dieses Abenteuer würde keiner der drei Spitzbuben überleben. Sie lagen nun alle drei zu seinen Füßen, unfähig sich noch zu wehren.

Er hatte keine Eile. Seine Sinne meldeten ihm, keine Menschenseele war in der Nähe um sein Festmahl zu stören. Bedächtig ging er in die Hocke und berührte nacheinander seine Opfer. Dann griff er sich den mit der Schädelverletzung zuerst. Er würde nicht mehr lange leben, eine Ader war in seinem Kopf geplatzt. Tot nützte er dem Vampir nichts mehr, nur lebendes Blut war für ihn von Wert.

Seine oberen Eckzähne waren inzwischen zu gut zwei Zentimeter langen, scharfen Dolchen herangewachsen, die unteren waren ebenfalls vergrößert, jedoch nicht so extrem. Sie dienten nur zum besseren Zupacken.

Sachte, fast wie ein zärtlicher Liebhaber nahm er den Körper des Schwerverwundeten in die Arme. Sein Kopf senkte sich und seine Zähne drangen in die Halsvene des Opfers. Voller Wonne saugte er den Mann aus und legte die Leiche dann zur Seite. Mit gierigem Blick hefteten sich die rabenschwarzen Augen auf die am Boden Liegenden.

Der Anführer war wieder zu Bewusstsein gekommen. Schmerzverkrümmt lag er da und konnte nicht glau­­­ben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Jetzt hob er den Blick und sah in die gnadenlosen Vampiraugen. Er wusste, er hatte sein Leben verwirkt. Mit letzter Kraft versuchte er sich zu erheben, fiel aber kraftlos auf die Knie. Sein Kopf sank auf die Brust. Die Hand des Vampirs kam in sein Blickfeld und packte ihn grob an der Kehle, zerrte ihn herum.

„Nein“ krächzte er und versuchte sich zu wehren. Seine Hände krallten sich um das Handgelenk des Vampirs, versuchten den mörderischen Griff zu lockern. Seine Fingernägel hinterließen dabei blutige Striemen. Doch es nützte ihm nichts. So, als würde er nichts wiegen, wurde er hochgehoben. Das letzte was er sah waren die im Mondlicht aufblinkenden Zähne. Dann spürte er nur noch Schmerz und kurz darauf hüllte ihn gnädige Schwärze ein.

Daniels Gier kannte keine Grenzen. Solange noch ein Herz in seiner Nähe schlug, wollte er töten. Ein wölfisches Knurren drang aus seiner Kehle, langsam drehte er sich zu seinem letzten Opfer um. Der Mann war soeben im Begriff zu fliehen. Auf allen Vieren versuchte er ins nahe Gebüsch zu kriechen. Er kam nicht weit. Ein Stiefel trat ihm ins Kreuz und warf ihn auf den Bauch. Dann wurde er am Genick gepackt und hochgezerrt. Wie zuvor seine Kumpane endete er in den Fängen des Vampirs.

Mit dem Tod seines letzten Opfers schwand die Gier aus Daniel. Sein Blick klärte sich und seine Sinne checkten abermals kurz die Umgebung ab. Es war alles in Ordnung, niemand war unfreiwilliger Zeuge seiner Blutmahlzeit geworden. Seine Zähne glitten in ihren Normalzustand zurück. Jetzt sah er wieder ganz wie der nette junge Pferdezüchter aus, als der er weithin bekannt war.

Hinter den Büschen, die den Rastplatz umsäumten, wurde das Gelände schnell karstig und felsig. Er schleppte die Leichen tief in das unwegsame Gelände, legte sie schließlich in einer Bodenvertiefung ab. Dann wälzte er mit übermenschlichen Kräften einige riesige Felsbrocken darüber. Zum Schluss tarnte er noch alles mit Laub und großen Zweigen. Erst als er sich nochmals vergewissert hatte, dass nichts mehr von den Leichen zu sehen war, ging er zufrieden zum Parkplatz zurück. Die zwei Autos der Kerle mussten verschwinden. Obwohl er die Leichen über das Gelände getragen hatte, konnten Suchhunde eventuell die Spur verfolgen. Deshalb setzt er sich nun hinter das Steuer des ersten Wagens und fuhr in einige Kilometer weit weg, stellte ihn auf einem selten benutzten Waldweg ab. Im Laufschritt trabte er zum Parkplatz zurück und fuhr das nächste Fahrzeug ebenfalls weg. Als er abermals zurücklief brummte er im Selbstgespräch, welch ein Aufwand ein Vampir heutzutage betreiben musste, damit seine Opfer nicht gefunden wurden. Endlich kam er bei seinem Wagen an, setzte sich aufseufzend hinters Steuer und fuhr zum Hotel zurück.

Kapitel 3: Der Nebenbuhler

Zwei Wochen später kehrte Daniel für einige Tage auf die Burg zurück. Tessa wohnte noch dort, würde aber in den nächsten Tagen nach Dunkeld umziehen. Sie hatte ein hübsches kleines Appartement gefunden und war in ihrer Freizeit damit beschäftigt, es gemütlich ein­zurichten.

Dr. Randall hatte sich von ihren Fachkenntnissen und auch von ihrer persönlichen Ausstrahlung begeistert gezeigt und nicht gezögert, sie vom Fleck weg einzustellen. Seit ein paar Tagen arbeitete sie nun in seinem Labor und war von ihrem neuen Wirkungskreis durchaus angetan. Besonders von ihrem Arbeitgeber, wie es Daniel schien.

„Er ist sehr nett und lässt mir innerhalb meines Aufgabenbereiches völlig freie Hand“, schwärmte sie ihm vor. „Außerdem lässt er kein bisschen den Boss raushängen. Auch die übrigen Mitarbeiter arbeiten sehr gerne dort. Und das Gehalt, dass er mir zahlt ist sehr großzügig bemessen, mehr als ich je in einem Krankenhaus als Assistenzärztin verdienen könnte.“

Sie saßen alle im großen Wohnzimmer der Burg beisammen. Nicolas und Brendan waren ebenfalls gekommen um Theresas Rückkehr zu feiern. Nancy hatte es sich nicht nehmen lassen ein Festmahl zu kochen. Während die Familie aß, schlenderten Nicolas und Daniel zu den Pferdeställen. Um nicht Tessas Argwohn zu erregen, hatte Nicolas behauptet, erst kurz vor seiner Ankunft gespeist zu haben. Und Daniel hatte Magenschmerzen vorgetäuscht um zu verbergen, dass er nicht in der Lage war feste Speisen zu sich zu nehmen. Brendan grinste ihnen wissend hinterher. Für Howard und Nancy waren die Gewohnheiten mit den Vam­piren so alltäglich, dass sie keinen Gedanken daran verschwendeten.

„Du lässt sie immer noch in Unklarheit über deine wahre Natur? Wie lange willst du das noch durchhalten?“ Nicolas schaute ihm forschend in die Augen. In seinen Worten war nichts von dem Spott zu bemerken, den er sonst so gerne zeigte.

Daniel fuhr sich verlegen mit beiden Händen durch sein langes Haar. Dann legte er seine Stirn an den Hals des edlen Hengstes, dessen glänzendes Fell die gleiche satte Schwärze wie sein eigenes Haar aufwies. Mann und Pferd verschmolzen im Dämmerlicht des Stalles förmlich miteinander. Tief atmete er den warmen Pferdegeruch ein, ehe er sich wieder seinem Freund zuwandte.

„Ich habe einfach Angst, es ihr zu offenbaren. Nenn mich ruhig feige aber ich wage nicht, ihr dieses Geständnis zu machen. Ich weiß, falls sie es nicht akzeptieren kann, könnte ich es wieder aus ihrem Gedächtnis löschen. Das ist auch gar nicht mein Problem. Nein, Ni­co­las, ich habe einfach Angst davor Abscheu über mein Tun in ihren Augen zu sehen. Ich könnte es nicht ertragen.“

Nicolas kraulte selbstvergessen Devils samtige Nüstern. Das sonst so lebhafte Pferd stand ganz still und genoss die Berührung des alten Vampirs. Devil war ein sehr egozentrischer Hengst. Außer von Daniel und Nicolas ließ er sich höchstens noch von Brendan berühren. Alle anderen verscheuchte er durch wütende Drohgebärden. Die Stallknechte durften zwar seinen Stall ausmisten und er gestattete auch gnädig, dass sie ihm Futter und Wasser brachten. Sie mussten aber stets Distanz wahren, wollten sie nicht von den Hufen und Zähnen des Hengstes attackiert werden.

„Ich kann dich ja verstehen, Daniel. Aber irgendwann musst du es ihr sagen. Du liebst sie doch, das sieht sogar ein Blinder. Und gerade deshalb muss sie die Wahrheit über dich wissen. Sie ahnt schon seit sie wieder hier ist, das du ihr irgendetwas verheimlichst.“

Daniel nickte ernst und biss sich zerknirscht auf die Unterlippe. „Ich merke selbst, wie ich manchmal wie unbewusst, meinen Bann lockere“, gestand er ein. „Es ist wie ein Zwang. Eigentlich möchte ich es gar nicht tun und doch ertappe ich mich immer wieder dabei. Es kommt mir vor, als will mein Unterbewusstsein ihr offenbaren, was mein Verstand ihr verheimlichen will.“

Mit der Hand schlug er auf den Sattel, der über einem Holm hing. Das klatschende Geräusch erschreckte Devil. Er legte die Ohren an und wieherte schrill. Daniel packte ihn bei den Nüstern und sprach beruhigend auf das Pferd ein.

In seinen dunklen Augen lag Unsicherheit als er sich erneut seinem Freund anvertraute. „Ich frage mich auch wie es enden wird, sollten Tessa und ich tatsächlich zueinanderfinden. Sie wird altern und irgendwann sterben. Vielleicht muss sie, so wie Sarah, lange vor ihrer Zeit gehen. Das kann ich nicht noch einmal durchstehen.“

Nicolas legte ihm die Hände auf die Schultern und schaute ihm eindringlich ins Gesicht. Mit bekümmertem Kopfschütteln meinte er: „Ach Daniel, du hast wirklich Talent dazu, dir das Leben unnötig schwer zu machen. Was wäre, wenn... In zweihundertfünfzig Jahren solltest du gelernt haben, unvermeidbare Dinge zu akzeptieren. Menschen sterben nun einmal. Und was geschehen soll geschieht so oder so, du kannst es nicht ändern. Warum zerbrichst du dir heute schon den Kopf über Dinge, die vielleicht erst in einigen Jahrzehnten geschehen werden? Selbst wir Vampire leben immer nur heute und jetzt.“

Er wechselte abrupt das Thema und meinte ganz ernst. „Ich denke, im Moment ist ein anderes Problem vordringlicher. Wenn du nicht aufpasst, schnappt dir dieser Dr. Randall Tessa vor der Nase weg. Sie scheint von ihm ganz angetan zu sein. Vielleicht solltest du dir den Mann einmal unauffällig ansehen. Es schadet nie, über einen Konkurrenten gut informiert zu sein. Nicht dass es dir ergeht, wie damals mit Fedja.“

Ein schwaches Lächeln geisterte über Daniel Züge. „Der Gedanke ist mir selbst schon gekommen. Nein, dieses Mal werde ich auf der Hut sein. Deshalb werde ich auch, sobald sie in ihre Wohnung gezogen ist, für eine Weile ins Castle House ziehen. Da bin ich in ihrer Nähe und habe nicht jede Nacht die zeitraubende Fahrt über die Hügel. Wirst du solange hier nach dem Rechten sehen?“