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Im Channing House herrschte Aufregung, als die Köchin der Browns spurlos verschwand.
Für Anita Collins, die dem reichen Brown das seltsame Haus verkauft hatte, war es der Schock ihres Lebens, als sie die tote Maude Lowen im Kofferraum ihres Wagens fand. Von diesem Augenblick an nahm das Entsetzen für Anita Collins keine Ende mehr: Dr. Earl Grandel - der Mann, den sie liebte - gab ihr angeblich zur Beruhigung eine Spritze. Und als sie dann aus tiefer Bewusstlosigkeit erwachte, musste sie feststellen, dass sie im Channing House gefangen gehalten wurde. Sie wusste, dass ein geheimnisvolles Phantom Nacht für Nacht durch die Räume schlich, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Und es gab keine Möglichkeit, sich dem Grauen zu entziehen...
Der romantische Horror-Thriller Der Geist von Channing House von Genevieve St. John (ein Pseudonym des US-amerikanischen Schriftstellers Leslie Gladson) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers in seiner Reihe APEX HORROR.
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Genevieve St. John
Der Geist
von Channing House
Roman
Apex Horror, Band 60
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER GEIST VON CHANNING HOUSE
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Im Channing House herrschte Aufregung, als die Köchin der Browns spurlos verschwand.
Für Anita Collins, die dem reichen Brown das seltsame Haus verkauft hatte, war es der Schock ihres Lebens, als sie die tote Maude Lowen im Kofferraum ihres Wagens fand. Von diesem Augenblick an nahm das Entsetzen für Anita Collins keine Ende mehr: Dr. Earl Grandel - der Mann, den sie liebte - gab ihr angeblich zur Beruhigung eine Spritze. Und als sie dann aus tiefer Bewusstlosigkeit erwachte, musste sie feststellen, dass sie im Channing House gefangen gehalten wurde. Sie wusste, dass ein geheimnisvolles Phantom Nacht für Nacht durch die Räume schlich, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Und es gab keine Möglichkeit, sich dem Grauen zu entziehen...
Der romantische Horror-Thriller Der Geist von Channing House von Genevieve St. John (ein Pseudonym des US-amerikanischen Schriftstellers Leslie Gladson) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers in seiner Reihe APEX HORROR.
Als das Hausmädchen das aufwendig hergerichtete Empfangszimmer betrat, spürte ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Denn als sie kurz zuvor die Cocktails serviert hatte, war sie mir recht fix und munter erschienen.
Sie kam aus dem angrenzenden Esszimmer. Zögernd und unsicher blieb sie nach ein paar Schritten stehen, ehe sie mit plötzlicher Hast auf Mrs. Brown zueilte. Ich beobachtete, wie sich die beiden Frauen erregt ein paar Worte zuflüsterten und wie daraufhin das Gesicht der älteren Dame den Ausdruck äußerster Bestürzung annahm. Mrs. Brown blickte verstört auf, knabberte nervös an ihrer Unterlippe und dirigierte dann das Mädchen ins Esszimmer zurück.
Ich nahm an, dass die unangenehme Botschaft im Zusammenhang mit dem Dinner stand. Mein Mitgefühl für die Gastgeber war indessen nicht übermäßig groß, da ich in erster Linie an dem freundlichen jungen Mann, der neben mir saß, interessiert war. Die Aussicht auf einen missratenen Braten störte mich daher wenig, denn Dr. Earl Grandel war weitaus anziehender, als das ein Braten auch nur jemals sein konnte. Und obgleich Dr. Grandel eine Stunde damit ausfüllte, mir die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der Amöben in Vietnam auseinanderzusetzen, hatte ich das sichere Gefühl, dass ich ihm mindestens genauso attraktiv erschien wie diese Amöben. Darum war ich auch etwas ärgerlich, als Mrs. Brown aufstand und offensichtlich zu einer Rede ansetzte.
Albert Darrell Brown, der die Absicht seiner Frau bemerkt hatte, unterbrach sofort das Gespräch mit seiner hübschen Tochter.
»Gibt's was, Sarah?«, fragte er.
Sie lachte nervös.
»Hm. Ja – es mag vielleicht komisch klingen – nun, Lucy sagt, Maude sei verschwunden.« Und zu mir gewandt, da ich die einzige Fremde in dem Kreis war: »Maude ist unsere Köchin. Sie ist seit fünfundzwanzig Jahren bei uns.«
»Maude ist verschwunden?«, fragte Albert Brown ungläubig. »Aber das ist doch unmöglich! Lucy?«
Das Mädchen hatte schon fast das Esszimmer erreicht. Als sie sich umwandte, wirkte sie unglaublich gefasst und kühl in ihrer adretten schwarzen Satinuniform. Sie war ein hübsches Ding, wahrscheinlich fünf- oder sechsundzwanzig Jahre alt.
»Ja, Mr. Brown?« Sie näherte sich ein paar Schritte.
»Wo ist sie hin, Lucy?«, fragte Mr. Brown liebenswürdig.
»Ich weiß es nicht, Mr. Brown. Ich habe drinnen das Besteck aufgelegt. Als ich in die Küche zurückkehrte, war Maude nicht mehr da. Glauben Sie mir, ich habe in allen Ecken und Winkeln nach ihr gesucht, sogar in den Abstell- und Vorratskammern und natürlich auch in ihrem Zimmer. Maude hat übrigens Essen auf dem Herd stehenlassen. Das Gemüse ist angebrannt, Sir.«
»Ach, du liebe Güte!« Der junge Jack Brown lachte herzhaft. »Dreiundzwanzig Jahre lang habe ich gegen Maudes Gemüse angekämpft – und nun, wo ich alt genug bin, einen eigenen Geschmack haben zu dürfen, brennt das Zeug an.«
Albert warf seinem Sohn rasch einen Blick zu und ging dann zu Lucy. Anscheinend fragte er sie weiter aus. Ansonsten schwiegen alle. Die alte Mrs. Anson, die grauhaarige und runzlige Mutter der Gastgeberin, fummelte an dem Steuerknopf ihres Hörapparats herum. Ich versuchte, höflich wegzuhören. Auch Dr. Grandel schien nur mäßig interessiert zu sein, ebenso Jacks jüngere Schwester, Flora Brown. Sie war bei ihrem vierten Martini angelangt und im Übrigen immer noch mürrisch seit der Unterhaltung mit ihrem Vater. Die Dinnerparty musste sie wohl von Anfang an als höchst langweilig empfunden haben, und auch das Verschwinden der Köchin schien sie letztlich nur anzuöden, obschon sie sicherlich unter den Fittichen der Mamsell aufgewachsen war.
»Entschuldigen Sie uns, bitte«, sagte Mr. Brown. »Meine Frau und ich werden uns um die Sache kümmern. Jack, wärest du so lieb und würdest draußen mal nachsehen?«
»Natürlich, Dad.«
Als Jack Brown auf stand, ähnelte er unwahrscheinlich seinem Vater. Sein Haar war zwar kastanienbraun, das seines Vaters schneeweiß, aber beide trugen es voll und sorgfältig gekämmt, und beide hatten eine energische Kinnpartie und breite Schultern. Ich vermutete, dass sie ihre Kleidung austauschen konnten, obgleich den Vater bereits etwas die Rundlichkeit des Herrn in mittleren Jahren zierte. Sie verließen das Zimmer, aufrecht und selbstbewusst.
»Hm«, machte Dr. Grandel.
»Was glauben Sie, was mit dieser – Maude passiert sein könnte?«
»Ja, Maude... Maude Löwen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr irgendetwas Ernsthaftes zugestoßen ist. Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Oh! Ist sie denn so grässlich?«
Sein Gelächter klang fröhlich.
»Grässlich ist wohl nicht das richtige Wort, Miss Collins. Maude ist eine recht angenehme Person, vermutlich fünf- oder sechsundvierzig und – je nachdem – auch eine recht attraktive Frau. Ich begegnete ihr zum ersten Mal ungefähr vor zwei Monaten, als ich Mrs. Anson meinen ersten Besuch abstattete. Maude gefiel mir. Vor allem entzückten mich ihre Kochkünste. Ich habe meine späten Abendbesuche bei Mrs. Anson nicht zuletzt auch darum recht genossen, weil Maude stets ein kleines Abendbrot improvisierte. Ja, wirklich, Maude ist eine sehr fähige Person. Ich bin sicher, dass ihr nichts passiert ist.«
Ich hatte nichts darauf zu sagen.
Mrs. Anson unterhielt sich mit ihrer Enkelin. Ich sah, wie Flora gleichgültig die Schultern hob. Die beiden saßen ein wenig abseits von Dr. Grandel und mir und machten keinerlei Anstalten, ihre Meinungen mit uns auszutauschen. Ich empfand das unangenehme Zwischenspiel plötzlich als äußerst peinlich, wahrscheinlich mehr als die anderen. Irgendwie kam es mir so vor, als ob ich mich in eine turbulente Familienszene eingemischt hätte.
Dann kehrte endlich Mr. Brown zurück. Seine Stirn war ein vielfältiges Faltengeflecht.
»Hast du sie gefunden, Albert?«, fragte Mrs. Anson ihren Schwiegersohn.
»Nein, Mutter.« Und zu Dr. Grandel und mir: »Ich fürchte, wir werden uns mit dem Dinner etwas verspäten. Meine Frau wird nach besten Kräften Maude zu ersetzen versuchen. Lucy hatte recht: Maude hat sich in Luft aufgelöst. Flora, kümmere dich doch darum, dass unsere Gäste mit Cocktails versorgt werden.« Er seufzte. »Manchmal glaube ich, es wäre besser gewesen, wir wären auf der Farm geblieben.«
Was wollte ich eigentlich? War es nicht sehr schön, so nah neben Dr. Earl Grandel zu sitzen? Und überhaupt – das Verschwinden der Familienköchin war wohl kaum ein erderschütterndes Ereignis. Andererseits hatte ich guten Grund, Albert Brown dankbar und zugetan zu sein.
Meine Maklerlizenz war genau vier Monate alt, als Mr. Brown einen Kontrakt über 190.000 Dollar Unterzeichnete. Mit angehaltenem Atem und zitternden Fingern hatte ich ihn bei diesem Akt beobachtet.
Albert Brown war mein erster Kunde, und das Geschäft brachte mir manches Lob ein. So gratulierten mir zum Beispiel alle Makler des West-Los-Angeles-Distrikts, weil ich ein lästiges Projekt vom Markt geschafft hatte. Artemus Bigelow gratulierte sich hinwiederum, dass er genügend Vertrauen in seine kleine Geschäftsanfängerin gesetzt hatte, und mein Name – Anita Collins – wurde mit goldenen Lettern auf eine schmale Bürotür gemalt. Und ich schließlich gratulierte mir, dass ich nun kreditwürdig geworden war und obendrein auch noch einen so wohlwollenden und dankbaren Klienten wie Albert Brown gefunden hatte.
Als ich ihm die alte Channing-Villa vorführte, war er sofort aus dem Häuschen geraten. Er war so begeistert gewesen, dass ich mich zwingen musste, an meine verschiedenen Rollen zu denken, die jeder Grundstücksmakler gleich zu Beginn seiner Karriere lernen muss. Auf keinen Fall durfte man sein angebotenes Projekt kritisieren oder seinen eigenen Geschmack bekunden.
Die Channing-Villa war eine richtige Monstrosität. Sie lag am Santa Monica Canyon, dort, wo ehemalige, inzwischen verblasste Filmstars mit lächerlichen kostspieligen Palästen die Klippen verunziert hatten. Erreichen konnte man diese Steinungeheuer nur über ungepflegte Fahrwege, unzählige Stufen oder – manchmal – mit Hilfe eines selbstmörderischen Aufzugs.
Wie die meisten dieser einst eleganten Grundbesitze kauerte auch die Channing-Villa auf einer Klippe und war von einer hohen, dicken, mit Zacken versehenen Mauer umgeben. Sie war absolut nicht den Bedingungen der Lage angepasst. Die dem Pazifischen Ozean zugewandte Westseite bestand aus einer Unzahl von Fenstern, die symmetrisch über drei Etagen verteilt waren. Auf dem Ziegeldach prunkten zwei idiotische Kuppeln und zwischen diesen Quadern sieben oder acht Schornsteine.
Die Jahre, die Witterung und die totale Vernachlässigung hatten das Äußere des Hauses arg in Mitleidenschaft gezogen.
Aber selbst wenn sich jemand nicht von der Fassade abschrecken ließ, so hätte bestimmt die Baufälligkeit jeden Menschen mit einem Funken Verstand entmutigt. Albert Brown hingegen schien das alles nicht zu stören. Er verliebte sich in diese Ansammlung aus Stuck und Hässlichkeit.
Natürlich hatte ich keine Einwände erhoben, denn schließlich wünschte ich ja den Verkauf dieses Objekts. Außerdem war Mr. Brown auch ein viel zu netter Mann, als dass ich ihn enttäuschen wollte, und obendrein hatte er von Barzahlung gesprochen. Ein Käufer, der bar zahlte, war fast etwas Unbekanntes, da die meisten Geschäfte in Hollywood, Beverly Hills und an der Küste mit Krediten abgewickelt wurden.
Ja, Mr. Brown, der vielleicht fünfundfünfzig Lenze zählte, war ein äußerst charmanter und liebenswerter Mann, der mich von Anfang an ziemlich fasziniert hatte. Nun, eine fast dreißigjährige unverheiratete und unversprochene, gefühlsbetonte blonde junge Frau konnte schon mal Herzklopfen bekommen. Doch Mr. Brown enttäuschte meine Gefühle bald, indem er schon sehr rasch seine Frau und seine zwei Kinder erwähnte. Trotzdem blieben wir gute Freunde.
Der Beweis dafür erfolgte zwei Monate später, nachdem alle seine Schecks auf einer Davenport-Bank in Iowa eingelöst worden waren. Zu diesem Zeitpunkt erhielt ich eine säuberlich geschriebene und sehr herzliche Einladung von Mrs. Brown, die mich zu dieser nun so plötzlich entgleisten Dinnerparty bat. Ich hatte mich geschmeichelt gefühlt und gefreut und war sowohl auf die Umgestaltung der Channing-Villa als auf Mr. Browns Familie neugierig gewesen.
Die Familie entpuppte sich als eine umwerfende Überraschung.
Mrs. Brown war eine schmucklose schlichte Frau von über Fünfzig. Sie hatte mausgraues Haar und trug schlecht sitzende Kleidung. Anscheinend hatte sie noch nicht entdeckt, was der Reichtum ihres Mannes auch aus ihr hätte machen können. Bei ihrer Mutter, Mrs. Anson, konnte man wenigstens die Entschuldigung gelten lassen, dass sie einer anderen Generation angehörte. Sie war wohl die kritischste in der Familie. Schon als ich ihr vorgestellt wurde, vermittelten mir ihre hellen Augen und ihr scharfer Ton das Gefühl, unvorteilhaft beurteilt zu werden. Die beiden schon erwachsenen Kinder standen in direktem Kontrast zu den beiden älteren Damen. Die hübsche, aber sehr launische und unstete Flora wusste, wie mir schien, sehr wohl den Reichtum ihres Vaters zu nutzen, nur leider mangelte es ihr an jeglichem Geschmack. Ihr Bruder Jack dagegen ging einem mit seinen kindischen Redensarten auf die Nerven, die Komplimente sein sollten, indessen nur einen recht unentwickelten Sinn für Humor offenbarten.
So war die einzige Person, die mich ein wenig mit der Gesellschaft versöhnte, Dr. Earl Grandel, den Mr. Brown für seine gebrechliche Schwiegermutter engagiert hatte. Gemessen an seinen anderen Handlungen war Mr. Brown bei der Wahl des Arztes wohl einer höheren Inspiration gefolgt. In der augenblicklichen Situation war Dr. Grandel geradezu ein moralischer Rückhalt.
Unmittelbar nach der Vorstellungszeremonie hatte Flora den ersten Martini gebracht. Mr. Brown hatte kaum meinen ersten Schluck abwarten können, um mir sogleich – trotz sichtlicher Angst und Nervosität – die von ihm veränderte Channing-Villa vorzuführen. Ich schätzte die Renovierung des Monsterbaus auf fünfzigtausend Dollar. Albert Brown schien Größe und Pseudoeleganz zu lieben, während seine Familie sich wahrscheinlich auf der Iowa-Farm inmitten des Korns, des Weizens und der Schweine bedeutend wohler gefühlt hatte. Ohne Zweifel war der Entschluss, nach Kalifornien überzusiedeln, einzig und allein Mr. Browns Hirn entsprungen.
Mr. Brown hatte auch jetzt die Regie übernommen, um die sich müde dahinschleppende Dinnerparty wieder etwas auf Vordermann zu bringen. Mit seinem angeborenen Witz beschrieb er wortreich die vielen Probleme, die bei der Restaurierung des Channing-Hauses aufgetaucht waren und munterte uns gleichzeitig durch Martinis auf. Nur Mrs. Anson hielt sich von den Getränken fern.
»Du scheinst über Maudes Verschwinden nicht sehr betroffen zu sein«, unterbrach sie das in ihren Augen alberne und nichtige Geschwätz ihres Schwiegersohnes denn auch bald schroff.
»Ach, diese verdammte Maude! Sie weiß genau, wie wichtig dieser Abend für uns alle ist. Und nach fünfundzwanzig Jahren kann sie nicht einmal auf Wiedersehen sagen.«
»Vielleicht wollte sie nicht dabei sein. Hast du mal darüber nachgedacht, Albert? Parties, Dinners, die vielen Gäste...«
»Sie hätte ja nicht mitzukommen brauchen. Ich hatte ihr die Pensionierung angeboten. Aber sie wollte ja nicht. Was willst du eigentlich andeuten? Hast du in letzter Zeit irgendetwas bemerkt, Mutter?«
Mrs. Anson starrte ihn wortlos an, tadelnd und finster. Ich konnte nur ihr Profil sehen und fand, dass sie nicht gerade sehr würdevoll aussah.
»Nichts Neues, Albert«, sagte sie schließlich betont deutlich. »Ist ja nur ein Wunder Gottes, dass Maude uns nicht schon vor zwanzig Jahren verlassen hat.«
»Ja, Mutter«, entgegnete Albert mit warnendem Unterton, »Maude hat sich eben ganz der Familie angepasst.«
»Sieh mal einer an!« quietschte Flora vergnügt, zog aber gleich wieder ihr Schmollmündchen.
»Halt den Mund, Flo«, murmelte ihr Bruder.
Stille trat ein. Im Hintergrund produzierte ein Hi-Fi-Gerät Dinner-Musik.
Ich bekam eine Gänsehaut. Einen Moment lang waren die versteckten Feindseligkeiten ganz offen zutage getreten. Earl Grandels Miene wirkte nicht gerade beruhigend. Er schien ärgerlich, ja indigniert zu sein. Ich blickte nach unten und spürte deutlich die belebende Wirkung des Martinis. Benommen kniff ich die Augen zusammen. Wo befand ich mich eigentlich? Und warum war ich hier?
Dies war Albert Darrell Browns Haus, und ich war gerade bemüht, eine äußerst unangenehme Situation durchzustehen. Und ich war hier, weil Mr. Brown während der vielen Wochen, die er mit dem Erwerb dieses lächerlichen Hauses zubrachte, eine gewisse Zuneigung zu mir fasste. Oder war ich lächerlich? Vielleicht war dies ein ganz herrlicher Besitz?
Das Channing-Haus war in den zwanziger Jahren gebaut worden, zu einer Zeit, da Hollywood, die Träume der Nation verwirklichend, exzentrische Häuser und exzentrische Millionäre hervorbrachte. Als ich es verkaufte, war es voller Spinnweben, staubig, muffig, verwahrlost – ein Gespensterhaus. Mr. Brown hatte versucht, die glorreiche Zeit, da dies das Heim eines berühmten Filmstars gewesen war, neu aufleben zu lassen.
Angelo Channing war jetzt ungefähr zehn Jahre tot und seit ungefähr zwanzig Jahren nicht mehr in Mode. Ich konnte mich nicht an ihn erinnern, denn die wenigen Fernsehsendungen, mit denen man das Gedächtnis aufzufrischen versuchte, hatten mich nicht sonderlich angezogen. Meine Generation sehnte sich nun mal nicht nach lang verblichenen Schauspielern und auch nicht nach der Zeit, in der sie einmal geglänzt hatten.
Lucy unterbrach meine Gedankengänge mit der Ankündigung des Dinners. Alle schienen erleichtert. Ich schlürfte seufzend den Rest meines Martinis und spürte, wie ein Großteil meiner Gelassenheit zurückkehrte, als Dr. Grandel sich entschlossen bei mir unterhakte.
Das Dinner war eine fade Angelegenheit – trotz des glänzend geputzten Silbers, des feinen Chinaporzellans und des Essens, an dem ich nichts hätte aussetzen können. Das Problem war die Stimmung.
Sarah Brown hatten die so plötzlich über sie hereingebrochenen Pflichten recht aufgerieben. Ihr Mann versuchte zwar eine heitere Note in die dürftige Unterhaltung zu bringen, aber auch seine Blicke schweiften unruhig umher, als ob er jeden Moment erwartete, dass die vermisste Köchin aus der Wand heraustreten würde. Nur sein Sohn schien befriedigt, dass Maude endlich abgehauen war. Mit der Durchforschung des zwei Morgen großen Besitzes war sein Interesse mehr oder weniger erloschen. Flora gab sich hingegen ganz dem Essen hin; nach jedem vierten Biss genehmigte sie sich einen kräftigen Schluck des köstlichen Rotweins. Sarah stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Sie umsorgte hauptsächlich ihre Mutter und erkundigte sich pausenlos beflissen, ob ihr der Blumenkohl auch munde, was Dr. Grandel wiederum dazu veranlasste, einen langen Vortrag über Mrs. Ansons hervorragende Verdauung zu halten.
Nachdem die Mahlzeit endlich überstanden war und alle bei Käsekuchen und Kaffee angelangt waren, steuerte Mr. Brown wieder auf das Thema zu, das allen so viel Unbehagen bereitete.
»Das alles tut mir wirklich leid, Miss Collins«, entschuldigte er sich bei mir, aber seine Worte schlossen auch Dr. Grandel mit ein. »Das Verschwinden unserer Köchin hat uns alle über die Maßen durcheinandergebracht. Ihr plötzlicher Aufbruch erscheint mir doch recht mysteriös. Sie müssen wissen, wir liebten sie alle sehr. Wie ich schon sagte, gehörte sie – gehört sie mehr oder weniger zur Familie. Ich weiß wirklich nicht, was wir tun sollen.«
»Ruf die Polizei an«, brummte seine Tochter. »Was willst du denn sonst tun?«
»Die Polizei?«, fragte Mrs. Brown. »Aber Maude wird doch sicher in ein paar Minuten wieder auftauchen. Vielleicht hat sie nur rasch irgendetwas vorgebracht. Das könnte doch sein. Ich weiß, es klingt seltsam, aber...«
»Ich finde, wir sollten das Haus durchsuchen«, meinte Jack. »Natürlich kann nichts Ernsthaftes passiert sein. Schließlich hat diese alte Scheune ja dreißig Räume. In der ersten Woche habe ich mich wohl ein halbes dutzendmal verirrt. Was quasseln wir hier also noch lange herum. Komm, Dad, lass uns auf die Suche gehen. Ich glaube bestimmt, dass wir mit dem Einverständnis unserer Gäste rechnen können. Verflucht noch mal, das wäre ja entsetzlich, wenn ich mir mein Frühstück von nun an selbst machen müsste!«
»Ja, sucht nach ihr, Albert«, bat nun auch Mrs. Brown. »Vielleicht hat die Arme plötzlich ihr Gedächtnis verloren und irrt nun irgendwo in den Korridoren herum. Oh, wie schrecklich!«
»Ich bin dafür, dass man die Polizei benachrichtigt«, wiederholte Flora mürrisch.
»Was vermuten Sie, Earl?«, fragte Albert den Doktor. »Was, glauben Sie, könnte Maude zugestoßen sein?«
Earl überlegte kurz und äußerte dann zögernd: »Nun, so wie ich Maude kenne, dürfte eine Gedächtnisstörung oder etwas Ähnliches ziemlich ausgeschlossen sein. Andererseits halte ich sie nicht für so launisch und verantwortungslos, dass ich es ihr zutrauen würde, sie könnte einfach nach so vielen Jahren abschiedslos davonspazieren.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Jack. »Meinen Sie, die Arme konnte vielleicht keine Nachricht mehr hinterlassen, hm?«
»Ich habe nichts Derartiges behauptet«, entgegnete Earl rasch. »Mir erscheinen die bisher vorgebrachten Vermutungen nur kaum sehr logisch. Aber ich nehme absolut nicht an, dass wir Ursache zur Besorgnis haben.«
»Ach, Quatsch! Wahrscheinlich ist sie einfach gegangen«, sagte Mrs. Anson.
»Aber Mutter!«, empörte sich Mrs. Brown. »Du weißt doch ganz genau, wie lieb Maude immer gewesen ist. Sie hat dich und mich umsorgt, und praktisch hat sie eigentlich Jack und Flora aufgezogen. Nein, ich bin wirklich ganz außer mir!«
»Ich wiederhole: es gibt keinerlei Grund zur Aufregung.«
Ein Blick auf den Doktor genügte, um zu wissen, dass er sich herauszuwinden suchte. Ganz offensichtlich war er besorgter, als er zugeben wollte. Ich selber war unfähig, das Verschwinden der Köchin irgendwie zu motivieren, obschon mich die reichhaltige Mahlzeit und die angespannte Atmosphäre wieder vollkommen ernüchtert hatten. Gab es im Grunde nicht nur eine einzige Lösung? Eine ihr Leben lang in die Familie integrierte Angestellte und Freundin des Hauses verschwindet plötzlich während der Vorbereitungen zu einem offiziellen Dinner-Empfang. Konnte man da nicht nur an einen Gewaltakt denken, an etwas, das zu furchtbar war, um es zu benennen? Ich schauderte und verspürte unwillkürlich den Wunsch, das Channing-Haus sofort zu verlassen. Ich sehnte mich nach meinem zwei Jahre alten Cadillac, der mich von diesem unheimlichen Ort fortbringen konnte.
»Ja, Jack, ich denke, dein Vorschlag ist vernünftig«, hörte ich Albert sagen. »Miss Collins, es tut mir schrecklich leid...«
»Aber ich habe doch vollstes Verständnis, Mr. Brown«, versicherte ich lächelnd. »Ich kann hier nur stören und lästig sein. Übrigens wollte ich ohnehin gerade gehen. Mrs. Brown, das Essen war ausgezeichnet. Natürlich hoffe ich, dass Ihrer Köchin nichts zugestoßen ist, aber wegen des Dinners brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken mehr zu machen. Sie haben die Hausperle voll und ganz ersetzt. Herzliche Gratulation natürlich auch zu der so geglückten Renovierung der Channing-Villa. Ich bin noch nachträglich froh, dass ich dieses Haus für Ihren Gemahl finden konnte. Ganz bestimmt werden Sie sich hier sehr wohl fühlen.«
Worte. Nichts als Worte. Ich ließ mir von Jack rasch meine Nerzjacke bringen und verabschiedete mich ringsum ungefähr dreimal. Jeder schien zu bedauern, dass ich gehen musste, aber innerlich drängelten sie sicher schon, endlich mit der Suche nach Maude beginnen zu können.
Earl hatte sich entschlossen, noch zu bleiben. Vielleicht würde ein unvorhergesehenes Ereignis einen Arzt notwendig machen. Mrs. Ansons schwachem Herzen waren die Aufregungen wohl kaum sehr zuträglich.
Als wir einen Moment allein waren, flüsterte Earl mir zu, er würde mich zum Wagen begleiten.
»Darf ich Sie mal anrufen, Miss Collins, und Sie zum Lunch oder irgendetwas anderem einladen?«, fragte er mich auf dem Weg dorthin.
»Am Donnerstag«, erwiderte ich glücklich. »Da habe ich frei, Dr. Grandel.«
»Earl.«
»Das ist mein freier Tag, Earl.«
Mein Auto parkte vor einem langen, niedrigen Gebäude, das in vier Garagen unterteilt war. Unter einer Laterne kramte ich aus meiner Handtasche eine Geschäftskarte und einen Kugelschreiber heraus. Auf die Rückseite der Karte schrieb ich schwungvoll meine Privatadresse, Telefonnummer und Anita.
»Donnerstag ungefähr gegen elf Uhr dreißig«, versprach er.
»Verlieren Sie die Karte nicht!«
Diese Ermahnung war überflüssig gewesen, denn zwei Tage später wusste ganz Los Angeles, wo Anita Collins wohnte.
Ein liebenswerter Tankstellenangestellter, der den Luftdruck meines Ersatzreifens nachprüfen wollte, fand Maude Löwen. Sie war kalt und steif und in die Schutzhülle meines Verdecks eingerollt. Ihr glatter Hals wurde durch den Draht fast halbiert. Die tückische kleine Schlinge war mit einem Knoten versehen, um die Befreiung aus dem tödlichen Zugriff unmöglich zu machen.
Ich fiel direkt in eine Öllache und verdarb mein Kimberly-Strickkleid, das hundert Dollar gekostet hatte.
Im ersten Augenblick dachte ich gar nicht an Maude Löwen. Schließlich hatte ich sie ja auch niemals gesehen. Außerdem hatte der Schock die Dinnerparty bei den Browns ganz aus meinem Gedächtnis ausradiert. Als ich mich dann endlich erinnerte, starrten mich die grimmigen Polizisten so an, als ob ich nicht ganz da wäre.
Ein fünfzehn- bis zwanzigminütiges Herumtelefonieren mit den einzelnen Polizeistationen ergab, dass die Browns das Verschwinden ihrer Köchin nicht gemeldet hatten. Mir war natürlich klar, dass meine Ohnmacht und der Fund der strangulierten Frau im Kofferraum meines Wagens meine Verhaftung bedeuten konnte; zumindest würde mir die Polizei nicht gerade vertrauensvoll begegnen.
Nahezu zwei Stunden lang beantwortete ich immer wieder die gleichen Fragen, bis Albert Brown erschien und meine Geschichte von der Dinnerparty und der verschwundenen Köchin bestätigte. Doch die Tatsache, dass Maude plötzlich unauffindbar gewesen war, schien nichts an dem offensichtlichen Tatbestand zu ändern. Die Polizei änderte nur den Kurs und drangsalierte mich weiter. Erst als ich vor geistiger und physischer Erschöpfung kaum noch antworten konnte, erlaubte man mir, in einem Vorzimmer etwas auszuruhen.