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Sydney/Samoa 1914: Kaum haben Alma und der australische Seemann Joshua zueinandergefunden, wird ihre Liebe auf eine harte Probe gestellt. Die Hysterie des Ersten Weltkrieges bricht über sie hinein, und plötzlich befinden sie sich auf verfeindeten Seiten. Als das Schicksal sie auseinanderreißt, muss Alma als Deutsche in Australien nicht nur um ihre Existenz bangen. Sie muss auch darum ringen, ihre hart erkämpfte Liebe zurückzugewinnen. Auch Almas Familie ergeht es in Samoa nicht besser. Die deutsche Kolonie wird von den Neuseeländern besetzt. Ihre Verwandte Mathilde und deren Bruder Fritz bangen um ihre Freiheit. Als sie enteignet werden und Fritz inhaftiert wird, kämpfen sie ums nackte Überleben. Zudem sieht Mathilde sich mit einem qualvollen Dilemma konfrontiert. Sie muss erkennen, dass die Liebe ihre eigenen Wege sucht. Darf sie ihren Gefühlen zu einem hochrangigen Offizier nachgeben, wenn der begehrte Mensch auf der Seite des Feindes steht?
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DIE SÜDSEE-SAGA
BUCH ZWEI
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
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Nachwort
Glossar
Die Autorin
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Impressum
Der Glanz von Südseemuscheln
Sydney/Samoa 1914: Kaum haben Alma und der australische Seemann Joshua zueinandergefunden, wird ihre Liebe auf eine harte Probe gestellt. Die Hysterie des Ersten Weltkrieges bricht über sie hinein, und plötzlich befinden sie sich auf verfeindeten Seiten. Als das Schicksal sie auseinanderreißt, muss Alma als Deutsche in Australien nicht nur um ihre Existenz bangen. Sie muss auch darum ringen, ihre hart erkämpfte Liebe zurückzugewinnen.
Auch Almas Familie ergeht es in Samoa nicht besser. Die deutsche Kolonie wird von den Neuseeländern besetzt. Ihre Verwandte Mathilde und deren Bruder Fritz bangen um ihre Freiheit. Als sie enteignet werden und Fritz inhaftiert wird, kämpfen sie ums nackte Überleben.
Zudem sieht Mathilde sich mit einem qualvollen Dilemma konfrontiert. Sie muss erkennen, dass die Liebe ihre eigenen Wege sucht. Darf sie ihren Gefühlen zu einem hochrangigen Offizier nachgeben, wenn der begehrte Mensch auf der Seite des Feindes steht?
Dieser Roman wurde 2015 unter dem Titel „DER GLANZ VON SÜDSEEMUSCHELN“ von Regina Gärtner im Heyne Verlag veröffentlicht. Mittlerweile sind unter dem Pseudonym Hanna Caspian viele Bestseller-Romane erschienen. Deshalb wird dieser Roman nun unter ihrem Pseudonym erneut veröffentlicht.
Personenübersicht
In Australien:
Alma Stieglitz – Kölnerin, ausgewandert nach Samoa
Joshua Fitzgerald – australischer Seemann
Max Stieglitz – Almas Sohn
Mary Thomson – Joshuas Schwester
Agnes, Sibyll, Edward – Kinder von Mary Thomson
Mr. Und Mrs. Craddock – Almas Nachbarn
Birdy – Mrs. Craddocks Dienstmädchen
Jeffrey Owen – Metzger in Sydney
In Deutsch Samoa:
Mathilde Hinrichs – Almas Schwester
Gretchen Quanz – Mathildes Ziehtochter
Fritz Hinrichs – Almas Bruder
Satulia – Ehefrau von Fritz
Lofa – samoanischer Vorarbeiter
Heather Fox – englische Ladenbesitzerin
Friedrich Wunderlich – Ingenieur im dt. Observatorium
Rupert Cross – englischer Pflanzer
Scott Turner – neuseeländischer Soldat
Colonel Robert Logan - Oberbefehlshaber der neuseeländischen Truppen auf Samoa
Anton Hofer – deutscher Ladenbesitzer
Cornelius Lamberty – deutscher Pflanzer
Mrs. Bartlett – Scott Turners Nachbarin
Alma beobachtete, wie der Postmann auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Haus zu Haus ging. So sehr bedrückte ihre Einsamkeit sie, dass sie jeden Tag sehnsüchtig auf Briefe wartete. Zudem fehlte ihr der Ausblick aufs Meer, auch wenn die viktorianischen Häuschen mit den verzierten Holzbalustraden sehr schmuck anzusehen waren. Doch in Apia, der Hauptstadt von Deutsch-Samoa, hatte sie die letzten fünfzehn Jahre in einer Villa gewohnt mit einem paradiesischen Ausblick auf die schillernde Bucht.
Verglichen mit Apia war Sydney riesig. So viele Menschen gab es hier! Nie war man allein. Doch ihr fehlten die bekannten Gesichter, die kleinen Unterhaltungen auf dem Trottoir und die nachbarschaftlichen Zusammenkünfte. Und vor allem fehlte ihr ihre Familie. Zudem war sie bisher nicht besonders freundlich von der Stadt und ihren Bewohnern aufgenommen worden, obwohl sie sich doch so sehr darauf gefreut hatte, hier mit Joshua ihr Leben teilen zu können.
Natürlich war er als Kapitän eines eigenen Handelsschiffes mehr auf See als zu Hause, aber das hatte sie ja vorher gewusst. Ihm gehörte die Flanagan, ein Dampfsegler, der zwar nicht mehr ganz taufrisch war, aber nach wie vor gute Dienste versah. Erst vor drei Tagen war Joshua gefahren, dennoch war Alma überrascht, wie schmerzvoll diese Trennungen immer wieder waren.
Anders als an den meisten Tagen überquerte der Briefträger die Straße und kam auf ihr Haus zu. Schnell eilte sie zur Tür. Vielleicht war es ja ein Brief von Mathilde oder Heather. Sie sehnte sich nach ein paar netten Worten von Menschen, die sie gut kannte. Sie öffnete die Tür, und der Mann nickte kurz, als er ihr zwei Briefe hinhielt. »Mrs. Fitzgerald?«
Alma konnte kaum antworten, da war er schon wieder auf der Straße. Leider war kein Schreiben aus Samoa dabei, dafür allerdings eines aus Brisbane. Alma blickte überrascht auf den Absender. Eine Nachricht aus Brisbane, aber nicht von Milli? Ihre einzige Freundin in Australien hatte sich bisher noch nicht gemeldet.
Mrs. Melissa Harris lebte in Brisbane und gelegentlich im Outback. Nur wenn es nötig war, besuchte sie die riesige Rinderfarm im Inland und ließ ansonsten alles von ihrem Gutsverwalter leiten. Das Geld floss fast von allein. Milli war unvorstellbar reich. Auch wenn sie sich seit Jahren nicht mehr getroffen hatten, hielten sie über Briefe weiterhin Kontakt.
Deswegen war sie eigentlich sehr verwundert darüber, dass Milli ihr bisher noch nicht geantwortet hatte. Alma hatte ihr nun zum dritten Mal geschrieben, seit sie vor drei Monaten in Australien angekommen war. Milli wusste also, wie sie Alma erreichen konnte. Doch das Schreiben war von einem Rechtsanwalt, den Alma nicht kannte.
Allerdings wirkte auch der andere Briefumschlag sehr offiziell und nahm Almas ganze Aufmerksamkeit gefangen. Sie ging zurück in die Küche und ritzte mit einem scharfen Messer das Papier auf. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Endlich. Es war die Adoptionsurkunde.
Joshua hatte den Antrag gestellt, sobald sie geheiratet hatten. Ihr Sohn Max war nun offiziell auch der Sohn von Joshua. Ab sofort hieß er Maximilian Fitzgerald. Das musste gefeiert werden. Obwohl Samstag war, würde Max heute zur Feier des Tages eine Nachspeise bekommen. Und zusammen mit einem Vanillepudding würde sie ihm die Urkunde überreichen. Sie wollte es feierlich machen.
Alma öffnete den anderen Umschlag und bewunderte zunächst den auffälligen Briefkopf oben auf dem Bogen. Rechtsanwalt Mr. Archibald Bridgewater schien ziemlich wichtig zu sein, oder sich zumindest dafür zu halten.
Werte Mrs. Fitzgerald, als Nachlassverwalter von Mrs. Melissa Harris habe ich die traurige Aufgabe, Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Freundin vor sechs Wochen verschieden ist. Es tut mir leid, dass ich erst so spät dazu komme, die angefallene Korrespondenz zu beantworten. Zunächst mussten alle notwendigen Dinge geregelt werden. Ihre Briefe lagen bei der privaten Post meiner Klientin, und ich bin mir sicher, dass es Mrs. Harris recht gewesen wäre, dass ich Sie über ihren Tod unterrichte. Ich muss …
Alma schossen Tränen in die Augen. Milli war … tot? Geschockt starrte sie auf die Buchstaben. … dass Ihre Freundin vor sechs Wochen verschieden ist … Die lebensfreudige Britin war doch höchstens vier oder fünf Jahre älter als sie selbst gewesen. Sie hatte in Australien reich geheiratet und konnte sich jeden Luxus leisten. Alma las weiter.
Ich muss Ihnen weiter mitteilen, dass es ein unschöner Tod war. Nach einem eigentlich leichten Reitunfall, bei dem Mrs. Harris sich einige Schrammen zugezogen hatte, entzündete sich eine der Wunden. Trotz allem Bemühen verschiedener Ärzte ist sie nach einem wochenlangen Kampf schließlich dem Wundstarrkrampf erlegen.
Alma riss die Hände vor den Mund. Was für ein schrecklicher Tod. Daheim in Samoa hatte sie vor einigen Jahren miterleben müssen, wie ein Nachbar elendig daran zugrunde gegangen war. Seine Schreie waren noch über Hunderte Meter zu hören gewesen. Der Grund waren unvorstellbare Schmerzen, die durch die zunehmenden Muskelkrämpfe verursacht wurden. Doch danach wurde es nur schlimmer. Eine heimtückische Muskelstarre eroberte den Körper. Erst konnten die Erkrankten nicht mehr schlucken und sprechen, dann verzog sich das Gesicht langsam zu einer Fratze. Typischerweise kam es zu der Kieferklemme, einem merkwürdigen Gesichtsausdruck, den man auch als Teufelsgrinsen bezeichnete. Der ganze Körper wurde von Krampfanfällen geschüttelt, bis schließlich die Lähmung der Atemmuskulatur einsetzte.
Die arme Milli … Das war ein Tod, den man seinem ärgsten Feind nicht wünschte. Alma hatte Atemnot. Milli, ihre liebe Freundin Milli. Seit fünfzehn Jahren hatten sie sich nicht gesehen, und Alma hatte so große Hoffnung gehabt, sie jetzt, da sie in Sydney lebte, öfter zu treffen. Eigentlich wollte sie Milli schon längst besucht haben. Voller Vorfreude hatte sie ihr stets geschrieben. Joshua und ihre Liebe zu ihm waren häufiges Thema in ihrer Korrespondenz gewesen. Sicherlich hatte Milli endlich den Mann persönlich treffen wollen, über den sie jahrelang gehört hatte. Und auch Joshua war neugierig, die reiche Freundin von Alma kennenzulernen. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Was für eine tieftraurige Nachricht.
Unten ging die Tür. Maximilian, ihr Sohn, war heute mit einem Freund zum Angeln gegangen. Ihr Viertel lag in der Nähe des Wassers, so wie fast alle Viertel von Sydney irgendwie an den verästelten Ufern von Port Jackson oder der Botany Bay zu liegen schienen. Einige Süßwasserflüsse mündeten in die riesige Hafenbucht Sydneys. Max und sein Freund Pete angelten häufiger am lang gezogenen Mündungslauf des Parramatta River.
Alma wischte die Tränen weg und spritzte sich etwas Wasser aus der Schüssel ins Gesicht. Max sollte nicht sehen, dass sie geweint hatte. Sie stieg die Treppe hinunter und ging zu ihm in die Küche.
»Du bist aber früh daheim!« Trotz des kühlen Wetters sah der Zehnjährige verschwitzt aus.
»Hallo Mama.« Er legte die Angelrute, die Joshua ihm geschenkt hatte, auf den Tisch. Fisch hatte er keinen dabei. Schnell nahm er sich einen Becher Milch und trank gierig.
»Habt ihr kein Glück gehabt?«
Max schüttelte noch den Kopf, während er den Becher kippte, um den letzten Schluck Milch runterzustürzen. »Petes Vater sagt, es gibt Krieg gegen uns Deutsche.«
»So?« Alma hatte schon die Gerüchte gehört, die allerorten die Runde machten. Auch ein Grund, dass sie sich nur schwer an ihr neues Zuhause gewöhnen konnte. Bisher hatte sie vermieden, den Jungen mit solchen Schreckensmeldungen zu verunsichern.
»In allen Zeitungen steht, dass unser Kaiser mobilmacht. Was bedeutet das?«
Alma schaute ihren Sohn an. Je älter er wurde, desto ähnlicher sah er seinem richtigen Vater. »Unser Kaiser?«
»Na, der deutsche Kaiser«, setzte Maximilian nach.
»Du bist nun offiziell der Sohn eines Australiers.« Alma nahm die Adoptionsurkunde vom Tisch und reichte sie ihm. Ihr war ohnehin nicht mehr nach Feiern zumute. Da konnte sie Max auch direkt die freudige Nachricht überbringen. »Dann solltest du auch nicht mehr von unserem Kaiser sprechen.«
»Heiße ich jetzt wie Joshua?«
»Ja, Maximilian Fitzgerald.« So hatten sie ihn bereits in der Schule angemeldet, damit es später nicht zu irgendwelchen unangenehmen Fragen kam. Trotzdem hörte man aus Max' Englisch den deutschen Einschlag heraus. Almas Akzent war allerdings viel deutlicher. »Aber was genau steht denn in der Zeitung?«
»Petes Vater sagt, dass der deutsche Kaiser gegen die Franzmänner und die Russen zieht.«
Alma runzelte die Stirn. Es schien ein halbes Leben her zu sein, dass sie Köln verlassen hatte. Da ihre Familie ihr nach und nach in die Südseekolonie Samoa gefolgt war, hing ihr Herz nicht mehr sehr an Deutschland. Deswegen hatte sie sich wenig um die Kriegsgerüchte gekümmert, die es schon seit Jahren gab. Deutschland, ja, Europa, war so weit weg. Trotzdem fühlte sie nun mit den Menschen, die dort lebten.
Auch hier in Sydney gab es neben den vielen Australiern und Engländern sehr viele Einwanderer aus aller Herren Länder. Natürlich waren Russen und Franzosen darunter. Drei Franzosen hatte Max sogar in seiner Klasse, aber auch zwei deutschstämmige Jungen. Alma überlegte, welche Auswirkungen ein Krieg in Europa auf ihr Leben haben könnte. Australien hatte mit dieser ganzen Sache nichts zu tun. Überdies waren diese Auswanderer aus guten Gründen aus ihren Ländern fortgegangen. Die einen wurden verfolgt, die anderen entflohen Unterdrückung und Armut. Nach Australien zog es Menschen, die sich ein besseres Leben erhofften als jenes, das ihnen ihr Vaterland bot. Sie sollten ja wohl alle genug Verstand mitbringen, dass sie nicht aufeinander einschlagen würden für die Ziele derer, denen sie gerade entflohen waren. Alma kam zu dem Schluss, dass ein Krieg sie hier wenig betreffen würde. Trotzdem wünschte sie sich, dass sich diese Nachricht als heiße Luft herausstellte wie so häufig in den letzten Wochen und Monaten.
»Komm«, sie holte ihre Geldbörse und gab Max einen Penny. »Ich mach das Essen, während du noch mal läufst und uns eine Zeitung holst.« Mit Sorgenfalten auf der Stirn blickte sie ihm nach. Heute war anscheinend ein Tag voller schlechter Nachrichten.
Dunkle Rauchschwaden schoben sich über den Wipfeln der Palmen entlang. Sicher war es ein großes Schiff, das gerade in die Bucht von Apia einlief. Mathilde presste ihre Schenkel in Kellys Flanken. Die Stute schnaubte und trabte die Uferstraße entlang. Es war ein herrliches Gefühl, auf dem Tier zu reiten. Im Rhythmus mit ihm vereint, ließ sie sich tragen. Es war ein Gefühl von Freiheit. Für einen Moment vergaß Mathilde das bleierne Gefühl von Heuchelei und Täuschung, das seit Tagen ihr Herz gefangen hielt.
Rechts von ihr spülte das türkisfarbene Meer auf den weißen Strand, wenige Meter voraus brandete es laut an ein Stück Felsküste. Die Gischt sprühte hoch. Mathilde liebte es, wenn der feine Salzwasserregen ihr Gesicht benetzte. Die Erfrischung war herrlich, denn es war heißeste Mittagszeit, und normalerweise setzte man sich da nicht der glühenden Sonne aus.
Heute jedoch war ein besonderer Tag. Sie konnte es kaum erwarten, die Kisten mit den Maschinen in Empfang zu nehmen. Die Boys würden mit dem Karren nachkommen, aber sie wollte am Landungssteg sein, wenn die Fracht ausgeladen wurde. Endlich kam die Hafenbucht von Apia in Sicht. Dort lag tatsächlich das australische Handelsschiff vor Anker, wie ein Boy von der Nachbarplantage es ihnen mitgeteilt hatte. Hoffentlich war alles geliefert worden, was sie und ihr Bruder Fritz bestellt hatten. Die Maschinen hatten Tausende von Kilometern hinter sich. Da konnte leicht die eine oder andere Kiste verloren gehen, wenn sie von einem Schiff aufs andere verfrachtet wurden. Noch immer gab es keine direkte Verbindung vom Kaiserreich in die deutsche Südseekolonie. Für dieses Weihnachten war eine direkte Dampferverbindung von Bremen nach Deutsch-Samoa angekündigt worden. Und rund um den Globus erwarteten Handelsleute ungeduldig die Fertigstellung des Panamakanals. Doch so lange hatten sie nicht warten wollen. Wenn sie ihre allererste Ananasernte verkaufen wollten, musste die Konservendosenfabrik in spätestens zwei Monaten aufgebaut sein.
Die ersten Häuser tauchten auf der anderen Straßenseite auf. Sie ritt um die Kehre, und die halbmondförmige Bucht von Apia breitete sich vor ihr aus. Die weißen Häuser blitzten zwischen den grünen Palmendächern hervor. Der Apiaberg erhob sich in sattem Grün hinter der Stadt. Und der Strand war gesäumt von einer schmucken Promenade.
Links von ihr lag das herrschaftliche Haus, in dem der amerikanische Konsul residierte, bevor Samoa vor über vierzehn Jahren zur deutschen Kolonie erklärt worden war. Vielleicht, schoss es Mathilde durch den Kopf, vielleicht werde ich schon in ein paar Jahren selbst in einem so schönen Haus wohnen. Mathildes eher bescheidenes Haus stand ganz in der Nähe der neuen Fabrik in Letogo, unterhalb der Ananasplantage, die sie in den Hügeln angelegt hatten. Beinahe elf Kilometer waren es von dort bis nach Apia.
Ungeduldig trieb sie Kelly weiter an, bis ihre Mähne flatterte. Selten hatte sie sich so euphorisch gefühlt. Ihre eigene Plantage, ihre eigene Fabrik. Büchsenkonserven aus Samoa. Die Vorstellung, im ganzen Kaiserreich würde man ihre Ananas essen, aus ihren Dosen, war überwältigend. Auch wenn diese Fantasie ihren jüngsten Fehlschlag kaum übertünchen konnte.
Unvermittelt zog Mathilde die Zügel an. Schon von Weitem erkannte sie Rupert Cross an seinen roten Haaren. Der hatte ihr gerade noch gefehlt. Die letzten hundert Meter bis zur Landungsbrücke ließ sie Kelly in einen leichten Trab fallen. Es half ja nichts, ihm auszuweichen. Ohnehin kamen gerade immer mehr Leute an. Ein Schiff bedeutete auf einer so weit vom nächsten Festland entfernten Insel immer Aufregung. Selbst wenn man nichts bestellt hatte, konnte es unerwartete Post geben.
Und gerade heute waren alle aufgeregt. Vorgestern war das allererste Telegramm in der endlich fertiggestellten Telegrafenstation angekommen. Leider hatte es schlechte Nachrichten aus der Heimat gebracht. Mathilde war zu sehr mit ihrer eigenen Niederlage beschäftigt, um sich ausmalen zu wollen, was es bedeuten könnte.
»Mrs. Hinrichs, wie schön, Sie zu sehen.« Rupert Cross lächelte ihr auffordernd zu. Mathilde hätte wetten können, dass er nur hier war, weil er von der heiß ersehnten Fracht wusste.
»Mr. Cross, warten Sie auch auf eine Lieferung?« Sie erwiderte sein Lächeln bemüht, aber durchaus höflich. Wusste er schon davon, wie lächerlich sie sich gemacht hatte? Kelly kam neben Ruperts Hengst zum Stehen.
Cross war nett und zuvorkommend, und wie fast alle Männer hier hatte er Mathilde umworben, die eine der wenigen ledigen Frauen auf der Insel war. Und tatsächlich hatte es bis vor einigen Wochen für viele so ausgesehen, als würde es fast zwangsläufig auf eine Verbindung zwischen ihnen beiden hinauslaufen.
»Nur eine Kleinigkeit«, antwortete er ausweichend. »Und Sie? Mehr Nachschub für Ihre Fabrik? Wo ist Ihr Bruder?« Mathilde bemerkte seinen irritierten Blick auf ihre Breeches. Die hatte sie sich selbst genäht, nach einer Abbildung, die sie in einem englischen Magazin gesehen hatte. Die Reiterhosen waren oben am Oberschenkel weit und wurden ab dem Knie eng. Mathilde war sich bewusst, dass sie die einzige Frau war, die Hosen trug, zumindest hier auf Samoa. Die meisten Inselbewohner störten sich ohnehin daran, dass Mathilde wie ein Cowboy auf einem Pferd ritt, statt, wie es sich für eine Dame gehörte, die Kutsche zu nehmen.
»Fritz ist drüben auf Savai'i. Er sieht auf der großen Plantage nach dem Rechten.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn.
Direkt neben ihnen hielt eine Kutsche. Immer mehr Menschen kamen zum Hafen. Mathilde grüßte freundlich nach links und rechts. Frau Ackermann warf ihr ein so süffisantes Lächeln zu, dass Mathilde Gänsehaut bekam. Ob bereits alle Bescheid wussten? Peinlich berührt wendete sie ihren Blick ab.
»Haben sie schon geankert?« In der Bucht von Apia gab es Untiefen, und die Schiffe mussten achtgeben, dass sie nicht auf Grund liefen.
»Vor kaum einer Minute.“
»Dann dauert es also noch etwas, bis das erste Beiboot kommt. Wie schön. Ich wollte noch bei Mrs. Fox vorbei. Ähm … ich meine natürlich, bei Frau Wunderlich.«
Als Friedrich Wunderlich vor ein paar Jahren hier auf der Insel angekommen war, hatten Mathildes Freundin Heather und der Ingenieur gänzlich unerwartet eine späte Liebe gefunden.
Cross lachte auf. »Ja, ich habe mich auch noch nicht daran gewöhnt, dass sie nun anders heißt.«
Vor einem guten Dreivierteljahr, auf Heathers Hochzeit mit dem deutschen Ingenieur, hatte Rupert Cross zum ersten Mal eine Andeutung gemacht, wie vorteilhaft doch so eine Verbindung zwischen einem Engländer und einer Deutschen sei. Diese Unverblümtheit war Mathilde sehr unangenehm gewesen. Sie wollte nicht einen Engländer ehelichen, damit er in der deutschen Kolonie einen besseren Stand hatte. Außerdem, sollte nicht etwas mehr Gefühl im Spiel sein, wenn man heiratete?
Und dann war George Lincoln aufgetaucht, Agent einer südaustralischen Handelsfirma. Schlagartig hatte sie Rupert gänzlich vernachlässigt. Ja, sie hatte ihm die kalte Schulter gezeigt, was ihr nun sehr unangenehm war. Es war nicht nett von ihr gewesen. Überraschenderweise zeigte Cross sich davon unbeeindruckt.
»Bis später.« Sie nickte und wollte gerade losreiten, als Rupert ihre Zügel festhielt. Ihre Stute tänzelte unruhig vor dem Hengst.
»Mrs. Hinrichs, ich wollte noch fragen, ob Sie denn nun etwas von der Southern Australia Company gehört haben.« Er machte eine kleine Pause, damit seine Worte ihre Wirkung entfalten konnten. »Ich meine, wenn das eine lukrative Verbindung ist, können möglicherweise noch mehr von uns Pflanzern dorthin verkaufen.«
Mathilde wäre am liebsten im Boden versunken, aber sie musste zugeben, dass sie sich diese Peinlichkeit nun wirklich selbst zuzuschreiben hatte. Und Rupert Cross hatte mehr Grund als andere, sie wegen ihrer Naivität zu schelten. Sicher wusste es ohnehin schon die halbe Insel. Und wer es noch nicht wusste, würde es bald erfahren. So war das eben hier auf Samoa. »Nun, George Lincoln hat sich als Betrüger erwiesen. Man kennt keinen Mann mit diesem Namen, geschweige denn sei er im Auftrag der Company unterwegs, schrieb man mir.« Für sie war damit alles zu diesem Thema gesagt.
Rupert blickte sie mitfühlend an. »Ich hab mir so etwas schon gedacht. Es tut mir leid.« Mathilde biss die Zähne zusammen. Offensichtlich hatten alle geahnt, dass Lincoln ein Windbeutel war. Nur sie nicht. Sie hatte George Lincoln für einen charmanten, weltgewandten Händler gehalten, der ihr galant den Hof gemacht hatte.
»Ich danke Ihnen.« Kämpferisch reckte sie ihr Kinn nach vorne. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich von diesem gut aussehenden Betrüger hatte einlullen lassen. Obwohl Fritz ihr dringend abgeraten hatte, bestand sie partout darauf, dem unbekannten Amerikaner auf sein gutes Wort hin die halbe Kopraernte mitzugeben. Sobald er in Adelaide in Südaustralien ankäme, würde er ihr umgehend den Verrechnungsscheck schicken lassen, hatte Lincoln versprochen. Nicht nur seine schönen Worte hatten gut geklungen. Auch die Preise, die seine Company ihnen zahlen wollte, waren verführerisch. Wann immer etwas zu schön klang, um wahr zu sein, verhielt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit auch genau so. Das hatte Mathilde leider zu spät gelernt. Sie hätte sich ohrfeigen können für so viel Dämlichkeit. Ganz geschickt und mit honigsüßen Worten hatte er ihr den Kopf verdreht. Blumen hatte er für sie gepflückt, gesagt, wie schön es wäre, wenn sie zusammen reisen würden. Der welterfahrene Mann hatte unerwartet Abwechslung in ihr Gefühlsleben gebracht. Und sie war Feuer und Flamme gewesen – wie eine Fünfzehnjährige.
Wahrscheinlich tuschelte bereits halb Apia hinter ihrem Rücken und machte sich lustig über so viel Einfalt. Wollte Rupert Scott ihr nun vorführen, dass ihr das nicht passiert wäre, wenn sie seinem Werben nachgegeben hätte? Doch seine Worte klangen warm und gar nicht schadenfroh.
»Mrs. Hinrichs, ich möchte Sie gerne einladen. Ich plane ein kleines Picknick am nächsten Sonntag. Wenn Sie die Zeit entbehren können.« Er strahlte übers ganze Gesicht. Seine vielen Sommersprossen verliehen ihm etwas Spitzbübisches. »Nächsten Sonntag?«, erwiderte Mathilde zögerlich. Sie presste ihre Lippen aufeinander. Rupert Cross hatte sie bereits drei Mal eingeladen, und jedes Mal hatte sie eine Ausrede erfunden, warum sie nicht kommen konnte. Sie konnte ihm nicht ewig absagen.
»Ich hatte gehofft, Fritz wird auch kommen. Die Stanfords werden ebenfalls da sein.«
»Die Stanfords?« Das gefiel Mathilde. Also plante er dieses Mal kein Tête-à-Tête zu zweit? In ihrer momentanen Verfassung fühlte sie sich nicht fähig, dem Werben eines Mannes nachzugeben.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Fritz dann schon zurück ist. Sonst komme ich eben nur mit meiner Schwägerin und ihrem Kind.« Sicher war sicher, für den Fall, dass die Stanfords kurzfristig absagten. Mathilde bemerkte das Stirnrunzeln von Cross. Galt es dem Umstand, dass er sich ein Treffen mit ihr alleine erhofft hatte, oder galt es ihrer samoanischen Schwägerin Satulia und ihrer Tochter Vea, deren Vater Fritz war? Viele Weiße hielten nichts von Mischehen.
»Also dann.« Langsam ritt sie durch die Menschentraube, die sich mittlerweile vor dem Landungssteg versammelt hatte. Waren das spöttische Blicke, oder war es Missbilligung, was sie da spürte? Ihr Hut war ebenfalls nicht damenhaft, sondern sah eher aus wie auf den Zeichnungen über den Wilden Westen, die in der samoanischen Zeitung gelegentlich abgebildet waren. Mathilde liebte es zu reiten. Außerdem, mit der Kutsche wäre sie sicher erst in einer halben Stunde angekommen.
Vor Heathers Laden zügelte sie Kelly, sprang ab und band das Pferd an der Veranda an. Mathilde klopfte sich den Staub von der Kleidung, nahm den Hut ab, strich ihre hellbraunen Haare zurück und holte aus der Satteltasche den Einkaufszettel. Flugs betrat sie den Laden. Kurz vor ihrer Hochzeit hatte Heather das alte Ladenlokal hinter der Vaisigano-Brücke verkauft und mit dem Geld ihr neues Heim in Mata'utu erworben. Sie hatte ihren Laden an einer neuen Stelle wiedereröffnet. Er war zwar kleiner, lag nun aber viel zentraler in Apia. Noch immer kauften die auf der Insel verbliebenen Engländer bei ihr und die Deutschen bei Anton Hofer.
Eine kleine Glocke ertönte. Als die schottische Besitzerin erkannte, wer da hereinkam, erschien sofort ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Mathilde! Lässt du dich auch mal wieder blicken?« Heather sah fast genauso aus wie vor zehn Jahren, als Mathilde hier auf Samoa angekommen war. Vielleicht hatte sie ein paar Kilo zugelegt. Auf jeden Fall aber mischten sich heute weiße Strähnen in ihr rotes Haar. Mathilde ging nach vorne zur Theke. »Hast du Nachrichten von Alma?« Die viel ältere Heather war eine gute Freundin von Mathildes Cousine.
Bedauernd schüttelte Mathilde ihren Kopf. »Noch nicht. Der letzte Brief war von Juni. Sie haben ein kleines Häuschen in Sydney gemietet, aber das weißt du ja schon. Gerade ist der Frachter eingelaufen. Vielleicht ist ja ein neuer Brief dabei. Ich bin so gespannt, was sie zu erzählen hat.«
»Ich hoffe, nur Gutes.« Als würde sie das bezweifeln, presste Heather die Lippen aufeinander. »Hast du von dem Telegramm gehört?«
Mathilde seufzte. Sie wusste, was Heather eigentlich sagen wollte. Zwar hatte sie immer noch nicht begriffen, wie das mit den Wellen, die durch die Luft glitten, funktionieren sollte. Aber schon das erste Telegramm brachte Nachrichten über eine Mobilmachung im Deutschen Kaiserreich. So hieß es wenigstens, denn genau genommen kannte kaum jemand den genauen Inhalt. Nur der Gouverneur und eine Handvoll Männer wussten Bescheid. Schon seit Jahren gab es immer wieder Gerüchte, es könne Krieg geben. Die Bewohner Samoas hätten die Nachricht schnell vergessen, wenn sie den Beamten in der Heimat nicht ein Telegramm wert gewesen wäre. Wie ein Buschbrand eilte sie nun von Haus zu Haus.
»Friedrich sagt, wir sollen uns keine Sorgen machen. Wir sind viel zu weit entfernt von allem.«
»Das glaube ich auch. Was soll hier schon passieren?« Heather setzte ein schiefes Lächeln auf. »Du hast recht. Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Schließlich wissen wir noch gar nichts Genaues. Also, was brauchst du denn?«
Mathilde reichte ihr den Zettel. »Meinst du, du hast genug von dem Corned Beef? Ich habe allmählich das Gefühl, dass die Boys mir die Haare vom Kopf fressen.«
Heather setzte sich umständlich ihre Brille auf die Nase und las, was Mathilde aufgelistet hatte. »Kochst du immer noch selbst für sie?«
»Noch. Fritz ist drüben auf Savai'i auf der großen Plantage. Wenn er zurückkommt, bringt er Gretchen mit. Sie soll dann das Kochen übernehmen. Ich muss mich jetzt mehr um die Fabrik kümmern.«
Heather stellte das Büchsenfleisch und einige Dosen von Liebigs Fleischextrakt auf die Holztheke. »Wie weit seid ihr denn?«
»Die Produktionshalle steht und ist hoffentlich auch dicht. Die Maschinen dürfen keinen Regen abbekommen. Die Lagerhalle daneben ist so gut wie fertig. Was fehlt, sind Unterkünfte für die Arbeiter.«
»Welche Arbeiter?«
Mathilde schnaubte. »Da stellst du die richtige Frage. Welche Arbeiter? Ich wünschte, wir könnten ein paar Chinesen bekommen.«
Es war eine ewige Klage aller Plantagenbesitzer. Hier auf Samoa waren einfach nicht genug Kontraktarbeiter zu bekommen. »Hoffentlich können wir nächstes Jahr unser Haus in Letogo vergrößern. Ich bleibe vorerst hier auf Upolu. Auch wenn das alte Haus der Dünnbiers drüben auf Savai'i schön groß ist – es ist einfach zu abgelegen. Für Gretchen wäre es auch besser, hier auf Upolu zu leben. Fritz ist so oft weg.«
»Ist denn Satulia nicht dort?«
»Schon, aber du weißt, was ich meine. Gretchen sollte mehr unter Leute. Mehr ausgehen. Mal ein Picknick an der Promenade oder ins Kasino. Sie ist ein so trauriges Mädchen.«
»Da hast du allerdings recht. Sie lacht fast nie.« Heather ging nach hinten und kam mit einer Kiste voller Eier zurück, die in Stroh verpackt waren. »Ich dachte, ihr habt selbst Hühner.«
»Nicht so viele, dass genügend Eier für die Arbeiter zusammenkommen würden.« Ungeduldig trat Mathilde an die Tür und schaute hinaus. »Sie laden bestimmt schon aus. Ich reite schnell zurück zum Hafen. Wir kommen später vorbei und holen alles ab, wenn die Boys die Kutsche beladen haben.«
Doch bevor sie zur Tür hinauskonnte, hielt Heather sie zurück. »Ich hab von der Geschichte mit George Lincoln gehört. Der Brief von der Company … Du bist sicher sehr enttäuscht.«
Mathilde verzog das Gesicht. »Dann ist es also schon rum.« Sie hatte es doch geahnt.
Heather nickte. »So etwas ist uns allen schon passiert. Du solltest es einfach als Erfahrung abhaken. Mach dir keine Vorwürfe.«
Mathilde zuckte mit den Schultern. »Mein Herz wird es überleben, auch wenn meine Eitelkeit einen ansehnlichen Kratzer bekommen hat.« Sie versuchte, ihre Verbitterung mit einem Zwinkern zu überspielen, und lief nach draußen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich richtig verliebt und war furchtbar genarrt worden. Diese Enttäuschung würde länger anhalten als nur ein paar durchweinte Nächte, da war sie sich sicher.
Wenige Minuten später war Mathilde zurück an der Landungsbrücke. Die ersten Holzkisten waren bereits entladen und in den Sand gestellt worden. Mathilde rief einen Jungen herbei und versprach ihm zehn Pfennige, wenn er auf das Pferd achtgab. Aufgeregt lief sie zum Strand und kontrollierte die Aufschriften. Gerade kamen ihre Boys mit der langen Pritschenkutsche. Mathilde winkte sie herbei. Lofa, ihr samoanischer Vorarbeiter, und Bigboy, ein tiefschwarzer melanesischer junger Mann, saßen vorne auf dem Kutschbock. Beide hatten nackte Oberkörper, trugen aber immerhin lange Hosen.
»Diese große Kiste hier und die zwei dort sind für uns. Seid vorsichtig mit dem Aufladen, hört ihr? Und seht zu, dass kein Sand in die Kisten kommt.«
Oh nein. Sie wäre besser hier gewesen, damit die Seeleute die Kisten erst gar nicht in den Sand hätten stellen können. Die Maschinenteile für die Dosenfabrik waren darin. Der feine Sand konnte sich leicht festsetzen, und dann hätten sie ein Problem, bevor sie überhaupt angefangen hatten.
»Kann ich Ihnen helfen?« Mathilde drehte sich um. Da stand er schon wieder. Rupert Cross lächelte sie an. »Nein danke. Die schaffen das schon.« Mit diesen Worten floh sie vor seinem Mitleid nach vorne zum Landungssteg. Es war ein ziemliches Durcheinander. Trotzdem setzte Mathilde sich resolut durch, ließ sich nicht von den ungehobelten Seeleuten vertreiben. Den Männern war die Fracht egal, wenn sie erst einmal an Land war, ihr jedoch nicht. Jede Kiste, die gebracht wurde, kontrollierte sie. Was für die Hinrichs war, ließ sie zur Seite stellen. Sie wachte über alle weiteren sechs Kisten, während sie wartete. Etwas unangenehm war es ihr schon, weil sie so den schmalen Landungssteg etwas blockierte. Doch es war die wichtigste Fracht, die sie je bekommen hatte. Einige der Seeleute murrten, während sie die schweren Säcke mit Kopra oder Kakaobohnen an ihr vorbei trugen, die für den Export vorgesehen waren.
Kopra wurde aus dem getrockneten Fruchtfleisch der Kokosnuss hergestellt und war vielfältig verwendbar. Man machte daraus Kokosöl, Kokosfett, Kokosflocken und konnte es zur Herstellung von Seifen und Kunstbutter nutzen. Zusammen mit Kaffee und Kakao war Kopra eine der wichtigsten Kolonialwaren im Kaiserreich. Wie alle Plantagenbesitzer hier exportierten Mathilde und Fritz Kopra und Kakao. Ihre letzte Lieferung war vor zwei Wochen verschifft worden, aber sie war klein gewesen, denn dummerweise hatte Mathilde zuvor schon einen beträchtlichen Teil der Ernte diesem Hallodri anvertraut.
Mathilde wartete, bis von Lofa und Bigboy jede einzelne Kiste verladen war. Als sie gerade kontrollierte, ob die Boys die Kisten auch ordentlich verstauten, bemerkte sie etwas. Gerade noch hatten die Leute heiter und fröhlich auf die Post und den Nachschub an Saatgut, Geflügel oder Möbeln gewartet. Dann war die Stimmung gekippt.
Was war passiert? Ein Unglück? Mathilde beobachtete die Menschenmenge. Was ging dort vor sich? Plötzlich erkannte sie Heather in dem Gewühl. Warum war sie hier? Hatte sie es nicht aushalten können zu wissen, ob sie Post bekommen hatte? Das konnte Mathilde sich einfach nicht vorstellen. Ihre Schnürstiefel versanken im feinen Sand, als sie Heather entgegenging.
»Ist das nicht schrecklich?“
»Aber was denn? Was ist los?« Mathilde schaute in das bleiche Gesicht ihrer Freundin.
Heather griff ihre Hand und drückte sie fest. »Euer Kaiser hat die Mobilmachung jetzt auch für die deutschen Schutzgebiete befohlen. Alle wehrfähigen Männer werden zu den Waffen gerufen.«
Mathilde war sprachlos. Niemals hatte sie wirklich in Erwägung gezogen, dass es so weit kommen könnte. Sie entzog ihren Blick Heathers ängstlich aufgerissenen Augen. Über ihr strahlte der Himmel in Königsblau. Der Strand wurde gesäumt von Kokospalmen. Schöne weiße Villen stachen aus dem satten Grün hervor. Ihr Blick wanderte über die fruchtbaren Hügel von Upolu. Krieg? Hier in der Südsee? Das war geradezu lächerlich.
»Friedrich ist ja glücklicherweise zu alt, aber wird Fritz sich melden?«
Heathers Worte rissen sie in die Wirklichkeit zurück. »Was?«
»Der Mobilmachungsbefehl. Muss Fritz sich nun zum Militärdienst melden?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Befehl auch für Samoa gilt. Überhaupt, wir können schließlich nicht einfach alles stehen und liegen lassen.«
Eine Gruppe von drei Männern bewegte sich auf sie zu. Sie redeten durcheinander. Mathilde erkannte Cornelius Lamberty. Cornelius, Vorarbeiter auf einer deutschen Plantage, war ein alter Freund der Familie. Vor vielen Jahren war er mit dem gleichen Schiff wie Alma und ihr mittlerweile verstorbener Gatte Hermann hier auf Samoa angekommen. Neben Cornelius gingen Rupert Cross und William, ein ehemaliger Schulkamerad von Fritz.
»Mathilde, hast du es schon gehört?« Cornelius klang gefasst. »Gerade eben. Ich … ich kann es noch gar nicht glauben.«
Heather wandte sich den Männern zu. »Nicht wahr, ist das nicht schrecklich?«
Von Cornelius Lamberty, der sich seit jeher mehr als andere für Politik interessierte, erhoffte Mathilde sich Antworten. »Cornelius, sag doch. Ist es nur ein Gerücht?«
Bedauernd schüttelte der den Kopf. »Ich fürchte, nein.«
»Warum das alles?«
»Wir haben ein Bündnis mit der österreichisch-ungarischen Krone. Anscheinend haben die Österreicher den Serben die Pistole auf die Brust gesetzt, und Deutschland und der Kaiser fühlen sich nun verpflichtet, ihnen beizustehen.«
»Ja, aber wieso denn überhaupt?« In dem Moment, als Mathilde es aussprach, wusste sie es bereits selbst. Weil vor wenigen Wochen ein serbischer Freiheitskämpfer den österreichischen Prinzen und dessen Frau erschossen hatte. »Kann man das denn nicht diplomatisch regeln? Es war doch nur ein einzelner Attentäter. Und deshalb müssen nun alle deutschen Männer Soldaten werden? Das ist doch absurd.«
»Das ist es in der Tat. Auch wenn die Erklärung nicht ganz so einfach ist. Der Mord war wohl lediglich der Auslöser. Lasst uns hoffen, dass es mal wieder nur zu lautem Säbelrasseln kommt, wie schon so oft in den letzten Jahren.«
»Ich glaube nicht, dass der Mobilmachungsbefehl auch für Samoa gilt. Eigentlich sollen doch alle Kolonien laut der Kongo-Akte im Kriegsfall unangetastet bleiben.«
Rupert schaltete sich nun ein. »Genau, das ist damals mit den Franzosen, ja sogar mit uns Briten, unterschrieben worden. Wir dürften hier gar nicht betroffen sein.«
»Wo ist dein Bruder? Weiß er schon Bescheid?«, fragte William, ein guter Freund von Fritz. Mathilde schüttelte den Kopf. William sah sich ungläubig um. Er war wie Fritz gerade mal Anfang zwanzig und hoffte darauf, in wenigen Jahren die Kokosplantage seines Vaters zu übernehmen. »Das Wichtigste ist doch, dass wir weiter exportieren können.«
Mathilde und Heather nickten, nur Cornelius machte ein finsteres Gesicht.
»Was ist? Was hast du?«
»Ich wünschte nur, die Mächtigen besäßen mehr vom Verstand der kleinen Leute.«
»Ach was. Österreich-Ungarn und der Kaiser werden doch wohl schnell mit so einem kleinen Land wie Serbien fertig!« Offenbar wollte Rupert Cornelius Lamberty nicht als einzigen Sachkundigen dastehen lassen.
Doch Cornelius berichtigte ihn. »Ein kleines Land, hinter dem ein sehr großes Reich steht: das russische Zarenreich.«
Mathilde schluckte. Das hatte wohl keiner so recht bedacht. »Und was bedeutet das? Dass wir mit Russland im Krieg stehen?«
Jetzt blickten alle auf den großen, hageren Mann, der anscheinend mehr Ahnung hatte als sie alle zusammen. »Das wäre wahrscheinlich. Aber wenn Russland in den Krieg zieht, dann sicher nicht alleine.« Cornelius machte eine Pause, bevor er weiter ausführte: »Russland hat ein Bündnis mit Frankreich.«
»Was steht denn eigentlich in dem Telegramm?«, wollte Heather nun wissen. »Gegen wen geht es?«
»Das steht da nicht. Nur der Befehl der Mobilmachung.«
»Dann ist noch nichts entschieden?«
»Anscheinend bereitet sich das Kaiserreich auf Krieg vor.
Ob es wirklich schon eine offizielle Kriegserklärung gibt und gegen wen, wissen wir noch nicht«, verkündete Lamberty mit einem Stoßseufzer.
Rupert breitete die Arme aus, als wolle er Sorglosigkeit demonstrieren. »Na also, was sollen wir uns Gedanken machen über ungelegte Eier. Hauptsache, wir Deutschen und Briten geraten nicht aneinander.«
Mathilde entging nicht der skeptische Blick von Cornelius. Ihr Blick fiel auf die Menschengruppe am Strand, die noch immer hitzig debattierte. Engländer und Deutsche, wohin man schaute. Wenn sich der Krieg auf ihre Länder ausbreiten würde, das wäre wirklich schlimm. Aber das war ja unwahrscheinlich. Schließlich war ihr Kaiser der Enkel der verstorbenen englischen Queen Victoria.
»Krieg oder nicht Krieg. Wir sehen uns dann am Sonntag?« Rupert riss sie aus ihren Gedanken.
Mit einem gequälten Lächeln antwortete Mathilde. »Aber natürlich. Am Sonntag. Ich freu mich schon.«
Alma ließ ihre Finger über den kupferfarbenen Stoff gleiten. Der schimmernde Damast fühlte sich beinahe wie Seide an. Da der Stoff teuer war, würde sie nur zwei Yard davon mitnehmen, damit sie die Paspeln und Ärmelaufschläge damit besetzen konnte. Den leichten hellbraunen Popelinestoff, aus dem sie das Kostüm nähen würde, hatte sie schon zu Hause.
Hier in der australischen Metropole kam die neueste Mode aus Europa schneller an als auf Deutsch-Samoa, wo sie bis vor Kurzem gelebt hatte. Die Röcke wurden kürzer und enger, und auch die Jacken hatten eine schmalere Form. Das kam Alma entgegen, brauchte sie doch so weniger Material.
Stoffe unterschiedlichster Art füllten die Regale des Ladens bis unter die Decke. Alma schwelgte geradezu in dem Farbenspiel der Stoffe, dem matten Glanz des Samtes und dem Schimmern der Seide. Näh- und Stopfgarne lagen nach Farben geordnet in großen Holzfächern. In Vitrinen waren die kostbarsten Knöpfe aus Perlmutt, Silber und Talmi, also Falschgold, ausgestellt. Posamentierwaren wie Zierbänder, Borten, Kordeln, Quasten, Volants und feinste Spitzen lagen zu kleinen Rollen gewickelt auf einem großen Tisch. Im hinteren Bereich des Ladens gab es fertige Weißwäsche zu kaufen.
Mrs. Parker verabschiedete gerade eine Dame. Sie waren alleine in der Kurzwarenboutique. »Nun, Mrs. Fitzgerald, wie Sie sehen, führe ich keine Damenkonfektion.« Sie lächelte verhalten.
Alma hatte eigentlich mehr Interesse erwartet. Schon seit Jahren hatte sie von Samoa aus über Heathers alte Bekannte, Mrs. Simmons, hier ihre Kostüme, Kleider und Blusen verkauft. Und auch wenn Mrs. Parker den Laden erst vor wenigen Monaten von Heathers Bekannten übernommen hatte, musste sie doch wissen, wie gut sich ihre Stücke verkauft hatten.
»Mrs. Simmons hat eigentlich nie genug davon bekommen können.« Sie versuchte, sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen.
Der Blick von Mrs. Parker, einer Frau von fast fünfzig, hager, mit einem schlichten Dutt auf dem Kopf, huschte über Almas Kleidung. Sie trug eine helle Bluse, die mit vielen Biesen aufwendig gearbeitet war. Ihr langer schmaler Rock in dunkelblauem Chintz war elegant. Vielleicht etwas zu elegant für einen Wochentag, aber Alma hatte sichergehen wollen, dass sie selbst beste Kleidung trug, wenn sie zum ersten Mal der Frau begegnete, die hoffentlich demnächst viele ihrer Stücke abnehmen würde. Seit Alma nach Sydney gezogen war, hatte sie sich noch nicht um den Verkauf ihrer genähten Kleidung gekümmert. Bisher stand im Vordergrund, endlich Zeit mit Joshua zu verbringen, sich einzuleben. Deshalb war Alma heute zum ersten Mal in dem Laden. Zu dumm, dass ausgerechnet in diesen Monaten der Laden die Besitzerin gewechselt hatte.
Mrs. Parker starrte noch immer auf Almas bezaubernde Bluse, endlich gab sie sich einen Ruck. »Nun gut, ich werde es versuchen. Dann nehme ich Ihre drei Kostüme für zehn Wochen in Kommission. Wenn sie sich verkaufen, bekomme ich einen Anteil.«
Drei Kostüme waren nicht viel, aber ein Anfang. »Ich arbeite gerne auch im Auftrag. Wenn also eine Ihrer Kundinnen etwas Spezielles möchte, kann ich es gerne anfertigen. Bei Bedarf komme ich in den Laden und vermesse die Kundinnen selbst«, schlug sie noch vor.
»Hier bei mir?« Mrs. Parker sah sie erstaunt an. »Das habe ich ja noch nie gemacht.«
»Wie gesagt, Mrs. Simmons hat es gelegentlich so gehalten. Einige Damen hatten besondere Wünsche. Ansonsten würde ich meine Stücke einfach auf die gängigen Maße schneidern.« Sie blickte die Ladenbesitzerin freundlich an.
Doch die schien nicht so recht angetan von der Idee. Sie biss sich auf die Lippe. Schließlich sagte sie. »Nein. Nein, das ist mir nicht recht. Ich hab ja gar keinen richtigen Raum dafür. Sonst müssten sich die Damen ja hinten in meinem Lager ausziehen.«
Alma nickte und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Es war immerhin ein Anfang. Und wenn es gut lief, würde Mrs. Parker sicher von ganz alleine auf die Idee kommen, dass sie enger miteinander arbeiten konnten. Dann würde Alma eben noch einmal drei Stücke anfertigen, in der Hoffnung, dass sich alles weiter so gut verkaufte wie früher bei Mrs. Simmons.
Sie besprachen die Konditionen, auch wenn Alma fand, dass zwanzig Prozent Kommission ziemlich unverschämt war. Sie suchte sich noch Knöpfe aus und bezahlte den kupferfarbenen Stoff.
Draußen auf der Straße band Alma sich den Gürtel ihres leichten Mantels zu. Es war August und somit tiefster Winter in Sydney. Natürlich war das nicht zu vergleichen mit den Wintern in ihrer Heimatstadt Köln, aber nach fünfzehn Jahren auf einer tropischen Insel in der Südsee hatte sie schon fast vergessen, wie es war, zu frieren.
Mittlerweile hatte Alma sich an den Rummel der Großstadt gewöhnt. Sydney war viel lauter und unruhiger als Apia, und es stank an vielen Ecken nach Unrat. Allerdings nicht hier in der Gegend. Der Laden von Mrs. Parker war in einer kleinen Seitengasse gelegen, nahe dem Queen Victoria Building. Das prächtige Gebäude beherbergte unzählige kleine Läden. Es war eine Wonne, dort zu flanieren oder Tee zu trinken. Ihr größter Wunsch war es, dort selbst eine Boutique zu führen, in der sie ihre selbst geschneiderten Stücke verkaufen konnte. Aber ihr gespartes Geld reichte vorerst nur für einen bescheidenen Anfang. Sie überquerte die belebte George Street und bog kurz darauf in das Straßengeflecht des Stadtteils Paddington ein.
* * *
Alma legte ihre Einkäufe auf den Nähtisch. Im Esszimmer hatte sie sich eine kleine Ecke eingerichtet, in der ihre Nähmaschine und die Kommode mit all den Utensilien, die sie sonst noch brauchte, standen. Sie nähte, wenn Joshua auf Fahrt war, und benutzte den großen Esstisch zum Zuschneiden.
Der Popelinestoff ließ sich leicht nähen. Alma hatte sich aus Zeitungspapier mehrere Schnitte angefertigt. In den letzten zwei Tagen hatte sie das nächste Kostüm zugeschnitten und war nun gerade dabei, die Einzelteile mit Nadeln vorzustecken. Überrascht hörte sie, wie sich die Eingangstür öffnete. Max sollte eigentlich noch in der Schule sein. Vorsichtig legte sie die Nadeln beiseite, die zwischen ihren Lippen gesteckt hatten.
Aufgeregt stand sie auf, da kam er schon durch die Zimmertür. Er trug seine helle Kapitänsuniform, die sehr schmuck an ihm aussah. Seine Haut war wettergegerbt, und seine dunklen Haare waren wieder so lang wie damals, als sie ihn kennengelernt hatte.
»Joshua!« Sie fiel ihm um den Hals. Er roch nach Schweiß und Salzwasser, wie immer, wenn er nach Hause kam. Sein Kuss aber schmeckte süß und verheißungsvoll. Joshua presste sie fest an sich. »Wann kommt Max nach Hause?«
»In ungefähr zwei Stunden.«
Joshua hob sie hoch und trug sie bis zur Treppe. »Dann haben wir ja noch genug Zeit für uns.«
»Willst du dich nicht erst frisch machen? Oder etwas essen?«
Joshua schüttelte den Kopf. »Ich wasch mich oben schnell. Aber Appetit hab ich nur auf dich.«
Alma saß auf dem Bett, während sie zusah, wie Joshua sich halb entkleidet im Schlafzimmer an der Wasserschüssel wusch. Das Wasser rann über seinen Nacken und seine breiten Schultern. Seine schmale Taille weckte in ihr die Begierde. Jahrelang hatte sie sich nach ihm verzehrt, so lange, dass es ihr fast wie ein Traum vorkam, dass sie nun Mann und Frau waren. Als er fertig war, setzte er sich auf die Bettkante.
»Meine Frau. Mrs. Fitzgerald.« Während seine Lippen die ihren suchten, ließ er sich mit ihr nach hinten aufs Bett kippen.
»Ich hatte dich erst übermorgen erwartet«, flüsterte Alma zwischen zwei stürmischen Küssen. Joshua drehte sie auf die Seite und öffnete die Schnüre ihres Kleides.
»Ich konnte es einfach nicht erwarten, dich wiederzusehen.« Er küsste sie sanft hinter den Ohren. Ein lustvolles Kribbeln zog durch ihren Körper. »Weißt du noch, wie ich dir zum ersten Mal dein Kleid ausgezogen habe?«
Alma und Joshua hatten sich kennengelernt, als Alma hier im Hafen von Sydney ins Wasser gefallen war. Hermann, ihr vor Jahren verstorbener Ehemann, hatte sie damals über eine Planke gezerrt, um schneller auf den Frachtsegler zu kommen, der sie nach Deutsch-Samoa bringen sollte. Joshua war geistesgegenwärtig ins Wasser gesprungen, um Alma zu retten, die in ihrem dicken Wollkleid zu ertrinken drohte. Nun zog er ihr wieder das Kleid über die Schultern. Doch anders als damals küsste er ihren Hals, ihren Nacken, ihre Schultern und drehte sie dann zu sich.
»Weißt du, dass ich an nichts anderes denke, wenn ich nachts in meiner Kajüte liege? Unentwegt stelle ich mir vor, wie ich dich hier küsse.« Er küsste sie auf ihr Dekolleté. »Und hier.« Er küsste sich weiter herunter. »Und hier.« Seine Lippen umschlossen ihre Brustwarzen. Alma stöhnte begierig.
Ungeduldig zog er ihr das Kleid aus und streifte ihr das Unterkleid über den Kopf. Dann wand er sich hastig aus seiner Hose. Alma stand in Flammen und konnte es kaum erwarten, ihn überall zu spüren. Sofort war er über ihr. Für einen Moment schauten sie einander nur an. Es war kaum zu fassen, was für ein Glück sie hatten. Es war eine alte Liebe, und doch brannten sie füreinander. Joshua senkte seine Lippen auf ihre, und langsam versanken sie ineinander.
* * *
Noch immer konnte Alma es kaum fassen. Fast ihr halbes Leben war es her, dass sie Joshua hier in Sydney begegnet war. Es war Liebe auf den ersten Blick, auch wenn Alma das erst sehr viel später erkannt hatte. Ihre kurze, aber heftige Affäre wurde vom Schicksal beendet. Länger als eine Ewigkeit hatten sie sich nicht gesehen, bis Joshua vor einigen Monaten plötzlich in ihrer Villa in Apia aufgetaucht war. Ihre Liebe hatte all diese Jahre und ihre Ehe mit Hermann Stieglitz überdauert, was ihr wie ein Wunder vorkam. Jeder Tag war ein Geschenk, jede Nacht süßeste Verlockung. Sie waren füreinander bestimmt.
Alma hörte, wie unten die Haustüre ins Schloss fiel. »Mama?« Max' Stimme klang herauf.
Joshua, der neben Alma lag und ihre verschwitzte Haut streichelte, lächelte. Er fühlte sich nicht etwa gestört von dem Jungen, der offensichtlich zu früh dran war, sondern freute sich darauf, seinen neu gewonnenen Sohn zu sehen. Schnell sprang er aus dem Bett, zog sich seine Hose über und strich sich mit den Händen die zerzausten Haare nach hinten.
»Ich bin hier oben«, rief Alma, während sie sich eilig in ihre Kleidung zwängte. Schneller als erwartet war Max an der Tür. Alma hatte sich kaum das Unterkleid übergezogen. Doch ihr Lächeln erstarb, als sie den Jungen sah. Im Gesicht hatte er zwei dicke Schrammen.
»Was ist passiert?« Sofort war sie bei ihm und drehte sein Gesicht ins Licht. »Ach, und das Hemd ist auch zerrissen.« Maximilian hatte sich bisher nur selten geprügelt.
»Das war Pete.“
»Pete? Dein Freund Pete?«, fragte Alma überrascht.
»Worüber habt ihr euch denn gestritten?« Joshua nahm das nicht so ernst. Jungs in seinem Alter prügelten sich eben gelegentlich.
Max knabberte an seiner Unterlippe, während er einen verunsicherten Blick zu Joshua warf. »Er hat gesagt, dass alle Deutschen schlecht sind. Und dann hat er mich gegen eine Mauer geschubst.«
Jetzt runzelte auch Joshua die Stirn. »Und hast du ihm nicht gesagt, dass du jetzt gar kein Deutscher mehr bist?«
Max zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja gar nicht, was ich jetzt bin.« Seine Hand ging zum Hinterkopf, wo Alma jetzt eine große Beule entdeckte. »Ach herrje. Komm, die muss gekühlt werden.«
Doch Max blieb stehen. »Aber das ist nicht egal, was ich bin. Nicht jetzt, wo wir im Krieg mit den Engländern sind.« Trotzig schob er seine Unterlippe nach vorne.
»Krieg mit den Engländern?« Alma tauschte einen alarmierten Blick mit Joshua. »Du vertust dich ganz sicher. Es gibt keinen Grund, warum wir gegen die Engländer in den Krieg ziehen sollten. Die haben doch mit dem Streit auf dem Balkan nichts zu tun.«
Joshua warf sich sein Hemd über. »Wie kommst du darauf?«
»Es steht sogar in der Zeitung! Der Lehrer hatte eine dabei und hat uns daraus vorgelesen.«
Jetzt sah auch Joshua beunruhigt aus. »Bist du dir sicher?« Als Max nickte, sagte er: »Ich gehe in die Stadt und erkundige mich, was los ist. In spätestens einer Stunde bin ich zurück.«
Noch während Alma für Max ein paar nasse Tücher holte, um die Wunde zu kühlen, verschwand er.
Auf der kleinen beschatteten Veranda hinterm Haus richtete Alma etwas zu essen her. Joshua würde sicherlich Hunger haben, wenn er gleich nach Hause kam, auch wenn es ihr den Appetit verschlagen hatte. Wenn es wirklich stimmte, was Max da erzählte, war das eine höchst unerfreuliche Situation. Für Max und für sie.
Mrs. Craddock, ihre Nachbarin, stolzierte durch den Garten und begutachtete ihre Pflanzen. Jedes der Häuser hier hatte einen langen, schmalen Garten. Ihre Kürbisse waren klein, und auch die Bohnen rankten sich nicht gerade üppig an den Stangen hoch. Im Gegensatz zu Alma hatte sie wenig Talent fürs Gärtnern. »Hallo Mrs. Craddock. Wie geht es Ihren Rosen?« Das einzig Schöne im Garten ihrer Nachbarin waren die Rosen, die an der kurzen Verandatreppe hochwuchsen.
Mrs. Craddock schaute sich kurz zu ihr um. Sie setzte ein verkniffenes Lächeln auf und nickte. »Danke, gut.« Dann ging sie ins Haus.
Alma seufzte. Obwohl sie nun seit fast drei Monaten hier wohnten, war sie noch nicht so recht warm geworden mit ihrer Nachbarin. Mrs. und Mr. Craddock waren vor zwei Jahren aus Queensland hierhergezogen, so viel hatten sie ihr erzählt. Und dass Mr. Craddock dort irgendwie zu Geld gekommen war. Seine Frau legte sehr viel Wert darauf, es zu einem eigenen Haus in Stadtnähe gebracht zu haben, wie Alma schon bemerkt hatte.
Mrs. Craddock hielt gerne Teegesellschaften ab, und obwohl Alma sie in der ersten Woche schon zu sich eingeladen hatte, hatte die Nachbarin diese Freundlichkeit bisher nicht erwidert. Einmal hatte Alma eine abfällige Bemerkung von Mrs. Craddock mitbekommen, dass sie das Haus ja nur gemietet hätten. Alma hatte den Verdacht, dass sie ihrer Nachbarin nicht fein genug war.
Jetzt erschien Birdy, die junge Aboriginefrau, die im Haushalt der Craddocks arbeitete. Sie schuftete für zwei, während die Dame des Hauses sich bedienen ließ. Dass sie Birdy hieß, wusste Alma nur zu gut, denn schließlich rief ihre Arbeitgeberin zweihundert Mal am Tag laut nach ihr. Wie immer kam Birdy mit gesenktem Kopf nach draußen. Links und rechts trug sie schwere Zinkgießkannen und lief damit in den Garten.
Alma deckte weiter den Tisch. Dann war alles fertig, nur der Tee fehlte noch. Doch den würde Alma erst aufgießen, wenn Joshua nach Hause kam. Schnell hatte sie noch die Nähsachen zur Seite geräumt. Sie setzte sich. Die Nachmittagssonne flimmerte golden zwischen den Blättern eines hohen Butterbirnenbaums hindurch. Er trug fast das ganze Jahr über Früchte, und Alma machte herrlichen Brotaufstrich daraus.
Sie beobachtete die junge dunkelhäutige Frau, die nun zum dritten oder vierten Mal die schweren Kannen in den Garten trug und alle Pflanzen goss. Eigentlich sollte es im Winter genug regnen, aber schon seit zwei Wochen war kein einziger Tropfen mehr gefallen. Glücklicherweise hatten die Häuser in der Straße einen Wasserhahn, ein Luxus, den Alma wirklich genoss. In Apia hatten sie jeden einzelnen Tropfen Wasser ins Haus tragen müssen.
Noch hatte Alma nicht viel gepflanzt außer ein paar Mohrrüben, Kartoffeln und einiges an Salat. Aber sie hatte das brachliegende Stück Land bereits umgegraben und vom Unkraut befreit. Sobald Joshua auf seine nächste Fahrt ging, würde sie die Samen aussäen, die sie auf einem Markt erstanden hatte.
Während sie ihren Gedanken nachhing und mit geschlossenen Augen die warme Nachmittagssonne genoss, hörte sie, wie vorne die Eingangstür zuschlug. Joshua kam durch die gute Stube und trat auf die Veranda. In den Händen hielt er seinen Hut, den er unablässig drehte. Er nickte Alma mit zusammengepressten Lippen zu.
»Nein, sag, dass das nicht wahr ist.«
»Max hatte ganz recht.« Wie aufs Wort erschien der Junge hinter Joshua. Der legte seinen Arm um seinen Sohn und zog ihn an sich. »Du hattest recht.«
»Aber wieso sind denn Deutschland und England im Krieg?«
»Schlimmer noch.« Joshua sah sie bekümmert an. »Australien ist ebenfalls mit Deutschland im Krieg.«
»Was?« Alma sprang auf. »Das kann doch gar nicht sein.“
»Leider doch.« Er streichelte Max über den dunklen Haarschopf. »Heute hat England den Deutschen den Krieg erklärt. Schon gestern hat die australische Regierung den Briten eine Flotte zur Unterstützung angeboten. Die offizielle Kriegserklärung von Großbritannien ist erst vor einer Stunde verkündet worden. Auf den Straßen ist der Teufel los. Alle freuen sich und feiern den Ausbruch des Krieges.« Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Die meisten jungen Männer würden lieber heute als morgen in die Schlacht ziehen.« Alma schaute Max besorgt an. Die Beule war kleiner geworden, aber die Schrammen liefen immer noch blutrot durch sein Gesicht. War das erst der Vorgeschmack dessen, was nun auf sie wartete? Ihr wurde angst und bange. So hatte sie sich ihr neues Leben in Australien beileibe nicht vorgestellt.
Andächtig ließ Mathilde ihren Blick über den Horizont schweifen. Rund um die Insel säumte das türkisfarbene Meer die Uferzone. Weiter draußen verwandelte sich seine Farbe in Königsblau, um sich irgendwo in der tiefblauen Unendlichkeit zu verlieren. Wellen, die sich über Tausende Kilometer durch den Pazifischen Ozean gepflügt hatten, brachen sich an den vorgelagerten Korallenbänken, die Upolu, die Hauptinsel von Deutsch-Samoa, umgaben.
Ihre Stute schnaubte leise und ruckte mit dem Kopf. Mathilde schaute hinüber zu dem majestätischen Tier. Erstaunlich, dass sie etwas so Wertvolles ihr Eigen nennen konnte. Für einen Moment traf sich ihr Blick mit Kellys bernsteinfarbenen Augen. Doch Pferde waren Fluchttiere, und in stetiger Erwartung eines Angriffes richtete sich Kellys Aufmerksamkeit immer angespannt auf die Umgebung. Schon blickte sie in Richtung Regenwald, um dann beruhigt für die nächsten Sekunden weiterzugrasen.
Hier oben, weit oberhalb des Meeresspiegels, zwischen Palmen, riesigen Farnen und einzelnen Papayabäumen, mit den leise sirrenden Geräuschen des Regenwaldes im Hintergrund, schien es, als hätte jemand die Zeit angehalten. Mathilde saß auf einem von der Sonne erwärmten Felsen und kam für einen Moment zur Ruhe. Vor ihr breitete sich die Lichtung aus, die sie vor über einem halben Jahr gerodet und mit Ananasschösslingen bepflanzt hatten. Das war ihre Zukunft.
Nachdem sie die Arbeiter angewiesen hatte, in der Fabrik Podeste für die Maschinen zu bauen, war sie heute Nachmittag aufgebrochen. Ein paar Hundert Meter entfernt, oberhalb von der Fabrik und ihrem Haus, lag die große Anpflanzung. Hier oben hatten die Pflanzen genau das richtige Klima. Es würde mindestens noch sieben bis neun weitere Monate dauern, bis sie auf diesem Feld das erste Mal ernten konnten. Sehr viel weiter waren da schon ihre Felder drüben auf der Nachbarinsel Savai'i. Dort zeigten sich bereits die ersten dicken Blütenstände, die sich später zu den süßen goldgelben Früchten auswachsen würden. Das Versuchsfeld auf Savai'i war allerdings viel kleiner. Immerhin, sie waren die Ersten, die auf Samoa Konservendosen befüllen würden.
Mathilde seufzte wohlig. Wenn sie es geschickt anstellten und etwas Glück hatten, dann würden sie bald alle sehr wohlhabend sein. Schon jetzt war klar, dass sie nicht irgendjemanden heiraten musste, nur um versorgt zu sein. Sie war jetzt eine Unternehmerin, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Fritz. Genaugenommen gehörte natürlich ein Teil des Grundbesitzes und der Firma Grete, ihrem Mündel. Aber es würde noch Jahre dauern, bis das Mädchen in der Lage war, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Die dunkle, verkrustete Erde klebte an ihren Fingern. Sie rieb ihre Hände fest aneinander. Drei Tage lang hatten die Arbeiter hier Unkraut gejätet und die Erde gelockert. Heute wollte Mathilde die Arbeit kontrollieren. Sie war selbst noch einmal durch die Reihen gegangen.
Lofa, ihr samoanischer Vorarbeiter, war ein Halfcast, ein Mischblut, wie er hier genannt wurde. Sein Vater war einer der ersten Deutschen gewesen, die sich hier niedergelassen hatten, und seine Mutter eine Samoanerin. Die Samoaner verrichteten nicht die niedrigen Arbeiten wie die Kontraktarbeiter. Hierarchisch sahen sie sich weit über den chinesischen Kulis und den dunkelhäutigen Boys aus Melanesien. Es wäre einer großen Beleidigung gleichgekommen, ihnen die gleiche Arbeit aufzutragen. Jede Farm brauchte einen samoanischen Mitarbeiter, der sich wirklich gut im Land auskannte. Obwohl Lofa noch sehr jung war, war er zuverlässig. Mathilde würde mit Lofa reden. Er musste die Männer anweisen, gründlicher zu arbeiten.
Sie nahm einen letzten Schluck Quellwasser aus ihrer Feldflasche. Cornelius Lamberty würde nachher vorbeikommen. Gleich morgen in der Früh würden sie mit dem Zusammenbauen der Maschinen beginnen. Cornelius, ein ausgebildeter Ingenieur, hatte ihr versprochen zu helfen. Allmählich musste sie sich auf den Rückweg machen. Sie sollte besser die Arbeiter beaufsichtigen, damit morgen wirklich alle Aufbauten standen. Trotzdem blieb sie noch für einen Moment sitzen. Sie wollte diesen friedlichen Anblick genießen.
Kelly schnaubte und ruckte mit dem Kopf. Ihre spitzen Ohren drehten sich unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen. Mathilde erhob sich und wartete auf den Ankömmling. Schon entdeckte sie den großen ledernen Hut von Fritz zwischen dem satten Grün der dichten Blätterwand. Keine Minute später hatte er den Waldsaum hinter sich gelassen und sprang von seinem Pferd.
»Du bist schon zurück? Ich hatte dich erst in ein paar Tagen erwartet.« Doch statt zu antworten, schaute Fritz mit düsterer Miene über die große Anpflanzung. Er schien schlechte Nachrichten mitzubringen. Als wäre er erschöpft, nahm er langsam seinen Hut ab und strich sich über die verschwitzte Stirn. Seine hellblonden Haare leuchteten in der Sonne.
»Ist etwas mit den Pflanzungen? Hast du Kakaokrebse gefunden?« Fritz schüttelte den Kopf. »Nein, die Pflanzen sind alle gesund. Wir brauchen noch mehr Wellblech für den neuen Lagerschuppen. Doch es eilt nicht.«
Das hörte sich so an, als wolle er eigentlich etwas anderes sagen. Mathilde musterte ihn. »Ist der Vulkan wieder aktiv?« Sie hatten ihre Schwester Käthe vor einigen Jahren beim Ausbruch des Vulkans verloren. Jetzt bewohnten sie das Haus auf Savai'i, das sie von Käthe Dünnbier geerbt hatten. Aber die Bedrohung eines erneuten Ausbruches schwebte immer über ihnen.
Fritz drehte sich zu ihr herum. »Es ist Krieg.«
Mathilde schluckte stumm. Dieses Thema hatte sie völlig verdrängt. Als sie nichts sagte, redete Fritz weiter. »Russland, Frankreich und England sind mit Deutschland im Krieg!«
»England? Du meinst, die Briten? Wieso? Was haben die damit zu tun? Das kann nicht sein.« Ihre Stimme überschlug sich fast, so schrill war sie plötzlich.
»Es gab wohl eine geheime Sitzung heute Nachmittag beim Gouverneur. Ich bin eigentlich so früh zurückgekommen, weil ich von dem Telegramm gehört habe, das am Montag gekommen ist.«
»England. Bist du dir sicher?« Fritz beachtete ihren Einwurf gar nicht. »Heute scheint ein weiteres Telegramm angekommen zu sein. Deutschland hat Russland und Frankreich den Krieg erklärt. Daraufhin haben die Engländer uns den Krieg erklärt.«
»Aber was haben denn die Briten damit zu tun? Und was ist mit Österreich-Ungarn?«
»Die sind auf unserer Seite.«
»Und wer noch?«
Fritz zuckte mit den Schultern.
»Das ist ja eine Katastrophe!«
»So würde ich es auch nennen. Deswegen bin ich sofort hier hochgekommen.« Sein düsterer Blick wanderte über die Ananasschösslinge. »Hier steckt so viel Arbeit drin.«
Mathilde folgte dem Blick ihres Bruders. Am Jahresanfang hatten sie die Bäume gefällt. Mit Ochsenkarren hatten sie die Baumstümpfe aus dem Boden gezerrt und die Erde hier aufgeschüttet und da abgetragen, um eine plane Ebene an diesem Hang zu schaffen. Das Holz, das sich zum Bauen eignete, hatten sie fortgeschafft, den Rest zu Anfang der Trockenzeit verbrannt. Es war wirklich sehr viel Arbeit gewesen. Und da es ständig an Arbeitern mangelte, hatten Fritz und Mathilde oft genug selbst mit angepackt.
»Ich hoffe wirklich, dass nicht alles umsonst war.« Für ihn war Samoa Heimat geworden. Und für seine Schwester auch.
Mathilde stieß ein gequältes Lachen aus. »Da haben wir so lange darauf gewartet, dass die Funkstation in Betrieb genommen wird. Und jetzt bringt sie uns nur schlechte Nachrichten.«
Fritz schlug missgelaunt mit dem Hut gegen seinen Oberschenkel und ging zurück zu seinem Pferd. »Komm, lass uns zurückreiten und schauen, wie weit die Boys sind. So oder so, morgen fangen wir mit dem Aufbau der Maschinen an.«
»Fritz. Ich … George Lincoln.«
Ihr Bruder schaute sie ernst an. »Ich weiß.«
»Ich hätte auf dich hören sollen«, gab sie zerknirscht zu.
Fritz zuckte mit den Schultern. »Dieser lächerliche Name. George Washington und Abraham Lincoln. Da hättest du auch selbst drauf kommen können.«
Mathilde lief rot an. Das war ihr noch gar nicht aufgefallen. Lieber Himmel, nahmen die Peinlichkeiten denn überhaupt kein Ende? War sie nun für den Rest ihrer Tage die Frau, die sich vollkommen lächerlich gemacht hatte? Mit gesenktem Kopf folgte sie Fritz. Das weiche Maul ihres Pferdes suchte in der offenen Hand etwas zu knabbern. Sie hatte immer ein bisschen Hafer für Kelly dabei. Das Pferd stupste sie an. Kelly war es egal, dass Mathilde sich lächerlich gemacht hatte.
»Ich habe auch Neuigkeiten. Ein Brief von Alma war in der Post.«