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Die große SÜDSEE-Saga der Bestseller-Autorin HANNA CASPIAN Liebe und Drama in der deutschen Südsee zur Kaiserzeit Köln/Samoa 1899 – Die junge Alma hat keine Wahl. Auf Drängen ihres Vaters heiratet sie den viel älteren Hermann und begleitet den Leiter einer Kolonialhandelsgesellschaft in die deutsche Südsee-Kolonie Samoa. Für sie bedeutet es das Ende ihrer Welt – in jeder Hinsicht. Unterwegs nach Deutsch-Samoa findet sie ausgerechnet bei dem australischen Seemann Joshua Fitzgerald die große Liebe. Doch sie ist eine verheiratete Frau, in einem ihr fremden Land, am anderen Ende der Welt. Alma muss sich an das Leben in der Kolonie und die Riten ihrer exotischen Bewohner gewöhnen, muss Naturkatastrophen ebenso wie deutsch-englische Dorffehden überstehen und lernen, sich als Frau alleine zu behaupten. Doch dann kommt ihre intrigante Zwillingsschwester Käthe nach, und gefährdet alles, was Alma sich aufgebaut hat. Und Käthe bringt nicht nur bedrohliche Familiengeheimnis mit; sie entdeckt auf der Insel auch Almas Geheimnisse.
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DIE SÜDSEE-SAGA
BUCH EINS
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
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Nachwort
Glossar
Die Autorin
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Andere historische Romane
Impressum
Unter dem Südseemond
1899 Die lebenstüchtige Schneiderin Alma hat keine Wahl: auf Drängen ihres Vaters hin heiratet sie den viel älteren Hermann und begleitet ihn in die deutsche Südsee-Kolonie Samoa. Für sie bedeutet es das Ende ihrer Welt – in jeder Hinsicht. Unterwegs nach Deutsch-Samoa findet sie ausgerechnet bei dem australischen Seemann Joshua Fitzgerald die große Liebe. Doch sie ist eine verheiratete Frau, in einem ihr fremden Land, am anderen Ende der Welt.
1901 Alma muss sich an das Leben in der Kolonie und die Riten ihrer exotischen Bewohner gewöhnen, muss Naturkatastrophen ebenso wie deutsch-englische Dorffehden überwinden und lernen, sich als Frau alleine zu behaupten. Doch dann kommt ihre intrigante Zwillingsschwester Käthe nach, und gefährdet alles, was sie sich aufgebaut hat. Und Käthe bringt nicht nur ein bedrohliches Familiengeheimnis mit; sie entdeckt auf der Insel auch Almas Geheimnisse.
Dieser Roman wurde 2013 unter dem Titel "UNTER DEM SÜDSEEMOND" von Regina Gärtner im Heyne Verlag veröffentlicht. Mittlerweile hat die Autorin unter dem Pseudonym Hanna Caspian viele Bestseller-Romane veröffentlicht. Deshalb wird dieser Roman nun unter ihrem Pseudonym erneut veröffentlicht.
Personenübersicht
Alma Hinrichs – junge Kölnerin
Käthe Hinrichs – Almas Schwester
Mathilde Hinrichs – Almas Schwester
Fritz Hinrichs – Almas Bruder
Leopold Hinrichs – Almas Vater
Adelheid Quanz – Almas Tante
Hermann Stieglitz – Angestellter einer Kolonialhandelsgesellschaft
Mellissa Williams – englische Lady
Joshua Fitzgerald – australischer Seemann
Cornelius Lamberty – deutsche Pflanzer auf Samoa
Aveolela – Samoanische Haushilfe
Etena und Taua – Samoanische Haushilfen
Ehepaar Hartmann – Missionare
Heather Fox – englische Ladenbesitzerin
Anton Hofer – deutscher Ladenbesitzer
Joseph – ehemaliger deutscher Walfänger
Otto Zabel – Hermanns Stellvertreter in der Firma
Friedebold und Willibald Dünnbier – zwei deutsche Pflanzer auf Samoa
Der Blutstropfen wurde größer und lief schließlich über die Haut. Rasch nahm Alma den Finger in den Mund. Das fehlte noch, dass sie den teuren Stoff befleckte. Seit Ewigkeiten hatte sie sich nicht mehr mit der Nähnadel gestochen. Es nutzte nichts. Wie immer, wenn eines ihrer Geschwister vom Vater bestraft wurde, überkam sie diese Unruhe. Doch sie konnte nicht einfach weitermachen, denn dieses Mal war es anders. Die Geräusche im oberen Stock ließen ihre Hände zittern.
Sie hielt den Atem an, während sie auf der Stufe stehenblieb, die von der Nähstube in den Schneiderladen führte, und horchte. Über ihr, in der guten Stube, tobte ihr Vater. Er fluchte laut. Das allein schon war ein sehr schlechtes Zeichen, Fluchen war Gotteslästerung. Zwischendurch vernahm sie die übernervöse Stimme von Tante Heidi, aber sie sprach zu leise, als dass sie ihre Worte verstand.
Käthe war kurz zuvor mit bleichem Gesicht nach oben gegangen, als würde sie zur eigenen Hinrichtung geführt. Danach hatte der Sturm begonnen. Jetzt schlug die Tür zur Schlafkammer des Vaters, dann hörte Alma wieder die Tür zur guten Stube und es folgte diese beklemmende Stille, die immer dann aufkam, bevor der Vater seinen Rohrstock benutzte.
Alma krallte ihre Finger in den Wollstoff, den sie noch immer in der Hand hielt, seit sie vom Fensterbrett in der Nähstube aufgesprungen war. Was ihre Zwillingsschwester verbrochen hatte, wusste sie nicht, aber seit einigen Tagen schlief Käthe unruhig, weinte sich in den Schlaf und war tagsüber häufig still, was gar nicht ihrer Art entsprach. Sie musste sehr ungehörig gewesen sein, und auch wenn Alma nicht besonders gut mit Käthe auskam, so bemitleidete sie ihre Schwester für das, was ihr nun angetan wurde. Sie konnte den Schmerz fast selber fühlen. Seit sie zwölf waren, wurden die Mädchen nicht mehr auf den Hintern geschlagen. Zweifelsohne stand Käthe jetzt mit ausgestreckten Händen vor dem Vater, die Handflächen nach oben, und bekam ihre Strafe. Am schlimmsten war freilich, dass sie nicht schreien durfte. Je lauter man heulte, desto gereizter wurde der Vater.
Sie schloss den schweren Vorhang, der die Nähstube vom Ladenraum trennte, und schlich zurück auf die Fensterbank. Der helle und ungewöhnlich dünne Wollstoff war nun verknittert. Ein Kanonenofen in der Ecke heizte den Raum an kalten Tagen und hielt im Sommer die Eisen heiß, damit sie jederzeit die Stoffe glätten konnten. Alma hatte schon vorhin Kohle nachgelegt. Schnell griff sie eins der schweren Teile an dem Holzgriff und glättete mit einem feuchten Leinentuch zwischen Stoff und Eisen den feinen Stoff. Noch immer auf Geräusche horchend, setzte sie sich wieder ans Fenster, wo sie das beste Licht hatte. Ihre Finger zitterten, als sie das Seidengarn in die Öse fädelte. Die Jacke musste heute noch fertig werden.
Die Tür zur Werkstatt öffnete sich, und Tante Heidi steckte ihren Kopf herein.
»Du sollst zu deinem Vater kommen.« Adelheid Quanz' Stimme hatte diesen seltenen mütterlichen Klang, der nur dann mitschwang, wenn sie mit einem der Kinder ihrer verstorbenen Schwester Mitleid hatte. Mathilde war in der Schule, genau wie ihr jüngerer Bruder Fritz. Aber galt Tante Heidis Mitleid jetzt ihr oder Käthe? Alma wagte nicht zu fragen. Sie stand auf und drapierte die Anzugjacke ordentlich über eine Schneiderpuppe.
Fieberhaft überlegte sie, ob sie sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Ihr fiel nichts ein. Hatte sie eine ihrer Pflichten vernachlässigt? Sie wusste nur, dass es nichts Gutes bedeutete, wenn sie gerufen wurde, denn im Laufe ihres Lebens war auch sie häufig genug für die Fehler ihrer Schwester bestraft worden. Zögernd stieg sie die schmale Treppe hoch und blieb auf dem Flur stehen. Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie sich gegen das, was kommen würde, zu wappnen. Sie klopfte und öffnete die Holztür.
Noch bevor sie etwas sagen konnte, stürzte Käthe an ihr vorbei aus dem Zimmer. Obwohl sie verheult war und aufgelöst wirkte, lag ein Ausdruck des Triumphs auf ihrem Gesicht. Alma schluckte. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, und sie konnte sich nicht vorstellen, was das mit ihr zu tun hatte. Mit erhobenem Kopf betrat sie die gute Stube.
Leopold Hinrichs schaute aus dem Fenster. Seine Finger spielten hinter seinem Rücken mit dem Rohrstock. Alma wagte nicht, ihn anzusprechen. Ihr Blick wanderte nervös durch das mit Möbeln, Teppichen und Zierrat überfüllte Zimmer. Nach einer Minute, in der ihr der Vater bedrohlich schweigend den Rücken zugekehrt hatte, drehte er sich endlich um und ließ seinen Blick auf der Wand neben Alma ruhen.
»Du wirst diesen Hannes nie wiedersehen.«
»Hannes? Meinen Hannes?«
»Er ist nicht mehr dein Hannes.«
Alma rang nach Fassung. »Wieso? Was ist denn passiert?«
»Hab ich mich etwa unklar ausgedrückt?«
»Ja, aber warum … Ich dachte, du billigst … Was ist denn plötzlich …«
»Ich sage es dir jetzt, und du wirst dich fortan daran halten. Wenn nicht …« Wütend knallte er den Stock in die eigene Hand. Als habe er vergessen, dass sie im Zimmer war, begutachtete er die roten Striemen auf seinem Handteller.
Mit zusammenpressten Lippen suchte Alma im Gesicht ihres Vaters nach einer Antwort. Was um alles in der Welt war passiert? Hatte Hannes etwas Dummes angestellt? Hatte Hannes' Vater etwas getan, was in den Augen der anderen als unschicklich galt? Hatte er seinen Stand und sein Ansehen verloren und Hannes ebenfalls? Dutzende Möglichkeiten schwirrten ihr durch den Kopf. Aber letztendlich war nur eines wichtig. Es konnte nicht wahr sein! Ihr Herz krampfte sich zusammen, die Tränen standen in ihren Augen. Unbeweglich wartete sie darauf, dass ihr Vater endlich eine Erklärung abgab. Dann würde sie das Missverständnis aus der Welt schaffen, denn etwas anderes als ein Missverständnis konnte es ja wohl nicht sein. Sie schluckte heftig. Es musste ein Irrtum sein!
Nach einer Weile blickte ihr Vater auf und sagte in normalem Tonfall, als sei nichts geschehen: »Geh wieder an die Arbeit. Der Anzug wird heute Abend abgeholt.«
»Aber wieso …«
Sein durchdringender Blick unterband jedes weitere Wort. Alma verließ das Zimmer und schloss die Tür. Es war ratsam, erst Fragen zu stellen, wenn der Vater sich beruhigt hatte. So aschfahl im Gesicht hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, als ihre Mutter gestorben war. Und das war über sieben Jahre her. Was war nur passiert? Hannes, der Sohn eines betuchten Stellmachers, machte ihr nun schon seit sechs Monaten den Hof. Sonntags begleitete er sie zum Kirchgang und danach nach Hause, und wenn das Wetter schön war, durften sie am Kaiser-Friedrich-Ufer an der Rheinpromenade oder bei St. Kunibert spazieren gehen. Vor zwei Monaten war ihr erlaubt worden, ohne die Begleitung der Tante auf ein Familienfest des begüterten Handwerkers zu gehen, und seit wenigen Wochen kam Hannes gelegentlich sonntags zum Essen. Am letzten Wochenende war sie sogar mit ihm im Stadtpark in Lindenthal gewesen. In der neuen Waldschenke, direkt am Weiher, hatte Hannes ihr eine Fassbrause spendiert.
Regelmäßig bekam sie von ihrem Vater und vor allem von ihrer Tante zu hören, dass sie ihnen bloß keine Schande machen solle und was ihr, wenn doch, alles blühe. Aber davon abgesehen hatte Alma geglaubt, dass Hannes das Wohlwollen des Vaters genoss. Obgleich sie wusste, dass es dem Vater nicht recht war, denn bei einer Heirat konnte sie nicht mehr in der Nähstube helfen. Andererseits war Hannes eine wirklich gute Partie, auf eine bessere durfte der Vater für seine Töchter nicht hoffen.
Dass Hannes ihr den Hof machte und sogar darauf wartete, bis sie zwanzig war, bevor er um ihre Hand anhielt, war nur ihrer Schönheit zu verdanken. Das hatte Tante Heidi gesagt, und ihren Worten war ein großer Streit gefolgt, in dem der Vater der Tante vorwarf, sie solle dem Kind keine Flausen in den Kopf setzen. Alma war nicht eitel, aber sie wusste, dass sie etwas hermachte, obwohl Käthe die flachsblonden Haare ihrer Mutter geerbt hatte. Und jetzt hatte der Vater mit zwei Sätzen all ihre Träume zerstört, und sie wusste nicht einmal, wieso.
Sie war stets diejenige, die das Nachsehen hatte. Wären da nicht Mathilde und Fritz, die ihre große Schwester wie eine Mutter liebten, Alma hätte sich manches Mal so gefühlt, als gehöre sie gar nicht zur Familie.
Jetzt musste sie sich sputen, wenn sie die Anzugjacke noch heute Abend fertig haben wollte, aber sie wollte unbedingt erfahren, was passiert war. Leise schlich sie die schmale Stiege hoch, bis sie vor der kleinen Kammer stand, die sie sich mit Käthe teilte. Schon durch die Tür hörte sie, wie ihre Zwillingsschwester schluchzte. Sie lauschte ins Treppenhaus, und als sie sich vergewissert hatte, dass der Vater noch immer in der guten Stube war, schlüpfte sie in ihre Kammer.
Schniefend blickte Käthe auf. Sie schnäuzte sich lautstark und schaute Alma unverwandt an.
»Käthe, was ist los? Was hast du gemacht?«
Ihre Schwester lachte bitter auf. »Jetzt bist du mal die Dumme.«
Alma blickte verwirrt auf ihre Schwester. Hier in diesem Haushalt war sie ständig die Benachteiligte. Die, die am meisten arbeiten, die schwerste Arbeit machen musste. Und bis vor drei Jahren, als sie plötzlich noch eine Handbreit gewachsen war, hatte sie häufig genug die zu weiten Kleider ihrer Schwester auftragen müssen. Was um alles in der Welt wollte Käthe ihr also mit diesen Worten sagen?
»Warum darf ich Hannes nicht mehr sehen? Hast du was damit zu tun? Hat er was angestellt?« Letzteres konnte sie sich zwar nicht vorstellen, Hannes war eigentlich ein vernünftiger Kerl, manchmal jedoch ein ziemlicher Hitzkopf.
»Du wirst Hannes schon noch oft genug sehen.« Käthe biss sich auf die Lippen und wischte sich mit einem feuchten Lappen vorsichtig über die geschwollenen Handflächen. Sie verzog das verheulte Gesicht, sagte aber keinen Ton.
Alma wusste, was für höllische Schmerzen sie hatte. Als sie zu ihrer nächsten Frage ansetzen wollte, ertönte von unten die laute Stimme des Vaters.
»Verflucht nochmal! Tut in diesem Haus eigentlich niemand mehr, was ich sage? Alma, du kommst sofort herunter!«
Alma sah gerade noch, wie Käthe ihr einen gehässigen Blick zuwarf. Mein Gott, was war nur los? Alma polterte die Treppe hinunter und senkte schuldbewusst den Kopf, als sie ihren Vater an der Ladentür stehen sah. Er hatte seinen guten Mantel übergeworfen und drehte das Schild nach außen, auf dem »Laden geschlossen« stand.
Sie presste die Lippen aufeinander. Hatte er nicht gerade ihr Leben zerstört? Und da sollte es sie nun kümmern, ob eine Anzugjacke für einen Fremden rechtzeitig fertig war? »Ich hab' nur schnell nach Käthe gesehen.«
»Das kann deine Tante machen. Die kennt sich ja mit so was aus. Sieh du zu, dass du fertig wirst.« Ihr Vater schloss die Ladentür so energisch von außen ab, als wolle er sie für den Rest ihres Lebens einsperren. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er davon.
Alma kantelte alle Knopflöcher und nähte die Knöpfe an. Zwei Knopflöcher hatte sie sogar noch einmal aufmachen müssen, weil ihre Finger noch immer zu sehr zitterten. Das war ihr seit Jahren nicht mehr passiert. Sie schloss noch zwei Nähte des Innenfutters und hängte die Jacke auf. Form und Länge ließen zwar darauf schließen, dass der Mann, der diese Jacke tragen würde, ein Stück größer war als sie und ein wenig beleibt, aber der Stoff war teuer und der Schnitt elegant. Da der Anzug aus einem leichten Wollstoff war, brauchte Alma nicht lange, um ihn zu dämpfen. Wo man wohl solch einen dünnen Anzug trägt?, schoss es ihr durch den Kopf, bevor sie wieder über ihr Unglück nachsann.
Mit einem Mal war sich Alma sicher, dass ihr Vater nur Angst hatte, dass sie nach ihrer Hochzeit die Schneiderei verließ. Käthe arbeitete nicht so geschickt wie Alma. Oft genug musste sie Nähte wieder auftrennen und stets bekam Alma die wichtigen Näharbeiten aufgetragen. Sie war auch die Einzige, die außer ihrem Vater an die neue Nähmaschine durfte. Mathilde war zwölf und wurde gerade erst angelernt. Nach Beendigung der Schule musste sie genau wie Alma und Käthe in der väterlichen Schneiderstube arbeiten. Sie hatte so geschickte Hände wie Alma, war jedoch noch unerfahren und würde ihre ältere Schwester auf Jahre hin nicht ersetzen können. Sicherlich deshalb durfte sie Hannes nicht wiedersehen. Aber schimpfte der Vater nicht ständig darüber, wie viel sie ihn kostete, ihr Essen und ihre Flausen, weil sie so gerne auf den Rummel ging? Und fertigte sie nicht seit ihrem fünfzehnten Geburtstag die Weißwäsche für ihre Aussteuer an? Sie verstand ihn nicht. Außerdem: Wieso hatte er Käthe dann bestraft? Hatte sie vielleicht vor, jemanden zu heiraten, und der Vater konnte jetzt nicht auch noch auf Alma verzichten? Dann würde sie Hannes eben später heiraten.
* * *
Die Tür schepperte laut und Alma sprang erschrocken von der Schublade zurück, in der sie gerade die Stoßbänder ordentlich einsortierte. Leopold Hinrichs stand mit gebeugtem Oberkörper vor der Tür, und endlich traf der Schlüssel das Schlüsselloch. Die Glastür schwang auf und ihr Vater schaute sie mit glasigen Augen an. Vor vier Stunden hatte er den Laden verlassen, und als er nun den Raum betrat, roch sie den Qualm von Zigarren, der in seinen Kleidern hing. Er zog sich den guten Mantel aus und hielt ihn Alma hin. Jetzt nahm sie auch einen leichten Geruch nach Schnaps und Bier wahr.
»Du bleibst hier unten. Ich bin gleich wieder zurück. Wenn Kundschaft kommt, ruf mich.«
Mehr sagte er nicht, und Alma wagte nicht zu fragen, was los war. Nur selten musste sie mit Kunden sprechen, und wenn die Herren Anzüge oder Hosen in der Nähstube anprobieren wollten, schickte ihr Vater sie nach oben. Erstaunt drehte sie das Ladenschild um und blickte ihrem Vater nach. Mit einem Kleiderbügel hängte sie den Mantel an der kleinen Garderobe im Flur auf. Sie hörte, wie Mathilde oben im ersten Stock ihrem kleinen Bruder nachjagte.
»Mathilde?«
Ihre Schwester blieb auf der Treppe stehen und schaute sie neugierig an. Natürlich wusste sie Bescheid, dass Käthe geschlagen worden war. Das konnte Alma deutlich an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, aber solange ihr Vater sie hören konnte, würde sie Alma nicht nach dem Grund dafür fragen.
»Ich weiß nicht, wie lange ich im Laden bleiben muss. Hilfst du bitte der Tante beim Abendessen, wenn ich nicht früh genug hochkomme?«
Mathilde nickte. Selbst ihr war klar, dass Käthe in den kommenden zwei Tagen wegen ihrer zerschundenen Hände kaum zu etwas zu gebrauchen war.
»Fritz, komm«, rief sie. »Ich helfe dir bei den Schulaufgaben.«
»Später«, kam die prompte Antwort.
»Nein, später muss ich in der Küche helfen. Komm jetzt.« Alma blickte ihr hinterher, wie sie den Kleinen an die Hand nahm, um mit ihm in den oberen Stock zu gehen. Auf einmal schwang die Küchentür auf, und Tante Heidi steckte den Kopf heraus.
»Mathilde, du musst mir erst noch was einholen. Lauf schnell zum Laden.«
»Aber das kann ich doch machen!«, beeilte Alma sich zu sagen. Das war die Gelegenheit. Sie durfte ohne Erlaubnis nicht das Haus verlassen. Der Kaufladen lag in der Nähe der Stellmacherei. In der großen Werkstatt wurden Räder, Wagen und landwirtschaftliche Geräte hergestellt. Weit über die Grenzen der Stadt hinaus war der alte Engels bekannt für seine wunderschönen Kutschen. Alma war schon ein paar Mal in der geschäftigen Werkstatt gewesen. Sie konnte schnell zu Hannes hinüberhuschen und mit ihm sprechen. Ansonsten musste sie bis zur Sonntagsmesse warten.
»Nein, Mathilde geht«, sagte Tante Heidi mit drohendem Blick, so als wüsste sie genau, was Alma vorhatte.
Mathilde ließ ihren kleinen Bruder los, der froh war, jetzt keine Hausaufgaben machen zu müssen.
»Wir machen die Schularbeiten später«, hörte Alma Mathilde noch sagen, als sie die Tür zur Nähstube schloss.
Draußen brauten sich Gewitterwolken zusammen, die fast den ganzen Himmel mit einem schmutzigen Grau überzogen. Der Wind fegte über das menschenleere Pflaster und wirbelte den Staub der letzten Wochen auf. Es war Ende Juni, aber nun war es so düster, dass sie nicht weiternähen konnte. Beklommen sortierte Alma Bänder und Garnrollen in eine Schublade, aber nicht einmal auf eine so einfache Tätigkeit konnte sie sich konzentrieren. Ganz in ihre Gedanken versunken, fand sie sich plötzlich am Fenster stehend wieder. Von Weitem sah sie die beiden Kreuzblumen des Doms, der mit seiner Doppelspitze den Himmel über der Stadt beherrschte. Wo man auch in Köln stand, fast immer sah man die Kathedrale, die bis vor wenigen Jahren noch die höchste der Welt gewesen war.
Alma blickte geistesabwesend auf die Domspitzen. Der Wind trieb eine Zeitungsseite vor sich her, und ein Schutzmann ging auf der anderen Straßenseite, dicht an die Häuser gedrückt, vorbei.
Ein heftiger Wind fegte durch die Gassen von Ehrenfeld, ihrem Stadtviertel, und die Straßen waren menschenleer. Ihr Haus lag etwas abseits von der großen Prachtstraße. Je nachdem, wie der Wind stand, wehte entweder der Malzgeruch der Rhenania-Brauerei zu ihnen herüber oder der Gestank der großen Glashütte, die unweit der neuen Bahnstation lag. Die Düfte der Parfümeriefabrik, in der das weit über die Stadt hinaus bekannte Kölnisch Wasser hergestellt wurde, stiegen ihnen allzu selten in die Nase.
In diesem Moment öffnete der Himmel seine Schleusen, und wenige, aber umso dickere Tropfen klatschten auf das Pflaster. Plötzlich hielt ein Einspänner vor dem Haus. Alma machte eilig einen Schritt vom Fenster weg. Hinten im Wagen saß ein ihr unbekannter Mann. Er schaute kurz an der schmalen Hausfassade hoch, gab dem Kutscher einige Münzen und sprang aus dem Wagen. Geduckt lief er über das Trottoir. Die kleine Glocke über der Tür ertönte und der Fremde betrat den Laden.
Überrascht blickte er Alma an, denn er hatte wohl ihren Vater erwartet.
»Guten Abend. Stieglitz mein Name, Hermann Stieglitz.« Er war von stattlicher Statur und sein Schnurrbart tadellos gezwirbelt. Seine Kleidung ließ darauf schließen, dass er vermögend war. Nicht so vermögend wie ein Baron oder ein Ministerialrat, aber ein Mann aus dem gehobenen Bürgertum. »Ich denke, Ihr Herr Vater erwartet mich schon.« Sein Blick glitt über ihren Körper. Dann lächelte er sie an, als habe sie gerade eine Prüfung bestanden.
»Sehr wohl. Ich hole ihn.« Mit einem höflichen Knicks entfernte Alma sich.
Obwohl Leopold Hinrichs wusste, dass jemand den Laden betreten hatte, kam er nicht herunter.
»Ich bin gleich so weit. Biete dem Herrn einen Kaffee an.«
Verwundert machte Alma wieder kehrt und ging zurück in den Laden. »Mein Vater kommt sofort. Darf ich Ihnen etwas bringen? Einen Kaffee vielleicht?«
Aufmerksam betrachtete der Mann Alma, während er eine Taschenuhr aus seiner Weste zog. Er warf einen Blick auf das Ziffernblatt und sagte mit einem bedauernden Ton: »Zu schade, aber ich muss mich sputen. Ich bin heute Abend zu einem sehr interessanten Vortrag eingeladen. Interessieren Sie sich für die deutschen Schutzgebiete?«
Alma lächelte schüchtern. Was sollte sie darauf antworten? Von diesem Thema hatte sie keine Ahnung. Sie schüttelte den Kopf.
»Na, macht nichts. Es wäre auch allzu schade, wenn in einem so hübschen Köpfchen die große Politik herumspuken würde.« Er lächelte charmant.
Alma blieb einsilbig. »Mein Vater kommt sicher jeden Augenblick.« Sie drehte sich weg und ging ein paar Schritte in Richtung der Nähstube. Zu einer kleinen Plauderei verspürte sie wahrlich keine Lust, aber sie wollte nicht unhöflich erscheinen.
Draußen goss es wie aus Kübeln. Herr Stieglitz schaute aus dem Fenster und machte eine Bemerkung. Alma verstand kaum, was er sagte, so laut platschte der Regen gegen die Ladenscheibe. Sie lächelte unsicher und hoffte, dass er nicht etwas gesagt hatte, worauf sie hätte antworten müssen. Wenn nur endlich der Vater käme. Nervös knetete sie ihre Hände, während sie nach einer passenden Bemerkung suchte, mit der sie den Kunden unterhalten konnte.
»Ist der Anzug für Sie?« Sie deutete auf die helle Jacke, die über der Schneiderpuppe hing.
»Der Anzug, und auch einige Hemden sowie zwei Paar Hosen, wenn ich mich recht erinnere.«
Alma nickte, als wisse sie Bescheid. Sie interessierte sich wenig dafür, was die Kunden wollten, nur dafür, was der Vater ihr auftrug. Der erschien endlich hinter dem Vorhang und betrat den Laden. Alma bemerkte, dass er sich umgezogen hatte. Deswegen hatte es wohl etwas gedauert. Er begrüßte seinen Kunden höflich wie immer, auch wenn er dieses Mal mit seinen Gedanken woanders schien. Alma stand unbeholfen daneben. Wollte der Vater denn nicht die Sachen zur Anprobe hervorholen? Als er für einen Moment zu Boden starrte, fragte sie ihn mit leiser Stimme: »Soll ich dem Herrn die Sachen heraushängen?« Schließlich sollte der Mann nichts von seinem Zustand mitbekommen.
Endlich hob ihr Vater den Blick. »Ja, ja, mach nur«, antwortete er mit belegter Stimme, dass Alma Angst bekam, er habe vielleicht zu viel getrunken. Aber der Kunde hätte es wohl ohnehin nicht bemerkt, denn er hatte sie kaum eine Sekunde aus den Augen gelassen, seit er die Schneiderei betreten hatte.
Das fiel nun auch dem Vater auf, der plötzlich aufmerksam zwischen dem Mann und seiner Tochter hin und her blickte. Als hätte Hermann Stieglitz' interessierte Miene ihm eine Idee eingepflanzt, gab er sich einen Ruck und sagte mit energischer Stimme, die Alma so gut kannte: »Die zwei hellen Hosen, der Anzug, den du heute fertig gemacht hast, und alle Hemden aus leichter Baumwolle. Und beeil dich. Lass den Herrn nicht warten.«
Alma drehte ihr Gesicht weg. Vater benahm sich, als wäre sie diejenige, die einen Fehler gemacht hatte. Sie ging die Stufe hoch in die Nähstube. Hinter ihr fiel der Vorhang zu. Schnell suchte sie die Kleidungsstücke zur Anprobe zusammen. Währenddessen hörte sie, wie der Vater mit ihm sprach.
»Und wie geht es der werten Gemahlin? Wir stellen gelegentlich auch Frauenkleider her. Gerade unsere Alma ist darin sehr geschickt.«
»Ich muss gestehen, dass ich leider noch nach der geeigneten Verbindung suche.«
»Aber ein Mann in Ihrem Alter sollte sich doch bald vermählen.«
»Nun, liebend gerne. Aber nicht überall trifft man so ausnehmend hübsche Mädchen wie hier.« Der Mann lachte dezent und ihr Vater stimmte mit ein.
Alma zögerte einen Moment. Alles war fertig für die Anprobe, doch sie wollte nicht ausgerechnet in diesem Moment den Vorhang zur Seite ziehen.
»Ja, die passende Verbindung ist wirklich nicht leicht zu finden, selbst wenn die eigene Tochter so hübsch ist.«
Rasch zog sie nun doch den Vorhang beiseite, bevor der Vater noch mehr solche Dinge zur Sprache bringen konnte. »Es ist alles fertig zur Anprobe.« Alma war wütend. War sie nicht mit Hannes so gut wie verlobt? Und jetzt tat der Vater so, als wäre niemals die Rede von einer Liaison gewesen.
Sie wollte gerade gehen, als ihr Vater in einem überraschend freundlichen Ton sagte: »Geh, hilf deiner Tante beim Abendessen. Ich ruf dich nachher, damit du die Sachen für den Herrn einpackst.«
Verwirrt nickte Alma dem Mann zu, bevor sie hinausging. Ihre Tante blickte nicht auf, als sie die Küche betrat, aber Alma wusste, was sie zu tun hatte. Die Kartoffeln standen schon auf dem Herd, und sie ging schnell in den Kühlkeller und holte alles, was sie brauchte. Wie fast jeden Abend ließ sie Fett aus einer Schweineschwarte aus, um später die Kartoffeln darin zu braten. Als sie Zwiebeln schälte, rief der Vater nach ihr. Alma wusch sich die Hände in der Waschschüssel und trocknete sie gewissenhaft ab. Wenn sie den Stoff anfasste, musste sie saubere Hände haben. Noch auf der Treppe band sie sich die Küchenschürze ab, mit der sie fast zurück in den Laden gegangen wäre.
»Ja, unsere Älteste ist ein ganz fleißiges Mädchen. Nicht wahr, Alma?« Der Vater nahm sie an den Schultern und zog sie zu sich, kaum dass sie den Ladenraum betreten hatte. »Sie ist sehr geschickt, nicht nur was das Nähen anbelangt. Sie kann hervorragend kochen und bestellt auch unseren kleinen Schrebergarten, den wir in Lindenthal haben.« Er ließ sie los. Etwas verloren stand Alma vor dem Mann, der sie nun freundlich anlächelte.
»Und wirklich eine Schönheit. Hübsch anzusehen, in der Tat.« Sein Blick ruhte auf ihr. Der Mann betrachtete sie, als wolle er ihre Seele erforschen. Es war Alma unangenehm, und sie wandte sich vorsichtig ab.
»Soll alles eingepackt werden?« Sie griff nach dem rauen Papier, mit dem sie die fertige Kleidung für die Kundschaft für gewöhnlich einschlug.
»Sehen Sie, wie ich gesagt habe. Immer fleißig.« Der Vater drehte sich zu ihr um. »Keine Eile. Das kannst du nachher machen. Nun verabschiede dich von Herrn Stieglitz.«
Alma wusste nicht so genau, was von ihr erwartet wurde. Doch Stieglitz machte einen Schritt auf sie zu und ergriff ihre Hand.
»Dann sehen wir uns also am Sonntag. Ich freue mich schon darauf, Ihre Kochkünste bewundern zu dürfen.« Charmant hob er ihre Hand an seinen Mund und hauchte ihr galant einen Kuss darauf. Er nickte Leopold Hinrichs noch ein letztes Mal zu, und ohne seine neue Kleidung mitzunehmen, drehte er sich um und trat auf die Straße. Der Platzregen hatte aufgehört, den Staub fortgespült und ein matt glänzendes Pflaster hinterlassen. Mit energischen Schritten entfernte Hermann Stieglitz sich.
Ein Zug frischer Luft erfasste Alma. Aber sie merkte es nicht einmal. Fassungslos sah sie ihren Vater an. Was bedeutet das schon wieder? Der fremde Mann kam zum Essen? Am heiligen Sonntag?
* * *
Das Abendessen verlief ungewohnt schweigsam. Die jüngeren Geschwister hatten schon mitbekommen, dass es Streit gab, und Käthe musste auf dem Zimmer bleiben. Tante Heidi hatte ihr einen Teller mit Brot und Butter und einen Becher Milch hochgebracht, nachdem sie den Vater schließlich doch überzeugen hatte, dass Käthe etwas essen musste.
Schweigend saßen sie am Küchentisch, bis der Vater fertig war. Er blickte Alma mit einem forschenden Blick an, stand auf und tätschelte ihr Haar, als wolle er ein kleines Kind trösten.
Gerade als Alma zu hoffen begann, dass der Spuk der letzten Stunden endlich ein Ende hatte und sie zu ihrem gewohnten Leben zurückkehren konnte, sagte ihr Vater mit bedauernder Stimme: »Hermann Stieglitz wird dir sicher ein guter Ehemann sein.«
Almas Herz verkrampfte sich. Sie rang nach Luft. »Ich soll ihn heiraten?« Schnell griff sie nach seiner Hand, was ihre Verzweiflung nur unterstrich. »Vater, ich kenne den Mann doch gar nicht.«
Er riss sich los. Plötzlich klang er böse. »Du undankbares Ding. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich warte, bis du auch mit einem Bastard nach Hause kommst. Je schneller ich dich verheiratet habe, umso besser.«
»Käthe ist in Umständen?!« Es traf sie wie ein Keulenschlag.
»Ja, deine Schwester ist …« Erzürnt blickte er erst zu Alma, dann auf seine jüngeren Kinder. Das eine Wort würde ihm nicht über die Lippen kommen. »… und zwar von deinem Hannes!« Auf dem Weg hinaus drehte er sich noch einmal um. »Du wirst diesen Hermann Stieglitz heiraten, wenn er dich will. Und dafür bete ich zu Gott. Und du solltest es auch tun. Er ist nämlich eine ausnehmend gute Partie.« Die Küchentür fiel laut hinter ihm zu.
Alma fühlte sich, als hätte ihr jemand Eiswasser über den Kopf gekippt. Käthe war schwanger. Von Hannes. Und sie sollte einen fremden Mann heiraten. Alle am Tisch starrten sie an.
Niemand sagte etwas, bis Fritz anfing, mit den Beinen zu zappeln und unschuldig fragte: »Was ist Umstände?«
In ungewohnt scharfem Ton herrschte die Tante ihn an: »Sei still. Ich will dieses Wort nicht mehr hören. Nicht in diesem Haus und auch sonst nirgendwo. Ihr sprecht mit niemandem darüber, haben wir uns verstanden? Mit niemandem, bis Käthe verheiratet ist. Wehe euch, wenn ihr einen Ton sagt.« Böse blickte sie Alma an. »Du hättest es gar nicht aussprechen dürfen.«
Mathilde nahm Fritz bei der Hand und stand auf. »Komm Fritzchen, ich bring dich ins Bett. Es ist Zeit.«
Nur Alma blieb mit ihrer Tante sitzen. Sie schaffte es noch immer nicht, sich zu bewegen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, und die Knöchel traten weiß hervor. In ihre Wut mischten sich Angst und Verzweiflung, die sie erstarren ließen. Tante Heidi legte eine Hand auf ihren Arm.
»Es ist gut so, glaub mir. Es ist das Beste, wenn Käthe Hannes heiratet.«
Alma riss ihren Arm weg. »Wie kannst du so etwas sagen? Wieso kriegt Käthe meinen Hannes? Wieso?«
»Glaub mir, es ist besser so. Du wirst es verstehen … wenn du älter bist. Überleg doch mal. Sie bekommt … ein Kind. Stell dir vor, Hannes würde sie nicht heiraten.«
»Aber er will doch mich heiraten!« Adelheid Quanz stand abrupt auf. »Bist du so einfältig oder willst du nicht verstehen? Käthe muss heiraten!«
»Ja, aber nicht meinen Verlobten. Soll sie doch diesen fremden Mann heiraten. Ich will ihn nicht. Und ich habe nichts falsch gemacht.«
»Es ist Gottes Wille.«
»Nein, es ist Vaters Wille. Sieht er denn nicht, wie ungerecht es ist?«
»Hör jetzt auf! Wenn dein Vater kommt, will ich diesen Unsinn nicht mehr hören. Dieser Mann … dieser Stieglitz scheint eine noch bessere Partie zu sein als Hannes. Also beklag dich nicht.«
»Aber er liebt mich doch. Hannes liebt mich doch!«
»Anscheinend nicht genug. Sonst hätte er kaum deine Schwester …« Sie wagte nicht auszusprechen, was beide sich nicht einmal vorstellen wollten. Mit einem verbitterten Gesichtsausdruck blickte Tante Heidi zu ihr.
Alma verstand sie nicht. Sie verstand überhaupt niemanden mehr hier in diesem Haus. Aber vielleicht stimmte es gar nicht. Möglicherweise war es gelogen. Bestimmt hatte sich ihre Schwester in irgendjemanden verguckt, sich unanständig benommen, und wie es ihre Art war, wollte sie wie immer, dass Alma für ihre Vergehen bestraft wurde. Hannes würde sich nie mit Käthe einlassen. Er konnte sie ja nicht einmal leiden, das hatte er selbst einmal gesagt. Sie brauchte dem Vater nur zu erklären, dass Käthe gelogen hatte. Es würde ohnehin rauskommen, sobald Hannes sich dazu äußerte.
Abrupt ließ Alma ihre Tante stehen und stürmte wütend die Stiege hoch. Sie riss die Tür zu der kleinen Dachstube auf. Käthe saß mit einem feuchten Tuch in den Händen auf dem Bettrand. Sie hatte noch immer gerötete Augen, aber das interessierte Alma nicht. Mit einem lauten Klatschen schlug sie Käthe ins Gesicht.
»Du schändliche Lügnerin!« Doch im gleichen Moment riss sie ihre Hand erschrocken zurück. Noch nie hatte sie jemanden geschlagen, und sie war genauso verblüfft über sich wie ihre Schwester.
Käthe starrte sie an. Ihre Wange färbte sich feuerrot. Almas Handabdruck war genau zu erkennen. Aber statt sich zu wehren oder zu schreien, blitzte in ihren Augen Genugtuung auf.
»Tja, das hättest du wohl nicht gedacht, dass sich Hannes an mich ranmacht.«
»Du bist vielleicht in anderen Umständen, aber sicher nicht von Hannes. Und je schneller du deine Lüge zugibst, desto besser.«
»Du glaubst tatsächlich, dass Hannes mich nicht anrühren würde? Pah!« Herausfordernd grinste sie Alma an und stand auf. »Ja, ich bekomme ein Kind, und zwar von deinem Hannes!«
Alma blickte ihr weiter ungläubig ins Gesicht. »Du glaubst mir nicht? Was denkst du, wo unser Vater am Nachmittag war? Bei Hannes' Vater natürlich, beim alten Engels! Er hat mit ihm über die Hochzeit gesprochen. Glaubst du etwa, wenn ich gelogen hätte, hätte er mich nicht schon windelweich geprügelt? Hannes wird mich heiraten. So ist es abgemacht.« Käthe klang schadenfroh.
Almas Empörung wankte. Käthe schien so sicher. Und eins stimmte: Wenn ihr Vater dem alten Engels eine Lüge aufgetischt hätte – und sicher hatte der Hannes sofort befragt – dann wäre Käthe jetzt längst überall grün und blau. Trotzdem, es konnte einfach nicht wahr sein.
»Hannes hätte sich niemals mit dir …« Sie erstarrte, als sie erkennen musste, das Käthe nicht log. »Und du? Wie konntest du dich mit ihm einlassen? Mit meinem Verlobten. … Wie konntest du dich von ihm …« Ihre Stimme stockte. Ihre eigene Schwester hatte sich von ihrem Verlobten schwängern lassen. Unwillkürlich musste Alma an Hannes' heiße Küsse denken, an seine Hand, die versuchte, sich heimlich unter ihren Rock zu stehlen. Und sie widerstand jedes Mal, auch wenn es ihr immer schwerer fiel. War sie etwa selber schuld, dass Hannes sich sein Vergnügen bei einer anderen gesucht hatte? Aber ausgerechnet bei Käthe?
Auch wenn sie Zwillingsschwestern waren, konnten sie unterschiedlicher nicht sein. Alma war hochgewachsen, hatte lange braune Haare und ein liebliches Gesicht. Käthe dagegen war kräftig gebaut, hatte eine kurze, runde Nase und fleischige Wangen. Nur ihre flachsblonden Haare wirkten anziehend auf Männer. Einzig die blauen Augen mit den langen Wimpern, die sie beide von ihrer Mutter mit auf den Lebensweg bekommen hatten, waren der Beweis, dass sie tatsächlich Schwestern waren. Und obwohl Käthe öfter etwas anstellte und weder so geschickt noch so fleißig wie Alma war, wurde die Schwester meist bevorzugt. In der Gunst der Männer jedoch stand Alma weit über ihr, was Käthe seit einigen Jahren zu viel Boshaftigkeit und Tücke verleitete. Doch dass sie so weit gehen würde, machte Alma sprachlos. Nur mit Mühe brachte sie die nächsten Worte hervor.
»Und er … er will dich heiraten?« In einem halben Jahr, kurz nach ihrem zwanzigsten Geburtstag, wollte Hannes den Vater um ihre Hand bitten. So hatte er es versprochen. Hannes war ein staatse Kääl, wie Tante Heidi sich immer ausdrückte, ein stattlicher Mann, und sicher gab er einen guten Ehemann ab. Er hatte Arbeit in der Stellmacherei seines Vaters, war ordentlich erzogen, sogar zehn Jahre zur Schule gegangen und nie in Prügeleien verwickelt. Außerdem konnte er gut küssen. Das hatte er ihr schon ein paar Mal bewiesen, auch wenn Alma ihn immer wieder in die Schranken weisen musste. Aber so war das wahrscheinlich bei jungen Männern, wenn sie verliebt waren. Sie konnten sich nicht gedulden. Hatte er sich deshalb diesen Fehltritt geleistet?
»Natürlich will er mich heiraten!« Käthe ging zur Waschschüssel und hielt beide Hände ins kalte Wasser. »Was hast du denn gedacht? Vater hat alles mit dem alten Engels besprochen. Ich werde die Ehefrau vom Sohn des besten Stellmachers der Stadt. Glaubst du etwa, ich bin dumm? Ich weiß genauso gut wie du, dass er den Betrieb in wenigen Jahren erbt.« Sie lächelte boshaft. »Und jetzt, mit meinem Kind, werde ich auch nicht mehr lange in der Nähstube helfen können.«
»Und liebst du ihn?« Die Worte kamen Alma kaum über die Lippen.
»Liebe? …« Käthe drehte ihr Gesicht weg. »Natürlich liebe ich ihn.«
Bestürzt hielt Alma inne. Alles drehte sich. Ihre Zwillingsschwester hätte jeden Mann genommen, wenn sie ihn nur Alma entreißen konnte. Und allein wegen Käthes kindlicher Eifersucht sollte sie nun einen fremden Mann heiraten.
Wie gelähmt verließ sie das Zimmer. Mathilde kam die Treppe hoch. Nebenan sah Alma durch die geöffnete Tür. Fritz lag schon im Bett. Mit einem kleinen Zinnsoldaten fuhr der Siebenjährige durch die Luft und machte merkwürdige Geräusche.
»Was ist denn eigentlich los?«, flüsterte Mathilde verschwörerisch. »Wer ist Hermann Stieglitz? Tante sagt, er kommt am Sonntag zum Essen.«
»Er ist vielleicht mein zukünftiger Ehemann.«
Mathilde schreckte zusammen. »Und Hannes?«
»Er wird Käthe heiraten.« Selbst Fritz, der natürlich gelauscht hatte, hielt nun inne. Mathilde sagte nichts, aber fasste Almas Hand. Sie war schon so klug für ihr Alter. Klug genug, um zu wissen, dass das Wort des Vaters unumstößlich war.
»Möchtest du in meinem Bett schlafen? Ich kann ja zu Käthe gehen.«
Die Tränen schossen Alma in die Augen. Der erste Mensch, der ihre Misere bedauerte, war ausgerechnet ihre kleine vernünftige Schwester. Fritz hatte sich aufgesetzt und starrte die beiden neugierig an.
»Das ist so lieb von dir.« Sie drehte sich zu dem Kleinen und versuchte, tapfer zu lächeln. »Darf ich denn bei dir in der Kammer schlafen?«
Das Gesicht des Siebenjährigen erhellte sich. »Liest du mir dann auch Geschichten vor?«
»Heute bitte nicht, aber ab morgen jeden Tag, bis ich …« Sie brach in Tränen aus. Mathilde, die ihr erst bis zu den Schultern ging, umarmte sie und wiegte sie in ihren kindlichen Armen, bis Alma sich endlich wieder fasste.
»Wirst du wenigstens weiter hier in der Nähe wohnen, wenn du geheiratet hast?«
Alma schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Alma kramte in ihrem Beutel nach den Münzen und reichte das Geld über die Theke. Das Pferdefleisch, das bereits einige Tage in der Beize gelegen hatte, war schwer. Der Metzger reichte ihr das in dickem Papier eingeschlagene Bratenstück. Alma verstaute es in einem ihrer Körbe. Es musste für sieben Personen reichen. Das Essen solle etwas hermachen, hatte Vater gesagt, wenn Hermann Stieglitz auf Brautschau vorbeikomme.
Tante Heidi hatte das Fleisch direkt am nächsten Tag bestellt, und nachdem Alma sich für ein paar Tage nur im Haus aufgehalten hatte, durfte sie heute wenigstens einkaufen gehen. Sie hatte bereits Kartoffeln und Mairübchen in ihrem Korb.
Vor der Metzgerei blieb sie für einen Moment auf dem Pflaster stehen. Die Sonne schien wieder, und es war bestes Kaiserwetter. Ihr Vater und auch Tante Heidi hatte ihr wiederholt klargemacht, dass sie unter keinen Umständen zu Hannes gehen durfte. Die Stellmacherei lag nur wenige Straßen von hier entfernt. Alma zögerte. Die Neugierde zu erfahren, was vorgefallen war, und die große Enttäuschung brannten ihr auf der Seele. Aber neben den Ermahnungen hatte sie noch einen weiteren Grund, ihre Schritte nicht in Richtung der großen Werkstatt zu lenken. Sie war sich mittlerweile sicher, dass Käthe von Hannes schwanger war. Wie es dazu gekommen war, blieb ein Geheimnis, aber allein dass Hannes sich ihrer Schwester zugewandt hatte, sprach gegen ihn.
Wie sollte sie ihm jemals wieder begegnen? Überhaupt, was gab es jetzt noch zu klären? Es war zu spät. In ihrem Korb lagen die Zutaten für das erste Essen, das sie für ihren zukünftigen Mann zubereiten würde. Sie gab sich einen Ruck und warf einen letzten Blick zum Ende der Gasse. Dann ging sie mit zügigen Schritten zur Hauptstraße des Viertels.
Als sie um die Ecke kam, blieb sie abrupt stehen. Fast wäre sie mit jemandem zusammengestoßen. Der Mann drehte sich um und Alma wurde bleich. Sie hatte beinahe den alten Engels umgerannt. Auch wenn das gar nicht möglich war, denn Hannes' Vater war von imposanter Gestalt. Er hatte Hände wie Schaufeln. Sein Körper war muskulös und sein Gesicht gesprenkelt von den vielen kleinen Brandnarben, die er sich beim Schmieden der Eisen zugezogen hatte. Alma spürte einen Stich. So würde Hannes auch einmal aussehen. Er war genauso groß wie sein Vater und hatte breite gestählte Schultern. Nur die Narben im Gesicht fehlten, und er hatte noch volles Haar.
Der alte Engels stand neben einer Pferdedroschke und hielt das Pferd am Zaum fest. Auch er erkannte sie, und nachdem sich seine Lippen erst zu einem kleinen Lächeln verzogen hatten, trat nun ein bedauernder Ausdruck auf sein Gesicht.
»Fräulein Alma.« Es klang fast wie eine Frage. »Guten Tag, Herr Engels.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Bis vor wenigen Tagen hatte sie noch gedacht, dieser manchmal etwas brummige Hüne würde ihr Schwiegervater werden. Sie wusste, dass er sie mochte. Das hatte Hannes ihr verraten. Doch jetzt verflog der Stolz über seine Sympathie.
»Ich muss einkaufen.« Sie klang, als würde sie sich dafür entschuldigen, dass sie hier mitten am Tag auf der Straße herumlief.
Sein Blick fiel auf das große Stück Fleisch in ihrem Korb, aber er sagte nichts.
»Wir bekommen am Sonntag Besuch«, beeilte sie sich zu erklären. »Ich mache Sauerbraten.« Hoffentlich fragt er nicht, wer zu Besuch kommt, dachte sie, und sie fühlte, wie ihr bei dem Gedanken, ihrem früheren Schwiegervater von einem möglichen neuen Ehemann erzählen zu müssen, das Blut ins Gesicht schoss.
Der alte Engels hob den Blick. Für einen Moment ruhten seine Augen auf ihr.
»Ich hoffe, deine Schwester kann wenigstens gut kochen.«
Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Es war also beschlossene Sache. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie merkte, wie ihre Unterlippe anfing zu zittern. Schnell senkte sie den Kopf.
»Ja, meine Schwester kann auch kochen. Ich … ich muss jetzt nach Hause«, murmelte sie und stand schon mit einem Fuß auf der Straße, als sie seine schwere Hand auf ihrem Arm spürte. Er riss sie zurück, dass sie fast auf das Trottoir fiel. Im gleichen Moment fuhr ein Wagen hupend an ihnen vorbei.
»Verdammt, diese stinkenden Kraftdroschken bringen einen noch um.«
Alma starrte dem Gefährt hinterher. Beinahe wäre sie unter die Räder des stählernen Ungetüms geraten.
»Danke«, flüsterte sie. Dann richtete sie sich auf. »Mein Vater ärgert sich auch immer über diese Dinger. Er sagt, es sei nur eine Modeerscheinung.«
»Wollen wir's hoffen«, antwortete der alte Engels stirnrunzelnd. »Es ist schon das dritte Automobil, das ich heute gesehen habe. Und die Fabrik vom Horch stellt schon wieder neue Leute ein, hab ich gehört.« Als fiele ihm erst jetzt auf, dass er mit einer Frau sprach, fügte er hinzu: »Na, macht ja nichts, Kindchen. Ist ja nochmal gut gegangen. Aber pass in Zukunft auf dich auf.« Erst jetzt ließ er sie los.
In Almas Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet. Es drängte sie so sehr, endlich zu erfahren, wie diese Verbindung von Hannes und Käthe zustande gekommen war. Ihre Schwester würde ihr sowieso nur Lügen auftischen. Und obwohl ihr Drang nach der Wahrheit so groß war, war es ausgeschlossen, den alten Engels zu fragen.
»Sagen Sie bitte … Sagen Sie Hannes einen Gruß von mir.« Alma drehte sich schnell um und ging. Es war, als hätte ihr erst die Begegnung mit Hannes' Vater klargemacht, dass etwas in ihrem Leben unwiderruflich zu Ende gegangen war. Ihre Knie zitterten, als sie in ihre Straße einbog. Die katastrophalen Ereignisse zu Hause waren ihr bisher unwirklich vorgekommen. Aber Hannes' Vater hatte ihr bestätigt, was sie nicht hatte glauben wollen. Käthe würde den Mann heiraten, mit dem sie verlobt gewesen war, und in ihrem Korb lag das Essen für ihren Zukünftigen. Plötzlich fühlte sie sich verloren, als wäre sie aus der Welt gefallen.
* * *
»Nicht so fest. Du bringst mich ja um!«
»Aber du sollst doch schön aussehen.« Mathilde hielt inne.
»Es ist doch völlig egal, wie ich aussehe. Wenn Vater es so will, muss ich diesen Mann auf jeden Fall heiraten.« Alma versuchte, tief Luft zu holen. »Mach es wieder etwas lockerer. Es sieht noch viel blöder aus, wenn ich am Tisch die ganze Zeit nach Luft schnappe.«
Sie hasste es, ein Korsett zu tragen, aber zu bestimmten Anlässen ließ es sich nicht vermeiden. Tante Heidi hatte eigenhändig ihr gutes Kleid aufgebügelt, während Alma seit den frühen Morgenstunden schon in der Küche gestanden hatte. Die Familie war bereits gestern Abend zur Messe gegangen, was dem Vater nur recht war, weil Alma dann nicht in der Kirche auf Hannes traf. Aber sie brauchte ohnehin den ganzen Vormittag, um den Braten und alles andere rechtzeitig vorzubereiten. Jetzt war alles fertig, und ihr blieb noch eine halbe Stunde, um sich zurechtzumachen. Tante Heidi stand in der Küche und musste nur noch die Kartoffelklöße ins Wasser geben. Und Käthe musste heute servieren. Da kannte Vater keine Rücksicht, auch wenn ihre Hände immer noch weh taten.
Pünktlich fuhr eine Kutsche vor, und Alma hörte, wie der Vater mit dem Besuch sprach. Leise vernahm sie die Stimme der Tante, die mit ihrem kleinen Bruder schimpfte. Fritzchen war laut die Stiege heruntergepoltert, obwohl er herausgeputzt worden war und seinen neuen Matrosenanzug trug. Alle mussten sich schick anziehen, und die Kinder waren nach dem Frühstück ermahnt worden, sich heute nur von ihrer besten Seite zu zeigen. Mathilde stand ihr in der Schlafstube zur Seite. Beide warteten, bis sie den Vater rufen hörten.
Ihre kleine Schwester umarmte sie, als nähmen sie voneinander Abschied. Unsicher schritt Alma die Treppe hinab. Da stand er, Hermann Stieglitz – der Mann, mit dem sie nach dem Willen ihres Vaters den Rest ihres Lebens verbringen sollte. Vor ein paar Tagen hatte sie ihn sich nicht richtig angeschaut. Zu sehr war sie in Gedanken gewesen. Jetzt merkte sie, dass er sie ebenso begutachtete.
Anscheinend hatte auch er sich herausgeputzt. Er trug einen Anzug aus feiner Wolle, nicht zu elegant, aber da Alma sich mit Stoffen auskannte, wusste sie, dass der Anzug nicht ganz billig gewesen war. Seinen Kaiser-Wilhelm-Schnauzbart hatte er mit Pomade in Form gebracht. Als Alma jetzt das Gesicht näher betrachtete, dachte sie, dass er um einige Jahre älter als sie sein musste. Er war sicherlich schon über dreißig. Das richtige Heiratsalter für Junggesellen, sagte Tante Heidi immer. Da haben die Männer schon etwas geschafft und nicht mehr so viele Flausen im Kopf. Alma stellte bedauernd fest, dass Adelheid Quanz offensichtlich recht mit ihrer Meinung behalten hatte.
»Guten Tag.« Sie blieb stehen und wollte einen Knicks machen, aber Hermann Stieglitz hielt ihr die Hand hin. Zögernd griff sie danach, und er führte ihre Hand an den Mund.
»Entzückend. Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet. Sie sind noch viel schöner, als ich Sie in Erinnerung hatte.« Seine Augen blitzten auf.
Alma errötete. Stieglitz war zuvorkommend. Hannes hatte noch nie ihre Hand geküsst.
»Und das ist meine jüngste Tochter Mathilde«, sagte der Vater stolz.
Mathilde blieb im Hintergrund und machte einen leichten Knicks.
»Lassen Sie uns doch in das Esszimmer gehen. Da s Essen ist fertig.« Der Vater ging voran und hielt Herrn Stieglitz die Tür auf. Wie immer setzte Vater sich im kleinen Salon ans Tischende, Hermann Stieglitz nahm am anderen Ende Platz. Tante Heidi hatte ihren Stammplatz für ihn geräumt.
»Nein, Alma, du setzt dich natürlich zu Herrn Stieglitz.« Tante Heidi schob sie auf den Platz, auf dem normalerweise Mathilde saß. Sie lächelte entschuldigend und drückte Alma auf den Stuhl. »Ich geh und helfe Käthe.«
»Darf ich Ihnen etwas Wein einschenken?« Alma hatte sich wieder gefasst. Sie war es nicht gewohnt, bedient zu werden. Normalerweise war das Auftischen ihre Aufgabe.
»Gerne.« Hermann Stieglitz lächelte gelassen. Anscheinend war er mit der Wahl seiner Zukünftigen vollkommen zufrieden.
Tante Heidi hielt die Tür auf, und Käthe kam mit einer Suppenterrine herein. Unsanft stellte sie das gute Porzellan auf den Tisch. Sie war ganz und gar nicht zufrieden mit ihrer Rolle. Leopold Hinrichs ließ seine Tochter spüren, dass sie in Ungnade gefallen war. Seine Stimme bekam einen warnenden Unterton.
»Herr Stieglitz, das ist unsere andere ältere Tochter, Katharina.«
Käthe nickte knapp und setzte sich auf ihren Platz.
Stieglitz' Blick wanderte von Alma zu Käthe und zurück. »So, und wer von beiden ist die Ältere?«
Für einen Moment entstand eine unangenehme Pause, dann sagte Leopold Hinrichs: »Alma. Alma ist die Ältere.«
»Sie ist zehn Minuten älter als Käthe.« Der Vater warf Fritz einen bösen Blick zu und schaute dann tadelnd zu Tante Heidi, als wäre es ihre Schuld, dass der Junge unaufgefordert sprach. Barsch rückte die Tante den Stuhl des Jungen an den Tisch und legte ermahnend den Finger auf seine Lippen.
»Kinder am Tisch, stumm wie ein Fisch.« Dann setzte auch sie sich.
Hermann Stieglitz begriff schnell. »Ah, Zwillinge.« Verblüfft musterte er Alma und Käthe. »Man sollte gar nicht meinen …«
»Sie sehen sich nicht sehr ähnlich, ja, ich weiß, das ist sehr selten. Alma ist also so etwas wie eine Rarität. Käthe, würdest du bitte die Suppe verteilen?«, beeilte sich der Vater zu sagen.
Käthe stand wieder auf. Sie hatte die Warnung verstanden. So schnell würde sie den Einsatz des Rohrstocks nicht mehr herausfordern.
Alma spürte, wie ihr flau wurde. Das Korsett saß immer noch sehr eng, und plötzlich kam es ihr im Zimmer sehr stickig vor. Trotzdem fragte sie höflich:
»Schmeckt Ihnen der Wein?« Sie wusste, was von ihr erwartet wurde.
»Vorzüglich. Kennen Sie sich mit Wein aus?«
»Nein, gar nicht.« Es klang, als hätte ihr jemand eine alberne Frage gestellt. Wie sollte sie sich mit Wein auskennen? Aber sie wollte nicht unhöflich wirken, deshalb fügte sie erklärend hinzu: »Ich trinke selten Wein.«
»Das ist angenehm. Ich finde, Frauen sollten sich beim Trinken mäßigen. Nicht wahr, Herr Hinrichs? Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«
»Absolut. Ich sehe, Sie haben sehr vernünftige Ansichten.«
»Ich hab' letztens in einem Salon ein Frauenzimmer gesehen, das ganz ungeniert geraucht hat. Das scheint ja immer mehr in Mode zu kommen. Was halten Sie davon?«
Irritiert schaute Alma auf. Hatte er etwa sie gefragt? Aber der Vater antwortet bereits.
»Unerhört. Völlig undenkbar. Wenn meine Töchter sich so etwas erlauben würden, würde ich ihnen die Seele aus dem Leib prügeln.«
Alma riskierte einen kurzen Blick zu Käthe. Sie hatte einmal auf einer Feier bei einem Nachbarsjungen an der Zigarette gezogen. Aber daran dachte Käthe wahrscheinlich gerade nicht. Sie löffelte ihre Suppe und warf dem Gast abschätzende Blicke zu. Anscheinend missfiel er ihr. Oder ihre säuerliche Miene war dem Umstand zuzuschreiben, dass der augenscheinlich wohlsituierte Mann wegen Alma hier war. Das wäre mal wieder typisch Käthe, dachte Alma bitter. Kaum hatte sie ihr eine gute Partie abspenstig gemacht, genügte ihr das nicht mehr. Sie war wütend auf Käthe, und das aus gutem Grund. Sie durfte sich ruhig einige gemeine Gedanken über ihre Schwester erlauben. Seit sie Käthe geohrfeigt hatte, hatte sie kaum noch ein Wort mit ihr gesprochen. Und sie wusste, es wurmte Käthe immens, dass sie dieses Mal nicht petzen gehen konnte. Als Käthe den Rohrstock zu spüren bekommen hatte, war sie auch in der Gunst ihres Vaters gesunken. Und Tante Heidi richtete ihr Verhalten immer nach ihm aus.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?« Es war eine kleine Pause entstanden, und Alma versuchte, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Außerdem betraf sie die Antwort unmittelbar. Sie hoffte sehr, dass sie nach der Hochzeit nicht allzu weit wegziehen würden.
Hermann Stieglitz lehnte sich zurück und legte seinen Löffel hin. Sein Teller war noch nicht einmal halbleer, aber plötzlich schaute er Alma eindringlich an.
»Im Moment wohne ich ganz in der Nähe des Barbarossaplatzes.«
Alma lächelte zurückhaltend. Der Barbarossaplatz war nicht weit weg. Das war ein netter Spaziergang. »Wie angenehm. Eine gute Wohngegend.«
»Ja, aber schon bald werde ich umziehen müssen.«
Alma wurde rot. Wahrscheinlich hatte er nur eine kleine Wohnung gemietet, oder er war wie so viele Junggesellen Kostgänger bei einer Witwe. Wollte er mit dem Umzug etwa hier am Tisch auf die Hochzeit anspielen? Oder etwa darauf, dass für Kinder kein Platz vorhanden war? Sie hatte ihren Vater natürlich nicht gefragt und wusste nicht, wie weit die beiden die Hochzeitspläne bereits besprochen hatten. Hatte Hermann Stieglitz schon offiziell bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten? Das hätte er ihr doch sicher gesagt. Andererseits war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, über die Köpfe seiner Kinder hinweg zu entscheiden. Aber vielleicht sollten beim Sonntagsessen erst noch Almas Qualitäten als Ehefrau geprüft werden. Möglicherweise war noch nichts entschieden.
»Ich werde Köln verlassen müssen.«
Der Vater und Tante Heidi schauten überrascht auf. Mathilde warf Alma einen schmerzlichen Blick zu.
Leopold Hinrichs räusperte sich. »Wohin zieht es Sie denn?«, fragte er angespannt.
Auch er schien erstaunt. Dann war die Vermählung doch noch nicht abgesprochen. Für einen Moment schöpfte Alma Mut. Vielleicht hatte Hermann Stieglitz seine Absichten geändert. Vielleicht war ihm etwas dazwischengekommen und er musste seine Heiratspläne verschieben.
»Ich trete eine neue Stelle an, als Faktor für eine Handelsfirma.« Er drehte sich zu Alma und fügte bedeutungsvoll hinzu: »Ich werde in den Kolonien eine der größten deutschen Handelsfirmen vertreten.« Stolz strahlte er über das ganze Gesicht.
Alles Blut wich aus Almas Kopf. Sie merkte nicht einmal, dass Mathilde unter dem Tisch nach ihrer Hand fasste. Noch immer starrte sie Hermann Stieglitz an, der auf eine Reaktion von ihr wartete. Doch sie brachte keinen Ton heraus.
»Waren Sie schon mal im Ausland, Fräulein Alma?« Er schien begeistert zu sein, als hätte er gerade eine besonders gute Nachricht verkündet.
Alma rührte sich nicht. Die Kolonien! Afrika. Wilde Tiere, noch wildere Menschen.
Der Vater schien sich als Erster gefasst zu haben. »Unsere Mädchen sind nie weiter als zwanzig Kilometer den Rhein rauf- oder runtergefahren.«
Tante Heidi fragte mit spitzer Stimme: »Sie müssen in die Kolonien? Zu den Mohren?«
* * *
Alma schwieg, während sie weiteraßen. Nachdem Käthe die Suppenteller abgeräumt hatte, legte Mathilde ihr ein Stück vom rheinischen Sauerbraten auf den Teller. Alma bekam kaum mit, dass ihr Vater und Hermann Stieglitz sich über die Weltpolitik und die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonien für das Reich unterhielten. Mit leerem Blick schob sie das Fleisch und den Kloß auf ihrem Teller hin und her, ohne einen Bissen davon zu nehmen. Am liebsten wäre sie davongelaufen.
Auf der anderen Tischseite rutschte Käthe unruhig auf ihrem Stuhl herum. Sicher schwankte sie zwischen Schadenfreude und Neid. Wieder bekam Alma etwas, was ihr nie zugestanden werden würde. Alma würde ins Ausland reisen, übers Meer fahren und exotische Tiere sehen. Andererseits kannte Käthe ihre Schwester gut genug, um zu wissen, dass Alma beträchtliche Angst hatte. Mathilde blieb stumm, und Tante Heidi beschränkte ihre Konversation auf einige wenige Höflichkeitsfloskeln. Auch sie schien diese Nachricht sehr getroffen zu haben.
Noch hatte Alma einen letzten Rest Hoffnung, dass der Vater nicht zustimmen würde. Seine Tochter mit einem fast völlig fremden Mann zu verheiraten, war eine Sache. Aber wenn dieser sie mit sich in ein fremdes Land nahm, Tausende Kilometer von Köln entfernt, dann musste der Vater seine Entscheidung doch wohl überdenken.
Nach dem Essen verabschiedeten sich die Frauen und gingen in die Küche. Hermann Stieglitz stand auf und zog Almas Stuhl galant nach hinten, sodass sie aufstehen konnte. Dann nahm er wieder ihre Hand und lobte das herausragende Essen. Jeder Mann könne sich mit solch einer guten Köchin glücklich schätzen, sagte er bedeutungsvoll. Dann zogen die beiden Männer sich in die gute Stube zurück, um zu rauchen.
Alma stand in der Küche am Fenster und schaute hinaus. Nur wenige Meter von ihr entfernt wurde über ihr Leben verhandelt. Sie war überzeugt, dass Hermann Stieglitz gerade um ihre Hand anhielt, und der Vater lediglich prüfte, ob das Los sie nicht allzu schwer treffen würde. Aber angesichts der hohen Stellung, die Hermann Stieglitz einnehmen würde, sprach kaum etwas gegen ihn. Er hatte tadellose Manieren, hatte studiert und war völlig von Almas Schönheit eingenommen. Das reichte ihrem Vater, um sie jedem beliebigen Fremden zu versprechen. Als könnte er mich nicht schnell genug loswerden, dachte Alma bitter. Sie hatte nichts Schlimmes getan. Warum schloss er sie so leichten Herzens aus der Familie aus? Sie war hilflos und wütend zugleich. Schon immer lag dieser Schatten auf ihr. Alma wusste, dass ihr Vater sie von allen Kindern am wenigsten liebte. Auch schon zu Lebzeiten der Mutter. Aber jetzt ging es nicht darum, dass sie ungerecht behandelt wurde, sondern ihr ganzes Leben stand auf dem Spiel!
»Hilf mit spülen!«, raunzte Käthe sie an. Doch Tante Heidi sprang energisch dazwischen.
»Du spülst heute alleine, Käthe. Daran kannst du dich schon mal gewöhnen. Und du, Mathilde, gehst mit Fritz aufs Zimmer!«
Dann legte sie ihre knochigen Arme um ihre Nichte. Alma konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Tante sie jemals umarmt hatte.
»Alma, ich …« Ihre Stimme stockte. Sie lockerte ihren Griff. »Mach dir keine Sorgen. Dieser Hermann Stieglitz scheint ein ordentlicher Mensch zu sein. Er hat Manieren. Und eine gute Stellung. Wenn du nach ein paar Jahren wiederkommst, wird es dir besser gehen als uns.«
Alma drehte sich um und fiel ihr schluchzend in die Arme.
»Er bringt mich weit weg von hier. Zu den Wilden.«
Tante Heidi streichelte ihr Haar. »Ich weiß. Das wird hart. Ganz alleine. Ich weiß.« Mit einem Mal schob sie Alma von sich, schniefte in ihr Taschentuch und griff zu einem Tablett. »Ich bringe den Männern ihren Kaffee.«
Alma drehte sich wieder zum Fenster. Sie wusste, dass Käthe sie jetzt, da sie alleine waren, nur allzu gerne herumkommandiert hätte. So brachte die Katastrophe, die gerade über sie hereinbrach, immerhin etwas Gutes mit sich: ihre Stellung gegenüber Käthe hatte sich grundlegend verbessert. Trotzdem wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass alles wieder so wäre wie vorher. Dass sie mit einem Fremden verheiratet werden sollte, machte ihr weniger Angst als die Aussicht, ans andere Ende der Welt verschleppt zu werden.
Die Kolonien, das hieß Afrika, Neger, Menschen mit einer so dunklen Hautfarbe, dass man sie in der Nacht nicht bemerkte, wenn sie kamen, um die Weißen in ihren Betten umzubringen. Letztes Jahr, als sie im Zoo eine Gruppe Eingeborener bei einer Völkerschau gesehen hatte, war es ihr eiskalt über den Rücken gelaufen. Die Afrikaner sahen wild aus, waren kaum ausreichend bekleidet. Die schwarzen Menschen hatten äußerst befremdliche Sitten und sprachen in einer Sprache miteinander, die sie sicher niemals verstehen, geschweige denn sprechen würde.
Und dann das Land – es war genauso wild und gefährlich wie die Menschen. In den Betten fand man Schlangen, Spinnen und Skorpione. Alma hatte von abartigen Krankheiten gehört, von riesigen Beulen, die einem am Körper wuchsen. Von Tieren, die sich unter die Haut bohrten und sich dort vermehrten. Würmer fraßen sich in die Beine und krochen aus den Augen wieder heraus. Ameisen verspeisten einen bei lebendigem Leib. Immer wiederkehrende Fieberkrämpfe. Und weit und breit weder ein Krankenhaus noch ein passabler Arzt.
»Alma, du sollst zu deinem Vater kommen.« Tante Heidi war zurück und legte ihr zärtlich die Hand auf den Arm. Diese Geste war so untypisch für sie, dass Alma das Schlimmste befürchtete.
Zaghaft klopfte sie an. Als sie eintrat, strahlten beide Männer sie an. Es kam ihr so unwirklich vor. Sie fühlte sich, als würde sie zum Schafott geführt.
»Fräulein Alma.« Hermann Stieglitz streckte ihr beide Hände entgegen.
Alma trat einen Schritt näher, doch Stieglitz musste nach ihren Händen greifen. Er küsste beide und ließ ihre linke Hand los. Die rechte hielt er fest und blickte ihr tief in die Augen. »Ich habe mit Ihrem Herrn Vater geredet, und wie Sie sicher schon ahnen, habe ich … Ich will … Ich möchte Sie bitten, meine Frau zu werden und mit mir in die deutsche Südsee zu kommen.«
Alma schluckte und blickte zu ihrem Vater, der ihr aufmunternd zunickte. Doch sie war sprachlos. Immerhin war die Südsee nicht Afrika, auch wenn sie diesen Teil der Welt nicht einzuordnen wusste.
»Ich bewundere Ihre Schönheit und Ihre Anmut. Sie können ausgesprochen gut kochen, und wie mir Ihr Herr Vater versicherte, sind Sie fleißig und folgsam. Ich könnte mir keine bessere Frau an meiner Seite wünschen, wenn ich zu diesem Abenteuer aufbreche.« Er blickte sie fordernd an. »Nun, was sagen Sie?«
Alma schwieg. Stieglitz lächelte unsicher, blickte fragend zu ihrem Vater und schaute dann wieder sie an.
»Nun sag doch was, Alma. Zier dich nicht.« Ihr Vater klang gereizt und zog ermahnend die Augenbrauen hoch.
Sie blickte in die warmen Augen von Hermann Stieglitz. Unvermittelt stieß sie hervor: »Gibt es dort Kannibalen?«
»So ein bodenloser Unsinn, Alma. Was soll das?«, entgegnete Leopold Hinrichs ungehalten.
»Na ja, Herr Hinrichs – so ganz Unrecht hat Alma nicht. Auf einigen Inseln der Südsee gibt es Menschenfresser, und auch Kopfjäger.« Er wandte sich wieder Alma zu. »Aber nicht auf Samoa, wo wir leben werden. Bitte sagen Sie Ja, Fräulein Alma, und machen Sie mich glücklich.«
Mit erschrockenen Augen schaute Alma Hermann Stieglitz an. Also doch Menschenfresser. Wie konnte ihr Vater sie nur weggeben?
* * *
Alma zog die