Der Glaube kommt vom Hören - Peter Knauer - E-Book

Der Glaube kommt vom Hören E-Book

Peter Knauer

4,9

Beschreibung

Fundamentaltheologie fragt: Worum geht es beim Glauben im Grunde. Und wie verhalten sich Vernunft und Glauben zueinander? Die christliche Botschaft beansprucht, "Wort Gottes" zu sein. Dieser Anspruch ist alles andere als von vornherein selbstverständlich. Zunächst ist zu fragen, wie man überhaupt von "Gott" reden kann, wenn die Botschaft selbst sagt, er falle gar nicht unter Begriffe. Und wie kann man ihm gar zuschreiben, dass er selber "spreche"? Gerade gegenüber solchen Fragen öffnet sich die christliche Botschaft und macht ihren Anspruch durch ihren Inhalt verständlich. Sie erläutert das Wort "Gott" durch den Hinweis auf die Geschöpflichkeit der Welt: Gott ist "ohne wen nichts ist". Mit Hilfe einer "relationalen Ontologie" lässt sich Geschöpflichkeit beweisen. Man begreift dabei von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Der Glaube selbst ist das Anteilhaben am Verhältnis Jesu zu Gott. Aufgrund seines Wortes vertraut man darauf, in die Liebe Gottes zu ihm, die unbedingt und ewig ist, aufgenommen zu sein. Im Vertrauen darauf steht man nicht mehr unter der Macht der Angst um sich selbst. Alle einzelnen Glaubensaussagen lassen sich darauf zurückführen. Die Kirche ist das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes, und dieser Glaube ist ein und derselbe für alle, die an Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben. Dieser Glaube kommt von der gehörten Botschaft und lässt sich nicht auf bloße Vernunft zurückführen. Es kann jedoch nichts geglaubt werden, was einer ihre Autonomie wahrenden Vernunft widerspricht. Vernunfteinwände gegen den Glauben sind auf dem Feld der Vernunft selbst zu entkräften. Vernunft ist notwendig, um sich vor Aberglauben zu schützen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1043

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

EINL

EITUNG: BEGRIFF, METHODE UND AUFBAU EINER ÖKUMENISCHEN FUNDAMENTALTHEOLOGIE

Zum Begriff

Zum Aufbau

Zur Methode

ERSTER HAUPTTEIL: DER INHALT DER CHRISTLICHEN BOTSCHAFT

Der Anspruch der christlichen Botschaft

Die Bedeutung des Wortes „Gott“

2.1 Der Begriff der „Geschöpflichkeit“

2.2 Aufweis der Geschöpflichkeit

2.3 Vergleich mit den herkömmlichen „Gottesbeweisen“

2.4 Weitere Entfaltung des Begriffs der Geschöpflichkeit

2.5 Zu anderen Auffassungen und zu Einwänden

Die Bedeutung von „Wort Gottes“

3.1 „Gesetz“ als Wort Gottes im „uneigentlichen“ Sinn

3.2 “Evangelium“ als Wort Gottes im „eigentlichen“ Sinn

3.2.1 Das trinitarische Gottesverständnis

3.2.2 Die Menschwerdung des Sohnes

3.2.3 Die Mitteilung des Heiligen Geistes

Der auf das „Wort Gottes“ gerichtete „Glaube“

4.1 Der „anonyme Glaube“

4.2 Der „christliche Glaube“

4.2.1 Zur Begriffsbestimmung von „Glauben“

4.2.2 Glaube als Handeln Gottes am Menschen

4.2.3 Der Glaube als des Menschen eigener Glaube

4.2.4 Das Gebet als Vollzug des Glaubens

4.2.5 Das Handeln des Menschen aus Glauben

Ergebnis: Gott – Wort – Glaube

5.1 Die Vollmacht der christlichen Botschaft

5.2 Die Unfehlbarkeit des Glaubens

5.3 Die Übereinstimmung aller Glaubenden im Glauben

ZWEITER HAUPTTEIL: DIE WEITERGABE DER CHRISTLICHEN BOTSCHAFT

Die Begegnungsweise des „Wortes Gottes“

1.1 Die christliche Botschaft als „Zeugnis“

1.2 Die „Sakramentalität“ der christlichen Botschaft

Schrift, Tradition und Lehramt

2.1 Die „Heilige Schrift“

2.1.1 Die Unterscheidung von „Altem“ und „Neuem Testament“

2.1.2 Die Autorität der Heiligen Schrift: ihre „Inspiration“ und ihre „Irrtumslosigkeit“

2.1.3 Der „Kanon“ der Heiligen Schrift

2.2. Die „Überlieferung“

2.2.1 Das Verhältnis von Schrift und Überlieferung

2.2.2 „Schrift und Überlieferung“ oder „die Schrift allein“?

2.3 Das „lebendige Lehramt“

2.3.1 Das „gemeinsame“ und das „Dienst-Lehramt“

2.3.2 Die „ordentliche“ und die „außerordentliche“ Wahrnehmung des „Dienst-Lehramts“

2.3.3 Die Autorität des „Dienst-Lehramts“ „in Dingen des Glaubens und der Sitten“

2.3.4 Luthers Infragestellung des „Dienst-Lehramts“

Ergebnis: Gegen ein positivistisches Missverständnis der Normen des christlichen Glaubens

DRITTER HAUPTTEIL: DIE VERANTWORTBARKEIT DER GLAUBENSZUSTIMMUNG ZUR CHRISTLICHEN BOTSCHAFT

Die Voraussetzungen des Glaubens

1.1 Das „Wort Gottes“ als Voraussetzung des Glaubens

1.2 Der Mensch als Voraussetzung des Glaubens

Die Glaubens-Würdigkeit der Glaubensverkündigung

2.1 Die Alternative von Glaube und Unglaube

2.2 Die verschiedene Verstehbarkeit der Glaubensverkündigung im Voraus zur Glaubenszustimmung und in der Glaubenszustimmung selbst

2.3 Glaubensbegründung durch „Weissagungen“ und „Wunder“

2.4 Der Ausschluss von Rationalismus und Fideismus

Die Glaubenszustimmung im Verhältnis zu anderen Lebensvollzügen

3.1 Glaube und Denken

3.1.1 Das allgemeine Verhältnis von Glaube und Vernunft

3.1.2 Das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft: Theologie

3.2 Glaube und Machtausübung

3.3 Glaube und andere Religionen oder Weltanschauungen

Ergebnis: Die Kirchlichkeit dieses Glaubensverständnisses

ZUSAMMENFASSENDE THESEN

Verzeichnis von Rezensionen und Stellungnahmen

Indices

Schriftstellen

DH-Stellen

Stellen aus dem II. Vatikanum

Namen

Stichwörter

Abkürzungen

VORWORT

Dieses theologische Lehrbuch soll über den christlichen Glauben Rechenschaft geben. Es handelt sich um einen „Grundkurs“ im Sinn des Vorschlags von KARL RAHNER, Schriften zur Theologie VI, Einsiedeln-Zürich-Köln 1965, 149ff. Gegenüber Rahners eigenem Grundkurs (Freiburg-Basel-Wien 1976) soll die Worthaftigkeit der Offenbarung stärker zur Geltung gebracht werden. Gemeinschaft mit Gott kann man nicht an der Welt ablesen, sondern muss sie gesagt bekommen und kann sie nur im Glauben als wahr erkennen. In vielfacher Hinsicht bin ich für diesen Ansatz dem Werk des evangelischen Theologen Gerhard Ebeling (1912-2001) verpflichtet, dessen Weise, den christlichen Glauben zu verantworten, Gegenstand meiner Doktorarbeit1 war.

Als theologischer Grundkurs hat das Buch den Charakter einer „Grammatik“ für die Sprache des Glaubens. Es weist von sich weg auf die Fülle der Glaubensüberlieferung selbst, die mit gegenwärtiger Erfahrung in Beziehung gesetzt werden will. Dazu ist es notwendig, in der Gemeinschaft der Glaubenden mit der Heiligen Schrift vertraut zu werden.

Den Mainstream gerade katholischer Theologie scheint die Auffassung zu bestimmen, aus der Allmacht Gottes ergebe sich, dass er sich selbstverständlich offenbaren könne und man nur noch feststellen müsse, dass er sich erwartungsgemäß auch tatsächlich offenbart habe. Im Gegensatz dazu begründet die vorliegende Fundamentaltheologie, dass es von vornherein nicht sinnvoll möglich ist, Gott zu Argumenten zu „verwenden“. Es ist vor allem keineswegs von vornherein selbstverständlich, dass man Gott überhaupt zuschreiben kann, dass er „spreche“. Erst der Inhalt der christlichen Botschaft selbst macht sowohl die Bedeutung des Wortes „Gott“ wie ihren eigenen Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, wie auch das Wesen des auf dieses Wort gerichteten „Glaubens“ als das Erfülltsein vom Heiligen Geist verständlich. Die sogenannten „Glaubensgeheimnisse“ sind, weit davon entfernt, unverständlich zu sein, selber die Verstehensbedingung für die christliche Botschaft. Das ist der hermeneutische Ansatz dieser Fundamentaltheologie, der es ermöglicht, die christliche Botschaft anders als nur wie im verschlossen bleibenden Briefumschlag weiterzugeben.

Der christliche Glaube lässt sich nicht in das mitgebrachte menschliche Vorverständnis einordnen, sondern geht seinerseits auf dieses Vorverständnis kritisch und umwandelnd ein (vgl. Mt 9,16–17). Erst in einer relationalen Ontologie wird man im Denken den Aussagen der christlichen Botschaft gerecht.

Mit Hilfe der Kategorien relationaler Ontologie kann dieses Buch dann ausgehend von der katholischen Lehre auch zwischen den verschiedenen theologischen Sprachen und Konfessionen dolmetschen lehren und so der Verständigung zwischen katholischer und reformatorischer, insbesondere lutherischer Theologie dienen. Die vermeintlichen Glaubensdifferenzen, die sich innerhalb eines substanzmetaphysischen Vorverständnisses nicht klären ließen, scheinen in einer relationalen Ontologie zu entfallen oder sich auf bloße Sprachdifferenzen zurückführen zu lassen. Das wichtigste ökumenische Prinzip findet sich in Lk 6,41f (Balken und Splitter): Es ist nur erforderlich, die Missverständlichkeit der jeweils eigenen Aussagen kritisch zu erkennen und zu überwinden.

Auch die Anliegen der Ostkirchen werden aufgenommen durch die Rückführung des Glaubens auf seine trinitarisch-inkarnatorisch-pneumatologische Struktur, die Erläuterung des „filioque“ und durch die Hinweise zur Communio in der „Übereinstimmung aller Glaubenden im Glauben“ sowie zum päpstlichen Primat.

In einem fachtheologischen Lehrbuch ist es notwendig, auch in die manchmal komplizierte und nicht immer sehr geeignete Begrifflichkeit vergangener Zeiten einzuführen und ihren richtigen Sinn zu erläutern. Zwischen den Zeiten dolmetschen zu lernen, könnte Einübung in eine dem christlichen Glauben gemäße Gesprächskultur sein und so überhaupt der Verständigung unter den Menschen dienen.

Eine Reihe von graphischen Darstellungen mag vor allem helfen, die Kategorien relationaler Ontologie zu veranschaulichen.

Nach den einzelnen Kapiteln stehen Verständnisfragen zur Selbstkontrolle. Kann man das Gelesene mit eigenen Worten zutreffend wiedergeben? Auch die zusammenfassenden Thesen am Schluss des Buches sollen eine kritische Auseinandersetzung mit der dargestellten Sicht erleichtern. Ebenfalls der kritischen Auseinandersetzung dienen in den Fußnoten manche Zitate von Rückfragen oder Einwänden aus bisherigen Rezensionen und Stellungnahmen, die vielleicht – machmal auch im Kontrast – in dankenswerter Weise zu Klärungen beigetragen haben. Der Autor wünscht sich genaue Leser. Aber ich halte mir selbst vor Augen: Vielleicht besteht einer der am meisten verbreiteten Fehler in der Theologie darin, anderen Leuten Auffassungen zuzuschreiben, die sie nicht haben.

Die erste Auflage dieses Buches war nach mehreren nur vervielfältigten Vorlesungsskripten 1978 im Verlag Styria (Graz-Wien-Köln) erschienen. Dort wären damals die Kosten für den erforderlichen Neusatz der überarbeiteten zweiten Auflage sehr hoch gewesen; das Buch wäre für Studenten fast unerschwinglich geworden. Ich hatte mir deshalb die Verlagsrechte zurückgeben lassen. Die zweite (1981) bis fünfte Auflage (1986) wurden vom Computermanuskript im Foto-Offset-Verfahren bei Schadel (Bamberg) gedruckt. Ab der dritten Auflage wurde das Buch auch von Schadel als Verlag übernommen. Die Neubearbeitung für die sechste Auflage erschien 1991 bei Herder (Freiburg-Basel-Wien). Die vorliegende weitere Neubearbeitung, für die ich wie für alle Auflagen seit der zweiten das Layout selbst gemacht habe, veröffentliche ich aus Preisgründen bei Books on Demand (Norderstedt); es war mir dadurch auch möglich, länger zu „basteln“. Bei Books on Demand hatte ich bereits 2002 „Handlungsnetze – Über das Grundprinzip der Ethik“ veröffentlicht (ISBN 3-8311-0513-8).

In dieser Neubearbeitung wird in einigen Fußnoten (S. 32,2; 37,2; 41,2; 51,1; 98,3; 103,1; 177,2; 283,2) auf wichtige inhaltliche Korrekturen, die sich aber gerade aus dem Grundansatz selbst ergeben, eigens hingewiesen. Der vorliegende Druck stellt bereits release 7.1 dar, gegenüber einigen Erstexemplaren noch geringfügig verbessert (vor allem S. 49 und 157).

Der theologische Ansatz dieses Buches liegt in einfacherer Form auch vor in meinem Buch „Unseren Glauben verstehen“, Echter, Würzburg 1986, 82014. Eine umfassende PowerPoint-Präsentation ist zu finden unter: peter-knauer.de/glaube118.ppt (da ich diese Präsentation immer wieder überarbeite, kann sich die in dieser Adresse angegebene Zahl mit der Zeit erhöhen). Eine „Kurze Einführung in den christlichen Glauben“ (22 S.) findet sich unter: peter-knauer.de/22.html.

Besonderer Dank gilt allen, welche die Entstehung dieser Fundamentaltheologie seit 1969 bis 2003 in Vorlesungen und Seminaren an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main mit kritischem Interesse und mancher Ermutigung begleitet haben. Auch den Teilnehmern an Glaubensseminaren außerhalb der Hochschule bis heute ist für Rückfragen und Bestätigung sehr zu danken. Für Anregungen und Korrekturhilfe bei dieser Ausgabe danke ich Birgitta Braun, Robert Deinhammer, Gerhard Gäde und Jens Sommer.

Für seine Verbreitung wird dieses Buch weiterhin vor allem auf die Empfehlung derer angewiesen sein, die es als hilfreich für ihr eigenes Glaubensverständnis erfahren haben.

Brüssel, 12. 09. 2015

Peter Knauer SJ

1 PETER KNAUER, Verantwortung des Glaubens – Ein Gespräch mit Gerhard Ebeling aus katholischer Sicht, Frankfurt am Main 1969 (auch: peter-knauer.de/Verantwortung-des-Glaubens.pdf).

EINLEITUNG:

BEGRIFF, METHODE UND AUFBAU EINER ÖKUMENISCHEN FUNDAMENTALTHEOLOGIE

1. ZUM BEGRIFF

Glauben im Sinn der christlichen Botschaft bedeutet: zu Jesus Christus gehören und von seinem Heiligen Geist erfüllt sein (vgl. Hebr 3,14 und 6,4), d. h. sich so in Gottes Liebe geborgen wissen, dass man nicht mehr aus der Angst um sich selbst leben muss. Dieser Glaube will an jedermann weitergegeben werden (vgl. Mt 28,19; Apg 4,20; Röm 10,10). Deshalb gehört zum Glauben die Bereitschaft, über ihn Rechenschaft zu geben (vgl. 1 Petr 3,15). Wenn es aber überhaupt möglich ist, den christlichen Glauben zu verantworten, dann muss dies daraufhin auch in wissenschaftlicher Weise geschehen können.

Unter Theologie ist das Bemühen zu verstehen, den christlichen Glauben wissenschaftlich zu verantworten. In methodisch geordneter Weise soll der Glaube im Zusammenhang mit dem gesamten Wirklichkeitsbewusstsein bedacht werden. Die Aufgabe der Theologie ist historisch und systematisch. Sie muss feststellen, was die historisch begegnende christliche Botschaft wirklich sagt, und sie muss fragen, wie diese Botschaft sich im Sinn des Glaubens konsistent verstehen lässt. Historisch geht es darum, was die christliche Botschaft behauptet; systematisch geht es um die Wahrheit dieser Behauptung.

Zur Wissenschaftlichkeit der Theologie gehört vor allem, dass sie sich den Anfragen und Einwänden anderer Wissenschaften auf deren eigenem Feld stellt. Deshalb muss Theologie auch auf die Fachsprachen anderer Wissenschaften eingehen können. Sie wird aber selbst umso wissenschaftlicher sein, je mehr es ihr gelingt, ihre eigenen Aussagen nicht nur fachsprachlich, sondern auch allgemeinverständlich und in schlichter Alltagssprache zu formulieren; sie müssen nur jede noch so kritische Prüfung aushalten können. Gerade um der gegenwärtigen Verantwortung des Glaubens willen gehört es ferner zur theologischen Bildung, die Begrifflichkeit früherer Glaubensverantwortung zu kennen und übersetzen zu können. Ziel wissenschaftlicher Verantwortung des Glaubens ist es letztlich, einer klareren heutigen Verkündigung zu dienen. Den einzelnen Gläubigen soll dabei nicht von den Theologen die eigene Verantwortung des Glaubens abgenommen werden, wohl aber sollen ihnen Umwege und Missverständnisse möglichst von vornherein erspart werden.

Fundamentaltheologie fragt nach dem Fundament des christlichen Glaubens. Worum geht es beim Glauben im Grunde? Wie verhalten sich Glaubensinhalt und Glaubensakt zueinander, d. h. was macht es für das Verständnis des Glaubensinhaltes aus, dass er als wahr nur in einer vom Heiligen Geist getragenen Erkenntnis erfasst werden kann? Welcher Art ist die Gewissheit des Glaubens, und worauf gründet er sie? Was setzt der Glaube als seinen Anknüpfungspunkt im Menschen voraus? Welche Voraussetzungen des Glaubens sind nur innerhalb des Glaubens selbst zugänglich, und welche können auch abgesehen von der Glaubenszustimmung erkannt werden? Welche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten

erschweren das Verständnis des Glaubens, und mit welchen Argumenten ist ihnen zu begegnen? Worin bestehen weiter die Auswirkungen des Glaubens auf das menschliche Verhalten? Und wie kann schließlich der Glaube nicht nur gegenüber bereits Glaubenden, sondern vor jedem Menschen verantwortet werden? Wie ist also Glaube von Aberglauben zu unterscheiden? Woran ist umgekehrt zu erkennen, dass etwas keinen Glauben verdient, ja im christlichen Verständnis gar nicht geglaubt werden kann? Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft stellt nicht erst eine neuzeitliche Errungenschaft dar, sondern ist von Anfang an mit dem Wesen des Glaubens selbst mitgegeben, wenn er allgemein verkündbar sein soll.

In einem weiteren Reflexionsgang fragt Fundamentaltheologie auch nach der Theologie im Ganzen und nach dem Verhältnis ihrer einzelnen Fächer zueinander, deren Haupteinteilung die in historische und systematische ist. Worin besteht die Einheit der Theologie, und welcher Art ist ihre Wissenschaftlichkeit?

Die Christenheit erscheint im Verständnis des Glaubens gespalten. Diese Tatsache steht einer allgemeinverständlichen Verantwortung des Glaubens hindernd entgegen. Es ist deshalb notwendig, auch diesen Verstehensdifferenzen auf den Grund zu gehen. Es soll aber nicht an die Stelle der verschiedenen Sprachen desselben Glaubens eine einzige Sprache treten. Vielmehr ist nur zu zeigen, wie die verschiedenen Sprachen des Glaubens ineinander zu übersetzen sind. Für eine Verständigung zwischen den Christen kann man sich allerdings nicht auf einen neutralen Standpunkt jenseits der Verschiedenheiten stellen. Die jeweilige Glaubensgemeinschaft gehört selbst zu dem Glauben, der zu verantworten ist.

Schließlich ist auch das Verhältnis des christlichen Glaubens zu anderen Religionen und Weltanschauungen zu bedenken.

Im Folgenden soll eine Ökumenische Fundamentaltheologie2 aus katholischer Sicht vorgelegt werden. Nach dem offiziellen Verständnis der katholischen Kirche besteht zwischen allen, die an Jesus Christus glauben, eine „wahre Verbindung im Heiligen Geist“3. Damit wird eine bereits bestehende Einheit aller Glaubenden ausgesagt, die durch die Verständigungsbemühung nicht überboten werden kann, sondern nur ausdrücklich nachzuvollziehen ist. Deshalb wird eine katholische Fundamentaltheologie bereit sein müssen, von anderen Theologien zu lernen.4 Sie wird wesentlich ökumenisch sein und der Verständigung mit den anderen christlichen Kirchen zu dienen suchen.

Das verbreitete und herrschende substanzmetaphysische Vorverständnis kennt Relation nur als der Substanz nachgeordnet. Damit stellt es ein bisher noch kaum erkanntes großes Hindernis für die ökumenische Verständigung dar. Man könnte dieses Vorverständnis damit vergleichen, dass jemand von einem zweifarbigen Bild nur eine Schwarz-Weiß-Wiedergabe kennt, anhand deren er über die ursprünglichen Farben zu streiten beginnt. Die Schwarz-Weiß-Wiedergabe kann zwar Helligkeitsunterschiede zeigen, aber Farben können aus ihr grundsätzlich nicht erkannt werden. Ähnlich ungeeignet ist das philosophische Begriffsmaterial der Substanzmetaphysik für die Reflexion über den christlichen Glauben. Aus der Schwarzweißwiedergabe eines Bildes auf dieser Buchseite kann man auf keine Weise erraten, welche zwei Farben das Original hat, welches auf der folgenden Buchseite wiedergegeben wird. Man kann von einem farbigen Original leicht eine Schwarz-Weiß-Kopie erstellen und verstehen, wie sie entsteht; aber man kann nicht umgekehrt eine Schwarzweiß-Kopie wieder in ein dem Original entsprechendes farbiges Bild verwandeln, solange man das Original nicht kennt.

Das relational-ontologische Vorverständnis dagegen lässt sich damit vergleichen, dass man zum farbigen Original Zugang hat und sich gar nicht mehr über die Farben zu streiten braucht. Sie sind unmittelbar deutlich. Entsprechend werden die meisten ökumenischen Streitpunkte gegenstandslos.

2. ZUM AUFBAU

Natürlich setzt jedes Nachdenken über die christliche Botschaft voraus, dass man ihr erst einmal begegnet sein muss. Man kann sie nicht selber entwerfen. (Zu dem hier folgenden farbigen Bild5 siehe die vorangehende Buchseite.)

Will man die christliche Botschaft jemandem erläutern, der ihr nie zuvor wirklich begegnet ist, dann empfiehlt sich diese Reihenfolge: Zuerst muss man sagen, worum es in dieser Botschaft geht; es ist also ihr Inhalt zu erläutern. Von hier aus lässt sich dann über ihre Begegnungsweise und damit ihre Weitergabe mehr im Einzelnen reflektieren, und schließlich ist über ihre Annahme im Glauben nachzudenken. Dies ist auch der Aufbau dieser Fundamentalheologie. Doch handelt es sich in diesen drei Hauptteilen der Untersuchung nicht um drei voneinander trennbare, wohl aber voneinander unterscheidbare Sachverhalte. Bereits der Inhalt der christlichen Botschaft erläutert, worin ihre Weitergabe zur Annahme im Glauben besteht: Die Weitergabe des Glaubens ist die Mitteilung des Heiligen Geistes, und die glaubende Annahme der Botschaft ist das Erfülltsein vom Heiligen Geist. Dies gilt wenigstens dann, wenn der Glaubensbegriff in seinem erfülltesten Sinn als die auf dem Wort Gottes gründende Hingabe an Gott verstanden wird.

So geht es bereits im ersten Hauptteil, der den Inhalt der christlichen Botschaft darstellt, um das Zueinander von Gott, Wort Gottes und Glauben.

Im zweiten Hauptteil ist dann die Weitergabe des Glaubens unter der besonderen Rücksicht zu behandeln, dass sie durch die gegenseitige Zuordnung von Schrift, Überlieferung und Lehramt bestimmt wird. Die Strukturen der Weitergabe des Glaubens und die Kriterien für den sachgemäßen Umgang mit ihnen sind also aus dem Wesen des Glaubens selbst zu entfalten.

Der dritte Hauptteil untersucht die Annahme des Glaubens in Bezug auf ihre Verantwortbarkeit vor der Vernunft. Die Frage nach der Vernunftgemäßheit des christlichen Glaubens kann erst beantwortet werden, nachdem zuvor dargestellt worden ist, worum es in diesem Glauben selbst geht und auf welche Weise man ihm begegnet ist. Denn sonst wüsste man ja noch gar nicht wirklich, was angeblich vernunftgemäß sein soll.

Insgesamt ist eine solche Fundamentaltheologie nur so etwas wie eine Grammatik für die Sprache des Glaubens. Sie bietet so etwas wie einen Schlüssel, mit dem man sich dann der ganzen Breite der christlichen Überlieferung selbst zuwenden und sie sachgemäß verstehen kann. Die eigentliche Aufgabe besteht dann darin, mit allen Weisen des Wortes Gottes vertraut zu werden.

FRAGEN

Warum ist eine Verantwortung des Glaubens nicht nur gegenüber bereits Glaubenden, sondern auch gegenüber nicht Glaubenden notwendig?

Was ist unter „Theologie“ zu verstehen, und wie verhält sie sich zu den anderen Wissenschaften? Wann erreicht Theologie ihre höchstmögliche Wissenschaftlichkeit?

Welche Grundfragen stellt die Fundamentaltheologie?

Was bedeutet das Wort „katholisch“ als Normbegriff?

Inwiefern kann die Einsicht in die Nichtselbstverständlichkeit des Anspruchs der christlichen Botschaft, „Wort Gottes“ zu sein, gerade den Zugang zu ihrem Verständnis eröffnen?

Welches Denkgesetz wird von der Fundamentaltheologie vorausgesetzt, und mit welchem Recht?

Was bedeutet es, Glaubensaussagen als „unüberbietbar“ auszulegen?

Wie wird die gegenseitige Zuordnung von Glauben und Hören zum Kriterium, um die christliche Botschaft von eventuellen Verfälschungen zu unterscheiden?

Welche Grundwirklichkeit wird in allen Glaubensaussagen entfaltet?

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Inhalt, Weitergabe und Annahme der christlichen Botschaft?

Warum wird unter Voraussetzung dieser Einleitung im ersten Hauptteil mit einer Darstellung des Inhalts der christlichen Botschaft begonnen und nicht damit, wie man selbst zunächst der christlichen Botschaft hat begegnen müssen, um sie weitersagen zu können?

3. ZUR METHODE

Für gewöhnlich wird es als die Aufgabe der Fundamentaltheologie angesehen, die christliche Botschaft vor der Vernunft „plausibel“ zu machen. Man möchte dem Glauben einen Platz im Rahmen der Vernunft zuweisen, weil man meint, er könne nur so vor der Vernunft verantwortet werden. Man entwirft die Vorstellung von einer göttlichen Offenbarung und meint, dann nur noch fragen zu müssen, ob eine solche tatsächlich ergangen ist.

Unsere Methode ist dieser weithin noch immer herrschenden Auffassung genau entgegengesetzt. Ausgehend von der Begegnung mit der christlichen Botschaft suchen wir zunächst zu zeigen, dass ihr Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, sich keineswegs problemlos mit der Bedeutung des Wortes „Gott“ vereinbaren lässt. Angesichts der fundamentalen Nichtselbstverständlichkeit dieses Anspruchs befragen wir sodann die christliche Botschaft erneut, ob sie darauf antworten kann. Sie wird sich als die einzige Botschaft erweisen, die durch ihren Inhalt in der Lage ist, ihren an sich höchst problematischen Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, verständlich zu machen.

Die Methode der Fundamentaltheologie ist letztlich vom Anspruch der christlichen Botschaft selbst her zu bestimmen. Auf Seiten der Vernunft wird nur vorausgesetzt, dass keine logischen Widersprüche zugelassen werden dürfen. Denn die Zulassung logischer Widersprüche in irgendeinem Bereich ließe das Denken insgesamt der Beliebigkeit und Willkür anheimfallen.6

Die christliche Botschaft versteht sich selbst als göttliche Offenbarung und damit als das letzte Wort über alle Wirklichkeit. Deshalb wollen Glaubensaussagen immer in unüberbietbarem Sinn verstanden werden. Aussagen in Bezug auf Gott sind nur als unüberbietbare Aussagen sinnvoll.7 Sie lassen keine Stufung, weder Abschwächung noch weitere Steigerung zu. Die einzelnen Glaubensaussagen verhalten sich daher auch nicht additiv ergänzend zueinander, sondern wollen immer als Entfaltung ein und derselben Grundwirklichkeit, nämlich der Selbstmitteilung Gottes in mitmenschlichem Wort verstanden werden.

Doch wie lassen sich die unverfälschte christliche Botschaft und ihr wirklicher Sinn erheben? Formal ist für die Christlichkeit von Glaubensaussagen ihre Bindung an ihren historischen Ursprung konstitutiv. Dementsprechend lautet für den christlichen Glauben ein umfassender Grund-Satz, dem man nicht genug nachdenken kann: „Der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber vom Wort Christi.“ (Röm 10,17) Wenn man die Begriffe „Glauben“ und „Hören“ in diesem Satz aufeinanderzu interpretiert, gewinnt er seine kritische Bedeutung, die es erlaubt, eventuelle Verfälschungen und Missverständnisse auszufiltern.

Auf der einen Seite kann im christlichen Sinn nichts geglaubt werden, wofür man nicht darauf angewiesen ist, es von anderen Menschen gesagt zu bekommen. Dinge, auf die man von sich aus verfällt, kommen als Glaubensgegenstand nicht in Frage. Man kann den christlichen Glauben nur aus einer Überlieferung empfangen, die aller eigenen Initiative bereits vorgegeben ist.

Andererseits kann aber für christliches Glauben auch nur eine solche Überlieferung verbindlich sein, deren Wahrheit jedenfalls anders als im Glauben nicht zugänglich ist. Überlieferungen, denen man auch anders als in der Weise des Glaubens gerecht werden kann, scheiden als Glaubensgegenstand aus. Als christlicher Glaubensgegenstand kommt nur das in Frage, was man außerhalb des Glaubens weder begründen noch widerlegen kann und demgegenüber man auch nicht mit nachweisbarem Recht definitiv unentschieden bleiben kann. Ein wirklicher Glaubensgegenstand darf zwar nicht auf dem Feld der Vernunft entscheidbar sein; aber es muss mit Vernunftargumenten bestritten werden können, dass man ihn deshalb für überhaupt unentscheidbar halten dürfe.

Durch das Filter dieser gegenseitigen Zuordnung von Glauben und Hören gelangt nur die unverfälschte christliche Botschaft. Sie führt selbst dieses Kriterium mit sich und lässt sich dadurch rein erhalten. Damit kann ein häufig anzutreffender Einwand beantwortet werden: Das Christentum begegne in so verschiedenen und zum Teil gegensätzlichen Formen und unter den Theologen selbst bestehe solche Uneinigkeit, dass sich der Laie in dem Wirrwarr ohnehin nicht zurechtfinden könne. Muss man also erst die kompliziertesten historischen Untersuchungen durchgeführt haben, um so den wirklichen Sinn der Bibel oder von Konzilsaussagen ausmachen zu können? Solche Untersuchungen würden nur die Richtigkeit des genannten Kriteriums bestätigen, das eine unmittelbare Identifizierung der christlichen Botschaft und ihres genauen Sinns erlaubt.

Zwar wird in der katholischen Lehre und Theologie beansprucht, es komme dem kirchlichen Lehramt zu, die Glaubensverkündigung rein zu erhalten. Aber dann muss angebbar sein, welchem Kriterium die Inhaber des Lehramts dabei folgen. Es kommt letztlich kein anderes als das genannte Kriterium in Frage. Sogar die Existenz des Lehramts selbst muss auf dieses Kriterium zurückgeführt werden können, nämlich dass auch der Glaube aller zusammen, der Kirche und jeder einzelnen Gemeinde, noch immer nur vom Hören kommen kann.

Inhaltlich sind die Aussagen der christlichen Botschaft immer nur die Entfaltung einer einzigen Grundwirklichkeit, nämlich der Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens: Der christliche Glaube ist das Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu. An Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben heißt, sich aufgrund seines Wortes von Gott mit der Liebe angenommen zu wissen, in der Gott ihm von Ewigkeit her zugewandt ist und die an nichts Geschöpflichem ihr Maß hat, sondern als die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn der Heilige Geist ist. Der Glaube als das Erfülltsein von diesem Heiligen Geist entmachtet die Angst des Menschen um sich selbst, die sonst immer wieder der Grund aller Unmenschlichkeit ist.

Es wird nicht möglich sein, die Wahrheit der christlichen Botschaft in dem Sinn plausibel zu machen, dass sie sich in das einordnen lässt, was man von selber versteht. In diesem Sinn ist „Wort Gottes“ gerade nicht selbstverständlich, sondern stellt sich als unmöglich heraus. Die wahre Selbstverständlichkeit des „Wortes Gottes“ besteht vielmehr darin, dass nur es selbst sich durch seinen Inhalt dennoch als „Wort Gottes“ verständlich machen kann. Als das letzte Wort über alle Wirklichkeit lässt es sich nicht selber einordnen, sondern ordnet alles andere ein.

2 HARALD WAGNER, Einführung in die Fundamentaltheologie, Darmstadt 1981, 45, meint, das Wort „ökumenisch“ im Titel des vorliegenden Werkes sei „etwas irreführend. Gemeint ist nach Auskunft der ‚Einleitung‘, daß sich dieses Buch auch anderen Theologen, solchen außerhalb des katholischen Raumes, verpflichtet weiß“. In Wirklichkeit ist gemeint, dass der relational-ontologische Ansatz dieses Buches die konfessionellen Differenzen insbesondere zwischen reformatorisch und katholisch, aber auch zwischen katholisch und orthodox von der Wurzel her verständlich machen und zwischen ihnen dolmetschen will. Zum Verständnis des Anliegens reformatorischer Theologie ist die Einsicht entscheidend, dass keine geschaffene Qualität Gemeinschaft mit Gott begründen kann; gegenüber orthodoxer Theologie ist darauf zu verweisen, dass Gemeinschaft mit Gott nur im Heiligen Geist möglich ist, der Personen miteinander verbindet.

3 II. Vatikanum, LG 15 (DH 4139).

4 Vgl. II. Vatikanum, UR 4,9 (DH 4152).

5 Es handelt sich um eine Umrissnachzeichnung einer Miniatur von der Brotvermehrung aus dem Echternacher Evangeliar, um 1045.

6 Aus einem logischen Widerspruch folgt jede beliebige Aussage; denn „A und Nicht-A impliziert B“ ergibt sich aufgrund der logischen Kontrapositionsregel aus „Nicht-A und Nicht-B impliziert Nicht-A“. Vgl. PAUL LORENZEN, Formale Logik, Berlin 1970, 37. Sehr anschaulich ist die Darstellung von THEODOR G. BUCHER, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit als Grenze der Toleranz, in: ZKTh 99 (1977) 385–416.

7 Dies ist eine theologische Denkform, die am deutlichsten von ANSELM VON CANTERBURY (1033–1109) entfaltet worden ist. Für ihn ist Gott „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann [aliquid quo nihil maius cogitari possit]“ (Proslogion 2 [I, 101, 5]); ja er formuliert in einem Gebet: „Herr, du bist also nicht nur das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, sondern du bist etwas Größeres als gedacht werden kann [Ergo Domine, non solum es quo maius cogitari nequit, sed es quiddam maius quam cogitari possit]“ (Proslogion 15 [I, 112, 14]). – GERHARD GÄDE, Eine andere Barmherzigkeit – Zum Verständnis der Erlösungslehre Anselms von Canterbury, Würzburg 1989, hat überzeugend nachgewiesen, dass die Denkform der Unüberbietbarkeit nicht nur die Gotteslehre Anselms, sondern auch seine Erlösungslehre prägt, die nur von daher richtig interpretiert werden kann.

ERSTER HAUPTTEIL:

DER INHALT DER CHRISTLICHEN BOTSCHAFT

Grundproblem des menschlichen Lebens und Zusammenlebens ist, dass Menschen immer wieder unmenschlich werden. Dieses den Menschen bedrohende Böse hat die Struktur von Mord und dessen Verschleierung durch Lüge und wiederum des Mordes, damit die Lüge nicht aufgedeckt wird (vgl. Joh 8,44). Die Wurzel egoistischen und verantwortungslosen Verhaltens, in dem man letztlich „über Leichen zu gehen“ bereit ist, ist diejenige Angst des Menschen um sich selbst, die in seiner Verwundbarkeit und Vergänglichkeit, in seiner Todesverfallenheit (vgl. Hebr 2,15) begründet ist.

Angst hat ursprünglich den positiven Sinn, dass man sich vor Gefahren schützt. Sobald aber die Angst des Menschen um sich selbst das letzte Wort hat, wird sie zur Wurzel seiner Unmenschlichkeit. Diese Angst gewinnt in der Weise Macht über ihn, dass er sich um jeden Preis abzusichern sucht.8 So gerät er in Rivalität zu anderen Menschen, gegen die er sich erst recht sichern muss.9 Dies geschieht in „direkter“ oder auch in „struktureller“ Gewaltanwendung.10 Strukturelle Gewalt besteht in institutionalisierten Zuständen, welche die einen auf Kosten der anderen einseitig privilegieren. Es handelt sich um Strukturen, welche die Distanz zwischen der an sich möglichen menschlichen Entfaltung und ihrer aktuellen Realisierung für einige Menschen vergrößern oder sich der Verringerung dieser Distanz entgegenstellen. Die Herrschaft der Gewalt wird gewöhnlich mit dem Mittel aufrechterhalten, dass die Mächtigen andere Menschen zu Werkzeugen ihrer Unmenschlichkeit machen, indem sie sie bei ihrer Angst um sich packen. Diktaturen sind Kettenreaktionen von Erpressung und Angt. Aus der Gewalt aller gegen alle scheint es im Rahmen dieser Gewalt nur den Ausweg zu geben, dass sich die Aggressionen aller auf irgendein zufälliges Opfer entladen, dem man dann alle Schlechtigkeit zuschreibt.11 Die Macht der Angst des Menschen um sich, welche die Wurzel aller Unmenschlichkeit ist, kann allerdings solange latent bleiben, als er sich nicht unmittelbar in dem bedroht fühlt, woraus er lebt: „Wer Geld und Gut hat, der weiß sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies.“12

1. Der Anspruch der christlichen Botschaft

Die christliche Botschaft beansprucht demgegenüber, eine Gewissheit mitzuteilen, die stärker als alle Angst des Menschen um sich selbst ist. Sie will also den Menschen zu wahrer Menschlichkeit befreien. Dafür beruft sie sich darauf, „Wort Gottes“ zu sein. „Wort Gottes“ bedeutet nach der christlichen Botschaft das Angesprochenwerden des Menschen durch Gott in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Dieses Wort verkündet dem Menschen eine Leben und Sterben überdauernde Gemeinschaft mit Gott, und es will selbst bereits als die Verwirklichung dieser Gemeinschaft verstanden sein. Wer im Vertrauen auf dieses Wort lebt, lässt sich in seinem Verhalten letztlich nicht mehr von der Angst um sich selber leiten, sondern wird auf jede nur mögliche Weise dem Wohl der Menschen zu dienen suchen.

Doch wer ist „Gott“, wenn sein „Wort“ die Macht haben soll, die Angst des Menschen um sich selbst zu überwinden? Muss er dann nicht in schlechthin allem, was geschieht, mächtig sein, so dass keine andere Macht gegen ihn ankommt (vgl. 2 Makk 7,28–29)? Aber wenn von vornherein alles gänzlich von Gott abhängig sein soll, wie kann dann überhaupt noch sinnvoll von einem besonderen Handeln Gottes an der Welt und von einem „Wort Gottes“ die Rede sein?

Muss dann nicht „Wort Gottes“ im Unterschied zum Geschaffensein des von Gott Verschiedenen als göttliche Selbstmitteilung verstanden werden? Und wie wird dieses Wort Gottes als solches erkannt? Muss es nicht sein Kriterium daran finden, dass es als Selbstmitteilung Gottes allein einem Glauben zugänglich ist, der ebenfalls als Selbstmitteilung Gottes, nämlich als das Erfülltsein der Glaubenden vom Heiligen Geist, verstanden werden muss? Diese Fragen sollen uns im ersten Hauptteil unserer Untersuchung leiten.

Wir beginnen mit der ersten Frage nach der Bedeutung des Wortes „Gott“. Bereits hier ist davon auszugehen, dass, wer immer sich mit der christlichen Botschaft befasst, ihr faktisch bereits begegnet sein muss.13 Er hat sie weder selber entworfen, noch ist es wahrscheinlich, dass er ihr aus eigener Initiative begegnet ist. Für jeden, der sich überhaupt mit der christlichen Botschaft befasst, ist das Konfrontiertsein mit ihr bereits vorgegeben. Man muss sie nicht erst von weither suchen (vgl. Röm 10,6–8). Dies ist von großer methodischer Wichtigkeit für eine sachgemäße Theologie. Das Wort „Gott“ wird nicht ursprünglich aus irgendwelchen subjektiven Grunderfahrungen wie der Suche nach „Sinn“ gewonnen, sondern begegnet einem in seinem Gebrauch durch die christliche Botschaft. Unsere Fragestellung kommt überhaupt erst durch die Begegnung mit dieser Botschaft in Gang.

Wir fragen also nach der Bedeutung des Wortes „Gott“ erst im Zusammenhang der christlichen Botschaft, die von sich beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein. Dass sie dies tatsächlich ist, bleibt an dieser Stelle noch offen. Noch unabhängig davon, ob diese Behauptung als wahr angenommen werden kann, fragen wir zunächst, was die christliche Botschaft unter „Gott“ verstanden wissen will.

Für sich allein genommen wird die Bedeutung des Wortes „Gott“ noch keineswegs wohltuend14 sein. Sie wird es erst, wenn es im „Wort Gottes“ um unsere Gemeinschaft mit Gott gehen wird. Zunächst aber wird die Bedeutung des Wortes „Gott“ sogar den schwerstwiegenden Einwand gegen die Rede von einem „Wort Gottes“ bilden.

Die folgenden Darlegungen zur Bedeutung des Wortes „Gott“ machen den wahrscheinlich schwierigsten Teil dieses Buches aus, weil viele vermeintliche Selbstverständlichkeiten unseres (frommen?) Denkens in Frage gestellt werden müssen. Es geht letztlich in der christlichen Botschaft um eine Bekehrung des Denkens, die auch das mitgebrachte Vorverständnis umfasst: Neuer Wein gehört in neue Schläuche (vgl. Mt 9,17)15. Das mitgebrachte Vorverständnis besteht gewöhnlich darin, alles nach dem Modell innerweltlicher Wechselwirkung zu denken, ohne sich dessen ausdrücklich bewusst zu sein. Nur wenn man bereit ist, auch das eigene Vorverständnis auf seine Sachgemäßheit hin befragen zu lassen, werden die Verstehensvoraussetzungen für alle Glaubensaussagen gewonnen. Insbesondere wird es darum gehen, mit Hilfe der Kategorien einer relationalen Theologie ein sachgemäßes Verständnis von Schöpfung zu gewinnen.

FRAGEN

Auf welches Grundproblem des Menschseins beansprucht die christliche Botschaft, sich zu beziehen?

Wodurch behauptet die christliche Botschaft, die Angst des Menschen um sich selbst entmachten zu können?

Welcher Vorbegriff von „Gott“ ergibt sich, wenn Gemeinschaft mit ihm die Macht haben soll, die Angst des Menschen um sich selbst zu überwinden?

Warum geht die vorliegende Fundamentaltheologie davon aus, dass man, um überhaupt christliche Theologie betreiben zu können, auf jeden Fall mit der christlichen Botschaft bereits in Berührung gekommen sein muss?

Worin könnte eine notwendige Bekehrung des Vorverständnisses bestehen?

2. Die Bedeutung des Wortes „Gott“

Wer sich auf „Wort Gottes“ beruft, muss die Bedeutung des Wortes „Gott“ angeben können.16 Sie muss auch für den Nichtglaubenden verständlich sein und etwas mit seiner Erfahrung zu tun haben. Doch der ausdrückliche Gebrauch des Wortes „Gott“ ist erst im Zusammenhang mit der Rede von „Wort Gottes“ und damit um des Glaubens willen notwendig. Beim Gebrauch des Wortes „Gott“ will aber auch das Gebot bedacht sein: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.“ (Ex 20,7) Nach der Lehre des I. Vatikanums ist Gott

„der eine, wahre und lebendige Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde, allmächtig, ewig, unermesslich, unbegreiflich, unendlich in Erkennen und Wollen und jeder Vollkommenheit. Weil er eine einzige, für sich bestehende, ganz und gar einfache und unveränderliche Geistwirklichkeit ist, ist von ihm auszusagen: Er ist wirklich und wesenhaft von der Welt verschieden, in sich und aus sich überaus selig und über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann.“17

Wir geben diesen Text hier zunächst nur zur Kenntnis als katholische Lehre, ohne bereits seine Berechtigung und Wahrheit vorauszusetzen oder gar mit ihr argumentieren zu können. Es soll nur analysiert werden, was der Text behauptet und welche Verstehensprobleme sich dann stellen.

Der zitierte Text will einen Gottesbegriff bieten. Er erklärt jedoch gleichzeitig Gott als „unbegreiflich“18. Die Frage, die sich sofort stellt, ist: Wie lässt sich ein Gottesbegriff mit einer angeblichen Unbegreiflichkeit Gottes vereinbaren?19

Eine naheliegende Antwort wäre: Man kann Gott nur teilweise und unvollkommen begreifen. Die Behauptung seiner „Unbegreiflichkeit“ wäre also abzuschwächen. Aber diese Antwort widerspricht der anderen Behauptung, Gott sei ganz und gar einfach und habe keine Teile. Deshalb suchen wir die Antwort lieber in der umgekehrten Richtung, nicht abschwächend, sondern radikalisierend. Ist es möglich, einen unüberbietbar richtigen Gottesbegriff mit der Aussage einer unüberbietbaren Unbegreiflichkeit Gottes zu verbinden?

Der zitierte Text des kirchlichen Lehramts bietet selber diese Möglichkeit an. Die Bedeutung des Wortes „Gott“ wird in ihm durch den Vergleich mit allem, „was außer Gott ist und gedacht werden kann“, erläutert. Alle von Gott verschiedene Wirklichkeit wird als geschöpflich verstanden. Unter Berufung auf Röm 1,20 erklärt das I. Vatikanum deshalb:

„Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewissheit erkannt werden.“20

Ein Gottesbegriff müsste nach dieser Lehre mit der Anerkennung unserer eigenen Geschöpflichkeit gegeben sein: Man begreift von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Gott selbst fällt dann unter keinen Begriff, sondern bleibt tatsächlich unbegreiflich. Man kann nur hinweisend über ihn reden. Aber gerade so würde es sich um vollkommen richtige Rede und um wahre Gotteserkenntnis handeln (man darf also nicht „Unbegreiflichkeit“ mit „Unerkennbarkeit“ verwechseln oder meinen, es sei nicht möglich, in Bezug auf Gott wahre Aussagen zu machen).

Es muss dabei auch gezeigt werden, wie es möglich ist, etwas als auf Gott hinweisend zu erkennen, ohne zuvor einen Begriff von Gott selbst in seinem An-Sich zu haben. Denn jeder Begriff, unter den Gott selbst fiele, soll ja mit der Behauptung der „Unbegreiflichkeit“ Gottes gänzlich ausgeschlossen bleiben. Die Antwort lautet, dass Gott der Terminus eines „restlosen Bezogenseins auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“ ist. Die Pünktchen in diesem Ausdruck bedeuten, dass man nicht zuerst weiß, wer Gott ist, um dann zu sagen, dass er auch der Schöpfer der Welt ist, sondern dass sich die Bedeutung des Wortes „Gott“ von vornherein nur von daher angeben lässt, dass schlechthin alles in der Welt auf ihn verweist. Gott wird von der Welt her als der erkannt, ohne wen nichts anderes sein kann. Wir sagen bereits hier „ohne wen“ und nicht nur „ohne den“, weil uns ja das zu erläuternde Wort „Gott“ in dem Kontext begegnet ist, dass die christliche Botschaft beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein. Der Urheber eines Wortes muss als sich selbst gegenwärtig verstanden werden; man muss fragen, „wer“ er ist.

Im Folgenden soll zunächst in einem ersten Schritt (I, 1.1) dargestellt werden, was in der christlichen Botschaft unter der mit der natürlichen Vernunft zu erkennenden „Geschöpflichkeit“ der Welt zu verstehen ist. Dieser Begriff stellt allerdings einen Kontrast zu einem umfassenderen und dann in seiner Wahrheit nur noch dem Glauben zugänglichen Geschöpflichkeitsverständnis dar, in dem es um unser „In Christus“-Geschaffensein geht und von dem erst später bei der Erläuterung von „Wort Gottes“ die Rede sein wird (I, 3.2.2).

Erst in einem zweiten Schritt (I, 1.2) untersuchen wir, ob jene „Geschöpflichkeit“ tatsächlich mit der natürlichen Vernunft erkannt und bewiesen werden kann. Das müsste der Fall sein, wenn „Geschöpflichkeit“ mit der Existenz der Welt identisch ist. Wenn die Welt genau in dem Maß geschaffen ist, in dem ihr Sein zukommt, dann muss ihre Geschöpflichkeit an ihrem Sein ablesbar und beweisbar sein.

Dieses Vorangehen ist damit vergleichbar, dass ein Lehrer in der Schule den Satz des Pythagoras zuerst an die Tafel schreibt, damit die Schüler wissen, worum es in dieser Unterrichtsstunde gehen soll. Damit ist noch nicht vorausgesetzt, dass dieser Satz tatsächlich stimmt; dies kann sich erst durch die Durchführung des Beweises herausstellen.

Nach einem Vergleich mit den herkömmlichen sogenannten Gottesbeweisen (I, 1.3) soll dann der sich daraus ergebende bloß hinweisende, also analoge Gottesbegriff noch näher entfaltet werden (I, 1.4).

Unsere Überlegungen zum Begriff der „Geschöpflichkeit“ werden zunächst in hohem Maß abstrakt erscheinen. Doch ist diese Abstraktheit sachgemäß. Denn Gemeinschaft mit Gott ist erst vom „Wort Gottes“ zu erwarten. Natürliche Gotteserkenntnis dagegen reicht letztlich nur so weit, einzusehen, dass Gemeinschaft mit Gott durchaus keine triviale Selbstverständlichkeit ist. Natürliche Gotteserkenntnis lässt nur erfassen, dass Gott „in unzugänglichem Licht wohnt“ und ihn „kein Mensch gesehen hat noch sehen kann“ (1 Tim 6,16, vgl. auch Joh 1,18).

FRAGEN

In welchem Kontext ist die Bedeutung des Wortes „Gott“ zu erläutern?

Warum gehen wir nicht von vornherein von der Begegnung mit dem „Wort Gottes“ aus, sondern nur von der Begegnung mit der christlichen Botschaft, die von sich beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein?

Welches Problem für die Rede von „Gott“ entsteht aus der traditionellen Behauptung, dass Gott „unbegreiflich“ sei?

Warum genügt als Antwort auf dieses Problem nicht, dass man Gott nur „teilweise“ begreifen könne?

Worin muss wahre Gotteserkenntnis bestehen, wenn dabei die Unbegreiflichkeit Gottes gewahrt bleiben soll?

Wie verhält sich natürliche Gotteserkenntnis zur Frage nach der Möglichkeit einer Gemeinschaft des Menschen mit Gott?

2.1 DER BEGRIFF DER „GESCHÖPFLICHKEIT“

In der biblischen Tradition wird das Verhältnis aller weltlichen Wirklichkeit zu Gott als Geschaffensein, als eine schlechthinnige und unüberbietbare Abhängigkeit bestimmt. Dies ist nicht nur die Aussage der sogenannten „Schöpfungsberichte“ (Gen 1,1 – 2,4a; 2,4b–25); diese Schöpfungserzählungen bestehen darin, alles aufzuzählen, was es gibt, und davon auszusagen, dass es ohne Gott nicht sein kann. Einprägsame Beispiele für die gleiche Denkweise, die im Übrigen die ganze Bibel durchzieht, sind auch: Ps 139; Weish 13,1–9; Sir 43. Von besonderer Anschaulichkeit ist das Jesuswort Mt 10,29f: „Sind nicht zwei Sperlinge feil für ein paar Pfennige? Und dennoch fällt nicht einer von ihnen zur Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar alle Haare eures Hauptes gezählt.“

In biblischer Sicht umfasst diese schlechthinnige Abhängigkeit nicht nur alles Schöne und Gute in der Welt, sondern auch Leid und Sinnlosigkeit: „Ich erschaffe das Licht und erschaffe das Dunkel, ich bewirke das Heil und bewirke das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“ (Jes 45,7) Selbst die frei gewollte Sünde und der Widerwille gegen Gott vermögen sich dieser unterschiedslos alles umfassenden, schlechthinnigen Abhängigkeit nicht zu entziehen: „Gott erbarmt sich, wessen er will, und er verhärtet, wen er will.“ (Röm 9,18; vgl. Jes 6,9) So ist nach biblischem Verständnis überhaupt nur dann wirklich von Gott die Rede, wenn damit gemeint ist, dass schlechthin alles mit ihm zu tun hat. Eine solche schlechthinnige Abhängigkeit besteht ausschließlich Gott gegenüber.21

In der theologischen Reflexion wird diese von der biblischen Tradition behauptete schlechthinnige Abhängigkeit aller Wirklichkeiten der Welt mit dem Begriff „Geschaffen-sein aus dem Nichts“ bezeichnet; vgl. 2 Makk 7,28: „Gott hat sie nicht aus Seienden gemacht [οὐκ ἐξ ὄντων ἐποίησεν αὐτὰ ὁ ϑεός].“ Von überhaupt aller weltlichen Wirklichkeit gelte, sie sei „aus dem Nichts geschaffen“22. Auch wenn gelegentlich nur von „Geschaffensein“ die Rede ist, ist immer „aus dem Nichts Geschaffensein“ gemeint.

Bereits der Ausdruck „aus dem Nichts“ ist mit einer Verstehensschwierigkeit belastet. Bedeutet er, dass man sich einen der Schöpfung zeitlich vorausgehenden Zustand des „Nichts“ vorstellen soll? Aber dies hieße, sich „nichts“ vorzustellen. Wir können dieser Verstehensschwierigkeit jedoch dadurch entgehen, dass wir den Ausdruck „aus dem Nichts“ durch den Ausdruck „restlos“ oder „total“, „vollständig“, ersetzen. Dass etwas „aus dem Nichts“ oder „restlos“ geschaffen sei, bedeutet dann: In allem, worin es sich vom Nichts unterscheidet, also schlechthin in jeder Hinsicht, in der es überhaupt ist, ist es geschaffen.23 „Restlos“ meint dabei die ganze konkrete Eigenwirklichkeit der jeweiligen Sache; von dieser Eigenwirklichkeit muss man ausgehen, um das Wort „restlos“ sinnvoll zu gebrauchen. Könnte man das Geschaffensein einer Sache wegstreichen, bliebe von ihr selber nichts mehr übrig. Geschaffensein ist also nicht als eine zu den Dingen hinzukommende Eigenschaft zu verstehen, sondern als mit deren jeweiliger Wirklichkeit vollkommen identisch. Diese Geschöpflichkeit besteht in jedem Augenblick der Existenz und auch für den Zusammenhang aller dieser Augenblicke und ist nicht auf einen Anfang eingeschränkt.

Aber auch der Ausdruck „Geschaffensein“ bietet noch immer Verstehensschwierigkeiten. In ungenauem Denken verbindet man mit ihm gewöhnlich die Vorstellung von einem „Hergestellt-“ oder „Hervorgebrachtwerden“24 oder gar von einem „Hervorgehen aus ...“ oder einem „Herausfließen“25. Oder man meint, von einer „Wirkung“, dem Geschaffenen, auf dessen „Ursache“ schließen zu können.26 Doch alle derartigen Vorstellungen sind deshalb unzureichend, weil sie voraussetzen, man könne mit dem Denken Gott und Welt übergreifen.27 Dies ist aber unvereinbar mit einer Anerkennung der Unbegreiflichkeit Gottes, die in der Tradition immer gelehrt worden ist, und ist in sich selbst widersprüchlich. Ein solcher Gott, der Systembestandteil wäre, würde die gleichen Probleme stellen, die bei der Welt nur durch die Anerkennung ihrer Geschöpflichkeit beantwortet werden können.

Eine andere Verstehensschwierigkeit für den Begriff des Geschaffenseins liegt an der Assoziation mit der Vorstellung von einem „Urknall“. Man schränkt den Schöpfungsbegriff auf den Anfang der Welt ein.28 Er ist dann durch den Begriff der „Erhaltung“29 zu ergänzen. Für sich allein reicht dieser Schöpfungsbegriff nicht aus, um von allem Geschaffenen eine schlechthinnige Abhängigkeit von Gott auszusagen, die auch alle Zeitmomente mitumfasst.

Heute ist oft die Rede von der Aufgabe der „Bewahrung der Schöpfung“, die dem Menschen anvertraut sei. Auch dieser Schöpfungsbegriff ist dann unzureichend, wenn er übersieht, dass nicht nur die Landschaften mit ihrer Flora und Fauna geschaffen sind, sondern auch z. B. alle Werke der Technik. Überhaupt alles, was jemals existiert, gehört zur Schöpfung. Richtig ist, dass man mit überhaupt allem sorgsam umgehen sollte.

Wir versuchen im Folgenden, dem biblischen Schöpfungsverständnis durch eine radikalere Begriffsbestimmung gerecht zu werden. Und zwar verstehen wir „Geschaffensein“ als ein restloses Bezogensein auf ein solches anderes, das allein durch die Restlosigkeit des Bezogenseins auf es überhaupt bestimmt werden kann. In diesem Sinn unseres „Geschaffenseins aus dem Nichts“ wirkt Gott nicht nur alles, sondern auch alles allein.

„Geschaffensein“ bedeutet „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“. Das Wort „restlos“ meint die jeweilige konkrete Wirklichkeit in allen ihren Aspekten. Das Woraufhin dieser Beziehung nennen wir „Gott“: Gott ist, „ohne wen nichts ist“.

Diese Begriffsbestimmung von „Geschaffensein aus dem Nichts“ ist für das Verständnis der späteren Glaubensaussagen entscheidend. In den Glaubensaussagen wird es um unsere Gemeinschaft mit Gott gehen. Diese kann aber nur dann erlösend sein und alle Angst um uns selbst entmachten, wenn Gott als der Schöpfer der Welt von vornherein „der in allem Mächtige“ ist, so dass keine andere Macht gegen ihn ankommt.

Wegen dieser fundamentalen Bedeutung bedarf unsere Begriffsbestimmung von „Geschaffensein aus dem Nichts“ einer ausführlicheren Erläuterung. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hier zunächst nur um eine Begriffsbestimmung handelt, also um die Bedeutung des Wortes „Gott“ bzw. die Bedeutung von „Geschaffensein“ in der christlichen Botschaft. Dass man diese Begriffe mit Recht gebraucht, ist damit allein weder gesagt noch vorausgesetzt und es wird schon gar nicht gefordert, diese Bedeutungen zu „glauben“. Die Situation ist, wie erwähnt, damit vergleichbar, dass ein Lehrer den Satz des Pythagoras an die Tafel schreibt und inhaltlich erläutert, damit man weiß, worum es in der erst danach folgenden Beweisführung gehen soll; dass der Satz des Pythagoras zutrifft, wird damit, dass man ihn an die Tafel schreibt, keineswegs bereits logisch vorausgesetzt.

Allgemein bedeutet „Bezogensein auf ... / in Verschiedenheit von ...“ die Weise, wie eine Wirklichkeit mit einer von ihr verschieden bleibenden anderen verbunden ist.30

Zunächst ist denkbar, dass zwei Wirklichkeiten dadurch miteinander verbunden sind, dass sie zumindest partiell miteinander identisch sind, also einander überschneiden (eine gemeinsame Schnittmenge haben) oder wenigstens einen Berührungspunkt miteinander haben. Das wäre eine Zusammengehörigkeit, für deren Beschreibung man ohne den Relationsbegriff auskäme.

Sobald es aber um eine Einheit voneinander gänzlich verschieden bleibender Wirklichkeiten gehen soll, muss dafür der Begriff des „Bezogenseins“, der „Relation“, eingeführt werden. Zum Beispiel drückt das Wort „mein“, für eine vom „Ich“ verschiedene Sache gebraucht, das Bezogensein dieser Sache auf das „Ich“ aus. Ohne das „Ich“ gibt es kein „mein“. Entsprechend drückt das Wort „haben“ den Bezug einer Wirklichkeit zu einer anderen aus. Das Bezogensein ist also dadurch definiert, dass es ohne sein Woraufhin nicht sein kann. Damit ist nicht eine Bewegung oder ein Streben auf ein Ziel hin gemeint, sondern das „Nicht-sein-Können-ohne ...“. Relation ist als solche unsichtbar und lässt sich nur logisch erschließen.

„Verschiedenheit“ zweier Wirklichkeiten besagt, dass die eine nicht die andere ist, dass man sie also nicht miteinander identifizieren kann. Sie haben auch weder eine gemeinsame Schnittmenge noch einen Berührungspunkt. Sie können nur durch (innerweltlich wechselseitige, wenn auch gewöhnlich unterschiedliche) Beziehungen miteinander verbunden sein und so eine Einheit bilden. Ohne Beziehung aufeinander wären sie nicht nur voneinander „unterschieden“, sondern voneinander „getrennt“.

Der Begriff der „Einheit“ darf dabei also nicht mit dem der Identität verwechselt werden. Er bedeutet das Zusammengehören von Wirklichkeiten, die voneinander verschieden bleiben. Eine „Einheit“ im Sinn von materialer (im Unterschied zu formaler) „Identität“ besteht allenfalls zwischen dem unmittelbaren Träger einer Beziehung und dieser selbst.31 Eine solche bloß materiale Identität zwischen dem Träger einer Beziehung und dieser selbst stellt das Problem, wie man sie widerspruchsfrei beschreiben kann; die Antwort auf dieses Problem wird in unserem Beweis der Geschöpflichkeit bestehen.

In scholastischer Ausdrucksweise: Wir verstehen den Begriff des „Bezogenseins [esse ad ...; relatio]“ so, dass das Bezogensein als solches durch sein Woraufhin [terminus ad quem] konstituiert wird.

„Real“ ist eine Beziehung jedoch erst dadurch, dass ihr Träger [terminus a quo] als solcher real ist32; es genügt also nicht, dass er unter anderer Hinsicht real ist, aber als Träger der Relation nur gedacht wird, wie es z. B. bei einem Größenvergleich von zwei Dingen der Fall ist, denn dies ist keine reale Verbindung der beiden Dinge.

Nur „begrifflich [relatio rationis]“ ist eine Relation, wenn ihr Träger als solcher nur gedacht ist. Eine bloß begriffliche Beziehung kann jedoch „real begründet [relatio rationis cum fundamento in re]“ sein; etwa bei einem Größenvergleich von zwei Bäumen besteht diese Begründung in ihrer jeweils tatsächlichen Größe. Eine begriffliche Relation könnte auch darin begründet sein, dass ihr eine reale Beziehung wenigstens in der umgekehrten Richtung zugrunde liegt.

Eine Relation ist mit ihrem unmittelbaren Träger zumindest material identisch. Sonst könnte sie nicht die Relation ihres Trägers sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sogar formal mit ihrem Träger in eins fällt; letzteres wäre bei einem „restlosen Bezogensein“ gegeben. Und im Fall eines „Bezogenseins auf ...“ ohne „Verschiedenheit von ...“ wäre die Relation auch mit ihrem Woraufhin identisch; ein Beispiel dafür ist das Selbstbewusstsein als Beziehung einer Wirklichkeit auf sich selbst.33

Es scheint, dass „Bezogensein auf ...“ auch ohne reale „Verschiedenheit von ...“ möglich ist. Es handelt sich dann um das Bezogensein einer Wirklichkeit auf sich selbst, wie es etwa im Selbstbewusstsein gegeben ist. Als Bewusstsein „von einem Ich“ oder „von sich selbst“ hat es die Struktur eines Bezogenseins auf dieses „Ich“ oder auf „sich selbst“. Es ist aber gleichzeitig mit dem Woraufhin des Bezogenseins identisch. Es ist Bewusstsein von sich als Bewusstsein.34

Umgekehrt ist auch eine solche Verschiedenheit zweier Wirklichkeiten möglich, dass sie, wenigstens unter bestimmter Hinsicht, nichts miteinander zu tun haben und somit in keinem Bezug zueinander stehen; sie sind dann nicht nur „unterschieden“ voneinander (die eine ist nicht die andere), sondern sie sind sogar voneinander „getrennt“, voneinander isoliert.

In unserem Begriff des „Bezogenseins auf ... / in Verschiedenheit von ...“ ist jedoch das „Bezogensein auf ...“ von vornherein als von dem Woraufhin der Beziehung verschieden gedacht: Das eine ist nicht das andere, aber es kann nicht ohne das andere sein. Alltagssprachlich wird ein solches Zusammengehören voneinander verschiedener Wirklichkeiten, wie schon erwähnt, gewöhnlich mit dem Wort „haben“ ausgedrückt. „Haben“ ist nicht denkbar ohne einen Gegenstand und ist doch nicht dieser selbst. Jemand „hat“ einen Freund, oder er „hat“ einen Gedanken, aber weder er selbst noch sein Haben ist mit dem Freund oder mit dem Gedanken identisch.

Wenn die Relation einer Substanz auf etwas anderes ein von der Substanz verschiedenes Akzidens sein sollte (in der Scholastik bezeichnet man sie dann als „prädikamentale“ oder

„kategoriale“ Relation), dann muss sie ihrerseits durch eine Relation der Substanz auf sie mit der Substanz verbunden sein, diese letztere Relation muss mit der Substanz wenigstens material identisch sein (sie wird als „transzendentale“ Relation bezeichnet). Jede Relation muss mit ihrem unmittelbaren Träger (sei dieser die Substanz oder deren transzendentale Relation) wenigstens material identisch sein.

Gegenüber dem bisher erläuterten allgemeinen Begriff des „Bezogenseins auf ... / in Verschiedenheit von ...“ bedeutet nun Geschöpflichkeit ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“. Mit „restlos“ ist dabei die jeweilige ganze konkrete Wirklichkeit dessen gemeint, was als geschaffen behauptet wird.

Man muss also von dieser konkreten Wirklichkeit selbst ausgehen. Für einen Baum bedeutet „restlos“ sein Baumsein; für einen Menschen ist mit „restlos“ seine ganze menschliche Existenz mit allen ihren konkreten Aspekten gemeint. Erst so hat der Gebrauch des Begriffs „restlos“ Sinn. Man kann ihn also nicht abstrakt gebrauchen, ohne eben damit seine Bedeutung zu verkennen.

Bei der Geschöpflichkeit ist das Bezogensein durch seine „Restlosigkeit“ von allen anderen Weisen der Beziehung unterschieden und vollständig in sich selber bestimmt. Das Bezogensein kommt hier also nicht zu seinem Träger nur hinzu und ist mit ihm nur material identisch, sondern es ist mit seinem Träger formal identisch. Dieser geht selbst vollständig in seinem Bezogensein auf seinen Terminus, sein Woraufhin, auf. Könnte man in diesem Fall das Bezogensein aufheben, dann bliebe wegen dieser Identität auch von seinem Träger (durch die grüne Schraffierung dargestellt) nichts mehr übrig.35 Man kann hier also den Träger von der Relation nur noch begrifflich unterscheiden.

Gleichzeitig bleibt aber dieses „restlose Bezogensein auf ...“ restlos von dem Woraufhin, dem „Terminus“ der Beziehung verschieden. „Restlose Verschiedenheit von ...“ besagt, dass in keiner Hinsicht eine Identität des sich Beziehenden mit dem Woraufhin der Beziehung besteht. Das eine ist nicht das andere. Aber „Unterscheiden“ ist nicht dasselbe wie „Trennen“. „Getrennt“ sind Wirklichkeiten nur dann, wenn nicht einmal eine Beziehunng zwischen ihnen besteht.

„Geschöpflichkeit“ ist also ein solches Bezogensein, das gerade als restloses nicht im Gegensatz dazu steht, dass die sich beziehende Wirklichkeit restlos vom Woraufhin der Beziehung verschieden bleibt. Aber als vom Woraufhin der Beziehung restlos verschieden bleibende Wirklichkeit kann das sich Beziehende schlechthin nicht ohne sein Woraufhin sein. Dieses ist sein es als Relation konstituierender Terminus. Das „restlose Bezogensein auf ...“ und das „restlose Verschiedensein von ...“ sind dabei auch untereinander keine Gegensätze, als würde etwa durch das „restlose Bezogensein auf ...“ das „restlose Verschiedensein von ...“ abgeschwächt oder gar aufgehoben. Vielmehr ist das Geschöpf gerade in der Weise restlos von Gott verschieden, dass es restlos auf ihn bezogen bleibt; und es ist in der Weise restlos auf Gott bezogen, dass es restlos von ihm verschieden bleibt.36 So ist das restlose Verschiedensein des Geschöpfes von Gott als solches zugleich sein restloses Bezogensein auf ihn.37

Das unterscheidende Merkmal einer solchen „relationalen Ontologie“ von einer bloßen Substanzmetaphysik, wie sie weithin das westliche Denken bestimmt, besteht nicht etwa darin, dass Substanzmetaphysik die Existenz von Relationen leugnete (obwohl sie sehr häufig selbst davon absieht). Es besteht vielmehr darin, dass „relationale Ontologie“ in der Geschöpflichkeit eine mit ihrem Träger identische Relation sieht, die also nicht nachträglich zu ihrem Träger hinzukommt, sondern diesen Träger konstituiert. Sie ist substanzkonstituierend. Natürlich gibt es auch Relationen, die zu ihren Trägern nur hinzukommen.

Bereits im Voraus zu einem Beweis der so verstandenen Geschöpflichkeit seien noch einige weitere Aspekte entfaltet, die in ihrem Begriff mitgegeben sind. Als „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“ umfasst Geschöpflichkeit alle weltliche Wirklichkeit sowohl im Einzelnen wie im Ganzen und damit natürlich auch die Bezüge der einzelnen Wirklichkeiten untereinander; sie sind ebenfalls geschöpflich. Nichts in der Welt kann sich dem entziehen. Und es handelt sich um ein unmittelbares und einseitiges Bezogensein.

Ist auch nur eine Wirklichkeit in der Welt geschöpflich, dann sind es auch alle anderen Wirklichkeiten, mit denen sie in Beziehungen steht, in denen sie nicht restlos aufgeht. Denn anderenfalls ginge auch jene einzelne Wirklichkeit nicht restlos in ihrem Bezogensein auf; ihre Beziehungen zu anderen Wirklichkeiten wären davon ausgenommen. Ist also irgendeine Wirklichkeit in der Welt geschöpflich, dann alles andere in der Welt auch. Ist ein Teil geschaffen, dann auch das Ganze, von dem es ein Teil ist. Ein Beweis der Geschöpflichkeit wird daher zugleich von jeder einzelnen weltlichen Wirklichkeit und von allen zusammen gelten müssen.

Ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“ bedeutet weiter ein unmittelbares Bezogensein. Weltliche Wirklichkeiten mögen untereinander in den verschiedensten Weisen zusammenhängen. Aber einzeln und zusammen gehen sie in einem restlosen Bezogensein auf. Es gibt zwischen ihnen und dem Woraufhin ihres restlosen Bezogenseins keine Zwischenglieder38. Geschöpflichkeit besteht ausschließlich Gott gegenüber. Man kann höchstens sagen, dass die einzelnen Wirklichkeiten in der Welt gerade in ihrer unmittelbaren Abhängigkeit auch noch einmal aufgrund ihrer Beziehungen zu anderen Wirklichkeiten mittelbar von dem Woraufhin ihres restlosen Bezogenseins abhängen.

Auch die Auffassung, dass bei jedem Zeugungsakt die menschliche Seele von Gott „unmittelbar“ geschaffen werde und dass dies eine Besonderheit sei, scheint zu verkennen, dass es allgemein zwischen Gott und seiner Schöpfung grundsätzlich keine „Zwischenursachen“ geben kann. Richtig an dieser Auffassung ist nur, dass der menschliche Geist als solcher dadurch in einer ihn von allem anderen unterscheidenden Beziehung zu Gott steht, dass er sich als geschöpflich zu erkennen vermag.

Ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“ ist ferner bereits seinem Begriff nach ein nur einseitiges Bezogensein. Denn wenn eine Wirklichkeit in ihrem Bezogensein auf ein von ihr verschiedenes Woraufhin vollkommen aufgeht, kann sie nicht darüber hinaus das bestimmende Woraufhin einer Beziehung jenes anderen auf sie sein. Dies stünde im Widerspruch zur Restlosigkeit des Bezogenseins und damit zu der Aussage, dass die Welt aus dem Nichts geschaffen sei39. Die Einseitigkeit der Beziehung des Geschaffenen auf Gott ist also darin begründet, dass das Geschaffene wirklich in allem, worin es sich vom Nichts unterscheidet, und damit restlos in dieser Beziehung aufgeht.

Gegen die Behauptung, Geschaffensein sei ein restloses und damit einseitiges Bezogensein auf Gott, wird man immer wieder dem Einwand begegnen, die Welt sei nicht nur auf Gott bezogen, sondern komme auch von ihm her. Die Relation des Geschaffenen auf Gott sei sozusagen nur die eine Hälfte des Sachverhalts, der durch eine Beziehung in der umgekehrten Richtung zu ergänzen sei. Dieser Einwand verkennt, dass auch das mit dem „Von-Gott-Herkommen“ Gemeinte bereits vollständig in der Behauptung der restlosen und einseitigen Abhängigkeit des Geschaffenen von Gott ausgesagt ist40; diese kann nicht durch weitere Sachverhalte ergänzt werden.

Ein anderer Einwand geht davon aus, dass sich Gott doch in der Menschwerdung seines Sohnes und in der Offenbarung real auf die Welt beziehen müsse. Auf diesen Einwand ist an dieser Stelle zunächst zurückzufragen, aus welchen bisher behandelten Voraussetzungen man denn bereits nicht nur um die Behauptung, sondern um die Wirklichkeit einer Menschwerdung Gottes wisse. Später wird unsere eigentliche Antwort lauten, dass die Beziehung Gottes auf die Welt, um die es in der Offenbarung geht, im Voraus dazu eine Beziehung Gottes auf Gott ist, in die die Welt aufgenommen wird. Diese Beziehung hat ihren konstitutiven Terminus nicht an der Welt, sondern ist selbst Gott und kann deshalb auch nicht an der Welt abgelesen werden; sie ist in ihrer Wirklichkeit allein durch das Wort dem Glauben allein zugänglich. Auszuschließen ist nur eine solche Beziehung Gottes auf die Welt, für welche die Welt das diese Beziehung in ihrem Sein konstituierende Woraufhin wäre.

Dem Gesichtspunkt der Einseitigkeit der realen Relation des Geschaffenen auf Gott kommt für unsere spätere Frage nach der Verstehbarkeit von „Wort Gottes“ entscheidende Bedeutung zu. Auf den ersten Blick handelt es sich jedoch um den größten Einwand gegen die Rede von einem „Wort Gottes“, das ja eine reale Relation Gottes auf die Welt besagen würde. Wer an der Verstehbarkeit der Rede von „Wort Gottes“ interessiert ist, könnte deshalb versucht sein, den Einwand von vornherein abzuweisen, ohne überhaupt auf ihn einzugehen. Unsere spätere Untersuchung wird jedoch zeigen, dass gerade durch eine solche Tabuisierung ein sachgemäßes Verständnis von „Wort Gottes“ völlig verhindert würde.

Durch die Restlosigkeit und damit Einseitigkeit des Bezogenseins unterscheidet sich Geschöpflichkeit von jeder bloß innerweltlichen Beziehung geschaffener Wirklichkeiten untereinander. Die Beziehungen geschaffener Wirklichkeiten untereinander sind niemals restlos mit diesen Wirklichkeiten selbst identisch. Deshalb bedeuten diese Beziehungen immer eine wechselseitige Abhängigkeit. Man kann die Welt geradezu definieren als System wechselseitiger Abhängigkeiten. Die Beziehung der Welt auf Gott ist jedoch eine schlechthinnige und eben deshalb einseitige Abhängigkeit.41 Dagegen würde die Vorstellung von einer Wechselwirkung zwischen Gott und Welt Gott zu einem Bestandteil eines übergreifenden Gesamtsystems machen und dadurch mit einem Stück Weltwirklichkeit verwechseln. Diese vermeintlich fromme, aber jedes wirkliche Glaubensverständnis verhindernde Denkweise stellt eine Art Herrschaftsdenken dar, in welchem man sich über Gott und Welt stellt. Man könnte sie als den Ausdruck der Erbsünde in unserem Denken bezeichnen.42

Wo Dinge in Wechselwirkung stehen, wie dies innerweltlich grundsätzlich der Fall ist, sind sie jeweils umso weniger eigenständig, je mehr sie von anderen abhängig sind, und umgekehrt. Sie können dabei aber nie ihre Eigenständigkeit ganz verlieren noch andererseits überhaupt ohne Abhängigkeit sein. In innerweltlichen Verhältnissen sind also Eigenständigkeit und Abhängigkeit einander umgekehrt proportional, aber keines von beiden kann ganz ohne das andere sein. Bei der restlosen und einseitigen Beziehung der Welt auf Gott, die wir Geschöpflichkeit nennen, ist es dagegen paradoxerweise die geschöpfliche Eigenständigkeit selbst, die restlos abhängig ist. Sie ist also der Abhängigkeit nicht umgekehrt, sondern direkt proportional. Je gefüllter die restlose Abhängigkeit eines Geschöpfes von Gott ist, umso größere Eigenständigkeit kommt diesem Geschöpf zu. Ein Mensch ist ungleich eigenständiger als ein Stein. Die Abhängigkeit von Gott beraubt das Geschöpf nicht seiner Eigenständigkeit, sondern verleiht ihm diese überhaupt erst.

Auf Grund des bisher erläuterten Begriffs von Geschöpflichkeit wäre Gott, sollte solche Geschöpflichkeit als real bestehend beweisbar sein, als der zu bestimmen, in Bezogensein auf den alle weltliche Wirklichkeit restlos aufgeht. In einem solchen Gottesbegriff begreift man von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das in seiner ganzen Eigenwirklichkeit restlos auf ihn verweist.43