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Eva-Maria Haynes

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Beschreibung

Der Stauferkaiser Heinrich VI. kämpft um sein Recht auf den Thron von Sizilien. Der erste Anlauf im Jahre 1191 endet in einer Katastrophe. Drei Jahre später ist sein Widersacher Tankred von Sizilien tot. Vor seinem zweiten Feldzug will sich Heinrich absichern. Er vereinbart Eheschließungen zwischen Vertrauensleuten und Töchtern von ortsansässigen Adeligen. Rudolf von Landrion ist als Hauptmann seiner Leibwache für eine Principessa aus Benevento ausersehen. Doch in dem kleinen Fürstentum gärt es. Rudolf und seine frisch angetraute Frau Elisabetta fallen üblen Machenschaften zum Opfer. Die junge Frau flieht nach Norden, während Rudolf sein Schicksal in Tunis meistern muss.

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Der Graf von Tunis

Eva–Maria Haynes

Inhalt

Heinrich VI. lässt nichts unversucht, um das Königreich Sizilien unter seine Herrschaft zu bringen. Bei seinem zweiten Italienfeldzug scheint es ihm endlich zu gelingen, denn er hat aus seinen Fehlern gelernt. Anders als beim ersten Mal setzt der Stauferkaiser nicht auf endlose Belagerungen, sondern auf Verhandlungen und Verbindungen zur Bevölkerung. Mit Principe Leopoldo von Benevento vereinbart Heinrich eine Heirat zwischen Elisabetta, der ältesten Tochter des Hauses, und einem seiner Vertrauten. Rudolf von Landrion ist wenig begeistert, dass er aus seinen Diensten bei der kaiserlichen Garde entlassen wird, um die Hand einer völlig unbekannten Frau zu nehmen, der noch dazu der Ruf vorauseilt, ein besonders hässliches Frauenzimmer zu sein. Bald hat Rudolf aber ganz andere Probleme. Ein grausamer Vorfall trennt die Frischvermählten und er muss in Tunis um sein Überleben kämpfen ...

Über die Autorin

Eva–Maria Haynes ist das Pseudonym einer Historikerin, die mit dem Graf von Tunis

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet: www.editiohistoriae.at

1. Auflage – Copyright © 2014 editio historiae, Verlag MMag. Dr. Marianne Acquarelli

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden – das gilt auch für Teile daraus.

Redaktion: Marianne Acquarelli

Cover– und Layoutgestaltung: Marianne Acquarelli

Titelbild: Ansicht des Minaretts der Moschee Ez–Zitouna, Copyright © IMAGNO/Ullsteinbild

ISBN für Format ePub 978-3-9503824-1-9

Felix qui potuit rerum cognoscere causas.

Glücklich, wem es gelang, den

Wirklich gelebt haben:

Heinrich VI., Stauferkaiser und König von Italien, Sohn von Friedrich I. Barbarossa, Vater von Friedrich II.

Konstanze von Sizilien, Frau von Heinrich VI., Erbin des Königreichs Sizilien, Mutter von Friedrich II.

Diether von Katzenelnbogen, Kanzler von Heinrich VI., gestorben 1191 bei der Belagerung von Neapel.

Roger von Andrian, oberster Richter und Justitiar von Apulien und der Terra di Lavoro (Caserta). Er stellte sich gegen Tankred, um Heinrich VI. bei seinen Thronansprüchen zu unterstützen.

Markward von Anweiler, ab 1185 Truchsess von König Heinrich. Später folgte er Barbarossa auf den dritten Kreuzzug. Nach dessen Tod war er ein fixer Bestandteil im Gefolge von Heinrich VI. Als Oberbefehlshaber der Flotte gelang Markward 1194 der entscheidende Schlag gegen Sizilien. Zum Dank erhob ihn Heinrich zum Herzog von Romagna.

Coelestin III., Papst der römisch–katholischen Kirche von 1191 bis 1198. Nachfolger von Clemens III., der Tankred unterstützt hatte.

Heinrich Testa, Marschall von Heinrich VI.

Tankred von Lecce, unehelicher Sohn von Roger III., König von Sizilien, Vater von Wilhelm III.

Mattheus von Salerno, hatte unter Wilhelm I. und Wilhelm II. den Aufstieg vom Notar zu einem führenden Funktionär geschafft. Er schlug sich auf die Seite Tankreds, der ihn zu seinem Kanzler machte.

Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern, aus dem Geschlecht der Welfen und langjähriger Gegner der Staufer.

Heinrich von Braunschweig,

Wirklich gegeben hat es:

Benevento, Spoleto, Romagna, ehemalige Herrschaftsgebiete in Italien

Markgrafschaft Tuscien, heute die Toskana

Kalifat von Tunis,

Vorwort

Sizilien und Süditalien wurden Anfang des 12. Jahrhunderts von den Normannen erobert. Die Herrschaft übernahm Roger I. aus dem Adelsgeschlecht Hauteville. 1130 folgte sein Sohn Roger II. nach, der aus seinen drei Ehen mehrere Kinder hatte. Sein geplanter Nachfolger Roger III. starb vor seinem Vater und hinterließ nur uneheliche Kinder, darunter einen Sohn names Tankred von Lecce. Nach dem Tod von Roger II. wurde Tankred bei der Thronfolge übergangen. Die Königswürde ging an Wilhelm I., einen anderen Sohn von Roger II. und Onkel von Tankred. Auf ihn folgte Wilhelm II., der aber selbst ohne Nachfolger blieb. Damit kam nur mehr Konstanze, die einzige Tochter von Roger II., als legitime Erbin des Königreiches in Frage.

Konstanze wurde im hohen Alter von dreißig Jahren mit König Heinrich, dem Sohn des Stauferkaisers Friedrich I. Barbarossa, verheiratet. Diese Allianz wurde weder vom ortsansässigen Adel noch vom Vatikan begrüßt. Dennoch wurden Heinrich Ansprüche auf die Erbfolge von Sizilien zugesichert. Nach dem Tod von Wilhelm II. 1189 setzte sich aber Tankred von Lecce über alle Verträge hinweg und riss die sizilianische Herrschaft an sich. Er hatte etliche Adelige und auch Papst Clemens III. auf seiner Seite, der ihn zum König krönte.

Ein erster Feldzug Heinrichs gegen Tankred, um seine Rechte durchzusetzen, endete in einem Fiasko. Eine schreckliche Seuche bei der Belagerung von Neapel reduzierte das Heer des Königs 1191 auf einen armseligen Haufen. Heinrich war gezwungen, unverichteter Dinge abzuziehen.

Bevor er erneut zuschlagen konnte, musste Heinrich aber seine Position gegenüber den Welfen als ewige Kontrahenten der Staufer festigen und seine Stellung gegenüber England verteidigen, was ihm mit der Gefangennahme von Richard Löwenherz gelang.

1

Dortmund 1189

Voller Wut hallte die Stimme des Königs durch den Saal. „Dieser Emporkömmling! Dieser Usurpator! König Tankred – das ist lachhaft! Ein Bastard ist er und sonst nichts.“ In der nächsten Sekunde sauste seine Faust auf die schwere Eichenplatte.

Heinrichs Frau Konstanze zuckte zusammen. Sie rettete ihren wertvollen Trinkpokal vor einem Sturz. Der Wutausbruch des Staufers war in vollem Gange. Mit hochrotem Kopf sprang er auf und stieß dabei so heftig gegen seinen Sessel, dass das schwere Möbelstück polternd auf den Boden krachte.

„Dieser dahergelaufene Niemand macht Uns Unsere Ansprüche auf den Thron ...“, Heinrich warf einen kurzen Seitenblick auf seine Frau, „... nicht streitig.“ Noch viele Atemzüge lang gingen dem König die Beschimpfungen nicht aus. Konstanze starrte stumm vor sich hin.

Nach einer schieren Ewigkeit holte Heinrich tief Luft und winkte einen Diener herbei, der sofort zum Sessel stürzte, ihn aufrichtete und unter seinen Herrscher schob. Mit einem Seufzer ließ sich Heinrich nieder. „Verzeiht, meine Liebe.“ Der König nahm die Hand seiner Gemahlin. „Wir wissen, Ihr trauert um Euren Verwandten. Dieses frühe Ende hat er nicht verdient. Aber Wir wissen auch, dass es um Wilhelms Gesundheit nicht zum Besten stand.“ Konstanze lächelte schwach und entzog Heinrich ihre Hand. Sie glaubte nicht einen Moment, dass sich ihr Mann für ihre Gefühle interessierte. Sie schwieg weiter.

Konstanze war seit drei Jahren mit dem wesentlich jüngeren Staufer verheiratet. Das war aus rein politischen Motiven geschehen, weil ihre Abstammung aus dem sizilianischen Königshaus einen Erbschaftsanspruch auf den Thron bedeutete. Von Liebe und Zuneigung konnte nicht die Rede sein. Konstanze war auch zu alt. Es hätte eines Wunders bedurft, wenn sie mit ihren bald dreiunddreißig Lenzen überhaupt noch dem erhofften Erben das Leben schenkte.

Heinrichs Kanzler wartete den königlichen Zornausbruch mit stoischer Ruhe ab. Er konnte die Dinge nicht ändern, er war nur gezwungen, das wiederzugeben, was im Schreiben des königstreuen Grafen Roger von Andria stand. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand in Richtung seines Kanzlers. „Nun, fahrt fort, von Katzenelnbogen. Welche Rolle hat Mattheus von Salerno, dieser angebliche Vertraute von Wilhelm, bei diesem schändlichen Verrat gespielt?“ Diether brauchte den Brief für die richtige Antwort nicht zu konsultieren. Er hob die Augenbrauen.

„Der Vizekanzler hat die Mehrheit der Barone davon überzeugen können, die Verträge von einst, die Euren Anspruch bezeugen ...“, Diether räusperte sich verlegen, „... außer Acht zu lassen.“

Heinrichs Kopf fuhr hoch. „Wieso haben diese Schwachköpfe denn auf ihn gehört?“, fragte er aufbrausend.

„Graf Roger meint, dass die letzten Unruhen in Apulien die Barone zur Überzeugung gebracht haben, dass ein starker Mann vor Ort gebraucht wird.“

Konstanze sog hörbar die Luft ein und wappnete sich gegen einen weiteren Zornausbruch ihres Mannes, doch Heinrich blieb völlig ruhig. Überrascht wagte sie einen Seitenblick auf den König. Er hatte die linke Hand aufgestützt und strich sich über den gepflegten Bart. Mit einem Lächeln wandte er sich seiner Gemahlin zu. „Nun, meine Liebe, so wie es aussieht, werdet Ihr Eure Heimat sehr bald wieder betreten.“

Heinrich erhob sich und wandte sich seinem Kanzler zu. Er wartete ab, bis wieder Ruhe eingekehrt war, nachdem sämtliche Untertanen aufgesprungen waren. „Mein guter Kanzler“, begann der König aufgeräumt. „Die werten Herren Barone in Sizilien werden noch sehen, dass Tankred nicht der Mann ist, auf den sie setzen sollten.“

Der König deutete eine Verbeugung in Richtung seiner Gattin an und verließ die Halle, dicht gefolgt von Diether, der Rogers Schreiben vor sich hertrug, als handelte es sich um eine giftige Schlange.

Konstanze sank in ihren Sessel zurück und griff sich müde an die Stirn. Sofort trat ihre Zofe vor. „Ist Euch nicht wohl, Herrin?“ Die Königin seufzte und schüttelte leicht den Kopf. „Gerade erst musste er den erfolglosen Feldzug gegen den Löwen Heinrich abbrechen“, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrer Kammerfrau. „Und nun steht uns eine Auseinandersetzung um Sizilien bevor.“

Die Königin erhob sich und strich über ihr wertvolles Kleid. Doch die Falten, die sie eigentlich glattstrich, waren nicht im Stoff. Konstanze wollte ihrem Gemahl nicht noch einmal begegnen und sie verließ die große Halle durch den hinteren Ausgang. Auf dem Weg nach draußen fiel ihr Blick auf das staufische Wappen, das an der Rückwand des Repräsentationsraumes prangte. Mit Wehmut dachte sie an ihren Schwiegervater Kaiser Friedrich. „Ausgerechnet jetzt, wo er auf dem Kreuzzug ist, musste Wilhelm sterben“, murmelte sie im Gehen zu sich selbst. „Und was wird dem Löwen wohl alles einfallen, wenn wir tatsächlich den weiten Weg nach Sizilien auf uns nehmen?“

Die Königin ignorierte ihre Zofe, die um sie herumschwirrte und stieß die Tür zu ihren Gemächern selbst auf. Mit wehenden Kleidern betrat sie ihr liebevoll eingerichtetes Zimmer. Konstanze hasste diese Reichsburg noch mehr als alle anderen staufischen Besitztümer. Dortmund war eine der nördlichst gelegenen Pfalzen und an keinem Ort der Welt wollte sie sich weniger aufhalten.

Um der Kälte von Land und Leuten entgegenzuwirken, hatte Konstanze besonders auf eine Einrichtung mit Möbeln, Stoffen und Gegenständen aus ihrer Heimat bestanden. Doch in ihrem Gemütszustand ließ sie sich selbst von den schönsten Dingen nicht beruhigen. Mit geballten Fäusten sah Konstanze zur Decke. „Wenn ich nur etwas ausrichten könnte!“ Aufgebracht wirbelte sie herum. Ihre Zofe fuhr erschrocken zurück, aber die Wut der Herrin galt nicht der braven Frau, sondern der eigenen Ohnmacht.

„Wie lange braucht es, bis Wir ein ordentliches Heeresaufgebot haben?“ Heinrich saß in seinem Besprechungszimmer und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. Diether wippte kurz mit den Zehen auf und ab. Er formulierte seine Antwort vorsichtig: „Die meisten tüchtigen Männer aus dem Reich haben den Kaiser ins Heilige Land begleitet.“

Der König stoppte augenblicklich sein Getrommel. „Heißt das, Wir haben nur die zweite Wahl bei Uns?“ Der Kanzler wand sich wie ein Aal und hob zögernd drei Finger. Heinrich starrte Katzenelnbogen an, als wäre ihm gerade eine riesige Warze gewachsen. Er wollte etwas sagen, aber aus seiner Kehle kam nicht mehr als ein unwilliger Grunzlaut. Mit einem Seufzer ließ er sich auf die Rückenlehne zurückfallen.

„Diese Situation gefällt Uns nicht.“ Entnervt strich sich der König über den Bart.

Diether deutete mit fragendem Gesichtsausdruck auf den Sessel neben seinem Herrn. Heinrich wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ja, ja. Nun setzt Euch doch. Und reicht Uns den unseligen Brief von Roger.“ Der Kanzler nahm Platz, überreichte dem König die Unglücksbotschaft und holte einen großen Bogen Pergament zu sich, auf dem das Reich der Staufer penibel kartographiert war. Die dicke Linie zwischen dem Herzogtum Spoleto und den Fürstentümern Capua, Benevento und Salerno schien vor seinen Augen mehr und mehr zu wachsen, statt endlich ganz zu verschwinden.

Heinrich war in das Schreiben des Grafen von Andria vertieft. „An der Reichsgrenze ...“, der König sah auf und tippte auf Benevento, „... scheint alles ruhig zu sein, aber es gab mehrere Zusammenstöße zwischen Unseren Getreuen und den neuerdings verirrten Seelen in Apulien.“ Der König nahm sein Getrommel wieder auf. „Wir müssen Unseren treuen Freund Roger unbedingt unterstützen, damit die Barone gleich in die Schranken gewiesen werden.“

Heinrichs Blick wanderte die Karte Richtung Norden hinauf. Er verzog sein Gesicht unwillig und grummelte: „Doch solange der Löwe nicht wie ein waidwundes Tier in seine Höhle verschwindet, können Wir diese Gebiete nicht verlassen.“ Von Katzenelnbogen räusperte sich. Heinrich hob den Kopf und sah seinen Kanzler so finster an, dass dieser unruhig hin und her zu wetzen begann. Der König schnaufte abfällig. „Ihr kommt Uns jetzt wahrscheinlich wieder mit den gleichen Einfällen?“, fragte er spitz.

Diether lächelte schwach. „Ja, mein Gebieter. Wenn Ihr den hiesigen Adel für Euch gewinnen könnt, habt Ihr freie Hand für Eure Aufgaben in Sizilien.“ Der König zog die Augenbrauen noch mehr zusammen und presste die Lippen aufeinander.

Seine Miene ließ wenig Zweifel an seiner Einstellung zu den Vorschlägen seines engsten Beraters. „Und Ihr Kanzler, seid der unumstößlichen Meinung, dass sich der Adel mit ein paar Zugeständnissen überzeugen lässt und sich gegen den Welfen stellt?“ Diether rückte sich in seinem Sessel zurecht und nickte wie ein aufmerksamer Schüler.

„Euer Gegner hat wenig in der Hand, mein Gebieter. Nicht nur, dass er gegen Reichsrecht verstoßen hat und früher aus der Verbannung zurückgekehrt ist, als es ihm Euer Vater gestattet hatte. Er kann von allen Seiten nur mit wenig Unterstützung rechnen. Ihr indes verfügt über einige Privilegien im Herzogtum, die Ihr nun für Euren Bedarf einsetzen mögt.“

Heinrich verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. „Diether!“, herrschte er den Kanzler an. „Ihr wisst doch, dass es um die königliche Kasse schlecht bestellt ist. Wenn Wir nun Pfründe an diese Kirmes–Ritter vergeben, dann trifft Uns das empfindlich.“

Heinrich hielt seine Hände vor sich wie ein Bittsteller um Almosen, um seine wirtschaftliche Misere zu unterstreichen. Der Kanzler presste die Lippen aufeinander und zwang tapfer einen Lachanfall nieder. Zum einen war Heinrich alles andere als schlecht begütert und der Adel aus dem Norden war alles andere als eine Truppe von Jahrmarkttandlern.

Ganz im Gegenteil. Wenn alle diese Gefolgsleute gezielt gegen den Welfen eingesetzt werden konnten, kam das wahrscheinlich billiger als die Mühe um eigene militärische Erfolge oder Misserfolge, die in letzter Zeit häufiger vorgekommen waren. Diether beschloss zu schweigen und starrte auf die Landkarte. Die Strecke zwischen ihrem jetzigen Aufenthaltsort und Palermo, wo die Könige von Sizilien residierten, war unendlich weit und mit Hindernissen gepflastert.

Die ganze Reise würde mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es würde nicht genügen bis nach Aquileja in der Mark Verona zu reisen, um dann ein Schiff nach Palermo zu besteigen. Der König von Italien, der gerade mit finsterer Miene vor ihm saß, war dazu verpflichtet, allen wichtigen Städten Reverenz zu erweisen: Mailand, Cremona, Parma, Modena, Genua, Pisa, Florenz, ...

Diethers Augen folgten dem vorhersehbaren Zick–Zack–Kurs auf der Landkarte. Nur mit Mühe konnte er ein Aufstöhnen unterdrücken.

„Ihr steht Uns nun schon viele Jahre zur Seite.“ Heinrichs Stimme riss Diether aus seinen Überlegungen. Katzenelnbogen war sofort auf der Hut. Wollte ihn der König aus seinen Diensten entlassen? Heinrich lächelte aber milde. „Wir geben gerne zu, dass Ihr in Euren Einschätzungen nie gefehlt habt. Aber ...“, der König kniff die Augen zusammen, „... Wir haben auch gelernt, dass sich Uns Eure Gedanken offenbaren wie ein plapperndes Weib!“

Heinrich hob seine Augenbrauen und schenkte seinem Kanzler einen belustigten Blick. Diether lief knallrot an und wusste nicht, ob er sich ärgern oder beleidigt sein sollte. Der junge König lachte schallend. Er beugte sich vor und zog die Karte zu sich. Über den Ländereien, die sich seiner Herrschaft noch entzogen, spreizte er die rechte Hand. „Wir wissen selbst, dass Wir wahrscheinlich jede Gott verdammte Stadt erobern müssen.“ Heinrich lehnte sich zurück und blies die Luft aus. „Das kann lange dauern ...“ Der König brach den Satz ab und behielt den Rest für sich. Noch war die Zeit nicht gekommen, jemanden in seine weitreichenden Pläne einzuweihen. Heinrich war felsenfest davon überzeugt, dass er der lang herbeigesehnte Friedenskaiser war.

Es war seine erlauchte Aufgabe, alle Reiche des Ostens und des Westens wieder zusammenzuführen. Alle Juden würden unter seiner Führung zum Christentum bekehrt und die Heiden im Heiligen Land endgültig besiegt werden. Alle Völker würden zu ihm aufblicken, während er die Menschheit auf die Ankunft des Jüngsten Gericht vorbereitete und Palermo war der Sitz, den er sich für seine Weltherrschaft auserkoren hatte.

Mit einiger Mühe zwang Heinrich seine Gedanken zurück in die Gegenwart. „Wie weit ist Unser Marschall mit seinen Aufgaben?“, fragte der König ohne den Blick von der Küste Nordafrikas und von Byzanz zu nehmen.

Der Kanzler hatte sich wieder im Griff und antwortete mit fester Stimme: „Marschall Testa ist mit dem Abbau der letzten ... äh ... Belagerung fertig und wartet auf Eure Befehle.“

Heinrich knirschte verärgert mit den Zähnen. Nun waren seine Gedanken endgültig zurück bei der dringendsten Angelegenheit: der Welfe. Heinrich war der Erzfeind des Kaisers und der allgegenwärtige Albtraum des Staufergeschlechts. Dieser Stachel im Fleisch der Staufer ließ keine Gelegenheit aus, seine angeblichen Ansprüche auf den Reichsthron anzumelden.

Widerwillig musste Heinrich seinem Kanzler recht geben. Wenn er den Adel auf den Welfen hetzte, konnte er sich wieder seinen höheren Zielen widmen, anstatt sich hier im kalten Norden herumzuärgern. „Sollen doch die anderen die Drecksarbeit machen“, murmelte Heinrich vor sich hin.

Der Kanzler schreckte auf. „Verzeiht, mein Gebieter. Ich habe Euch nicht recht verstanden.“

2

Augsburg 1190

Heinrich stand am Fenster und starrte in den dichten Nebel hinaus, der die Stadt seit Wochen nicht freigeben wollte. Gegen die Kälte hatte er einen Mantel aus feinster Wolle über sein Nachtgewand geworfen. Es war noch früher Morgen, doch in seinem Privatgemach fanden sich allerlei Personen, die unter anderen Umständen keinen Zutritt gehabt hätten.

Seine Frau Konstanze hatte ihre eigenen Gemächer und sie betrat nie die Räume des Königs. Wenn es Heinrich zur Pflichterfüllung trieb, suchte er seine Gemahlin auf. Nun saß sie mit kerzengeradem Rücken auf einem Holzschemel, eingehüllt in einen Überwurf aus Wolle und einem notdürftig gebundenen Tuch über ihren offenen Haaren.

Neben ihr stand ein verschlafener Kanzler von Katzenelnbogen, der Bischof von Augsburg, der königliche Schreiber und Peregrin, der Herold des Kaisers Friedrich Barbarossa – des verblichenen Kaisers. In Heinrichs Kopf rasten die Gedanken. Sein Vater war tot und er würde mit Gottes Hilfe der nächste Kaiser sein. Seine Reise nach Italien war dadurch noch dringlicher geworden, denn Kaiser wurden nur in Rom gekrönt. Die Nachricht vom Ableben seines Vaters hätte ihn zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt erreichen können. Heinrich war seinen bisherigen Zielen noch kein Stück näher gekommen, denn die Aufstellung seines Heeres ging nur langsam voran. Tankred saß nach wie vor in Sizilien und waltete nach seinem Gutdünken. Heinrich überlegte, ob ihm seine neue Stellung als Kaiser mehr Möglichkeiten gegen seinen Erzfeind einräumte. Er stieß einen langen Seufzer aus.

„Der Kaiser hat Uns vor seinem Aufbruch ins Heilige Land mit allen ...“, Heinrich war kaum zu verstehen, „... mit allen Regierungsgeschäften betraut, die Wir nach bestem Wissen und Gewissen erledigt haben.“ Die Last der Verantwortung auf den Schultern des erst fünfundzwanzigjährigen Mannes schien förmlich auf alle Anwesenden im Raum zu drücken.

„Viele tapfere Männer verlieren ihr Leben im Namen Jesu Christi.“ Der rundliche Bischof von Augsburg bekreuzigte sich. Doch sein Versuch, Trost zu spenden, wollte nicht gelingen. Heinrich fuhr herum.

„Das wissen Wir selbst auch“, herrschte er den Geistlichen an. „Unser geliebter Vater ist aber nun schon mehrere Monate tot und Wir erhalten die traurige Nachricht erst jetzt!“ Heinrich nahm eine rastlose Wanderung durch den Raum auf. „Zuerst fällt Uns der Welfe in den Rücken und dann reißt Tankred Sizilien an sich. Alle scheinen schon etwas gewusst zu haben. Nur Wir nicht!“ Der König drehte sich abrupt um und macht einige drohende Schritte auf den kaiserlichen Herold zu. „Haben Wir einen Verräter unter Uns, Peregrin?“

Der Herold riss entsetzt die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. „Mein Gebieter, nein! Ihr wisst doch selbst, wie lange die beschwerliche Reise dauert.“

Heinrich wollte zur nächsten Anschuldigung ansetzen, doch die Königin erhob sich und trat energisch vor ihren wütenden Mann. Geflissentlich ignorierte sie, dass er ihr einen Blick schenkte, als wäre sie ein lästiges Insekt, das es schnell zu verscheuchen galt. „Hört mich an, Heinrich. Sämtliche Gefolgsleute sind Euch treu ergeben. Dem Löwen hat es doch schon genügt, dass der Kaiser zum Kreuzzug aufgebrochen war.“ Konstanze lächelte den König gewinnend an. „Mit Euren klugen Entscheidungen in Dortmund habt Ihr ihn nicht nur in die Knie gezwungen, sondern auch seinen Sohn als Pfand gewonnen. Er muss nun als Garant für die Einhaltung des letzten Friedensabkommens mit Euch nach Sizilien ziehen.“

Heinrichs Blick schweifte ab. Die Königin forderte seine Aufmerksamkeit zurück, indem sie ihre Hand sanft auf seinen Arm legte. „Hört mich weiter an, mein Gebieter. Ihr wollt Euch vielleicht an die langen Verhandlungen rund um die Verträge anlässlich meiner Verheiratung mit Euch entsinnen. Tankred war schon damals kaum für die Anerkennung Eurer Ansprüche zu gewinnen und Matheus von Salerno hatte offen dagegen opponiert.“ Eindringlich sah Konstanze den einzigen Erben des riesigen Stauferreiches an. Zufrieden erkannte sie, dass aller Zorn aus seinen Augen gewichen war.

Sie wandte sich an die kleine Versammlung. „Wir alle erleben den Tod von Friedrich als großen Verlust. Doch wollen wir in diesem Augenblick unserem neuen Herrscher in aller Demut unsere Unterstützung zusichern und ihm die Treue geloben.“ Anmutig sank sie vor ihrem Mann auf die Knie. Die anderen Anwesenden taten es ihr sofort nach.

„Auf Treu und Ehre!“, klang der Schwur wie aus einer Kehle.

In den folgenden Wochen hob sich mit dem Nebel, der die Stadt endlich freigab, auch Heinrichs Stimmung. Das Schicksal schien sich zu Gunsten des jungen Königs zu wenden. Ein neuer Brief von Roger von Andria hatte mehrere gute Nachrichten bereitgehalten. Seine Getreuen hatte einige Erfolge verzeichnen können und Tankred war in die Defensive geraten.

In den staufischen Stammlanden hatten die dort ansässigen Adeligen dafür gesorgt, dass sein Herrschaftsanspruch ohne weitere Zwischenfälle akzeptiert worden war.

Auf seinen Ruf hin waren beachtlich viele Edelleute nach Augsburg gekommen, um sich am Italienfeldzug zu beteiligen. Andere waren angereist, um dem Nachfolger des Kaisers die Ehre zu erweisen. Die Stadt Augsburg veranstaltete ein Turnier zu seiner Huldigung und die Festlichkeiten rund um das Kräftemessen waren prächtig. Heinrich war mit diesen Entwicklungen rundum zufrieden. Seiner Meinung nach waren ihm vorher genug Steine in den Weg gelegt worden.

Der König saß auf einem Ehrenplatz auf der Tribüne und ließ sich von seinen Träumen davontragen. ‚Sizilien wird noch Ende des Jahres mir gehören‘, schwor er sich im Stillen. Er war unerschütterlich davon überzeugt, dass man bald nur mehr seinen Stern kennen würde, der hell über dem ganzen Reich erstrahlte.

Der Jubel der Menge riss den König aus seinen Gedanken. „Wahrlich ein guter Kämpfer!“ Konstanze klatschte aufgeregt in die Hände und zog ihren Mann undamenhaft am Ärmel. Ein junger Ritter lieferte sich mit seinem Gegner einen formidablen Schwertkampf und schickte ihn unbarmherzig in den Sand.

„Wer ist er?“ Ohne sich umzuschauen, hatte Heinrich die Frage an die versammelte Menge auf der Tribüne gestellt. Diether von Katzenelnbogen schreckte hoch. „Mein Gebieter, ich finde es sofort heraus“, stammelte er unter vielen Verbeugungen.

„Sein Name ist Rudolf.“ Eine tiefe Stimme klang aus einer anderen Richtung hinter dem König. Erstaunt drehte sich Heinrich nun doch um und plötzliches Erkennen erhellte sein Gesicht. „Martin von Landrion.“ Der König war tatsächlich erfreut und tätschelte dem jungen Ritter die Schulter, der sich tief vor seinem Herrscher verbeugte. „Mein Gebieter.“

Martin richtete sich wieder auf und sah den mächtigsten Mann des Reiches gelassen an, der ihn aus klugen Augen musterte. „Es ist lange her.“ Heinrich hatte die Arme vor der Brust verschränkt und strich sich mit der linken Hand über seinen Bart. „Werdet Ihr Euch an den Kämpfen beteiligen?“

Der junge Ritter grinste von einem Ohr zum anderen. „Habe ich mir denn je eine Gelegenheit entgehen lassen?“, fragte er mit einem Augenzwinkern zurück.

Heinrich kannte Martin schon zu lange, um sich von dessen vorlauter Art aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Der erlauchte Herrscher lachte leise. „Nein, soweit Wir wissen nicht, und Ihr hattet ja auch immer Erfolg.“ Abrupt wandte sich Heinrich ab und deutete in die Richtung der Arena, wo der Sieger gerade seinem Gegner aus dem Sand half.

„Habt Ihr in diesem Turnier vielleicht einen würdigen Gegner gefunden?“ Der hünenhafte Mann vor ihm zuckte mit den Schultern. „Bisher habe ich ihn noch immer bezwungen.“

Diese Selbstsicherheit ließ Heinrich amüsiert aufsehen. „Ihr kennt diesen Edelmann?“

Martin hob verschmitzt die Augenbrauen und deutete eine leichte Verbeugung in Richtung seines Herrschers an. „Muss ich wohl.“ Aus seinen Augen blitzte der Schalk. „Er ist mein Bruder.“

„So, so, also Wir haben hier Rudolf von Landrion vor Uns.“ Mit einem zufriedenen Lächeln strich sich Heinrich weiter über seinen Bart. „Ein vielversprechender junger Mann“, sagte er mehr zu sich selbst als zum älteren Sohn aus dem Hause Landrion. „Wir möchten ihn gerne kennenlernen.“

Heinrich hatte sich gönnerhaft zu Martin gedreht und lächelte ihn aufmunternd an. „Wir denken, dass wir viele gute Männer an Unserer Seite brauchen können.“

Martin nickte dem Lehnsherrn seines Vaters Fürst Harold von Landrion höflich zu, doch er blieb auf der Hut. ‚Was führt Heinrich im Schilde?‘, dachte er mit einem Anflug von Sorge, doch kam er mit seinen Überlegungen nicht weit.

Der Turnierherold ließ gerade eine Liste der nächsten Kämpfer verlauten. Martin war bald an der Reihe und musste sich zum Anlegen seiner Rüstung zu seinem Zelt begeben. Als er die Plane am Eingang zur Seite stieß, sah er Rudolf, der sich über einer Schüssel mit bereit gestelltem Wasser den Schmutz vom Kampf abwusch.

„Gut gemacht, kleiner Bruder.“ Martin kniff spielerisch die Augen zusammen, wohl wissend, dass Rudolf diese Bezeichnung am wenigsten schätzte. Der junge Prinz prustete ärgerlich das Wasser in die Schüssel und sandte Martin einen bösen Blick. „Du kannst wohl keine Konkurrenz vertragen?“

Rudolf ließ sich vom Knappen ein Tuch reichen und trocknete sich ab. Einen Moment lang klang seine Stimme hinter dem Tuch dumpf. „Wie schmerzhaft wird es wohl sein, einmal nicht der unangefochtene Sieger zu sein?“

Martin lachte herzlich auf und ließ sich auf eine Truhe plumpsen. Von einem Lachkrampf geschüttelt zog er sich seine Stiefel aus und winkte den jungen Wilhelm zu sich. „Komm‘ zu mir und hilf‘ dem wahren Ritter in diesem Zelt, Knappe!“ Verstohlen warf Martin einen Seitenblick auf Rudolf, um zu sehen, wie dieser auf die neuerliche Provokation reagierte.

Aus seinen ungewöhnlich dunkelblauen Augen feuerte der Jüngere Blitze in die Richtung seiner Störung. Zur Antwort erhielt Rudolf aber wieder nur ein spöttisches Lachen. Martin konnte die Reaktion seines Bruders vorhersehen. Wie eine Wildkatze sprang Rudolf auf ihn zu, um einen präzisen linken Haken auf Martins Kinn zu landen. Doch dieser hatte beschlossen, dass seine Knochen heil bleiben sollten und fing die Faust mit seiner Hand ab.

Rudolf schnaufte schmerzhaft auf, denn sein verdammter Bruder hatte sich rasch den Panzerhandschuh übergestreift.

„Pass‘ auf, du Hitzkopf!“ Martin knuffte Rudolf liebevoll in die Seite. „Deine Hand fehlt dir sonst im nächsten Kampf.“

„Was kümm…“, der junge Prinz wollte die Diskussion fortsetzen. Er wurde von Martin aber derb unterbrochen, indem ihm dieser blitzschnell den linken Arm auf den Rücken drehte.

„So, jetzt hör‘ mir gut zu, kleiner Bruder.“ Martin spie diese Worte beinahe aus. Aus seinen klaren grünen Augen sah er Rudolf streng an und wartete bis sich dieser beruhigt hatte. Die beiden Brüder maßen sich mit Blicken, als Martin plötzlich übers ganze Gesicht breit grinste. „Niemanden erfüllt es mehr mit Stolz als mich, wenn du aus diesen Kämpfen als unumstrittener Sieger hervorgehst.“ Martin ließ seinen nächsten Verwandten los und strich ihm liebevoll das Wams glatt. „Ich kenne meinen Platz bereits“, Martin seufzte tief. „Das weißt du genauso gut wie ich.“

Rudolf sah den Schmerz in den Augen seines älteren Bruders und entspannte sich augenblicklich. Ihr einst so stattlicher Vater war nur mehr ein Schatten seiner Selbst und es konnte von einem Tag auf den anderen sein, dass sich Martin den Fürstenmantel überstreifen musste – ob er nun wollte oder nicht.

Einige Minuten schwiegen sich die beiden Männer an und jeder dachte daran, was die Zukunft wohl bringen möge. Das Gewicht der Verantwortung für das Wohlergehen von so vielen Untertanen schien fast das ganze Zelt zu erdrücken.

Martin unterbrach die Stille. „Heinrich war sehr beeindruckt von deiner Leistung.“ Er wandte sich ab und setzte sich zurück auf die Truhe. Mit einem leichten Wink rief er Wilhelm wieder zu sich, der sich in eine Zeltecke verdrückt hatte. „Er möchte, dass du nach dem Turnier bei ihm vorsprichst.“ Rudolf riss überrascht die Augenbrauen hoch. „Was kann er von mir wollen?“

Martin zuckte mit den Schultern. „Egal, was es ist, kleiner Bruder.“ Er sah auf und zwinkerte Rudolf freundlich zu. „Ergreife die Gelegenheit. Um Landrion werde ich mich kümmern.“

Nach dem Turnier, aus dem Rudolf als Sieger hervorgegangen war, ließ ihn Heinrich zu sich rufen. Auf dem Weg zu dessen Gemächern gingen dem Ritter allerlei Möglichkeiten für den Grund der Audienz durch den Kopf. Doch er wäre nicht im Entferntesten darauf gekommen, was der König mit ihm vorhatte. Als erste Reaktion auf den Auftrag blieb der Sohn des Fürsten von Landrion eine ganze Weile stumm, doch der Herrscher ließ nicht locker. „Wir sind davon überzeugt, dass Wir bei Euch gut aufgehoben sind.“

König Heinrich ließ sich von seinem ersten Kämmerer aus dem Mantel helfen. Seine Augen ruhten amüsiert auf dem jungen Prinzen, dem nach wie vor die Worte fehlten.

„Traut Ihr Euch diese Aufgabe nicht zu?“ Heinrich hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen und musterte den Mann seiner Wahl eingehend. Diese Frage riss Rudolf aus seiner Erstarrung. „Euch zu schützen vermag ich durchaus, mein Gebieter.“ Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. „Aber was werden die Männer Eurer Leibwache dazu sagen?“

Heinrich lachte auf. „Ihr werdet der Anführer sein. Lasst sie tüchtig schnaufen, dann können sie gar nichts sagen.“

Rudolf nickte leicht. Er war aber alles andere als überzeugt. Er zählte gerade mal etwas über einundzwanzig Lenze und er wusste nicht so recht, ob das die Gelegenheit war, die es zu ergreifen galt. Rudolf presste kurz die Lippen aufeinander. „Wenn Ihr gestattet, möchte ich das gerne selbst herausfinden, mein Gebieter.“

Er wartete die Reaktion auf diese ungewöhnliche Bitte ab. Der König sah den Ritter lange an. Der übliche Weg wäre eine offizielle Mitteilung seiner Wünsche gewesen und alle hätten sich zu fügen gehabt, aber gab es einen gewichtigen Grund diesen Wunsch auszuschlagen? „Also gut. So sei es, Hauptmann.“ Heinrich lächelte zufrieden und ließ sich eine Erfrischung reichen.

Unten im Hof sah sich Rudolf um. Die königliche Leibwache lungerte um den großen Brunnen herum und die Männer reinigten mehr oder weniger begeistert ihre Waffen. „Oh je!“, Rudolf unterdrückte einen Seufzer und beobachtete den Haufen unauffällig. „Und die soll ich befehligen?“ Er spürte den spontanen Wunsch zu Heinrich zurückzulaufen und das Amt, das er noch gar nicht offiziell angetreten hatte, wieder abzugeben. Doch es gab einiges, das ihn davon abhielt. Auf der einen Seite stand ihm sein Ehrgefühl im Weg.

Der angebotene Posten im Kreis der Vertrauten des zukünftigen Kaisers war sehr schmeichelhaft. Auf der anderen Seite musste Rudolf die voraussichtliche Reaktion seines Bruders bedenken, wenn dieser Wind davon bekäme, dass er die Gelegenheit seines Lebens ausgeschlagen hatte. Beim Gedanken an die zu erwartenden Fausthiebe rieb sich Rudolf unwillig das Kinn.

Einer plötzlichen Eingebung folgend mischte sich Rudolf unter eine Gruppe von Dienstboten, die gerade den Hof überquerte und ließ sich in der Nähe der Männer der Leibwache nieder. Betont langsam zog er einen Dolch aus seinem Stiefel und fing an, seine Waffe von eingebildeten Flecken zu befreien. Mehrmals warf er den Soldaten Blicke zu und spielte provokant mit der Schneide. Aber er blieb weiter unentdeckt. Rudolf spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Wie sollten solche Männer wirksam über das Leben ihres Schutzbefohlenen wachen?

Mit einem Satz war Rudolf auf den Beinen. „Aufgestanden, faules Pack!“ Sein Gebrüll hallte im Hof wieder. Völlig überrumpelt sprangen die Wachleute auf und suchten verwirrt nach der Quelle der Beleidigung. Der neue Hauptmann machte einen Satz auf einen Vorsprung beim Brunnen, stellte sich breitbeinig hin und stieß einen ohrenbetäubenden Pfiff aus. Mit dem Ausdruck höchster Verwirrung starrten zwanzig Augenpaare den unbekannten Mann an. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und seine Verärgerung quoll ihm förmlich aus allen Poren. Seine dunklen Augen schienen zornige Funken zu versprühen.

Im ersten Moment beeindruckt von der wilden Erscheinung, regte sich kein Widerstand unter den Männern. Doch Rudolf schwieg und starrte die Soldaten weiter wütend an. Er schwieg so lange, bis sich einer der Männer traute, ihn offen herauszufordern. „Was willst du hier?“, blaffte ein Soldat, der wesentlich älter war als der Eindringling und er ließ dabei jede Höflichkeit fahren.

Die Augenbrauen des Unbekannten schossen arrogant in die Höhe. Rudolfs Stimme hätte Stahl geschnitten. „Ich bin hier, um dieser lahmen Truppe Beine zu machen.“

Zur Antwort schlug Rudolf schallendes Gelächter entgegen. Der ältere Soldat erhob sich langsam – er sah sich wohl als eine Art Wortführer der Gruppe – und stellte sich ebenso breitbeinig vor den Störenfried hin. Neben ihn gesellten sich vier andere Männer der Leibwache.

Bei Rudolf schlich sich augenblicklich eine Ahnung ein. Diesen Mann hatte er wohl gerade beim Rennen um die Hauptmannswürde ausgestochen. Genauso wie Rudolf verschränkte der Gardist die Arme vor der Brust und sprach zu seinen Kumpanen ohne den Blick vom Provokateur zu nehmen.

„König Heinrich schickt uns einen Grünschnabel?“ Die anderen Männer quittierten die Frage mit weiterem Gelächter. Rudolf sah unbeeindruckt in die Truppe und hob nur belustigt die Augenbrauen. In dem Wissen, dass er sich blind auf seine Fähigkeiten verlassen konnte, breitete er seinen Mund zu einem frechen Grinsen aus. „Wahrscheinlich ist er der Meinung, dass ein Grünschnabel für diesen Narrenhaufen …“, der frisch ernannte Gardehauptmann deutete mit dem Kopf auf die Männer, die sich nun wie eine Mauer aus Widerstand aufgebaut hatten, „… völlig ausreicht.“

Der Ältere knirschte laut hörbar mit den Zähnen. „Ich denke, wir werden diesen Punkt mit dem König klären müssen.“ Doch der Rädelsführer erntete von Rudolf nur ein ärgerliches Kopfschütteln.

„Ich denke, wir klären das hier und jetzt.“ Der junge Ritter verharrte auch angesichts der Bedrohung wie eine Statue aus Stein. „Ich brauche mich nicht hinter dem Rockzipfel des Königs zu verstecken.“ Er zog die linke Augenbraue spöttisch in die Höhe. „Ihr etwa?“ Ohne die sicherlich abweisende Reaktion des Gardesoldaten abzuwarten, fuhr Rudolf mit eisiger Stimme fort. „Ihr werdet hier und jetzt meine Autorität anerkennen.“

Die Männer hinter ihrem Wortführer wurden unruhig. Der alte Soldat blaffte: „Ruhe!“ Doch viel half es nicht. Die Gardeleute wollten ihrem Unmut Luft machen. Rudolf ignorierte seinen Gesprächspartner absichtlich und seufzte theatralisch. „Also bitte, dann eben ein tiefgründiges Gespräch.“

Blitzschnell sprang Rudolf von der Steintreppe und packte den älteren Mann am Wams. Mit einem Kraftakt hob er ihn ein Stück hoch und schleuderte ihn gegen seine Kumpane, die die Wucht des schweren Körpers völlig unvorbereitet traf. Unter wütendem Geschrei rappelten sie sich hoch, bereit den Störenfried sein Blut schmecken zu lassen. Eilends legte Rudolf sein Schwert ab, denn er wollte den Männern nur eine ordentliche Tracht Prügel verpassen. Diese fünf Leute der Leibwache zeigten nun doch etwas von der Kampfwilligkeit, die sich Rudolf erhoffte. Die anderen hatten sich in eine Ecke des Hofs verdrückt.

Einen ersten Angriff wehrte er geschickt ab. Ein behäbiger Mann stürzte nun wie ein wütender Stier auf die Quelle seines Ärgers, doch nur um einen Augenaufschlag später im Sand zu landen. Rudolf änderte, flink wie ein Wiesel, ständig seine Position und einmal liefen zwei verwirrte Gardesoldaten sogar direkt ineinander hinein. Nach der ersten Attacke hatte sich der Wortführer wieder hochgerappelt und er suchte sofort die direkte Konfrontation. Er erntete von dem Unbekannten einen sehr schmerzhaften Kinnhaken.

Doch wieso war der Schlag mit der linken Faust so verheerend? Der Grünschnabel war doch Rechtshänder? Unter einem Aufstöhnen taumelte der ältere Soldat zurück. Rudolf merkte rechtzeitig, dass ein anderer Gardemann versuchte, sich von hinten zu nähern. Behände warf er sich in den Sand, wälzte sich um die eigene Achse und fuhr dem Angreifer mit einem kräftigen Fußtritt zwischen die Beine. Augenblicklich krümmte sich der Mann vor Schmerzen. Von dem so Gequälten war kein weiterer Widerstand zu erwarten.

Geschickt wich Rudolf einem Tritt aus, der seinem Kopf gegolten hatte und klammerte sich mit einem Griff aus Stahl an den Stiefel des Provokateurs – ein kräftiger Riss nach oben und der Mann krachte aus dem Gleichgewicht gebracht, wie ein Holzpflock auf den Boden. Der offensichtlich noch nicht anerkannte Gardehauptmann rollte sich behände auf die Seite und war mit einem Satz wieder auf den Beinen. Ein Gardist, der ihn von vorne angreifen wollte, krümmte sich schnell unter einem Schlag in die Magengrube.

Rudolf erkannte zu spät, dass im selben Moment eine Hand in einem Faustpanzer auf dem Weg zu seinem Kinn war und empfindlich traf. Sein Kopf dröhnte und er schrie auf. Aus einer klaffenden Wunde schoss augenblicklich jede Menge Blut. Blinde Wut stieg in ihm hoch. „Jetzt reicht es!“ Rudolfs Stimme glich einem wilden Knurren. „Dieses Kinderspiel hat sofort ein Ende!“

Eine Eiseskälte nahm von ihm Besitz und er schlug bar jeder Rücksicht auf die Männer ein. Augenscheinlich war hier eine ordentliche Tracht Prügel notwendig, bevor ein höflicherer Umgang möglich war. Schon bald stellte sich heraus, wer die bessere Kampftechnik und die längere Ausdauer hatte. Die noch aufrechten Gardesoldaten schnauften und schwitzten, während Rudolf nur etwas schneller atmete als sonst.

Doch er sah mittlerweile aus, als wäre er direkt der Hölle entstiegen, um die Menschheit heimzusuchen. Seine Kleidung war über und über mit Staub und Blut bedeckt und sein dunkles Haar stand wild vom Kopf weg. Mit einiger Bewunderung stellte Rudolf fest, dass sich vor allem der ältere Gardesoldat, der ihm von Anfang an die Stirn geboten hatte, immer wieder hochrappelte und erneut angriff.

Doch plötzlich sah Rudolf, dass der Mann wankte und sich verwirrt an den Kopf griff. „Schluss jetzt mit dem Unsinn!“ Sein Gebrüll war in der ganzen Burg zu hören. Mit einem Satz war er bei dem älteren Mann und fing ihn auf, bevor er gefährlich nah bei Brunnenstufe hingefallen wäre.

„Hinsetzen!“ Der designierte Gardehauptmann bugsierte seinen neuen Untergebenen unsanft auf den Boden. „Ich brauche Euch lebend!“ Überrascht blickte der Soldat auf. Seinem lahmen Nicken war zu entnehmen, dass er nun bereit war, die ungewohnte Rollenverteilung zu akzeptieren. Die Signalwirkung auf die anderen vier Männer war beachtlich. Die noch Kampffähigen ließen die Fäuste sinken und fielen allesamt wie altersschwache Häuser zusammen. Erleichtert stieß Rudolf die Luft aus. Wenn er diesen Sturkopf für sich einnehmen konnte, dann hatte er auch den Rest der Truppe gewonnen.

„Abtreten!“ Der nun akzeptierte Gardehauptmann sah sich um. „In zwei Stunden will ich jeden einzelnen von euch in sauberer Montur wieder hier sehen!“

Unter einigem Ächzen und Stöhnen machten sich die Gardeleute davon. Einer brauchte zwei andere Männer zur Stütze. Mit einem Kopfschütteln sah Rudolf ihnen hinterher. ‚Gott sei Dank hat es nicht gerade jetzt irgendjemand auf das Leben Heinrichs abgesehen‘, dachte er beklommen.

3

Neapel 1191

Die Luft flimmerte vor Hitze. Die Sonne brannte unbarmherzig auf die verdorrte Erde. Das wenige verbliebene Gras war auf zähe, braune Stoppeln reduziert. Einige Pferde standen unter den Pinien, ließen ihre Ohren hängen und dösten. Andere Tiere scharrten unzufrieden mit den Vorderhufen am Boden auf der Suche nach etwas Essbarem.

Die Knechte hatten Anweisungen bekommen, den verbliebenen Hafer in Einzelportionen auszugeben. Um Streit zu vermeiden, bekamen die Pferde ihr Futter auch nur in großer Distanz zueinander.

Rudolf tätschelte sein Pferd Maximus, der mit dem Schweif ohne Unterlass nach den Mückenschwärmen schlug. Er bückte sich zu einem Rosmarinstrauch, brach einige Zweige ab und rieb seinem Pferd damit über das Fell. Die Insekten plagten Mensch und Tier. Rudolf fixierte den Schweif und entfernte einige festgehakte Kletten aus dem dichten Haar. „So, jetzt geht es wieder besser.“ Er gab seinem Reittier einen Klaps auf die Hinterhand und sah sich um. In einem Kübel gab es noch Wasser.

Rudolf hielt es Maximus hin. Das Tier roch lange daran und trank unentschlossen ein paar Schlucke. „Das ist nicht einmal mehr für dich genießbar.“ Rudolf schüttelte ärgerlich den Kopf. Er hob den Blick zum Himmel, der in einem Blau erstrahlte, das nicht Schönheit, sondern nur Verderben versprach. Nicht ein Wölkchen am Horizont, von dem erlösender Regen oder für ein paar köstliche Momente Schatten zu erwarten war.

In Gedanken versunken ging Rudolf zu einem kleinen See, der das Heer von Heinrich in den letzten Wochen mit Wasser versorgt hatte. Die Dürre und die vielen Wasserentnahmen hatten den Weiher in einen Sumpf verwandelt. Unzählige Mücken schwirrten über dem schlammgrünen Wasser.

Rudolf brach einen Zweig von dem allgegenwärtigen Rosmarin ab und rieb sich über Gesicht und Arme. Es half ein wenig, denn ihn stachen die Mücken weniger. Er spürte den Schweiß auf seiner Haut. Das schmutzige Leinenhemd klebte auf seinem Oberkörper.

Ein kühles Bad hätte die herbeigesehnte Erleichterung gebracht. „Aber nicht in diesem Pfuhl.“ Frustriert wandte sich der Gardehauptmann ab und ließ seinen Blick über die Zeltstadt schweifen. Eine dicke Schicht aus rötlichem Staub bedeckte die Planen, die kaum Schutz vor der sengenden Sonne boten. Nichts regte sich. Es herrschte eine geradezu gespenstische Windstille.

Die Elemente zeigten sich von ihrer unbarmherzigsten Seite. „Es ist wie ein Zeichen.“ Rudolf strich sich über die verschwitzte Stirn. „Wir sollten nicht hier sein.“ Er schirmte seine Augen gegen die Sonne ab. Die Mauern der Stadt wirkten unter dem gleißenden Licht brüchig. Kein Stein schien auf dem anderen zu stehen, doch der Schein trog. Neapel war ein Bollwerk. Die Stadt hatte jedem Angriff getrotzt und jede Attacke doppelt vergolten. Nach zahllosen Versuchen hatte Heinrich nicht einen Erfolg erzielen können.

„Sie sitzen hinter ihren kühlen Mauern und lachen uns aus.“ Rudolf ließ die Hand sinken. Verbittert trat er gegen einen porösen Stein, der sofort zerbrach. Rudolf ging in die Knie und hob eine Hälfte auf. Das Gestein sah aus wie ein Schwamm. Langsam ließ er die Fingerkuppen über die rauhe Oberfläche gleiten.

„Diese Art von Stein und die ganze rote Erde ...“ Rudolf ließ seinen Blick den Berg hinaufwandern. „Das muss mit dem Vulkan zusammenhängen.“ Buschige Weinstöcke überzogen den Fuß des Vesuvs wie ein grüner Polster. Rudolf spielte mit dem Stein in seinen Händen. „Irgendwo gibt es hier genügend frisches Wasser“, murmelte er. Ärgerlich schleuderte er den Stein weg. „Doch ich bin nicht in der Lage, es zu finden.“ Versunken in seine düsteren Gedanken kehrte er zu dem Ort zurück, an dem sie nun schon so lange ausharren mussten.

Bei einem der Zelte nahm Rudolf eine Bewegung war. Der einzige Chirurg, der Heinrichs Männer begleitet hatte, trat heraus und wandte sich dem nächsten Zelt zu. Er sah auf und entdeckte Rudolf. Hektisch winkte er den Hauptmann zu sich.

„Wie schlimm ist es, Ubald?“, fragte Rudolf bitter.

Der Mann hob hilflos die Schultern. „Seht selbst.“ Er deutete auf die Männer, die teilweise auf der nackten Erde lagen und von schrecklichen Krämpfen geschüttelt wurden. „Die Lehre empfiehlt bei dieser Art von synocha [1]auf jeden Fall den Aderlass.“ Ubald kratzte sich an der Stirn. „Aber es sind jetzt schon so viele. Das ist nicht zu schaffen.“ Ratlos kramte der Heilkundige in seinem Beutel. „Ich weiß auch nicht, ob eines meiner Kräuter hilft.“

Rudolf hatte Ubald stumm zugehört. Er zeigte auf die Zelte. „In wie vielen von denen sind Kranke?“

„Zu allen jenen hier“, der Chirurg zog mit der Hand einen Kreis, „kommen noch diese fünf Zelte hinzu.“ Mit einem Hoffnungsschimmer in den Augen sah Ubald den Hauptmann an. „Habt Ihr Wasser gefunden?“ Zur Antwort presste Rudolf die Lippen zusammen und schüttelte müde den Kopf.

„Dann werden diese Männer bald nur mehr den Priester brauchen.“ Ubald bekreuzigte sich und lief eilig zum nächsten Krankenlager.

Rudolf machte einen Rundgang durch das Lager und zählte die Kranken. Überall das gleiche Bild: schweißüberströmte, heftig zitternde Leiber. Er spürte, wie ihn die Verzweiflung übermannen wollte. Er musste dringend mit Diether von Katzenelnbogen sprechen.

In seinem Zelt war aber nur ein leises Röcheln zu hören. Der Kanzler lag ausgestreckt auf seinem Lager und rang um jeden Atemzug. Der Leibarzt des Kaisers tastete nach dem Puls. Mit besorgtem Gesichtsausdruck schüttelte er den Kopf. „Mir ist so eine Art von Fieber noch nie untergekommen“, murmelte er bedrückt. Direkt neben ihm stand Heinrich. Er hatte den Blick starr auf seinen engsten Vertrauten gerichtet. Die Bewegung am Zelteingang ließ den Kaiser aufsehen. Er hob nur schwach die Augenbrauen ohne die Frage auszusprechen, die alle beschäftigte.

„Weitere fünfunddreißig“, sagte der Gardehauptmann leise und trat zu Katzenelnbogen ans Lager. Verzweifelt ließ er den Blick über den sterbenskranken Mann wandern.

„Ist es dieselbe Krankheit wie bei den anderen, Gallus?“ Rudolf sah den kaiserlichen Arzt an.

Der Mediziner schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich kann es Euch nicht sagen. Es ist möglich, aber der Kanzler ist besonders schwer krank.“

Vorsichtig strich Gallus mit einem Tuch über Diethers eingefallenes Gesicht. „Die lange Reise hat den Kanzler vermutlich sehr geschwächt ...“, der Leibarzt senkte die Stimme, „ ... und die Belagerung auch.“

Rudolf nickte grimmig. Er wusste auf den Tag genau, wie lange das Heer schon vor Neapel lag. „64 Tage“, knurrte er ohne auf Heinrich zu achten.

Die Erinnerungen stürzten auf Rudolf ein. Der Herrscher hatte sich weder von seinem Kanzler noch von ihm beraten lassen. Die Reise nach Rom war eine Ochsentour gewesen. Heinrich hatte schon vor seiner Krönung zum Kaiser in jeder wichtigen Stadt eine Demonstration seiner Stärke und Macht geliefert.

Er hatte jedes Anliegen unbarmherzig abgeschmettert und das Wort Gnade war nicht einmal über seine Lippen gekommen. Heinrich hatte seine Untertanen rücksichtslos in seine Pläne gepresst. Die Städte Pisa und Genua hatte es besonders hart getroffen, denn von ihnen hatte Heinrich nachdrücklich eine Flottenhilfe für seinen Feldzug gegen Sizilien verlangt.

In Rom war die Stimmung gegen den Kaiser besonders schlecht gewesen. Papst Coelestin III. war unmissverständlich gegen die weitere Ausweitung der Macht von Heinrich gewesen. Dem heiligen Stuhl war es gut zu pass gewesen, dass er im Süden des päpstlichen Herrschaftsgebietes bisher keine Staufer gehabt hatte.

Der verstorbene Papst Clemens hatte seine Haltung mit der Krönung von Tankred schon ausreichend unter Beweis gestellt. Da er sich aber nicht gegen die Wahl der Vertreter des Reiches stellen konnte, wollte er aus der unvermeidbaren Kaiserkrönung zumindest Vorteile für sich herausholen. Die kleine und reiche Stadt Tusculum in der Nähe von Rom hatte unter dem Schutz der Staufer gestanden. Sie war dem Papst sowie den Römern ein Dorn im Auge gewesen.

Coelestin hatte den Aspiranten auf die Kaiserkrone in zähen Verhandlungen mit Drohungen gegen die kleine Stadt unter Druck setzen wollen, um Zugeständnisse aus Heinrich herauszupressen. Rudolf beutelte es bei dem Gedanken an die Kaltblütigkeit, mit der Heinrich vorgegangen war. Bar jeder Gemütsregung hatte er sich kein einziges Zugeständnis abringen lassen und hatte Tusculum im Stich gelassen. Die Römer hatten nach der Kaiserkrönung nicht lange gezögert. Die schutzlose Stadt war dem Erdboden gleichgemacht worden.

Zuerst war es nur ein Flüstern gewesen, doch schon bald war der neue Beiname des Kaisers in aller Munde gewesen: Tramontana.[2] Dieser wenig schmeichelhafte Vergleich beschrieb eine besonders unangenehme klimatische Erscheinung, die einen empfindlichen Kältesturz mit sich brachte. Ausdauernde Regenfälle oder in einigen Fällen sogar Schnee zerstörten die Frucht auf den Feldern und hatten häufig eine Nahrungsknappheit zur Folge.

Dieser Wesenszug seines Herrschers hatte den Kanzler bis ins Mark erschüttert. Er verlor jeden Zugang zu Heinrich und konnte auch nicht zu ihm durchdringen, als es von zu Hause beunruhigende Kunde gegeben hatte. Die Zeichen hatten nicht günstig gestanden, um weiter in den Süden vorzudringen.

Die gegnerischen Kräfte waren während der Abwesenheit des Staufers eifrig ans Werk gegangen. Besonders Eleonore von Aquitanien hatte im Sinne der englischen Interessen ein dichtes Netz von Intrigen gewoben, um Heinrich politisch von Frankreich und Spanien zu isolieren. Ihr Sohn Richard Löwenherz war sogar soweit gegangen, ein Bündnis mit Tankred von Sizilien zu schließen. Er hatte damit einen unziemlichen Standpunkt gegen die Staufer bezogen, um den sich Heinrich nach Diethers Meinung zuerst hätte kümmern sollen.

Jeglicher weiterer Verbleib in Italien wäre ein fataler Fehler gewesen. Doch Heinrich hatte alle Bedenken abgetan und sich aufgrund seiner Salbung für unfehlbar gehalten. Er hatte sogar einen Teil seines Heers in Richtung Apulien fortgeschickt, um Roger von Andria Beistand zu leisten. Anschließend hatte er darauf bestanden, der Stadt Neapel mit einer stark reduzierten Streitkraft die Stirn zu bieten. Nun waren sie hier am Fuße des Vesuvs – am Ende ihrer Kräfte und der Gevatter Tod saß ihnen im Genick.

Mit einem Seufzer ließ sich der Kaiser auf einem Scherenstuhl nieder. „Ihr könnt es ruhig laut sagen, Rudolf“, sagte er matt. „Wir wissen sehr wohl, dass Wir Uns hier im Vorhof zur Hölle befinden.“

Verdrossen presste Heinrich die Lippen aufeinander. „Neapel ist stärker als Wir gedacht haben. Es war nicht unser Plan, bei dieser Hitze hier auszuharren. Ihr wisst selbst, dass Wir schon Anfang des Sommers in Salerno sein wollten, wo Unsere Gemahlin auf Uns wartet.“

Rudolf schluckte jede Entgegnung, die ihm darauf einfiel, tapfer hinunter. Das war eine weitere Entscheidung von des Kaisers Gnaden gewesen, die weder er noch Diether gut geheißen hatten. Doch Heinrich hatte darauf bestanden, dass Konstanze mit dem Schiff vorausfahren und im Palast von Salerno untergebracht werden sollte. ‚Im Nest einer Viper wäre die Kaiserin sicherer gewesen‘, grummelte Rudolf in Gedanken.

„Wie viele Männer sind insgesamt krank?“ Heinrich zeigte auf seinen Kanzler. „Fast vierhundert und jede Stunde werden es mehr“, gab Rudolf knapp zurück.

Der Kaiser schloss kummervoll die Augen. Wieso stellte Gott seinen Friedenskaiser so auf die Probe? Der Großteil seiner Armee lag krank darnieder. Die meisten Vorräte waren verbraucht oder bei der unerträglichen Hitze verdorben und es gab keinen Tropfen frisches Wasser mehr.

Und wollte er seinem Leibarzt glauben, würden sie vor Neapel einen riesigen Friedhof zurücklassen. Der Kaiser strich sich müde über die Stirn und die Schläfen. Sein ganzer Kopf pochte unangenehm. Ohne Vorwarnung drehte sich alles vor seinen Augen. Seine Bewegungen wurden plötzlich fahrig und seine Hände zitterten unkontrollierbar. Sie versagten ihren Dienst als der Kaiser Halt suchte.

„Gott stehe uns bei!“ Rudolf entfuhr ein Ausruf des Entsetzens und er sprang an die Seite seines Herrschers, um ihn vor einem ungebremsten Sturz auf den Boden zu bewahren. Sofort eilte Gallus herbei und griff nach der Hand des Kaisers. Mit weit aufgerissenen Augen zählte er die unnatürlich schnellen Pulsschläge. „Ja, Gott stehe uns bei!“, stieß er atemlos hervor. „Bringt ihn in sein Zelt.“ Der Leibarzt dirigierte Rudolf mit seiner Last zum Ausgang.

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Texte © Copyright by Marianne Acquarelli Leopoldauer Platz 42 1210 Wien [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Marianne Acquarelli

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-9503-8241-9