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Ein früher Meisterkrimi um den realen New Yorker Inspektor Byrnes. Ein Roman, der auf dem tatsächlichen Einbruch in der Manhattan Savings Bank von 1878 basiert. Ein wahnsinniger Coup. Und eine damals unverstellbare hohe Geldsumme fällt den Ganoven in die Hände. Doch diese haben nicht mit New Yorks besten Ermittler, Thomas Byrnes, gemacht. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 206
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Julian Hawthorne
Der große Bankdiebstahl
Kriminalroman
Julian Hawthorne
Der große Bankdiebstahl
Kriminalroman
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Margarete Jacobi EV: Robert Lutz, Stuttgart, 1916 (206 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962813-89-5
null-papier.de/591
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Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
6. Kapitel.
7. Kapitel.
8. Kapitel.
9. Kapitel.
10. Kapitel.
11. Kapitel.
12. Kapitel.
13. Kapitel.
14. Kapitel.
15. Kapitel.
16. Kapitel.
17. Kapitel.
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Als ich vergangenen Herbst an einem Oktobernachmittag die Fünfte Avenue in New York hinunterging, traf ich zufällig auf einen mir bekannten Zeitungsredakteur. Die Begegnung kam mir höchst erwünscht, denn der Umgang mit ihm war immer anregend. Durch langjährige Erfahrung in seinem Beruf, große Beobachtungsgabe und ein treffliches Gedächtnis hatte er sich eine umfassende Geschäftskenntnis erworben. Auch verkehrte er viel in Gesellschaft und kannte nicht nur die ganze vornehme Welt von New York, sondern auch viele Persönlichkeiten, die zwar nicht in jene auserwählten Kreise gehörten, aber deshalb nicht minder interessant waren. Da er zudem eine mitteilsame Natur war, ließ sich manche Stunde aufs angenehmste mit ihm verplaudern.
Die Sonne stand schon tief am Himmel; sie leuchtete den Leuten, die uns begegneten, gerade ins Gesicht, und lange Schatten fielen auf das Pflaster. Es war Sonnabend; eine große Menschenmenge wogte in den Straßen hin und her; auf dem Fahrweg rasselten zahllose Droschken und Equipagen, dazwischen der schwerfällige Omnibus und das leichte Kabriolett. Die vornehme Welt war vom Seestrande, der Sommerfrische im Gebirge oder von der europäischen Tour zurückgekehrt und benutzte den schönen Herbsttag, um sich von neuem in das ruhelose Getriebe der Großstadt zu stürzen, in der es nie an Aufregung und Anregung zu fehlen scheint. Auch mir machte das Hasten und Jagen heute besonders viel Eindruck – es war mein erster Tag in der Stadt, nach längerem Aufenthalt in einem abgelegenen Seebade.
So, da bist du wieder und siehst wohl und munter aus, sagte mein Freund von der Presse, mir die Hand schüttelnd. Weißt du was, wenn du nichts Besseres vorhast, so komme um sechs Uhr nach dem St. James-Hotel; wir speisen zusammen und sehen dann, was es heute Abend im Theater gibt. Wie gefällt dir mein Vorschlag?
Das Mittagessen lasse ich mir gefallen, aber zum Theater habe ich keine besondere Lust.
Aha, du willst wohl nicht erst Toilette machen! Da weiß ich noch anderen Rat: letzte Woche bin ich im Zirkus gewesen, wo ein ausgezeichneter Pferdebändiger Vorstellung gibt. Es ist ein sehr anständiges Lokal; man findet Leute aus der besten Gesellschaft, auch Damen, und braucht sich nicht erst umzukleiden. Nun, was meinst du dazu?
Einverstanden! entgegnete ich; als Knabe habe ich den berühmten Rarey gesehen und wäre begierig, ob dein Mann sich mit ihm vergleichen lässt.
Schön, sagte der Journalist, also um sechs Uhr! Oder kommst du gleich mit in meine Wohnung und rauchst eine Zigarre, während ich einen Brief erledige?
Danke, ich will erst noch einen kleinen Gang durch den Park machen, um mir Appetit zu holen. Wir standen gerade an der Ecke, wo die Avenue in den Broadway, die glänzendste Straße von New York, mündet, im Begriff, querüber nach der anderen Straßenseite zu gehen. Hier herrschte großes Wagengedränge – doch kaum hob der riesige Ordnungswächter, der an dieser gefährlichen Stelle unumschränkt gebietet, den Arm in die Höhe, als wie mit Zauberschlag der Verkehr stockte, die Wagenreihe hielt und der Trupp Fußgänger schnellen Schrittes hinübereilte – wir mit ihnen. Mein Freund ging dicht vor mir, und als er an einem kleinen eleganten Kabriolett vorüberkam, auf dessen Bock der Kutscher würdevoll thronte, sah ich, wie er einen Blick auf die Insassin warf und grüßend den Hut lüftete. Die Dame im Wagen erwiderte den Gruß lächelnd und mit leichter Verneigung; ich befand mich in ihrer unmittelbaren Nähe, sodass ich sie mit Muße betrachten konnte. Sie mochte etwa dreißig Jahre zählen und war noch eine auffallende Schönheit. Zu ihrem dunkelfarbenen Anzug trug sie einen Hut aus gleichem Stoff; ihr Gesicht war bleich, der Ausdruck ihrer feinen Züge starr und kalt, und doch war mir, als sei dies schöne vornehme Antlitz wohl imstande, starke Leidenschaften wiederzuspiegeln. Die leidenschaftliche Natur war aber entweder nie zum Ausbruch gekommen und ihre Flammen loderten und sprühten nur im Innern, oder sie waren in einem entscheidenden Lebensmoment einmal hoch aufgeflackert und hatten sich in ihrer eigenen Glut verzehrt. Jedenfalls war es ein Gesicht, das man nicht wieder vergisst; auch in der leichten, anmutigen Verbeugung, mit der sie den Gruß meines Freundes erwiderte, lag ein bestrickender Reiz. Offenbar gehörte die Dame den vornehmsten, reichsten Kreisen an und hatte schon ihr Teil erlebt! Als ich drüben auf der Straße wieder mit meinem Gefährten zusammenkam, warf ich wie von ungefähr eine Bemerkung über seine interessante Bekanntschaft hin.
Du meinst die Dame im Kabriolett? Jawohl, die kenne ich oberflächlich. Bist du ihr nie begegnet? Da hast du etwas verloren!
Das kommt davon, wenn man sich, wie ich, zwölf Jahre im Ausland herumtreibt.
Im Jahre 1878, fuhr mein Freund fort, traf ich sie zum ersten Mal. Ich könnte dir Dinge über sie erzählen, von denen keine fünf lebenden Menschen etwas wissen. Aber du bist Romanschreiber, und ich traue dir nicht!
Wenn sie sich dir anvertraut hat, kannst du mir wohl auch vertrauen! entgegnete ich.
Wer sagt denn, dass ich’s von ihr weiß? Sie hat einfach nicht hindern können, dass ich’s erfuhr! – Also, wenn du dir durchaus erst noch Bewegung machen musst – auf Wiedersehen – aber sei ja recht pünktlich.
Er verschwand in der Tür seiner Wohnung, und ich ging weiter die Avenue hinunter. Das bleiche Gesicht der Dame im Kabriolett verfolgte mich förmlich. Wer konnte sie sein? was mochte sie erlebt haben? wie hatte mein Freund ihre Bekanntschaft gemacht? wie die seltsamen Dinge erfahren, die so wenige außer ihm wussten, und mit deren Mitteilung er, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, so zurückhaltend war? Handelte es sich um eine Entführung, eine Ehescheidung, oder was sonst? Ich ließ meiner Einbildung freien Lauf, natürlich ohne zu einem befriedigenden Resultat zu gelangen. Ich nahm mir vor, weitere Erkundigungen einzuziehen, wobei ich mir nicht verhehlte, dass die Wirklichkeit höchst wahrscheinlich den romantischen Schleier zerreißen würde, den ich um die Unbekannte gewoben. Vergebens musterte ich die vorübereilenden Wagen, in der Hoffnung, ihrer noch einmal ansichtig zu werden. Aber obwohl mehrere dem ihrigen glichen, entdeckte ich ihn nicht; vermutlich wohnte sie im unteren Teil der Avenue, wo noch immer einige der angesehenen älteren Familien zu finden sind, trotzdem Handel und Gewerbe dort täglich mehr Boden gewinnen. Am besten, ich schlug mir die ganze Sache gleich aus dem Sinn, denn, da ich so selten in der New Yorker Gesellschaft verkehrte, war zehn gegen eins zu wetten, dass ich die geheimnisvolle Schönheit nie wiedersehen würde.
Unter solchen Gedanken war ich bis ans Ende des Parks gelangt; nun machte ich kehrt und begab mich auf den Rückweg. Der Westen war jetzt ein Glutmeer; die Gestalten, die an mir vorübereilten, erschienen ganz dunkel in dem grellen Licht. Es war nun die Stunde, wo die reiche und vornehme Gesellschaft New Yorks zum Mittagessen nach Hause eilte. Wie glücklich und glänzend sie zu sein schienen, diese reichen Leute! Und doch begann um dieselbe Zeit in einem anderen Viertel der Stadt eine andere Menschenklasse ihre rastlose Tätigkeit, ihren nie endenden geheimen Krieg gegen die Günstlinge des Glücks. Seit Beginn der Weltgeschichte ist dieser Krieg entbrannt und wird noch heute mit größter Erbitterung fortgeführt. Zuweilen gelingt es etlichen der Angreifer, sich in die Reihen ihrer Gegner zu drängen und, äußerlich wenigstens, sich ihnen gleichzustellen; manchmal auch sinken die in Ansehen und Wohlleben Geborenen zu Genossen der Kinder der Nacht herab; denn die Grenzlinie zwischen beiden ist nicht bestimmt und dauernd.
Indessen war es Zeit geworden, an die Verabredung mit meinem Freunde zu denken und ihn abzuholen.
Kurz vor sieben Uhr kamen wir am Billetschalter in der Vorhalle des Zirkus an. Viele Personen drängten sich mit uns durch einen schmalen Gang, von dem aus wir in einen großen, halbkreisförmigen Saal gelangten, dessen etwa hundert Fuß langer und achtzig Fuß breiter innerer Raum mit Sand und Sägemehl bedeckt und auf drei Seiten von amphitheatralisch ansteigenden Sitzen umgeben war. Ein leichtes, hölzernes Geländer trennte die Arena von den untersten Bänken, hätte aber schwerlich den dort Sitzenden wirklichen Schutz gewährt, wenn etwa ein widerspenstiges Pferd sich einfallen ließ, zwischen die Zuschauer hineinzusprengen. Doch waren diese Plätze ebenso gut besetzt wie die oberen Reihen. Das Publikum bestand zwar größtenteils aus Kennern und Liebhabern von Pferden, doch fehlte es auch nicht an anderen Zuschauern, und die sogenannte gute Gesellschaft war zahlreich vertreten.
Unsere Plätze befanden sich auf einer der oberen Sitzreihen; wir hatten sie kaum eingenommen, als der Direktor mit der Peitsche in der Hand in die Mitte der Arena trat und sich gegen die Anwesenden verneigte. Er war groß, breitschulterig, von starkem Muskelbau, jedoch in seinen Bewegungen leicht und behände, den ziemlich kleinen Kopf umgab blondes, lockiges Haar, er hatte hübsche Gesichtszüge, scharfblickende Augen, eine etwas gebogene Nase und einen langen Schnurrbart. Nach kurzer Ansprache, in welcher er sich über die Kunst des Bändigens und Zureitens der Pferde verbreitete, gab er dem Stallmeister einen Wink, mit der Vorstellung zu beginnen.
In diesem Augenblick entstand ein Geräusch auf der linken Seite der Halle. Eine Dame in dunkelfarbiger Kleidung kam den Gang herunter, ihr folgte ein junger Mann in tadellosem Gesellschaftsanzug, und beide nahmen in der vordersten Reihe nahe am Geländer Platz. Die Dame war verschleiert, ich erkannte sie jedoch sofort, es war die geheimnisvolle Unbekannte, die wir am Nachmittag im Kabriolett gesehen. Mein Gefährte, der sie zu gleicher Zeit bemerkte, zog die Augenbrauen in die Höhe.
Wahrhaftig, ein Wink des Schicksals, sagte ich, dass du mir mitteilen sollst, wer sie ist und was du von ihr weißt! Also nur heraus damit, ich bin ganz Ohr.
Eines nach dem anderen, erwiderte der Journalist, oder noch besser, ich lasse dich wählen. Willst du wissen, wer sie ist, so stelle ich dich ihr vor und überlasse dich dann deinem eigenen guten Glück. Willst du aber von mir Näheres über sie erfahren, so kann das nur unter einer Bedingung geschehen.
Und die wäre?
Dass du dich verpflichtest, weder nach ihrem wahren Namen zu fragen, noch ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Nur dann kann ich’s vor meinem Gewissen verantworten. Bis zur Pause hast du Zeit, dich zu entschließen – aber jetzt lass mich in Ruhe, ich will sehen, wie er mit der Stute dort fertig wird.
Die Stute war ein schönes Tier, aber, wie ihr Eigentümer behauptete, vollkommen unbrauchbar, weil sie die Unsitte hatte, bei der geringsten Veranlassung scheu zu werden. Der Pferdebändiger, welcher vollständig ruhig und gelassen blieb, ja eine unerschütterliche Festigkeit zeigte, trat dicht vor die Stute hin und blickte ihr starr in die Augen. Nach wenigen Sekunden trat er einen Schritt rückwärts, ohne den Blick von ihr abzuwenden, und sie folgte ihm wie ein Hund, wohin er ging. Nun brachte man einen Sattelgurt und eine Leine herbei; das rechte Vorderbein des Tieres wurde festgebunden, und nach kurzem Kampfe gelang es dem Tierbändiger, das Pferd zu Boden zu werfen. Auf der Weiche der Stute sitzend erklärte er nun seiner Zuhörerschaft Grund und Zweck dieses Verfahrens. Dann ließ er das Tier wieder aufstehen und trieb es in der Arena im Kreise herum; er selbst ging hinterdrein, in einer Hand die Zügel, in der anderen Leine und Peitsche haltend, während die Diener, um die Stute zu erschrecken, allerlei Papierstreifen und andere Gegenstände in der Luft schwenkten; sobald sie aber Miene machte, scheu zu werden, brachte ein plötzliches Anziehen der Leine sie zitternd auf die Knie nieder. Zuletzt ertönten Trommeln und Trompeten vor den Ohren des geängstigten Tieres, Blechpfannen klapperten, Pistolen knallten auf allen Seiten, bis die Stute nach kurzem aber heftigem Kampfe allen Widerstand aufgab und ihre Furcht überwand. Nun schirrte man die Besiegte an einen Wagen; von rechts und links erhob sich ein wahrer Höllenlärm, auf jede Weise versuchte man sie in Schrecken zu setzen. Sie aber ging ruhig und unbeirrt ihres Weges und wurde unter dem donnernden Beifall der Zuschauer aus der Arena geführt.
Ich muss gestehen, dass ich der Vorstellung nur mit geteilter Aufmerksamkeit gefolgt war; meine Blicke kehrten immer wieder zu der Dame im dunklen Kleide zurück. Sie saß unbeweglich da, die Hände ruhten lässig in ihrem Schoß; sie schien den Vorgängen in der Arena kein größeres Interesse zu schenken als dem unausgesetzten aber gewiss ganz oberflächlichen Geplauder ihres geschniegelten Begleiters. Es mochte wohl nicht leicht sein, diese Frau aus ihrer Teilnahmlosigkeit aufzurütteln; sie sah aus, als gäbe es für sie nichts Neues unter der Sonne, als habe sie alle Illusionen hinter sich und suche nur nach irgend etwas, das ihr eine Empfindung entlocken, sie in Aufregung versetzen könne. Wenn sie zu letzterem Zweck hierhergekommen war, hatte sie sich – das sah man ihr an – entschieden verrechnet. Schon war sie im Begriff, den Ort wieder zu verlassen, gab jedoch auf Zureden ihres Begleiters, der ihr vielleicht noch etwas Besonderes in Aussicht stellte, den Entschluss wieder auf und verharrte auf ihrem Sitz, wie jemand, der sich in das Unvermeidliche fügt.
Das nächste Tier, das den Zuschauern vorgeführt wurde, war ein kleines Bergpferd, das die Eigenheit hatte, nach rückwärts gehen zu wollen. Sein Besitzer berichtete, er sei einmal auf dem Lande zur Kirche gefahren und habe das Pferd in einem nahen Wagenschuppen eingestellt. Nach beendetem Gottesdienst wollte er es wieder herausholen, konnte es aber in dem engen Raum nicht wenden; nun sei es durch nichts in der Welt dazu zu bringen gewesen, rückwärts herauszukommen. Schließlich habe man die Rückwand des Schuppens abbrechen müssen, um es durch die Öffnung hinauszuführen. An diesem Problem musste sich der Pferdebändiger wohl zwanzig Minuten lang abarbeiten. Als es ihm nach unglaublicher Anstrengung endlich gelungen war, das Tier zum Rückwärtsgehen zu bewegen, wollte es durchaus keinen Schritt mehr vorwärts tun. Dem Mann perlte der helle Schweiß auf der Stirn. Sollte man es für möglich halten, rief er mit komischem Pathos und vorwurfsvollem Blick auf das störrige Tier, dass der Besitzer dieses Pferdes überhaupt jemals zur Kirche gelangen konnte?
Der Spaß brachte das Publikum zum Lachen, und mir schien, als zeige sich selbst in den Zügen der Dame zum ersten Mal ein schwacher Schimmer von Interesse. Zehn Minuten später war der Widerstand des Tieres gebrochen, und nun kam der Haupteffekt des Abends an die Reihe.
Ein kohlschwarzer Rappe wurde hereingeführt, bei dessen Erscheinen ein Murmeln der Bewunderung durch die Zuschauerbänke lief. Er war nicht groß, schien aber vollkommen ohne Makel; Mähne und Schenkel glänzten wie Atlas; in jeder Bewegung, besonders in der Art, wie er den Kopf hielt, trug er eine gewisse Selbstgefälligkeit zur Schau, als sei er sich der eigenen Schönheit bewusst. Kein Zeichen von Bösartigkeit war an ihm wahrzunehmen; im Gegenteil, er benahm sich edel und gutmütig, während er im Ring herumgeführt wurde – und doch sollte dieses Pferd die Untugend haben, unwiderruflich und unaufhaltsam mit seinem Reiter durchzugehen.
Als der Pferdebändiger schließlich mitten in der Arena mit dem Rappen zusammentraf und ihm ins Auge schaute, erwiderte dieser den Blick mit einer Art höflichen Interesses, als wollte er sagen, er freue sich, die Bekanntschaft des Herrn zu machen und hoffe, ihre gegenseitigen Beziehungen würden freundlicher Natur sein.
Während ihm Zaum und Zügel angelegt wurden, stand er still wie ein Lamm, hielt den Kopf in die Höhe und schaute das Publikum verständnisvoll an, als schmeichle es ihm, der Zielpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein. Was von seiner unbezähmbaren Wildheit verlautet war, musste wohl stark übertrieben sein, er schien die Sanftmut selbst, und wir versprachen uns wenig Kurzweil von ihm.
Der Versuch, das Tier zu Boden zu werfen, stieß jedoch schon auf Hindernisse; es zeigte dabei viel Feuer und widersetzte sich so mutvoll, als gelte es einen richtigen Zweikampf. Wieder und immer wieder warf sich der Pferdebändiger mit seiner ganzen Körperlast ihm entgegen, jedes Mal aber machte der Rappe eine geschickte Wendung und wehrte den Angriff ab. Es war indes nur eine Frage der Zeit: schließlich ward das Tier doch bezwungen und lag ruhig am Boden.
Ich weiß nun, was ich tue! sagte ich zu meinem Gefährten.
So warte doch! entgegnete dieser, der mich offenbar missverstanden – warte nur, der Bursche wird schon noch seine Tücken loslassen!
Ich spreche ja nicht von dem Pferde, sondern von der Dame im dunklen Hut.
Was ist mit ihr?
Sei so gut und erzähle mir ihre Geschichte; – ich verzichte aufs Vorstellen.
Ja, so! Deine Neugier ist also größer als deine Galanterie! Aber du musst warten, bis dies hier vorbei ist. Der Mann soll nur auf seiner Hut sein! – Ha! ich hab’s doch gedacht! –
Während wir sprachen, hatte man dem Pferde einen starken Leitriemen angelegt und ließ es langsam in der Arena die Runde machen. An seinen rechten Vorderfuß war eine Leine gebunden, die durch den Ring am untern Sattelgurt lief und vom Pferdebändiger festgehalten wurde. Als er den Kreis etwa zur Hälfte durchlaufen und in unserer Nähe angelangt war, blieb die Peitschenschnur in einem Spalt des Geländers hängen, und der Griff flog dem Manne aus der Hand. Bei dem Versuch, die Peitsche wieder aufzuheben, ließ er die Leine fallen.
Sofort, als hätte der Rappe nur auf diesen Augenblick gewartet, tat er einen Seitensprung. Sein Führer stemmte sich mit aller Gewalt rückwärts, bohrte die Fersen in den Sand und zog mit Anstrengung seiner ganzen Muskelkraft den Leitriemen straff. Trotz seiner Löwenstärke war es ihm jedoch völlig unmöglich, das Tier allein mit Hilfe des Zügels zu bezwingen. Es tat einen zweiten Sprung in die Quere und zwar so plötzlich, dass der Pferdebändiger das Gleichgewicht verlor und auf seine rechte Schulter niederstürzte. Er hatte jedoch die Zügel fest um die Hand gewickelt und ließ sie nicht fahren. Das Pferd schleifte ihn auf dem Boden hin, schlug nach vorn und hinten aus und versuchte, ganz rasend vor Wut, ihn abzuschütteln.
Die Zuschauer hatten anfänglich den Ernst der Lage kaum begriffen; als sie aber jetzt den Mann hilflos unter den Hufen des Pferdes liegen sahen, ertönte ein allgemeiner Schreckensruf; man sprang von den Sitzen, wobei eine Reihe von Bänken polternd umfielen. Der Lärm und die Verwirrung schienen das Tier noch rasender zu machen.
Inzwischen waren die beiden Gehilfen herzugeeilt und versuchten den Rappen beim Kopfe zu fassen; aber er warf den einen zu Boden und versetzte dem anderen mit dem Huf einen Schlag in die Seite. Nur wenn es gelang, die Leine wieder zu fassen, war irgendwelche Aussicht vorhanden, das Pferd zu bändigen. Der Mann, der durch die Arena geschleift wurde, hatte seine Geistesgegenwart nicht verloren – er wusste vollkommen, worauf es ankam, aber er konnte die Leine nicht ergreifen, ohne die Zügel fahren zu lassen, und das schien ihm zu gefährlich.
Der ganze Vorgang hatte kaum eine Minute gedauert, aber es wurde immer klarer, dass es bald zu einer Katastrophe kommen müsse. Wenn die schwache Schranke, welche das Pferd von den Zuschauern trennte, zerbrach, konnte nichts mehr das drohende Unheil abwenden. – Schon durch das Drängen und Stoßen über die umgefallenen Bänke hatte sich das Publikum manche Verletzung zugezogen. Natürlich hätten die Zuschauer nichts Klügeres tun können, als den Saal zu verlassen, wer das aber wollte, fand den Ausgang versperrt, weil die Neugier die meisten an Ort und Stelle fesselte, so sehr auch die Furcht sie von dannen trieb.
Der Rappe befand sich jetzt rechter Hand an der Ecke der Arena. Plötzlich richtete er sich auf den Hinterbeinen in die Höhe, sprang über den Mann am Boden hinweg, ohne ihn jedoch mit den Hufen zu berühren, und tat einen Satz nach der linken Seite des Raumes hin. Aller Blicke wandten sich nach dieser Richtung; mir und meinem Gefährten wurde sofort klar, dass die schöne Frau dort auf dem vordersten Platz aufs höchste gefährdet war. Wir sahen sie sich erheben, sich kerzengerade in die Höhe richten, ihren Schleier zurückwerfen. In tödlichem Schreck war ihr Begleiter aufgesprungen, er wollte fliehen, strauchelte aber und fiel der Länge nach zur Erde. Wie verhaltene Angst lief ein seltsam zischender Laut durch das ganze Haus, als das rasende Tier jetzt auf das Geländer zustürzte. Um das Leben der Dame schien es geschehen.
Warum rettete sie sich nicht durch schnelle Flucht? Hatte der Schrecken ihre Glieder gelähmt? – Keineswegs. Ich sah, wie es in ihren großen, müden Augen aufflammte, wie ihre bleichen Wangen sich bis an die Schläfen mit Glut überzogen. Sie sprühte von Feuer und Leben, es schien, als ob ihr die Gefahr und Aufregung einen wahren Genuss verschaffte.
Wie es zuging, dass dieser Augenblick des wilden Entzückens nicht zugleich ihr letzter war, blieb uns zuerst unerklärlich. Schon berührte der Rappe mit den Vorderfüßen die schlanke Gestalt, die nicht vor ihm zurückwich, schon setzte er zum Sprung an über das Geländer – da schwankte er plötzlich und stürzte nieder, im Fall die Schranke mit sich reißend. Bald begriffen wir den Sachverhalt: es war dem Manne, der noch immer die Zügel hielt, endlich gelungen, sich der Leine wieder zu bemächtigen; mit der Kraft der Verzweiflung hatte er sie angezogen und das Pferd zu Fall gebracht. Jetzt stand er zum ersten Mal wieder auf den Füßen, keuchend, mit Staub bedeckt, aber, wie es schien, mit heilen Gliedern. Die Menge jubelte ihm entgegen; er achtete jedoch nicht auf den Beifallssturm, sondern sagte, zu der Dame gewandt:
Mir war’s zuletzt recht bange um Sie, gnädige Frau! Es wird Ihnen doch nichts geschadet haben?
Wir standen jetzt in ihrer unmittelbaren Nähe. – Im Gegenteil, hörte ich sie erwidern, es hat mir großes Vergnügen gemacht.
Der baumstarke Mann warf ihr einen schnellen Blick der Bewunderung zu, dann verzog er den Mund, gutmütig lachend: Das muss ich sagen, meinte er, Sie sind leicht zu befriedigen, gnädige Frau, so etwas wäre nicht jedermanns Geschmack.
Nun sprach er in rauem Ton zu dem Rappen, der mit zitternden Flanken und weit geöffneten Nüstern am Boden lag: »Mach’ dass du aufstehst! Dein Spiel ist nun aus, jetzt geht’s wieder an die Arbeit! – Nehmen Sie, bitte, Ihre Plätze wieder ein, meine Damen und Herren, wandte er sich an das Publikum, in fünf Minuten wird das Tier so zahm sein, dass ein Kind es leiten kann!« –
Beifallgemurmel durchlief die Zuschauerreihen; die meisten entschlossen sich wirklich, dazubleiben. Unterdessen hatte sich der geschniegelte junge Herr zwischen den Bänken wieder emporgearbeitet, eine dicke Beule auf der Stirn, leichenblass und völlig verwirrt starrte er umher. Er allein unter allen Anwesenden wusste nicht, was sich zugetragen. Ein kaltes Lächeln spielte um die schönen Lippen der Unbekannten; sie zog den Schleier wieder herab, nahm den Arm ihres noch ganz bestürzten Begleiters und verließ mit ihm die Halle. Wir folgten ihr auf dem Fuße, der Journalist und ich. Im Gang hob ich einen Handschuh auf, den sie fallen gelassen, und habe ihn seitdem als Andenken bewahrt.
Als mein Freund und ich ins Freie gelangt waren, gingen wir erst eine Weile schweigend nebeneinander her. Endlich sagte ich: Es sah aus, als suche sie den Tod; – ein rätselhaftes Weib!
Ja, entgegnete mein Gefährte, es hatte ganz den Anschein. Da werde einer klug daraus! Wenn eine Frau zum ersten Male in die Welt tritt, bringt ein Strohhalm sie außer Fassung; kaum aber sind ein paar Jahre vorüber, so ist ihr alles zum Überdruss; sie hat für nichts mehr Gefühl, greift nach Gift und Dolch und zuckt nicht einmal mit der Wimper! – So abgebrüht werden doch die Männer nie.
Dann muss sie sich sehr unglücklich fühlen.
O, das nicht gerade – wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne. Sie ist nur völlig blasiert: das erklärt alles. Ich sage dir, es ist der reine Überdruss! Nicht etwa, dass sie ihr Leben los sein möchte, im Gegenteil, sie brennt darauf, zu fühlen, dass sie wirklich lebt. Sie ist inwendig zu Eis erstarrt, und es bedarf einer wahren Höllenglut, um sie wieder aufzutauen.
Was fehlt ihr denn aber? …
Das finde einmal heraus! – Sie heiratete einen der besten Menschen von der Welt, aber zwanzig Jahre älter als sie. Kinder hatten sie keine. Bis vor zehn Jahren war sie eine der gefeiertsten Schönheiten New Yorks und noch heutigen Tages hübsch und geistreich genug, um sich bewundern zu lassen. Das Paar war anfänglich sehr reich, aber der Mann ließ sich durch seinen Geschäftsteilhaber betrügen, und verlor etwa drei Viertel seines Vermögens. Immerhin blieben ihnen noch jährlich drei- bis viertausend Dollars, und für zwei kluge Leute wäre das genug. Jetzt besitzt sie wieder ebensoviel wie zuvor, ja noch mehr, soviel ich weiß.
Hat der Mann alles wieder hereingebracht?
Das nicht gerade. Im Jahre 1882 starb seine unverheiratete Schwester und hinterließ ihm ihr Vermögen; ein halbes Jahr später folgte er ihr ins Grab, und das Geld verblieb seiner Witwe.