Der große Salek - Michael Vedlin - E-Book

Der große Salek E-Book

Michael Vedlin

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Beschreibung

Als Loki zuerst von einer Wasserschlange attackiert und dann auch noch von den gefürchteten Basillen eingesperrt wird, ergeht ein Notruf an den frischgebackenen Familienvater Bartleby, der eigentlich bereits den aktiven Dienst in der Gilde quittiert hat. Doch für seinen besten Freund und Waffenbruder zieht er nun auf Rettungsmission. Er ahnt nicht, dass er es schon bald mit uralten magischen Geschöpfen und einem gewissenlosen Tyrannen zu tun bekommt, der droht, den Planeten Trelor ins Verderben zu stürzen. Den Freunden steht ein Kampf bevor, den sie nur gemeinsam mit Thyadora und Isma bestehen können. Dabei entdecken sie das Geheimnis des Weltenwegs und blicken dem Tod ins Auge ...

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Für alle Zweifler: Lasst es!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Aufgewacht

Kapitel 2: Zurück zum Anfang

Kapitel 3: Randol

Kapitel 4: Kinder, Kinder

Kapitel 5: Basillsche Gastfreundschaft

Kapitel 6: Alchemistenerbe

Kapitel 7: Brenne, Randol, brenne

Kapitel 8: Sammelhort II

Kapitel 9: Ein Licht in der Finsternis

Kapitel 10: Höhlenmalerei

Kapitel 11: Kinderspiel

Kapitel 12: Vereint

Kapitel 13: Angrif!

Kapitel 14: Erholung und Eintracht

Kapitel 15: Cesar und der Hirsch

Kapitel 16: Erkenntnis

Kapitel 17: Hirschi!

Kapitel 18: Verlust

Kapitel 19: Opfer

Kapitel 20: Aufbruch

Kapitel 21: Andel

Kapitel 22: Ein letzter Tanz

Kapitel 23: Geschichte

Kapitel 24: Zeit für …

Kapitel 25: Ich bin Arzt

Kapitel 26: … Rache

Kapitel 27: Zwanzig

Kapitel 1 Aufgewacht

Mit Blick auf den sich langsam klärenden Himmel erwacht Bart aus einem traumlosen Schlaf. Seit Tagen bereits treibt ihn nur ein Gedanke um: Was, wenn Loki dieses Mal nicht zurückkommt?

Nach seinen ersten Reisen und Aufträgen, die er mit Isma bestritten hat, ist Loki seltsam gelöst gewesen und eine neue Form von Gleichmut und Leichtigkeit hielt Einzug in sein Wesen.

Wie großartig war es, diese Freude bei seinem Freund zu beobachten. Eine unendliche Zahl an Jagdaufträgen auf Dutzenden Welten hatten es nicht geschafft, Loki dieses Leben einzuhauchen.

Bart setzt sich auf die Bettkante. Das Holzgestell knarzt, doch Thyadora ist an das Geräusch gewöhnt. Ihr Gatte neigt zu einem kurzen Schlaf. Manchmal nennt sie ihn liebevoll den Schlaflosen.

Barts Blick fällt auf das Feld vor dem Haus. Verschiedene Sorten Gemüse wachsen und gedeihen in dem fruchtbaren Boden. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als ihn die Gedanken für eine Sekunde zur ersten Begegnung mit seiner Frau zurückbringen.

Thyadora Sharma, die junge Jägerin, überwältigt und gefesselt an einem Baumstumpf. Ihre Mähne zu einem Zopf gebunden und ein grimmiger Blick auf dem Gesicht. Keinen Moment wollte sie ernsthaft nachgeben vor Loki und seinem Psychospielchen. Jeder hätte wohl gezuckt bei dem Gedanken an Verbrennungen auf der Haut.

Mit ein paar leichten Drehbewegungen bringt der alternde Jäger seine Knochen zum Knacken und wendet sich dann zaghaft seiner Liebsten zu.

Wie schön, dass du Ruhe für dich gefunden hast, denkt er und streicht eine Strähne seicht aus dem ihm zugewandten Gesicht.

Winzige Fältchen zeichnen sich auf ihrer Haut ab - nur ein paar kleine an Augen und Mundwinkeln, die Thya einen gewissen Charme verleihen.

Barts Hand zuckt zurück, als sich seine Frau langsam mit leisem Gemurmel umdreht.

Genug Zeit … es ist wie immer sehr früh … General Sado wendet sich ab und greift die Holzprothese vom Hocker neben dem Bett. Das anfängliche Humpeln ist beinahe vollständig verschwunden. Mit dieser dritten Version seiner Gehhilfe ist er bisher am zufriedensten. Die Erste zwickte nach längeren Strecken doch erheblich am Stumpf und die Zweite hat nicht einmal den Weg vom Arzt zur Kutsche überlebt. Diese Dritte nun ziert sein Bein bereits seit vier Jahren. Nach der schweren Verletzung, die schlussendlich auch das Ende seiner Jägerkarriere einläutete, sind nun über fünf Jahre ins Land gezogen. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem er nicht an diesen Moment zurückdenkt, der sein Leben schlagartig veränderte.

Der Kampf gegen Tril, beziehungsweise Perka, war in vielerlei Hinsicht besonders. Auch Loki, Isma, Thya, Hama und Cesar waren danach andere Menschen geworden.

Isma und Loki sind als neues Gespann sehr erfolgreich über den Weltenweg gereist und konnten eine ganze Menge Jagdaufträge für sich verbuchen. Schon nach einigen Monaten hatten sie sich einen Namen gemacht und Bart durfte viele Ziele von der Liste streichen.

Die Arbeit als Oberhaupt der Gilde fordert ihn auch heute noch auf eine völlig andere Weise. Das fortwährende Sitzen und die ständigen Gespräche mit Untergebenen zeigen deutlich, was er für seine neue Familie bereit ist, zu opfern.

Der kleine Cesar – sein Name ist wohl das Einzige, bei dem sich Bart in den letzten Jahren durchgesetzt hat – erfreut sich bester Gesundheit und ist oft genug so etwas wie der große Held für seine kleine Schwester.

Marta erblickte zwei Jahre nach Cesar das Licht der Welt. Sie ist ein sehr stilles und zurückhaltendes Kind, verstrickt sich aber fortwährend in unschöne Situationen. Oft schon durfte ihr großer Bruder sie aus einer misslichen Lage befreien. Zuletzt steckte eines ihrer Beine in einem Erdloch fest und sie hat bitterlich geweint. Erst mit Cesars Eintreffen versiegten die Tränen langsam und der Bruder konnte den eingeklemmten Fuß herausbuddeln.

Sein Namensgeber war zu jener Zeit damit beschäftigt, Hama auf die Dicke Träne einzuschwören. Cesars fortwährender Met- und Krautkonsum setzten ihm mehr und mehr zu. Schließlich musste er einsehen, dass er sein Lokal nicht mehr mit der gleichen Stärke und – vor allem – Nüchternheit führen konnte. Und so lernte Cesar seinen jungen Schützling eine Zeitlang an und übergab ihm schließlich die Schlüssel zu seiner geliebten Bar.

Den Gedanken, sich der Gilde anzuschließen, ließ Hama dann auch schneller hinter sich, als Cesar den Gold-Met zu Hamas Hochzeit auffüllen konnte.

Der Flüchtling aus Randol – und Algon – stellte sich als erstaunlich mutig heraus. Der Kampf gegen Perka ließ ihn Kräfte in sich finden, die er lange verschollen glaubte.

Eines Abends in der Dicken Träne, Cesar war leider zu nichts mehr zu gebrauchen und hing volltrunken an der Bar, machte sich ein stattliches Exemplar der Marke „riesengroß und muskelbepackt“ daran, Susi schöne Augen zu machen. Leider blieb es nicht bei unschuldigen Blicken. Der Gast fiel schnell unangenehm auf und wurde handgreiflich. Anfangs konnte Susi sich noch erwehren, doch der Grobian ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen. Hama nahm sich ein Herz und schlug dem Gast mit einer Flasche hart und heftig auf den Schädel. Dieser ging augenblicklich zu Boden. Die mutige Aktion verschaffte den Türstehern im Casino genügend Zeit, den Weg nach oben zu suchen und den betäubten Gast nach draußen zu schleifen.

Mit dieser Heldentat gelang es Hama, sich einen Weg in Susis Herz zu erschleichen. Der Rest ist Geschichte.

Kaum einer hätte die beiden je als Paar gesehen – Susi wohl am wenigsten – doch geht die Liebe manchmal doch recht eigenartige Wege.

Bei Hamas und Susis Hochzeit durfte der kleine Cesar den Ringträger mimen und seine erste Aufgabe in der großen Runde der sechs Freunde übernehmen. Der Sieg über Perka schweißte alle um einiges enger zusammen. Kein Tag verging, an dem sie sich nicht auf irgendeine Art begegnet waren, oder geholfen hatten.

Die Ära von Bartleby und Loki war zwar auf eine Art Vergangenheit, doch dafür wurde das Zeitalter von Loki und Isma, Bart und Thya, Hama und Cesar, Hama und Susi gerade erst eingeläutet.

„Es ist noch zu früh … ein paar Minuten noch …“, grummelt Thyadora in ihr Kissen.

Würde Bart sie nicht so gut und lange kennen, hätte er kein Wort verstanden.

Mit einem liebevollen Streicheln über ihren Rücken antwortet er auf seine eigene Art und erhebt sich. Das Holzbein ist am Fußende gepolstert und so entsteht beim Auftreten kaum ein störendes Geräusch.

Ein weiches Licht fällt durch die sanft wehenden Vorhänge hindurch. Bart greift den Stoff in der Mitte und schließt den Spalt. Mit der voranschreitenden Zeit wird auch die Sonne mehr und mehr in das Schlafzimmer der Sado-Sharmas eindringen. Doch Bart möchte seiner Frau noch etwas Ruhe gönnen. Wenige Meter trennen den altgedienten Kopfgeldjäger von der Tür zum Wohnbereich. Dank seiner guten Kontakte und dem reichlich angehäuften Kopfgeld, konnte sich die Familie ein großes Haus auf dem Land leisten.

Neben einem eigenen Schlafzimmer für die Eltern haben auch Cesar und Marta ihr eigenes Zimmer bekommen. Selbst für ein Büro, von dem aus Bart hin und wieder seinen Geschäften nachgeht, ist noch genug Platz.

Als er leise die Tür hinter sich schließt und auf Zehenspitzen den Weg zur Küche nimmt, merkt er zunächst nicht, wie ihn ein Augenpaar neugierig beobachtet.

Böse Zungen könnten nun behaupten, er habe seine Instinkte verloren oder gehöre zum alten Eisen. Doch hat Bart nur gelernt, den Jägermodus in gewisser Weise abzustellen.

Kurz vor seinem heißgeliebten Kochmat hält er inne und spürt den stechenden Blick hinter sich.

Ruckartig dreht sich der General um die eigene Achse und blickt in die gleichen geisterhaften Augen, wie Thyadora sie hat. Marta sitzt am Tisch in der Küche und saugt schweigend an einem Stück Brot.

Augenblicklich erhellt ein Lächeln Barts Blick. Oft genug schon überraschte ihn seine Tochter mit diesen kleinen Schockmomenten.

„Wie lange bist du schon auf?“

Marta mampft stoisch weiter und zuckt mit den Schultern.

„Ist dein Bruder auch schon wach?“

Kopfschütteln.

Bart bereitet zur gleichen Zeit eine Kanne Kaffee zu.

„Konntest du nicht schlafen, Mai?“

Die Kleine dreht sich um und blickt zum Fenster an der gegenüberliegenden Wand hinaus. Mit dem Zeigefinger deutet sie auf die aufgehende Sonne und beißt großzügig vom Brot ab.

„Die Sonne ist schön, nicht wahr?“

Bart beherrscht Martas Art zu sprechen nur zu gut. Als sie noch etwas jünger war, und noch nicht allein mit ihrem Bruder zusammen in einem Zimmer schlafen konnte, saß sie oft mitten in der Nacht kerzengerade auf dem Bett der Eltern. Ihre leuchtenden Augen erschreckten Thya und Bart nicht nur einmal. So entstanden viele Situationen, in denen die irritierten Eltern sich um ihre ganz besondere Tochter kümmerten.

Natürlich ist Marta in der Lage zu sprechen. Ihre ersten Worte – Hama und Plapp – sprach sie bereits nach etwas mehr als einem halben Jahr. Bart und Thya nahmen deshalb an, sie hätten eine redselige Quasselstrippe gezeugt, doch Marta belehrte sie eines Besseren. Nur selten spricht sie nun ganze Sätze. Es scheint ihr einfach viel besser zu gefallen, schweigend den Erwachsenen gegenüberzusitzen und am Brot zu nuckeln.

Auch dieses Mal antwortet die Kleine nur mit einem breiten Grinsen.

„Ich liebe es auch, der Sonne zuzusehen … Wollen wir uns nach draußen setzen und warten, bis sie ganz aufgeht?“

Wie die Strahlen zweier Taschenlampen leuchten Martas Glupscher fröhlich und ein heftiges Nicken gibt dem Vater die erwartete Zustimmung.

„Na dann holen wir mal deine Jacke und schnappen uns noch eine Decke für die Schaukel draußen, ja?“

Im Vorbeigehen wuschelt Bart ihr durch die Haare und hält auf die Garderobe an der Tür zu. Die Jacken sind schnell gegriffen und auch die Decke findet ihren Weg vom Hocker bis unter seinen Arm. So machen sich Vater und Tochter auf, zur Veranda vor dem Eingang.

Cesar Senior schenkte dem jungen Paar zum Einzug eine selbstgebaute Schaukel. Noch heute rätseln die Freunde, wie es der Alte geschafft hat, solch handwerkliches Geschick aufzubringen. Der Kneipier erklärte es mit seiner stillen Verbundenheit zu Baum und Borke, als er noch Wildhüter gewesen war.

Gut eingepackt in die kuschelige Decke, sitzt Marta auf Barts Schoß und blickt gebannt auf die Dämmerung.

Ein Jammer, dass wir mit dem Alter diese Faszination verlieren …

Ein Kichern überkommt die Kleine plötzlich und mit ausgestrecktem Arm zeigt sie auf den Horizont, der nun die ersten Strahlen empfängt.

Bart könnte in diesem Augenblick glücklicher nicht sein. Er legt einen Arm um seine Tochter und drückt sie ein wenig fester an sich, legt das Kinn auf ihrem Kopf ab und schnuppert an ihren Haaren.

Marta streicht verärgert über ihren Kopf und scheucht den unerwünschten Gast fort, blickt dann aber gleich wieder in Richtung aufgehender Sonne und quietscht vergnügt. Barts Instinkte mögen vielleicht in den letzten Jahren etwas eingerostet sein, doch seinen hervorragenden Augen bleibt auch heute noch nichts verborgen.

Weit in der Ferne am Horizont steigt eine kleine Staubwolke vom Boden empor und kündigt sich nähernde Besucher an.

Noch vermag Bart nicht zu erkennen, wen es denn so früh zu ihm verschlägt, doch sicher wird es kein Spielkamerad für Marta oder Cesar sein.

Er küsst seiner Tochter auf die Stirn, nimmt sie auf den Arm und betritt das Haus über die Vordertür.

Beim Eintreten schlägt ihm der Duft von frischem Kaffee entgegen und sofort fällt sein Blick auf den Rücken seiner Frau. Thya steht am Kochmat und füllt die Becher für sie beide.

„Es kommt jemand“, stellt Bart knapp fest. Langsam dreht Thyadora sich um, nimmt ihren Becher bereits in beide Hände und pustet hinein.

„Guten Morgen, auch dir …“ Sie zieht eine Braue hoch und erblickt Marta auf Barts Arm.

„Wieder vor dir wach?“

„Ja. Bitte nimm du sie, ich hole die Mädels.“

Mit den Mädels sind Karla und Millie gemeint. Bart und Thya entschieden sich, den Ursprung ihrer Namen vor den Kindern zu verschleiern.

Marta quengelt, als sie vom Einen zur Anderen gereicht wird und ist denkbar unzufrieden, dass der Sonnenaufgang nun von innen betrachtet werden soll.

„Guten Morgen, mein Spatz.“ Thya drückt der Kleinen einen dicken Schmatzer auf die Wange, kitzelt ein fröhliches Kichern aus ihr heraus und schon ist der vorherige Unfrieden vergessen.

Bart zieht die Riemen der Holster im Gehen fest, während er den Wohnbereich durchkreuzt und wieder auf die Veranda zuhält.

„Kannst du schon jemanden erkennen?“

Der Hausherr linst durch ein Seitenfenster hindurch nach draußen und verneint Thyas Frage.

Er öffnet die Tür und schließt sie sogleich wieder hinter sich. Von der Veranda zum Begrenzungszaun sind es gute fünfzig Meter und Bart möchte seine Familie nicht zu direkt mit seiner Arbeit konfrontieren. Auch, wenn das meist sowieso aussichtslos erscheint.

Cesar durfte bereits ein paar Mal die Gilde von innen sehen und auch seinen Vater bei der Arbeit beobachten. Er fand, dass es schlimm langweilig und blöd sei.

Trotzdem ist und bleibt Barts Geschäft das Töten. Nicht notwendig, seine Kinder mehr als unbedingt nötig zu involvieren.

Die Staubwolke im Blick, sieht Bart nun deutlich einen Reiter näherkommen. Im Galopp gibt dieser seinem Pferd noch ein weiteres Mal die Sporen und kommt näher und näher.

Die Farben der Gilde sind nicht zu erkennen und Bart beginnt sich zu fragen, welcher lebensmüde Fremde sich auf diese Art zwei altgedienten Kopfgeldjägern nähert …

Er greift in den Holster und zieht Millie heraus. Die Schusshand auf dem angewinkelten Ellenbogen abgelegt, nimmt er den Unbekannten durch das Fernrohr ins Visier.

Wer bist du? Bart zwingt seine Augen zu Schlitzen. Die aufgehende Sonne erschwert die Sicht, und doch vermag er den Besucher immer deutlicher zu sehen. Mit unverändert hoher Geschwindigkeit nähern sich Pferd und Reiter dem Haus, Staubwolken steigen empor, das Getrappel der Hufe ist bereits in der Ferne zu vernehmen.

Das sind nicht die Farben der Gilde …

Einen sandfarbenen Mantel umgelegt und den Hut tief in das Gesicht gezogen, will sich der Fremde vor dem Staub schützen. Doch zeigt er so auch nur wenig Absicht, einen freundlichen Empfang einzuläuten.

Wenige hundert Meter ist der Besucher nun entfernt und noch immer kein Hinweis auf Herkunft oder Absicht.

Warum sollte jemand mit solch hoher Geschwindigkeit die Nähe des Gilden-Generals suchen und sich nicht offen erkennbar zeigen? Bart entscheidet.

Mit sanftem Druck betätigt er Millies Abzug und beobachtet den ausgesendeten Energiestrahl. Nur knapp zieht der Warnschuss an Pferd und Reiter vorbei, genug, um das Tier zum Scheuen und den Fremden zum Anhalten zu bewegen.

Für einen Moment bleibt der uneingeladene Gast an Ort und Stelle stehen, gibt dann jedoch ein deutliches Zeichen an den Landbesitzer.

Die Hände emporgereckt, mit einem sanften Stups in die Flanken seines Pferdes, nähert er sich im Trab dem Schützen.

Noch immer vorsichtig, behält Bart die Waffe im Anschlag.

Zwischen den blendenden Strahlen und den vorüberwehenden Staubwolken, bleibt der Besucher weiterhin nicht mehr als ein Schemen.

Die letzten hundert Meter sind dann recht schnell zurückgelegt. Pferd und Reiter kommen kurz vor Bart, aber in respektvollem Abstand, zum Stehen.

„Ziemlich früh für einen schnellen Tod.

Hätte dich fast vom Sattel geholt, Freundchen! Was willst du?“

„Mein Name ist Silva Brankdil. Ich bin ein Bote im Auftrag der Gilde, mein Herr! Bitte nehmt eure Waffe herunter. Ich habe eine wichtige Nachricht für Euch.“

Bart zögert, senkt jedoch seine Waffe ein klein wenig.

„Wieso bist du nicht in unseren Farben gekleidet, Junge?“

„Ich wurde nur von einem eurer Leute beauftragt. Ich arbeite für den Kurier in Tonn.

Es war wohl gerade niemand greifbar …“ Wenig überzeugt mustert General Sado seinen Gast. Das Pferd schnaubt erschöpft. Sein Reiter hatte es wahrlich eilig gehabt. Was, wenn er nun die Wahrheit sagt und tatsächlich Neuigkeiten mitbringt?

„Ganz langsam absteigen. Eine Hand bleibt oben, mit der anderen greifst du die Zügel.

Du gehst ruhig und besonnen an mir vorbei und bindest dein Pferd am Zaun hinter mir an. Dann nimmst du beide Hände wieder hoch und wartest.“

Im Inneren des Hauses beobachten Thyadora und die Kinder die Ankunft des Boten.

Mehrere Male bereits durften die Eltern Haus und Hof vor Feinden verteidigen. Der Ruf von Bartleby und Loki hinterließ bei vielen Banden und Verbrechern das Bedürfnis, sich zu revanchieren.

Während der ersten Schwangerschaft mussten die Eltern beinahe jede Woche ihr Land verteidigen. Bart hatte keine andere Wahl und stellte zwei Jäger zum Schutz ab. Thya sollte nicht dem dauernden Stress ausgesetzt werden. Sie tobte, wie wild, und wollte sich nicht das Recht auf einen Kampf nehmen lassen, gab dann aber nach und war schließlich froh über die entlastenden Bewacher.

„Was will der Mann von Papa?“

Cesar ist recht klein für sein Alter. Nur knapp ragt er über die untere Kante des Fensters und beobachtet das Geschehen vor dem Haus.

Martas große Augen schielen auf die aufgehende Sonne und ein glückliches Kichern entfährt dem kleinen Wonneproppen.

„Wir werden sehen …“

„Mama, er bindet sein Pferd an! Wird Papa ihn reinlassen? Was, wenn er böse ist?“

„Dann hätte dein Papa ihn nie so nah an uns herangelassen.“

Das Trio beobachtet, wie Bart mit dem Fremden redet. Nachdem Mantel und Hut auf dem Pferd verstaut sind, dreht sich der Reisende um die eigene Achse. Offenbar sucht Bart ihn nach Waffen ab.

„Jetzt kommen sie gleich herein!“

Cesar ist ganz aufgeregt. Thyadora zieht ihn zu sich heran und geht mit Marta auf dem Arm hinter die Theke in der Küche.

Sie setzt die Kleine auf dem Tresen ab und fordert Cesar auf, sich auf einen der Hocker ganz in der Nähe zu setzen.

Aus der Schublade nimmt Thyadora ihr altes Kampfmesser heraus. Sie entschied, dass es sich auch hervorragend für das Zerteilen diverser Nahrungsmittel eignet und bewahrt es seit einiger Zeit in der Küche auf. Es gibt keinen Grund für sie, die Vergangenheit zu verleugnen.

Mit einem leisen Klicken dreht sich der Türknauf und die Tür schwingt auf. Das einfallende Licht erfasst das Empfangskomitee.

Thya kneift kurz die Augen zusammen und beobachtet den Gast, während Bart die Tür hinter sich schließt.

„Zu deiner Linken siehst du zwei Türen. Geh auf die Rechte zu und öffne sie. Tritt hinein und setz dich auf den erstbesten Stuhl.“

Bart ist hellwach. Kein einziges Mal zwinkert er, als der Besucher den Anweisungen folgt und den Weg in das Arbeitszimmer nimmt.

Die kleine Marta winkt dem Unbekannten im Vorbeigehen fröhlich zu und klatscht ein paar Mal in die Hände.

Silva nimmt, wie befohlen, Platz auf dem nächstbesten Stuhl und wartet auf weitere Weisungen.

Langsam geht Bart um den Gast herum, setzt sich auf den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und legt Millie griffbereit neben sich. Die Arme vor der Brust verschränkt, bleibt der ehemalige Kopfgeldjäger eine riesige Erscheinung und Silva schluckt sichtbar.

„Los.“

„Wie ich schon sagte, wurde ich von der Gilde beauftragt, um euch eine Botschaft zu bringen …“

„Aus welchem Grund?“

„Alle waren sehr aufgeregt im Hauptquartier. Es war ein recht wildes Durcheinander.“ Der Bote schmunzelt.

Barts Mine bleibt ungerührt. Trocken fordert er: „Wie lautet die Botschaft?“

„Moment. Es ist eine Notiz. Ich habe sie in meiner Hemdtasche.“

Silva will gerade in seinen Mantel greifen, als Bart Millie packt und anlegt. Augenblicklich unterbricht der Bote seine Bewegung und weitet die Augen.

„Dann hol sie ganz langsam hervor und mach keine Dummheiten, mein Freund …“

Vorsichtig fingert Silva nun einen Zettel aus der Hemdtasche und hält ihn Bart entgegen.

Dieser greift sogleich danach und liest den kurzen Text.

Schlagartig ändert sich seine Gesichtsfarbe. Er springt vom Tisch auf und das Holzbein stapft hörbar auf dem hölzernen Boden auf.

„Das ist ein Scherz!“

„Ich weiß es nicht … aber es ist das, was ich euch überbringen soll …“

Kapitel 2 Zurück zum Anfang

Kurze Zeit später trifft Bartleby im Hauptquartier der Gilde ein. Noch ist es Vormittag und die Sonne hat nicht ihre ganze Kraft erreicht, doch steht ihm der Schweiß bereits auf der Stirn.

Forschen Schrittes hastet er durch die Tür und nimmt kaum Rücksicht auf bekannte Gesichter oder das Einhalten der Etikette.

Gleich neben seinem eigenen Büro befindet sich der Planungssaal – eine der Neuerungen, die Bart eingeführt hat. Er war der Meinung, dass die Gilde durchaus etwas mehr Demokratie vertragen konnte.

Mit stürmischem Schwung reißt er die Tür auf. Sie fliegt mit einem Knall gegen die Wand und erschreckt die Gestalten im Inneren.

„Los!“, ruft er in die Runde.

„Wir haben die Nachricht heute Nacht erhalten. Der Bote war der Einzige, den wir greifen konnten. Schneller ging es wirklich nicht!“ Selmos Erscheinung hat sich über die letzten Jahre stark gewandelt. Seine schüchternen Versuche, Gewicht zu verlieren – die Thyadora mit aufreizenden Streicheleinheiten belohnt hatte – sind in tägliches Krafttraining umgeschlagen.

Wohl auch deshalb wächst sein Selbstbewusstsein von Tag zu Tag und im Hauptquartier gibt es kaum eine Begebenheit, die nicht von Selmo begleitet wird.

Er ist zu Barts rechter Hand geworden.

„Ist sein Standort sicher?“

Selmo schweigt. Auch die anderen Jäger und Bereichsleiter blicken einander hilflos an.

„Ist sein Standort sicher, habe ich gefragt!“

„Nein …“, Selmo streicht über seinen Hinterkopf, „wir sind ziemlich sicher …“

Bart steht schnaubend in der Mitte des Raumes. Sein Blick sucht in den Gesichtern seiner Untergebenen nach Antworten.

Ist es möglich?

„Wie schnell können wir dort sein?“

„General Sado … wir haben kaum Leute … die meisten …“

„Muss ich jeden verdammten Satz wiederholen, bis ich eine Antwort bekomme?“

Betreten blickt Selmo zu Boden. Hilfe naht aus dem Rückraum: „Ich schätze, wir sollten übermorgen ein paar fähige Jäger parat haben, um durch das Portal zu gehen.“

Mali Brinz eilt ihrem Kollegen zur Hilfe.

„Das ist zu spät!“ Schweigen macht sich breit im großen Planungssaal. Die Generäle haben sich versammelt und um den großen ovalen Tisch geschart. Das riesige Möbel steht im Zentrum des Raumes. Diverse Karten und Schriftstücke liegen ausgebreitet herum. Alle Anwesenden stehen, die Stühle sind unordentlich um den Tisch herum verteilt. Vereinzelt zieren Tassen die Arbeitsplätze der Männer und Frauen. Es macht den Anschein, als beraten sie sich bereits seit geraumer Zeit über die weitere Vorgehensweise.

„Es tut mir leid, Herr General, aber vorher bekommen wir keine Truppe zusammen …“ Mali verschränkt die Hände hinter ihrem Rücken und macht ihren Standpunkt unmissverständlich klar.

Ungläubig und wütend starrt Bart in die Runde. Neben Selmo und Mali befinden sich drei weitere Generäle im Raum. Allesamt meiden sie betreten und unsicher den Blick ihres Oberhauptes. Die Augenringe sind ihnen deutlich anzusehen und erst jetzt bemerkt Bart, dass keiner von ihnen seine Uniform trägt.

Sie sind des Nachts hergekommen, um eine Lösung für das Dilemma zu finden.

Barts Blick wird milde. Seine Wut schwindet und er scheint erst jetzt so richtig seiner Umgebung gewahr zu werden.

Während er langsam an Selmo vorbeigeht und dem Tisch näherkommt, begleiten ihn die dumpfen Stöße seines Holzbeines auf dem steinernen Untergrund.

Die Hände in die Hüften gestemmt, sucht er einen Moment nach den richtigen Worten.

„Ich danke euch!“ Sein Blick haftet einen kurzen Augenblick jedem seiner Leute an, während er umherblickt.

„Loki kann sich glücklich schätzen, so viele treue und aufrechte Freunde in der Gilde zu haben …“

Selmo reicht seinem General einen Becher heißen Kaffee. Bart greift den Henkel mit einem winzigen verschmitzten Zucken der Mundwinkel.

Einen Schluck später warten die Anwesenden noch immer schweigend, bis Bart wieder das Wort ergreift:

„Bitte entschuldigt. Ihr wisst, wie viel mir an ihm liegt. Wenn wir erst übermorgen eine Truppe zusammen bekommen, dann werde ich mich selbst auf den Weg machen.“

„Aber General Sado …“ Starl Kloma unterbricht, „… Ihr könnt das nicht auf Euch nehmen. Ihr werdet hier gebraucht. Für solche Einsätze haben wir gute Leute, die …“, Starl scheint nach dem richtigen Wort zu suchen.

„Was? Die jünger und fitter, schneller und ausgeschlafener, frischer und gesünder sind?“

Betretenes Schweigen macht sich breit und beinahe hätte Bart weitergesprochen, als sich Mali ein Herz fasst: „Ja … ihr könnt nicht mehr einfach so durch das Portal reisen und Aufträge erfüllen. Wir brauchen Euch hier in Tonn.“

Bart hätte beinahe unwirsch reagiert auf Malis Offenheit. Doch dann erinnert er sich an die großen Veränderungen in den ersten Monaten nach Sidukai Berns Tod.

Die Jagdgemeinschaft aus dem Kampf gegen Perka mühte sich, nicht zu viel an die Oberfläche sickern zu lassen. Die Angst, zu viel Instabilität zu verursachen, wenn alle erführen, dass General Bern gemeinsame Sache mit einem dunklen Magier gemacht hatte und nur daran interessiert gewesen war, seine eigenen Interessen zu verfolgen, war groß.

Selbstverständlich war Loki anderer Ansicht. Er meinte, nichts wäre wertvoller als die Wahrheit. Sollten es doch alle erfahren, dass ihr ehemaliger Anführer alle hinters Licht geführt hatte.

Am Ende einigten sie sich darauf, die Büchse der Pandora nur langsam zu öffnen.

Und so begann ein paar Monate nach General Berns Tod ein Prozess, der bis heute noch anhält.

„Diese Gilde ist stark. Mit mir oder ohne mich.“

Bart nimmt am Kopfende Platz und verschränkt die Hände auf dem Tisch.

„Ich werde mich auf die Suche machen nach Loki. Macht eine Gruppe fähiger Jäger bereit, um sich mir anzuschließen. Einen alten und langsamen Versehrten werden sie schnell einholen!“

„Das ist nicht …“

„Schon gut, Mali. Du hast Recht. Ich bin kein Jäger mehr. Aber das hier ist zu wichtig, um sich hinter unseren Regeln zu verstecken.

Wir haben diese Gilde in den letzten Jahren gestärkt. Nach Sidus Verbrechen mussten die Menschen wieder lernen, an uns zu glauben und uns zu vertrauen. Das ist Euer Verdienst. Ich werde hier nicht mehr gebraucht als jeder Einzelne von euch!“

Verlegen blicken die Generäle um sich.

„Ich werde mich in ein paar Stunden auf den Weg machen. Bereitet alles vor.“

Selmo salutiert, als Bart sich wieder vom Stuhl erhebt.

„Aye.“

Ohne sich umzublicken, geht Bart zur Tür und verlässt den Sitzungssaal.

Sein Weg führt ihn schnell zu seinem angrenzenden Büro. Die Wand zum Vorzimmer ließ er einreißen und schaffte somit etwas Raum für ein Sofa und eine kleine Nische, in der er sich seiner Kaffeeobsession hingeben kann.

Peta hatte kurz vor den Umbaumaßnahmen gekündigt und somit indirekt erst all die kreativen Umwälzungen in Gang gesetzt.

Sie fühlte sich damals zu einem gewissen Teil für den Verrat ihres alten Chefs verantwortlich und konnte mit diesen Gedanken nicht mehr weiter für die Gilde arbeiten.

Sie war der Meinung, dass sie etwas hätte erahnen müssen.

Bart betrauerte den Verlust schmerzlich und gab seiner alten Freundin einen besonderen Abschiedsgruß: Ein Schild mit der Aufschrift Brockweg prangt an der Wand des Flurs zu Barts Büro.

Entschlossen bewegt sich Bart auf die Kaffeebar zu und bereitet sich sein geliebtes Heißgetränk zu.

Mit geschlossenen Augen inhaliert er den aufsteigenden Duft und für einen Moment ist es, als wäre er in der Wildnis. Er denkt an seinen Kochmat; die vielen Momente, in denen er vertieft in die Weite geblickt und an seiner Tasse genippt hatte.

Sein Blick wandert nach rechts. Der alte Metallbecher steht nun auf einem verzierten Holzbrett auf seinem Schreibtisch. Die Oberfläche ist matt, Staub liegt auf ihr, der alte Glanz ist erloschen.

Kraftvoll knallt Bart seine neue Tasse auf die Kaffeebar und stürmt zum Schreibtisch.

Er packt den Becher samt Untersetzer und wirft beides wutentbrannt gegen das Regal neben der Zugangstür.

Mit einem blechernen Scheppern findet der Becher den steinernen Boden und kommt nach mehreren klangvollen Hüpfern zur Ruhe.

Bart atmet schwer. Er ist wütend. Wütend darauf, zugelassen zu haben, dass Loki nun gefangen ist. Wütend darauf, dass sich sein bester Freund mit den Basillen herumschlagen darf.

Bartleby kramt die Botschaft des Boten hervor und entfaltet sie, während er auf dem Schreibtisch Platz nimmt. Ungeachtet der Stifte und Berichte, die nun vereinzelt zu Boden fallen, macht er es sich bequem und fixiert das Stück Papier in seiner Hand.

Loki wird festgehalten. Eine Patrouille der Basillen hat ihn verhaftet. Kein Kontakt bisher. Wir rechnen mit dem Schlimmsten.

Isma befindet sich in Gernaks Versteck.

Bart liest die Nachricht ein weiteres Mal.

Warum halten sie ihn fest? Was könnten sie von ihm wollen? Seit Barts letzter Begegnung mit dem Volk der Basillen auf Trelor sind viele Jahre vergangen. Er selbst hat den Planeten seit Gernaks Tod nie wieder betreten.

Jedoch gibt es eine Order, die regelmäßige Besuche der Gilde auf allen Welten fordert, die an den Weltenweg angeschlossen sind.

Diese Neuerung ist Selmos Idee gewesen, um so den Einfluss der Gilde zu festigen und allen Menschen ein höheres Maß an Sicherheit zu garantieren. In regelmäßigen Abständen besuchen Kleingruppen von Jägern die Welten und sehen nach dem Rechten.

Natürlich waren die Besuche auf Trelor stets von besonderer Art. In den Berichten, die Bart zur Kontrolle bekam, hieß es oft: „Kontakt mit basillscher Regierung konnte knapp vermieden werden.“ Oder: „Einwohner Randols leben sicher, doch sehr eingeschränkt.“

Seit ihrem ersten Besuch hat sich an der Lebenssituation ihrer alten Bekannten nichts geändert. Bartleby und Loki haben jedoch immer ein Auge auf ihre Freunde gehabt.

Doch Loki gehörte nicht zu einer der Gruppen, die auf Patrouille gehen. Er und Isma sind in den letzten Jahren zumeist auf eigene Faust unterwegs gewesen. Seine Begleiterin lernte schnell dazu und so geben beide mittlerweile ein schlagkräftiges Duo ab, dass sich einen ähnlichen Ruf verdient hat wie früher Bartleby und Loki.

Wir wissen einen Scheiß! Was wohl mit Isma ist? Was können sie nur von ihm wollen? Kraftvoll drückt Bart sich von der Tischplatte ab und stapft geräuschvoll den Brockweg entlang zum Versammlungsraum.

Wieder öffnet er schwungvoll die Tür und kommt gleich zur Sache: „Sorgt dafür, dass es gute Leute sind! Vielleicht können wir Brandi oder Kin zurückrufen.

Ich werde jetzt nach Hause gehen, meine Sachen packen, und komme dann wieder zurück.

Mali, bitte sag Cesar Bescheid. Ich hätte ihn gerne dabei.“

Die Generalin blickt konzentriert auf ihren Anführer.

„Aye.“

Bart schließt die Tür wieder und macht sich auf den Weg.

Kurze Zeit später erreicht Bartleby sein Haus. Natürlich hat Thyadora seine Ankunft von Weitem beobachtet. Ähnlich wie der Bote am Morgen hat auch Bart eine weithin sichtbare Staubwolke hinterlassen.

„Geht es ihm gut?“

Thyadora und Loki haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr angenähert. Beziehungsweise haben beide die gegenseitige Abneigung in eine gewisse Sympathie umgewandelt. Endlich ist beiden bewusst geworden, dass sie sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind. Loki soll sogar an einem Abend in der Dicken Träne gesagt haben, Bart hätte eine weibliche Version von sich zur Frau, damit er ihn nicht so sehr vermissen müsse, wenn Loki auf der Jagd ist.

Thyadoras Sorge gilt also nicht grundlos dem Vermissten.

„Ich weiß nicht.“

Bart stürmt ins Haus und nimmt nur beiläufig Notiz vom chaotischen Wohnzimmer. Cesar und Marta haben eine kleine Spielwiese im Haus eingerichtet.

Thyadora räumt etwas Geschirr in der Küche an den rechten Platz und lauscht dem angespannten Gemurmel ihres Mannes.

„Hast du meinen Rucksack gesehen?“

Ohne auf seine Frage zu antworten, nähert sich Thya der Tür zum Arbeitszimmer. Das ärmellose Oberteil gibt ihre trainierten Arme preis. Trotz der Pause vom Jagen und Töten entschied sie sich, weiterhin an ihrer Einsatzfähigkeit zu arbeiten. So nennt sie den Zweck ihrer täglichen Übungen.

Thya steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und hält ein Glas Wasser in der Hand.

Aufmerksam beobachtet sie, wie Bart hektisch Schränke und Schubladen durchwühlt.

„Ich bin sicher, dass ich ihn hier irgendwo gelassen habe …“

Schweißperlen sind auf seiner Stirn zu sehen und das Hemd ist an vielen Stellen nassgeschwitzt. Die Hitze des Sommers ist den ganzen Ritt von Tonn zum Haus unerbittlich gewesen.

„Möchtest du vielleicht mal ein Glas Wasser trinken?“ Thyas milde Stimme lässt den nervösen Jäger aufblicken.

„Was?“

„Ob du Durst hast, habe ich gefragt?“

Barts Kopf ist knallrot. Die hastige Reise hin und zurück, die schlechte Nachricht, die Hitze des Tages. Der pensionierte Kopfgeldjäger will mehr, als sein Körper ihm gerade geben möchte.

Resigniert nimmt Bart auf dem Fußboden Platz und zwingt sich mit ein paar tiefen Atemzügen zur Ruhe.

„Ich kann ihn einfach nicht finden …“, murmelt er belegt.

Thyas Blick ist milde. Sie nähert sich ihrem Gefährten, reicht ihm das Wasserglas und nimmt neben ihm Platz. Beide lehnen nun an einer Kommode und blicken gedankenverloren durch das Fenster nach draußen.

Ein leichter Luftzug umspielt die Vorhänge am Fenster, lässt ein Blatt hineinwehen, das sich bis ins Wohnzimmer verirrt.

Thyadora greift nach Barts Arm und legt ihn um ihre Schulter. Sanft streicht sie über sein Handgelenk und massiert mit leichten Bewegungen.

„Es ist nicht deine Schuld.“

Bart atmet hörbar ein und aus.

„Ja.“

„Er hätte sich sowieso nie etwas von dir sagen lassen.“

„Ja.“

„Es geht ihm gut.“

Wieder ein tiefer Atemzug.

„Ja.“

Thyadora dreht ihren Kopf zur Seite und streicht mit der freien Hand über Barts Wange.

„Den Rucksack hast du weggeworfen, als du General geworden bist.“

Barts Lider schließen sich, während ein leises Schnauben aus seiner Nase dringt.

„Aber weil ich wusste, dass du ihn nur weggeworfen hast, um für deine Familie ein Zeichen zu setzen …“

Bart beobachtet gespannt, wie Thyadora sich erhebt und in Richtung Küche geht.

„… habe ich mir gedacht …“

Ihre Worte dringen gedämpft an Barts Ohr.

Der Kopfgeldjäger steht auf und folgt der Stimme seiner Frau.

„…, dass es sicher einen Moment geben wird, in dem du ihn noch brauchen wirst.“

Thyadora legt den reichlich zerfetzten und mehrfach eingerissenen Rucksack auf die Theke in der Küche. Barts treuer Begleiter hat bereits einiges gesehen und würde wohl kaum noch von irgendwem als nützlich angesehen werden, doch für Bart ist es, als fühle er sich nun wieder komplett.

Der sensible Muskelberg schnieft und ziert sich nicht, seine Emotionen zurückzuhalten.

Thyas Geste hinterlässt ihre Spuren.

„Danke“, murmelt er gerührt, während Cesar im Hintergrund die Geräusche eines gefährlichen Schusswechsels imitiert.

„Gerne.“ Sie strahlt.

Ihre Augen treffen sich. Und für einen Moment ist es, als bereiteten sie sich gemeinsam auf ihren nächsten Kampf vor. In Thyas Augen blitzt ein kurzes Funkeln auf, als der Drang jäh vom haltlosen Weinen der kleinen Marta unterbrochen wird.

Thyadora schließt für einen Moment die Augen. Nun ist es an ihr, die Ruhe zu wahren.

Sie atmet tief ein und wieder aus.

„Geh, bevor ich vergesse, dass wir zwei Kinder haben, und noch anfange, mein Messer zu wetzen.“

Ein Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie kehrtmacht und sich mit sanfter Stimme den beiden Kindern nähert.

Bart folgt ihr nach.

Es vergehen ein paar Minuten, in denen die Eltern ihren Kindern erklären, warum ihr Vater nun für ein paar Tage auf eine Reise muss. Natürlich sind weder Loki noch Barts Schusswaffen dabei Thema.

Zwar würde Cesar nun sicher die Arbeit seines Vaters nicht mehr als langweilig und blöd betiteln, doch unnötig ängstigen sollten sich die beiden Kinder ebenso wenig.

„Bring mir ein Geschenk mit, ja?“

Cesars Augen sind groß und leuchten in Gedanken an noch nicht entdecktes Spielzeug.

Die kleine Marta streckt ihre Arme aus und zeigt an, ihr Vater möge sie doch bitte endlich auf den Arm nehmen.

Bart folgt der Weisung und gleich legt das Kind den Kopf auf Barts Schulter.

„Pass gut auf“, flüstert die Kleine, nur hörbar für ihren Vater.

Dieser nickt knapp und atmet diesen Glücksmoment noch eine Weile länger ein. Er streicht sanft über Martas Rücken, setzt sie dann auf dem Boden ab und schultert seinen Rucksack.

Gefüllt mit den wichtigsten Reiseutensilien – und natürlich dem Kochmat – ist das Gewicht zwar keine Herausforderung, doch für einen Moment eine doch ungewohnte Last für den ehemaligen Kopfgeldjäger.

Thyadora nähert sich zielstrebig und umarmt Bart. Ihr leidenschaftlicher Abschiedskuss wird mit einem „Igitt“ von Cesar und einem belustigten Kichern von Marta begleitet.

„Komm mir heil wieder zurück.“

„Klar.“

„Und achte auf deinen Kaffeekonsum.“

Bart blickt sie nachdenklich an und schweigt.

„Vergiss das Letzte …“, sagt Thya mit einem nervösen Kopfschütteln.

Ein feines Grinsen zeichnet sich auf Barts Mundwinkeln ab, als er kehrtmacht und das Haus verlässt.

Kapitel 3 Randol

Die ersten Meter vom Weltenweg-Portal in Richtung Randol erscheinen Bart wie eine Zeitreise.

Jeder Stein, jeder Busch, jedes Körnchen liegt an seinem angestammten Platz. So, als habe sich in den letzten fünf Jahren nichts verändert.

Den Hut tief in das Gesicht gezogen, schützt der Schatten vor der Hitze des Sommers in der Wüste. Bart steht für einen Moment ganz still und blickt um sich; atmet die ihn umgebende Luft, will ankommen an diesem wohlbekannten Ort.

Sein Kopf neigt sich zur Seite und er linst, an der Krempe seines Hutes vorbei, auf den gegenüberliegenden Hügel.

Der Ausläufer des Mardos-Gebirges bot Loki und ihm einen gut geschützten Platz zur Nachtruhe und ließ sie das erste Mal Bekanntschaft machen mit dem kleinen Dorf und seinen Einwohnern.

Seine Gedanken kreisen für einige Momente um die Erlebnisse im Kampf gegen Gernak und seine Bande. Zu guter Letzt steigt ein fröhliches Grinsen auf seine Lippen, als sein Kopf die schönste Erinnerung an diese Jagd offenbart: Thyadora.

„Was für eine beschissene, furztrockene Wüste.“

Bart dreht seinen Kopf zur Seite und mustert Cesar überrascht.

„Ist doch wahr! Wo ist denn nun dein feines Wüstenstädtchen?“

Cesars wallender Bart ist zu einem Zopf gebunden, der sacht im Wind baumelt.

Seine Gesichtszüge sind ein wenig proper geworden und auch an Leibesfülle hat der Kneipier etwas zugelegt. Der kahlrasierte Schädel glänzt in der Sonne, als Cesar den Hut als Fächer nutzt.

„Na, heiß genug für ein kühles Glas Gold-Met ist es allemal. Har, har!“

Bart verdreht die Augen, schmunzelt aber leicht und nickt in Richtung des Gebirgsausläufers.

„Na komm, alter Hund. Hier geht`s lang.“

Über die letzten Jahre hat Cesar seinen Krautkonsum komplett eingestellt. Doch die Leidenschaft für sein Lieblingsgebräu ist kaum gebremst. Aus einer Feldflasche nimmt Cesar einen Schluck und atmet hörbar und genießend aus, als das Gold-Met seinen Rachen benetzt.

„Auch einen Schluck?“, fragt Cesar und hält Bart die Flasche hin.

„Nein, danke.“

Die beiden Freunde machen sich strammen Schrittes auf den Weg.

Der sandige Untergrund ist staubtrocken.

Oft fegt der Wind kleine Wölkchen empor und trägt sie über den Boden. Die beiden Freunde nähern sich schnell dem Hügel und der altbekannten Biegung. Jeden Moment sollte das kleine Dorf am Fuße des Berges zu sehen sein.

Als ihre Blicke langsam die Kurve überwinden, verknoten sich gleichermaßen ihre Gedärme mit dem Blick auf das vor ihnen liegende Abbild der Zerstörung.

Ganz Randol ist dem Erdboden gleich gemacht. Die verkohlten Überreste der Häuser stehen kaum mehr als kniehoch vom Boden empor. Eine Böe bläst Asche und Staub in die Luft und formt eine graubraune Wolke, die sanfte Schlieren um die steinernen Fundamente bildet.

„Ach du scheiße!“ Cesar reißt sein Auge weit auf und starrt entgeistert auf den sich bietenden Anblick.

Wie zu einem Eisblock erstarrt, steht Bart vor den Trümmern der Stadt und will seinen Augen nicht trauen. Fern jeglichen Verstehens, haftet sein entgeisterter Blick auf den Trümmern der niedergerissenen Mauern seiner Erinnerung. In seinen Gedanken blitzen die Bilder der Gebäude für Bruchteile auf und offenbaren die vermeintlich heile Welt, in der die Bewohner ihr Leben verbracht haben.

Was ist hier nur geschehen? Barts Herz rast, während sein Kopf sich diese und andere Fragen stellt.