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Im zweiten Teil der Weltenweg-Saga kehrt der Leser zurück zu den Kopfgeldjägern Bartleby & Loki. Auf ihrem Heimatplaneten Sierat lernen wir die Jäger-Gilde kennen, alte Freunde und neue Bekannte. Mit Thyadoras erneutem Auftauchen beginnt ein weiteres Kapitel des erfolgreichen Trios. Dieses Mal stehen sie einem übermächtigen Magier gegenüber, der alles von ihnen fordert. Können Sie auch dieses Mal Erfolg haben?
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Seitenzahl: 385
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Kapitel 1: Prolog
Kapitel 2: Sidu
Kapitel 3: Gold-Met
Kapitel 4: Zimmer 4
Kapitel 5: Ratte
Kapitel 6: Marci
Kapitel 7: Fisch
Kapitel 8: Zwischen den Welten
Kapitel 9: Gurte
Kapitel 10: Stuten
Kapitel 11: Kriegerinnen
Kapitel 12: Mütter und Töchter
Kapitel 13: Mörser und Stößel
Kapitel 14: Perka
Kapitel 15: Heiß
Kapitel 16: Verhör
Kapitel 17: Training
Kapitel 18: Cesar
Kapitel 19: Doktor, Doktor
Kapitel 20: Dunkel und hitzig
Kapitel 21: Guten Morgen
Kapitel 22: Jagdgemeinschaft
Kapitel 23: Vorbereitung
Kapitel 24: Hama
Kapitel 25: Lebenskraft für einen Zauberer
Kapitel 26: Artefakte und Magier
Kapitel 27: Unausweichlich
Kapitel 28: Qual
Kapitel 29: Knister, knister
Kapitel 30: Verräter und Verbündete
Kapitel 31: Funkenschlag
Kapitel 32: Richtig
Kapitel 33: Alles neu
Danksagung
Die Wellen schlagen mächtig gegen die hölzerne Außenhaut des Schiffes. Tapfer hält sich die große Fähre auf Kurs und steuert auf das rettende Festland zu. Fast alle Passagiere hat das raue Wetter ins Innere getrieben, doch der verbliebene Fremde richtet ungerührt seinen Blick auf den Horizont. Außer tiefhängenden grauen Wolken, die seit Tagen Regen bringen und das Meer unruhig werden ließen, ist weit und breit nichts zu sehen. Die leuchtend grünen Augen des Fremden suchen in der Ferne nach dem ersehnten Ende seiner langen Reise. In stoischer Ruhe wartet er auf den Aufschrei des Seemanns oben im Krähennest.
Weit über zehn Meter hoch ragt der vordere Mast der Claudia in den Himmel. Bis auf den Ausguck hat der Kapitän die Mannschaft unter Deck beordert – ein solcher Sturm sei einfach zu gefährlich. Der tapfere Seemann jedoch harrt oben im strömenden Regen aus und hofft auf eine gute Nachricht für seine Kameraden.
„Was siehst du?“, ruft der Fremde laut von unten hoch. Der scharfe, beißende Wind macht es fast unmöglich, sich zu unterhalten. Doch die Worte erreichen den Seemann im Krähennest sehr gut: „Nur graues Grau, mein Lord, aye!“
Unverwandt starrt das giftgrüne Augenpaar den Bug entlang voraus. Mit der behandschuhten rechten Hand hält sich der Fremde mühelos an der Reling fest, so als gäbe es keinen Sturm, so als wären all die Bewegungen der Wellen und des schaukelnden Schiffes eins mit ihm.
Die breite Krempe seines grau-weiß karierten Hutes hängt durchnässt und schlapp an den Seiten herunter. Pfützen haben sich in den kleinen Ausbeulungen gebildet, die immer wieder vom Regen überlaufen und ein leichtes Rinnsal bringen. Der enganliegende tiefblaue Mantel schmeichelt seinem Träger an Schultern und Hüften und weist bereits viele dunklere Stellen auf, an denen das Wasser den ursprünglichen Blauton verfälscht. Das glattrasierte Gesicht ist im Schatten des Hutes und hinter dem Schleier des unaufhörlich prasselnden Regens kaum zu sehen. Lediglich die Augen stechen leuchtend heraus und lenken fast vom entschlossenen Kinn ab, das wie ein Pfeil vorne spitz zuläuft und den Weg weist.
„Mein Lord! Dort!“
Der unerwartete Aufschrei des Seemanns lässt den Unbekannten beinahe erschrecken. Kaum merklich dreht er den Kopf in Richtung des Krähennestes.
Eine mündliche Antwort verwehrend, greift der Fremde stattdessen in seine linke Manteltasche und holt einen Kristall hervor. Das Licht im Inneren pulsiert schwach. Die innewohnende Magie ist nicht auf ihrem Höhepunkt.
Auf seiner Reise ist es dem Zauberer gelungen, das magische Artefakt in seinen Besitz zu bringen. Viele Jahre verbrachte er bereits mit der Suche nach dem Kristall. Nun endlich ist der Gegenstand in seiner Hand. Bereit, die geplanten Experimente fortzuführen.
Seine ganze Kraft wird das Artefakt erst später entfalten können, doch ein kleiner Test erscheint ihm für diesen Moment genau richtig zu sein.
Als sich die Augen des Zauberers schließen, beginnt er leise vor sich hin zu murmeln. Kaum als eine bestimmte Sprache zu verstehen, fließen die Worte aus seinem Mund. Den Kopf im eigenartigen Gemurmel zur Brust gesenkt, umfasst er den Kristall mit beiden Händen und drückt ihn an sich. Beherrscht beugen sich seine Knie und finden langsam den nassen Untergrund. Das Schiff schaukelt hin und her, sollte ihn achtlos von Deck werfen, doch sein Körper bleibt fest verwurzelt mit dem hölzernen Untergrund. Wie eine perfekt ausbalancierte Boje passt sich der Körper des Mannes auf magische Weise spielend leicht den Bewegungen an.
„Mein Lord? Hört Ihr mich?“, ruft der Ausguck von oben erneut.
Wieder antwortet der murmelnde Fremde nur sich selbst.
„Mein Lord? Ist alles in Ordnung?“ Nun schreit der Seemann regelrecht. Der Sturm hat an Intensität zugelegt. Der Regen peitscht hart in die Gesichter der einzigen Personen an Deck der Claudia. Ob das Wasser nun von unten, oder oben, oder von der Seite kommt, ist nicht mehr zu unterscheiden. Würde man die Zunge in den Regen halten, wäre wohl nur der Geschmack ein deutliches Indiz dafür, dass es sich nicht um Meerwasser handelt.
Mit einem Mal reißt der Fremde die Arme in die Höhe, die Hände zu einer Schale geformt, in deren Innerem der Kristall aufliegt, und hält sie direkt auf den Seemann gerichtet. Ein schwach leuchtender, weißer Lichtstrahl entfernt sich vom Zentrum des Kristalls und sucht sein Ziel am Ende des Mastes. Der Seemann hat keine Chance auszuweichen. Es geht zu schnell.
Als ihn der Strahl erfasst, zuckt sein Körper für einen Moment und hätte ihm beinahe einen unsanften Sturz über das hüfthohe Geländer verschafft. Nur einen Augenblick später ist der Blitzschlag vorbei, der Körper des Ausgucks im Stillstand eingefroren, die Augen weit aufgerissen, als würden sie gleich ihre Höhlen verlassen.
Die Sprüche des Zauberers sind im Gebrüll des Sturms nicht zu hören, dringen aber auf telepathischem Wege deutlich in das Ohr der Marionette. Ohne Zögern dreht sich der kontrollierte Leib in die Richtung, in der er zuvor einen Grund gesehen hat aufzuschreien.
Wieder spricht der Zauberer seine eigenartigen Formeln. Wieder bewegt sich der Seemann ein Stück weiter, bis er am vorderen Rand des Krähennestes angelangt ist. Seine Augen sind noch immer schmerzhaft weit aufgerissen und ignorieren jeden Tropfen, der direkt auf die Pupillen trifft. Als der Zauberer immer und immer wieder seine Formel spricht, verändert sich langsam die Farbe der Augen des Seemanns. Zuerst ganz schwach von Blau zu Grau, dann mit einem Schlag zu einem giftigen Grün.
Den Blick der Marionette gestohlen, schaut der Zauberer zum Horizont und zwingt dem Seemann ein Grinsen auf.
Land in Sicht, denkt der Fremde zufrieden. Kaum eine Sekunde später verschwindet die grüne Färbung wieder und wandelt sich zurück zu Grau und zu guter Letzt zum ursprünglichen Blau. Die Marionette steht steif wie ein Brett am Rand des Krähennestes und wartet auf weitere Weisungen.
Noch immer die Hände nach oben gerichtet, murmelt der Zauberer ein letztes Mal den Spruch, um sein Opfer zu kontrollieren. Doch nun folgt kurze Zeit später ein einziges Wort: „Vendil!“
Die Arme ruckartig zur Brust gezogen, unterbricht er den Lichtstrahl und befördert den Kristall zurück in seine Manteltasche, als zeitgleich der Ausguck beschließt, seinen Weg auf der knappen Brüstung zu versuchen. Entschlossen greift der erste Schritt empor, ein zweiter folgt sogleich, findet aber keinen festen Grund, der Fuß geht ins Leere. Einem Klappmesser gleich, dessen Klinge einschnappt, kippt der Körper des Seemanns vornüber und stürzt in den Tod.
Wenige Stunden später erreicht die Claudia den Hafen von Torel. Die Bucht ist durch eine riesige Kaimauer geschützt, die den Hafen vom Rest des Meeres trennt. Der größte Hafen des Planeten Sierat öffnet sich seinen Besuchern weit und bietet Dutzende Anlegestellen für die unterschiedlichsten Schiffe. Aneinandergereiht wie die Rippen eines unendlichen Brustkorbes, liegen die Schiffe im viel sanfteren Wellengang an und warten auf Reisende oder ihre Mannschaft. Neben der mittelgroßen Claudia liegt ein fein gearbeitetes Handelsschiff mit dem klangvollen Namen Sturmanker an. Auf der anderen Seite wird das Schiff von einem antiken Fischerboot flankiert. Kaum größer als eine Kanzel in einer Dorfkirche, beherrscht die Kajüte das kleine Boot fast vollständig. Die beiden Fischer an Deck entladen den in Eimern gefüllten Tagesfang auf dem Kai, während die Nussschale mit dem schwachen Wellengang sichtlich zu kämpfen hat. Für die beiden größeren Schiffe sind die Wellen auf offener See zwar eine Herausforderung, doch in den ruhigeren Gewässern hinter der Kaimauer, schwankt die große Sturmanker kaum.
Beim Verlassen des temporären Gefährtes für seine Reise blickt der Unbekannte auf die kunstvoll geschwungenen Lettern des parallel anliegenden Schiffes und ringt sich ein gefälliges Grinsen ab.
Bedächtig schreitet er die Planke entlang und ignoriert das aufgeregte Stimmengewirr im Hintergrund. Der unerwartete Tod des so erfahrenen und altgedienten Ausgucks war für die restliche Mannschaft eine ebenso schockierende wie traurige Überraschung. Neben verlegenem Geschniefe und einigen Tränen, harren die treuesten Kameraden um den Leichnam herum aus und warten auf den Totengräber und die örtlichen Marshalle. Auch wenn der Tod zweifelsohne durch einen Sturz aus dem Krähennest herbeigeführt wurde und die Schuld dem heftigen Unwetter zugeschrieben wird, legen die Regeln des Hafens in Torel die Regularien eindeutig fest: Es muss eine Befragung geben.
Dem sich langsam entfernenden Zauberer wird jedoch keine Frage gestellt werden. Mit großem Geschick erzählte er dem Kapitän von seinen Beobachtungen an Deck. Wie tragisch der Alte doch gestürzt sei bei seiner Arbeit. Mit dem letzten Atemzug wollte er alle wissen lassen, dass sich das Festland nähere. Doch eine Welle habe das Schiff erfasst und ihm das Gleichgewicht genommen. Nach einer vorzüglich gemimten Beileidsbekundung, bleibt dem Fremden die lästige Zeitverschwendung einer Befragung erspart. Doch wird seine Ankunft im Hafen noch von jemand anderem bemerkt. Mittig auf dem Kai steht der junge Marcinio Colm und füllt das Buch des Hafenmeisters mit weiteren Notizen zu Fracht und Ladung der anliegenden Schiffe. Das große Buch liegt schwer auf dem brusthohen Pult auf und bedeckt die schrägliegende Schreibplatte vollständig. Vertieft in seine Arbeit nimmt der eifrige Gehilfe zunächst keine Notiz von dem herannahenden Fremden. Als der Zauberer jedoch Pult und Schreiber passiert, blickt der junge Mann kurz auf, als wolle er sich seiner Vermutung vergewissern, räuspert sich und bringt dann mit zaghafter Stimme hervor: „Mein Lord … entschuldigen Sie … ähem … Bitte, wie ist Ihr Name, mein Lord?“
Als verhindere eine Mauer den weiteren Weg, bleibt der Fremde abrupt stehen.
Während der Regen gänzlich aufgehört hat, frischt der Wind merklich auf. Ein ganzes Ensemble an Tropfen verlässt den nassen Mantel des Zauberers, als ihn eine aufkommende Brise erfasst. Sein Blick bleibt unverwandt nach vorne gerichtet. In Erwartung von respektvollem Schweigen will er soeben seinen Weg Richtung Festland fortsetzen, als der Gehilfe wieder das Wort an ihn richtet: „Es tut mir leid, mein Lord. Aber mir wurde aufgetragen, jeden Neuankömmling zu notieren.“
Als Marcinio seine Arbeit im Hafen vor ein paar Monaten antrat, war er sich sicher, etwas Redliches zu tun und mit der Arbeit unter dem strengen – aber fairen – Hafenmeister einen wichtigen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Es ist wichtig, dass über alle Reisenden und Waren Buch geführt wird, nicht wahr? Wie sonst sollen Steuern für irgendetwas erhoben werden, wenn man gar nicht weiß, was da ist? Zwar wird die Arbeit nicht so gut bezahlt wie in den Minen an der Stadtgrenze von Tonn, doch erspart sie ihm zumindest die Gefahr eines einstürzenden Schachtes oder der langsame Erstickungstod in den schlecht belüfteten Gängen.
Ohne ein Wort zu sagen, dreht sich der Zauberer um und schreitet die letzten paar Schritte zurück zum Pult des eifrigen Gehilfen. Ein fest verbautes Holzgerüst schützt den Arbeitenden und das geschriebene Wort vor allzu großer Feuchtigkeit.
Leise fallen die Tropfen des angesammelten Regenwassers vom Gerüst am Rand hinab und landen in flachen Pfützen auf dem Steg. Marcinio harrt unverwandt in seinem Unterstand aus und wartet auf den Namen des Reisenden.
Sicher hat er nur eine anstrengende Reise hinter sich und will sich nicht mit dieser lästigen Bürokratie herumschlagen. Wer will das schon? Vielleicht sage ich noch etwas Nettes …
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen
Ärger bereite, werter Herr. Seien Sie versichert, dass ich nur meine Arbeit machen will. Mein Chef sagt immer: …“
Doch weiter kommt er nicht.
Im selben Augenblick, als sich der Zauberer auf Augenhöhe mit dem pflichtbewussten Gehilfen befindet, schlägt ein Blitz in den großen Mast der Claudia ein. Holz berstet, ein lautes Krachen folgt dem grellen Einschlag, laute Schreie sind vom Deck aus zu hören.
Ein Brand will zur Erleichterung aller nicht entstehen, zu feucht ist das gesamte Schiff. Selbst die eingeholten Segel färben sich nur schwarz, und entlassen leichte Schwaden in den Himmel.
„Gütiger Gott!“ Marcinio hätte es beinahe von den Beinen geholt, so erschrocken hat er Arme und Beine umhergeschleudert.
Am Zugang zum Unterstand blickt ihn der Unbekannte an. Den Kopf emporgehoben, ragt sein spitzes Kinn geradezu ungeniert in Richtung des unverschämt Pflichtbewussten. Als Marcinio sich vom Schreck erholt hat und sich dem Besucher zuwendet, sagt er sogleich: „Ich werde wohl besser nachsehen, ob alle unverletzt sind. Bitte, werter Herr, teilen Sie mir doch Ihren Namen und Ihr Begehr mit?“
Er setzt den Stift bereits zum Schreiben an, senkt den Kopf und richtet die Augen auf das Blatt Papier vor ihm. Er versinkt in eine Welt aus Steuern und Aufgaben.
„Sieh mich an“, brummt der Zauberer ungehalten. Hinter der mürrischen Anrede verbirgt sich eine deutliche Abneigung gegen den Störenfried. Was bildet er sich ein? Wie kann er es wagen, mir noch mehr meiner Zeit zu stehlen?
Langsam blickt Marcinio auf und zwinkert sich frei aus der Welt, die er zuvor besucht hat.
„Bitte verzeihen Sie, Herr, ich war so vertieft und …“
„Schweig!“
Ein mächtiges Grollen entfährt dem wütenden Zauberer. Gleich dem Brüllen einer Herde wilder Büffel ertönt seine Stimme und schwingt noch mehrere Sekunden durch die Luft.
Wie kann das sein? Hier ist doch kein Hohlraum? Erschrocken reißt Marcinio seine Augen auf. Sein Blick haftet nun fest am Neuankömmling. Die Buchstaben dieses einen Wortes flirren noch immer durch die Luft, wie eine immerfort vibrierende Basssaite. Doch neben dem sich ihm jetzt bietenden Anblick, verblasst die Faszination über den jüngst gehörten Ton völlig.
Tropfen, die zuvor zu Hunderten zu Boden fielen und diesen benetzten, schweben in der Luft. Nein. Sie steigen vom Boden her auf. Die Spiegelungen tausender kleiner Welten werfen winzige Lichter durch die Luft und flimmern vor den Augen des jungen Mannes. So, als schwebte ein glitzernder Vorhang aus Perlen vor seinen Augen.
Ganz langsam traut sich Marcinio einen Rundumblick zu. Fasziniert und gleichzeitig voller Angst, will sich die Lunge kaum mit Luft füllen. Das Atmen fällt ihm schwer und es fühlt sich an, als habe die Welt aufgehört zu sein, als wäre alles Leben stehengeblieben. Ein Korsett aus Zauberei und Furcht umgreift Marcinios Torso. Immer schwerer fällt ihm das Atmen, bis er panisch beginnt, nach Luft zu ringen.
Aus weit aufgerissenen Augen sieht er ein letztes Mal die bekannte Welt, den Hafen, die Schiffe und den Fremden.
Wie eine riesige Schere hebt dieser jetzt die Arme auseinander. Den Rechten weit über den Kopf gereckt, den Linken hüfthoch, die Hände offen nach vorne gewandt.
Dann sausen mit einem Mal seine Arme zusammen und die Hände klatschen heftig aufeinander. Sofort spürt Marcinio erleichtert, dass die Luft in seine Lungen zurückkehrt. Der Atem ist wieder da. Welch großartiges Gefühl!
Doch abermals verändert sich die Welt und alles um ihn herum wird schlagartig größer und größer. Der Unterstand wächst zum Himmel empor. Der Fremde am Kai: ein Riese. Die schwebenden Regentropfen werden zuerst zu fingerdicken Kugeln, dann zu faustgroßen Steinen, die nur darauf warten, ihn zu erschlagen.
Weiter und weiter wächst die Welt um ihn herum. Nun ist es, als würde seine Kleidung immer größer und größer werden. Nicht mehr lange und er muss sich nicht um den riesenhaften Fremden sorgen, der weiter und weiter gen Himmel wächst, sondern viel mehr, von der tonnenschweren Last seines Mantels nicht erschlagen zu werden.
Dann wird es dunkel. Hastig und hilflos blickt der junge Mann um sich. Gefangen und begraben von einem riesigen Haufen Stoff. Nur wenig Licht fällt durch die einzige Öffnung über ihm. Dennoch gelingt es ihm, die rauen Fasern seines Mantels zu erkennen. Er müht sich, mit seinen Händen den Stoff in Richtung Himmel zu erklimmen.
Wie kann das sein? Was geschieht hier?
Unsanft packt ihn ein fester Griff in seinem einstigen Nacken. Der Zauberer hat seine Hand durch den Kragen des Mantels gesteckt und hebt den Jungen nun mit Leichtigkeit empor.
Direkt vor den Augen des Zauberers endet Marcinios Reise. Die schnellen Wechsel von hell und dunkel überanstrengen seine Augen, das Glitzern der schwebenden Kugeln blendet ihn. Es vergehen einige Sekunden, bis der junge Mann realisiert, wo er ist.
Den Blick nach unten gerichtet, sieht es so aus, als sei der Boden des Stegs Kilometer entfernt. Seine Füße baumeln in der Luft und enden in mit Krallen besetzten Pfoten. Unruhig schwankt ein neues Körperteil zwischen den Beinen umher: ein Schwanz. So lang wie die ganze Hand des Zauberers schlägt dieser neue Begleiter heftig durch die Luft.
„Na, wer wird denn da so zappeln?“
Der Zauberer zieht Marcinio noch ein wenig näher an sein Gesicht. Giftgrüne Augen starren diesen bösartig an.
„Nun behelligst du niemanden mehr. Verschwinde, Ungeziefer!“
Mit einem schnellen Schwung aus dem Handgelenk entlässt der Zauberer Marcinio aus seiner Hand und wirft ihn fort. Im hohen Bogen fliegt der verwandelte Gehilfe durch die Luft. Sein pelziger kleiner Körper trudelt unkontrolliert und Marcinio wird schwindelig.
Mit einem kalten Platschen endet jedoch schnell jeder Gedanke über Schwindel und Verwirrung. Die Wellen des Hafenbeckens schleudern ihn auf und nieder. Nach Luft ringend japst das kleine Mäulchen, während immer öfter Wasser sich den Weg in die Lungen bahnt. Eine kleine Welle erfasst die neugeborene Ratte und wirft sie gegen einen der hölzernen Pfähle, die die Stege stützen. Mit seinen neuen Instinkten packen die Krallen der Vorderpfoten entschlossen in das Holz und greifen flugs übereinander. Sofort gestützt von den Hinterbeinen klettert Marcinio behände den Pfahl empor, bis er auf dem Steg ankommt. Zu seinem Glück legt hier kein Schiff an, kein riesenhafter Zauberer, keine nach Nagetieren tretenden Seebären, niemand, der einer kleinen Ratte etwas Böses wollen könnte.
Leise und keuchend entfährt ihm ein ungläubiges Japsen: „Wach auf, Marci! Das ist nur ein Traum. Wach auf!“
Die Blitze stieben unruhig über den begrenzenden Rahmen des Portals hinaus. Während sie nach Halt in der umgebenden Luft von Tonn suchen, hastet Thyadora durch den Ereignishorizont. Den Blick für einen Augenblick nach hinten geworfen, erwartet sie ihre Verfolger. Doch niemand kommt. Natürlich war sie bei der Abreise von Trelor allein durch das Portal gegangen. Natürlich war sie bei jedem darauffolgenden Sprung anonym geblieben. Natürlich gibt es eigentlich keinen Grund, sich umzublicken, und doch tut sie es.
Sie findet sich bei ihrer Ankunft in einer großen Halle wieder. Um die Nutzung des Portals zu beschränken und unerlaubten Zugriff zu verhindern, bauten die Gildenmeister diese Halle, angeschlossen an den großen Verwaltungstrakt. Ein Radius von zwanzig Metern wurde um das Portal herum ausgespart und der einzige andere Gegenstand in der riesigen Halle ist eine langgezogene Rampe, die den Weg vom Portal zum einzigen Ein- und Ausgang begleitet.
Am Ende der Rampe steht Gildenkollege Selmo. Er trägt die typische Militäruniform und blickt erwartungsfroh auf den Neuankömmling. Thyadora nickt ihm freundlich lächelnd zu:
„Mal wieder zur Wache eingeteilt?“
„Ja, sieht wohl so aus.“
„Pass auf, das niemand hindurchschlüpft.“
„Das ist mein Job!“, erwidert er mit einem schelmischen Grinsen.
Im Gehen winkt Thya Selmo zum Abschied und öffnet die Verbindungstür zum angrenzenden Gebäude. Dahinter geht zu ihrer Rechten ein kurzer Gang ab, der nach wenigen Metern den Kontrollraum für das Portal beherbergt. Hinter dickem Glas geschützt, kann hier Ankunft und Abreise beobachtet und dokumentiert werden. Außerdem befinden sich verschiedene elektrische Geräte hier, die allesamt die Sicherheit des Reisens gewährleisten sollen. Durch ein kleines Seitenfenster neben der Zugangstür kann Thya zwei weitere bekannte Gesichter erblicken: Sara und Ter. Die beiden sind vertieft in eine offenbar höchst anregende Unterhaltung und nehmen Thyas Ankunft nur mit einem beiläufigen Winken wahr.
Die Jägerin geht den Gang links entlang. Nach einigen wenigen Minuten, vorbei an etlichen kleinen und größeren Räumen - mit Fenstern und ohne Fenster, belegt und nicht belegt - erreicht sie ihr Ziel: das Büro des Generals.
Genau wie Bartleby und Loki dereinst, hat auch Thyadora ihren ersten Auftrag hier erhalten. Ein Krämer namens Tilba Kart schuldete seiner Schwester lumpige zwölf Dublons. Sie behauptete, er habe ihr versprochen, sie bei der Taufe ihrer Nichte unterstützen zu wollen; doch habe sie das Geld hierfür nie gesehen. Sie legte eine Rechnung über vierundzwanzig Dublons vor und beauftragte die Gilde mit der Suche nach Tilba – das fehlende Geld sollte eingetrieben werden. Thyadora fand Tilba nach kurzer Suche. Nach einem intensiven Austausch gestand er, das Geld nicht zu haben – sein Geschäft werfe zu wenig Gewinn ab.
Thyadora hatte Mitleid mit dem armen und wesentlich älteren Mann, und hinterlegte das Geld schließlich selbst bei der Gilde.
Die Investition hat sich gelohnt. Es folgten größere, aufregendere und lukrativere Aufträge, bei denen es dann auch endlich darum ging, die Herde um die wirklich schwarzen Schafe auszudünnen.
Hinter der massiven Stahltür sollte es nun auch den verdienten Lohn für Thyadoras Trophäe geben: die Kugel von Perka.
Nach festem Klopfen und einem „Herein“ von innen, öffnet sie die Tür und tritt sogleich hinein.
„Ah, Thyadora, welch Freude, dich widerzusehen! Wo sind meine beiden Lieblinge? Habt ihr euch doch nicht getroffen?“
Peta Brock ist eine etwas zu klein geratene Walküre, die stets an immer demselben Ort zu sein scheint: Dem Schreibtisch im Vorzimmer zu Sidukai Berns Büro. Ihre krausen Locken hat sie zu einem Dutt gezähmt.
Während ihre Augen über den Rand der goldfarbenen Brille hinweglinsen, klopft der Stift in ihrer Hand ungeduldig auf das Blatt Papier vor ihr.
„Ja, haben wir.“
„Und?“
„Es ist kompliziert …“
„Hast du sie umgelegt?“ Peta lässt ihren Stift fallen und reißt die Augen weit auf.
„Nein, ich bitte dich! Wie hätte ich das anstellen sollen? Du weißt, …“
„Ist das Thyadora?“ Der Apparat auf Petas Schreibtisch gibt krächzend die Stimme von Sidukai Bern wider – dem obersten Befehlshaber der Gilde.
Peta blickt weiter entgeistert, zwingt sich jedoch zur Beherrschung und betätigt die Taste, um in das Mikrofon des Apparates zu sprechen: „Ja, sie ist es.“
Der Lautsprecher gibt ein krächzendes Knacken von sich, als der Satz beendet wird.
„Na dann rein mit ihr! Ich bin gespannt auf ihre Geschichte.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem vielsagenden Schulterzucken setzt sich Thya in Bewegung und öffnet ohne weitere Worte die Tür zu Sidukai Berns Büro.
Dicht an dicht stehen die Regale, vollgestopft mit allerlei Büchern und Heften, Rollen und Pergamenten. Die große Fensterfront zur Linken genügt kaum, um den Raum zu erhellen, und Thya fühlt sich erdrückt durch die einnehmende Schwere der tiefdunklen hölzernen Konstrukte. Nach nur kurzer Reise von wenigen Metern erreicht sie den Schreibtisch, an dem General Bern sitzt.
Das massive Möbel drängt sich der Besucherin regelrecht auf und sagt nicht etwa:
„Hallo, herein“, sondern: „Bleib da!“
General Bern erhebt sich schwer und mit großem Geräusch aus seinem Stuhl, der ihn wohl seit vielen Stunden beherbergt hat.
Eine Karaffe mit Gold-Met ist fast leer, und in dem Aschenbecher daneben sind mehrere Zigarren nach einem kurzen Leben eines gewaltsamen Todes gestorben.
„Mein Herzchen! Wie hab ich dich vermisst!“
Nur wenigen erlaubt Thyadora diese Verniedlichungen – General Bern gehört eindeutig dazu.
Der massive Körper des obersten Befehlshabers der Gilde setzt sich wabernd in Bewegung, zwängt sich mühsam durch den zu schmal geratenen Spalt zwischen Schreibtisch und Bücherregal, am Tisch entlang, und öffnet seine fleischigen Arme freundlich zur Begrüßung.
Wie es für die Befehlshaber der Gilde üblich ist, trägt er seine Dienstuniform:
dunkelblauer Stoff für Hose und Hemd, schwarzer Gürtel und schwarzes Revers an der geöffneten Jacke. General Bern muss sie aufgeknöpft haben, um bequemer sitzen zu können.
„Na, komm schon, so lange ist es nun nicht her, oder?“
Ohne zu Zögern packt der General seine Untergebene fest mit beiden Armen und drückt sie an sich. Eine Mischung aus Zigarrenrauch, teurem Alkohol und einer viel zu großen Menge After Shave benebeln Thyadoras Sinne und hätten sie beinahe zu einem unhöflichen Husten gezwungen.
„Jeder Tag, an dem ich dein Lächeln nicht seh, macht`s mir nicht leicht, oje.“
Sidukai Bern hat eine merkwürdige Obsession für die romantische Dichtkunst diverser Autoren. Zumeist müht er sich, Verse selbst zu dichten, anstatt bereits gut Gelungenes einfach zu entlehnen und vorzutragen.
Thyadora schenkt ihm trotzdem ein aufrichtiges, freundliches Lächeln: „Wie nett.“
„Was kann ich tun für dich, mein Kind? Hast du deinen Auftrag erfüllt?“
Der General greift nach der Zigarrenkiste auf dem Tisch hinter sich und entzündet eine Zigarre sogleich am Feuer der Gaslampe, die direkt danebensteht.
„Ich denke, ich habe ein nettes Andenken mitgebracht.“
Thya greift in ihren Mantel und holt das magische Instrument hervor.
Als General Bern gerade den ersten Zug seiner Zigarre inhaliert, weiten sich seine Augen mit Blick auf die Kugel und die Zigarre entgleitet seinen wulstigen Lippen.
„Das ist … wie hast du … ist das die Kugel von Perka?“
Der große Mann ist von einem Moment zum anderen in einen kleinen Jungen verwandelt worden. Unbeholfen ignorieren seine Schritte die zu Boden gefallene Zigarre und zerquetschen sie achtlos unter gigantischen Schuhen.
Ganz vorsichtig und rücksichtsvoll nähern sich seine Hände schüchtern dem magischen Artefakt.
„Ich fand sie im Besitz von Gernak, nachdem ich ihn getötet hatte.“
Sidukai Bern hört nicht zu. Er ist wie hypnotisiert von der Kugel. Seine Augen fixieren das Instrument in Thyas Händen.
„Darf ich?“
Er blickt kurz auf und seine Augen wirken glasig.
„Nur zu.“
Abgetaucht in eine völlig andere Welt, weiten sich seine Pupillen, Schweißperlen treten auf die Stirn, der Atem ist sichtbar beschleunigt. Ist die Kugel hier wirklich gut aufgehoben?
„Mein Gott. Wie lange wir nach diesem kleinen runden Ding gesucht haben. Du hast ja keine Ahnung, Kind.“
Die Stirn in Falten gelegt, fragt sich Thyadora: Will ich das denn wissen?
Die Faszination für die Kugel scheint ungebrochen. Sidukai Bern betrachtet die tiefschwarze Oberfläche weiter mit glänzenden Augen.
Doch deswegen ist Thya nicht hier, richtig?
Die Zeit drängt …
„Hallo?“
Keine Reaktion.
Dann etwas lauter: „Hallo!“
„Ja? Ich bin da! Was gibt es?“
Als habe er sie jetzt erst wieder wahrgenommen: „Ach ja, Thyadora. Du willst sicher deine Belohnung, nicht wahr?“
Der General legt die Kugel auf dem Schreibtisch ab und zwängt sich erneut an der Seite vorbei. Das Ziel dieser akrobatischen Aktion ist dieses Mal das Bücherregal hinter seinem Lehnsessel. Leicht gebückt sucht er nach etwas und murmelt währenddessen ein paar schwer verständliche Worte. Thya erdenkt sich einen Satz wie: „Na, wollen doch mal sehen. Ah, ja, hier.“
Nach einem mechanischen Knacken, das aus den Tiefen der rückwärtigen Wand zu kommen scheint, rastet ein weiterer Mechanismus weithin hörbar ein und findet sein Ziel in der rechten Seitenwand. Mit einem plötzlichen Ruck bewegt sich das Bücherregal eine gute Handbreit weg von der Wand und offenbart seine eigentliche Funktion.
„Du bist voller Geheimnisse“, bemerkt Thya überrascht.
Der General zwängt sich erneut am Schreibtisch vorbei, bittet Thyadora darum, zur Seite zu treten und quittiert ihre Überraschung mit selbstbewusst tanzenden Augenbrauen.
Die Geheimtür wird kurzerhand vollständig nach vorne geöffnet und offenbart eine verdeckte Nische. Kaum mehr als ein paar Quadratmeter groß, hängen an den Wänden verschiedene Steckbriefe, eine Karte von Sierat und eine Urkunde. Auf dem Boden stehen zwei verschlossene Kisten. General Bern geht stöhnend in die Hocke und öffnet die Linke.
„Wofür ist die Urkunde?“, fragt Thyadora interessiert.
„Oh, nichts Wichtiges“, tut er ihre Frage schnell ab.
Mit einer großen Metallschatulle in der einen, und einem Steckbrief in der anderen Hand, tritt der General zurück aus der Nische und schließt die Tür mit seinem Fuß fast vollständig hinter sich.
„Ich würde dir ja einen Stuhl anbieten, aber wie du siehst.“
Er macht eine hilflose Geste mit den beladenen Händen, während Thya gedanklich den Satz beendet: Es gibt keinen. Kein Problem, ich stehe.
Der General kehrt Thyadora den Rücken und stellt die Schatulle auf dem Schreibtisch ab. Thya kann nicht genau sehen, was er tut, aber sie vermutet, dass eine Zahlenkombination oder ein weiterer Schlüssel benötigt werden, um die Schatulle endgültig zu öffnen.
„Ich weiß wirklich nicht mehr, wie viele wir nach Gernak losgeschickt haben“, beginnt der General seine Ansprache, während er sich erneut am Schreibtisch vorbeizwängt und in den Sessel fallen lässt, „es müssen Hunderte gewesen sein. Du warst nur die Spitze des Eisbergs. Gernak treibt schon seit zwanzig Jahren sein Unwesen. Er hat unzählige Verbrechen begangen, auf Dutzenden Welten. Ich hätte nur zu gerne noch einmal sein Gesicht gesehen, oder ihn dem Qualgericht auf Geso 3 übergeben. Die hören erst auf, wenn das Opfer nur noch sabbert und nicht mehr ansprechbar ist. Die haben Methoden, sag ich dir. Ha! Da ist das, was du mit ihm gemacht hast, sicher ein Kinderspaziergang gewesen. Wo wir gerade darüber sprechen: Wie sagtest du noch gleich, ist der Drecksack gestorben?“
„Ich habe ihm mehrfach in die Brust geschossen und den Hals aufgeschlitzt“, antwortet Thya eiskalt und fast beiläufig.
„Ah, es hat dir Spaß gemacht, ja? Ha! Ich wusste, du hast dieses Killergen in dir!
Genau die richtige Wahl, hier bei uns anzufangen! Genau richtig!“
„Ja, ich muss zugeben, ich hatte tatsächlich Freude daran, diesen Hund zu erledigen. Schätze, die Jagd ist genau das Richtige für mich.“
„Ha! Ja das möchte ich meinen!“
Thyadora denkt an die Geschichte, die es noch für sie zu entdecken gilt. Wie groß war Gernaks Einfluss auf sie, während ihrer Zeit hier? Welche Tode gehen auf seine Rechnung? Wie viel von all dem, was Sidu kennt, ist Thyadora Sharma und wie viel unberechenbare Killer-Marionette? Welche Geheimnisse hat sie womöglich an die Bande weitergegeben?
Der General zieht die Schatulle zu sich heran und faltet die Hände geschäftsmäßig auf dem Tisch.
„Also. Hier steht:“
Er entrollt ein vergilbtes Pergament.
„Gernak, tot oder lebendig. 1.000.000 Dublons. Ich nehme an, du möchtest es am liebsten gleich direkt mitnehmen, ja?“
„Weißt du, Sidu, tatsächlich hätte ich ohne Bart und Loki einen Scheiß zu Stande gekriegt.“
„Hm. Wo sind die beiden denn?“
„Wir wurden getrennt. Aber ich bin sicher, dass sie bald hier sein werden.“
Schelmisch hält der General seinen Kopf schief.
„Ihr hattet euch in die Wolle gekriegt, was? Sicher wegen Loki. Er kann ein echtes Arschloch sein!“
Oh ja, denkt Thya, während sie sagt: „Es ist wohl etwas komplizierter.“
„Nun, im Grunde ist es mir völlig egal! Ihr teilt also Hälfte-Hälfte, nehme ich an. Da der Gilde immer zehn Prozent zustehen, bleiben für dich und deine beiden neuen Freunde noch jeweils 450.000 Dublons. Das schmeckt doch trotzdem noch ganz lecker, was?“
„Ja, eine stolze Summe. Ich nehme alles mit, wenn es geht.“
General Bern klaubt mehrere Stapel größerer Scheine zusammen und reicht sie Thya über den Tisch hinweg entgegen. Sie steckt die Belohnung in ihre Manteltasche.
„Und wohin verschlägt es dich jetzt? Ich hätte da ein paar echte Großkaliber für dich …“
„Nein. Ich denke, ich werde mir etwas Ruhe gönnen.“
„Ah, na sicher. Tu das! Du hast es dir verdient! Hier, bitte sei so gut, und bring Peta diesen Steckbrief, wenn du gehst. Sie wird Gernak von der Liste streichen.“
„Das mach ich. Danke Sidu.“
„Keine Ursache, Herzchen. Aber eine Frage hätte ich da noch.“
„Ja, was denn?“
„Wenn Bart und Loki in den nächsten Tagen oder Stunden hier aufschlagen, soll ich ihnen sagen, wo sie dich finden?“
Thyadora überlegt. Will sie gefunden werden? War es nicht ihre Absicht, für den Moment alleine loszuziehen und sich von den beiden zu lösen?
„Sag ihnen einfach die Wahrheit: Du weißt es nicht.“
Mit einem steten Nicken lässt Thya Sidukai Bern in seinem viel zu kleinen Büro zurück.
Während ihres kurzen Besuches bei Peta, um den Steckbrief abzugeben und sich vorerst abzumelden, trägt sie sich in die Liste ein für ein paar größere Such- und Rettungsaufträge außerhalb von Sierat. Eine angemessene Ablenkung will eingeleitet werden.
Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen, um 450.000 Dublons reicher und um ein mystisches Artefakt ärmer, macht Thyadora sich auf den Weg zur Dicken Träne.
Das Lokal in der Nähe des Gildenhauptquartiers dient seit jeher allen heimischen und fremden Kopfgeldjägern als willkommener Rastplatz, um einzukehren, ein wohlschmeckendes Glas Gold-Met zu schlürfen und von den jüngsten Errungenschaften zu berichten.
Kein Zweifel, wo Marek sein wird, denkt Thya und folgt ihrem Gespür hinaus aus der Kommandozentrale.
Am nächsten Tag erreichen Bartleby und Loki Sierat und das Hauptquartier der Gilde.
Selbstverständlich hält sich Lokis Freude in Grenzen: „Diese miese kleine Assel!
Meint sie wirklich, ich lasse sie mit dem ganzen Rest ziehen? Lumpige 225.000 Dublons für jeden von uns? Was denkt sie, wer sie ist? Ohne uns wäre sie im Leben nicht so weit gekommen! Sie hätte nicht einen einzigen Schuss abgeben, geschweige denn diesen Sack Scheiße aufschlitzen können!“
Loki tobt. Wütend und sichtlich erregt, stapft er vor Sidukai Berns Schreibtisch auf und ab. Überrascht über Lokis Entgleisung, beobachtet Hama das Schauspiel stirnrunzelnd und ein wenig eingeschüchtert. Er ist direkt nach dem Eintreten hinter der Tür stehen geblieben und hat den Jägern den Vortritt gelassen.
„Ich glaube es nicht, dass du sie damit ziehen lässt, Sidu!“
Bart mischt sich ein: „Was hätte er machen sollen? Sie einsperren, bis wir angekommen sind? Sie ist genauso eine Jägerin wie wir auch. Und hat die gleichen Rechte.“
„Das ich nicht lache: Genau eine Jägerin wie wir! Bist wohl immer noch vernebelt, was, mein Lieber?“
Kopfschüttelnd entschließt Bart sich dazu, auf dem Boden Platz zu nehmen. Die Geheimtür dient ihm als Rückenlehne.
„Mein lieber Loki.“ General Bern ist bemüht, die Wogen zu glätten. In dem kleinen Büro ist die Luft ziemlich stickig geworden. Und das liegt nicht – wie sonst so oft – an den Rauchschwaden der Zigarren.
„Ohne Zweifel seid ihr beiden äußerst wichtig für die Gilde. Ihr habt Familien vereint, Geächtete begnadigt und Monster entsorgt. Wer ist da schon Thyadora Sharma?“
Wieder zwängt Sidukai Bern sich an dem riesigen Schreibtisch vorbei. Nach einem kurzen Slalom um Bart herum erreicht er Loki.
Der Jäger ist Opfer seines Blutdrucks und beginnt zu schwitzen.
General Bern stört das wenig. Die linke Hand auf Lokis Schulter gelegt, gibt er dem erregten Hitzkopf einen Klaps auf die Wange mit der freien Rechten. Sodann packt er ihn herzlich im Nacken, zieht ihn an sich und lacht lauthals auf: „Ha, ha, ha! Ich habe dich vermisst, du alter Scheißkerl!“
Konsterniert beobachtet Hama das eigentümliche Begrüßungsritual und sucht den Blick von Bart, der die freundliche Umarmung mit einem leichten Lächeln schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.
Als General Bern Loki aus der Umklammerung entlässt, blickt dieser beleidigt zu Boden und schmollt: „Echt mal, Sidu, hättest du sie doch ein wenig hingehalten.“
„Um mir den ganzen Spaß zu nehmen? Ha, ha, ha! Loki, du bist eine echte Heulsuse! Dann schnapp sie dir halt beim nächsten Mal und versohl ihr ein wenig den Hintern – wenn du weißt, was ich meine. Hä, Männer?“
Kaum übersehbar ist das eindeutige Augenzwinkern von General Bern, adressiert an jeden der drei Reisenden. Bart entscheidet sich, den geschmacklosen Witz unkommentiert stehenzulassen. Auch wenn ein nicht allzu kleiner Teil in seinem Inneren gerne zu einer passenden Erwiderung angesetzt hätte.
„Wer ist eigentlich der Türstopper dort hinten?“
Mit verschränkten Armen nimmt General Bern Platz auf seinem Schreibtisch, der den voluminösen Körper problemlos – aber knarzend – empfängt.
„Das, lieber Sidu, ist Hama.“ Erst jetzt fällt Bart ein, dass er gar nicht weiß, wie Hama eigentlich mit Nachnamen heißt. Dieser erkennt die Ratlosigkeit und wagt einen selbstbewussten Vorstoß. Mit zur Begrüßung ausgestreckter Hand macht Hama ein paar Schritte auf General Bern zu und eröffnet:
„Ich bin Hama Apother. Ich komme aus Randol. Das heißt, genau genommen, hab ich dort nur eine Zeit lang gelebt. Ursprünglich komme ich aus …“
„Halt!“ General Bern hebt gebieterisch die Hand.
„Es interessiert mich nicht, welche Geschichte du hast, mein Freund. Wenn du der Gilde angehören möchtest, ist deine Vergangenheit nun Vergangenheit.“
Ohne den Händedruck zu erwidern, erhebt Sidukai Bern sich von seinem Schreibtisch und geht auf Hama zu. Die Arme eng vor der Brust verschränkt, mustert er den jungen Anwärter genau.
„Ich nehme an, ihr wollt ihn rekrutieren?“
Die Frage ist eindeutig nicht an Hama gerichtet. Loki fühlt sich angesprochen.
„Ja, das ist der Plan. Er hat schon ein paar Herausforderungen gemeistert und wir denken, dass er mit intensivem Training zu einem guten Jäger werden wird“, stellt er sicher fest.
„Hm …“ Als suche er nach irgendetwas, mustert General Bern Hama ganz genau und fragt weiter: „Ich nehme an, ihr werdet bürgen und auch die Ausbildung übernehmen?“
„So wird es kommen“, wirft Bart ein, kaum dass der General seine Frage gestellt hat.
„Hm …“ Wieder auf dem Rückweg zu seinem vorherigen Sitzplatz reibt der General sich das feiste Kinn.
„Wir haben echt einen ganzen Arsch voll Leute verloren in den letzten Wochen. Ich würde den da sogar aufnehmen, wenn er nur ein Bein und keine Augen hätte. Ha!“
Unsicher, wie er auf dieses wenig freundliche Willkommen reagieren soll, sucht Hama Hilfe bei Bart, der jedoch kaum Wert auf eine Fortsetzung zu legen scheint.
„Also Sidu: Hama ist genau richtig für die Gilde. Wir übernehmen die volle Verantwortung und wir hätten nun gerne unseren Anteil der Belohnung für Gernak.“
Bart erhebt sich vom Boden und begegnet dem General mit einem leichten Anflug von Ungeduld, den dieser geflissentlich zur Kenntnis nimmt.
„Ja, ja, Bart. Hast recht. Kein Grund, euch nicht zu trauen. Hier, eure Belohnung.“
Er nimmt zwei dicke Bündel Geldscheine vom Schreibtisch und wirft sie den Jägern zu.
„Und jetzt raus mit euch. Ich hab hier noch meine Arbeit zu machen.“
Bart nickt knapp und begibt sich zum Ausgang. Mit sanftem Druck schiebt er Hama durch die nun geöffnete Tür hindurch und geht schnurstracks auf Petas Schreibtisch zu, während Loki sich verabschiedet:
„Die Kugel hat sie hiergelassen, wie ich sehe.“
Er zeigt auf die Kugel von Perka, die noch immer auf dem Schreibtisch liegt.
„Ja.“
„Meinst du, sie hat irgendeine Ahnung, wofür die sonst noch gut ist?“
„Ich bin mir sehr sicher, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung hat.“
„Gut.“
Und nach einer kurzen Pause:
„Weißt du, wo sie hin ist?“
„Ja, aber ich sag es dir nicht, Loki.“
Wieder beginnt Lokis Wut einen Weg an die Oberfläche zu suchen.
„Mach dich wirklich mal locker, mein Freund. Ich sag es dir nicht, weil ich es einfach nicht weiß.“
Loki nickt. Sein Kopf ist puterrot. Er macht kehrt, gesellt sich zu Hama und Bart, und schließt die Tür hinter sich.
Während Bart Hama vorstellt und Peta in ein unverfängliches Gespräch verwickelt, begutachtet Loki die Auftragsliste auf Petas Schreibtisch.
So, so, willst dir wohl einen Namen machen, was, denkt Loki, als er Thyas Namen gleich bei vier Großaufträgen wiederfindet.
Dich kriege ich trotzdem, Kleine … Petas herzliches Lachen holt Loki zurück aus seiner Gedankenwelt aus Rachephantasien und zu begleichenden Rechnungen.
„Bart, du alter Charmeur! Benimm dich!“
Ein halbwegs ernst gemeinter Hieb trifft Barts Handrücken, der offenbar gerade den Weg zu Petas Schal sucht, den sie um ihren Hals trägt.
„Leute, sollen wir dann?“
Loki fordert den Trupp zum Gehen auf.
„Bitte entschuldige, meine Liebe. Die Pflicht ruft.“ Mit tief empfundenem Bedauern im Blick verabschiedet Bart sich von Peta, die sogleich beginnt, sich mit einem Blatt Papier Luft zuzufächeln und die Jäger beim Verlassen des Büros beobachtet.
„Also, Loks, was denkst du? Auf einen kleinen Abstecher in die Dicke Träne?“
Das uralte Lokal liegt nur einen Steinwurf von der Zentrale der Gilde entfernt und erfreut sich großer Beliebtheit. Reisende aus allen Ecken des Planeten kehren hier ein, um sich von den Strapazen der Reisen zu erholen und einen Zwischenstopp einzulegen.
Kaum über den Haupteingang der Gildenzentrale hinausgetreten, fällt Barts Blick auf die metallene Reflexion der Außenwand der Dicken Träne. Das halb zerstörte Wrack eines alten Truppentransporters der algonschen Streitkräfte wurde umfunktioniert zum Zugangsbereich und dient auch als eindeutiges Erkennungsmerkmal. Blankgeputzt und poliert wirft die bauchige Außenhülle stets das Licht zurück und lässt keinen Zweifel daran, wo sich die Besucher befinden.
Findige Handwerker nutzten die Überreste des Kriegsgerätes und erweiterten das Gefährt um eine größere Konstruktion aus Blechen und Schilden, gestützt von diversen Trägern aus Metall und Holz. Über die Jahre ist eine weitere Etage hinzugekommen, die mehrere kleine und große Räume beherbergt.
Hier verbringen Jäger und Reisende – zuweilen auch Gesindel und Tagediebe – ihre Zeit und führen ihren hart verdienten Lohn wieder dem Wirtschaftskreislauf zu.
Bartleby und Loki haben Dutzende Nächte hier verbracht, ihre Zeit und ihre Dublons mit Glückspiel vergeudet und sich einen Ausgleich für die nächsten Jagdaufträge geschaffen. Das im Untergeschoß der Bar befindliche Casino war mehr als nur einmal Schauplatz dieser Freizeitbeschäftigung.
Auf dem Vorplatz des Lokals herrscht geschäftiges Treiben und eigentlich müsste dies verhindern, dass Bart und Loki erkannt werden. Doch das geschulte Auge von Cesar Tru – er hat tatsächlich nur noch eins – würde die Jäger sogar auf der anderen Seite des Planeten erspähen.
„Ich fasse es nicht!“
Sein Ausruf lässt mehrere Passanten erschrocken zusammenzucken, sich ängstlich umsehen oder zur Seite weichen.
„Bartleby und Loki! Wenn ich euch Penner sehe, geht mir das Herz auf!“
Dutzende Augen sind nun auf die Jäger gerichtet. Einzelne Fingerknöchel klopfen zur Begrüßung bereits gegen das Blech der metallenen Außenwand der Dicken Träne. Es trennen sie gut und gerne dreißig Meter von Cesar und dem Eingang zum Lokal, und ihr Weg wird mehr und mehr von Getuschel und vereinzelten Rufen begleitet.
Tut gut, wieder zu Hause zu sein, denkt Loki, als eine hübsche junge Frau ihm ein laszives Augenzwinkern schenkt.
„Cesar!“
„Bart!“
Barts muskelbepackte Arme umschlingen Cesar vollständig. Dieser ist um einiges schmächtiger als der kolossale Jäger und stößt anfangs ein geschafftes Stöhnen aus, als Bart ihn herzlich drückt.
Cesars auffälligstes Merkmal sind die schneeweißen Haare auf dem Kopf und im Gesicht. Ein langer Vollbart verdeckt Mund und Nase fast vollständig. Selbst die buschigen Augenbrauen verhindern einen klaren Blick auf seine Augen. Dass er eines bereits im Kampf verlor, ist kaum zu erkennen.
„Man, bin ich froh, dich zu sehen!“
„Und ich erst! Har, har, har!“
Begleitet von Handgriffen und freundschaftlichen Hieben begrüßen die Jäger Cesar und stellen schließlich auch Hama vor.
„Ein Frischling, ja?“
Die kernige und kraftvolle Stimme von Cesar erheitert noch immer das vorüberlaufende Volk von Schaulustigen, bis er seine Gäste schließlich durch die Eingangstür geleitet.
„Herein mit euch!“
Die Jäger betreten den Eingang des Lokals über die sanft dahingleitende Schiebetür des ehemaligen Transporters. Nach nur einem kurzen Schritt ist das alte Stahlblech Vergangenheit und der Anblick auf das Innere der Bar wird freigegeben.
Behangen mit antiken Waffen und hunderten eingerahmten Steckbriefen, ist die ursprüngliche Oberfläche der verwendeten Blechkonstruktion an den Wänden kaum noch zu erahnen. Etwa ein Dutzend Tische - völlig unterschiedlichen Stils und Designs - sind im Raum verteilt. Ein kurzer Tresen, von mehrfarbigem Licht erhellt, findet beim Betreten die Blicke der Neuankömmlinge. Dahinter wartet Susi Darl auf die nächste Bestellung, die sogleich von ihrem Chef aufgegeben wird:
„Susi! Gold-Met für alle! Wir haben etwas zu feiern!“
Verdutzt ob der Freigiebigkeit, wird die glatzköpfige Schönheit sogleich von wild johlenden Gästen belagert, die ihre Gläser gerne wieder gefüllt hätten. Zum Glück wird sie hiermit nicht allzu lange beschäftigt sein. Es ist gerade Nachmittag in Tonn und die Zahl der Gäste überschaubar.
„Kommt, kommt, ihr beiden! Wir hauen uns da hinten hin!“
Cesar zeigt auf einen abgetrennten Bereich hinter der Theke, der nicht für alle Gäste vorgesehen ist. Verdeckt von einem dicken, roten Vorhang wird die Trennung markiert.
Im Vorbeigehen straft die dunkelhäutige Bardame ihren Chef mit einem genervten Blick und trommelt mit den knallbunten Nägeln auf der Theke. Ist sie es doch, die nun die durstige Meute mit Getränken versorgen darf, während Cesar sich mit seinen Freunden zurückzieht.
„Sie wird es schon verzeihen“, winkt er ab, als er Susis Unmut gewahr wird und kurz darauf das kleine Separee in der Nische betritt.
Ein rundes Sitzpolster umspannt den kleinen Tisch in der Mitte, auf dem mehrere leere und halbleere Flaschen stehen. Offenbar ist nach den letzten Gästen nicht aufgeräumt worden.
Leicht versetzt hinter der Theke der Bar ist der Ort ideal, um ungestört vor den Augen und Ohren anderer Gäste sprechen zu können.
Bart, Loki und Hama nehmen Platz in der Polsterecke und warten schweigend auf Cesar, der sich mit einer wortlosen Geste für die Unordnung entschuldigt und nach nur wenigen Sekunden mit einer Hand voll frischer Gläser und einer großen Flasche Gold-Met zurückkehrt.
„Jetzt wird erstmal angestoßen!“
Cesar befreit die Flasche von ihrem Korken und gießt einen Schwall Met in jedes der vorbereiteten Gläser.
Ohne jede Ahnung, was ihn erwartet, greift Hama nach einem Glas und wartet höflich auf die nächsten Worte ihres Gastgebers.
„Auf alle, die waren, und auf alle, die noch sind!“
Mit einem anerkennenden Nicken quittieren die drei Reisenden den herzlichen Trinkspruch und wiederholen ihn sogleich im Chor: „Auf alle, die waren, und auf alle, die noch sind!“
Cesar schüttet sein Glas schwungvoll in den Rachen und tränkt seinen Bart dabei großzügig. Während Bartleby und Loki genüsslich ihr Getränk trinken, gibt Hamas Rachen den Kampf schnell auf und hustet ob der Schärfe des Gold-Mets. Ganz zu Cesars Erheiterung lacht dieser herzlich über Hamas vermeintliche Schwäche und schüttet bei allen Gästen großzügig nach.
„Also, Jungs, Auftrag erledigt?“
„Wie man es nimmt, Cesar“, antwortet Bart.
„Was gibt es da zu nehmen? Tot oder nicht?“
„Eindeutig tot.“
„Na dann: Auftrag erledigt!“
Cesar lacht lauthals auf und hebt sein Glas zum erneuten Zuprosten. Die drei Freunde tun es ihm gleich.
„Wartet kurz! Ich bin gleich zurück!“
Wieder entschuldigt sich Cesar bei seinen Gästen und sucht den Weg zur Bar.
Mit großen Augen und überfordert mit der Situation, atmet Hama tief durch: „Was ist das für ein Zeug?“
„Gold-Met.“ Loki nimmt einen großen Schluck und schüttet sein Glas erneut voll.
„Ein ziemlich fieses Gebräu, aus Getreide und einer süßen Knolle gebrannt. Hier trinkt es so ziemlich jeder. Solltest dich besser schnell daran gewöhnen.“
Hama erwidert den Rat mit einem gequälten Lächeln und nippt an seinem Glas.
„Ist dieser Cesar ein Freund von euch?“
„Wie bist du denn darauf nur so schnell gekommen?“
Loki grinst unverhohlen und schüttelt den Kopf.
„Ja, ich weiß, schon klar. Ich mein ja nur.
Was ich eigentlich fragen wollte: Woher kennt ihr euch?“
Hamas unsicheres Gestammel lässt die Jäger leicht irritiert zurück, als Bart ansetzt:
„Ist gerade alles ein bisschen viel, was, mein Freund?“
Unsicher blickt Hama zur Seite und schweigt, während ein weiterer Mini-Schluck seine Kehle benetzt.
„Ich würde sagen, wir kennen uns schon ewig. Als Bart und ich unseren ersten Auftrag erledigt hatten, haben wir unseren Lohn hier versoffen.“