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Die Schriftstellerin Monika Lamers nannte dieses Buch "so intim, dass nur darin lesen darf, dessen Wahlverwandtschaft sicher ist." Tatsächlich offenbart der Autor viel von seinem innersten Wesen: "Immer wieder die Frage: Wer bin ich? Mich erinnern. Den lebendigen Zusammenhang wiederfinden." In diesem Sinn bietet das Werk eine starke Einladung zur Selbsterkenntnis. Benedikt Maria Trappen lässt den Leser an seinem geistigen Weg teilhaben, wobei er ihn durch zahlreiche scharf konturierte Aphorismen auf wesentliche Fragen der Existenz stößt. Es geht dabei ebenso um höchste Ziele, "Endlich unendlich sein", wie um Klarheit im begrenzten Leben, das "zwingende Gefühl, angesichts des nahen Todes die rettenden Worte finden zu müssen." Für den Philosophen Jochen Kirchhoff, der die Einführung verfasste, regen Trappens Notate "zum radikalen Selberdenken, Selbermeditieren, überhaupt zum Selbst-Sein im tiefsten Sinn" an. Dies wird nur möglich, weil "der Autor mit Herz und Seele und lebendiger Erfahrung hinter dem Geschriebenen steht." (Wilfried Huchzermeyer)
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Seitenzahl: 133
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Edition Habermann
Benedikt Maria Trappen
Der Himmel ist auch die andere Erde
Aus Tagebüchern und Briefen
mit einem Vorwort von
Jochen Kirchhoff
Edition Habermann
München 2016
© 2016 Edition Habermann
der Lama und Li Gotami Govinda Stiftung, München
Vorwort: © 2016 Jochen Kirchhoff
Umschlagbild: Sonne und Meer, © 2016 Heinz Stein
ISBN
Hardcover
978-3-96025-003-6
Paperback
978-3-96025-004-3
e-Book
978-3-96025-005-0
www.lama-govinda.de
INHALT
VORWORT VON JOCHEN KIRCHHOFF: MENSCHWERDUNG UND ERLÖSUNG
VORWORT DES HERAUSGEBERS
BRIEFE AUS DER UNBEWUSSTHEIT
REISETAGEBUCH
PHILOSOPHISCHES TAGEBUCH: EINBLICKE IN DIE WERKSTATT
JOCHEN KIRCHHOFF
MENSCHWERDUNG UND ERLÖSUNG
Vorwort zu Der Himmel ist auch die andere Erde von Benedikt Maria Trappen
Seit mehr als einem halben Jahrhundert schreibe ich so etwas wie ein „philosophisches Tagebuch“, das mir unentbehrlich geworden ist, auch als Archiv und Steinbruch für spätere Texte. Solcherart Tagebüchern bei anderen Denkern und Autoren (wenn sie mir denn interessant genug erscheinen) bringe ich ein sozusagen grundsätzliches Interesse entgegen, auch in Bezug auf die Frage nach dem Adressaten. Für wen schreibe ich? Dient das Geschriebene primär der Selbstverständigung, oder dominiert der offene oder versteckte (kaum eingestandene) Blick auf die Veröffentlichung und damit auf zwei berühmte Damen, nämlich Frau Mitwelt und Frau Nachwelt, streng und schwer einzuschätzen fürwahr, wie man weiß, die durchaus in heftigem Dissens zueinander stehen können. Daran denke ich auch, wenn ich die Notate von Benedikt Maria Trappen lese und zu verstehen suche, was sich in ihnen ausdrückt und abgelagert hat. Folgendes fiel mir auf:
Auf diesen Blättern spricht sich eine Seele aus, die unaufhörlich und mit bohrender Eindringlichkeit die Grundfragen des philosophischen und geistigen In-der-Welt-Seins reflektiert, sich nie zufrieden gibt und irgendwie zur Ruhe kommt oder überhaupt ankommt, sondern stets weitergeht, weiterfragt und tiefer zu fragen sich bemüht. Worum geht es? Es geht zentral um Menschwerdung und Erlösung. Wie werde ich wirklich und wahrhaftig Mensch, also ohne Selbstüberhöhung und Selbstbetrug? Wie erfülle ich die mit meiner Inkarnation verbundene, ja mit ihr in gewisser Weise identische Aufgabe? Und dies in der ständig gegenwärtigen Angst, mich und sie (die Aufgabe, die Inkarnation) zu verfehlen.
Da ist das Verlangen nach schöpferisch-erkennender Ekstase, die auch das Bei-sich-selbst-Ankommen einschließt, ja voraussetzt, und das davon kaum zu trennende Verlangen nach Erlösung, nach Satori, nach Überschreitung der eigenen Egoität, nach Verströmung, nach radikalem „Abschied von Gewohntem“. Nicht umsonst taucht diese Formel immer wieder leitmotivisch und wie mahnend auf. Menschwerdung: Das ist für Trappen, wie es einmal heißt: „Lebensgeburtsprozess“ (S. 97). oder auch: „Die zweite Geburt“. (S. 92) Das immer wieder aufs neue zu sich selbst geboren werden, sich wirklich zu inkarnieren, ohne in der puren Immanenz des physischen Inkarniertseins zu versinken, vergessend des Ursprungs (arche) und des Ziels (telos). Vielmehr: Erinnerung, immer wieder Erinnerung. „Sich erinnern als unendliche Aufgabe“ (S. 41). Dabei stets die Selbstermahnung, sich dem sogenannten Alltag rückhaltlos zu stellen, ihm nicht auszuweichen, ihn beseelt und würdig zu gestalten, ohne Eskapismus (der ja immer ganz naheliegt).
Man kann diese Notate, Aphorismen, Fragmente und Skizzen irgendwo aufschlagen und ist gleich in der Mitte des Versuchs, Denken und Sein (Seyn) zur Deckung zu bringen, die eigene Existenz in der Tiefe zu ergreifen, es sich nicht leicht zu machen, keine vordergründigen Lösungen oder Rezepte zu suchen oder sich in schöngeistige und ästhetisch klingende Formeln einzuspinnen. Trappen liefert keine Ideologie. Sehr schön dazu folgende Sentenz: „Alles vermeintliche wissen ohne wirklichen Selbst- und Seinsbezug ist Ideologie.“ (S. 95)
Manches erinnert an die Fragmente des Novalis, etwa dieses Notat: „Das Wort als Grabmal des Geistes. Alles Sprechen ist symbolisch.“ (S. 44)
Immer wieder finden sich echte Perlen in den Notaten, solche mit Haiku-Qualität, mantrisch aufgeladen und dicht. Diese und nicht nur diese sind es wert, gelesen und ,mitgedacht’ zu werden, auch sich an ihnen auf produktive Weise zu reiben, wenn das ,Mitgehen’ zunächst schwerfällt. Die Aufzeichnungen lassen den Leser frei; sie zwingen ihm keinen Denkweg auf. Sie regen an zum radikalen Selberdenken, Selbermeditieren, überhaupt zum Selbst-Sein im tiefsten Sinn. Sie sind kein ideologisch befrachteter Halt oder Hafen, sondern Zeugnisse eines authentischen Ringens, in dem ,man’ sich wiederfinden kann, wenn man nicht gleich, und das ist allerdings die Voraussetzung, die eigenen (die echten und die vermeintlichen) Antworten dagegen in Stellung bringt.
Abschließend eine der Sentenzen, die mich mit am meisten beeindruckt haben:
„Geist als Erfahrung außerordentlicher lebendiger inniger Wirklichkeit, Mächtigkeit der Seele.“ (S. 49) Genug…
September 2015
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Beim Umzug in eine den schwierigen Erfordernissen des Berufs angemessenere Wohnung entdeckte ich eine Schublade voller Papiere, die, teils geordnet und in Mappen gelegt, zum Nachlass des Dichters gehören, der, weitgehend unbekannt, vor Jahren hier verstorben ist. Es handelt sich dabei neben Entwürfen und frühen Fassungen der Gedichte und Prosa, die man bei seinem Tod gebunden fand, um maschinengeschriebene Abschriften einer Vielzahl von Briefen, deren Adressat unbekannt ist. originale – so es sie jemals gegeben hat – sind unauffindbar; womöglich wurden sie verbrannt. Zahlreiche Unterstreichungen und Bemerkungen deuten darauf hin, dass der Dichter intensiv mit diesen Texten beschäftigt war. Dieser Eindruck wird bestärkt durch eine genaue Datierung des Prozesses am unteren Rand der Blätter. Weitere mit dieser Beschäftigung zusammenhängende Notizen finden sich in Tageund Traumbüchern, deren Entzifferung bislang nur teilweise gelungen ist.
Nahezu alle der zum Teil mit Hand, zum Teil mit Maschine geschriebenen Blätter sind mit Datum versehen, so dass eine zuverlässige Chronik des Werks sich ohne Mühe erstellen lässt. Der Zeitraum seiner Entstehung begrenzt sich demnach auf etwas mehr als vier Jahre, denen zehn weitere der rätselhaften Beschäftigung des Dichters mit seinem Werk folgen, die zum Teil in der vom Herausgeber besorgten Auswahl der Briefe und Tagebücher dokumentiert sind. Auffallend sind wiederholte Anmerkungen unterschiedlichster Daten am Rand. Es steht zu vermuten, dass es sich dabei um Bezugnahmen auf die Tagebücher handelt, deren Bedeutung im Einzelnen unklar ist. Wie aus den Zeichen und Bemerkungen ersichtlich ist, bemühte der Dichter sich um eine gültige Fassung des gesamten Werks, zu dem neben den Gedichten ein etwa 60 Seiten umfassendes Fragment zählt, das literarische Einflüsse und Vorbilder weitgehend erkennen lässt. Soweit bekannt, handelt es sich um das einzige Werk, um dessen Veröffentlichung sich der Dichter zu Lebzeiten – vergebens – bemüht hat.
Farbige Markierungen im Text, die ein System vermuten lassen, das gleichwohl undurchsichtig bleibt, bieten den hauptsächlichen Anhalt bei dem Versuch, das Interesse des Autors an seinen Texten zu erhellen. Ohne einer tiefer gehenden wissenschaftlichen Erforschung vorzugreifen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Hervorhebungen von Motiven handelt, die mit der Biographie des Dichters in Verbindung gebracht werden. Eine Vielzahl von Symboldeutungsversuchen spricht für eine wenigstens teilweise Aneignung psychoanalytischer und religionswissenschaftlicher Theorien. Die unterschiedliche Druckstärke der Markierungen lässt auf eine hohe Emotionalität dieses Prozesses schließen, der mit dem jähen Tod in Zusammenhang gebracht werden kann.
Berichtet wird, neben einer nicht näher beschriebenen gelegentlichen lichthaften Erscheinungsweise seiner Gestalt, von musikalischen Improvisationen, die vereinzelte Besucher in den letzten Jahren tief beeindruckt haben.
Die Mehrzahl seiner Freunde und Bekannten hat den Dichter, der sich mit dem Zusammenbruch seiner poetischen Existenz zurückgezogen und kaum noch in der Öffentlichkeit gezeigt hat, in diesen Jahren nicht gesehen, so dass viele erst mit der Publikation seines Nachlasses – die mit Recht eine späte Geburt genannt werden kann – von seinem Tod Kenntnis erlangen.
Der Forschung aber wird das Werk zugänglich gemacht als Baustein einer künftigen Wissenschaft des Geistes, deren Grundsätze und Dimension der Herausgeber in diesen Texten vorgezeichnet findet.
BRIEFE AUS DER UNBEWUSSTHEIT
„Und hier erkenne ich die Mission jener Jugend, jenes ersten Geschlechtes von Kämpfern und Schlangentötern, das einer glücklicheren und schöneren Bildung und Menschlichkeit voranzieht… Ihre Mission aber ist es, die Begriffe, die jene Gegenwart von „Gesundheit“ und „Bildung“ hat zu erschüttern… Von diesen Hoffenden weiß ich, dass sie all diese Allgemeinheiten aus der Nähe verstehen und mit ihrer eigensten Erfahrung in eine persönlich gemeinte Lehre sich übersetzen werden… Ihre Kennzeichen sind, von dem Gesichtsfelde jener Gebildeten aus gesehen, gerade ihre „Unbildung“, ihre Gleichgültigkeit und Verschlossenheit gegen vieles Berühmte, selbst gegen manches Gute. Aber sie sind, an jenem Endpunkte ihrer Heilung, wieder Mensch geworden.“
Friedrich Nietzsche
„Aus fernen Welten fallen Worte mir in die Hand. Meine Wege führen ins Wunder.“
Rose Ausländer
„Ich suchte dein Auge, als du’s aufschlugst und niemand dich ansah, ich spann jenen heimlichen Faden, an dem der Tau, den du dachtest, hinunterglitt zu den Krügen, die ein Spruch, der zu niemandes Herz fand, behütet. Dort erst tratest du ganz in den Namen, der dein ist, schrittest sicheren Fußes zu dir, schwangen die Hämmer frei im Glockenstuhl deines Schweigens, stieß das Erlauschte zu dir“.
Paul Celan
1980
2. November
Es gibt das Absolute nicht in dieser Welt, aber es gibt Grenzen.
Schreibend können wir sie uns ertasten.
Es stirbt, was allzu lange vergessen ward, was ohne Liebe ist, muss vergehen.
Der Weg zum „Du“ führt durch die Einsamkeit.
Sprache ist Handeln. Sprache ist Verwirklichung.
7. November
Die Menschen arbeiten, um zu leben, und sie leben, um zu arbeiten. Das ist nicht genug. Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich. Deshalb muss Sprache Richtung sein in unserer Zeit. Wenn wir schon den Grund nicht wissen sollen, dass wir sind, so wollen wir doch wenigstens eine Richtung haben und glücklich sein.
30. November
Dieser Satz: „Manchmal denke ich jetzt – ohne Konturen lasse ich es in mir denken…“ – dieser Satz enthält einen entscheidenden Gedanken: ohne Konturen. Vorhanden und doch so unwirklich. Das ist eine Möglichkeit, Gott und sich selbst gerecht zu werden, dem Gott der Philosophen zu entfliehen in eine Welt, in der ich, auf mich selbst gestellt, doch nicht allein zu sein brauche. Ohne Konturen: das war ein Zauberwort in mir, ein Bewusstwerden. Das Buch umfasst eine Philosophie, die nie zur Philosophie werden darf.
1981
24. Januar
Wer in den schlimmsten Tiefen des Dunkels keine Grenzen der menschlichen Leidensfähigkeit absehen konnte, atmet anders die Luft dieser Welt als viele andere.
Die Flucht vieler Menschen in Worte, die nicht die ihren sind und es ermöglichen, sich der Arbeit zu entziehen an unserer Zeit und all dem, was gewesen ist. Verantwortung will nicht getragen werden, die Notwendigkeit, Dinge zu zerstören in uns, wird verachtet. Zerstörung und Gleichgültigkeit an den Dingen dieser Welt treten an ihre Stelle.
Doch was sind die Ursachen für diese Entwicklung? Wann ist der Mensch aus der Zeit gebrochen? Und wenn das schon gewusst wäre: wie muss der Weg sein, der uns zurückführt in den Einklang von Sein und Zeit?
Fragmente.
Wir brauchen Fragmente…
Es stimmt wohl, dass von Anbeginn wenige dachten und schrieben, doch vor allem für sich, dann für wenige andere. Es waren die, die die neue Zeit entwarfen, ihrer Zeit enteilten, nachdem sie die Welt zu begreifen versucht hatten, und das geht nur von Anfang an.
Alles ist noch so unfertig, nicht durchdacht genug.
6. Februar
Der Begriff der Freiheit muss von Grund auf durchdacht und sinnvoll erneuert werden.
13. Februar
Schreiben ist wie eine Droge, manchmal. Dann wieder ist es schwieriger als alles andere. Ich versuche überzeugt zu sein von meiner Arbeit, doch die Zweifel sind groß.
23. Februar
Wer heute schreibt muss politisch sein. Und weder rechts, noch links, noch in der Mitte, sondern dort, wo die Wahrheit liegt.
16. März
Die Welt schweigt, es macht mich unruhig. Düster steigt die Stimmung in mir auf, unabwendbar, die mich lähmt. und meine Versuche, mich dieser Lähmung zu erwehren, sind verzweifelt und anstrengend.
Wer kann denn hören, sehen, lesen…
24. April
Dichter wird man nicht, man ist es schon immer. Und einmal weiß man es.
20. Mai
Seit langem habe ich wieder Gedichte geschrieben. Und nicht solche, die man schreibt wie ein Stück Prosa, sondern Gedichte, die der Sehnsucht nach Ausdruck, Artikulation des Unbestimmten entspringen. Langsam finde ich meine Sprache.
20. Juli
Ich hasse diese Welt durch die man geht wie ein Fremder. Fremd den andern, den Plakaten und Bildern, fremd seinen Schritten, seinem Kopf, der stumm registriert. Ordnung ohne Zusammenhang, Theater ohne Regisseur. Man fragt sich, wann das Spiel beginnt. Nirgendwo gehört man dazu. Keiner gehört dazu. Und doch gehen alle, gehe ich. Unwirklich ist jeder Ort, unwirklich meine Anwesenheit…
09. September
So geht die Zeit dahin. Letzten Sonntag konnte ich das Schweigen-Wollen nicht mehr ertragen und fand die richtigen Worte am Ende. Eine winzige Spur bis die Wellen kommen. Gut, gut…
30. September
Seit ich wieder zu schreiben anfing, lässt es mich nicht mehr los. Auf der Arbeit, bei Spaziergängen. So bin ich ständig auf der Suche nach Worten, sitze lange am Schreibtisch, laufe umher, Stunden vergehen ergebnislos. Und dann, der Anblick eines Blattes, eines Wildes, das Fallen des Regens: mit einem Mal ist die Form da, als sei sie schon immer da gewesen (dieses „als sei sie schon immer da gewesen“ ist Zeichen eines gelungenen Gedichts. Einfachheit als Ergebnis langwieriger künstlerischer Arbeit).
20. Oktober
Die einzige Hoffnung, die mir bleibt, ist das Schreiben. Und die ist bedroht von der schrecklichen Angst, nicht mehr schreiben zu können. Außerhalb gibt es keinen Sinn. Mit jedem abgeschlossenen Gedicht ist die Angst da, nicht wieder schreiben zu können, keine Worte mehr zu finden. Von Anfang an. Und doch sind Gedichte entstanden. Solange es Gedichte gibt, wird es weitergehen…
23. Oktober
Was nützt denn auch Trost? Er kann doch nur eine Täuschung sein über die Dinge, deren wegen wir trauern. Und in Täuschung möchte ich mich nicht befinden. Entweder es gibt Lösungen, dann sind sie zu verwirklichen. Oder aber wir sind zum Leiden bestimmt. Dann allerdings brauchen wir die Hölle nicht zu fürchten. Und das Ewige steht uns zu, so oder so.
Mein Schreiben wird immer langsamer. Ich bin unruhig, die Worte fehlen mir. Jede Klarheit täuscht. Alles ist in Unordnung. Ich weiß nichts mehr, kann nichts sagen. Es lähmt mich. Ich leide.
Einfach nicht sein: wäre nicht alles einfacher…
15. November
Seit langem wieder fühle ich mich beim Erwachen bei mir. Ein Gefühl der Wärme, Geschlossenheit, unantastbare Einheit. Die Schlaflosigkeit der letzten Wochen, die Unruhe und Müdigkeit scheinen überwunden.
Das ist das Mühsame beim Gedichteschreiben: Die Suche nach der Sprache. Ein Wort, das am Anfang war, eine winzige Beobachtung, ein Klang – und dann die Suche, bis in den Schlaf Zudem träume ich, Gedichte, Geschichten. Einmal ging ich mit Reiner Kunze durch eine Stadt, hörte zu. Ein anderes Mal traf ich Peter Handke, der mir Auskunft gab, auch Fotos zeigte, die eines seiner Stücke illustrierten. Vorgestern Nacht bekam ich einen Brief von Heinrich Böll. Die Handschrift konnte ich nur mit Mühe lesen. Ich überflog den Brief, behielt nichts, außer dass es am Ende um irgendwelche Druckrechte ging. Ich fing von vorne zu lesen an, da wurde ich wach. Sofort war der Traum verschwunden. Erst später, weil ich wusste, geträumt zu haben, fand ich ihn wieder. Und war traurig wegen der gestohlenen Nachricht…
Gestern beendete ich die Arbeit an vier Gedichten. So selbstverständlich wirken wenige Zeilen, wenn sie einer erst gefunden hat. Von langen Nächten, anstrengendem Denken, ist nichts mehr zu spüren. Ein gelungener Vers verrät sich nicht. Vielleicht ist das eine oder andere der aussortierten Gedichte zu retten. Oft sind es nur einzelne Worte oder Laute, die das Gefüge stören. Wenn es gelingt, den Zusammenhang eines Gedichts auch atmosphärisch wieder herzustellen, finden sich manchmal unverhofft Wörter und Wendungen, welche die Form, den Sinnzusammenhang vollenden. Tröstlich beim Anblick so vieler unnützer Texte ist der Gedanke, dass gelungene Verse ohne die vertane Arbeit nicht möglich gewesen wären.
06. Dezember
Und sonst? Versuche ich immer wieder meine Zeit zu begreifen, vernünftig zu handeln, was nicht immer gelingt. Wie auch soll man unsere Zeit begreifen? Wie das Richtige tun, wissen wohin man kommt? Keine Zeit, glaube ich, versteht sich. Nachts schlafe ich schlecht, träume viel. Tagsüber lähmt mich das Denken. Ich muss eine nützlichere Haltung finden. Manchmal sehne ich mich nach ein bisschen Bequemlichkeit, nicht materiell, davon habe ich zu viel, das schadet. Einfach nicht denken müssen, nicht zweifeln. Manchmal. Wenigstens nachts…
28. Dezember
In diesen Tagen las ich G. und E. Und bemerkte Ähnlichkeiten, die bis zu sprachlichen Übereinstimmungen reichen und doch nicht dieselben Ursachen haben können, oder doch? Schließlich geht es um den Menschen, der sich zu begreifen sucht, um die Liebe, um Gott. Ahnungen also, die immer wieder Besitz ergreifen vom Menschen.